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Alsfeld (Vogelsbergkreis)
Jüdische Geschichte / Synagoge
Übersicht:
Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde (english
version)
In Alsfeld bestand eine - vermutlich kleine - jüdische Gemeinde zunächst im Mittelalter. 1359
wurde ein Haus, das früher dem Juden Kersancz gehörte, dem Arzt Sibold übergeben.
Somit werden vor 1359 in Alsfeld jüdische Personen gelebt haben. Es
ist anzunehmen, dass die Ansiedlung bereits vor 1348/49 erfolgte und mit
der Judenverfolgung in der Pestzeit gewaltsam beendet wurde. Da Mitte des 15.
Jahrhunderts ein Haus "Judenschule" (Synagoge) genannt
wird, kann auf eine jüdische Gemeinde in der Stadt geschlossen werden (trotz
der späten Nennung dieser "Judenschule" vermutlich auch auf erste Hälfte
des 14. Jahrhunderts zu datieren).
Im 17. Jahrhundert lebten nur vereinzelt Juden in der Stadt; 1721
wird ein Hofjude genannt.
Anfang des 19. Jahrhunderts gab es zunächst nur zwei jüdische Familien
in Alsfeld. Durch Zuzug aus umliegenden Dörfern (u.a. Angenrod) vergrößerte
sich die Zahl der jüdischen Einwohner auf 1828 61 und 1840 etwa 70 jüdische
Einwohner, was den entschiedenen Widerstand antijüdischer Kreise in der Stadt
hervorrief (siehe unten Artikel von 1842). Um 1840 wurde die
"israelitische Religionsgemeinde" gegründet. Seit Mitte des 19.
Jahrhunderts entwickelte sich die Zahl der jüdischen Einwohner wie
folgt: 1861 67 jüdische Einwohner (1,7 % von insgesamt 4.033 Einwohnern), 1871
73 (2,0 % von 3.612), 1880 178 (4,5 % von 3.973), 1895 213 (5,3 % von 3.975),
1910 252 (5,0 % von 5.001).
An Einrichtungen bestanden eine Synagoge (s.u.), eine Religionsschule,
ein rituelles Bad (bis 1826 drei private rituelle Bäder, danach ein Badehäuschen
der jüdischen Gemeinde) sowie seit 1877 ein eigener Friedhof
(Beisetzungen zuvor im Friedhof
Angenrod). Zur Besorgung religiöser Aufgaben der Gemeinde war ein Lehrer
angestellt, der zugleich als Vorbeter und Schochet tätig war. An jüdischen
Lehrern sind insbesondere zu nennen: um 1860 Lehrer Steinberger (genannt bei
einer Lehrerkonferenz
in Gießen 1860), um 1865 Lehrer Isaac (genannt bei einer Lehrerkonferenz in
Nidda), von 1875 bis 1911 Lehrer M. Spier, danach
Lehrer Koschland (genannt beim Bericht zur Verabschiedung von Lehrer Spier s.u.),
gefolgt von Lehrer Leopold Kahn.
Die Gemeinde gehörte zum orthodoxen Provinzialrabbinat Oberhessen mit Sitz in
Gießen.
Im Ersten Weltkrieg fielen aus der jüdischen Gemeinde: Gefreiter Joseph
Rothschild (geb. 8.8.1882 in Alsfeld, gef. 22.10.1914), Gefreiter Theodor Strauß
(geb. 19.6.1894, gef. 5.11.1918), Friedrich Fritz Wallach (geb. 15.8.1894 in
Alsfeld, gef. 10.5.1916), Theo Reinhold (geb. 3.5.1882 in Kleineibstadt, gest.
an der Kriegsverletzung 5.2.1919), Emil Flörsheim (geb. 14.9.1895 in Alsfeld,
vor 1914 in Halberstadt wohnhaft, gef. 10.1.1916), Friedrich Ludwig (Louis) Levi
(geb. 2.11.1888 in Alsfeld, vor 1914 in Köln wohnhaft, gef. 18.9.1914), Hermann
Lorsch (geb. 22.12.1881 in Alsfeld, vor 1914 in Gersfeld wohnhaft, gef.
3.8.1915). Außerdem sind gefallen: Karl Rothschild (geb. 1.4.1890 in Alsfeld,
vor 1914 in Bamberg wohnhaft, gef. 17.5.1915), Isaak Rothschild (geb. 5.7.1896
in Alsfeld, vor 1914 in Bierstadt wohnhaft, gef. 26.9.1917).
Um 1924, als zur jüdischen Gemeinde 229 Personen gehörten (4,6 %
von insgesamt ca. 5.000 Einwohnern), waren die Vorsteher der Gemeinde
Adolf Steinberger, Albert Stein, Isaak Strauss, Dr. Max Rothschild und Julius
Justus. Als Lehrer und Kantor wirkte der bereits genannte Leopold Kahn
(auch 1932), als Synagogendiener Abraham Kupferminz, als Synagogendienerin Anna
Horz, als Rechner Friedrich Seippel. Die Religionsschule der Gemeinde
besuchten 28 Kinder, dazu erhielten weitere sieben Kinder Religionsunterricht.
Lehrer Kahn unterrichtete auch die Kinder umliegender Gemeinden, u.a. in
Ober-Gleen und Kirtorf. An jüdischen Vereinen bestanden der Wohltätigkeitsverein
Chewro Gemilus Chasodim (Männerchewro, 1924 Leitung Hermann
Spier, 1932 Leitung Lehrer Kahn, Zweck und Arbeitsgebiete: Unterstützung
Hilfsbedürftiger und Kranker), der Frauenverein Frauen-Chewro (1924/32
Leitung Auguste Strauss, Zweck und Arbeitsgebiete: Unterstützung Hilfsbedürftiger
und Kranker), eine Ortsgruppe der Agudass Jisroel (1924 Leitung Hugo
Rothschild), eine Jugendgruppe der Agudass Jisroel (1924 Leitung Leopold
Kahn), ein Jungjüdischer Wanderbund J.W.B. Ortsgruppe (Leitung Tilde
Rothschild), ein Verein zur Hebung des Gottesdienstes (1924 Leitung
Abraham Lorsch), die Armenkasse (Durchwandererunterstützung; 1924/32
Leitung Leopold Kahn) und die Anijim Kasse (für Ortsarme und Arme der
Umgebung; 1924 Leitung Adolf Steinberger). 1932 waren die Vorsteher
der Gemeinde Adolf Steinberger (1. Vors.), Isak Strauß (2. Vors.) und Dr. Max
Rothschild (3. Vors.). Der genannte Adolf Steinberger war 1930-31
stellvertretendes Mitglied im Landesverband der Israelitischen Gemeinden Hessens.
Jüdische
Unternehmer und Gewerbetreibende spielten im wirtschaftlichen Leben
der Stadt Alsfeld seit der Mitte des 19. Jahrhundert eine bedeutende
Rolle. So waren in jüdischem Besitz eine Likörfabrik, eine
Hutstumpenfabrik, eine Textilfabrikation, ein Sägewerk, eine Brauerei,
ein Bankgeschäft. Es gab jüdische Metzger, Bürstenbinder,
Elektrotechniker, auch einen jüdischen Arzt und einen Zahnarzt.
Links: Anzeige des "Oberhessischen Schuh-Bazars" von Adolph Levi
(Quelle: The Encyclopedia of Jewish Life s.Lit.) |
1933 lebten noch 220 jüdische Personen in Alsfeld. Zu
Gewalttätigkeiten von Nationalsozialisten kam es bereits am Tag der
Machtübernahme am 30. Januar 1933 und nahmen im Laufe des Jahres ständig zu,
sodass sich bereits mehrere Familien zur Emigration entschlossen. Leopold Spier,
Inhaber des Bankgeschäftes N. Spier Söhne, beging 1933 Selbstmord. Auf einige der
jüdischen Geschäfte hatten es die Nationalsozialisten besonders abgesehen,
u.a. auf das Getreide- und Düngemittelgeschäft von Adolf Cahn (Hersfelder Str.
9). Sein Laden wurde zerstört, Adolf Cahn kam längere Zeit ins Gefängnis. In
den folgenden Jahren haben jährlich zwischen 30 und 40 der jüdischen Gemeindeglieder auf Grund der zunehmenden Entrechtung und der
Repressalien Alsfeld verlassen beziehungsweise sind ausgewandert. 35 Personen
konnten in die USA emigrieren, 27 nach Palästina, 15 nach Südafrika, je fünf
nach England und Frankreich. Viele verzogen in andere Orte, insbesondere in die
Frankfurter Gegend. Beim Novemberpogrom
1938 wurde nicht nur der Innenraum der Synagoge in Brand gesetzt (s.u.), sondern
auch die Fenster der jüdischen Wohnhäuser und Geschäfte eingeworfen. Das
Inventar der Läden - von Lebensmitteln bis zu Lederwaren - wurde auf die Straße
geworfen. 1939 wurden nur noch 33 jüdische Einwohner in Alsfeld gezählt,
im Jahr darauf nur noch vier. In den folgenden Jahren wurden aus Alsfeld
stammende jüdische Personen aus anderen Orten deportiert.
Von den in Alsfeld geborenen und/oder längere Zeit am Ort
wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit
umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad
Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches
- Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"; ergänzt durch die Angaben bei Dittmar/Jäkel
s. Lit.):
Rosa Aaron geb. Stein (1880), Betty Adler geb. Rothschild (1882), Friederike
Adler geb. Spier (1878), Hans Herbert Adler (1904), Moritz Adler (1879),
Rosa Aron geb. Stein (1880), Ida Baer geb. Strauss (1888), Sally Baer (1875),
Frieda Bauer geb. Levi (1884), Adelheid (Adele) Bettmann geb. Rothschild (1872),
Herrmann Bettmann (1898), Jakob Bettmann (1873), Joseph Bettmann (), Hans
Blumenthal (1919), Levi Buxbaum (1876), Siegfried Döllefeld (1874), Salomon
(Sally) Flörsheim (1864), Sara Freund (1873), Rosa Goldschmidt geb. Stern
(1888), Sidonie Gurassa geb. Rothschild (1886), Adele Heinemann geb. Wallach
(1870), Joseph Isaac (1874), Julius (Juda) Justus (1880), Rosa Justus geb.
Hanauer (1878), Jenni (Jenny) Kaufmann geb. Rothschild (1887), David Lamm (1866), Minna
Lamm geb. Lamm (1868), Rachel Lamm (1936), Rebecka Lamm geb. Kaufmann (1856),
Regina Levi (1872), Paula Lilienstrauß geb. Lorsch (1898), Siegmund
Lindenbaum (1882), Hedwig Löser geb. Döllefeld (1880), Julius Löser (1878), Elise Löwenbaum geb. Wallach
(1865), Berta
Löwenstein geb. Stein (1882), Setta Lonnerstätter (), Arno Lorsch (1928),
Frieda Lorsch (1877), Gustav Lorch (1894), Johanna Lorsch (1883), Karl
Lorsch (1896), Norbert Lorsch (1927), Sara Lorsch geb. Moses (1861), Selma
Lorsch geb. Stiefel (1898), Jacob Metzger (1899), Ida Moses geb. Rothschild (1890), Philipp
Moses (1886), Max Neuwald (1884), Johanna Oppenheimer geb. Abt (1867), Lydia Rath geb. Schloss (1884),
Frieda Rothschild geb. Nußbaum (1867), Ida Rothschild
geb. Rothschild (1884), Isaac Rothschild (1878), Julius Rothschild (1882), Selma Rothschild geb.
Wetterhahn (1875), Susanne Rothschild geb. Präger (1862), Samuel Schaumberg
(1884), Dina Minna Schloss (1881), Moritz Schloss
(1876), Leopold Spier (1881), Albert Stein (1884), Alice Stein geb. Hammel
(1901), Augustta (Auguste) Stein geb. Schuster (1880), Cilly Stein geb. Stein (1885), Clementine Stein geb. Rothschild (1880),
Ernst Stein (1935), Heinz
Stein (1929), Henny Stein geb. May (1885), Julius Stein (1871), Levi Stein (1874),
Walter Stein (1931), Adolf Steinberger (1872),
Hermann Steinberger (1883), Julius Steinberger (1886), Selma (Helma) Steinberger
(1884), Auguste Stern geb. Schuster (1880), Betty Stern geb. Steinberger (1878),
Erna Stern geb. Katz (1897), Julius Stern (1871), Lotte Stern (1932), Marga Lore
Stern (1932), Marim Stern (1897), Moritz Stern (1900), Walter Stern (1914), Auguste Strauss
geb. Marcus (1873), Jeanette Strauss (1921), Josef Strauss (1872), Kaufmann
Strauss (1862), Max Strauss (1884),
Rebecka (Rieke) Strauss geb. Lazarus (1873), Meta Strauss (1906), Markus Strauss
II (1882), Therese Strauss geb. Steinberger (1884), Ida Sundheimer geb.
Rothschild (1885), Gerda Wallach geb.
Humpert (1900), Jeanette Wertheim geb. Wertheim (1859), Ilse Westheimer
(1920).
Am 24. Oktober 2009 wurden in Alsfeld sogenannte "Stolpersteine"
verlegt für Selma Rothschild (Amthof 2), Sara Lorsch, Gustav Lorsch, Selma
Lorsch, Arno Lorsch und Norbert Lorsch (Rittergasse 4), Julius Stein, Alice Stein, Walter
Stein (Mainzergasse 1), Leopold Spier (Mainzergasse 7), Frieda
Lorsch und Levi Buxbaum (Mainzergasse 13), Auguste Strauss (Mainzergasse 20),
Jeanette Strauss, Sally Baer und Ida Baer (Steinborngasse 12). Weitere 13
Stolpersteine wurden am 7. September 2010 verlegt für Josef Strauss, Rebekka
Strauss geb. Lazarus, Meta Strauss (Altenburger Straße 21), Markus Strauss,
Therese Strauss geb. Steinberger (Grünberger Strasse 30), Sally Flörsheim (Grünberger
Strasse 22), Alice Stein geb. Hammel, Walter Stein, Ernst Stein (Zeller Weg 3),
Julius Justus, Rosa Justus geb. Hanauer (Ludwigsplatz 2), Hedwig Loeser geb.
Döllefeld (Ludwigsplatz 4), Frieda Rothschild geb. Nussbaum (Obergasse 19),
Karl Wallach (Ringofen 2) . Weitere 13 Steine wurden am
28. September 2011 verlegt in der Hersfelder Straße,
der Untergasse, dem Pfarrwiesenweg und der Unteren Fulder Gass.
Berichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde
Allgemeine
Berichte aus dem jüdischen Gemeindeleben
Widerstand gegen die Aufnahme weiterer jüdischer Familien in
Alsfeld (1842)
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 26. März 1842: "Darmstadt, 6. März (1842). In der Sitzung der zweiten Kammer der Stände
fand die Beratung über den 'Antrag des Abgeordneten Ramspeck, die
Erteilung des Staatsbürgerrechts an nicht-christliche Glaubensgenossen
betreffend', statt. In diesem Antrag wird sich beschwert, dass die Stadt
Alsfeld, trotz ihrer Remonstrationen, selbst bis höchsten Ortes, von der
Regierungsbehörde genötigt worden sei, mehrere Judenfamilien
aufzunehmen, und hierauf an die Kammer das Gesuch gerichtet, es möge
dieselbe '1) da die Stadt Alsfeld vorhin nicht mehr als zwei
Judenfamilien als Schutzjuden in ihrer Mitte zu dulden gemüßigt war, in
neuerer Zeit aber, gegen den Willen und gegen die eingelegten
Protestaktionen des Stadtvorstandes, mehrere Schutzjuden sich in Alsfeld
haben niederlassen dürfen, deren Seelenzahl schon gegen 70 herangewachsen
ist; 2) da in den benachbarten Städten Lauterbach,
Schlitz und Grünberg
nicht einmal ein Schutzjude Aufnahme findet, Alsfeld aber nicht allein als
Zufluchtsstätte der Juden erscheinen kann; 3) da die Emanzipation der
Juden, soviel als bekannt, noch zur Zeit in keinem europäischen Staate,
so auch im Großherzogtum Hessen nicht, erfolgt ist, die großherzogliche
Staatsregierung ersuchen, |
der Stadt
Alsfeld nicht aufbürden zu wollen, nichtchristliche Glaubensgenossen als
Ortsbürger aufnehmen zu müssen und diese Benachteiligung, der durch die
Verfassungsurkunde ausgesprochenen Gleichheit vor dem Gesetze entgegen,
ihr allein fühlbar zu machen, und deshalb die besagte Stadt Alsfeld von
der Verbindlichkeit, jüdische Glaubensgenossen als Ortsbürger aufnehmen
zu müssen, so lange loszählen zu wollen, bis nach Art. 15 der
Verfassungsurkunde ein allgemeines Gesetz votiert und erschienen sein
werde. Die Kammer wolle deshalb weiter beschließen: Großherzogliche
Staatsregierung um Vorlage eines Gesetzentwurfs zu ersuchen, wodurch das
vorliegende Sachverhältnis geregelt wird.' Abgeordneter Hardy hatte
hierüber in der vorigen Sitzung, namens des dritten Ausschusses berichtet
und der vom großherzoglichen Regierungskommissar, Gemeinderat von Kuder
gegebenen Auskunft beistimmend, beantragt, den Beschwerden des Antrags
keine Folge zu geben, weil die Aufnahme der Juden nur nach Erfüllung der
gesetzlich vorgeschriebenen Bedingungen, namentlich nach Artikel 15 der
Verfassungsurkunde und Artikel 48 der Gemeindeordnung erfolgt sei. Für
die Stadt Alsfeld könne aber keine Ausnahme von den für das ganze Großherzogtum
gesetzlich bestehenden Bestimmungen gemacht werden, indem gerade eine
solche mit der von dem Antragsteller desidierten Gleichheit vordem Gesetz
im Widerspruche sein würde. Wenn es also auch an gesetzlichen
Bestimmungen über die Befugnis der Staatsregierung zur Erteilung des
Staatsbürgerrechts an Israeliten im Allgemeinen nicht fehle und daher dem
Ausschusse das Bedürfnis einer desfallsigen Legislation nicht erkennbar
sei; weshalb derselbe auch der beantragten Provozierung eines
Gesetzentwurfs keine Folge zu geben der Meinung ist, so glaubt der
Ausschuss dennoch den Wunsch aussprechen zu sollen, dass die
Erfordernisse, an deren Vorhandensein die Erteilung des Staatsbürgerrechts
an Israeliten in den beiden diesseits rheinischen Provinzen geknüpft
wird, worüber bis jetzt nur reglementaire Bestimmungen bestehen, im Wege
der Gesetzgebung festgesetzt werden möchten, in welcher Beziehung sich
jedoch der Ausschuss einen Antrag zu stellen enthielt, weil hierauf die
vorliegende Motion nicht gerichtet sei. Bei der heutigen Beratung machte
der Abgeordnete Ramspeck diesen Wunsch des Ausschusses zu seinem Antrag,
worin er unterstützt ward. Es erfolgten nun einige kurze Bemerkungen über
den Gegenstand von Seiten mehrerer Abgeordneten. Abgeordneter Brunck
meinte, man könne dem zweiten Teil des Antrags Folge geben, da er nichts
Anderes sei, als was der Ausschuss auch wünsche am Schlusse seines
Berichts. Abgeordneter von Bibra hob hervor, wie die Juden wohl in größeren
Städten weniger schädlich dem Gemeinwesen würden als in kleinern und
auf dem platten Lande, wo sie durch den Schacherhandel, namentlich mit
Vieh, oft großes Verderben anrichteten, wenn auch in neuester Zeit die
Wohltat der Sparkassen diesem Schaden entgegenwirke, Abgeordneter Hardy
hob die bestehenden Verhältnisse kurz hervor, insbesondere, wie zur
Erwerbung des Staatsbürgerrechts der Israeliten die Erfüllung strenger
Bedingungen erforderlich sei. Abgeordneter Zulauf meinte sie versprächen
diese wohl, hielten sie aber nach der Aufnahme nicht. Nur denen möge man
Rechte wie den Christen verleihen, welche sich auch gleich den Christen bürgerlichen
Gewerben, dem Ackerbau, Handwerken usw. ergäben und den verderblichen
Schaden ließen. Abgeordneter Franck bestätigt, dass sie nach der
Aufnahme wieder gern in den Schacherhandel verfielen, und hält ebenfalls
strengere Bestimmungen in dieser Hinsicht für nötig.
(Großherzoglich Hessische Zeitung)." |
Antisemitischer Vorfall gegen das Gießener
Stadttheater bei einem Auftritt in Alsfeld (1930)
Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und
Waldeck" vom 12. März 1930: "Gießen. Die
Wahlen zur Kammer der Gießener Studentenschaft (im Volksstaat Hessen
besitzen die Studentenschaften noch die staatliche Anerkennung und dürfen
Zwangsbeiträge einziehen) brachten die Nationalsozialisten auf einen
Schlag neun Sitze von den insgesamt 25 ein. Die Republikaner erhielten 4
(4) Sitze, die Großdeutschen diesmal nur 12 (21) Sitze. Die
nationalsozialistische Hetzpropaganda hat mit ihrer Presse und den Flugblättern,
die in der Universität verteilt wurden und die in bekanntem, keinesfalls
akademischem Ton über Juden und Judengenossen herzogen, ihre Schuldigkeit
getan. - Wie uns von der Intendanz des Gießener Stadttheaters
mitgeteilt wird, hat die nationalsozialistische Propaganda auf dem flachen
Land auch schon dem Gießener Theater zu unliebsamen Zwischenfällen
verholfen. Ein bezeichnender Vorfall am letzten Sonntag: das Gießener
Ensemble, unter dem sich auch einige Juden befinden, gibt es Alsfeld ein
Gastspiel. So oft nun die jüdische Künstlerin Frl. Heß auftrat,
wurde aus einer bestimmten Ecke von einigen Zuschauern gezischt und
gepfiffen. Es stellte sich heraus, dass es Nationalsozialisten waren, die
unter der Anführung eines Gießener Studenten bewusst störten und ruhig
angaben, dass sie allein das Auftreten einer jüdischen Schauspielerin
dazu veranlasse. Als Frl. Heß zu Beginn des nächsten Aktes wieder
auftrat, gab das Publikum den Störenfrieden, denen man inzwischen das Handwerk
gründlich gelegt hatte, die rechte Antwort: Ein spontaner Beifall setzte
auf offener Szene ein. Bürgermeister Völsing sprach dem Ensemble sein
aufrichtiges Bedauern über den Vorfall aus." |
NS-Zeit: 500 Plakate mit der Aufschrift "Juden sind
unerwünscht" werden angebracht (1935)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 29. August 1935: "Handel und
Verkehr: In Alsfeld (Oberhessen) hat, nach Mitteilung der 'Frankfurter
Zeitung', der NS-Hago 500 Plakate mit der Aufschrift 'Juden sind hier
unerwünscht' anfertigen lassen, die in allen arischen Geschäften,
Gaststätten und Cafes der Stadt und des Umkreises angebracht werden." |
Aus der Geschichte der Lehrer / Vorbeter und der Schule
Ausschreibungen der Stelle des Religionslehrers / Vorbeters / Schochet
1911 / 1924
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 20. Juli 1911: "Vakanz. Durch
Pensionierung des 36 Jahre hier amtierenden Lehrers ist die hiesige
Lehrer-, Kantor- und Schochetstelle vom 1. Oktober laufenden Jahres ab neu
zu besetzen. Seminaristisch gebildete, musikalisch und stimmlich gut
begabte, streng religiöse Bewerber wollen ihre abschriftlichen Zeugnisse
an den Unterzeichneten einreichen.
Alsfeld, 16. Juli 1911. Der Vorstand
der israelitischen Religionsgemeinde. Abraham Rothschild, I. Vorsteher." |
|
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 10. Januar 1924:
"Gesucht zum 1. April dieses Jahres eventuell etwas später Religionslehrer,
Kantor und Schochet. Reichsdeutsche seminaristisch gebildete stimmlich
gut begabte religiöse Bewerber wollen ihre abschriftlichen Zeugnisse an
den Unterzeichneten einreichen. Gehalt nach staatlichen Sätzen. Gutes
Nebeneinkommen. Schöne Dienstwohnung vorhanden. Auf Wunsch kann die
Schochetstelle abgetrennt werden.
Der Vorstand der Israelitischen
Gemeinde Alsfeld (Hessen). Adolf Steinberger, 1. Vorsteher." |
|
Anzeige in der "CV-Zeitung" (Zeitschrift des
"Central-Vereins") vom 31. Januar 1924:
Text wie in der Zeitschrift "Der Israelit", siehe oben. |
Der jüdische Lehrer
unterrichtet auch an der christlichen Schule (1852)
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 8. November 1852: "In
den darmstädtischen Orten Homberg und
Alsfeld machte ich die erfreuliche
Wahrnehmung, dass in diesem Lande mitunter jüdische Lehrer an
christlichen Schulanstalten Unterricht – wenn auch nur privatim –
erteilen." |
Lehrer M. Spier tritt 1911 nach 36 Jahren
in den Ruhestand
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 19. Oktober 1911: "Alsfeld, 6.
Oktober (1911). Am 1. Oktober trat Herr Spier, Kantor und Religionslehrer
der jüdischen Gemeinde, nach 36 ½ jähriger segensreicher Wirksamkeit in
seiner hiesigen Gemeinde in den wohl verdienten Ruhestand. Die Gemeinde
sieht mit lebhaftem Bedauern ihren sehr verehrten Lehrer und Führer
scheiden, an welchem sie mit aufrichtiger Liebe und Hochachtung hing. Am
vergangenen Samstag hielt Herr Spier nach dem Morgengottesdienst in der
Synagoge eine ergreifende Ansprache an seine Gemeinde, in welcher er mit
einem Rückblick auf seine hiesige Tätigkeit das vorzügliche
gegenseitige Einvernehmen zwischen Gemeinde und ihm hervorhob und
versicherte, dass er seine Gemeinde nie vergessen und in bestem Andenken
behalten werde. Der erste Vorsteher erwiderte ihm mit Worten des Dankes
und der Anerkennung für sein segensreiches ersprießliches Wirken, gab
dem allgemeinen lebhaften bedauern über sein Scheiden Ausdruck und
versichert ihn namens der Gemeinde eines bleibenden unvergänglichen und
treuen Andenkens. Zu seinem Abschiede hatten sich an der Bahn der Vorstand
sowie zahlreiche Mitglieder der Gemeinde und seine Schüler eingefunden,
welche ihrem scheidenden Lehrer das Geleite gaben. Als Nachfolger für
Herr Spier ist Herr Lehrer Koschland zum Lehrer und Kantor der hiesigen
israelitischen Religionsgemeinde gewählt worden, der sein Amt bereits
angetreten hat." |
Lehrer Leopold Kahn als Vorsteher
der Arbeitsgemeinschaft der israelitischen Lehrervereine gibt Anweisungen an die
Lehrer (1923)
Artikel in
der Zeitschrift "Der Israelit" vom 24. September 1923: "Alsfeld, 23.
August (1923). Wir werden um Aufnahme folgender Notiz ersucht: Hessen. Es
sei hierdurch allen Kollegen mitgeteilt, dass wir für die Provinz
Starkenburg einen Bezirksrat geschaffen haben, dessen Aufgabe darin
besteht, alle Verhandlungen der Lehrer mit ihren Gemeinden und mit den
betreffenden Kreisämtern zu führen. Es ist von heute ab kein Kollege
mehr berechtigt, allein diese Handlungen zu führen. Die Kollegen mögen
sich daher mit ihren Anliegen an den Bezirksrat,
der von Herrn Kollegen Kahn – Höchst
i.O. geleitet wird, wenden und mögen
selbst durch strengste Disziplin dazu beitragen, dass wir Erfolge zu
erzielen vermögen. Die gleichen Bestimmungen gelten auch für Oberhessen,
wo Herr Kollege Kahn – Alsfeld
dazu beauftragt ist, diese Verhandlungen zu führen. Gleichzeitig wollen
alle sich nach Hessen meldende Lehrer an obige Stellen um Auskunft wenden.
Porto ist stets allen Anfragen beizufügen. Die Arbeitsgemeinschaft der
israelitischen Lehrervereine in Hessen. Kahn – Alsfeld, Simon –
Darmstadt." |
Bezirkstag der Agudas Jisrael - Jugendgruppen
in Alsfeld (1922)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 2.
März 1922: "Fulda, 22. Februar. Am 15. Tewes (= 15.
Tewet, = 15. Januar 1922) fand in Alsfeld der Bezirkstag der hessischen
Agudat Jisrael Jugend-Gruppen statt, der trotz mancher Widrigkeiten gut besucht war. Vertreten waren die Gruppen
Alsfeld, Birstein,
Burghaun, Flieden,
Fulda, Guxhagen,
Hersfeld, Kassel,
Lauterbach, Niederaula,
Rhina und Treysa. Aus Alsfeld und Umgebung waren zahlreiche Gäste zugegen. Herr
Lehrer Kahn - Alsfeld begrüßte im Rahmen der gastgebenden Gruppe die Versammlung herzlich.
Dr. Herz dankte der Gruppe Alsfeld für die Übernahme der mühevollen Aufgabe, die sie aufs schönste gelöst habe und dem Vertreter der Gemeinde Alsfeld für sein Erscheinen. Zum Vorsitzenden wurde einstimmig Herr
Lehrer Kahn - Alsfeld gewählt.
Dr. Herz gab den Bericht über seine Tätigkeit jetzt dem letzten Bezirkstag (17. 11.19 20). Er sprach einleitend über die Notwendigkeit der Organisation, in der ein jedes Glied das Bewusstsein haben müsse, dass es in Deuten, Fühlen und Handeln ein Teil des Ganzen sei. Seine Tätigkeit, die leider 3 mal durch längere Abwesenheit unterbrochen werden musste, gab er mit folgenden Daten:
(siehe Liste in Text links mit Zahl der Besuche, Schiurim, Vorträge
usw. in Fulda, Hersfeld, Kassel, Guxhagen, Burghaun, Rhina, Hanau, Treysa,
Gersfeld, Marburg, Alsfeld, Birstein, Wüstensachsen, Flieden, Lauterbach,
Niederaula, Langenselbold, Groß-Krotzenburg, Schmalnau, Propagandavorträge
in Gelnhausen und Sterbfritz, Vorträge außerhalb des Bezirks in Basel,
Luzern, Zürich und Schwäbisch Hall)
Die Vorträge bezogen sich auf Sidre und Haphtarah (Wochenabschnitt
und prophetischer Abschnitt), auf die besonderen Tage des Jahres und auf allgemeine jüdische Fragen.
Dr. Herz beklagt, dass in vielen unserer Gruppen die Verbindung mit der Aguda und ihrem Ideenkomplex noch eine sehr lockere sei.
In der Diskussion bedauerten die Herren Lehrer Haas - Niederaula,
Kahn - Alsfeld und Stern
- Lauterbach, dass die Gruppen an kleinen Orten von dem Bezirkssekretär weniger häufig besucht werden als die in den Städten. Namentlich wäre es wünschenswert, dass Vertreter der Aguda, vor allem Kaufleute, über
den Heiligen Schabbat in die kleinen Gruppen kommen. Allerlei Schwierigkeiten, die unserer Arbeit im Wege stehen, vor allem die Übertreibung des Sports, hebt
Lehrer Freudenberger - Flieden hervor.
Die Gruppenvertreter gaben kurze Berichte über die Tätigkeit ihrer Gruppen: es ist hierbei zu konstatieren, dass, einige Gruppen ausgenommen, die Leistungen sich vermehrt haben, von Einzelheiten ist hervorzuheben, dass die Gruppe
Birstein alle 14 Tage von einem Ben
Tora (= Sohn der Tora, Torastudierender), der Schiurim
(= Lehrstunden) (zur Nachahmung empfohlen!), ferner, dass die Fuldaer Mädchengruppe soziale Arbeit leisten (Kinderfürsorge, Krankenpflege
usw.)
Kassel und Hersfeld beklagen es, dass die
Agudat Jisrael Jugend-Organisation nur außerordentlich selten Propagandaredner zur Verfügung stellt. Allgemein wurde der Wunsch geäußert, dass häufigere orientierende Vorträge über ihre Arbeit in und für
Erez Jisrael veranstaltet werden. Dr. Herz sagt die Weiterleitung der geäußerten Wünsche zu; er erwidert, dass seine Besuche in den Landorten deshalb weniger oft stattfinden können, weil dort gewöhnlich der Sonntag der einzige geeignete Tag sei. Es folgt ein Referat des Herrn
Lehrer Landsberg - Hersfeld:
'Das Schulwesen im Talmud': Die umfassende und tiefgehende Darstellung zeugte von gründlicher Durcharbeitung des Stoffes und wurde mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgt. Der Bericht über die vor einem Jahr gegründete Wanderbibliothek besagt, dass ungefähr 70 Werke vorhanden sind, die in 6 Serien zirkulieren; zur Erweiterung der Bücherei wird ein einmaliger Betrag von 5 Mark pro Mitglied beschlossen.
|
Eine Bibliothekskommission unter dem Vorsitz des Herrn
Lehrer Landsberg wird gewählt.
Lehrlingsfürsorge: An etwa 90 Lehrer Hessens wurden Fragebögen versandt auf denen Angaben über die in die Städte kommenden Lehrlingen
etc. erbeten wurden; nur die Hälfte ungefähr wurde beantwortet; die Jugendgruppen und geeignete Persönlichkeiten wurden auf die uns gemeldeten jungen Leute aufmerksam gemacht.
Herr Schneemann - Fulda hob besonders die Notwendigkeit der Förderung des Gemeinschaftsgefühls hervor; ferner fordert er intensive Arbeit für
Erez Jisrael, er hält die Belehrung der Jugend über die jüdische Politik für unerlässlich; außerdem stellt er die Forderung der Pflege und Stärkung des Körpers auf. Eine rege Diskussion knüpfte sich an seine Worte.
Mit warmem Dank an Alsfeld und an den Vorsitzenden Herr Lehrer
Kahn, wurde die Tagung geschlossen; besonders wurde noch der weitgehenden Fürsorge der Gruppe
Alsfeld für das leibliche Wohlergehen der Gäste rühmend gedacht.
Am Abend war gemütliches Beisammensein: besonders tiefer Eindruck machten hierbei die von einigen Fuldaer Esräern vorgetragenen jüdischen Melodien aus dem Osten."
|
Generalversammlung der "Unabhängigen
israelitischen Lehrervereins im Freistaate Hessen" in Alsfeld (1925)
Artikel
in der Zeitung "Der Israelit" vom 29. Oktober 1925.
Der Artikel
wird nicht ausgeschrieben, da es nur einen indirekten Bezug zur jüdischen
Geschichte in Alsfeld gibt. |
Aufrufe zu Spenden für arme jüdische
Gemeindeglieder
Aufruf für eine verarmte Witwe (1878)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 14. August 1878: "Aufruf!
Wir
richten an alle edlen Menschenfreunde die dringende Bitte, durch ihren
beistand die Nahrungssorgen einer armen, kranken, allein stehende Witwe
verscheuchen, die Not einer tief gebeugten Frau lindern zu wollen, deren
schwachen Kräfte nicht mehr ihren Lebensbedarf erschwingen können und
die mit schwerem Herzen an die Mildtätigkeit unserer Glaubensgenossen
appelliert. Wir können versichern, dass die Bittende keine Unwürdige
ist. Die Unterzeichneten nehmen bereitwilligst Gaben in Empfang und werden
später in diesen Blätter quittieren.
Alsfeld in Oberhessen. M. Spier,
Lehrer. H. Rothschild, Vorstand." |
Aufruf für ein verarmtes Ehepaar (1907)
Anzeige in
der Zeitschrift "Der Israelit" vom 10. Januar 1907:
"Aufruf.
Ein in einem Dorf lebendes von unverschuldetem Unglück verfolgtes Ehepaar
ist derart in bitterste Not geraten, dass ihm sein einziges Besitztum, ein
bescheidenes Häuschen gepfändet worden ist und demnächst versteigert
werden soll. Zunächst gilt es hier, den Armen, die eine zahlreiche
Familie zu ernähren haben, ihr Obdach zu retten. Wir bitten die breite Öffentlichkeit,
den jüdischen Wohltätigkeitssinn hier nachdrücklich zu bewähren. Gaben
nehmen die Unterzeichneten gerne in Empfang.
Gez. M. Spier, Lehrer, Alsfeld.
Gez. Sally Flörsheim, Alsfeld.
Obigen Aufruf bestätige ich vollinhaltlich, mit der auch meinerseits geäußerten
Bitte, demselben wohlwollendste und unterstützungsreichste Aufmerksamkeit
zu schenken.
Gez. Dr. L. Hirschfeld, Gießen, Großherzoglicher
Provinzialrabbiner.
Wir bitten dringend um fernere Spenden. Mit den bis jetzt eingelaufenen
Spenden können wir den bedrängten Eheleuten ihr Haus nicht erhalten. Wir
werden später durch Quittungslisten den Empfang ihrer Gaben bestätigen.
M. Spier, Lehrer.
Sally Flörsheim." |
Berichte zu einzelnen Personen
aus der Gemeinde
Auswirkungen der
antisemitischen Agitationen -
die Kaufleute Hermann und Leopold Wallach in
Alsfeld erheben eine Privatklage gegen Karl Kratz in Wettsaasen (1890)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 25. Dezember 1890:
"Gießen, 16. Dezember (1890). In der heutigen
Strafkammersitzung kam, der 'Darmstädter Zeitung" zufolge,
nachfolgender Fall zur Verhandlung. Karl Kratz in Wettsaasen hatte nach
einer an die Kaufleute Hermann und Leopold Wallach in Alsfeld geleisteten
Zahlung an dieselben eine Postkarte folgenden Inhalts geschrieben: 'Anbei
schicke ich Ihnen den Betrag mit Mark 221,53 und will Gott danken, dass es
das letzte ist, welches Sie von mir erhalten, und wünsche Ihnen hiermit
eine glückliche Reise nach Jerusalem. Achtungsvoll K. Kratz. Wettsaasen,
den 17. Juni 1890.' Auf seitens der genannten Kaufleute erhobene
Privatklage wurde das Hauptverfahren vor dem großherzoglichen
Schöffengerichte Grünberg eröffnet. In dem Hauptverhandlungstermin
hatte der Verteidiger des Angeklagten, Rechtsanwalt Weidig, geltend
gemacht, dass in den Schlussworten 'und wünsche Ihnen hiermit etc.' keine
Beleidigung liege, indem damit den Juden etwas gewünscht werde, wonach
sie alle streben und sie hiermit an die Glanzzeit ihres Volkes erinnert
würden. Das Schöffengericht hatte jedoch den Tatbestand des § 185 des
Strafgesetzbuchs als vorliegend erachtet, indem jene Kundgebung zwar
objektiv nicht die Ehre der Privatkläger zu verletzen geeignet sei,
allein die Absicht, die Verachtung, Verhöhnung und Geringschätzung den
Kaufleuten Wallach gegenüber auszudrücken, aus den Verhältnissen, unter
denen die Karte geschrieben wurde, und aus der Art und Weise der Abfassung
derselben klar hervorgehe. Die Karte sei geschrieben worden, um dem Unmut
des Angeklagten darüber, dass die Privatkläger gegen ihn einen
Zahlungsbefehl genommen hatten, Luft zu machen; außerdem komme hinzu,
dass in der Gegend von Grünberg durch die antisemitische Agitatoren die
Bevölkerung sehr gegen die Juden aufgebracht sei und dass augenscheinlich
einer derartigen antisemitischen Kundgebung die obenerwähnten
Schlussworte auf der Postkarte entsprungen seien. Das Schöffengericht
verurteilte deshalb den Angeklagten in eine Geldstrafe von 8 Mark nebst
Kosten und privatklägerischen Auslagen, gegen welches Urteil Angeklagter
Berufung einlegte. In der heutigen Strafkammerverhaltung führte der
Vertreter der Privatkläger aus, die antisemitischen Agitatoren hätten
sich bei den Wahlen dahin ausgesprochen, die Juden müssten zur
Auswanderung nach Palästina gezwungen werden, und nur in diesem Sinne sei
der fragliche Wunsch den Privatklägern gegenüber zu deuten. Die
Strafkammer schloss sich den Ausführungen des schöffengerichtlichen
Urteils in jeder Beziehung an und verwarf die Berufung des Angeklagten
unter Verfällung desselben in sämtlichen
Kosten." |
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Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung de Judentums" vom 25. Dezember 1890:
"Ein Herr Karl Kratz in Wettsaasen hatte nach einer an die Kaufleute
Hermann und Leopold Wallach in Alsfeld geleisteten Zahlung an
dieselben eine Postkarte folgenden Inhalts geschrieben: 'Anbei schicke ich
Ihnen den Betrag mit 221,53 Mark und will Gott danken, dass es das Letzte
ist, welches Sie von mir erhalten, und wünsche Ihnen hiermit eine glückliche
Reise nach Jerusalem. Achtungsvoll K. Kratz, Weetsaasen, den 17. Juni
1890.' Auf seitens der genannten Kaufleute eingereichte Klage wurde Kratz
zu einer Geldstrafe verurteilt, gegen welches derselbe Berufung eingelegt
hatte. Nunmehr ist die Sache in der Berufungsinstanz in Darmstadt zur
Verhandlung gekommen. Die Strafkammer schloss sich den Ausführungen des
schöffengerichtlichen Urteils in jeder Beziehung an und verwarf die
Berufung des Angeklagten unter Verurteilung desselben in sämtliche
Kosten." |
Zum Tod von Hermann Rothschild I, 25 Jahre Vorsteher der jüdischen Gemeinde und
34 Jahre Mohel (Beschneider) (1895)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 12. Juni 1895: "Alsfeld. Am Erew
Schabbat Paraschat Naso
(Freitag vor Schabbat mit der Toralesung Naso = 4. Mose 4,21 -
7,89, das war Freitag, 31. Mai 1895) starb hier ein Mann, dessen
Tod eine große Lücke gerissen, dessen Hinscheiden an das schöne Raschiwort
lebhaft erinnern: 'Solange der Fromme in der Stadt
weilt, ist er ihr Schmuck, ihr Glanz und ihre Pracht, verlässt er sie, so
wendet sich ihr Glanz und ihre Pracht.' – Der verstorbene, in weiten
Kreisen bekannte Hermann Rothschild I. war 25 Jahre lang
Vorsteher in der hiesigen Gemeinde und hat während dieser langen Zeit
zur allgemeinen Zufriedenheit sein Amt verwaltet. Er war ein echter Jehudi
und als solcher bestrebt, die Gebete unserer heiligen Tora und Vorschrift
auszuführen. Der Heimgegangene war von seinem 18. Jahre an Mohel
(Beschneider) und hat über 500 Kinder in den Abrahamsbund eingeführt, zu welchem Zwecke er selbst weite Reisen
auf eigene Kosten nicht scheute. Seines ehrenhaften Charakters wegen
wurden ihm viele Ehrenämter übertragen, die er trotz seines
umfangreichen Geschäftes in hingebender Weise verwaltet. Er starb in dem
Alter von 52 Jahren, tief betrauert von seiner zahlreichen Familie und Anhängern.
Zu seiner Beerdigung waren von nah und fern unzählige Trauernde und Mitführlende
herbeigekommen und das Leichengefolge war ein überaus großes. Am Grabe
sprachen die Herren Rabbiner Dr. Hirschfeld – sein
Licht leuchte – aus Gießen und Lehrer M. Spier aus Alsfeld. In
warmen Worten wurden von den Rednern die zahlreichen Verdienste des
Verstorbenen gebührend hervorgehoben. Gott – gepriesen
sei er – möge die Trauernden ob ihres schweren und harten Verlustes
trösten und von ihnen jedes Leid und jede weitere Heimsuchung
fernhalten." |
Zum Tod von Rechtsanwalt Dr. Emil Stern
(1901)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 12. August 1901: "Alsfeld, 8. August (1901). Heute
verschied hier nach langem Leiden der Großherzogliche Notar und
Rechtsanwalt Dr. Emil Stern, ein überaus frommer, braver und
gottesfürchtiger Mann. Derselbe war ein Zadik im wahrsten Sinne der
Worte. Die gesetzestreuen Rabbinen der Umgegend eilten herbei, um seiner
sterblichen Hülle die letzte Ehre zu erweisen. Seine Seele sei
eingebunden in den Bund des Lebens." |
|
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 9. September 1901: "Alsfeld,
5. September (1901). Sie haben bereits sofort nach dem Hinscheiden des
Rechtsanwalts und Notars Dr. Stern dahier, von dem traurigen Ereignis,
unter Hervorhebung des schweren Verlustes, den das gesetzestreue Judentum
erlitten, Ihren Lesern Kenntnis gegeben. Gestatten Sie mir, Ihnen heute
noch mitzuteilen, wie sehr das ganze Leben des Dahingeschiedenen ein
großer Kidusch Haschem (Heiligen des Gottesnamens) gewesen. Das
bezeugen namentlich die in überaus großer Menge eingelaufenen
Beileidsschreiben an die Gattin des Heimgegangenen. Der
Landgerichtspräsident, die Richter, Staatsanwälte, Rechtsanwälte und
Notare beklagen alle das Hinscheiden eines ihnen liebgewordenen Kollegen,
den sie bei dem Zusammenwirken im Laufe der Jahre überaus hochschätzen
gelernt hätten, und der durch seine seltene Pflichttreue,
Gewissenhaftigkeit und Rechtlichkeit allen ein leuchtendes Vorbild gewesen
sei. Der Landgerichtspräsident insbesondere rühmte seine Tüchtigkeit
als Notar und ein Landgerichtsrat dessen lauteres und biederes Wesen,
sowie dessen vortrefflichen Charakter; alle aber preisen einstimmig seine
vorzüglichen Eigenschaften des Geistes und des Herzens. Leider war,
entgegen meiner früheren Mitteilung, kein Rabbiner vertreten, da
dieselben zufälligerweise alle verhindert waren. Ich schließe mit den
Worten des Nachrufes der 'Alsfelder Oberhessischen Zeitung': 'Herr Dr.
Stern hat ein Alter von nur 46 Jahren erreicht; - viel zu früh ist dieser
brave Mann, das Vorbild eines wohlmeinenden Rechtsberaters, von uns
geschieden. Viele sind es, die den Tod des treuen Anwalts aufs Tiefste
beklagen. Möge ihm die Ede leicht sein!'" |
Zum Tod von Isaak Löb Rothschild (1904)
Artikel im
"Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 29. Januar 1904: "Alsfeld. Am 13. dieses Monats verschied nach kurzem, schwerem, aber mit
Geduld ertragenem Leiden Herr Isaak Löb Rothschild (Firma D.H. Rothschild
Sohn) hier im Alter von 45 Jahren.
Der Verewigte war ein guter Jehudi im
wahren Sinne des Wortes. Wegen seines bescheidenen Wesens, seines streng
rechtlichen und offenen Charakters wurde er in allen Kreisen der Bevölkerung
geschätzt und geachtet.
Er war einer der Wenigen, die mit Begeisterung
und tiefer Überzeugung an dem überlieferten Judentum festhalten. Von
Jugend an war der nun Verblichene bestrebt, Tora zu lernen und so fand er
trotz der Anstrengung in seinem Berufe noch spät abends Zeit dazu. Am
Sabbate gab er sich gerne die Mühe, auch andere in unserer heiligen Lehre
zu unterweisen.
Ein inniges Familienglück ist durch den Heimgang dieses
trefflichen Mannes erschüttert, und mit der Familie, deren Stolz der
Verstorbene gewesen, beklagt die hiesige Gemeinde den Verlust eines ihrer
besten Mitglieder. Sein Andenken wird bei all denen, die ihn kannten, ein gesegnetes bleiben." |
Ein ähnlicher Bericht zum Tod von Isaak Löb Rothschild erschien in
der Zeitschrift "Der Israelit" vom 28. Januar 1904. |
Zum Tod der aus Alsfeld stammenden Frau Spiro geb. Rothschild, Witwe des
Butzbacher Lehrers Emil Spiro (1922)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 9. Februar 1922: "Butzbach,
24. Januar (1922). Vergangenen Dienstag haben wir mit Frau Lehrer Emil
Spiro einen Esches Chajil (wackere Frau) zu Grabe getragen, deren
ganzes Leben nichts anderes als Erfüllung jüdischer Pflicht gewesen ist.
Sie wird deshalb nicht nur vom Kreise ihrer Familie und der Freunde,
sondern von der ganzen Gemeinde und Umgegend aufrichtigen Herzens innig
betrauert. Sie entstammte der bekannten Familie Rotschild aus Alsfeld
und wurde schon im Elternhause im Geiste der Menschenliebe erzogen. So
ward sie die würdige Gattin ihres Mannes, des leider so früh von uns
gegangenen und in weiten Kreisen bekannten Lehrers Emil Spiro seligen
Andenkens. Wenn ihr Mann seine berufliche Tätigkeit in Schule und Haus im
Sinne der Thauro, Awaudo und in Gemillus Chessed (Tora,
Gottesdienst und Wohltätigkeit) entfalten konnte, so konnte er das nur,
weil die Gattin ihm als Hilfe zur Seite stand, weil ihr warmes Herz für
alles Jüdische, für alles Gute schlug. All dem gab Herr Rabbiner Dr.
Hirschfeld aus Gie0en in seinem Hesped (Trauerrede) tiefergreifend
Ausdruck. Ihre Seele sei eingebunden in den Bund des Lebens." |
Zum Tod von Abraham Rothschild (1923), über 20 Jahre Vorsteher der jüdischen
Gemeinde
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 8. März 1923: "Alsfeld, 25. Februar. Am Mittwoch, 17. Februar, bewegte sich durch die
altertümlichen Straßen der Stadt Alsfeld ein großer Leichenzug; galt es
doch, was sterblich war an Herrn Abraham Rothschild dem Schoße der
Erde zu übergeben. Nicht nur die trauernde Witwe und Familie, sondern
auch die jüdische Gemeinde Alsfeld hat in dem Heimgange des Verblichenen
einen fast unersetzlichen Verlust erlitten. Ein Mann von tief innerlichen Frömmigkeit,
der treu und fest an unserer alt überlieferten Religion festhielt, ein
Mensch von wahrhaft vornehmer und edler Gesinnung ist mit dem Verklärten
dahin gegangen. Mehr als 2 Jahrzehnte versah er das Amt des Vorstehers
der hiesigen Gemeinde mit einer seltenen Gewissenhaftigkeit und
Pflichttreue. Allen Geschäften der Gemeinde brachte er das größte
Interesse entgegen und in wahrhafter Emunoh (Wahrhaftigkeit) hat er das Wohl der Gemeinde stets im Auge
gehabt. So fällt in seiner Amtszeit der Bau der neuen, schönen
Synagoge, den er auf jede Weise gefördert hat. Und nun ist er als 72jährigen
Greis von uns gegangen. An seinem Grabe verliehen Herr Lehrer Kahn, Herr
Dr. Rothschild, Dinslaken, ein Neffe des Verstorbenen und Herr Adolf
Steinberger als jetziger Vorsteher der Gemeinde, dem Schmerze der
Allgemeinheit, der Familie und dem Gemeinde lebhaften Ausdruck.
Unvergesslich wird sein Wirken in unserer Gemeinde fortleben. Seine
Seele sei eingebunden in den Bund des Lebens."
|
Zum Tod von Clothilde Rothschild geb. Adler (1923)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 7. September 1923:
"Alsfeld, 2. September 1923. Am 27. Aw (9. August 1923) verschied
nach schwerem, mit Geduld und Gottvertrauen ertragenem Leiden Frau
Clothilde Rothschild geb. Adler. Im echtjüdischen Hause ihrer frommen
Eltern erzogen und daselbst im Geiste der heiligen Tora aufgewachsen,
stand ihr ganzes Leben im Dienst von Tora, Gottesdienst und
Wohltätigkeit. Mit seltenen Kenntnissen unserer heiligen Lehre
ausgestattet, diente sie dem Ewigen mit strengster Gewissenhaftigkeit und
gehobener Freude durch peinlichste Befolgung Seines in Seiner Tora zum
Ausdruck gebrachten Willens. Die Unterstützung von Armen, Kranken und
Verlassenen mit Rat und Tat war ihr Herzensbedürfnis, und ständig und
unermüdlich war sie in diesem Sinne tätig. Viele Jahre bekleidete sie
das Vorstandsamt in der hiesigen Frauen-Chewra, bis ihr Leiden
ihrer gesegneten Tätigkeit ein zu frühes Ende setzte. Die ungemein
starke Beteiligung bei der Beisetzung zeugte von der allgemeinen
Beliebtheit und Wertschätzung, welcher sich die Verklärte in allen
Kreisen der Bevölkerung erfreute. Der tief gebeugte Gatte und Sohn
trauern um den unersetzlichen Verlust einer echten wackeren Frau,
liebevollen Mutter und treu sorgenden Erzieherin.
Ihre Seele sei
eingebunden in den Bund des Lebens." |
Zum Tod von Emilie Rothschild geb. Bing (1929)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 19. Dezember 1929: "Alsfeld
(Hessen), 10. Dezember (1929). Am Montag, dem 1. Marcheschwan (= 4.
November 1929) verstarb hier die wegen ihrer echt jüdischen Frömmigkeit,
ihrer seltenen Geistesgaben und ihres reichen jüdischen Wissens in weiten
Kreisen angesehene und geachtete Frau Emilie Rothschild im Alter
von 81 Jahren. Sie war die Tochter des ebenfalls wegen seiner umfassenden
Thauro-(Tora-)kenntnis und der in ihr wurzelnden Gottesfurcht
bekannten und geehrten Chower (Gelehrten) Mauscheh Bing - seligen
Andenkens - in Oberseemen. Seit 1873 bis 1905 lebte sie in inniger
Harmonie an der Seite ihres gleichgesinnten Gatten, welchen sie in diesem
Jahre verlor, ihre Kinder im Geiste des überlieferten Judentums
erziehend. Trotz schwerer und schmerzlicher Schicksalsschläge, welche ihr
nicht erspart blieben, blieb sie standhaft in unerschütterlichem
Gottvertrauen, ihre körperlichen und geistigen Fähigkeiten in den Dienst
jüdischer und allgemein menschlicher Aufgaben stellend. Bis in die
letzten Stunden nahm sie mit ihrem regen Geiste und Scharfblick Interesse
an allen Vorgängen der jüdischen und allgemeinen Öffentlichkeit,
insbesondere der hiesigen jüdischen Gemeinde. Seit Gründung des
Jüdischen Frauenvereins war sie Vorstand desselben, seine Geschäft mit
unermüdlichem Eifer und Gewissenhaftigkeit führend, und in den letzten
Jahren in Anerkennung ihrer Verdienste Ehrenmitglied dieses Vereins. Die
Verkörperung eines echten jüdischen Frauenideals, ernster religiöser Pflichttreue,
verankert in selten reichem jüdischem Wissen und starker
Überzeugungstreue, ist mit ihrem Heimgange von uns geschieden.
Ihre
Seele sei eingebunden in den Bund des Lebens." |
Zum Tod von Hugo Rothschild (1930)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 30.
Mai 1930: "Alsfeld, 27. Mai (1930). In einem Alter von nur 58
Jahren wurde seiner Familie und unserer Gemeinde am Samstag, den 10. Mai Herr
Hugo Rothschild - das Andenken an den Gerechten ist zum Segen -
durch einen plötzlichen Tod entrissen. Was seine Familie und unsere
Gemeinde durch den Tod dieses trefflichen Menschen und aufrechten Jehudi
verliert, ist gar nicht mit diesen wenigen Zeilen, die eine kurze
Würdigung des Verstorbenen darstellen sollen,
wiederzugeben.
Auf streng gesetzestreuem Boden stehende, hat der Heimgegangene ein der Tauroh
(Tora) und den Mizwaus (religiöse Gebote) geweihtes Leben
geführt. Jede freie Minute, die sein Beruf ihm gab, verwandte er zum
Studium der heiligen Lehre, und er hatte es zu einem überaus großen
Wissen auf diesem Gebiete gebracht, zu einem Wissen, das überall die
größte Bewunderung hervorrief. Mit seiner Gattin, die ihm 7 Jahre im
Tode voranging, hat er ein echt jüdisches Familienleben geführt, das den
Idealen des orthodoxen Judentums gewidmet war. Trotz schwerer
Schicksalsschläge und großer Heimsuchungen blieb sein Gottvertrauen
unerschütterlich, weil er ein wirklich gläubiger und frommer Mensch
gewesen ist, ein Jude, wie wir ihn in solcher Vollendung in dieser
Gegenwart nur noch selten antreffen. Und so trauert um ihn nicht nur der
einzige Sohn, den der Allmächtige trösten und stützen möge in seinem
großen Schmerze, sondern unsere ganze Gemeinde war aufs tiefste bestürzt
und innigste bewegt durch diesen schweren Verlust, den wir alle durch den
Heimgang erlitten haben. Die Beerdigung fand am 12. Mai unter
außerordentlich starker Anteilnahme statt, wobei Herr Lehrer Kahn
in einem erhebenden Nachrufe die Verdienste des leider so früh
Verschiedenen würdigte. Sein Andenken wird in unserer Gemeinde nicht
verlöschen. Seine Seele sei eingebunden in den Bund des
Lebens." |
Zum Tod von Hannchen Steinberger geb. Jacob (1931)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 23. Juli 1931: "Alsfeld, 20.
Juli (1931). Am Alter von mehr als 84 Jahren ist am 6. Juli Frau Hannchen
Steinberger geb. Jacob, nach kurzer Krankheit in die Ewigkeit eingezogen.
Mit der Heimgegangenen ist aus unserer Gemeinde eine Frau von einfachem
und bescheidenem Wesen geschieden, die, treu den alt geheiligten Idealen
unseres Glaubens, ein Leben jüdischer Frömmigkeit und jüdischer
Pflichterfüllung geführt hat. Mit ihrem Gatten, dem sie stets eine treue
Lebensgefährtin gewesen ist, und der ihr schon vor 13 Jahren in dem Tod
vorausgegangen ist, hat sie ihr Haus zu einer Stätte religiöser Lebensführung
und Betätigung aller Mizwaus (Gebote) unserer heiligen Religion
gestaltet. Sie gehörte zu den eifrigsten Besuchern unseres Gotteshauses
und hat bis in die letzten Tage ihres Lebens kaum eine Tefiloh versäumt.
In seltenster Rüstigkeit des Geistes und Körpers verlebte sie ihren
Lebensabend im Kreise ihrer Familie, getragen von der Liebe ihrer Angehörigen,
aus deren Herzen das Andenken der lieben Mutter und Großmutter nie
schwinden wird. Unter großer Beteiligung der hiesigen Stadt wurden ihre
sterblichen Überreste am 8. Juli zu Grabe getragen, wobei Herr Lehrer
Kahn in einer tief empfundenen Grabrede die Tugenden der Heimgegangenen würdigte." |
Lotte Steinberger aus Alsfeld rettet ein Mädchen in Miltenberg vor dem Ertrinken (1932)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 4. August 1932: "Miltenberg
am Main, 26. Juli (1932). Eine schöne und mutige Tat hat dieser Tage
die hier bei ihrer Großmutter zu Besuch weilende 9jährige Lotte
Steinberger, das Töchterchen des Vorstehers der Israelitischen Gemeinde
in Alsfeld vollbracht. Sie bemerkte in
der städtischen Badeanstalt, dass ein 5jähriges Mädchen in einem unbeaufsichtigten
Augenblick in das große Bassin gefallen war und sah, wie das Kind mit dem
Tode rang. Sie sprang nach und zog das Kind glücklich aus dem Wasser
heraus. Die hiesige Lokalzeitung zollt der mutigen Lebensretterin warme
Anerkennung." |
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Erinnerungen aus
der Familie Steinberger
(erhalten von Nancy F. Heller) |
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Irmgard (links) und
Charlotte
(Lotte) Steinberger
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Mutter Rosi Steinberger
geb. Grünstein*
mit ihren Töchtern am
10. Geburtstag von Charlotte |
Die zum Purimfest
verkleideten
Mädchen mit ihrem
Cousin Jules Strauss |
*Die Mutter Rosi
Steinberger geb. Grünstein stammte aus
Miltenberg/Unterfranken, wo sie am 17. Juni 1897 geboren ist. Sie
heiratete Adolf Steinberger, der am 12. Januar 1886 in Alsfeld als
Sohn von Isaak Steinberger und Hannchen geb. Jakob aus
Grebenau geboren ist. Adolf und Rosa
hatten zwei Töchter: Judith Irmgard (geb. 20. Februar 1920 in
Alsfeld, später verheiratete Freund, gest. 27. November 2010 in Chathan,
NJ/USA) und Charlotte (Lotte, geb. 21. September 1922 in Alsfeld,
später verheiratete Levi, gest. 17. April 1972 durch einen Verkehrsunfall in
den USA). Adolf Steinberger starb 1947 in Haifa,
Israel.
Genealogische Informationen vgl.
https://www.geni.com/people/Rosa-Steinberger/6000000066392397853
|
Links:
Anzeige der Mechanischen Kleiderfabrik Steinberger & Co. in Alsfeld aus:
Mitteilungsblatt des Landesverbandes Hessen vom Juli 1926 S. 6. |
Persönlichkeiten
Über Samuel Spier (1838 bis 1903)
Samuel Spier
(1838 in Alsfeld - 1903
in Frankfurt am Main), Kämpfer für Demokratie und soziale
Gerechtigkeit. Spier entstammte einer jüdischen Familie in Alsfeld,
wo er die Schule besuchte (seit 1852 im Gymnasium in Gießen, 1855 in
Büdingen). Studium für das Lehramt in Gießen. 1862 als Lehrer am 'Brüsselschen
Institut' in Segnitz bei Würzburg tätig, seit 1864 an der Samsonschule
in Wolfenbüttel.
1865 Mitbegründer eines Arbeiterbildungsvereines in Wolfenbüttel. Seit
1867 Anhänger der Ideologie von Lassalle, Begründer einer Ortsgruppe des
Lassalleschen ADAV in Wolfenbüttel. 1869 nach Trennung vom ADAV Gründung
der Socialdemokratischen Arbeitspartei Deutschland durch August Bebel,
Wilhelm Liebknecht, Wilhelm Bracke, Samuel Spier und einen anderen
Persönlichkeiten der Arbeiterbewegung. Auf das Programm des SDAP nahm
Spier wesentlich Einfluss. Braunschweig/Wolfenbüttel wurde zum Sitz der
Partei. 1870/71 wurde die Braunschweiger Parteiführung wegen angeblichem
"Landesverrat" verhaftet und für mehrere Monate ins Gefängnis
gebracht. Nach der Entlassung ließ sich Spier als Privatgelehrter in
Segnitz nieder und übernahm die Leitung des "Brüsselschen
Institutes". 1881 nach Frankfurt verzogen, wo er 1903 verstorben ist.
Seit Frühjahr 2005 erinnert in Alsfeld die
"Samuel-Spier-Gasse".
Link: Wikipedia-Artikel
zu Samuel Spier.
Literatur: Melanie Stumpf: Samuel Spier, ein
bürgerlicher Arbeiterführer. Segnitz bei Würzburg 1998.
Die Abbildungen sind aus der Website Jüdisches
Museum Vogelsberg Faltblatt
zu Samuel Spier aus Alsfeld (pdf-Datei) |
Links: Erinnerung an Samuel Spier in Alsfeld: die unweit des ehemaligen
Synagogenstandortes gelegene "Samuel-Spier-Gasse". |
Anzeigen jüdischer
Gewerbebetriebe und Privatpersonen
Anzeige des Manufakturwarengeschäftes Hermann Rothschild
(1897)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 30. Dezember 1897:
"Für mein Samstags und israelitische Feiertage geschlossenes
Manufakturwaren-Geschäft suche zum baldigen Eintritt einen Reisenden, der
28 Jahre alt ist und eingeführte Touren hat.
Hermann Rothschild, J.W., Alsfeld." |
Anzeige des Manufaktur-, Modewaren- und
Konfektionsgeschäftes J. Rothschild (1900)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 31. Mai 1900: "Für
mein Manufaktur-, Modewaren- und Konfektionsgeschäft Lehrling
mit
guter Schulbildung für sofort gesucht. Samstags und israelitische
Feiertage geschlossen.
J. Rothschild, Alsfeld, Oberhessen." |
Anzeige des Frucht-, Mehl- und Futter-Artikel-Geschäftes Sigmund Flörsheim
(1903)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 23. November 1903:
"Einen kräftigen Lehrling für mein Frucht- Mehl- und
Futter-Artikel-Geschäft bei sofortigem Eintritt gesucht.
Sigmund Flörsheim, Alsfeld,
Oberhessen." |
Anzeige des Manufaktur- und Konfektionsgeschäftes
Daniel Strauß Söhne (1904)
Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 20. Juni 1904: "Wir suchen per 15. Juli, eventuell 1. August,
für unser Manufaktur- und Konfektionsgeschäft einen jüngeren
Verkäufer,
welcher perfekt zu dekorieren versteht. Den Offerten erbitten
Photographien und Gehaltsansprüche bei freier Station beizufügen.
Daniel Strauß Söhne,
Alsfeld." |
Über das koschere Wattierleinen der Firma C. Grünwald und Sohn
(1905)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 5. Mai 1905: "Alsfeld.
In unserem durch seine Leinenindustrie weithin bekannten Städtchen wird
jetzt eine Spezialität dieser Branche hergestellt, die für die Anhänger
des gesetzestreuen Judentums von besonderer Wichtigkeit ist. Den
Bemühungen unseres Provinzialrabbiners, Herr Dr. Hirschfeld in Gießen,
ist es gelungen, die angesehene hiesige Firma C. Grünwald und Sohn zur
Fabrikation von Wattierhanfleinen in ihrer Weberei unter seiner Aufsicht
zu veranlassen. der von dem Herrn Rabbiner bestellt Schaumer versieht das Fabrikat
mit einem Stempel, der außer dem Namen der Firma, die Bezeichnung
'Koscher, hergestellt unter Aufsicht des Provinzialrabbiner Dr.
Hirschfeld-Gießen' enthält. Herr Dr. Hirschfeld darf das Verdient in
Anspruch nehmen, mit seiner Einrichtung einem dringenden Bedürfnis
abgeholfen zu haben, und es bleibt nur zu wünschen, dass jüdische Geschäfte
ihnen Bedarf an Koscher-Leinwand nunmehr bei oben genannter Firma
decken." |
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Anzeige
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 2. Juni 1905:
"Koscher Wattierleinen Koscher
hergestellt unter Aufsicht des Provinzialrabbiners Dr. Hirschfeld,
Giessen.
Mechanische Weberei Alsfeld C. Grünwald & Sohn.
Alsfeld, Oberhessen". |
Heiratsanzeige von Henry Strauss und Helene geb.
Rotschild (1921)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 16. Juni 1921: "Statt
Karten.
Henry Strauss - Helene Strauss geb. Rotschild. Vermählte. Darmstadt
- Alsfeld.
Trauung: Sonntag, den 19. Juni 1921. Giessen, Restaurant
Grünewald." |
Heiratsanzeige von Sally Kaufmann und Jenny geb. Rothschild (1921)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 14. Juli 1921: "Statt
Karten.
Sally Kaufmann - Jenny Kaufmann geb. Rothschild. Vermählte.
München / Frankfurt - Alsfeld (Hessen).
Trauung: Sonntag, 17. Juli 1921 / 11. Tammus 5681. 'Hotel Goldschmidt'
Würzburg." |
Hochzeitsanzeige für Alice Hammel und Sally Stein (1930)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 24. April 1930:
"Statt Karten. Mit Gottes Hilfe.
Herr und Frau Heinrich Hammel und Herr und Frau Abraham Stein
beehren sich zu der am Sonntag, den 29. Nissan 5690/27. April 1930, so
Gott will stattfindenden Trauung ihrer Kinder Alice und Sally
freundlichst einzuladen.
Frankfurt am Main - Rödelheim - Alsfeld/Hessen.
Trauung um 1 1/2 in Frankfurt-Main im Volksbildungsheim Saal 5,
Eschenheimer Anlage 40/41.
Telegramme nach Hotel Ulmann, Frankfurt-Main, wolle man gefälligst für
jüdische Wohltätigkeitszwecke ablösen." |
Anmerkung: Alice Stein geb. Hammel (geb.
1901 in Frankfurt) ist nach der Deportation ab Frankfurt am Main im
November 1941 in das Ghetto Kowno umgekommen. |
Zur Geschichte der Synagoge
Bereits im Mittelalter war eine Synagoge vorhanden. Bei
einer Bauerlaubnis von 1458 wird vermerkt, dass "die
Judenschul unverbaut" zu belassen sei. Bei dem "Judenschul"
genannten Gebäude dürfte es sich um die Synagoge der bis zur Verfolgung der
der Pestzeit 1348/49 in der Stadt bestehenden jüdischen Gemeinde gehandelt
haben. Der Standort ist nicht bekannt.
Ob im 18. Jahrhundert oder am Anfang des 19. Jahrhunderts bereits ein Betraum in
einem der jüdischen Häuser vorhanden war, ist nicht bekannt.
Seit 1830 war im
Gebäude Metzgergasse 18 eine Synagoge eingerichtet
("alte Synagoge"). Dieses Gebäude war vermutlich Ende des
18. Jahrhunderts erbaut und nach dem Erwerb durch die jüdische Gemeinde zu
einem jüdischen Gemeindezentrum umgebaut worden. Das Gebäude umfasste einen Betsaal
sowie einen Unterrichtsraum für die jüdische Religionsschule und eine
Lehrerwohnung.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war ein Synagogenneubau
dringend notwendig geworden, zumal die Gemeinde inzwischen über 200 Personen
umfasste. 1890 erwarb die "Israelitische Religionsgemeinde" ein
Baugrundstück in der Lutherstraße. Der Beschluss zum Bau der Synagoge wurde nach den notwendigen Vor- und
Planungsarbeiten Anfang 1904 gefasst, der Bau selbst noch in diesem und im folgenden
Jahr 1905 ausgeführt. Architekt Adam aus Fulda wurde als Bauherr beauftragt. Nähere Einzelheiten gehen aus nachstehenden Berichten
hervor:
Beschluss zum Bau der neuen Synagoge Anfang 1904
Meldung
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 2. Februar 1904: "Alsfeld (Hessen). Hier wurde der Bau einer neuen Synagoge
beschlossen." |
Einweihung der Synagoge am 29./30. Dezember 1905
Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 8.
Dezember 1905: "Alsfeld (Hessen). Die Einweihung der neu erbauten
Synagoge, welche jetzt fertiggestellt ist und eine Zierde der Stadt
bildet, findet am 29. und 30. Dezember
statt." |
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Artikel
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 5. Januar
1906: "Alsfeld, 1. Januar. Über die Einweihung der neuen Synagoge
berichtet die 'Oberhessische Zeitung' in ihrer heutigen Nummer:
Die Feier nahm nach voraufgegangenem Abschiedsgottesdienst in der alten
Synagoge ihren Anfang in der Vorhalle des neuen Gotteshauses. Ein
Chorgesang 'Wenn Gott der Herr das Haus nicht bauet', leitete sie ein.
Fräulein Franzisak Spier trat als Trägerin des Schlüssels vor und
feierte den bedeutungsvollen Moment der Erschließung des Gotteshauses in
schwungvollen, mit eindrucksvollem Pathos gesprochenen Versen. Dann
überreichte Herr Architekt Adam, der Schöpfer des Baues, den Schlüssel
unter Worten des Dankes an alle beim Bau beteiligten Faktoren und mit dem
Ausdruck der Befriedigung über des Werkes Wohlgelingen an den Vertreter
der Großherzoglichen Regierung, Herrn Kreisrat Dr. Melior. Dieser
begleitete die Weitergabe des Schlüssels an den Vorsteher der
israelitischen Religionsgemeinde, Herrn Abraham Rothschild, mit dem
Wunsche, dass das neue Gotteshaus werden möge eine segenbringende Stätte
religiöser Erbauung, eine Pflanzstätte bürgerlicher und menschlicher
Tugenden. Aus den Händen des Herrn Rothschild, der im Namen der
israelitischen Religionsgemeinde für jede Art der Mithilfe am Bau,
insbesondere der Großherzoglichen Staatsregierung und der städtischen
Verwaltungsbehörde für ihr Wohlwollen und ihre tatkräftige
Unterstützung, ferner allen hochherzigen Spendern zugunsten des
Synagogenbaues wärmsten Dank aussprach, empfing der Provinzialrabbiner,
Herr Dr. Hirschfeld den Schlüssel, Dieser öffnete nunmehr die Pforten
des Gotteshauses.
In ernsten, feierlichen Formen vollzog sich der erste Gottesdienst, das
Anzünden des ewigen Lichtes, das Verbringen der Torarollen in die heilige
Lade. Gebete des Provinzialrabbiners, Einzelgesänge des Kantors, Herrn
Lehrer Spier, und Chorgesänge begleiteten diese Handlungen.
Zu Beginn der Festpredigt begrüßte der Provinzialrabbiner, ein
sprachgewandter, temperamentvoller Redner, die festliche Versammlung,
insbesondere die Vertreter der Behörden, sowie der anderen Konfessionen.
Er sprach tiefernste und begeisterte Worte über die Bedeutung der
Synagoge und über unser Verhältnis zu dem gemeinsamen großen Gotte, den
wir ja alle anbeten. Ein tief empfundenes Gebet für das Heil unseres
hochsinnigen Landesfürsten und seines Hauses, für den kraftvollen
Schirmer und För- |
derer
des Reiches, unseren Kaiser und für das Wohl des Landes bildete den
Schluss der gedankenreichen und geistvollen Predigt.
Mit ihr erreichte zugleich die offizielle Feier ihr Ende. Freitag, Samstag
und Sonntag abend fanden festliche Veranstaltungen im Deutschen Kaiser
statt.
Die neue Synagoge präsentiert sich von außen als ein stilvolles
imponierendes Bauwerk mit geschmackvollen, eigenartigen Formen, das
unserer Stadt zur Zierde gereicht. Das gleiche harmonische, solide
Gepräge trägt die innere Einrichtung und Ausstattung, prächtig ist der
Anblick des Innern des Gottesdienstraumes und der darin aufgestellten
heiligen Lade. Die hiesige israelitische Gemeinde hat mit dem Bau der
neuen Synagoge der Pflege ihres religiösen Lebens und konfessionellen
Gemeinsinnes ein hochbedeutsames Opfer gebracht.
In opferwilliger Weise haben fast alle Gemeindemitglieder durch größere
Geldspenden den Bau gefördert. Von auswärts haben Herr Benscher -
Leipzig und Frau Löwenbaum in Hannover u.a. durch großherzige
Geldspenden ihr Interesse an der Sache bekundet.
An besonderen Gegenständen wurden gestiftet: Von den Frauen und Mädchen
der Gemeinde der weiße Vorgang vor der heiligen Lade und dazu passende
Decken für die Pulte, zwei ebensolche Mäntelchen für die Torarollen.
Die herrlichen Stickereien hat Frau Silberstein in Sulz im Elsass
angefertigt. Von ihr stammen auch die von den Herren Samuel Spier,
Rechtsanwalt Dr. Rothschild - Offenbach und Israel Lorsch gestifteten
Toramäntelchen. Einen Vorhang, dazu gehörige Decken und Mäntelchen in
bunt stiftete Frau Sara Wallach. Die Frauen und Mädchen spendeten
außerdem einen silbernen Toraschmuck, der aus der Silberwarenfabrik Posen
Witwe, Frankfurt am Main, stammt; einen gleichen schenkte Herr Dr. Max
Rothschild. Die silbernen Leuchter auf dem großen Vorlesepult sind eine
Spende des Herrn Direktor Stein in Berlin, die beiden Vasen für das ewige
Licht eine solche der Herrn Louis und Simon Spier in Frankfurt am Main.
Die Uhr in der Synagoge ist von Herrn Levi Nussbaum in Fulda, der
Uhrenschrank in der Vorhalle, der die verschiedenen Zeiten für den
Gottesdienst angibt, ist ein Kunstwerk aus der Werkstatt des Herrn Beckert
- Alsfeld, gestiftet von den Herrn Dr. Leopold Rothschild - Schneidemühl
und Zahnarzt Hugo Rothschild in Lübeck. Einen Ofen spendete Herr Max
Rothschild in Nordeck." |
Die Synagoge hatte insgesamt 350 Plätze. Damals
erwartete man vermutlich eine weitere Zunahme der jüdischen Einwohner der
Stadt, zu der es dann doch nicht gekommen ist.
Baubeschreibung
(1903) |
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"Baubeschreibung
und Statische Berechnung zum Neubau der Synagoge für die Israelitische
Religionsgemeinde Alsfeld"
(erhalten vom Geschichts- und Museumsverein e.V. Alsfeld) |
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Erläuterungsbericht
(1902/03) |
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"Erläuterungsbericht
zum Entwirf für den Neubau einer Synagoge zu Alsfeld", unterzeichnet
am 28. Dezember 1902 vom damaligen Vorstand der israelitischen
Religionsgemeinde Alsfeld A. Rothschild, Ad. Spier und W.
Wallach.
(erhalten vom Geschichts- und Museumsverein e.V. Alsfeld) |
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Ende Dezember 1930 konnte feierlich das 25jährige Synagogenjubiläum
gefeiert werden. Anlässlich der Feier wurde die Synagoge von innen und
außen renoviert.
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 8. Januar 1931:
"Alsfeld, 28. Dezember (1930). Am Sabbath Wajigasch feierte
die hiesige Gemeinde (Schabbat mit der Toralesung Wajigasch = 1.
Mose 44,18 - 47,27, das war am 27. Dezember 1930) das 25jährige
Jubiläum der Erbauung ihrer Synagoge. Die Feier, zu der Herr
Provinzial-Rabbiner Dr. Hirschfeld, Gießen, erschienen war, wurde am
Freitagabend eingeleitet durch den Synagogenchor. Der 1. Vorstand der
Gemeinde, Herr Adolf Steinberger, stattete in einer Ansprache all
denjenigen seinen Dank ab, die zur Erbauung und Erhaltung der Synagoge
beigetragen haben. Anschließend daran hielt Herr Lehrer Kahn eine Weiherede, die in ihrer Formvollendung und Innigkeit einen tiefen Eindruck
hinterließ. Am Sabbatmorgen hielt Herr Rabbiner Dr. Hirschfeld die
Festpredigt, die von Chorgesängen umrahmt war und die die Zuhörer mit
großer Begeisterung erfüllte. Der Gottesdienst an diesem Morgen wurde
von Herrn Josef Betmann gehalten, der schon fast 30 Jahre das Amt eines
Hilfsvorbeters ehrenamtlich ausübt. Samstag Abend versammelte sich die
Gemeinde zu einem Gemeindeabend, in welchem Herr Lehrer Kahn einen Vortrag
hielt über "Die Geschichte der Alsfelder jüdischen Gemeinde', die
bis in tiefste Mittelalter zurückreicht. Dieser Vortrag wurde von
Gesangsvorträgen umrahmt. Die Synagoge wurde zu dieser Feier von außen
und von innen renoviert, besondere Beachtung verdient die künstlerische
Innenausgestaltung. Von Frauen der Gemeinde wurden Porauches (Toraschreinvorhänge),
Schulchandecke (Decke für das Vorlesepult) und silberner
Toraschmuck, von der Männerchewrah ein schönes stimmungsvoller Neir
Tamid (Ewiges Licht) gestiftet. |
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Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 15. Januar 1931:
"Alsfeld, 12. Januar (1931). In dem Bericht über die Feier
des 25jährigen Jubiläums der hiesigen Synagoge ist versehentlich die
überaus verdienstvolle Tätigkeit der 1. Vorsitzenden des Frauenvereins,
Frau Auguste Strauß, unerwähnt geblieben. Frau Strauß, die seit Jahren
den hiesigen Frauenverein in vorbildlicher Weise führt, hat das
Verdienst, durch ihre Sammeltätigkeit es ermöglicht zu haben, dass an
diesem Tage unsere Synagoge mit einem neuen künstlerischen Porauches
(Toraschreinvorhang), nebst den zugehörigen Decken und einem schönen
Toraschmuck geziert werden könnte. Möge sie noch recht viele Jahre in
dieser echt jüdischen Weise in unserer Gemeinde tätig
sein." |
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Artikel in der "Jüdisch-liberalen Zeitung"
vom 14. Januar 1931: "Alsfeld (Synagogen-Jubiläum). Die
hiesige Gemeinde feierte vor kurzem das 25-jährige Jubiläum ihrer
Synagoge. Provinzial-Rabbiner Dr. Hirschfeld aus Gießen weilte aus diesem
Anlass zur Abhaltung des Festgottesdienstes beziehungsweise der
Festpredigt hier. Der erste Vorsteher Adolf Steinberger dankte in der
Begrüßungsansprache allen, die zur Erbauung und Erhaltung der Synagoge
beigetragen hatten. Lehrer Kahn hielt am Freitagabend eine Weiherede, die
tiefen Eindruck auf alle Zuhörer machte. Sabbatmorgen fand ein besonderer
Festgottesdienst statt, der durch Chorgesänge verschönt wurde, in dessen
Mittelpunkt die wirkungsvolle Predigt des Provinzial-Rabbiners Dr.
Hirschfeld, Gießen, stand. Den Gottesdienst führte der Hilfsvorbeter
Josef Bettmann aus, der seit 30 Jahren dieses Amt ehrenhalber versieht. Am
Abend hatten sich die Mitglieder und Gäste zu einem Gemeindeabend
versammelt, in dem Lehrer Kahn einen fesselnden Vortrag über die
Geschichte der Alsfelder Juden hielt. Die Synagoge war zum Jubiläum
gründlich außen und innen renoviert worden. Frauen- und Männervereine
hatten außerdem durch Stiften von Decken, Vorhängen für die heilige
Lade, eines silbernen Toraschmuckes und einer stimmungsvollen 'ewigen
Lampe' zur würdigeren Ausstattung des Gottesdienstes
beigetragen." |
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Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und
Waldeck" vom 9. Januar 1931:
Ähnlicher Bericht wie die schon zitierten Berichte. |
Nur 33 Jahre war die Synagoge Zentrum des jüdischen Gemeindelebens in der
Stadt.
Beim Novemberpogrom 1938 wurden
am Abend des 9. November gegen 21 Uhr die Fenster der Synagoge eingeworfen. Danach wurde
der Innenraum durch SA-Leute in Brand gesetzt. Das vollständige Niederbrennen wurde durch den
Vorsitzenden der Bezirkssparkasse (zugleich SA-Führer) und den Bürgermeister
der Stadt verhindert. Ersterer erwarb wenig später das Gebäude und baute es 1939 nach
dem teilweisen Abriss des Betraumes zu einem Wohnhaus um. Beim Abriss wurde im Wesentlichen
der Sakralraum abgebrochen, erhalten sind insbesondere das Lehrer-Wohnhaus sowie
die Versammlungsräume der jüdischen Gemeinde. Sie wurden mit den Steinen des
abgerissenen Betsaales umgebaut und bis heute als Wohnhaus genutzt.
Dazu der Zeitzeugenbericht des langjährigen Schulrates Karl Rausch über die
Ereignisse beim Novemberpogrom: "Ich erfuhr erst am nächsten Morgen, dem 10. November 1938, bei einem Gang durch die Stadt, von dem erschreckenden Ereignis. Man erzählte erregt, dass die SA gestern Abend gegen 21:00 Uhr, als die Straßen bereits nahezu menschenleer waren, die Synagoge angesteckt hätte. Die alarmierte Feuerwehr, so erfuhr ich weiter, durfte auf Befehl des Ortsgruppenleiters nicht löschen, die Leute aus der Nachbarschaft haben zugesehen, wie das Gebäude brannte. Nachdem ich dies erfahren hatte, ging ich sofort zu meinem Museumsmitarbeiter Konrad Geisel, der in der Nähe der Synagoge wohnte. Ich bat ihn, mit mir zu gehen…schnell waren wir am Synagogengelände und stellten fest, dass fast alle Wände unversehrt erhalten waren, lediglich das Innere des Gotteshauses stark angebrannt erschien. Bänke, Schränke und sonstige Gegenstände aus Holz waren zum größten Teil verbrannt, zumindest stark verkohlt. Unser Augenmerk richtete sich vor allem auf den leicht beschädigten Thoraschrank, in dem wir zu unserer Freude mehrere Thorarollen in ihren prächtigen Hüllen und Decken mit anderen wertvollen Kultgegenständen entdeckten. Herr Geisel holte zu sogleich aus seiner nahen Wohnung einen Korb in dem wir die Kultgegenstände einlegten, in das Museum trugen…und sie dort verwahrten, um sie später einmal in einer geeigneten Form auszustellen. Wir wollten dies zur Erinnerung an die jüdische Gemeinde Alsfeld tun, um der Nachwelt die Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus vor Augen zu führen. Den nur leicht beschädigten Thoraschrank bauten wir gemeinsam mit dem Schreinermeister aus und verwahrten ihn bei der Halle des
Hochzeitshauses."
An einer Mauer im Garten (Ecke Martin-Luther-Straße/Hinter der Mauer) wurde
eine Gedenktafel angebracht, deren Inschrift lautet: "Hier stand die
Synagoge, 1905 eingeweiht, am 9.11.1938 durch nationalsozialistischen Terror
zerstört. Die Leiden des jüdischen Volkes rufen auf zur Verteidigung der
Menschenrechte, zum Widerstand gegen Gewalt und die rechtlose Verfolgung
Andersdenkender".
Eine Torarolle der Synagoge wurde 1938 von Mitgliedern des heute noch
existierenden Museums- und Geschichtsvereins gerettet und ist im Regionalmuseum
ausgestellt. Im Regionalmuseum finden sich weitere Exponate zur jüdischen
Geschichte (Toraschrank, Davidstern, bis hin zu antijüdischen Plakaten) sowie
seit 2013 das Modell der ehemaligen Synagoge.
Anschrift des Geschichts- und Museumsvereins Alsfeld e.V.: c/o
Regionalmuseum Alsfeld Rittergasse 3-5 36304 Alsfeld (Tel.
06631-4300 oder 06631-182-165 (Verkehrsbüro Alsfeld)
Stadtgeschichtliche Führungen zur jüdischen Geschichte in Alsfeld durch
Heinrich Dittmar in 36305 Alsfeld E-Mail
Adresse/Standort der Synagoge: neue Synagoge
(von 1905) in der Luther-Straße
1
Fotos / Pläne
Die alte Synagoge (bis
1905)
(Fotos aus Altaras 1994 S. 95) |
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Pläne
für die neue Synagoge (1903)
(Geschichts- und Museumsverein e.V. Alsfeld) |
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Das
Baugrundstück mit
Eintragung des Synagogenbaus |
Ansicht des
Synagogengebäudes
von Süden |
Ansicht des
Synagogengebäudes
von Osten (mit Apsis des Toraschreines) |
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Ansicht
des Synagogengebäudes
von Norden |
Schnitt
durch das
Synagogengebäude (G-H) |
Schnitt
durch das
Synagogengebäude (E-F) |
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Dachaufsicht |
Schnitt
(A-B) |
Schnitt
(C-D) |
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Grundsriss
des Obergeschosses mit
der Frauenempore (109 Plätze) |
Grundriss
der Kellergeschoss
und der Fundamente |
Grundriss
des Erdgeschosses mit dem
Betsaal der Männer |
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Die neue Synagoge
(1905-1938)
(Quellen: obere Zeile links: Sammlung Hahn; Mitte: Geschichts- und
Museumsverein Alsfeld; rechts aus www.synagogen.info
(eingestellt von William L. Gross, Tel Aviv); zweite und dritte
Fotozeilen: Abbildungen erhalten von Bodo Runte vom
Geschichts- und Museumsverein Alsfeld)
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Aufnahme der gerade
fertig gewordenen
Synagoge (die Postkarte mit dem Foto ist
abgestempelt am
21.12.1905, also 10 Tage
vor der Einweihung der Synagoge) |
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Postkarte von vor 1933 mit
Sehenswürdigkeiten aus Alsfeld,
darunter die Synagoge |
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Dreifaltigkeitskirche
mit Synagoge
am linken Bildrand |
Synagoge
mit einem
Auto (Lutherstraße) |
Blick auf
die
Synagoge |
"Festordnung"
zur Einweihung
der Synagoge" |
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Innenansichten
zur Synagoge - Blicke über den Almemor zum Toraschrein; links davon die
Gefallenendenktafel. |
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Toraschrein der ehemaligen
Synagoge |
Der Uhrenschrank der Synagoge |
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Synagogengrundstück
mit Gedenkstein im März 2008
(Fotos: Hahn, Aufnahmedatum 26.3.2008) |
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Das ehemalige
Synagogengrundstück an der Lutherstraße mit dem Gedenkstein. |
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Gedenkstein mit
der Inschrift: "Hier stand die Synagoge. 1905 eingeweiht, am
9.11.1938
durch nationalsozialistischen Terror zerstört. Die Leiden des
jüdischen Volkes rufen auf
zur Verteidigung der Menschenrechte, zum
Widerstand gegen Gewalt und die rechtlose
Verfolgung Andersdenkender" |
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Modell der Synagoge |
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Oben: Modell der
Synagoge im Maßstab 1:100, das der Geschichts- und Museumsverein
Alsfeld
durch den Modellbauer Hans Heinrich Graue erstellen ließ - ein größeres Modell im Maßstab 1:25 wurde 2012
erstellt (Fotos unten)
(vgl. Pressebericht unten vom Juni 2012 und Fotos) |
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Die
obigen Fotos des Modells sind in hoher Auflösung eingestellt. |
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Weitere
Erinnerungen an die jüdische Geschichte
(erhalten von Bodo Runte vom Geschichts- und Museumsverein
Alsfeld) |
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Foto des
Schuhwarengeschäftes
von Adolf Levi |
Holztafel der Zahnärzte Dr.
Leopold Rotschild
und Hugo Rothschild |
Foto vom Boykott der
jüdischen
Geschäfte in Alsfeld |
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Foto des jüdischen
Lehrers
(Leopold Kahn ?) |
Emil Wallach aus der
Rittergasse (gestorben
1933), Bruder von Karl Wallach |
Therese Wallach, Ehefrau
von Hermann Wallach |
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Karte der Firma
Josef Rotschild II,
Fabrikation von Bürstenwaren usw. |
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Das
"Wasserhäuschen"
der Firma David Levi (Kaplaneigasse 4)
(Fotos, Presseartikel und Text erhalten von
Bodo Runte, Geschichts- und
Museumsverein Alsfeld e.V.) |
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Oben:
Presse-Artikel aus der
"Oberhessischen Zeitung" vom 28. Mai 1983 |
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts konnte das Trinken von unreinem Leitungswasser die Gesundheit gefährden. Deshalb entstanden in vielen Städten Trinkhallen oder Wasserhäuschen, an denen unbedenkliches Wasser aus Flaschen angeboten wurde. Hier gab es Mineralwasser; zunächst in Gläsern, später auch in wiederverschließbaren Flaschen. Die Wasserhäuschen sollten auch den Genuss von alkoholischen Getränken eindämmen.
An der Straßengabelung von Alicestraße und Georg-Martin-Kober-Straße stellte David Levi vor
fast 100 Jahren ein "Wasserhäuschen" auf. David Levi war Wasserhändler und dürfte das Häuschen um 1916 gebaut haben.
Das Alsfelder "Wasserhäuschen" musste allerdings dem Ausbau der Straßen und den Neubauten in diesem Bereich weichen. Es wurde versetzt und diente seit Jahrzehnten als Gartenhäuschen auf einem städtischen Grundstück.
Der Geschichts- und Museumsverein Alsfeld sieht das "Wasserhäuschen" als Teil der Wirtschaftsgeschichte der Stadt und als wichtiges Kulturgut, das erhalten werden muss. Der Magistrat hat keine Bedenken wenn der Verein das "Wasserhäuschen" in den Bestand des Museums übernimmt. Er begrüßt diese Initiative mit großem Wohlwollen und dankt dem Vorstand, dass er das einmalige Kulturgut erhält.
Mitarbeiter der Neuen Arbeit haben Ende August 2013 das Wasserhäuschen abgebaut (siehe
unten) und danach sachgerecht saniert. Im Sommer 2014 wurde es im Museumshof aufgebaut und der Alsfelder Bevölkerung vorgestellt. Der gesamte Ablauf der Maßnahme
wurde vom Geschichts- und Museumsverein
dokumentiert.
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Zur Familiengeschichte (Quelle:
Stadtarchiv Alsfeld): David Levi (geb. 29. Dezember 1865 in Birstein)
war verheiratet mit Frieda geb. Baruch (geb. 6. August 1876 in Bad Wildungen).
Die beiden sind zwischen 1875 und 1900 in Alsfeld zugezogen. David Levi
betrieb in der Kaplaneigasse 4 ein Limonadengeschäft
(Limonadenherstellung und -verkauf). Das Limonadengeschäft soll nicht sehr gut gegangen sein.
Die Familie wird als fleißig bezeichnet. Am 12. November 1934 wanderte die Familie nach Haifa aus.
Ein Sohn von David und Frieda Levi war Dr. Gustav Levi, Dipl.-Ing. bei AEG.
Er war bereits vor dem Krieg oft auf Geschäftsreisen. Letzter deutscher Wohnort war Berlin-Wilmersdorf.
Dr. Gustav Levi war verheiratet mit Johanna geb. Oeverdieck (geb. 16. Juni 1901). Am 30. Mai 1939 war ein Kind vorhanden.
Die Ausbürgerung erfolgte am 21. März 1939, weil Gustav Levi die Staatsbürgerschaft
Palästinas erworben hatte. |
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Abbau
des Wasserhäuschens
Ende August 2013 |
Juli
2014: Dokumentation der Restaurierung
des Wasserhäuschens ist erschienen (s.Lit.) |
Das
Wasserhäuschen nach Abschluss der
Restaurierung im Hof des Regionalmuseums |
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Rechts:
Fotos vom Tag der Einweihung
des restaurierten Wasserhäuschens
(18. Oktober 2014) |
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Juli
2014: Das "Wasserhäuschen"
wird renoviert
Artikel in der "Oberhessischen Zeitung" vom 2. Juli 2014: "Renaissance für ein kleines Denkmal
RESTAURIERUNG Richtfest für 'Levys Wasserhäuschen“ in der Schreinerei der Neuen Arbeit
ALSFELD - (gsi). Sie haben zwar eher in Großstädten eine lange Tradition, die Wasserhäuschen, aber auch Alsfeld hatte sein
'Büdchen', wo sich durstige Alsfelder und ihre Besucher mit einem spritzigen klaren Schluck Wasser erfrischen konnten. Levys Wasserhäuschen stand bis weit in das vergangene Jahrhundert hinein an der Alice-Straße, Ecke Georg-Martin-Kober-Straße, damals noch Bahnhofstraße. Betrieben hat es die Familie Levy. Irgendwann wurde es dort entfernt und fristete sein Dasein als Gartenhütte, zuletzt auf einem städtischen Grundstück..."
Link
zum Artikel |
Anmerkung:
Das Wasserhäuschen des Wasserhändlers David Levy wird Ende Juli 2014 im
Hof des Regionalmuseums aufgestellt. |
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Oktober
2014: Das Wasserhäuschen David Levi steht nach der Restaurierung durch den Geschichts- und Museumsverein jetzt im Hof des Regionalmuseums in Alsfeld.
Am 10. Oktober 2014 wurden die Arbeiten mit der Dacheindeckung in Zink-Stehfalztechnik, Traufausbildung und einem denkmalgerechten Abtropfblech abgeschlossen.
Am 18. Oktober 2014 wurde das Wasserhäuschen mit einem Kulturprogramm seiner weiteren Verwendung zugeführt. |
Zwei
Presseberichte
Über die Veranstaltungen am 18. Oktober 2014
zur Einweihung des restaurierten Wasserhäuschens
( |
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"Alsfelder
Allgemeine" vom 20. Oktober 2014 |
"Oberhessische
Zeitung" vom 21. Oktober 2014 |
Erinnerungsarbeit
vor Ort - einzelne Berichte
März 2009: "Stolpersteine"-Aktion
ab Oktober 2009 auch in Alsfeld |
Artikel in den "Osthessen-news" (Artikel)
vom 30. März 2009:
Initiative Stolpersteine erinnert an verfolgte Opfer der Naziherrschaft - morgen Film
Alsfeld - Im Oktober wird Gunter Demnig in Alsfeld die ersten Stolpersteine verlegen, die am letzten Wohnort an verfolgte Opfer der Naziherrschaft erinnern sollen. Die Initiative Stolpersteine in Alsfeld hat sich das Ziel gesetzt, dieses Ereignis mit Öffentlichkeitsarbeit und Veranstaltungen vorzubereiten und zu begleiten.
Den Auftakt bildet am Mittwoch, den 1. April die Aufführung der preisgekrönten Dokumentation
'Stolperstein' von Dörte Frank. Die Initiative zeigt den Film um 19:30 Uhr im Alsfelder Regionalmuseum. Über 15.000
"Stolpersteine" hat der Künstler Gunter Demnig inzwischen vor den Wohnhäusern deportierter Nazi-Opfer verlegt und ihnen damit ihre Namen zurück gegeben und einen Ort der Erinnerung geschaffen.
Neben dem Künstler stehen hinter jedem 'Stolperstein' engagierte Helfer, die wenn möglich Lebensgeschichte der Opfer dokumentieren und die Spender, die helfen, die Verlegung der Stolpersteine zu finanzieren.
'Hier wohnte...' steht auf jedem 'Stolperstein', darunter Name und Jahrgang – dann das Deportationsdatum sowie Ort und Zeitpunkt der Ermordung durch die Nazis. Auf dem Internationalen Filmfestival Locarno wurde Dörte Frankes Dokumentation
'Stolperstein' über Demnigs Initiative erstmals gezeigt und ausgezeichnet. |
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Oktober 2009:
Stolpersteine werden in Alsfeld
verlegt |
links:
Plakat zur Verlegung der "Stolpersteine" in Alsfeld am 24.
Oktober 2009.
Website - Fotogalerie: Fotoseite
mit den Häusern in Alsfeld, vor denen Stolpersteine verlegt wurden.
Bericht
zur Verlegung in den Osthessen-News |
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Artikel im "Lauterbacher Anzeiger"
vom 26. Oktober 2009 (Artikel):
"Vergangenheit sichtbar und greifbar machen
ALSFELD. Am Samstag verlegte Gunter Demnig 16 Stolpersteine an sieben Stellen in der Alsfelder Innenstadt.
(gsi). Wolkenverhangen war der Morgenhimmel über Alsfeld, erste Novembermelancholie kroch über den Platz am Amthof, als am Samstag um neun Uhr die Verlegung von 16 Stolpersteinen vor sieben Häusern in der Alsfelder Innenstadt begann. Passend zu den Gefühlen der vielen Menschen zeigte sich die Natur, denn alle waren gekommen, um an 16 Menschen zu erinnern, die ihren letzten frei gewählten Wohnsitz in Alsfeld hatten, bevor sie von den Nationalsozialisten ermordet oder vertrieben wurden..." |
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September 2010:
In Alsfeld wurden 13 weitere
"Stolpersteine" verlegt |
Bericht in der "Oberhessischen
Zeitung" (gsi) vom 8. September 2010 (Artikel):
"13 neue Stolpersteine in Alsfeld verlegt
ALSFELD. (gsi). Herbstlich war es schon, als gestern Morgen in der Altenburger Straße der zweite Durchgang der Verlegung von Stolpersteinen in Alsfeld begann, knapp ein Jahr nach der ersten Verlegung von Gedenksteinen in der Innenstadt. Musikalisch-melancholisch begleitet vom Saxofon Uli Schimpfs und der Posaune Alexander Kowalskys begrüßte Pfarrer Peter Remy im Namen des Fördervereins zur Geschichte des Judentums im Vogelsberg zahlreiche Menschen, die den Zug zu den einzelnen Häusern, den letzten frei gewählten Wohnorten jüdischer Mitbewohner vor ihrer Deportation, begleiteten und teilweise mitgestalteten, darunter auch viele Jugendliche, die gemeinsam mit ihren Lehrern von Alsfelder Schulen kamen..."
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Juni 2012:
Der Geschichts- und Museumsverein Alsfeld lässt
ein Modell der Synagoge bauen |
Artikel in der "Alsfelder
Allgemeinen" vom August 2012: "Museumsverein will Synagogenmodell in 1:25
Alsfeld (pm). Das kleine Modell der ehemaligen Synagoge in der Lutherstraße im Maßstab 1:100 fand
bei den Vorstandsmitgliedern des Alsfelder Geschichtsvereins Anklang - nun soll die alte Synagoge in 1:25 entstehen.
Alsfeld (pm). Hans Heinrich Graue, stellvertretender Vorsitzender des Fördervereins zur Geschichte des Judentums im Vogelsberg hatte vor einiger Zeit angeregt, ein Modell der ehemaligen Synagoge Alsfeld zu bauen. Als Fachmann für Industriemodellbau stellte er vor kurzem einem interessierten Personenkreis, darunter Joachim Legatis, und Peter Remy vom Fördervereins, sowie Dr. Norbert Hansen, Bodo Runte und Armin Ziegler vom Geschichts- und Museumsverein, das von ihm recherchierte und im Maßstab 1:100 gebaute Modell der Neuen Synagoge Alsfeld (Lutherstraße) vor.
Graues Vorschlag und das Modell stießen auf breite Zustimmung. Ziel ist, es im Maßstab 1:25 zu errichten. Dann würde es folgende Maße erreichen: Länge 1,25 Meter, Breite 72 cm, Höhe 80 cm. Der Vorstand des Geschichts- und Museumsverein hat in dieser Woche einstimmig beschlossen den Auftrag für den Bau eines Modells der Synagoge Alsfeld im Maßstab 1:25 zu erteilen...
Der Vorstand des Geschichts- und Museumsverein vollendet mit diesem Projekt die angemessene Dokumentation der Geschichte der Alsfelder Juden im Regionalmuseum. Mit der Verlegung der Judaica aus dem Zunftsaal in den ersten Stock des Minnigerodehauses, in die Nähe der christlichen Abteilung, wurde im Frühjahr eine notwendige Maßnahme bereits durchgeführt."
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Fotos des Modells
(erhalten im Februar 2013 von
Bodo Runte vom Geschichts- und
Museumsverein e.V. Alsfeld) |
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August 2012:
SPD pflegte Mahn- und Gedenkstein der Synagoge in
der Lutherstraße |
Artikel in den osthessen-news.de vom 3.
August 2012: "SPD pflegte Mahn- und Gedenkstein der Synagoge in der Lutherstraße
Alsfeld - Mitglieder der SPD Alsfeld nutzen die Sommerpause, um den Gedenkstein am ehemaligen Standort der Alsfelder Synagoge in der Lutherstraße zu pflegen. Die Sozialdemokraten, darunter auch einige Mitglieder der SPD-Stadtverordnetenfraktion, beseitigten das Unkraut im Pflaster, schnitten den Gedenkstein frei und reinigten den Sockel sowie die Metalltafel des Mahnmals, das auf die Zerstörung des jüdischen Gotteshauses durch vom nationalsozialistischen Regime organisierte und gelenkte Gewaltmaßnahmen hinweisen soll..."
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September
2013: Weitere Pflegeaktion - Putzen
der "Stolpersteine" |
Artikel in der "Oberhessischen
Zeitung" vom 19. September 2013: "Alsfeld 'Stolpersteine' leuchten wieder.
(hek). Zwölf Freiwillige fanden sich gestern im Freiwilligenzentrum ein, um sich von dort aus mit Schwamm, Wasser und Putzmittel aufzumachen, um die 35
'Stolpersteine' zu säubern. Im Oktober 2009 verlegt der Kölner Künstler Gunter Demnig den ersten von inzwischen insgesamt 35
'Stolpersteinen' in Alsfeld. Diese dienen als eine Mahnung und Erinnerung an die Juden, die bis zum Zweiten Weltkrieg in Alsfeld lebten. In den Gehweg vor den letzten freiwilligen Wohnorten der jüdischen Mitbürger, bevor sie deportiert und getötet wurden, sind die zehn mal zehn Zentimeter großen Plättchen verlegt.
'Den Opfern soll mit den Erinnerungstafeln der Name zurückgegeben
werden', erläuterte Roland Heinrich von Freiwilligenzentrum, das die gestrige Aktion initiiert hat, den Sinn der Stolpersteine..."
Alsfeld
'Stolpersteine“ leuchten wieder (Oberhessische Zeitung, 19.09.2013) . |
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Oktober
/ November 2013: Das Modell der
Synagoge wird vorgestellt |
Artikel in der
"Oberhessischen Zeitung" vom 14. Oktober 2013: Modell zeigt die einst imposante Synagoge (Oberhessische Zeitung, 24.10.2013) |
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November
2013: Veranstaltungsreihe zum
Novemberpogrom 1938: |
Link zum Presseartikel: Gedenken an nächste Generation weitergeben (Oberhessische Zeitung, 30.10.2013) |
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Dezember
2015: Artikel anlässlich 110 Jahre
Einweihung der Synagoge in Alsfeld |
Artikel von Matthias Nicolai in
der "Oberhessischen Zeitung" vom 29. Dezember 2015: "Alsfeld.
'Feierlicher und imposanter Akt'.
STADTGESCHICHTE Vor 110 Jahren wurde die Alsfelder Synagoge eingeweiht / am 9. November 1938 in Brand gesetzt..."
Link zum Artikel: 'Feierlicher und imposanter Akt“ (Oberhessische Zeitung, 29.12.2015) |
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März
2016: Putzaktion für die 42
"Stolpersteine" der Stadt - Helfer gesucht |
Artikel in oberhessen-live.de
vom 10. März 2016: "Das Alsfelder Freiwilligenzentrum sucht Helfer zum
Reinigen der Stolpersteine Putzaktion im Zeichen des Gedenkens
ALSFELD (ol). 42 Stolpersteine erinnern in der Alsfelder Innenstadt seit über sechs Jahren an die letzte freiwillige
Wohnstätte Alsfelder Juden, bevor sie von den Nationalsozialisten vertrieben, deportiert, in den Selbstmord getrieben oder ermordet wurden. In einer Putzaktion will das Freiwilligenzentrum am kommenden Sonntag, die Stolpersteine reinigen..."
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November
2017: Veranstaltung zum
Gedenken an den Novemberpogrom 1938 |
Artikel von Maximilian Gerten in
lokalo.de (Alsfeld) vom 16. November 2017: "Pogromgedenken in Alsfeld: "Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch"
Um der Opfer in der Reichspogromnacht vom 9. November 1938 zu gedenken, versammelten sich in Alsfeld am Standort der ehemaligen Synagoge Pfarrer Peter Remy, Stadtrat Jürgen Udo Pfeiffer sowie einige Bürgerinnen und Bürger.
28.855 Tage sind seit der Nacht vergangen, in der der Innenraum der Synagoge in Brand gesetzt und nahezu alle Fenster eingeworfen wurden.
'Eine große Menschenmenge stand hier, wo wir jetzt stehen und sah meist schweigend zu, wie die Flammen aus dem Inneren leuchteten. Die Feuerwehr war angewiesen, nur einzugreifen, wenn Nachbargebäude in Gefahr
gerieten', berichtete Remy in seiner Begrüßung. Später in dieser Nacht sollte noch ein Raubzug durch Alsfeld folgen – Häuser und Geschäfte der damals etwa 100 Juden wurden verwüstet.
Erinnern bedeute nicht nur Vergangenheit, sondern auch Gegenwart und Zukunft, ist sich Remy sicher:
'Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.' Das aktuelle Beispiel eines 14-jährigen Schülers jüdischen Glaubens in Berlin, der über Monate hinweg von Mitschülern bedroht, antisemitisch beleidigt und gewaltsam angegriffen worden war, belegt die These. In ihren Reden forderten Remy und Stadtrat Pfeiffer dazu auf, nicht wegzuschauen, die Gegenwart und Zukunft aktiv mitzugestalten und zu erinnern.
Einige Schüler der Geschwister-Scholl-Schule taten bei der Gedenkzeremonie genau das. Sie standen ein für eine offene und tolerante Gesellschaft. Und sie erinnerten. An die 48 Juden aus Alsfeld – Kinder, Frauen und Männer – die dem Nationalsozialismus zum Opfer fielen. So verteilten die Schüler 48 Gedenksteine, die anschließend am Denkmal in der Lutherstraße beigelegt wurden. Musikalisch begleitet wurde der Abend von Lea Hamel und ihrer Klarinette."
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Juni 2018:
Gedenktafel am Haus der Familie
Steinberger in der Hersfelder Straße 39 |
Artikel von Andreas Ungermann in
der "Oberhessischen Zeitung" vom 7. Juni 2018: "Gedenktafel am Haus der
Großeltern
ALSFELD - Für die Schwestern Bekka und Deborah Fink ist es ein
emotionaler Moment, als sie gemeinsam mit Alsfelds Bürgermeister Stephan
Paule (CDU) die weiße Gedenktafel mit blauer Schrift am Haus in der
Hersfelder Straße 39 enthüllen. Bekka kann ein paar Tränen nicht
unterdrücken und wird von ihrer Schwester in den Arm genommen. In der
Familiengeschichte der zwei Frauen, die in Berkley in Kalifornien leben, hat
das Gebäude eine starke Bedeutung, berichten sie. Ihre Großeltern lebten
einst darin.
Es war die Nacht vom 9. auf den 10. November 1938, als die Großmutter der
Amerikanerinnen, Irma Levi (geborene Steinberger), nachts deren Mutter -
damals nicht einmal ein Jahr alt - aus dem Kinderzimmer ins
Elternschlafzimmer holte. 'Als sie am nächsten Morgen in das Kinderzimmer
kam, waren die Fenster demoliert, und ein großer Stein lag im Kinderbett',
berichten die Finks. Es war die 'Kristallnacht', das Haus der jüdischen
Familie war an der Front beschädigt. Hätte Irma Levi ihre Tochter nicht im
Elternschlafzimmer übernachten lassen, Doris wäre wohl durch den Stein
getötet worden. Am nächsten Tag fällt für die Familie aus Alsfeld, die sich
bis etwa in das Jahr 1769 auf einen Herz Steinberger aus
Angenrod zurückverfolgen lässt, die
Entscheidung, Deutschland zu verlassen. Die Flucht von Irma und Arthur Levi,
die sich in der Textilfabrik kennengelernt hatten, führte 1939 zunächst nach
Baltimore. Teile der Familie sind heute über die ganze Welt verteilt, weil
Irmas Geschwister Martha und Alfred (Avraham) Steinberger nach Südafrika und
Israel flohen. An sie alle sowie an Leopold und Franziska Steinberger
erinnert nun am Haus von Fahrrad Schütz die Gedenktafel mit der Aufschrift:
'In Erinnerung an unsere geliebten Vorfahren, die über Generationen hinweg
in Alsfeld lebten. Zum Glück konnten sie ihre Leben retten, indem sie
Deutschland verließen, als die Nazis die Macht errangen.' Unter den Namen
sind die mahnenden Worte aus der Bibel, die Zusammenfassung des zweiten
Teils der Zehn Gebote, zu lesen: 'Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich
selbst' - abgefasst auf Englisch, Deutsch und Hebräisch. Gestaltet wurde die
Tafel von einer Verwandten der Finks, die als Grafikdesignerin in Israel
lebt und arbeitet. Die Idee zu der Gedenktafel, die zum großen Teil von den
Nachfahren der Familie Steinberger finanziert und vom Förderverein Jüdische
Geschichte sowie der Stadt Alsfeld bezuschusst wurde, geht zurück auf einen
Besuch von Ami Inball vor zwei Jahren. Der, so erinnert sich Joachim Legatis
, sei von der Idee der Stolpersteine begeistert gewesen. Alsbald stellte
Paule den Kontakt zu Joachim Legatis vom Förderverein Jüdische Geschichte
her. 'Mit den Stolpersteinen wird aber der Opfer gedacht, also der
getöteten', erläutert Legatis. Die Steinbergers jedoch waren dem Naziregime
entkommen, und so wurde die Idee zu der Gedenktafel geboren. Als Legatis
dann an die Hauseigentümer Norbert Schütz und Christa Kreuder-Schütz mit dem
Ansinnen herangetreten sei, hätten diese sofort ihre Bereitschaft
signalisiert. Darin, was der Fördervereinsvorsitzende ausspricht, sind sich
an diesem sonnigen Mittwochmorgen alle Anwesenden in der Hersfelder Straße
einig: 'Es ist wichtig, dass auch an die jüdischen Alsfelder erinnert wird.
Und es ist immer wieder unsere Aufgabe, uns mit der Geschichte
auseinanderzusetzen.' Dazu gehöre es auch, wichtige, besondere Häuser
herauszustellen. 'Um Geschichte erlebbar zu machen, muss sie sichtbar
gemacht werden', ist Paule überzeugt. Die Geschehnisse in der Hersfelder
Straße 39 in jener Novembernacht seien nicht nur ein Teil der Geschichte der
Familie Steinberger und ihrer Nachkommen, sondern auch eben auch ein Stück
Stadtgeschichte. Deshalb sei die Enthüllung der Tafel ein öffentlicher
Anlass und nicht nur ein privater, unterstrich der Bürgermeister, der
Stadtarchivar Dr. Norbert Hansen für die historischen Recherchen dankte.
Zustimmung erhält Paule von Bekka Fink zu seinem Appell, Brücken zwischen
den Kulturen zu bauen. Sie spricht davon, dass manches in der Welt nicht
richtig laufe - gerade auch in ihrem Land, sagt sie in Anspielung auf
US-Präsident Donald Trump. Und bevor Bekka und Deborah Fink mit Paule und
Vertretern des Fördervereins auf Tour durch die Alsfelder Altstadt gehen,
bleibt noch ein Augenblick Zeit, um den Stammbaum der Familie Steinberger
und alte Familienfotos zu betrachten. Die Schwestern werden übrigens nicht
die Letzten sein, die die Stätte aus der Familienhistorie besuchen. Weitere
Verwandte hätten schon angekündigt, nach Alsfeld kommen und die Tafel sehen
zu wollen, sagen sie."
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Links und Literatur
Links:
Literatur:
| Keine Artikel zu Alsfeld in Germania Judaica I - III. |
| Paul Arnsberg: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang -
Untergang - Neubeginn. 1971. Bd. I S. 31-32. |
| ders.: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Bilder -
Dokumente. S. 10. |
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Heinrich Dittmar/Herbert
Jäkel: Geschichte der Juden in Alsfeld. Hg.
vom Geschichts- und Museumsverein Alsfeld. Alsfeld 1988. |
| Thea Altaras: Das jüdische Rituelle Tauchbad und: Synagogen in
Hessen. Was geschah seit 1945 Teil II. 1994. S. 95-96. |
| Studienkreis Deutscher Widerstand (Hg.):
Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der
Verfolgung 1933-1945. Hessen II Regierungsbezirke Gießen und Kassel. Darmstadt. 1995 S. 190-192. |
| Pinkas Hakehillot: Encyclopedia of Jewish
Communities from their foundation till after the Holocaust. Germany Volume
III: Hesse - Hesse-Nassau - Frankfurt. Hg. von Yad Vashem 1992
(hebräisch) S. 70-72. |
| Monica Kingreen: Michael Maynard - Erinnerungen eines jüdischen Jungen an die Jahre 1933-1939.
Alsfeld - Frankfurt- Gambach - KZ Buchenwald, in: Mitteilungen des Oberhessischen Geschichtsvereins, NF 86. Band, Gießen 2001 (erschienen 2002), S.
69-88. |
| Geschichts- und Museumsverein Alsfeld (Hrsg.):
Wasserhäuschen David Levi. Dokumentation der Restaurierung. Juli 2014.
Zahlreiche Abbildungen |
Article from "The Encyclopedia of Jewish life Before and During the
Holocaust".
First published in 2001 by NEW
YORK UNIVERSITY PRESS; Copyright © 2001 by Yad
Vashem Jerusalem, Israel.
Alsfeld Hesse.
A community established in medieval times fell victim to the Black Death
persecutions of 1348-49. Jews returned in the late 18th century and helped
develop local industries. The modern community - numbering 252 (5 % of the
total) in 1910 became known for its strict Orthodox and philanthropic work.
Antisemitic violence mounted even before the Nazis came to power and in 1933
Jews began emigrating to Palestine. The anti-Jewish boycott and Kristallnacht
(9-10 November 1938) hastened their departure by 1940.
At the request of 15 Israelis born in Alsfeld, the former congregations's
surviving ark and appurtenances were transferred to a Haifa synagogue, Adat
Yeshurun in 1954.
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