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in Mainz
Mainz (Landeshauptstadt
von Rheinland-Pfalz)
Texte/Berichte zur jüdischen Geschichte der Stadt
Hier: allgemeine Berichte zur
mittelalterlichen jüdischen Geschichte
Die nachstehend wiedergegebenen Texte mit
Beiträgen zur jüdischen Geschichte in Mainz wurden in jüdischen Periodika
gefunden.
Bei Gelegenheit werden weitere Texte eingestellt.
Die Texte wurden dankenswerterweise von Frau Susanne Reber, Mannheim,
abgeschrieben und mit Anmerkungen versehen. Die Wiedergabe der hebräischen Wendungen ist teilweise
unvollständig, es empfiehlt sich ein Blick auf die abgebildeten Artikel.
Übersicht:
Allgemeine
Beiträge zur jüdischen Geschichte in Mainz
Die Juden zu Mainz im Mittelalter (I-IV, Beitrag von 1865)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
13. September 1865: "Die Juden zu Mainz im Mittelalter. I. Das
alte Memorbuch
Die Memorbücher der Synagogen sind die reichhaltigsten Quellen der jüdischen
Geschichte im Mittelalter. Wir haben daher eine besondere Aufmerksamkeit
diesen Gedenkbüchern gewidmet, und waren so glücklich, eine gewisse Anzahl
davon zu sammeln. Unter diesen zeichnen sich besonders drei davon aus, das
alte Memorbuch von Mainz, das alte Memorbuch von Metz und das allgemeine
Memorbuch von Deutschland. Wir werden später auf die zwei letzteren
zurückkommen, hier wollen wir nur über erstes berichten.
Dieses Memorbuch ist ein Codex auf Pergament, in groß Quart geschrieben, der
über 275 Doppelseiten enthält. Es sind aber hie und da Blätter herausge- |
schnitten,
hier und dort fremde Blätter hineingesetzt worden, namentlich aus dem
Memorbuch von Nürnberg, über die Märtyrer dieser Stadt im Jahr 1349. Die
Handschrift wurde 1296 von einem geübten Schreiber, namens Isaac ben Samuel
von
Meiningen begonnen und bis 1470 von verschiedenen Scribenten fortgesetzt.
Isaac von Meiningen, der ein gelehrter Historiker war, bereicherte seine
Arbeit mit einer Megilat ... HaSchem, die eine genaue Beschreibung
aller Verfolgungen der Israeliten in Europa bis zu seiner Zeit enthält. Wir
haben diesen Teil der Handschrift besonders binden lassen.
Das Memorbuch selbst hat er sefer sikaron, Gedächtnisbuch betitelt
und mit folgenden Überschrift versehen:
(Hebräisch und deutsch:)
'Im Jahre 57 zur sechstausendsten Jahrzahl, am Donnerstag, den 18. Kislev
(den 15. November 1296) fing die Gemeinde mit Lust und Freude in der neuen
Synagoge zu beten an. In demselben Jahre schrieb ich dieses 'Gedächtnißbuch'
zur Ehre des Schöpfers und zur Ehre des neuen Heiligthums.
Isaac ben Samuel von Meiningen.'
Aus den früheren Gebetbüchern hat der Verfasser zuerst alles, was ihm
interessant schien, bis zur Verfolgung der Juden in Mainz im Jahre 1283,
herausgezogen. Nach diesen Fragmenten kann man sich ungefähr einen Begriff
von den Verhältnissen der Israeliten in Mainz von 1283 machen; denn sie
handeln von der Erbauung der alten Synagoge und von deren Beamten, vom
Friedhof, von den wohltätigen Gesellschaften, den Lehranstalten, von der
Gemeinde-Bibliothek, von den Verfolgungen, den Märtyrern usw. Es fehlen
jedoch dabei alle Daten und genauen Zeitangaben, wie sie in dem neuen
Memorbuch von Isaac von Meiningen und in der Fortsetzung einiger seiner
Nachfolger beachtet wurden.
Übrigens zerfällt das Memorbuch in zwei Abteilungen, die wir in zwei Bände
einbinden ließen.
II. Die sechshundertjährige Synagoge
Frühe schon ließen sich Juden in Mainz wie in den übrigen Rheintälern
nieder, aber die Geschichte schweigt über ihre Schicksale dort vor dem 7.
Jahrhundert. Wahrscheinlich kamen nur einzelne Israeliten dahin und erst in
genannten Jahrhunderten siedelte sie sich in größerer Anzahl dort an. Ums
Jahr 680 wurde die erste Synagoge in Mainz gebaut. Es ist dies die
sechshundertjährige Synagoge, die |
1283
zerstört wurde. Die umständliche Erzählung diese Baues ist interessant. Ein
Mann namens Samuel ben Salomon und dessen Frau Belt schenkten der Gemeinde
ein Grundstück und ließen darauf ein Gotteshaus bauen. Alle Mitglieder der
Kommune, deren Namen der Nachwelt überliefert wurden, wetteiferten mit dem
großmütigen Ehepaar. Besonders zeichneten sich fünf Hausväter in ihrer
Freigiebigkeit aus: Mar Jechiel, Salomon ben Eliakim ha-Levi, Isaac ben
Abraham, Abraham ben Isaac und Alexander ben Moses ha-Cohen.
Der erste baute die Frauen-Synagoge und das Frauen-Bad (HaMikwa).
Der zweite den Almemor (HaBimah) von gebauten Steinen und die
Gewölbbogen der Mauern (Kipot BaChoma).
Der dritte den mit schönen Steinen belegten Fußboden (HaRizpah)
Der vierte das Gitter (HaRämäsch) vor der heiligen Lade.
Der fünfte endlich die Kanzel (HaMigdal) von feinem Holz geschnitten.
(Anmerkung der Redaktion: HaMigdal bedeutet gewöhnlich den Almemor,
was hier jedoch nicht möglich, da HaBimah besonders erwähnt wird)
In dieser Synagoge wurden Gebete in altfranzösischer Sprache vorgetragen,
wie z. B. das folgende, das der Verfasser Seite 47 erwähnt:
(Hebräisch und deutsch:)
'Gedenke Gott der Seele des R. Sohn von R. wie der Seelen Abraham, Isaac und
Jacob, weil er so und so viel für den Friedhof hinterlassen hat. Für das,
was er tat, möge er gedacht werden mit den Frommen im Paradiese.'
III. Moses ha-Saken. Mainz, der Mittelpunkt rabbinischer
Gelehrsamkeit im 10. und 11. Jahrhundert, verdankte seine Größe Karl dem
Großen, der zweimal kundige Rabbinen aus Italien nach dieser Stadt
versetzte. Das erste Mal, im Jahre 787, brachte er aus Lucca in der
Lombardei Moses ha-Saken, wie Elasar aus
Worms in seinem handschriftlichen
Kommentar zum Gebetbuche berichtet. Seine Worte lauteten, nach einem
Manuskript der Kaiserlichen Bibliothek in Paris (ancien Fonds, no. 174, page
9 verso) und einer Handschrift des Bodleiera in Oxford (Collect. Oppenheim
Nr. 891 F. Seite 4): In den frühen Tagen, wenn man hierher gelangte: 'Und
lobpreisen dem Namen deiner Herrlichkeit, ' so erhob sich der Vorbeter
und fing gleich an : 'Hochgelobt ist dein Name. Als aber R. Moses aus
Lucca, Sohn des R. Kalonymos zur Zeit des König Karl nach Mainz kam, lehrte
er seine Zeitgenossen hier bis: Und seinen Namen einig sein,
fortzusetzen. Denn R. Moses war ein großer Mann in seinem Jahrhunderte, und
nichts war ihm verborgen. Er ist der R. Moses ha-Saken, der das Gebet
Emath norothecha verfasste, der Schüler R. Aarons Vater aller
Mysterien, Sohn des R. Samuel, Nassi in Babylonien, das Andenken des
Gerechten sei gesegnet.'
Dieser Bericht des Elasar aus Worms wird von Salomon Laurier in seinem
Gutachten Nr. 29 bestätigt; das Datum jedoch 817 statt 737 ist ein
Druckfehler. Das Gebet Moses ha-Saken, das sich in der deutschen Liturgie
befindet, ist ein Gedicht über die Befreiung der Israeliten aus Ägypten:
Schreckensvolle Taten hast Du in Zoans Gefilden ausgeübt,
Als der Thor sich erfrechte den Boten von Dir gesandt, zu verspotten.
Du hast ein Volk aus einem anderen Volke durch Wunderzeichen herausgenommen;
Dein Wort zu erfüllen, das Du dem Patriarchen zugesichert
Der Übermut des Stolzen verhöhnte Deinen Gesandten;
Er lästerte: Wer ist der Gott, der dich gesandt?
Da ließest Du zornig Grimm und Wut über ihn richten,
Gezwungen war man zu tun, was Du ihm geboten.
IV. Kalonymos aus Lucca. Im Jahre 800 war Karl der Große in Mainz auf
dem Wege nach Italien, er hatte dort wahrscheinlich Moses aus Lucca, seinen
Günstling empfangen, dessen Sohn Kalonymos in Rom lebte. Denn bei seiner
Rückkehr aus Italien im Jahr 801 brachte der Kaiser diesen Gelehrten von Rom
mit, wie Joseph ha-Cohen im Emek ha-Bacha, Seite 13 berichtet. Es war dieses
zum zweiten Male, dass Karl der Große einen gelehrten Rabbiner von Italien
nach Deutschland verpflanzte. Kalonymos von Lucca hat sich durch Gründung
von Rabbinerschulen am Rheinufer, denen er vorstand, ein bleibendes Andenken
gestiftet.
Diese Schulen hatten keine Beziehung zu den babylonischen Jeschiboth,
sondern standen in Verbindung mit den palästinischen Akademien, wie es die
italienischen Rabbinen seit Jahrhunderten gewohnt waren. Wir besitzen noch
ein merkwürdiges Gutachten, das die rheinischen Schulen, ums Jahr 805, nach
Jerusalem geschickt und von dem Gaon Jacob Cahna aus Sura beantwortet. Von
Babylon nach Palästina zurückbefördert, kam es erst nach einigen Jahren nach
Deutschland. Der verstorbene, sehr gelehrte Rabbiner Bamberger aus Worms,
der diese alte Gutachten in einer Handschrift fand, veröffentlichte es mit
gelehrten Anmerkungen. E. Carmoly.
(Fortsetzung folgt.)"
Anmerkungen: - Memorbuch:
https://de.wikipedia.org/wiki/Memorbuch
- Almemor:
https://de.wikipedia.org/wiki/Bima
- Heilige Lade: Toraschrein
https://de.wikipedia.org/wiki/Toraschrein
- Karl der Große:
https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_der_Große
- Vorbeter:
https://de.wikipedia.org/wiki/Chasan_(Kantor)
- Elasar aus Worms:
https://de.wikipedia.org/wiki/Eleasar_ben_Juda_ben_Kalonymos
- Bodleiera:
https://en.wikipedia.org/wiki/Bodleian_Library
- Nassi in Babylonien:
https://de.wikipedia.org/wiki/Jehuda_ha-Nasi
- Kalonymos:
https://schumstaedte.de/entdecken/memorstein-fuer-meschullam-ben-kalonymos/#view-0
https://de.wikipedia.org/wiki/Kalonymiden
- Jeschiboth: Rabbinerschulen
https://de.wikipedia.org/wiki/Jeschiwa
- Gaon:
https://de.wikipedia.org/wiki/Gaon
- Rabbiner Bamberger: Rabbiner Jakob 'Koppel' Bamberger
http://steinheim-institut.de:50580/cgi-bin/bhr?id=0099&suchename=Bamberger. |
Die Juden zu Mainz im Mittelalter
(V-VII, Beitrag von 1865)
Hinweis: die hebräischen Zitate in diesem Text wurden nur teilweise
wiedergegeben.
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 27. September
1865: "Die Juden zu Mainz im Mittelalter (Fortsetzung)
V. Der uralte Friedhof.
Der Friedhof in Mainz war noch älter als die sechshundertjährige Synagoge,
denn ob die Anzahl der Juden dort groß war oder klein war – begraben mussten
die Toten werden. Unser Gedächtnisbuch bezeichnet einen Mar Salomon
und seine Ehegattin Rachel als diejenigen, die einen Begräbnisplatz
in Mainz, in uralter Zeit kauften. Ein anderer Nadib (freigebiger Mann)
namens Moses ben Abraham ha-Cohen und dessen Ehefrau Gentille
(Jentil) kauften den Weg zum Friedhof, ein dritter Nadib endlich ließ
den Weg auf seine Kosten verbessern.
Der Ort, wo sich dieser alte Friedhof befand, ist sicher kein anderer, als
der so genannte Judensand am Hardenberge, der noch heute zum Begräbnisplatze
der Mainzer Israeliten dient. Er liegt neben der aus dem Münstertor der
Stadt nach Mombach führenden Chaussee. Es scheint aber, dass dieser Beth
Chajim (Haus des Lebens) viel größer als der jetzige war und dass er
sich ausgedehnt hat. Denn 1824 hatte man auf einem in der Höhe liegenden
großen Stück Feldes beim Rotten zu einem Weinberg mehrere hebräische
Grabsteine entdeckt, die seitdem zerschlagen wurden. Im Jahre 1829 fand man
auf dem ebenfalls oben liegenden Universitätsacker unter der Erde
Menschenknochen und dabei zwei aufrecht stehende hebräische Grabsteine von
weißer Erde. Der eine ist nach der Inschrift vom Jahr 1222. Beide
merkwürdige Grabsteine befinden sich (nach Schab's Geschichte der Juden zu
Mainz) im Antikenmuseum zu Mainz. Vor drei Jahren, bei der Erbauung einer
Villa auf derselben Höhe, wurden ebenfalls Menschenknochen und Leichensteine
aus den Jahren 1264 und 1265 ausgegraben, über die Dr. Lehmann im
'Israelit', Jahrgang 3, Nr. 19, S. 150 des Hauptblattes berichtet.
Aber nicht alle alten Grabsteine dieses Friedhofes befinden sich unter der
Erde, viele, meistens die ältesten, wurden im Mittelalter zerstört und als
Baumaterial benutzt. So stieß man im Jahre 1858 beim Baue der durch die
Stadt führende Rheinbahn, in der Nähe des Ludwigsbahnhofs, auf eine
Batterie, die größtenteils aus jüdischen Grabsteinen gebaut war. Ähnliche
Steine wurden schon früh am Holztor und am Rheinufer, dem rheinischen Hof
gegenüber, gefunden wie Dr. Lehmann in den Angaben des Altertumsvereins zu
Mainz mitteilt.
Die Ersteren, ungefähr hundert an der Zahl, sind aus den früheren
Jahrhunderten bis zum 15. Seculum (= Jahrhundert). Die der ersten Zeiten
sind ohne Jahreszahl und unter diesen ist gewiss der interessanteste der von
Rabbi Meschullam ben R. Kalonymos, der ums Jahr 878 starb und
folgende Inschrift enthält:
(Hebräisch und deutsch:)
Hier ist begraben
R. Meschullam
Sohn des R. R.
Kalonymos
Möge seine Seele festgebunden sein
In dem Bunde der Lebendigen. |
Dieser
R. Meschullam, Sohn des Kalonymos, darf nicht verwechselt werden mit R.
Meschullam ben Kalonymos, genannt Meschullam der Große, der ein ganzes
Jahrhundert nach ihm lebte, wie wir in folgendem Paragraph dartun werden.
VI. Genealogie der Nachkommen des R. Moses ha-Saken.
Bevor wir weiter über den Inhalt unseres Memorbuches berichten, ist es
vielleicht nicht unnütz, zuerst die Genealogie der Nachkommen des R.
Moses ha-Saken zu ordnen. Wir gewinnen dadurch ein Licht, das die
dunkle Geschichte der Juden in Mainz vor den blutigen Jahren 1011 und 1012
beleuchten wird. Zwar haben wir bereits vor 25 Jahren diesen Gegenstand in
den Israelitischen Annalen von Dr. Jost besprochen und wurde unsere
Arbeit von Männern wie Luzzato und Grätz beachtet; da aber die Quellen, die
uns damals zu Gebote standen, unvollständig waren, so war es unmöglich,
einige Fehler zu vermeiden. Der seither gedruckte Or Serua, der in
Halechut R"H die Geschichte des Märtyrers Amnon aus der eigenen
Handschrift des Ephraim aus Bonn enthält und die nämliche Geschichte, die
der Verfasser des Memorbuches aus dem Werke desselben Ephraim aus Bonn
kopierte, geben uns, die erste Quelle fünf und die zweite acht Generationen
der Familie Sekenim.
Diese Generationen sind: R. Kalonymos IV., Sohn des R. Meschullam II.,
genannt der Große, Sohn des R. Kalonymos III., Sohn des R. Moses II., Sohn
des R. Kalonymos II, Sohn des R. Meschullam I., Sohn des R. Kalonymos I.,
aus Lucca, Sohn des R. Moses I., ha-Saken genannt. Berechnen wir, nach
allgemeiner Rechnung ein Jahrhundert auf drei Generationen, so ergeben sich
auf die acht Geschlechtsfolgen 267 Jahre, gerade die Zeit, wie sie zwischen
R. Moses ha-Saken und Kalonymos IV. verstrich:
787 R. Moses ha-Saken
811 R. Kalonymos aus Lucca
844 R. Meschullam I.
878 R. Kalonymos II.
911 R. Moses II.
944 R. Kalonymos III.
978 R. Meschullam II.
1011 R. Kalonymos IV.
Wir werden über die einzelnen Männer dieses alten Geschlechts wie über die
zwei ersten ausführlich berichten, hier wollen wir nur noch auf die Namen
dieser Familie aufmerksam machen. In ihrem Vaterland Italien führte sie den
Namen Sekenim, später wurde sie 'aus Lucca' genannt und
zuletzt bezeichnete man sie mit dem Namen Lombarden. Unter diesem
Familiennamen werden mehrere Märtyrer vom Jahre 1096 aufgezählt, die ein
Opfer des ersten Kreuzzuges wurden, wie man aus einer handschriftlichen
Martyrologie ersieht. Diese sehr merkwürdige Handschrift befindet sich in
der Sammlung Oppenheim in Oxford; sie ist aber bis jetzt unbekannt und
unbenutzt geblieben. Da diese Handschrift, die gedruckt zu werden verdient,
in den Oppenheim’schen Katalogen schlecht beschrieben ist, so wollen wir
hier eine kurze Beschreibung davon geben:
Sie befindet sich mit mehreren gedruckten Büchern im Quart eingebunden und
führt die Nr. 235 D; sie enthält:
10
Pirusch al eicha rabati von Elasar aus Worms
https://de.wikipedia.org/wiki/Eleasar_ben_Juda_ben_Kalonymos
https://www.jewishencyclopedia.com/articles/5542-eleazar-ben-judah-ben-kalonymus-of-worms
20
Midrasch wejisa, 1 Blatt und
30
Martyrlogie der Juden in Deutschland, Frankreich und England, vom Jahre 1096
bis 1298. 7 Blätter
VII. Die Synagogen-Beamten.
Unser Memorbuch kennt aus der alten Zeit keine anderen Synagogen-Beamten als
die Rabbiner; sie allein versahen die Stelle der Vorbeter (chasanim),
sie allein verfassten und ordneten die Festgebete. Wir haben bereits
gesehen, wie R. Moses ha-Saken, als er nach Mainz kam, die alte Ordnung der
Gebete abänderte. Sein Sohn, R. Kalonymos und sein Enkel R. Meschullam
folgten seinen Fußstapfen.
Letzterer blühete im Jahre 844 und starb, sehr alt, ums Jahr 878. Wir haben
seine Grabschrift, die keine Jahreszahl enthält, gegeben. Die Abreviation (t'n'z'b'h
- Tehi narscho zrura bizror hachajim) nach 1. Samuel 25,29, ist alt.
R. Kalonymos II., Sohn des R. Meschullam, folgte seinem Vater um's
Jahr 878. Er nannte sich, wie sein berühmter Großvater, Kalonymos aus Lucca.
R. Kalonymos starb zu Mainz gegen 911 und hatte zum Nachfolger:
R. Moses, genannt der II., um ihn von R. Moses ha-Saken zu
unterscheiden. Er lebte am Anfang des 10. Jahrhunderts und starb ums Jahr
944. Moses II. war kein gelehrter Mann und sein einziges Verdienst bestand
darin, drei ausgezeichneten Söhnen das Dasein gegeben zu haben, nämlich: R.
Kalonymos III., R. Jekutiel ud R. Ithiel.
R. Kalonymos III., wie sein Groß- und Urgroßvater aus Lucca genannt,
lehrte anfangs in Mainz, später ging er nach Frankreich, wo er mit dem
Rabbinen Moses zu Arles in Korrespondenz stand. Vergl. Mordechai,
Schawuot § 1474: (uben pasak rabeinu kalonimos beteschuwto leharaw
mosche mordechai) R. Gerson Maor ha-Gola rühmt unsern Kalonymos als
großen Gelehrten und Verfasser von Festgebeten. Wir gehen weiter, im |
Artikel 'R. Meschullam der Große', die Stelle des R. Gerson Maor
ha-Gola, die im schibli halakat § 11 verstümmelt ist, vollständig.
Die Festgebete des R. Kalonymos sind, in der Länge der Zeit verloren
gegangen, seine Rechtsgutachten hingegen haben sich teilweise erhalten.
Vergl. teschuwot gaonim kadmonim Nr. 106 bis 119; sefer haator,
Seite 12c und 76d; Schaalot uteschuwot Maharam Rotenburg Kapitel 19
usw.
R. Kalonymos III. aus Lucca starb ums Jahr 978, in seiner Zeit kam von
Frankreich nach Mainz R. Abun der Große, von den Nachkommen R.
Josephs ben R. Simon aus Mans (Stadt in Frankreich). Ein anderer Rabbiner, der damals in Mainz
lebte, war R. Jehuda, der Stammvater des berühmten R. Elasar aus
Worms. Diese zwei Rabbiner bildeten mit den oben genannten Brüdern R.
Jekutiel und R. Ithiel das Rabbinat in Mainz, nach der Abreise
des R. Kalonymos nach Frankreich. An ihrer Spitze stand ein Franzose, der
aus der Vergessenheit gezogen zu werden verdient. Wir meinen R. Lion,
den Lehrer R. Gersons Maor ha-Gola, der ihn sehr lobend erwähnt (R. Lion
Rabbi ...). Vergl. Rga. R. Meir von Rothenburg Nr. 264. Unter dem Namen
R. Lion führt ihn auch das sefer Haator, Seite 56 b. an, während das
sefer hapardes R. Lionti, z.B. Seite 48 rabenu lionti nucho eden...
und bald R. Lionti ha Cohen nennt, wie Seite 47: rabenu lionti hakohen
nucho eden... Sein hebräischer Name war R. Jehuda ben Meir ha-Cohen, wie
aus dem Schaare Dure zu ersehen ist. Jedoch ist im gedruckten
Schaare Dure diese Stelle verdorben und wir lassen sie hier nach einer
alten Handschrift, die wir besitzen, folgen: 'uchen Psak R. Jehuda Bar
Meir Hasaken Hakohen Rabu schäl R. Gerschon meor hagolah schähaja mechonä R.
Liontin. Wie man sieht, wurde der französische Name Lion oder
Lionti verdeutscht in Löwenten.
Zur Zeit R. Lions waren noch zwei junge Rabbinen in Mainz, nämlich R. Josua
und R. Isaac, die Söhne des R. Abun des Großen: Der erstere war der Vater
eines R. Isaac, der jung starb, und der zweite hatte einen Sohn namens R.
Simeon, der sehr berühmt wurde und mit Meschullam dem Großen in brieflicher
Verbindung stand. Dieser R. Meschullam war der Sohn des R. Kalonymos III.,
der wie sein Vater Mainz verließ. Aus seinen vielen Rechtsbescheiden geht
hervor, dass er mit den Rabbinen der Gemeinden Narbonne, Arles und Mainz im
Briefwechsel stand. Er lebte in Spanien, namentlich in Zalkona, einem Orte
in Katalonien, wie Dr. Grätz nach (Hebräisch, Nr. 61) richtig mutmaßt. Denn,
dass R. Meschullam II. in Spanien lebte, beweist sein Auftreten gegen die
Karaim, welche dort sehr verbreitet waren, während es in Deutschland und
Frankreich keine gab. Vergl. Semag (Hebräisch) Nr. 66 (Hebräisch),
Sefer Chasidim Nr. 1447 (Hebräisch).
Die zahlreichen Festgebete R. Meschullams sind bekannt, schon R. Gerson Maor
ha-Gola erwähnt sie in einem Rechtsgutachten nebst denen seines Vaters R.
Kalonymos. Seine eigenen Worte lauten (hebräisch und deutsch): wegam R.
Kalonymos schamanu... Das heißt: '…..Und auch von R. Kalonymos haben wir
gehört, dass er ein großer Gelehrter war und Festgedichte auf alle Festtage
gedichtet hat. ...R. Meschullam, seinen Sohn kennen wir als einen großen
Gelehrten, der er war. Er dichtete ein Festgebet für den Versöhnungstag usw.
E. Carmoly
(Fortsetzung folgt)
Anmerkungen: - Dr. Lehmann:
https://de.wikipedia.org/wiki/Marcus_Lehmann
- Kalonymos:
https://de.wikipedia.org/wiki/Kalonymiden
- Meschullam ben Kalonymos:
https://schumstaedte.de/entdecken/memorstein-fuer-meschullam-ben-kalonymos/
Seculum: Jahrhundert
- Dr. Jost: Wahrscheinlich:
https://de.wikipedia.org/wiki/Isaak_Markus_Jost
- Grätz: Heinrich Graetz
https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Graetz
- Luzzato:https://de.wikipedia.org/wiki/Mosche_Chaim_Luzzatto
- Märtyrer Amnon:
https://de.wikipedia.org/wiki/Amnon_von_Mainz
- Ephraim aus Bonn:
https://de.wikipedia.org/wiki/Efraim_ben_Jakob
https://www.jewishencyclopedia.com/articles/5798-ephraim-b-jacob
- Rabbi Abun der Große:
https://www.geni.com/people/Abun-Kalonymus-HaLevi-Hachassid-HaGadol/6000000001288157887
- Gerson Maor ha-Gola:
https://meyers.de-academic.com/49889/Gerschom
- Jehuda ben Meir ha- Cohen:
https://en.wikipedia.org/wiki/Yehuda_HaKohen_ben_Meir
- Meir von Rothenburg:
https://de.wikipedia.org/wiki/Meir_von_Rothenburg
- Rabbi Simeon:
https://de.wikipedia.org/wiki/Simeon_bar_Isaac
- Karaim:
https://de.wikipedia.org/wiki/Kar%C3%A4er. |
Die Juden zu Mainz im Mittelalter
(VIII-IX, Beitrag von 1865)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 25. Oktober
1865: "Die Juden zu Mainz im Mittelalter. (Fortsetzung)
VIII. Die Lehranstalten zu Mainz im 10. und 11. Jahrhundert
Die Lehranstalten waren in Mainz im 10. und 11. Jahrhundert sehr bedeutend.
Man zählte dort mehrere Elementarschulen, wo die Jugend in der Bibel fleißig
unterrichtet wurde. Die Armen erhielten den Unterricht nicht nur
unentgeltlich, sondern die Gemeinde-Bibliothek versah sie auch mit den
nötigen Schulbüchern, als (Chumasch lelimud lenaarim = ) die fünf
Bücher Mosis, (Tehilim lelimud hanaarim =),die Psalmen und (Haftarot
lelimud hanaarim =) die Haftaroth für den Knaben-Unterricht.
Höhere Schulen gab es verschiedene, als die Schulen der (osekim bagrsa)
oder solche, die sich mit der mündlichen Lehre der Mischna und des Talmud
beschäftigen. An ihrer Spitze stand die Jeschiba, Hochschule, geleitet vom
Rabbiner, dessen Jünger habachurim halomedim lifnei haraw, von der
Gemeindekasse unterhalten wurden. An ihrer Seite standen die Lehranstalten
der Amele tora oder solche, die sich mit der Tora bemühten;
für diese wurde viel gespendet. Der Name dieser Lehrer, Amele Torah,
ist sehr alt: Die Midraschim erwähnen ihn schon, z.B. Midrasch Psalmen,
22. Ps., p. 21 c.: (hebräisch und deutsch:) 'Preiset den Ewigen, ihr, seine
Verehrer, das sind die, welche sich mit der Thora, Gotteslehre, bemühen.'
Und im Midrasch der Sprüche c. 9, p. 68 b.: aschreichem amele torah,
'Wohl euch, die ihr euch um die Thora, Lehre Gottes, bemühet!'
Ob die marbizei torah und die hogei dat besonderen
Lehranstalten vorstanden, ist nicht bekannt. Eben so wissen wir nicht, in
welcher dieser Schulen die midraschim, Midraschim, oder Auslegungen
der Schrift studiert wurden, die mehr als die Mischna und der Talmud in
Mainz zu jener Zeit verbreitet waren. Denn die Gemeinde-Bibliothek, die
weder ein Exemplar der Mischna noch des Talmuds besaß, zählte in ihrer
Sammlung mehrere Midraschim-Kodizes. Die Rabbiner Kalonymos, Sohn des
obengenannten R. Jehuda, Stammvater des R. Elazar aus
Worms
und R. |
Abraham
Cohen, Sohn des R. Lion, waren von den osekei begarsa,
während die drei Moses, nämlich R. Moses, Sohn des R.
Kalonymos, Sohn R. Jehudas; R. Moses, Sohn des R. Ithiels und R. Moses,
Sohn R. Jekuthiels als amlei tora bezeichnet werden.
In der genannten Bibliothek befanden sich auch Kommentarien zum Pentateuch,
deren Verfasser nicht angegeben, und die vielleicht aus den Mainzer Schulen
hervorgegangen sind. In derselben Büchersammlung wurde ebenfalls ein
medizinisches Buch sefer refuot aufbewahrt; wir wissen aber nicht
gewiss, ob die Heilkunde ein Gegenstand der jüdischen Studien in Mainz war.
Freilich setzt eine Urkunde von Kaiser Heinrich III. Einige Kenntnisse der
Medizin bei den Israeliten am Rhein voraus. In dieser Urkunde vom 19. Januar
1090 erteilt der Kaiser den speyerischen Juden große Vorrechte, unter
anderem, dass sie ihre 'medizinischen Mittel an Christen verkaufen können'.
Siehe Urkunden zur Geschichte der Juden im Mittelalter, gesammelt von
Philipp Jaffé, Serie I. 2. Urk.
Auch gab es im 11. Jahrhundert einen Arzt namens R. Meschullam ha-Rophe,
den Raschi in seinen Kommentarien (Job 6,9) erwähnt und der seinem Namen
nach der Familie Lombarden angehörte. Aber auch ein 'Buch der Heilmittel',
Sefer refuot zitiert Raschi in seinen Kommentaren (Richter 15, 15),
ein Beweis, dass medizinische Schriften früher schon unter den Juden
verbreitet und in hebräischer Sprache verfasst oder in dieselbe übersetzt
waren.
Was die 'Kalenderordnung', seder awur betrifft, die sich auch unter
den Büchern der Gemeinde-Bibliothek befand, so ist kaum daran zu zweifeln,
dass sie ein Produkt der Mainzer Schulen war. Denn seit der Einführung der
Kalenderregeln durch den Patriarchen Hillel II. besteht die jüdische
Kalenderordnung auf Berechnung des eingeführten Kalenderwesens, das zur
'Ordnung der Festtage', Seder modaot notwendig ist, und daher jedes
Jahr berechnet werden musste. Kein Zweifel, dass die Rabbiner diese Ordnung
zu erhalten suchten und sie durch Erklärungen den Schülern zugänglich
machten.
IX. Die Gemeinde-Bibliothek
Je mehr wir in die inneren Verhältnisse der Gemeinde eindringen, desto mehr
müssen wir die Weisheit und Liebe der Administration für ihre Untergebenen
bewundern. Hier waltete keine Gewalt, kein Leichtsinn, sondern eine
väterliche Fürsorge leitete die ganze Verwaltung. Daher konnte sie Großes
stiften, Gutes wirken in einer Zeit, wo anderswo Habsucht und
Gewalttätigkeit die einzigen Triebfedern der Verwalter waren. Den großen
Stiftungen der jüdischen Gemeinde in Mainz stellen wir die öffentliche
Bibliothek, die sie gründete, an die Spitze. Öffentliche Bibliotheken sind
sprechende Beweise des Sinnes für Kultur und Wissenschaft, des Wohlstandes
und Edelmutes, besonders im Mittelalter, wo die Bücher so kostspielig und
die Büchersammlungen so selten waren. Was aber einer nicht tun konnte, das
schafften viele zusammen. Ein Aufruf des Vorstandes an alle
Gemeindemitglieder, nach ihrem Tode die hinterlassenen Bücher, für die sie
keine besondere Bestimmung hätten, der Gemeinde zum allgemeinen Gebrauche zu
überlassen, schaffte bald eine Anzahl Bücher herbei, die mit jedem Jahr
vermehrt wurde und eine ansehnliche Sammlung bildete.
Mit gewissenhafter Genauigkeit wurde jede Gabe aufgezeichnet, und so
besitzen wir heute noch eine exaktes Verzeichnis von mehr als hundert
Büchern der uralten Gemeinde-Bibliothek in Mainz mit beigefügten Namen der
Geber und Wohltäter. Ein Überblick einer der ältesten hebräischen
Bibliotheken in Europa wird gewiss den Altertumsfreunden willkommen sein.
Hier ein kurzes Verzeichnis:
Nr. 1- 32. An der Spitze unserer Sammlung prangen zweiunddreißig
'Gesetzesrollen', Sifrei Torah, die von 27 Personen der Gemeinde
geschenkt wurden, und wovon jede einen Wert von mehr als hundert Talern
hatte. Unter den 27 Personen bemerken wir 4 Frauen: 'Mathilde', mathilda,
'Mirjam', mirjam, 'Maimuna', maimuna, 'Mina', mina. Von
den übrigen Personen nennen wir zwei Geber, die in § 11 bereits erwähnten
freigebigen Männer, 'Mar Jechiel', derselbe, der die Frauen-Synagoge und das
Frauenbad bauen ließ, 2 Exemplare, und 'Salomon ben Eliakum ha-Levi', der
dem Almemor und die Gewölbebogen der sechshundertjährigen Synagoge errichten
ließ, 1 Exemplar.
Nr. 33-61. Die Zahl der 'fünf Bücher Mosis', Chumaschim war nicht
viel geringer als die der Gesetzesrollen, achtundzwanzig. Unter diesen
Pentateuch-Manuskripten heben wir folgende hervor: Ein 'hebräischer
Pentateuch, Chumasch iwri und zwei 'chaldäische', Chumasch targum.
Der erste schient nichts als den hebräischen Text ohne Punktuation enthalten
zu haben, während die übrigen Pentateuche, besonders diejenigen, die den
Namen: 'Die fünf Bücher Mosis zum Unterricht der Knaben' (Chumasch
lelimud bo naarim) führen, denen die Punktuation und vielleicht auch
Worterklärungen in vulgärer Sprache oder sonstige Anmerkungen zum Unterricht
beigefügt waren. Die zwei anderen hingegen waren einfach: 'Die Paraphrase
von Onkelos' (Targum Onkelos).
Die Paraphrase Onkelos allein, ohne den hebräischen Text beigeschrieben, war
im Mittelalter nicht selten. Die Pariser Bibliothek und das Londoner British |
Museum
besitzen dergleichen Exemplare. Der hebräische Pentateuch war ein Geschenk
der obengenannten Frau 'Maimuna' (Memorbuch Teil I, S. 53 b). Ebenso war
einer der chaldäischen Pentateuche von einer anderen Frau, namens 'Lea'.
Nr. 62. Haftarot, die Haftaroth oder Abschnitte aus den Propheten für
die Feste, Fasttage und Sabbate des ganzen Jahres (Ibid S. 51)
Nr. 63. Dasselbe.
Nr. 64. Tehilim, die Psalmen zum Gebrauch für den Knaben-Unterricht,
eine Gabe von einer Französin namens 'Bonnefille', bonfilia (Ibid S.
48)
Nr. 65. Megilah, eine Pergamentrolle, das Buch Esther enthaltend. Aus
dem Nachlasse des 'Samuel ben Salomon' und seiner Frau 'Ottilie', Otilie
(Ibid, S. 49 b).
Nr. 66. Dasselbe, aus einem anderen Nachlasse.
Nr. 67 und 68. (Targum) Chaldäische Paraphrase, wir wissen nicht, ob
von Onkelos oder von Jonathan ben Usiel, vom Pentateuch oder von den
Propheten (Memorbuch Teil I, Seite 52 und 54 b).
Nr. 69. Pirusch Chumasch, Kommentarien zu den fünf Büchern Mosis, aus
dem Nachlasse des 'Isaac ben Jechiel' und seiner Ehegattin 'Belt' (Ibid. S.
51)
Nr. 70. Piruschim schäl Chumasch, die Kommentatorien von den fünf
Büchern Mosis, ein Geschenk von der Frau 'Süsse', sussa (Ibid, Th.
II, S. 54b).
Nr. 71 und 72 Tefilot, Gebetbücher aus dem Nachlasse des erschlagenen
'Ascher b. Salomon' (Ibid S. 47b). Da die Zahl der Gebetbücher nicht
angegeben ist, so haben wir sie auf zwei beschränkt, ebenso bei den
nachfolgenden Nummern haben wir nur zwei und zwei Exemplare notiert.
Nr. 73 und 74 Tefilot, Gebetbücher aus den Nachlass des 'Abraham ben
Jacob' (Ibid. Th. I., S. 56 b).
Nr. 75 u. 76 Tefilot lifne hachasan Gebetbuch zum Gebrauch des
Vorbeters, aus dem Nachlasse des 'Simson ben Ascher', von dem eine
Gesetzesrolle, ein Pentateuch und die Nr. 93 und 94 herkommen (Ibid. Th. I.
S. 56b).
Nr. 77 Jozerot, Gebete für Feiertage und ausgezeichnete Sabbate aus
dem Nachlasse des Ehepaares 'Samuel ben Salomon' und 'Ottilie', denen man
auch die Nr. 65 und 75 verdankt.
Nr. 78. Dasselbe, aus einem anderen Nachlasse.
Nr. 79 – 89. Machsorim Festgebete für das ganze Jahr, zehn Exemplare.
Diese Festgebete scheinen die von 'R. Janai' und 'Elasar ha-Kalir' gewesen
zu sein, wie R. Moses ha-Saken und sein Sohn R. Kalonymos aus Lucca, aus
Italien nach Deutschland gebracht zu haben scheinen und die. R. Gerson Maor
ha-Gola in einem bereits erwähnten Gutachten teschuwah mit folgenden
Worten gedenkt: (wegam jesch lanu lelimud...). d.i. : ...Auch sollen
wir von den Poeten, die große Weise waren, lernen: So R. Janai, der
von den früheren Gelehrten war und Festgebete zu jeder Ordnung´von ganzem
Jahre dichtete. Ebenso R. Elasar ben Kalir, der auch von den früheren
Gelehrten war und Festgebete für alle Feiertage dichtete.
Nr. 90 Chazi Machsor, ein halbes Machsor, von der bereits genannten
Frau 'Maimuna' (Memorbuch Teil I, S. 53b).
Nr. 91 'Dasselbe, ein Geschenk von einem 'Ascher ben Joseph' und seiner
Gattin 'Sara', die auch eine Gesetzesrolle, einen Pentateuch und Haftaroth
der Gemeinde schenkten (Ibid. S. 51)
Nr. 92 Dasselbe, von dem oben erwähnten 'Moses ben Abraham' und seiner Frau
'Gentille', denen man auch eine Gesetzesrolle, einen Pentateuch und ein
Machsor verdankt (Ibid., Teil I, S. 57).
Nr. 93 und 94 scheni chazi machsorim, zwei halbe Machsorim, von dem
oben genannten 'Simson ben Ascher', von dem die Gemeinde-Bibliothek auch
eine Gesetzesrolle, ein Chumesch und Nr. 75 und 76 erhielt (Memorbuch Teil
I, S. 56).
Nr. 95. Selichot Bußgebete für alle Fasttage aus dem oben Nr. 77
genannten Nachlasse.
Nr. 96 Midraschim, Auslegungen der Schrift, von 'Moses ben Joseph'
und 'Jeanette', jannet, seiner Frau, die auch eine Gesetzesrolle der
Gemeinde hinterließen, (Memorbuch, Teil I, S. 56).
Nr. 97 und 98. Zwei andere Midraschim oder Auslegungen der Schrift; ob
verschieden von der soeben genannten Nr. 96, ist nicht mehr zu bestimmen.
Nr. 99 Sefer refuot, Buch der Heilmittel, ein Geschenk von einem 'Jechiel
ben David', (Memorbuch, Teil I, S. 50).
Nr. 100 Seder awor, Kalenderordnung, eine Gabe 'R. Perigors' aus
Frankreich R. Perigors MiZarfat (Memorbuch, Ibid. S. 49).
Außer den genannten Schriften enthielt die jüdische Bibliothek von Mainz
fünf Sammlungen von Büchern seferim, deren Namen und Zahl nicht
weiter bekannt sind. Siehe Memorbuch I. Teil, S. 53, 54, 54 b usw.
E. Carmoly (Fortsetzung folgt)
Anmerkungen: - Haftaroth (Plural von Haftara):
https://de.wikipedia.org/wiki/Haftara
-
Mischna:
https://de.wikipedia.org/wiki/Mischna
-
Talmud:
https://de.wikipedia.org/wiki/Talmud
-
Jeschiba:
https://de.wikipedia.org/wiki/Jeschiwa
-
Midrasch:
https://de.wikipedia.org/wiki/Midrasch
-
Rabbi Kalonymos: Kalonymos ben Jehuda:
https://de.wikipedia.org/wiki/Kalonymiden
-
Kaiser Heinrich III.:https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_III._(HRR)
-
Raschi:
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Raschi
-
Hillel II.: https://de.wikipedia.org/wiki/Hillel_II.
-
Seferim Torah: Torarollen
https://de.wikipedia.org/wiki/Tora
-
Almemor:
https://de.wikipedia.org/wiki/Bima
-
Pentateuch: Fünf Bücher Mose
https://de.wikipedia.org/wiki/Tora
-
Elasar ha-Kalir:
https://de.wikipedia.org/wiki/Elasar_ha-Qallir
-
R. Janai:
https://de.wikipedia.org/wiki/Jannai_(Dichter) )
-
R. Gerson Maor ha-Gola:
https://de.wikipedia.org/wiki/Gerschom_ben_Jehuda
-
Machsor:
https://de.wikipedia.org/wiki/Machsor
-
Gesetzesrolle: gemeint Torarolle. |
Die Juden zu Mainz im Mittelalter
(X-XI, Beitrag von 1865)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
8. November 1865: "Die Juden zu Mainz im Mittelalter. (Fortsetzung.)
X. Die wohltätigen Gesellschaften
Die Wohltätigkeit ist eine Haupteigenschaft des Judentums; keine andere
Religion hat so schöne und heilige Lehren der Guttätigkeit. Der Arme, sei er
ein Fremdling oder ein Einheimischer, ist für jeden Israeliten ein Bruder:
'Und so bei dir dein Bruder verarmt und seine Hand wankt, so greife ihm
unter die Arme, Fremdling oder Beisaß, daß er bei dir lebe.' (3. Mose 25,
35). 'Wenn unter dir sein wird ein Dürftiger…., so verhärte nicht dein Herz
und verschließe nicht deine Hand vor deinem dürftigen Bruder.' (5. Mose 15,
7). Diese göttlichen Gesetze waren den Juden in allen Zeiten und in allen
Ländern heilig und trugen nicht wenig zur Erhaltung des Judentums mitten
unter feindlichen Völkern. Was wäre in der Tat aus den Juden im rohen
Mittelalter geworden, wenn die Wohltätigkeit nicht ihre schützenden Flügel
über die dürftigen Brüder ausgebreitet hätte!
Die Mainzer Israeliten waren besonders von äußerst guttätigem Herzen und
religiösem Sinne; sie gründeten viele wohltätige Gesellschaften, die alle
Zeugnisse von der reinsten Menschenliebe, von der heiligsten Verbrüderung
geben. Wir nennen hier bloß vier davon: Chewrat Haanim Verein für die
Armen, Chewrat Hacholim Verein für die Kranken, Chewrat Beit
Hakewurot Verein für das Begräbnis, Chewrat Limud Naarim
Kinderlehrverein.
Der erste Verein teilte das ganze Jahr hindurch Brot unter die Armen aus,
und an den Feiertagen erhielten sie auch Fleisch und Wein. Besonders wurden
sie Ostern und Neujahr reichlich mit Speise und Trank versehen. Ja, die
Fürsorge und Liebe des Vereins für die Armen ging so weit, dass er ihnen an
jedem Festtage Lichter verteilte, damit des Abends ihre Freude nicht gestört
werde. Statt Brot erhielten sie Ostern Weizen für ihre ungesäuerten Kuchen,
aber kaum waren die Osterfeiertage zu Ende, so bekamen sie, gleich am
Ausgang derselben, wieder Brot.
Der zweite Verein war nicht allein für Arme, sondern auch für Bemittelte
bestimmt. Denn er hatte zum Zwecke, die Kranken zu pflegen, ihre Familie zu
unterstützen und sich überhaupt deren Interessen anzunehmen. Oft verwaltete
der Verein des Kranken Geschäfte, je nachdem dieser durch seine Krankheit
einem Schaden ausgesetzt war.
Der dritte Verein hatte ebenfalls für Nichtarme seine Bestimmung, denn er
sorgte, nicht nur für die Beerdigung der Verstorbenen, sondern auch für die
Beobachtung der sowohl hierbei als bei dem Sterben üblichen Gebete und des
gewöhnliches Rituals. Die Reinigung der Leiche, die Einkleidung und
Einlegung derselben in den Sarg war ebenfalls der Beruf des Vereins. Die
Armen wurden ohne alle Gebühren beerdigt und der Verein sorgte für die
Bekleidung der Toten, für ihre Särge, für ihre Grabmachung und ließ ihnen
Grabsteine setzen.
Die vierte wohltätige Gesellschaft der Juden in Mainz, der Kinderlehrverein,
hatte den Zweck, die Kinder der Armen, namentlich die Knaben, unentgeltlich
im hebräischen Lesen, Beten und in der Religion unterrichten zu lassen,
damit sie als tugendhafte und fromme Israeliten aufwachsen. Die
Unterrichtsbücher wurde, wie oben § IX berichtet, von der
Gemeinde-Bibliothek geliefert; ob auch Schreiben ein Gegenstand der
Kinderlehre war, ist nicht bekannt.
Auf diese Vereine und noch andere dergleichen beschränkte sich aber nicht
allein die jüdische Wohltätigkeit in Mainz, sondern jedem Israeliten und
besonders den Wohlhabenden und Einflussreichen unter ihnen lag es am Herzen,
sein Geld und seinen Einfluss der ganzen Gemeinde und oft dem ganzen Volke
zu weihen.
Solche Wohltäter der Judenschaft gab es in Israel in jedem Zeitalter und
jedem Lande. Man nannte sie Schtadlanim, Fürsprecher, Beschirmer und
ihnen verdankt das Judentum die Erhaltung und Rettung von Tausend und
Tausenden ihrer Religionsverwandten. Unser Memorbuch feiert drei solche
hochgeehrte Namen in Mainz: Mar Salomon und seine Ehegattin Rachel,
die wir § V als die großmütigen Käufer des israelitischen Friedhofs
kennengelernt haben, weil sie Verfolgungen der Juden hinderten und abhielten
(mar schlomo umarat rachel schäkanu beit hakewarot...) und Simon
der Große, welcher sich um die Gemeinde bemühet und die Ausdehnung der
Verfolgungen verhindert hat. (raw schimon hagadol...)
XI. Die Verfolgungen der Juden in Mainz vor den Kreuzzügen
Die Verfolgungen der Israeliten zur Zeit Mar Salomons und seiner Frau Rachel
sind unbekannt, weil sie vielleicht gleich ihrer Entstehung durch den
Einfluss des edlen Ehepaares beseitigt wurden. Nicht so die Verfolgungen in
den Zeiten R. Simons des Großen, die sehr blutig waren und durch seine und
R. Gerschom ben Jehuda Bußlieder nur allzu bekannt geworden sind. Es waren
förmliche Religionsverfolgungen, wobei einige zum Christentum übergingen und
andere den Märtytertod litten.
Die letzten Verfolgungen, die vom Kaiser Heinrich II. ausgingen, der
bekanntlich so bigott und den Pfaffen so ergeben war, dass ihn die Kirche in
den Stand eines Heiligen erhob, erhielten besonders in Mainz in den Jahren
1011 und 1012 eine blutige Wendung. Erkembaud und Archambaud, der neue
Erzbischof von Mainz, war ein arger Judenfeind und ordnete eine Zwangstaufe
an. Das erste Opfer seiner Wut war R. Jehuda der Große, ein angesehener
Kollege von R. Gerschom, R. Simon und R. Jehuda ha-Cohen, Verfasser des
Sefer ha-Dinim. (Hebräisch). |
Or
Serna, II. Teil, S. 275. Das Memorbuch zählt eine Menge Märtyrer auf, unter
denen ein Christ, der das Judentum angenommen hatte und lebendig verbrannt
wurde und der berühmte R. Amnon, von dem wir im folgenden Paragraph
ausführlich berichten werden.
Die Verfolgungen wüteten zwei Jahre lang, bis der Kaiser 1012 einen Befehl
erließ, dass die Juden von Mainz die Stadt verlassen sollten, wie die
Quedlinburgischen Annalen, bei Pertz Monumenta Germaniae II 81
erzählen: '1012 expulsio Judaeorum facta est a rege (Henrico) in Maguntia.
(Im Jahr 1012 hat der Regent Kaiser Heinrich die Juden ausgewiesen, Anm. S.R.).'
Die Verbannung der Israeliten aus Mainz dauerte jedoch dank der Bemühungen
des edlen R. Simon des Großen nicht allzu lange und im Anfange des Jahres
1013 kehrten sie bereits wieder in die Stadt zurück. Denn am 16. Schebbat
4763, das ist der 30. Januar 1013, ließ R. Gerschom seiner Gattin Bona
eine Urkunde ausstellen, dass ihre Ketubah abhanden gekommen sei. Es
ist wahrscheinlich, dass R. Gerschoms Frau das Instrument ihrer Ehepakten
während der Verbannung verloren hat und dass er darum bei der Rückkehr nach
Mainz ihr ein neues ausstellen ließ, wie Dr. Grätz in seiner Geschichte der
Juden (fünfter Band) richtig bemerkt.
Die dem Taufzwange unterlegenen Juden kehrten wieder in den Schoß des
Judentums zurück und R. Gerschon schützte sie vor Beschimpfung, indem er den
Bann über diejenigen verhängte, welche ihnen den augenblicklichen Abfall zum
Vorwurfe machen sollten. Siehe das Rechtsgutachten von Raschi an die
Gemeinde Cabillon kehila kabilon (Kahal Kabilon) im Ozer Nechmad II
174 abgedruckt hat: (Hebräisch). Wir bemerken bei dieser Gelegenheit,
dass Kabilon, Cabillon, ein Ort in der Picardie, drei Stunden
von Amiens, ist und nicht Cavaillon in der Provence, wie S. D.
Luzzatto übersetzt.
Unter denen, die dem Taufzwange unterlagen und das Christentum annahmen, war
auch R. Gerschoms eigener Sohn, dem es aber nicht vergönnt war, zum Glauben
seiner Väter zurückzukehren, denn er starb bald nachher. Der unglückliche
Vater, der seinen Tod vernahm, trauerte sehr um ihn und beobachtete alle
Trauerzeremonien wie sie um einen treugebliebenen Sohn gebräuchlich sind. (Hebräisch),
Or Serua II, Nr. 428 der neuen Ausgabe. Aus diesen eigenen Worten des R.
Isaac aus Wien, geht deutlich hervor, dass die Taufe des Sohnes des R.
Gerschom eine Zwangstaufe war und nicht, wie einige aus den kurzen Worten
des R. Meir von Rothenburg, Rga. Nr. 544 (Hebräisch) und des Verfassers der
Hagaot Ascheri, Moed Katon, Kap. 3, al beno... schließen
wollten, der Sohn des R. Gerschom hätte freiwillig das Judentum verlassen.
Schon aus Mordechai, Moed Katon Nr. 1536, hätten sie das Gegenteil
ersehen können, wie Dr. Grätz am angeführten Orte ganz richtig bemerkt. Die
Worte des Mordechai sind folgende: (Hebräisch). Das heißt: 'R. Meir
hörte aus dem Munde des R. Isaac aus Wien, dass unser Lehrer Gerschom Trauer
hielt um seinen Sohn, der seine Religion verlassen hatte. Er bemerkte ihm
jedoch, dass man ihm nicht nachahmen solle, denn er hätte es nur aus großem
Schmerz getan, weil seinem Sohne nicht vergönnt war, vor seinem Tode Buße zu
tun.' (Fortsetzung folgt). E. Carmoly
Anmerkungen: - Simon der Große:
https://de.wikipedia.org/wiki/Simeon_bar_Isaac
-
Gerschom ben Jehuda:
https://de.wikipedia.org/wiki/Gerschom_ben_Jehuda
-
Heinrich II.:
https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_II._(HRR)
-
Erkembaud:
https://www.deutsche-biographie.de/pnd130894540.html
-
R. Jehuda ha-Cohen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Yehuda_ben_Meir
-
Rabbi Amnon:
https://de.wikipedia.org/wiki/Amnon_von_Mainz
https://de.wikipedia.org/wiki/Amnon_von_Mainz
-
Pertz:
https://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Heinrich_Pertz
-
Ketubah:
https://de.wikipedia.org/wiki/Ketubba
-
Dr. Grätz:
https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Graetz
-
Luzzatto:
https://de.wikipedia.org/wiki/Samuel_David_Luzzatto
-
R. Meir von Rothenburg:
https://de.wikipedia.org/wiki/Meir_von_Rothenburg
Moed Katon:https://de.wikipedia.org/wiki/Moed_Qatan_(Mischna). |
Die Juden zu Mainz im Mittelalter (XII, Beitrag von 1865)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
15. November 1865: "Die Juden zu Mainz im Mittelalter. (Fortsetzung)
XII. Die Märtyrer in den Jahren 1011 und 1012. R. Amnon
Die Opfer des fanatischen Erzbischofs von Mainz, Erkenbau oder Archambau,
sind zahlreich. Denn von dem Augenblick an, als er 1011 von seinem Erzbistum
Besitz nahm, bis zur Austreibung der Juden aus Mainz, wütete er
ununterbrochen gegen die Nachkommen Jacobs. Die Gesinnungen des Kaisers
gegen diesen alten Stamm machten ihn dreist und ließen seine gewaltsamen
Hinrichtungen ungehindert und unbestraft. Unter den vielen Märtyrern, die
unser Memorbuch namentlich aufzählt, heben wir die drei bereits genannten
Opfer hervor: R. Jehuda ha-Gadol, R. Isaac ben Abraham, der Proselyt und R.
Amnon.
Der erste war, wie wir § XI bemerkt haben, ein Kollege von R. Gerschom, R.
Simon und R. Jehuda ha-Cohen. Die Belege davon, aus Or Serua II. 275, liegt
ein Rechtsgutachten von R. Elasar aus
Worms
zugrunde, das im Sefer Binyamin Zeev Nr. 234 angeführt wird, nur hat
sich dort ein Fehler eingeschlichen, den wir hier berichtigen wollen. Statt
R. Salomon ben Isaak (Raschi), muss es heißen: R. Simon ben Isaac. R. Jehuda
ha-Gadol, der erste Märtyrer, war, wie seine Kollegen, ein gelehrter Mann.
Der zweite wird in unserm Memorbuch 11, 52 b mit folgenden Worten genannt. (hebräisch
und deutsch:), 'R. Isaac, Sohn Abrahams des Patriarchen, der verbannt wurde
wegen |
der
Heiligung Gottes'. Der Name Isaac, Sohn Abrahams des Patriarchen, ist
derselbe,
den er bei seiner Bekehrung als Jude annahm; sein früherer Name als Christ
wird nicht angegeben. Die Worte 'Sohn des Abraham des Patriarchen', ben
abraham abinu werden gewöhnlich den israelitischen Proselyten beigelegt,
weil, die nur als echte Söhne Abrahams zu betrachten sind.
Wie wir bereits § VI bemerkt haben hat Ephraim aus Bonn zuerst die
Geschichte des Märtyrers R. Amnon niedergeschrieben. Dieser R. Ephraim aus
Bonn ist der bekannte jüdische Geschichtsschreiber, der 1133 das Licht der
Welt erblickte. Denn in der Beschreibung des zweiten Kreuzzuges im Jahre
1146 erzählte er, dass er damals 13 Jahre alt war. Aus der eignen
Handschrift Ephraims aus Bonn hat nachher Isaac aus Wien diese Geschichte in
seinem Buche 'Or Serua' betitelt, aufgenommen. Dem Werke Isaacs hat
sie Jochanan Croyes in seinem Machsor-Kommentar entlehnt, der neben dem
Texte in Bologna 1541 erschienen ist. Die italienische Zensur hat aber den
Charakter der Erzählung entstellt, indem sie statt Hägmon Bischof,
Erzbischof Adon Herr, Fürst unterschob, sodass man nicht mehr wusste,
wer der Verfolger in Mainz eigentlich war.
Eine andere Unterschiebung war Ephraim ben Jacob aus Vienna, Bienne,
Wien statt: Ephraim ben Jacob aus Bona, Bonn, dergestalt, dass der
Verfasser Schalschelet ha-Kabbale, der die Märtyrergeschichte des R.
Amnon dem Machsor-Kommentar entnahm, den Geschichtsschreiber aus Bonn, den
er früher erwähnte, nicht erkannte und die Zeit der Abfassung der Geschichte
nicht angeben konnte. David Gans, der aus dem Schalschelet ha-Kabbale
schöpfte, setzte willkürlich da Marthyrtum R. Amnons ins Jahr 1240 und ihm
folgte blindlings Dr. Jost in seiner Geschichte der Israeliten, ohne zu
bedenken, dass der Historiker in R. Amnons Geschichte ein Jahrhundert vor
dem Helden seiner Erzählung gelebt hatte.
Dem sei, wie ihm wolle, so lautet der historische Bericht des Ephraim aus
Bonn, wie folgt: 'R. Amnon aus Mainz war ein Großer seines Zeitalters,
reich, edel und wohlgebildet. Der Erzbischof und sein Vertrauter versuchten
es, ihn zu bereden, dass er sich bekehre, er lehnte es aber ab. Als sie ihm
hierüber täglich stark anlagen und der Erzbischof heftig in ihn drang, gab
er ihm zu Antwort: 'Gib mir drei Tage Bedenkzeit'. Dies war eigentlich nur
eine Ausflucht, um sich los zu machen. Kaum hatte er den Erzbischof
verlassen, so drückte ihn sein Gewissen, eine solche Antwort gegeben zu
haben, die seinen Glauben in Zweifel ziehe. Er wurde sehr traurig und
betrübt.
Am dritten Tage ließ ihn der Erzbischof zu sich rufen, aber er verweigerte,
hinzugehen. Hierauf ließ ihn der Erzbischof mit Gewalt vor sich bringen und
stellte ihn zur Rede. Da antwortete R. Amnon, ich will mir mein Urteil
selbst sprechen: 'Meine Zunge, die nie gelogen hat, soll
herausgeschnitten werden. Nein, entgegnete der Erzbischof, nicht deine
Zunge, die gerecht sprach, will ich dir abschneiden, sondern deine Füße
sollen abgehauen werden, weil sie nicht nach Versprechen zu mir gekommen
sind, und auch deinen übrigen Körper werde ich züchtigen. Er befahl und man
schnitt ihm zugleich die Daumen von Händen und Füßen ab. Bei jeder
Verstümmelung wurde er gefragt, ob er seine Religion verlassen wollte, er
antwortete aber immer: 'Nein'. Am Ende ließ ihn der Erzbischof nebst seinen
abgeschnittenen Daumen in eine Tragbahre lagen und ihn so aus dem Haus
tragen; R. Amnon blieb aber seinem Glauben treu, wie auch sein Name Amnon
'treu' bedeutet.
Als nachher das Neujahrsfest herankam, ließ sich R. Amnon in die Synagoge
tragen und neben den Vorbeter setzen. Als nun die Zeit der Keduscha kam,
rief ihm R. Amnon zu und sprach: 'Halt, ich will erst den Ewigen
verherrlichen!' Er fing an mit lauter Stimme: 'Nun soll sie dir aufsteigen,
die Heiligung' und heiligte den Namen Gottes. Hierauf sagte er auswendig:
'Und wir wollen von der mächtigen Heiligkeit dieses Tages, Juda erzählen.'
Als er dann ganz ausgeredet hatte, heißt es weiter, sei er verschwunden in
aller Gegenwart – denn Gott hatte ihn zu sich genommen. Drei Tage nachher
erschien er des Nachts dem R. Kalonymos, Sohn des R. Meschullam, Sohn des R.
Kalonymos, Sohn des R. Moses, Sohn des R. Kalonymos, Sohn des R. Meschullam,
Sohn des R. Kalonymos, Sohn des R. Moses ha-Saken, lehrte ihn das ganze
Gedicht auswendig und befahl ihm, dass er es allenthalben in Israel
herumschicke zum ewigen Andenken.' (Fortsetzung folgt.)
E. Carmoly
Anmerkungen: - Erkenbau:
https://www.deutsche-biographie.de/pnd130894540.html
- Memorbuch:
https://de.wikipedia.org/wiki/Memorbuch
- Proselyt:https://de.wikipedia.org/wiki/Proselytismus
- R. Amnon:
https://de.wikipedia.org/wiki/Amnon_von_Mainz
- R. Gerschom:https://de.wikipedia.org/wiki/Gerschom_ben_Jehuda
- R. Simon:
https://de.wikipedia.org/wiki/Simeon_bar_Isaac
- R. Jehuda ha-Cohen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Yehuda_ben_Meir
- Raschi:
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Raschi
- R. Simon ben Isaac:https://de.wikipedia.org/wiki/Simeon_bar_Isaac
- Ephraim aus Bonn:
http://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/ephraim-von-bonn/DE-2086/lido/57c6a514933e88.19475405
https://de.wikipedia.org/wiki/Efraim_ben_Jakob
- Machsor:
https://de.wikipedia.org/wiki/Machsor
- Schalschelet ha-Kabbale: 'Kette der Tradition'
- Dr. Jost:
https://de.wikipedia.org/wiki/Isaak_Markus_Jost
- Neujahrsfest:
https://de.wikipedia.org/wiki/Rosch_ha-Schana
- Keduscha:
https://de.wikipedia.org/wiki/Keduscha
- E. Carmoly:
https://de.wikipedia.org/wiki/Eljakim_Carmoly . |
Die Juden zu Mainz im Mittelalter (XIII,
1865)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 29. November
1865: "Die Juden zu Mainz im Mittelalter. (Fortsetzung)
XIII. Die Verdienste des R. Gerschom Maor ha-Gola.
Nach dem Sturm von 1011 und 1012 trat eine Ruhe von mehr als 80 Jahren ein,
in welchem Zeitraume die Mainzer Schulen die höchste Stufe der Berühmtheit
erreichten. Aus allen jüdischen Gemeinden Deutschlands, Frankreichs und
Italiens kamen zahlreiche Jünger, um in die Wissenschaft des Judentums
eingeweiht zu werden. R. Gerschom ben Jehuda, der größte seiner
Zeitgenossen, wegen seiner hohen Verdienste 'die Leuchte der Zerstreuten',
Maor ha-Gola genannt, war ein geborener Franzose aus Metz, wo er ums
Jahr 960 das Licht der Welt erblickte. In seiner Jugend kam er nach Mainz,
um dort unter seinem Landsmanne, dem oben erwähnten R. Lion, zu
studieren. Er machte so große Fortschritte in seinem Studium, dass er seinen
Lehrer, nach dessen Tode, ersetzte. Aber seine Verehrung für den
verstorbenen Lehrer war so groß, dass er demütig gestand, wie wir bereits
bemerkt haben, er verdanke ihm sein ganzes Wissen.
R. Gerschom war ohne Übertreibung zu sagen, der größte Talmudist seiner
Zeit, er lehrte den Talmud mit einer Deutlichkeit und Umsicht, wie
schwerlich jemand vor ihm besser tat. Auf dieselbe Weise verfasste er auch
seine Erklärungen zum Talmud, die sich teilweise erhalten haben. Die fremden
Wörter suchte er darin auf Französisch zu erklären und es unterliegt kein
Zweifel, das er seinen Bruder R. Machir und seinen Schüler R. Nathan aus Rom
anregte, talmudische Wörterbücher zu schreiben. Das Wörterbuch des Ersten,
Alpha-Beta genannt, ist wenig bekannt geworden, hingegen wurde der
Aruch des Zweiten weltberühmt und ist heute noch den Talmudjüngern als
treuer Führer. |
R.
Gerschom war einer der ersten Kommentatoren, er erklärte den ganzen Talmud,
selbst diejenigen Traktate, welche nur ein theoretisches Interesse haben.
Wer die dunkle Sprache , die schwere Dialektik des Talmuds kennt, weiß,
welche Wissenschaft, welche Gotteskraft dazu gehört hat, ein solches Werk zu
kommentieren. Er schrieb auch Halachoth über einzelne Gesetze, als
Hilchot Trefot und über die Messora des Pentateuch. In der
hebräischen Dichtkunst versuchte er sich ebenfalls und er verfasste viele
Bußlieder, die einen tiefen Schmerz über Verfolgung der Juden seiner Zeit
beurkunden. Von den deutschen, französischen und italienischen Gemeinden als
höchste Autorität anerkannt, erhielt R. Gerschom von allen Seiten
gutachterliche Anfragen und war für diese Länder das, was R. Hai Gaon, sein
Zeitgenosse, für Babylonien, Afrika und Spanien war.
Aber mehr als seine zahlreichen Schüler, von denen wir weiter unten sprechen
werden, mehr als seine Talmudkommentarien, seine Rechtsgutachten und
sonstigen literarischen Erzeugnisse machten seine Verordnungen,
seinen Namen unsterblich. Diese Verordnungen des R. Gerschom, Tekanot
derabbi Gerschom, hatten den größten Einfluss auf die Sittlichkeit der
Israeliten in Deutschland, Frankreich und Italien, denn sie bestanden
hauptsächlich in der Abschaffung der Vielweiberei, und darin, dass keine
Ehescheidung ohne die Einwilligung der Ehefrau stattfinden könne. Ferner
befahlen die Verordnungen des Lehrers von Mainz das strengste
Briefgeheimnis, selbst in Bezug auf ein unversiegeltes Schreiben. In der
damaligen Zeit, wo die Briefpost nur durch Reisende besorgt wurde, war eine
solche Verordnung von der größten Wichtigkeit für die verschiedenen
Interessen der Korrespondenten.
Diese und die anderen Verordnungen wurden im Jahre 1020 in einer Synode zu
Worms
feierlich wie synhedrale Beschlüsse angenommen und die Übertreter derselben
mit Bann belegt. Die Synode wird namentlich in der alten Venediger Ausgabe
der Tekanot derabbi Gerschom angegeben: (Hebräisch) und in neuerer
Zeit von dem Grand Sanhédrin in Paris bestätigt. Siehe Décisions doctrinales
du Grand Sanhédrin, erster Artikel: 'Ce fut aussi pour rendre hommage à ce
principe de conformité en matière civile que la Synode convoquée à Worms en
4780 de nôtre ère, et présidée par le Rabbin Guerson, avait prononcé
anathéme contre tout de leur pays, qui épouserait plus d’une femme.'
Die Zahl der Anwesenden auf der Synode von Worms wird von einigen auf
hundert, von anderen auf hundertundfünfzig angegeben. In dieser Synode
wurden auch die drei Orte SCHU"M, das ist
Speyer.
Worms und Mainz als Gerichtshöfe für die Juden Deutschlands bestimmt und
mit vielen Vorrechten versehen. Vergleiche Chamischa Quntressim o.
qonteresim. Wien 1864, Seite 107 b: (Keholot SCHU"M. ...) . R.
Gerschom hatte das Glück, allenthalben in Deutschland, Frankreich und
Italien seine Verordnungen angenommen zu wissen, denn er starb acht Jahre
nach der Synode, im Jahre 1028, wie Joseph Louans, genannt Joselmann
Rosheim, in seinen Denkwürdigkeiten, handschriftlich in Oxford,
Oppenheimer’sche Sammlung, berichtet. Sein Freund und Kollege, R. Simon
ha-Gadol, starb viele Jahre vor ihm, wie wir im nächsten Paragraph sehen
werden.
(Fortsetzung folgt.). E. Carmoly."
Anmerkungen: - Gerschom ben Jehuda:
https://de.wikipedia.org/wiki/Gerschom_ben_Jehuda
https://schumstaedte.de/entdecken/memorstein-fuer-gerschom-ben-jehuda/
-
Talmud:
https://de.wikipedia.org/wiki/Talmud
-
R. Machir: Rabbi Machir ben Jehudah
https://en.wikipedia.org/wiki/Machir_ben_Judah
-
R. Nathan aus Rom:
https://de.wikipedia.org/wiki/Nathan_ben_Jechiel
-
Halachoth:https://www.wortbedeutung.info/Halachot/
-
Pentateuch:
https://www.bibelwissenschaft.de/bibelkunde/altes-testament/torapentateuch/
-
R. Hai Gaon:
https://de.wikipedia.org/wiki/Hai_Gaon
-
synhedral: Den Sanhedrin betreffend
https://de.wikipedia.org/wiki/Sanhedrin
-
Grand Sanhédrin:
https://de.wikipedia.org/wiki/Sanhedrin#Der_Sanhedrin_im_napoleonischen_Frankreich
Eines der Mitglieder war Rabbiner Samuel Levi (1751– 1813), Großvater des
Dirigenten Hermann Levi (1839 -1900):
https://www.lagis-hessen.de/pnd/1041787413
-
'Ce fut aussi…': "Das geschah auch, um dem Leitprinzip Reverenz zu erweisen,
welches bei der Synode in Worms im Jahr 4780 (1020 n. Chr.) festgelegt
wurde, um zivilrechtliche Fragen zu klären. Diese Synode unter dem Vorsitz
von Rabbi Gerschom sprach einen Bannfluch gegen jeden Israeliten im Land
aus, der mehr als eine Frau zur Ehe nahm." |
Die Juden zu Mainz im Mittelalter (XIV, Beitrag von 1865)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
6. Dezember 1865: "Die Juden zu Mainz im Mittelalter
(Fortsetzung.)
XIV. R. Simon ha-Gadol – R. Jehuda ha-Cohen – R. Elieser ha-Gadol
Die beiden Kollegen von R. Gerschom waren R. Simon ha-Gadol und R. Jehuda
ha-Cohen, der eine war älter und der andere jünger als er. R. Simon ben
Isaac ben Abon aus Mans in Frankreich hatte einen bedeutenden Namen als
neuhebräischer Dichter, oder Paetan, Talmudist und Agadaforscher. Er
verfasste eine große Anzahl von liturgischen Liedern, die den kalirischen
Mustern nachgebildet sind; gleich Kalirs Sprache ist auch die seinige hart
und wenig elegant. Ebenso nach Kalirs Weise aus der agadischen Literatur,
den Stoff seiner poetischen Kompositionen entnommen, machte auch seine
Erzeugnisse dunkel und schwer zu verstehen. Wie wir bereits bemerkt haben ,
richtete er rabbinische Anfragen an R. Meschullam in Spanien, ein Beweis,
dass R. Simon bereits in der Jugendzeit Rabbi Gerschoms mit einem Manne wie
R. Meschullam korrespondieren konnte. Auch starb er, nach dem Berichte R.
Joseph Louans, genannt Joselmann Rosheim, lange vor R. Gerschom, nämlich im
Jahre 775, das ist 1015. Was in Seder ha-Dorot S. 52 von seinem
Sterbejahre erzählt wird, ist eine Fabel.
R. Jehuda ha-Cohen gehörte zu den wenigen der alten Mainzer Gelehrten, deren
Schriften sich erhalten haben. Er war der jüngere Kollege von R. Gerschoms
und starb ums Jahr 1036. Er wird oft als Autorität von den Gesetzeslehrern
angeführt und Mainz hatte aus hoher Achtung für seine Lehren manches von ihm
in seinem Ritus aufgenommen. So z.B. schrieb R. Meschullam ben Moses aus
Mainz an seinen Bruder R. Nehemias, der ihn über die Haftara am
Neumond des Monats Tebet, wenn er auf den Samstag fällt, fragte: 'Wir finden
in den Halachot Pesukot, dass man: Juble und freue dich (Zacharia 2,
14) vorträgt, aber in unserm Orte (in Mainz) ist gebräuchlich, die Haftara
vom Neumond (Jesaia 66) herzusagen, zur Ehre des R. Jehuda ha-Cohen dem
Älteren, der so lehrte und wir beachten den Spruch: Wo der Baum gefallen,
dort sollen seine Früchte sich vorfinden.' Siehe Sefer ha-Pardes,
konstantinopolitanische Ausgabe, S. 60, Col. 4: (Hebräisch) Vergl. Or
Serua (Hebräisch) Nr. 394.
Seine Zeitgenossen jedoch hatten weniger Achtung für ihn, und namentlich war
E. Elieser ha-Gadol ein Gegner einiger seiner Ritualbescheiden, wie aus dem
Sefer ha-Parde, S. 49, zu ersehen ist. Als er nämlich beim Tod des R.
Jekutiel seinem Ekel R. Meschullam die Trauergebräuche für ihn zu halten
gebot, ließ es R. Elieser ha-Gadol nicht zu, und behauptete, dass
Kindeskinder keine Trauerzeremonien für ihre Großeltern zu beobachten
hätten.
Dieser R. Elieser ha-Gadol ist R. Elieser ben Isaac, ein Verwandte
des R. Simon ha-Gadol. Nach einem Berichte des R. Elasar aus
Worms,
abgedruckt im Mizraf lechachama Seite 14 b, starb R. Isaac, Vater des
R. Elieser ha-Gadol sehr frühe, während er noch sehr jung war. Da nahm ihn
R. Simon in sein Haus, erzog ihn und erteilte ihm Unterricht im Talmud, er
und R. Gerschom 'die Leuchte der Zerstreuten'. Auch R. Jehuda ha-Cohen soll
ihn, erwähnten Berichte zufolge, unterrichtet haben, was aber nach obiger
Erzählung nicht gut denkbar ist, denn R. Elieser wäre nie gegen seinen
Lehrer so aufgetreten, wie er es beim Tode des R. Jekutiel gegen R. Jehuda
tat.
Dem sei wie ihm wolle, so war R. Elieser ha-Gadol, ein ausgezeichneter
Gesetzeslehrer, voller Talmudkenntnisse. Aus seinem Lehrhause ging der
berühmte R. Isaac ben Jehuda hervor, der glorreiche Lehrer Raschis. Siehe
Sefer ha-Pardes, Seite 42 (Hebräisch). Raschi führt ihn unter dem
Namen 'R. Elieser Gaon ben Isaac' in seinen Kommentarien, Psalmen 76,11,
Hiob 24, 6, Pesachim 76 b. an. Tosafot, Sabbat 54 b, nennt ihn Lehrer
Raschis, wahrscheinlich, weil er der Lehrer seines Lehrers war. Übrigens
scheint R. Elieser wenig geschrieben zu haben, und alles, was man von seiner
Lehre weiß, beruht auf mündlichen Mitteilungen seiner Schüler und
Zeitgenossen. Er starb zu Mainz ums Jahr 1040 und hinterließ einen gelehrten
Sohn, der wie sein Großvater, R. Isaac hieß.
Unter den Schülern R. Elieser ben Isaac verdient auch R. Isaac ben
Menachem erwähnt zu werden, von dem noch eine handschriftliche
Rechtsfrage nebst der Antwort seines Lehrers vorhanden ist. Siehe Beit
Ha-Ozar, von S. D. Luzzatto, S. 56 b. Außer Raschi zitiert auch R.
Joseph Kara in seinem Kommentar zu Hiob 30,4 unsern R. Elieser ben Isaac
ha-Gadol. Bezüglich seines Schülers Isaac ben Menachem bemerken wir,
dass er ein Franzose war, in Orléans begraben und einer der drei berühmten
Brüder ist, nämlich R. Elia ben Menachem, der Stammvater des
Bené-Joigny, und er R. Isaac ben Menachem. Siehe Rga. Salomon Laurier
Nr. 29. Seine Schwester – nicht die Schwester Raschis, wie Zunz irrtümlich
angibt, Belletta, und nicht Chellit, wie Zunz ebenfalls
fehlerhaft bekannt macht, siehe Or Serua, Hilchat Nidda Nr. 363 und
Ozar Nechmod zweiter Jahrgang, Seite 10 – seine Schwester Bellette
also war wegen ihrer Kenntnisse bekannt. (Fortsetzung folgt.)
E. Carmoly
Anmerkungen: - Simon ben Isaac ben Abon: Simon, Sohn des Isaac, Isaac, Sohn
des Abon
- Agada:
https://de.wikipedia.org/wiki/Aggada
- Paetan:
https://de.wikipedia.org/wiki/Pijjut
- Kalir:
https://de.wikipedia.org/wiki/Elasar_ha-Qallir
- Rabbi Gerschom:
https://de.wikipedia.org/wiki/Gerschom_ben_Jehuda
- Seder ha-Dorot:
https://en.wikipedia.org/wiki/Seder_HaDoroth
- Jehuda ha-Cohen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Yehuda_ben_Meir
- Haftara:
https://de.wikipedia.org/wiki/Haftara
- Tebet:
https://de.wikipedia.org/wiki/Tebet
- Halachot Pesukot:
https://www.jewishvirtuallibrary.org/halakhot-pesukot
- Talmud:
https://de.wikipedia.org/wiki/Talmud
- Raschi:
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Raschi
- Tosafot:
https://de.wikipedia.org/wiki/Tosafot
- S.D. Luzzatto:
https://en.wikipedia.org/wiki/Samuel_David_Luzzatto
- Isaac ben Menachem:
https://www.encyclopedia.com/religion/encyclopedias-almanacs-transcripts-and-maps/isaac-ben-menahem-great
- Zunz:
https://de.wikipedia.org/wiki/Leopold_Zunz
- E. Carmoly:https://de.wikipedia.org/wiki/Eljakim_Carmoly |
Die Juden zu Mainz im Mittelalter (XV,
Beitrag von 1865)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 20. Dezember
1865: "Die Juden zu Mainz im Mittelalter. (Fortsetzung.)
XV. Andere Lehrer von Mainz, während des Zeitraumes 1012 – 1040
Nachdem wir nun die rabbinischen Oberhäupter der israelitischen Gemeinde in
Mainz ausführlich besprochen haben, so wenden wir unsere Blicke zu den
anderen Lehrern dieser Stadt während jener Zeit, nämlich zwischen den Jahren
1012 und 1040. Diese Lehrer lehrten in den verschiedenen
Unterrichtsanstalten und wurden osekei begarsa, oder amlei tora
bezeichnet. An der Spitze der ersten standen:
R. Samuel ben Jona, ein Mann, wegen seiner tiefen Gelehrsamkeit und
seines frommen Wandels gleich ausgezeichnet, ein Freund R. Gerschoms
R. Kalonymos, Sohn von Moses, des oben genannten R. Moses ben
Kalonymos Sohn. Von ihm ist wenig bekannt geworden und selbst sein Name wäre
vielleicht verloren gegangen, wenn kein Nachkomme R. Elasar aus
Worms, ihn
nicht aufbewahrt hätte. Siehe miztaraf letachamah (?)
R. Lion ben Mordechai, ein geborner Franzose, durch seinen
Briefwechsel mit R. Gerschom bekannt.
R. Meir ha-Cohen, ein Sohn des obenge- |
nannten
R. Abraham ha-Cohen. Von diesem Gelehrten ist auch wenig auf die Nachwelt
gekommen, nur hie und da enthält der jüdische Ritus etwas von ihm.
Namentlich erwähnt ihn sein Sohn, Abraham ha-Cohen; siehe unter anderem
Sefer ha-Pardes, Seite 22, col. 4.
An der Spitze der zweiten wirkte R. Samuel ha-Cohen, Sohn des
obengenannten R. Jehuda ha-Cohen, Sohn des obengenannten R. Jehuda ha-Cohen,
ein Mann von großer Gelehrsamkeit im Talmud und in den Kasuisten. Das Buch
Pardes und das Buch Or Serua machen seinen Namen berühmt, und
erwähnen viele Rechtsbescheide, die er im Laufe seines Amtes erteilte. In
diesen Rechtsbescheiden beruft er sich auf seines Vaters Autorität, die nach
dessen Tode allgemein anerkannt war.
An seiner Seite lehrte der berühmte R. Amram, über den viel geschrieben
wurde und dessen sich auch die Sage bemächtigte. Jedes Märchen ist, wie
Dippoldt, Leben Kaiser Karls des Großen, S. 47, bemerkt, wie echte
Geschichte ehrwürdig, denn es spiegelt sich das Wahre selbst oder der Geist
der Zeit in ihm. Ein dichterisches Gemüt schildert ein seltenes Ereignis
wunderbar; es will die Schrift der Tat gleich machen und schreibt mit
gutmütigem Sinne Fabeln.
R. Amram war, wie aus Or Serua, Halachot Kriat arba paraschiot
umoadim Nr. 389, zu ersehen ist, ein gelehrter Kasuist und wechselte mit
R. Samuel ha-Cohen Ritualfragen. Später scheint R. Amram nach Köln
übergesiedelt zu sein, um dort eine Rabbinerschule zu gründen. Er starb
daselbst, nachdem er zahlreiche Talmud-Jünger ausgestellt hatte. Die Sage
erzählt nun, dass er während seiner Krankheit seinen Schülern den Wunsch
geäußert hatte, zu Mainz bei seinen Eltern begraben zu werden. Auf die
Vorstellung derselben, dass dies nicht ohne Gefahr geschehen könne, habe er
ihnen erwidert: Wenn ich gestorben bin, reinigt mich, legt mich in einen
Sarg, stellt denselben in einen Nachen auf den Rhein und lasst ihn allein
gehen, wohin er will. Nachdem er gestorben, hätten sie seinen Wunsch erfüllt
und der Nachen sei ohne Führer den Rhein aufwärts bis gegen die Stadt Mainz
getrieben. Als hier die Leute das große Wunder gesehen, so suchten sie
vergebens, den Nachen ans Land zu bringen. Denn so oft sie nach ihm griffen,
um ihn ans Ufer zu ziehen, sei er rückwärts gewichen Die Leute hätten dies
dem Bischof gemeldet und die ganze Bevölkerung von Mainz sei an den Rhein
gelaufen. Als darunter auch die Israeliten gewesen, wäre der Kahn gegen sie
geschwommen. Darauf hätten auch die Christen nochmals nach dem Nachen
gegriffen, ihn aber nicht erreichen können, weil, so oft sie danach
gegriffen, er jedes Mal zurückgewichen sei und man offenbar gesehen, dass er
nur zu den Juden gewollt. Die Christen hätten nun den Israeliten zugerufen,
in den Kahn zu gehen und zu sehen, |
was
darin sei. Diese wären hineingestiegen, hätten einen Sarg gesehen, ihn
aufgemacht und darin einen Toten gefunden, bei dem ein Brief gelegen, in
welchem geschrieben stand:
'Meine lieben Brüder und Freunde, Ihr Israeliten der heiligen Versammlung zu
Mainz, ich bin zu Euch gekommen, den ich bin in der heiligen Gemeinde zu
Köln gestorben und verlange, dass Ihr mich bei meinen Eltern begraben möget,
und wünsche Euch allen Leben und Friede. So spricht: Amram.'
Die Juden hätten hierauf heftig geweint und den Sarg ans Land gebracht. Da
erdreisteten sich die Einwohner der Stadt, sich dessen zu bemeistern und die
Juden zu schlagen, sie hätten aber den Sarg nicht von der Stelle bringen
können. Der Bischof habe nun befohlen, den Sarg allda zu verwahren, dass er
nicht von den Juden weggeführt werde, und hätte darüber eine große Kirche
erbauen lassen. Alle Verwendungen und Bitten der Juden, den Sarg zu
erhalten, seien abgewiesen worden. Indessen sei R. Amram alle Nächte zu den
Studenten in Mainz gekommen und habe zu ihnen gesprochen: 'Begrabet mich bei
meinen Eltern.'
Da hätten sie sich entschlossen, den Wunsch des Toten zu erfüllen und wären
bei Nacht aus der Stadt gegangen, hätten einen Dieb vom Galgen genommen, ihm
weiße Kleider angetan, den R. Amram aus dem Sarg geholt, den Dieb an seinen
Platz gelegt und den Gaon bei seinen Eltern begraben. Gott war mit ihnen,
und die Sache blieb verschwiegen.
Diese Sage fand Gedalia ben Jechia in einer alten Schrift und nahm sie in
seiner Traditionskette, S. 36, auf. Das Maasebuch entlehnte
sie der Traditionskette und da dem Verfasser die St. Emmeranskirche in Mainz
und
Regensburg vorschwebte, so schrieb er, das einige behaupten, diese
Geschichte habe sich in Regensburg zugetragen, was in seiner Quelle nicht
angegeben ist. Dem sei, wie ihm wolle, so wusste Gedalia ben Jechia nichts
von unserem R. Amram aus Mainz, und da ihm kein anderer R. Amram bekannt
war, als der Gaon dieses Namens von Sura, so setzte er diese Sage unter
dessen Artikel. Dieser verursachte eine neue Sage, dass der babylonische R.
Amram Gaon in Mainz begraben liege. (Fortsetzung folgt).
E. Carmoly
Anmerkungen: - R. Amram:
https://de.wikipedia.org/wiki/Amram_von_Mainz
- Rabbi Gerschom:
https://de.wikipedia.org/wiki/Gerschom_ben_Jehuda
- R. Kalonymos:
https://de.wikipedia.org/wiki/Kalonymiden
- Dippoldt: Hans Carl Dippoldt, Historiker 1783 -1811
- Gedalia ben Jechia:
https://de.wikipedia.org/wiki/Gedalja_ibn_Jachja
- Gaon:
https://de.wikipedia.org/wiki/Gaon
- Sura:
https://de.wikipedia.org/wiki/Sura_(Babylonien)
- St. Emmeranskirche:
https://de.wikipedia.org/wiki/Kloster_Sankt_Emmeram
https://de.wikipedia.org/wiki/Sankt_Emmeram
- E. Carmoly:
https://de.wikipedia.org/wiki/Eljakim_Carmoly |
Die
Juden zu Mainz im Mittelalter (XVI, Beitrag von 1866)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 3. Januar
1866: "Die Juden zu Mainz im Mittelalter (Fortsetzung)
XVII. Die Weisen Lothariens
Die Gründer der Talmudschule in Mainz waren, wie wir gesehen haben, zum
größten Teil Franzosen oder Abkömmlinge von Franzosen, als R. Lion, R.
Gerschom, R. Simon usw. Aber auch ihre Jünger und Nachfolger, bis in die
Zeit der ersten Kreuzzüge, waren fast alle französische Gelehrte, namentlich
aus Lothringen, 'dem klassischen Lande des Talmudstudiums', wie es Dr. Grätz
nennt. Besonders waren mitten im elften Jahrhundert die Weisen Lothariens,
Chachme Lothar, in Mainz und auch in
Worms und
Speyer
sehr gefeiert. Wir beschränken uns hier auf die von Mainz und führen ihre
Geschichte bis zum Jahre 1096, der größten Verfolgungszeit der Juden in den
Rheinstädten.
Jakob ben Jakar ist als der Hauptträger des rabbinischen Wissens in
Mainz ums Jahr 1040 anzusehen. Er war einer der ausgezeichneten Schüler des
R. Gerschom Moar ha-Gola und ältester Lehrer Raschis. Alle, die jetzt über
diesen großen Mann geschrieben haben, konnten den Ort nicht angeben, wo er
lebte und lehrte, allein aus Sefer ha-Pardes, Seite 31, Col. 3, geht
hervor, dass sein Wohnort der Ort R. Elieser ha-Gadols war, nämlich Mainz.
Jakob ben Jakar wurde sehr alt und starb erst, wie Sacut im Sefer Juchasin
berichtet, im Jahr 1070, als er volle 30 Jahre lang der Hochschule
vorgestanden hatte.
Raschi nennt ihn gewöhnlich höchst verehrend: 'Der Alte' oder 'mein ältester
Lehrer'. Der Unterricht, den er und folglich auch die anderen Jünger, von
ihm erhielten, bestand sowohl in der Bibel als im Talmud, während die
anderen Lehrer Raschis ihn nur im Talmud unterwiesen. Er bezeichnete ihn
daher auch unter der Benennung 'vom Lehrer des Talmuds und der Bibel', z. B.
Pesachim, Seite 111: (hebräisch und deutsch:) 'aus dem Munde des
Lehrers, vom Talmud und der Bibel, der es hörte aus dem Munde seines
Lehrers'. Sein Enkel und Jünger R. Samuel ben Meir, Raschbam genannt,
schreibt am angeführten Ort (hebräisch und deutsch): 'so hörte unser
Lehrer aus dem Munde seines Lehrers und sein Lehrer aus dem Munde R.
Gerschoms.'
Von den Schriften des gefeierten Lehrers, zitiert Raschi namentlich seinen
Kommentar zum Talmud, Traktat Cholin, siehe Bechorot, Seite 41. Das Sefer
ha-Pardes und andere kasuistische Werke erwähnen oft seine Rituallehre.
Von seiner Pietät erzählt das Sefer Chassidim Nr. 128, dass er mit
seinem langen Barte in der Synagoge vor dem heiligen Schranke gelehrt habe.
'Maase beRabbi Jakar schähaja ... lifnei Aron Hakodesch'.
Jakob ben Jakar war sehr arm, denn er hatte kein Vermögen und wollte doch
vom Unterricht keinen Genuß haben. Man erzählt, dass er beim Besuch des
Gemeindevorstandes, beim König oder beim Befehlshaber jedes Mal barfuß
erschien, indem er zu sagen pflegte: 'Ich bin arm, die andern Mitglieder
sind reich, sie kommen mit Geld, ich mit Barmherzigkeit und Flehen, so dass
sie mit dem Ihrigen das beabsichtigen, was ich mit dem Meinigen zu wirken
suche. (Sefer Chasidim, ebend.).
Dass auch der Vater von unserm Rabbiner aus Mainz kein ungelehrter Mann war,
ergeht aus Raschi zum Traktat Sabbat, Seite 80b. Kinder scheint R. Jakob ben
Jakar nicht hinterlassen zu haben, wenigstens keine gelehrten, denn nirgends
werden dergleichen erwähnt. Von seinen Rechtsgutachten und Entscheidungen
haben sich einige erhalten. Siehe Rechtsgutachten von Rabbi Meir von
Rothenburg.
Wenn von R. Isaac ben Jehuda in Kolbo Seite 95 und Schebule
ha-Leket Seite 83 gesagt wird, er sei ein Franzose, so bezieht sich dies
auf Lothringen, sein und R. Isaac ha-Levis Vaterland: 'Maase uwou
rabeini Lothir rabi Jizchak halevi Jizchak bar Jehuda' (Sefer ha-Pardes
Seite 35). Er war ein Schüler R. Eliesers des Großen (Ibid. Seite 42) und
Raschis zweiter Lehrer, den dieser bald mori und bald mori raw
und bald mori zedek nennt. Dass Raschi sein Verwandter war, geht aus
zwei Antwortschreiben an ihn, die im Chofes Matmonim abgedruckt
hervor, siehe Seite 10 bis 11.
Isaac ben Jehuda war viel jünger als Jacob ben Jakar; er erwähnt ihn, wie
Raschi zu Sabbat, S. 23, berichtet: Mazati beschem rabenu Jizchak bar
Jehudah...'. Anfangs lehrte er in
Worms
(vergleiche Sefer ha-Pardes, S. 21 d: (Hebräisch); als er aber
da nicht gehörig geachtet wurde, wie der Verfasser von Hagahot Maimoniot
'Rabenu Jizchak bar jehuda jaza mibeit haknesset, Kapitel 13,
berichtet (Hebräisch), ging er nach Mainz. Hier nahm er nach dem Tode
R. Jakob ben Jakars seine Stelle ein und handhabte da die Gebräuche seines
Lehrers R. Elieser ha-Gadol. Vergleiche Ascheri R"H, Kapitel 'URabenu
Jizchak Bar Jehuda..."..
Von Mainz aus verbreitete sich sein Ruf weit und breit und von allen Seiten
erhielt er Anfragen, die er mit besonderer Vorliebe beantwortete. Auch
Raschi korrespondierte mit ihm, wie man aus vielen seiner handschriftlichen
Bescheide ersieht. Aus den ersten oben erwähnten gedruckten Antworten an
Raschi geht hervor, dass R. Isaac ben Jehuda ein Levite war, was sich
in den Tosafot zu Succa Seite 36 bestätigt findet. Denn was Raschi dort
Seite 35b im Namen 'R. Isaac ben Jehuda' erwähnt, geben die Tosafot im Namen
'R. Isaac ben Jehuda ha-Levi'. Dass hier aber nicht vom dritten Lehrer 'R.
Isaac ha-Levi' die Rede sein kann, beweist der Vatername 'Jehuda', weil der
Name des Vaters von Raschis drittem Lehrer nicht 'Jehuda' , sondern 'Elasar'
war. |
Wenn
es wahr ist, wie der Verfasser von Hagahot Maimoniat halechut
hamez umaze, Kapitel 8, angibt: '..dass R. Isaac ben Jehuda aus dem
Munde R. Gerschoms gehört habe,' so muss unser Lehrer aus Mainz ein hohes
Alter erreicht haben, denn er starb ums Jahr 1080. Von den Schriften, die er
hinterließ, nennen wir, außer seinen Rechtsgutachten, die sich erhalten
haben, seinen Kommentar zum Traktat Baba Kama, von Raschi zu Berachoth Seite
39 angeführt.
Sein Sohn R. Jehuda, dessen Frau Judith und ihr Kind Isaac,
fielen im Jahr 1096 als erste Opfer der Volkswut. Ihre Namen befinden sich
an der Spitze der zu Mainz im ersten Kreuzzuge erschlugenen Märtyrer: (Hebräisch).
Dieses Verzeichnis, welches das Memorbuch, Teil II, Seite 92b, 93 a und b
und 94 a und b enthält, werden wir bei der Beschreibung der Metzeleien der
Juden in Mainz während des Kreuzzuges im Jahre 1096 im folgenden Paragraphen
ausführlich besprechen. Wir werden daraus die Nachfolger der 'Weisen
Lothariens' kennen lernen, die vom Jahre 1081 bis 1096 in Mainz wirkten.
Auch die Namen der Gemeindevorsteher HaParnasim und HaGabajim,
bezeichnet und die Liste, Männer, die am Tage der Versuchung ihre Treue
bewahrten und sich an der Spitze ihrer Gemeinde mutig dem Glauben ihrer
Väter opferten und den Heiligen Israels huldigten! E. Carmoly."
(Anmerkungen: Rabbi Gerschom:
https://de.wikipedia.org/wiki/Gerschom_ben_Jehuda
Talmud:https://de.wikipedia.org/wiki/Talmud
Dr. Grätz:
https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Graetz
Gerschom Moar ha-Gola: Siehe Rabbi Gerschom
Raschi:
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Raschi
Elieser ha-Gadol:
https://en.wikipedia.org/wiki/Eliezer_ben_Isaac_ha-Gadol
Kasuistik:
https://de.wikipedia.org/wiki/Kasuistik
Genuß: (Hier): Bezahlung
..vor dem heiligen Schranke:
https://de.wikipedia.org/wiki/Toraschrein
Sefer Chasidim:
https://en.wikipedia.org/wiki/Sefer_Hasidim
Meir von Rothenburg:
https://de.wikipedia.org/wiki/Meir_von_Rothenburg . |
Die Juden zu Mainz im Mittelalter (XVII,
Beitrag von 1866)
Zu den Verfolgungen 1096 vgl. u.a. die Darstellung in den Seiten von
https://www.christen-und-juden.de/index.htm?html/kreuzzuege.htm /
https://www.christen-und-juden.de/html/kreuz_WO.htm
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 24. Januar
1866: "Die Juden zu Mainz im Mittelalter. (Fortsetzung)
XVII. Die Kreuzzügler in Mainz
Die Zeit des ersten Kampfes des Christentums gegen den Islam, der Völker des
Abendlandes gegen die des Morgenlandes, am Ende des elften Jahrhunderts, war
eine Periode blutiger Verfolgung der Juden, namentlich in den Rheinstädten.
Von einem Orte zu andern ertönte das Mordgeschrei: 'Die Juden haben den
Heiland gekreuzigt. Rache und Tod über sie!' und wie die 'Wölfe der Wüste'
fielen die Kreuzfahrer über die armen Juden, die von einem solchen Entsetzen
ergriffen wurden, dass viele ihre Kinder und sich selbst mit Messern
erstachen.
Nach Mainz kamen die blutigen Wallbrüder unter Emichos Anführung. Emicho von
Leiningen, ein geldgieriger und blutdürstiger Mensch, dem ebenso nach dem
Vermögen der Juden als nach deren Blut gelüstete, scheint mit dem
Erzbischofe von Mainz, seinem nahen Verwandten, einen schrecklichen Plan
getroffen zu haben. Ruthard lud sämtliche Juden ein, im erzbischöflichen
Palaste Schutz zu suchen, bis der Sturm vorüber sein werde. Die
unglücklichen Israeliten, die an seine Worte glaubten, übergaben ihm ihre
Reichtümer und lagerten sich, über 1.300 an der Zahl, in seinem Hofe, mit
bangem Herzen und inbrünstigem Gebete.
Schon mit Tagesanbruch, Dienstag den 27. Mai, führte Emicho die Kreuzfahrer
vor die bischöfliche Residenz und forderte mit wildem Geschrei die
Auslieferung der Juden. Die Wache, die der Erzbischof zum Schein aufgestellt
hatte, rührte sich nicht, und die rohe Horde drang ohne Hindernis in das
Innere des Palastes. Nun begann ein entsetzliches Gemetzel, alle 1.300 Juden
fielen, jung und alt, Männer und Frauen mit dem Einheitsbekenntnis auf den
Lippen durch das Schwert des Feindes oder das Messer des Freundes. Denn, um
der wilden Horde zu entgehen, erstachen mehrere einander.
An ihrer Spitze starben in frommer Ergebung und alle zur Treue an Gott und
seine heiligen Gesetze aufmunternd, die Vorsteher der Gemeinde, Kalonymus
ha-Pardes, Mordechai ha-Gabbai und David ha-Gabbai. Auch die ganze
Familie des edlen Kalonymus folgte dem Beispiele ihres Oberhauptes, so seine
biedere Frau Bella; sein gottesfürchtiger Sohn Joseph ging freiwillig
in den Märtyrertod, er ließ sich schlachten. Auch seine zwei Tochtermänner,
Meschullam und Schemarja, nebst Gattin des Letzeren, fielen als Opfer.
Ebenso starb die Familie des frommen David ha-Gabbai, zur Standhaftigkeit
von ihm erwähnt, nämlich: Seine edle Frau Rachel, sein treuer Sohn
Kalonymus, dessen Gattin Bella, sein Tochtermann Alexander
nebst Frau und Kindern. Die Ehegatten des Mardochai ha-Gabbai, Bellette
und ihr Sohn Israel ergaben sich mutig in dasselbe Schicksal und mit
ihnen die ganze Gemeinde. Unter den vielen Opfern, die unsere Märtyrerliste
anführt, bemerkt man eine Anzahl von Selbstentleibten. Bemerkenswert sind
viele seltene Namen der Märtyrer, besonders bei den Frauen als Urgia,
Genana, Parmischa, Schekolster. Einige sind hebräisch und zum Teil
poetisch, als Segula, Josifia, Chefzi Bah.
Die Träger der Talmudgelehrsamkeit aus der Lehranstalt der Weisen Lothariens
fielen alle an jenem schrecklichen Tage und mit ihnen verschwand der Glanz
der Mainzer Schule. Sieben derselben werden namhaft gemacht: Der bereits
erwähnte R. Jehuda, Sohn des R. Isaac ben Jehuda, R. David,
R. Jehuda ha-Levi, R. Isaac, R. Menachem ben David ha-Levi,
R. Samuel ha-Cohen und R. Samuel ha-Bachur. Sie starben alle
mit Frauen, Kindern und Schülern den Märtyrertod, mit dem Bekenntnisrufe:
'Der Herr, unser Gott ist einzig.'
Die Schätze der Juden behielt der Erzbischof und teilte sie mit Emicho.
Sechzig Israeliten, die noch in dem Dom verborgen waren, ließ Rutbar nach
dem Rheingau führen, angeblich um sie zu retten; aber sie wurden bald
ergriffen und geschlachtet. Zwei andere Israeliten, Urya und Isaac, mit des
letzteren zwei |
Töchtern,
die beim allgemeinen Gemetzel verschont blieben weil man sie mit Gewalt
taufte, wollten nicht nur den Tod ihrer Religionsgenossen nicht überleben,
sondern die an ihnen vollzogene Taufe, obgleich gegen ihren Willen, trieb
sie zu einer schaudererregenden heroischen Tat. Isaac schlachtete zwei Tage
später am Vorabende des Pfingstfestes seine Tochter in seinem Hause und
legte seine Wohnung in Brand. Darauf begab er sich mit seinem Gefährten Urya
in die Synagoge, zündete sie ebenfalls an und beide starben den Feuertod
durch eigne Hand.
Diese besonderen Umstände erzählt Elieser ben Nathan ha-Levi in seinem
'Bericht über die Leiden des Jahres 1096', Seite 6. Unsere megilat
HaNeharganim, Seite 93, weiß nichts von Taufe, nichts von zwei Tage
später erfolgtem Tode, sie berichtet nur, dass Urija und Isaac,
dessen Frau Schekolster und ihre Kinder Samuel und dessen Schwester
in der Synagoge abgeschlachtet und verbrannt wurden: 'Mar Uria uMar
Jizchak weischto marat schekolster ubeneihem Schmuel we achoto nischchatu
wenischrafu bebeit haknesset.'
Dem sei, wie es wolle, so verdient noch ein Märtyrer erwähnt zu werden, ich
meine Mar Durbal, der nebst seinen Kindern erschlagen wurde. Es ist
ein Name, der in einem merkwürdigen Rechtsbescheide vorkommt, der in Mainz
gleich nach der Verfolgung von 1096 erteilt wurde, und manches Interessante
für die Geschichte der Juden zu Mainz enthält. Dieser Rechtsbescheid, der in
R. Meir Rothenburgs Rechtsgutachten Nr. 501 der Prager Ausgabe abgedruckt
ist, handelt über ein Buch, das dem Mar Dubal gehört hatte. R. Moses ben
Jekuthiel ließ R. Mordechai vor das Gericht der Rabbiner Abraham ben Meir
ha-Cohen und Kalonymus ben Isaac laden. 'Ich bin', sagte der Erste, 'zum
Vormund der Waise David's ben Salomon ernannt und fordere von Dir, dass Du
das Buch, das Du von Mar Durbal in Händen hast, dem Waisenknaben zustellest,
denn er ist ein Brudersohn von Mar Durbal, der nebst seinen Kindern in der
Verfolgung umkam und nun dessen einziger Erbe ist.'
Der Zweite antwortete: 'Das Buch von meinem Schwiegervater Mar Durbal, das
ich besitze, ist mein, denn mein Schwiegervater und seine Kinder wurden
ermordet; da keine Zeugen da sind, die bezeugen können, wer zuerst getötet
wurde, behaupte ich, dass zuerst mein Schwiegervater erschlagen wurde, dann
seine Söhne, sodass seine Tochter die einzige Erbin wurde und als auch diese
umgebracht wurde, so erbte ich, ihr Mann, wie jeder Ehemann seine Frau
beerbt. Gesetzt aber, meine Frau wäre vor ihren Brüdern gestorben, so wären
meine Kinder, die Kinder von der Tochter von Mar Durbals diejenigen, die
ihre Onkel beerbten, ich behalte daher das Buch in ihrem Namen.'
Die Richter nach verschiedenen Gründen, die sie weitläufig
auseinandersetzten, verurteilten R. Mordechai, das Buch dem Waisenknaben
David zu geben, der allein als Erbe des Mar Durbol zu betrachten sei. Wir
sehen aus dieser Behandlung, dass nicht alle Juden von Mainz umkamen,
sondern, dass viele Rettung gefunden haben, die sich bald nach dem Abzug der
Kreuzfahrer wieder sammelten und an ihre Spitze die zwei genannten Rabbiner
als Richter setzten.
R. Abraham ben Meir ha-Cohen, Verfasser des Sefer ha-Dinim. Man hat
von ihm ein Trauerlied äschag Menachem libi über die Leiden des
Jahres 1096.
R. Kalonymus ha-Saken, Enkel des R. Elieser des Großen. Sein Vater ist der
R. Isaac, den wir als einen der sieben gelehrten Märtyrer
kennengelernt haben. Auch er stimmte Trauerlieder auf die genannte
Verfolgung an: Mi jiten Roschi Majim.
Auch sein Onkel R. Tobia ben Elieser, der sich nach Palästina gerettet hat,
beklagt in seinem Midrasch zum Pentateuch und den fünf Megillot, welcher
Lekach Tob genannt wird, Parschat emor, den Untergang der
heiligen Gemeinde in Mainz, seiner Vaterstadt: 'weani kotew lehiot
sikaron maaseh...' (Fortsetzung folgt).
Anmerkungen: - Emicho von Leiningen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Emicho_(Kreuzfahrer) )
- Erzbischof Ruthard:
https://de.wikipedia.org/wiki/Ruthard_(Mainz) )
- Kalonymus:
https://de.wikipedia.org/wiki/Kalonymiden
- ha-Parnes: 'der Gemeindevorsteher'
- ha-Gabbai:
https://de.wikipedia.org/wiki/Gabbai_(Synagoge)
- Tochtermänner: Schwiegersöhne
- Meir Rothenburg:
https://de.wikipedia.org/wiki/Meir_von_Rothenburg
- Midrasch:https://de.wikipedia.org/wiki/Midrasch
- Megilla:
https://de.wikipedia.org/wiki/Megilla_(Mischna)
- R. Tobia ben Elieser
https://de.wikipedia.org/wiki/Tobia_ben_Elieser. |
Die Juden zu Mainz im Mittelalter (XVIII,
Beitrag von 1866)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 31. Januar
1866: "Die Juden zu Mainz im Mittelalter. Fortsetzung.
XVIII. Klagen der übergebliebenen Juden von Mainz beim Kaiser gegen Ruthard
und Konsorten
Wie wir bereits im vorigen Paragraphen bemerkt haben, sind mehrere bei den
großen Metzeleien gerettet worden, wahrscheinlich durch treue Bürger, die
gewissenhafter als der Erzbischof waren. Andere, die aber nachher wieder zum
Judentum zurückgekehrt sind, mögen sich durch die Taufe gerettet haben, denn
Kaiser Heinrich IV. erlaubte im Jahr 1097 Allen, die wider ihren Willen
getauft wurden, Juden zu bleiben. Dieser edle Monarch, der im Jahre 1098 von
Straßburg, wo er einen Reichstag gehalten, den Rhein hinunter nach Mainz
kam, ordnete daselbst eine Untersuchung wegen des Vermögens der vor zwei
Jahren ermordeten Juden an. Die Juden von Mainz hatten nämlich beim Kaiser
Klage geführt: Ihre Eltern und Verwandten seien durch Kreuzfahrer im Jahre
1096 nicht allein ermordet worden, sondern die Verwandten des Erzbischofs
Ruthard, besonders der Graf Emicho zu Leiningen, im Einverständnis mit dem
Erzbischof, hätten sich ihrer Schätze, die sie in den erzbischöflichen
Palast niedergelegt, angeeignet. Aber keiner der Angeklagten erschien, der
Aufforderung gemäß, sich zu verteidigen. Ruthard, der kein gutes Gewissen
hatte und beschämende Entdeckungen fürchtete, entfloh gar nach Erfurt.
Darauf zog der Kaiser die Einkünfte seines Erzbistums ein (Vergl. Schaab,
Geschichte der Juden, 12 und Grätz, Geschichte der Juden, VI, 111).
Von den zwei Richtern, die zur selben Zeit (1098) an der Spitze der Gemeinde
standen, ging der eine, R. Kalonymos ben Isaac, später nach Speyer,
wo er Anno 1106 starb. Er hatte den Befehl hinterlassen, ihn nach seinem
Tode nach Mainz zu bringen, um ihn dort bei seinen Eltern zu begraben. Da
dies aber nicht geschehen konnte, weil die Stadt gerade belagert war (vergl.
Lehmans Chronik von Speyer, Band IV, Kapitel 39), so legte man ihn in einen
Sarg neben der Reinigungskapelle bis nach der Belagerung; dann wurde er nach
Mainz gebracht und dort feierlich neben seinen Eltern begraben (R. Meir aus
Rothenburg, Rechtsgutachten Nr. 403).
Der zweite R. Abraham ben Meir ha-Cohen blieb in Mainz, von wo aus er
mit Raschi korrespondierte und von ihm Bescheide erhielt. Siehe Sefer
ha-Pardes 33 d, Temim Deim 138. Durch ihn erfuhr wahrscheinlich Raschi, dass
die frommen, treugebliebenen Juden in Deutschland, die zum Judentum
zurückgekehrten Brüder nicht mehr als ihre Religionsgenossen betrachten
wollten. Da schrieb der edle Rabbiner von Troyes, wie einst R. Gerschom Maor
ha-Gola tat: 'Ferne sei es von uns, uns von den Zurückgebliebenen
abzusondern und sie zu beschämen! Alles, was sie getan haben, geschah aus
Furcht vor dem Schwerte und sie hatten nichts Eiligeres zu tun als zum
Judentum zurückzukehren.' (Sefer ha-Pardes p. 23 d., vergl. Grätz Geschichte
der Juden VI, 114).
R. Abraham ben Meir ha-Cohen stand auch im Briefwechsel mit R. Jacob ha-Levi
(siehe Rechtsgutachten Sal. Aderet 2, Nr. 30) und verfasste nach RABI'H
§ 932 ein ch k r t, das aber nicht auf uns gekommen ist. R. Abraham starb
ums Jahr 1110 und hinterließ einen Sohn, R. Elieser ha-Cohen,d er sich
keines großen Rufes erfreute. Nach unserm R. Abraham ben Meir ha-Cohen
lehrte in Mainz ein Rabbiner, der sich durch Schriften bekannt gemacht hat,
R. Kalonymos ben Jehuda. Aber ehe wir uns über diesen Gelehrten aussprechen,
wollen wir zuerst ein Dokument bekannt machen, das hier von den sieben
talmudistischen Märtyrern erwähnt und als ein Bei- |
trag
zur Geschichte der Mainzer Rabbiner, seit dem ersten Kreuzzuge, dienen kann.
Dieses Dokument, das im Rokeach § 355 und in R. Meir aus Rothenburg,
Rechtsgutachten Nr. 17, erwähnt wird, erzählt, wie in Mainz im Jahre 1093
Paraschat Ki teze, sich zwei Bräutigame in der Synagoge befanden, über
deren Zeremonien bei dem Toralesen eine Diskussion zwischen den Gelehrten
entstand. 'R. Isaac ben Elieser ha-Gadol' war einer Meinung und 'R. Samuel
ha-Cohen' war einer Meinung. Dem Letztern stimmte 'R. Menachem ben David
ha-Levi' bei, da erhob sich 'R. Jehuda ha-Levi', der Vorbeter und begann den
Reschut des Hochzeitsabbat für den einen Bräutigam und las die andere
Hälfte der Parascha, dann den Reschut für den andern Bräutigam
und las die andere Hälfte der Parascha.
Wir ersehen aus dieser Diskussion, dass R. Isaac ben Elieser ha-Gadol drei
Jahre vor dem ersten Kreuzzuge in Mainz lebte und folglich der Märtyrer R.
Isaac, wie wir schon bemerkt haben und kein anderer ist. R. Samuel ha-Cohen
und R. Menachem ben ha-Levi sind, was keinem Zweifel unterliegt, die beiden
Märtyrer dieses Namens, ebenso R. Jehuda ha-Levi, der nach dem Dokument
Vorbeter der Gemeinde war.
Nach dieser kurzen Unterbrechung kehren wir zu dem Nachfolger R. Abraham
ha-Cohens, R. Kalonymos ben Jehuda zurück. Er blühte zwischen 1110 und 1125
und wird, um ihn von R. Kalonymos ben Isaac zu unterscheiden, Kalonymos
haBachur, 'der Jüngere' genannt. R. Kalonymos war ein Synagogaldichter
und schrieb viele Festgebete und Klagelieder, die der deutsche Ritus
übernommen hat und die heute noch in Deutschland gesungen werden. Seine
Gesänge sind zum Teil leicht an Stil und nicht ohne Gedanken. Aber viele von
den ihm zuerkannten Gedichten sind von einem andern Kalonymos, nämlich von
R. Kalonymos ben Isaac, genannt haSaken, 'der Ältere', dem z.B. die
Klagen über die Opfer der ersten Kreuzzüge, die ihm vorlagen und die er
nachahmte, angehören. Überhaupt alle Stücke, die nicht mit seinem
vollständigen Namen bezeichnet, sind zweifelhaft; weil es viele Rabbiner
dieses Namens gab, die Synogogalpoesien geschrieben haben.
R. Kalonymos ben Jehuda hatte zum Kollegen R. Eliakim ben Joseph, der ihn
überlebte und noch 1145, da er schon in sehr vorgerücktem Alter stand,
erwähnt wird. Vergleiche Ascheri, Rosch ha-Schana, Kap. IV: (Hebräisch).
Unter beiden Lehrern studierte der gelehrte R. Elieser ha-Nathan, wie er
selbst bezeugt, in seinem Eben ha-Eser § 19, mit folgenden Worten: (Hebräisch).
R. Eljakim ben Joseph war ein gelehrter Gesetzlehrer und korrespondierte mit
R. Meir zu Ramerup und dessen Sohn R. Samuel. (Fortsetzung folgt.) E.
Carmoly.
Anmerkungen: - Heinrich IV.: https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_IV._(HRR)
)
-
Erzbischof Ruthard:
https://de.wikipedia.org/wiki/Ruthard_(Mainz)
-
Emicho zu Leiningen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Emicho_(Kreuzfahrer)
-
Schaab:
https://www.regionalgeschichte.net/bibliothek/biographien/schaab-karl-anton.html
-
Grätz:
https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Graetz
-
R. Kalonymos:
https://de.wikipedia.org/wiki/Kalonymiden
-
Meir aus Rothenburg:
https://de.wikipedia.org/wiki/Meir_von_Rothenburg
-
Raschi:
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Raschi
-
Rabbiner von Troyes:
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Raschi
-
Reschut:
http://www.juedisches-recht.de/lex_all_reschut.php
-
Parascha:
https://de.wikipedia.org/wiki/Parascha
-
R. Elieser ben Isaac ha-Gadol:
https://en.wikipedia.org/wiki/Eliezer_ben_Isaac_ha-Gadol
-
E. Carmoly: https://de.wikipedia.org/wiki/Eljakim_Carmoly
|
Die
Artikel in den Ausgaben des Israelit Jahrgang 1866 Nr. 7 vom 14. Februar 1866
bis zur Nr. 12 vom 21. März 1866 waren nicht zugänglich.
Die Juden zu Mainz im Mittelalter
(XXV, Beitrag von 1866)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 11.
April 1866: "Die Juden zu Mainz im Mittelalter
(Fortsetzung.)
Nachdem das, was R. Meir für die jüdische Gemeinde in Worms fürchtete,
wirklich 1283 eingetroffen war, und vom Kaiser Rudolph nicht nur unbestraft,
sondern sogar gebilligt wurde, da ertönte von einer Stadt zur anderen
Ermordungs- und Ausrottungsgeschrei. Die Juden in der Rheingegend und der
Wetterau zitterten für ihr Leben und wandten sich an R. Meir, welcher wie
ein Heiliger verehrt wurde. R. Meir riet ihnen, nach dem Orient auszuwandern
und stellte sich an ihre Spitze. Er war bereits mit seiner Familie in
Italien angelangt und wartete in einer Stadt in der Lombardei nur noch
andere Ausgewanderte, um sich mit ihnen in einem italienischen Hafen
einzuschiffen. Unglücklicherweise aber wurde R. Meir von einem getauften Ju- |
den namens Knippel, der im Gefolge des Bischofs von Basel durch diese Stadt
zog, erkannt. Auf Veranlassung des Bischofs nahm ihn der Graf Meinhard von
Görz, der Gouverneur jener Stadt gefangen, und lieferte ihn dem Kaiser
Rudolph den 19. Juni 1286 aus. Der Kaiser hielt ihn in Haft als Geisel wegen
jüdischer Auswanderer, zuerst in dem Turm von Wasserburg, dann in dem von
Ensisheim. Die
Abgaben der Juden in Deutschland waren ein reiches Einkommen für den
kaiserlichen Schatz und es musste dem Kaiser sehr daran gelegen sein, die
Auswanderung derselben zu verhindern. Das Oberhaupt seiner Kammerknechte,
wie man seine jüdischen Untertanen zu nennen pflegte, in Sicherheit zu
wissen, genügte ihm, ohne, dass er den flüchtigen Rabbiner bestrafen wollte.
Daher war die Haft R. Meirs sehr mild. Er durfte Besuche empfangen, Schüler
unterrichten und seine Korrespondenz mit inländischen und auswärtigen
Rabbinern führen, nur durfte er den Ort nicht verlassen.
Dem ungeachtet konnten sich die Juden von Deutschland nicht dabei beruhigen,
dass ihr hochverehrtes Oberhaupt nicht ganz frei sei; sie schickten
Deputierte auf Deputierte an Kaiser Rudolph, um die Befreiung R. Meirs aus
der Haft zu veranlassen. Sie boten dem Kaiser bedeutende Summen an; allein
diese Bemühungen führten zu nichts. Sei es, weil der Kaiser die Auswanderung
des Rabbiners und seiner Verehrer befürchtete, oder, wie erzählt wird, weil
R. Meir nicht auf solche Weise befreit sein wollte. Er befürchtete nämlich,
dass dieser Fall, durch Verhaftung von Rabbinern, Geld zu erpressen,
Nachahmung finden möchte. R. Meir blieb daher in Haft bis zu seinem Tode,
bis zum 27. April 1293. Auch nach seinem Hinscheiden wurde sein Leichnam
noch 14 Jahre lang im Turm von Ensisheim aufbewahrt, bis im Jahre 1307 ein
hochherziger Mann aus Frankfurt namens Süßkind Wimpfen oder Alexander ben
Salomon, durch vieles Geld die Erlaubnis erhielt, den edlen Rabbi in
Worms bei seinen Eltern
begraben zu lassen.
Die Einzelheiten befinden sich auf dem Grabstein des R. Meir von Rothenburg
in Worms und in einer spezialen Beschreibung, von der ich in meiner Jugend
einen Abschrift in Metz bei R. Aron Worms sah. (Er erwähnt sie selbst in
seinem Ben Nun, Metz 1827, Seite 77). Später habe ich diese Geschichte in
den israelitischen Annalen von Dr. Jost I. veröffentlicht. Bald darauf wurde
eine Kopie dieser Beschreibung in Worms entdeckt und von Dr. Aron Fuld und
Dr. L. Levysohn herausgegeben. Letzterer bemerkt, dass die Geschichte sich
auf dem 85. Blatte des in der Einleitung geschriebenen Minhagim-Buches, in
einer Randglosse befindet und gibt uns auch die Schlussworte des
Abschreibers, die etwas lädiert sind. Da diese Schlussworte nicht gehörig
erklärt und auf eine Art ergänzt wurden, dass sie Anlass zu dem Irrtume
geben können, als wenn die Söhne und Töchter des R. Meir erschlagen wurden,
so will ich sie hier erklären. Der Abschreiber fand nämlich auf demselben
Papier, das die Geschichte des R. Meir enthielt auch die Geschichte der
Erordnung von R. Elasars Frau und Töchter, welche der Verfasser des
Minhagim-Buches in sein Werk aufgenommen hatte. Er schreibt daher (hebräisch
und deutsch): d.i. Siehe im Buch (Minhagim-Buche) die Geschichte des R.
Elasar, wie seine Frau und Töchter erschlagen wurden; sie stand ebenfalls
auf dem Papier (der Geschichte R. Meirs).
Dem sei wie ihm wolle, so mag hier über die Haft des R. Meir aus Rothenburg
und dessen Tod ein neuer Bericht angeführt werden, den wir 1847 in Oxford
entdeckt haben. Dort fanden wir, Collection Oppenheim, Nr. 1704, Q jetzt
712, die nach allen Katalogen dieser Sammlung als ein anonymes Werk
angegeben wird, einen Teil der Denkwürdigkeiten des berühmten R. Joseph Louans, genannt Joselmann Rosheim. Dieser edle und hochgestellte Gelehrte
hat, wie bekannt, alle historische und andere Monumente des Judentums, die
er auf seinen zahlreichen Reisen auffinden konnte, in seinen
Denkwürdigkeiten diplomatisch genau wiedergegeben. Nun gibt er, in oben
gedachtem Manuskript, Seite 191 b, folgenden Bericht: 'Im Jahre..."
Aus diesem Berichte geht deutlich hervor, dass am Ende seines Lebens, als R.
Meir sehr krank wurde, die Gemeinde Worms sich für eine sehr bedeutende
Summe Geldes verbürgte, um ihn, während seiner Krankheit, in Worms pflegen
zu können und ihn nach seiner Genesung wieder nach Ensisheim zu bringen. Er
starb aber in Worms und man brachte ihn tot nach dem Turm von Ensisheim,
denn so hatte es der große Mann vor seinem Tode befohlen, wahrscheinlich um
der Wormser Gemeinde keine so bedeutende Unkosten zu verursachen. Der
berühmte Ascher, Schüler des R. Meir, soll die Bürgschaft für die Gemeinde
von Worms übernommen haben. Als daher im Jahr 1303 der Kaiser erfuhrt, auf
welche Art R. Meir nach Ensisheim zurückgekommen war, so forderte er von R.
Ascher die Summe, welche die Juden von Worms versprochen hatten. Um nicht
das Schicksal seines Lehrers zu teilen, verließ er Deutschland und hatte das
Glück, nach Spanien einen sicheren Zufluchtsort für sich und seine Familie
zu finden.
E. Carmoly
(Fortsetzung folgt.)
Anmerkungen:
-
R. Meir: https://de.wikipedia.org/wiki/Meir_von_Rothenburg
-
Kaiser Rudolph:
https://de.wikipedia.org/wiki/Rudolf_I._(HRR)
-
Meinhard von Görz: https://de.wikipedia.org/wiki/Meinhard_II.
-
Kammerknechte: https://de.wikipedia.org/wiki/Kammerknechtschaft
-
Süßkind Wimpfen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Alexander_ben_Salomon_Wimpfen
-
Rabbiner Aron Worms: https://en.wikipedia.org/wiki/Aaron_Worms
-
Dr. Jost: https://de.wikipedia.org/wiki/Isaak_Markus_Jost
-
Dr. Aron Fuld:
https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/bio/id/18310
-
Minhagim (Plural von Minhag):
https://de.wikipedia.org/wiki/Minhag_(Judentum)
-
R. Joseph Louans, Joselmann Rosheim:https://www.deutsche-biographie.de/sfz37851.html
https://de.wikipedia.org/wiki/Josel_von_Rosheim
-
Ascher: https://de.wikipedia.org/wiki/Ascher_ben_Jechiel
-
E. Carmoly: https://de.wikipedia.org/wiki/Eljakim_Carmoly.
|
Die Juden zu Mainz im Mittelalter
(XXV, Fortsetzung, Beitrag von 1866)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
9. Mai 1866: "Die Juden zu Mainz im Mittelalter.
(Fortsetzung.)
Wir schließen die Lebensgeschichte des R. Meir von Rothenburg mit der
Aufzählung seiner zahlreichen Werke. Wir müssen aber zuerst als Einleitung
den Leser auf zwei neue Kuriositäten des Herrn Dr. Zunz aufmerksam machen,
die als Seitenstück zu seiner Totenbeschwörung des R. Baruch aus Mainz (oben
siehe XXI, Seite 155) zu betrachten sind. Musste R. Baruch zwei Jahre nach
seinem Ableben aus dem Grabe steigen, um einer Synode beizuwohnen, so musste
R. Meir vier Jahre nach seinem Hinscheiden sein Gruft verlassen, um abermals
in die Hände des Kaisers zu fallen. Ja, Herr Zunz war so streng gegen den
verfolgten Rabbinen, dass er ihn 250 Jahre nach seinem Hintritt in den
Todesschlummer erweckte, um ihm ein Plagiat am R. Chajim Obadiah aus
Pazzuolo aufzubürden.
Die erste Kuriosität befindet sich in seinem Buch betitelt. Die synagogale
Praxis des Mittelalters, Seite 33. Hier lässt Dr. Z. den unglücklichen R.
Meir im Sommer 1297, das ist vier Jahre nach der von Zunz selbst
festgesetzten Todeszeit, anno 1293 (siehe sein Werk zur Geschichte und
Literatur, S. 40) auferstehen, um noch einmal ergriffen und nach Ensisheim
in den Turm geworfen zu werden. Die Erschaffung des Werkes 'Zur Geschichte
und Literatur' ging der Verfertigung des Buches 'Die synagogale Poesie des
Mittelalters' vorher.
Die zweite Kuriosität steht im Werke 'Zur Geschichte und Literatur', S. 128.
Dort heißt es: 'R. Meir b. Baruch aus Rothenburg verfasste eine Schrift:
'Brunnen lebendigen Wassers', beer majim chajim, die nach einer
Buß-Ermahnung in vier mit besonderen Titeln versehenen Abschnitten,
derech chajim, orach chajim, ez chajim, makor chajim, die Observanzen beim Essen, das Gebet beim Schlafengehen, die Buße,
den sittlichen Wandel abhandelt. Nun ist aber diese Beschreibung, das genaue
Inhaltsverzeichnis des 'Brunnen lebendigen Wassers' von R. Chajim Obadiah,
den er 1546 in Thessaloniki herausgab: (Hebräisch) Vergleiche
safti jeschinim Seite 11, Nr. 6.
Dieses Werk von Chajim Obadiah wird wohl im seder darki teschuwah hinter
igeret musar d. Konstantinopel
und Berlin, erwähnt, aber nicht in Semak ms. wie Dr. Zunz angibt. Seine
Angabe beruht auf einem Irrtum. Der Verfasser des seder darki teschuwah führt nämlich eine Stelle über Buße an, die er mit folgender
Bemerkung schließt: (Hebräisch und deutsch). Wie
nun jeder deutlich sieht hat die Erwähnung vom 'Brunnen lebendigen Wassers'
gar keinen Bezug auf Semak ms., denn der Verfasser beginnt einen ganz neuen
Aufsatz: 'Es steht geschrieben im Brunnen lebendigen Wasser, im Teil Mekor
Chajim Seite 13' usw. , allein Zunz ließ die Worte 'es steht geschrieben'
aus, um den Brunnen lebendigen Wassers mit Semak ms. zu verbinden. Et voilà
comme on écrit l’histoire! |
Wenden
wir uns vom unterschobenen Werke zu den wirklichen von R. Meir verfassten
Schriften, so finden wir zuerst: Sefer Haemunioth,
'Buch des Glaubens', welches im z i b/w(v sch ch § 446 und safti
jeschinim, Seite 7 Nr. 155 angeführt wird. Nach dem ersten Werk scheint das 'Buch
des Glaubens' über Unsterblichkeit, Vergeltung und Strafe zu handeln, nach
dem zweiten soll es ein kabbalistisches Buch sein.
Brachot Maharam, Segenssprüche des R. Meir, eine kurze, aber
sehr interessante Abhandlung, gedruckt zu Riva da Trento, den 18. November
1858 in 80 (Oktav). Diese
Segenssprüche, namentlich zu den Speisen und Getränken, werden im
Charumat Harschan, § 29 angeführt.
Uchen bebrachot Maharam ktaw baschamajim...gemahlen gewirz niräh liwroch
bore peri haadama (Gemahlenes Gewürz, Ingwer) kmo humlata. Vergl
ed. Seite 5 b, Azulai, Seite 62 b und nach ihm Lewysohn, Epitaphien, Seite
38, nennen irrtümlich dieses Werkchen Seder berachot. Es scheint
vielmehr auch den Namen Halchut brachot zu führen, wie man aus Teruma
harschan, § 30 folgern kann. Vergl. Katalog der Michaelschen Bibliothek Nr. 533. Es wäre
dann ein Teil von dem folgenden Werke:
Hilchot Schechitah
'Schlachtvorschriften', handschriftlich in Oxford, coll. Michael Nr. 533,
vom Jahre 1289, coll. Oppenheim, Nr. 1281, unter dem Namen: Hilchot
Schechita utaamei Schechita.
Hilchot Samchut, 'Trauervorschriften', diese gelehrte
Abhandlung, die mit einem Kommentar im Druck erschienen ist, enthält nach
einer Pariser Handschrift, ancien fonds Nr. 300 (ein gedrucktes Exemplar
haben wir im Augenblick nicht vor uns), 153 Paragraphen. Unter den vielen
Autoritäten, die er anführt, bemerkt man die Hilchot awelut von R.
Meir aus England, R. Abraham ben David aus Lunel, R. Jona, den Heiligen, aus
der Provence, seine Lehrer R. Isaac ben Ascher ha-Levi, den Jüngeren, der
wegen Heiligung des Namens Gottes erschlagen wurde, R. Jedidia aus Nürnberg,
R. Joseph ben Meir, seinen Onkel, R. Jacob Levi aus Speyer usw.
Taamei Hamesorah, 'Auslegung der Mesora', handschriftlich im Vatikan Nr.
183.
Minhagei Maharam, 'die Ritualien des R. Meir', liegen handschriftlich in
der Bibliothek von Oxford, coll. Oppenheim, N.r 1283 und 1284 Q und coll.
Michael Nr. 465, unter dem Titel Seder Maharam.
Seder schel pessach maharam, 'Pessach-Ordnung von R. Meir', eine kurze
Abhandlung über die Vorschriften dieses Festes. Handschriftlich bei mir auf
Pergament geschrieben, in Fol.
Eser Schaarim, 'Zehn Pforten' über verbotene und erlaubte Speisen,
ms. vom Jahre der Oppenheimer’schen Bibliothek, nach dem handschriftlichen
Katalog dieser Sammlung, den ich besitze; in den gedruckten Katalogen finde
ich diese Schrift und noch eine andere von R. Meir aus Rothenburg, betitelt
Lekutei Dinim, nicht. Letztere ist ebenfalls vom Jahre 1347 datiert.
Pirusch seraim, 'Kommentar zu der ersten Mischna-Ordnung'. Er
erwähnt sie selbst nebst der folgenden Nummer in seinem Rechtsgutachten,
Edition Lemberg, Nr. 151: 'Meine Commentarien zu Seraim und Taharoth – ich
werde mich mit Vergnügen darum bemühen, daß sie Dir abgeschrieben werden,
wenn ich in Frieden aus der Haft gehen werde.' Er verfasste nämlich seine
Kommentarien im Turm zu Ensisheim.
Pirusch taharot, 'Commentar zur sechsten Ordnung der Mischna' wird
oft von Jomtob Lipmann Heller zitiert. In seiner Vorrede dieser Ordnung
erzählt der Verfasser des 'Tosafot Jomtob', dass diese kostbare Handschrift
im Besitze des R. Simeon Wolf ben Jehuda Lewe Oppenheim in Worms war, der
sie ihm mitteilte. Sie scheint jetzt in der Oxforder Bibliothek , coll.
Oppenheim, Nr. 846, aufbewahrt zu werden.
Schealot uTeschuwot, 'Rechtsgutachten', über zweitausend an der Zahl, von denen
bis jetzt drei Sammlungen im Druck erschienen sind. Die erste in Crèmona,
1557 in – 40 (Quart) bei Vincent Conti; die zweite in Prag 1608 in Fol. bei Moses
ben Bezalel; die dritte in Lemberg, 1850 in – 40
(Quart) bei Raphael Nathan Rabbinowitz. Außer diesen drei selbständigen Sammlungen sind in den
Bibliotheken von Florenz, Hamburg, Oxford, Parma und anderen Städten
aufbewahrt.
Tosafot, 'Glossen zum Talmud', z.B. zum Traktat Joma, die sich
in unserer Ausgabe des Talmuds befinden und zu andern Traktaten, die
handschriftlich vorhanden sein sollen, Azulai jedoch, der in der
rabbinischen Literatur sehr bewandert war, kennt nur die Tosafot zum Traktat
Joma von unserm R. Meir und Chiduschei btra, die vielleicht
auch Tosafot sind. Siehe Schem Gedolim, Seite 124.
Außer diesen Schriften schrieb R. Meir noch etwa zwanzig Synagogal-Poesien,
die teils gedruckt und in den deutschen Ritus aufgenommen sind und teils
handschriftlich sich in vielen alten Machsorim vorfinden.
(Fortsetzung folgt.) E. Carmoly
Anmerkungen:
-
Meir von Rothenburg: https://de.wikipedia.org/wiki/Meir_von_Rothenburg
-
Dr. Zunz: https://de.wikipedia.org/wiki/Leopold_Zunz
-
Pazzuolo: https://de.wikipedia.org/wiki/Pozzuolo
-
Rabbi Abraham ben David:
https://de.wikipedia.org/wiki/Abraham_ben_David_von_Posqui%C3%A8res
-
Rabbi Jona: https://de.wikipedia.org/wiki/Jona_Gerondi
-
Rabbi Isaac ben Ascher ha-Levi:
https://en.wikipedia.org/wiki/Isaac_ben_Asher_ha-Levi
-
Mesora: https://de.wikipedia.org/wiki/Masora
-
Pessach: https://de.wikipedia.org/wiki/Pessach
-
Mischna: https://de.wikipedia.org/wiki/Mischna
-
Seraim:
https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/9783111555447-002/pdf
-
Taharoth: Rituelle Reinheit im Judentum
-
Jomtob Lipmann Heller:
https://de.wikipedia.org/wiki/Jomtow_Lipmann_Heller
-
Tosafot: https://de.wikipedia.org/wiki/Tosafot
-
Talmud: https://de.wikipedia.org/wiki/Talmud
-
Tosafot: https://en.wikipedia.org/wiki/Tosafot
-
Azulai: https://de.wikipedia.org/wiki/Chaim_Joseph_David_Azulai
-
Schem Gedolin: 'Name der Großen', Text von Chaim Joseph David Azulai
-
Machsorim, Plural von Machsor:
https://de.wikipedia.org/wiki/Machsor
-
E. Carmoly: https://en.wikipedia.org/wiki/Eliakim_Carmoly
. |
Über die Juden zu Mainz im Mittelalter (XXVI, 1866)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 16. Mai
1866: "Die Juden zu Mainz im Mittelalter.
(Fortsetzung*)
Nachträglich bemerken wir noch, dass R. Meir, die letzte Tosafisten, die er
persönlich kannte, als seine Lehrer betrachtete und nannte. So R. Jechiel
aus Paris (Tosafot Joma, Seite 18b), so R. Samuel ben Menachem, ibid. Seite
40b. Dieser Gelehrte war aus Chateau-Thierry in der Champagne und wird von
Conforte (Kore ha-Dorot, Seite 17b) fälschlich für R. Samuel ben Salomon
gehalten, der doch aus Falaise war und beide werden im Rechtsgutachten
Salomon Laurier Nr. 29 erwähnt.
Von seiner Familie sind noch bekannt: Seine Enkelin Brunnelin, Tochter des
R. Ephraim, die in Mainz geboren und dort begraben ist (Memorbuch, Seite 80)
und eine andere Enkelin, Rachel, die im ersten Jahre ihrer Verheiratung
starb (Maimoniot Rechtsgutachten Halechut Ischot, Nr. 26). Die
oben Erwähnten: R. Joseph ben Meir, seines Vaters Bruder und Abraham, sein
eigner Bruder.
Als seine Schüler sind zu nennen: R. Arje aus Rothenburg, Verfasser der Piske Dinim, 212 Paragraphen stark, handschriftlich bei mir, sehr alt, auf
Pergament geschrieben und betitelt: 'Schaare Rothenburg', die 'Pforte
Rothenburgs', nach seiner
*) Druckfehler zu korrigieren: Nr. 12, Seite 209, statt aus Taleise, aus
Falaise. Ibidem Seite 210, statt 1282, 1283. Nr. 15, Seite 255, lies statt
Jost I, Jost I., 349. |
Geburtsstadt.
Dieses Werk ist jetzt unbekannt, enthält namentlich viele Gebräuche, die R.
Meir in Rothenburg einführte: Maharam sichrono liwracha Hanahig beirenu
po Rotenburg, oder Maharam Hanahig po beir Rotenburg.
Dieser Arje scheint derselbe Schüler von R. Meir zu sein, der 1336 die
Handschrift in Oxford. coll. Michael Nr. 837 schrieb.
Ascher ben Jechiel, der in Toledo, den 8. Oktober 1327 starb.
R. Isaac aus Düren, Verfasser der 'Pforten von Düren', bei mir
handschriftlich, auf Pergament, sehr korrekt und vollständiger als die
gedruckte.
R. Meir Cohen, Bearbeiter der 'Hagahot Maimoniot'.
R. Mordechai, der Verfasser des Mordechai, wurde 1298 in Nürnberg
erschlagen.
R. Simon ben Zadok, der Autor des Taschbaz, u. a. m.
Zerstörung der Gemeinde im Jahr 1283
Nachdem wir nun die Lebensgeschichte des berühmten R. Meir von Rothenburg,
ausführlich beschrieben haben, so kehren wir zu der allgemeinen Geschichte
der Juden zu Mainz zurück. Wir treffen die Gemeinde in einen schrecklichen
Verdacht verwickelt, der mit blutiger Verfolgung begann und mit der
gänzlichen Auslöschung der Gemeinde endete. Unser Memorbuch und die
diplomatischen Geschichte der Juden von Schaab geben uns über den traurigen
Vorfall genaue Berichte, die bereits von Dr. Grätz benutzt wurden. Wir
stellen hier die Einzelheiten kurz zusammen und fügen einige neue Berichte
hinzu, über die gänzliche Zerstörung der jüdischen Gemeinde, die wir dem
zweiten Teil des Memorbuches verdanken; den Dr. Grätz nicht gesehen hat und
daher die Schilderung des Annalisten, Abt Tritheim, als übertrieben angibt.
Zur Osterzeit war ein toter Christenknabe in der Gegend von Mainz gefunden
worden und sogleich entstand das lügenhafte Gerücht, die Juden von Mainz
hätten ihn zu ihrer Osterfeier ermordet. Zur Beglaubigung dieser falschen
Anklage wurde angegeben, dass eine christliche Amme, gegen die man aber
keine Klage führte, ihn den Juden verkauft hätte. Mit der Knabenleiche auf
der Schulter, fand sich ein Verwandter desselben, ein Ritter Gerbaldus Ring,
mit einem Genossen vor Mainz ein. Rache gegen die Juden, die Knabenmörder,
schnaubend. Umsonst gab sich der Erzbischof Werner von Mainz, Erzkanzler des
Reiches die größte Mühe, die aufgeregte Menge zu beschwichtigen, einen
regelmäßigen Prozess gegen die Angeklagten einzuleiten, und die Schuldigen
zu ermitteln.
Die vom Anblick der Leiche bis zur Raserei erhitzten Christen überfielen
ihre jüdischen Nachbarn am zweiten Ostertage (am vorletzten Pessachtage, 19.
April 1283), töteten zehn Personen und plünderten die jüdischen Häuser.
Diese zehn Märtyrer, deren Namen die Geschichte aufbewahrt hat, sind: Isaac ben Moses, der Alte; Nathan ben Samuel, der Alte; dessen Ehefrau Bonna;
Liebheid, die Alte; Mirjam, die Blinde; Rachhia ben Gerschom; Meschullam ben
Jakob; Joseph ben Zarach, der Heilige; Abraham junior ben Isaac ha-Levi und
Isaac ben Chiskia, der Jüngling. Dies waren nur die Vorgänger der vielen
anderen, die nach ihnen den Märtyrertod erlitten. Seit langem schon wartete
man in Mainz auf eine solche Gelegenheit, um sich der jüdischen Bevölkerung
zu entledigen und da sie nun erschienen war, wollte man sie nicht ungenutzt
vorüber gehen lassen.
Ein schreckliches Gemetzel fand die folgenden Tage statt; alles, was sich
nicht durch schnelle Flucht retten konnte, ward ein Opfer der grausamsten
Volkswut. Nichts war heilig für diese aufgehetzte Menge, man mordete, man
raubte alles, was man konnte und da keine lebendigen Opfer mehr da waren, so
fiel man über die Toten im Grabe her und zerstörte ihre Gedenksteine.
Auch die sechshundertjährige Synagoge, das älteste Monument von Mainz, wurde
bei dem schrecklichen Aufruhr bis in ihre Fundamente umgerissen. Die
Heiligtümer dieses ehrwürdigen Gotteshauses wurden entweihet, zerstört und
geraubt.
Ebenso wurde das Gemeindehaus mit seiner alten Bibliothek, die hohe
Lehrschule, Sitz so vieler berühmter Männer, gänzlich beraubt und zerstört.
Mit einem Worte, es blieb kein Zeichen der Juden mehr in Mainz, denn alles,
ihre öffentliche Gebräuche, ihre Privathäuser und ihr sämtliches Vermögen
wurde geraubt, eingezogen oder verheert. Als der Kaiser Rudolph daher in
Michaelis dieses Jahres (1283) einen Fürstentag zu Mainz hielt, waren keine
Israeliten mehr da, um ihre gerechte Klagen vor den Monarchen zu bringen und
er hörte nur die Stimme ihrer Feinde, die der Kaiser nicht nur nicht
missbilligte, sondern sogar lobte und nur befahl, die Güter der Juden, unter
Bedrohung der Todesstrafe und der Strafe beleidigter Majestät, in die Hände
des königlichen Fiskals ohne Verzug abzuliefern.
Dieses Ende der Mainzer Gemeinde und seine schreckliche Wirkung auf die
Juden am Rhein und in Bayern musste ihnen den Boden Deutschlands verhasst
machen und den Wunsch in ihnen erregen, ihn, es gelte auch, was es wolle, zu
verlassen und sich ein gefahrloses Leben in der Nähe ihrer Stammlande oder
anderswo zu verschaffen, wie es 1286 wirklich geschah und wie oben erzählt
haben. Wie es scheint, haben sich in diesem Jahre bereits wieder Juden in
Mainz ansässig gefunden, denn am 23. September 1286 befahl der Kaiser
Rudolph dem Judenbischof |
Moses, den vier Juden-Vorstehern Joel, Joseph Haller, Abraham Wize, Coppel
und sämtlichen Juden von Mainz, auf einen Tag vor ihm zu erscheinen, um auf
eine Klage gegen sie, vom Erzbischof Heinrich II. zu antworten. Aus dieser
Begebenheit, die Schaab, Seite 58, erwähnt, geht hervor, dass die Juden
damals in Mainz wie in
Worms
einen Judenbischof hatten. Wir wissen nicht, was die Klage des Erzbischofs
war; vielleicht betraf sie die Flucht der Israeliten aus dem deutschen
Reiche, denn noch im nämlichen Jahre 1286 erließ der Kaiser Rudolph am 6.
Dezember den Befehl an die Stadt Mainz, dahin zu wirken, dass alles
bewegliche und unbewegliche Eigentum der über das Meer entflohenen Juden ,
welches sie in Mainz, Worms,
Speyer,
Oppenheim und in der Wetterau
zurückgelassen hätten, an den Erzbischof von Mainz, Heinrich II. und an den
Grafen Eberhard von
Katzenellbogen
ausgeliefert werden solle. Der darüber zwischen ihnen und dem Erzbischof
entstandene Streit endigte durch eine mit dem Erzbischof Gerhard II.
Abgeschlossenen Vergleich im Jahre 1295, wie Schaab Seite 60 berichtet. Die
den entflohenen Juden gehörigen, vom Magistrat konfiszierten Häuser, 54 an
der Zahl, waren das Eigentum, der aus Mainz im Jahre 1283 entronnenen und
1286 übers Meer geflohenen Israeliten. Denn es ist nicht wahrscheinlich,
dass in so einer kurzen Zeit die neu angesiedelten Juden in Mainz so
zahlreich waren und so viele Häuser gekauft hatten. Wir werden vielmehr im
folgenden Paragraphen ersehen, dass vor 1292 die neue Niederlassung der
Juden in Mainz sehr langsam vor sich ging.
(Fortsetzung folgt.)
E. Carmoly.
Anmerkungen: -
R. Meir aus Rothenburg:
https://de.wikipedia.org/wiki/Meir_von_Rothenburg
-
Tosafist: Gelehrter, der Tosafot (Kommentare verfasst)
https://de.wikipedia.org/wiki/Tosafot
-
R. Jechiel aus Paris:
https://de.wikipedia.org/wiki/Jechiel_ben_Josef
-
R. Samuel ben Salomon:
https://en.wikipedia.org/wiki/Samuel_ben_Solomon_of_Falaise
-
R. Ascher ben Jechiel:
https://de.wikipedia.org/wiki/Ascher_ben_Jechiel
-
R. Isaac aus Düren:
https://de.wikipedia.org/wiki/Isaak_ben_Me%C3%AFr_aus_D%C3%BCren
-
R. Mordechai: https://de.wikipedia.org/wiki/Mordechai_ben_Hillel
-
R. Meir Cohen: https://en.wikipedia.org/wiki/Meir_HaKohen
-
Memorbuch: https://de.wikipedia.org/wiki/Memorbuch
-
Zehn Märtyrer:
http://www.medieval-ashkenaz.org/recherche/suchergebnisse.html?tx_hisodat_search%5BsearchMode%5D=10&tx_hisodat_search%5Bquery%5D=searchstrings%3A10%3B1%3BMoses%20mainz%3B0&tx_hisodat_search%5BitemsPerPage%5D=10&tx_hisodat_search%5BorderBy%5D=70&tx_hisodat_search%5BascDesc%5D=10&tx_hisodat_search%5Bsource%5D=8&tx_hisodat_search%5Baction%5D=searchdetails&tx_hisodat_search%5Bcontroller%5D=Sources&cHash=66ba17d083ab8100381fb3a470e33dea#tx_hisodat
-
Schaab: https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Anton_Schaab
https://www.regionalgeschichte.net/bibliothek/biographien/schaab-karl-anton.html
-
Dr. Grätz:https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Graetz
http://www.zeno.org/Geschichte/M/Graetz,+Heinrich/Geschichte+der+Juden/Dritter+Zeitraum/Dritte+Periode+des+dritten+Zeitraumes.+Die+Periode+des+allm%C3%A4hlichen+Verfalls/6.+Kapitel.+Das+Zeitalter+Ben-Adrets+und+Ascheris.+(Fortsetzung.)
..lügenhafte Gerücht:
https://de.wikipedia.org/wiki/Ritualmordlegende
-
Werner von Mainz:
https://de.wikipedia.org/wiki/Werner_von_Eppstein
-
Fürstentag: https://de.wikipedia.org/wiki/F%C3%BCrstentag
-
Michaelis: 29. September
-
Judenbischof: https://de.wikipedia.org/wiki/Judenbischof
-
Judenbischof Moses von Mainz:
http://www.medieval-ashkenaz.org/quellen/1273-1347/mz01/nr/cp1-c1-00n0.html?tx_hisodat_sources%5BitemsPerPage%5D=10&tx_hisodat_sources%5BorderBy%5D=10&tx_hisodat_sources%5BascDesc%5D=10&tx_hisodat_sources%5BcurrentPage%5D=3&tx_hisodat_sources%5Baction%5D=show&tx_hisodat_sources%5Bcontroller%5D=Sources&cHash=ce54985cdce4f70508472baa575adcb3#tx_hisodat
-
Abraham Wize: Abraham Weise
-
Heinrich II. von Mainz:
https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_von_Isny
-
Eberhard von Katzenellenbogen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Eberhard_I._(Katzenelnbogen)
-
Kaiser Rudolph:
https://de.wikipedia.org/wiki/Rudolf_I._(HRR)
-
Erzbischof Gernhard II.:https://de.wikipedia.org/wiki/Gerhard_II._von_Eppstein
-
E. Carmoly: https://de.wikipedia.org/wiki/Eljakim_Carmoly
|
Über die Juden zu Mainz im Mittelalter (XXVII,
1866)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 23. Mai
1866: "Die Juden zu Mainz im Mittelalter.
(Fortsetzung.)
XXVII
Die Märtyrer vom Jahr 1283
Die Zerstörung der alten ehrwürdigen Gemeinde von
Worms
bestand meistens aus fremden Juden, was schon der Titel Judenbischof und die
Namen Haller, Witze ihrer oben erwähnten Vorsteher beweisen. Die Mainzer
Juden, welche sich aus dem Sturm gerettet haben, waren längst ausgewandert,
namentlich im Jahre 1286, übers Meer. Nur die geretteten Kinder der
Erschlagenen blieben zurück und wurden in den größeren Gemeinden
Deutschlands untergebracht. Diese kamen später in ihre Vaterstadt zurück,
nebst der Familie des R. Meier aus Rothenburg. Diese ehrwürdigen Männern
verdanken wir die Kunde der Namen der Märtyrer von 1283.
Sie haben nämlich,
um das Andenken ihrer unglücklichen Eltern zu ehren, nach ihrer Zurückkunft,
Spenden an die Synagoge geopfert, die genau in das Memorbuch eingetragen
wurden. Leider wurde durch eine frevelhafte Hand, wahrscheinlich die eines
Vorbeters, dem es zu lange schien die Namen so vieler Märtyrer jährlich
einmal, wie gebräuchlich, öffentlich ablesen zu müssen, sechs Seiten aus dem
Memorbuch herausgeschnitten. Durch diese Freveltat können wir nur einen Teil
der Märtyrer von 1283 mit Namen anführen, die übrigen müssen wir dem
barmherzigen Gotte einheim stellen, der sie wie die Tausende und
Abertausende der Märtyrer des Judentums kennt und belohnt. Wir geben die
Ersten sofort mit einigen Bemerkungen.
Rabbi Jehuda, Sohn des R. Samuel ha-Levi, dessen Ehegattin
Dolce und ihre
drei Kinder wurden verbrannt und starben für ihren Glauben an die Einheit
Gottes.
Der heilige Rabbi Chajim erlitt den Märtyrertod. Alle Märtyrer erhielten den
Ehrentitel Rabbi, obgleich sie keine Schriftgelehrten waren.
Rabbi Pesach wurde mit dem Schwert erschlagen.
Der heilige Rabbi Menachem starb als Märtyrer.
Der Proselyt, R. Isaac, Sohn Abrahams, des Stammvaters, fiel unter dem
Beile. Alle jüdischen Proselyten werden genannt, Söhne Abrahams des
Patriarchen, der den einzigen, einigen Gott erkannte und durch die Menschen
zum wahren Gottesdienst hinlenken suchte.
Der heilige Rabbi Ascher ha-Levi, der den Feuertod erlitt.
Der heilige Rabbi Abraham, ein Glaubensheld, der den Tod in den Flammen
fand.
Der heilige Rabbi Joseph, Sohn Isaacs, der unter gräulichen Martern seine
Seele aufgab.
Die Jungfrau Jenta, Tochter Aschers, die mutvoll den Märtytertod erlitt.
Der heilige Rabbi Isaac, der heilige Rabbi David, der heilige Rabbi
Ascher,
der heilige Rabbi |
Nathan, der heilige Rabbi Moses, der heilige Rabbi Ephraim, der heilige
Rabbi Isaac und der heilige Rabbi Jehuda, diese alle wurden hingeschlachtet.
Der Titel der Heilige will so viel sagen, als Märtyrer, Glaubenszeuge. Er
wird gewöhnlich jedem Juden beigelegt, der standhaft in seinem Glauben den
Tod mutig empfängt.
Der heilige Rabbi Jechiel ha-Cohen und der heilige Rabbi Jacob ha-Cohen;
beide starben unter großen Qualen.
Niedergemetzelt wurden ferner: Rabbi Mordechai; der gelehrte Rabbi Samuel,
Sohn Rabbi Jehudas, Rabbi Kalonymos, Sohn des R. Jechiels ha-Cohen; Rabbi
Samuel ha-Cohen, Rabbi Moses, Sohn Hoschajas; Rabbi Joseph; Rabbi Jekutiel
und Rabbi Moses ha-Levi.
Rabbi Eliah, Sohn Josephs, der den Glauben an die Einheit Gottes treu
verkündigte, wurde lebendig verbrannt usw.
Bei solch schrecklichem Blutbade, gleich unter wilden Tieren, ist es kein
Wunder, dass die neue Ansiedlung der Juden in Mainz langsam voranging. Auch
war der neue Erzbischof von Mainz, Heinrich II. , nicht geeignet, den
Israeliten viel Zutrauen zu schenken, denn statt, wie sein Vorgänger, der
Erzbischof Werner, die Nachkommen Jacobs zu schützen und zu verteidigen,
führte er Klage gegen sie vor dem Kaiser Rudolph. Erst nachher, unter seinem
Nachfolger, Erzbischof Gerhard, einem Vetter des römischen Königs Adolph,
vergrößerte sich die Gemeinde. Dieser Erzbischof suchte, um die Juden
gehörig schützen zu können, dieselben aus der Gewalt der Stadt Mainz von ihm
und dem Reiche zu Leben trage und derselbe sie wieder an sich ziehen und in
seine Gewalt bringen könne, sodass sie ihm und seiner Kirche ohne alle
Hindernisse gewöhnliche Dienste in Beten und Schatzungen und 'anders in
Massen ander Juden die derselben Erzbischofs und der Kirchen zu Menze,
Steten und Dörfern wohnhaftig syn, dieselbe wir gleicherweise bekennen den
Erzbischoffe zu Menze und seine Kirche von uns und dem Riche in Lebenswise
zu haben, wer’s aber, da Gott vor sy, daß wir solichs wie vor gesagt ist,
von den oben genannten Judden zu Menze mit uffgerichten Kirchen widder die
Bürger zu Menze mit gutem Truwen rate und hülfe mit kuniglicher Macht
leisten.' (Schaab, 62 und 63).
Die Juden von Mainz und namentlich ihr Bischof Moses zeigte sich dem
Erzbischof Gerhard II. sehr dankbar, und standen mit ihren Mitteln treulich
bei, wie aus einer Urkunde zu ersehen ist, die er ihnen am 18. Juni 1295
erteilte, und in welcher er sagt, dass er sie wegen der vielen Dienste,
welche ihr Bischof und sie sämtlich ihm und seiner Kirche treu erwiesen
hätten und jetzt und für künftige Zeiten von allen Abgaben, Kollekten und
gezwungenen Diensten freigebe, dagegen sollte sie und ihre Erben ihm, seinen
Nachfolgern im Erzstift oder dem Kapitel, jährlich auf das Fest des heiligen
Martin einhundert und zwölf Mark Aachener Heller in gangbarer Münze als
Anerkennung des Dienstes, welchen sie ihm, seinen Nachfolgern und der
Mainzer Kirche schuldig seien, entrichten (Schaab, 63).
Diese Anerkennung ihrer Dankbarkeit von Seiten des Erzbischofs von Mainz,
ermunterte die Juden. Viele Auswärtige, mitunter auch Franzosen, die von den
guten Gesinnungen Gerhards hörten ließen sich in seiner Stadt nieder. Unter
diesen befand sich ein neuer Samuel ben Salomon, der auf eigene Kosten eine
neue Synagoge in Mainz bauen ließ, wie wir im folgenden Paragraphen
ausführlich berichten werden. Bald wurde auch ein neuer Gottesgelehrter,
Rabbi Jedidia ben Israel, haraw rabbi Jedidja ben haraw rabeinu
Jisrael
angestellt. Ihm zur Seite standen zwei Assessoren, Rabbi Meir ha-Cohen,
der
berühmte Schüler des R. Meir aus Rothenburg und Rabbi Abraham ben Isaac, der Punktator,
haraw hagadol rabeinu Abraham ben hachocham Jizchak hanikdan. R. Meir ha-Cohen verfasste in Mainz seine gelehrten Bemerkungen zu Maimonides
Mischna Thora, genannt haghit Maimoniot . Seine zwei
Kinder, Jochiel und Esther, kamen mit ihm nach Mainz.
(Fortsetzung folgt.) E. Carmoly
Anmerkungen: -
Judenbischof: https://de.wikipedia.org/wiki/Judenbischof
-
Memorbuch: https://de.wikipedia.org/wiki/Memorbuch
-
Meir von Rothenburg:
https://de.wikipedia.org/wiki/Meir_von_Rothenburg
-
Proselyt: Konvertiten (zum Judentum)
https://de.wikipedia.org/wiki/Proselytismus
-
Erzbischof Heinrich II.:
https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_von_Isny
-
Erzbischof Werner:
https://de.wikipedia.org/wiki/Werner_von_Eppstein
-
Judenbischof Moses von Mainz:
http://www.medieval-ashkenaz.org/quellen/1273-1347/mz01/nr/cp1-c1-00n0.html?tx_hisodat_sources%5BitemsPerPage%5D=10&tx_hisodat_sources%5BorderBy%5D=10&tx_hisodat_sources%5BascDesc%5D=10&tx_hisodat_sources%5BcurrentPage%5D=3&tx_hisodat_sources%5Baction%5D=show&tx_hisodat_sources%5Bcontroller%5D=Sources&cHash=ce54985cdce4f70508472baa575adcb3#tx_hisodat
-
Erzbischof Gerhard II:
https://de.wikipedia.org/wiki/Gerhard_II._von_Eppstein
-
Samuel ben Salomon: Stifter der ersten Mainzer Synagoge
-
R. Meir ha-Cohen:https://en.wikipedia.org/wiki/Meir_HaKohen
- Maimonides:https://de.wikipedia.org/wiki/Maimonides
-
Mischna: https://de.wikipedia.org/wiki/Mischna
-
E. Carmoly: https://en.wikipedia.org/wiki/Eliakim_Carmoly
. |
Über die Juden zu Mainz im Mittelalter (XXVIII,
1866)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 30. Mai
1866: "Die Juden zu Mainz im Mittelalter.
(Fortsetzung).
XXVIII
Die neue Synagoge, erbaut im Jahre 1296
Mar Simson ben Naphtali Hirsch, der die neue Synagoge auf eigene Kosten
erbauen ließ, war ein sehr frommer und eifriger Mann. Kaum hatte er die
Erlaubnis erhalten, so ruhte und rastete er nicht, bis das Gotteshaus
angefangen und vollendet war. Ein Jahr genügte ihm, um die ganze Arbeit der
schönen Synagoge zu vollziehen. Aber die große Anstrengung Tag und Nacht,
sein heiliges Werk sobald wie möglich zu beendigen, kostete ihn das Leben.
Er sah das heilige Haus dem Ewigen gebaut, aber hinein gehen, zu beten,
sollte er nicht; sowie auch Moses das gelobte Land sah, aber hinüber zu
gehen war ihm nicht vergönnt. Denn er starb vor deren Einweihung,
Donnerstag, den 18. Kislew 5057 nach der Erschaffung der Welt, das ist den
15. November 1296 nach der allgemeinen Zeitrechnung. Die ganze Gemeinde,
tief betrübt über den Verlust dieses edlen und großmütigen Wohltäters,
beschloss sein Andenken durch ein öffentliches Monument zu verewigen. Neben
der heiligen Lade, in der neuen Synagoge, ließ man eine Marmorplatte mit
folgender Inschrift einsetzen:
(Hebräische Inschrift)
Die zwei ersten Worte dieser Inschrift enthalten die Jahreszahl 57; das ist
5057, das ist 1296 der allgemeinen Zeitrechnung, die Epoche der Erbauung der
Synagoge. Das Wort bnh, das in der vierten Zeile nach Mar Simson steht und
durch drei Punkte wie der Name Mar Simson merkbar gemacht, scheint nicht nur
dem Zeitwort bauen zu entsprechen, sondern auch auf Anfangsbuchstaben von
Ben Naphtali Hirsch, Sohn Naphtali Hirschs zu deuten, was gewiss sehr
geistreich, sowie die ganze Inschrift bemerkenswert ist.
Diese Synagoge, nachdem sie 177 Jahre dem israelitischen Kultus gedient
hatte, wurde 1473 vom Kurfürsten Adolph von Nassau, in eine Kapelle Omnium
Sanctorum verwandelt, wie wir weiter sehen werden. Das Oberhaupt der
Synagoge, der im vorigen Paragraph erwähnte R. Jehidja ben Israel, |
war der bekannte R. Jedidia ben Israel aus
Nürnberg, Korrespondent des R. Meir von Rothenburg, R. Salomon ben Aberet und R.
Ascher ben Jechiel. Siehe Rechtsgutachten R. Meirs, ed. Prag, Nr. 699, ed.
Cremona, Nr. 13, Rechtsgutachten R. Salomons II., Nr. 31; Rechtsgutachten R.
Aschers XXII Nr. Unser R. Jedidja wird auch im Mordechai, Kidduschin § 811
zitiert, aber nicht in den Tosafot, und R. Jechiel Heilprin irrte sich sehr,
wenn er in seinem Seder ha-Dorot, Artikel , R. Jedidia aus Nürnberg,
schreibt, er sei Tosafot zu Ketubot 47 und Erubin 41 erwähnt. Jeder kann
sich von der Unwahrheit dieser Angabe überzeugen, wenn er den Talmud
nachschlägt.
Dem sei wie ihm wolle, so stand R. Jedidia ben Israel, nur wenige Jahre
seinem Amte vor, denn er starb schon am Anfange des vierzehnten
Jahrhunderts, ums Jahr 1305. Ob R. Meir Cohen ihm im Amte folgte, ist
unbekannt. Man weiß nur, dass er und seine zwei Kinder Jechiel und Esther
Cohen in Mainz lebten und dort starben. Da dunkle Nacht, welche die inneren
Angelegenheiten der jüdischen Gemeinde in Mainz während der ersten Hälfte
des XIV. Jahrhunderts umhüllt, lässt uns ungewiss über die Reihenfolge der
Rabbiner von Mainz und ihre Tätigkeit im Rabbinate. So wird erst nach 1326
wiederum von einem Rabbiner im Amte, R. Elieser Chajim ben R. Elieser,
harav Rabbi Elieser Chaim ben harav rav Elieser, von dem aber nur
gefragt wird, dass er für den Gottesacker, für die Synagogen-Beleuchtung und
für die ärmeren Kranken spendete.
Die Rede von Spenden erinnert uns an den Synagogenbau, mit dem wir diesen
Paragraph begonnen haben. Das Memorbuch bezeichnet die Spenden, welche für
die innere Einrichtung der Synagoge in Empfang genommen wurde. Namentlich
für den Bau des sogenannten Almemors lebinjan hamigdal, für die
Armleuchter vor der heiligen Lade hamenorot lefi aron hakodesch, und
für die Türe der Synagoge hapetach lebeit haknesset. Auch wurden mehrere Gesetzesrollen für
die Synagoge gespendet, sowie einzelne Bücher für den Jugendunterricht.
Aber Mainz hatte keine Jeschiba, die Gemeinde keine Bibliothek mehr. Der
Druck und die Verfolgung des XIV. Jahrhunderts lasteten schwer auf den
Mainzer Israeliten, sowie auch auf allen anderen Juden in Deutschland und
ließen ihnen kaum so viel Ruhe, ein trauriges Leben, ohne Kultur und ohne
Wissenschaft zu fristen.
(Fortsetzung folgt). E. Carmoly.
Anmerkungen: -
Adolph von Nassau: https://de.wikipedia.org/wiki/Adolf_von_Nassau
-
Rabbi Meir von Rothenburg:https://de.wikipedia.org/wiki/Meir_von_Rothenburg
-
R. Salomon ben Aheret: https://de.wikipedia.org/wiki/Salomo_Adret
-
Ascher ben Jechiel:
https://de.wikipedia.org/wiki/Ascher_ben_Jechiel
-
Jechiel Heilprin: https://de.wikipedia.org/wiki/Jechiel_Heilprin
-
Seder ha-dorot: https://en.wikipedia.org/wiki/Seder_HaDoroth
-
Tosafot: https://de.wikipedia.org/wiki/Tosafot
-
Ketubot, Plural von Ketubba: https://de.wikipedia.org/wiki/Ketubba
-
Talmud: https://de.wikipedia.org/wiki/Talmud
-
Memorbuch: https://de.wikipedia.org/wiki/Memorbuch
-
Almemor: https://de.wikipedia.org/wiki/Bima
-
Heilige Lade: https://de.wikipedia.org/wiki/Toraschrein
-
Gesetzesrolle: https://de.wikipedia.org/wiki/Tora
-
Jeschiba: https://de.wikipedia.org/wiki/Jeschiwa
-
E. Carmoly: https://en.wikipedia.org/wiki/Eliakim_Carmoly
|
Über die Juden zu Mainz im Mittelalter (XXIX,
1866)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
6. Juni 1866: "Die Juden zu Mainz im Mittelalter.
(Fortsetzung)
XXIV.
Leiden der Juden in Mainz und in ganz Deutschland
Die Bürgerschaft zu Mainz hatte wenig Sympathie für die Söhne Israels und
nur die Aussicht, Kollekten und Steuern von ihnen zu erheben, machte sie
einigermaßen duldsam. Der Erzbischof Gerhard leistete daher den Israeliten
einen gefährlichen Dienst, indem er sie aus der Gewalt der Bürgerschaft
losriss und sie von allen Abgaben und Kollekten freisprach. Es scheint, dass
die Juden die Gefahr gleich bemerkt und den Erzbischof darauf aufmerksam
gemacht haben, denn am nämlichen Tage, am 18. Juni 1295, erteilte er auch
dem Stadtkämmerer, Stadtschultheiß, Rat und der Bürgerschaft der Stadt Mainz
eine Urkunde, worin er unter Bezeugung seiner Dankbarkeit für die ihm
geleisteten Dienste dieselben von allen Abgaben und Steuern von ihren unter
seiner und der Mainzer Kirchenjurisdiktion gelegenen Gütern für sich und
seine Nachfolger für jetzt und in Zukunft freigibt; dann will er ihnen die
besondere Gnade erteilen, dass er sich damit begnüge, wenn die in Mainz
wohnenden Juden ihm und seinen Nachfolgern oder der Mainzer Kirche jährlich
auf Martinitag 112 Mark Aachener Heller, zur Anerkennung der ihm schuldigen
Dienste bezahlten und sie, die Bürger das Recht haben sollten, außer den
besagten 112 Mark, nach ihrem Gutdünken von diesen Juden Kollekten und
Steuern zu erheben und zum Nutzen der Stadt zu verwenden, und sollen
deßfalls von ihm oder einen Nachfolgern oder der Mainzer Kirche nie einen
Widerspruch zu befürchten haben, oder darüber von irgend ein Gericht,
geistliches oder
*) Berichtigungen. Nr. 19, Seite 325, b statt: Pazzuolo lies Pozzuolo –
Daselbst Seite 326, a muß gelesen werden: uchen bebrachot Maharam betaw
baschamaim [schechokim]...)
Gemahlen Gewürz niräh lewarech besära peri adamah kmo... [Ingwer] Vergl.
brachot Maharam ed. Riva, Seite 5 b.
- [Daselbst: die halechot simchot, in Livorno 1819 in Folio
erschienen.
Nr. 20, Seite 342 b statt Rachbia lese Rechabja; und Seite 343 a
statt Wize Witze ,
Nr. 21, Seite 357 b lies statt Rabbi Chajim, Rabbi Chakim
(rabbi chakim). |
weltliches gezogen werden können. Auch das Domkapitel stellte den Juden der
Stadt Mainz eine ähnliche Urkunde aus, wie sie ihm der Erzbischof
ausgestellt hatte.
Aber schon im Jahre 1298 hatten die unglücklichen Juden in Mainz, wie in
ganz Deutschland, wieder blutige Verfolgungen zu erdulden, veranlasst durch
einenn Edelmann namens Rindfleisch. Dieser blutdürstige Mensch benutzte die
Unruhen, welche damals in Folge der Thronstreitigkeiten zwischen Adolph und
Albrecht herrschten, um mit einer Schar von Gesinnungsgenossen von Ort zu
Ort zu ziehen und überall die Juden zu vertilgen. Sein Beispiel fand
Nachahmung in Städten und Dörfern, zu denen er nicht gelangte und unter
diesen Städten scheint auch Mainz zu zählen sein, das wieder gegen seine
jüdischen Einwohner wütete. Wenigstens bezeugte der neue Kaiser Albrecht
durch eine Urkunde vom 5. Januar 1299, dass alle Schulden der getöteten
Juden, welche keine Erben hatten, dem Erzbischof Gerhard von Mainz ganz und
vollkommen zustünden. (Pertz, Monumenta Germaniae, IV, 471).
Das Friedensgebot der freien Stadt Mainz vom Jahr 1300 enthielt hinsichtlich
der Juden nur zwei Verfügungen: Die erste lautete: 'Wel Jude dem andr’m
Juden zu meinze wundet oder flehit odir einen christ einn der fal um daz
flahin gebins sons pund. und um die wendin zehin pend heller und fal zu
meinze inne bliben und hat er des geldes nicht so sal er also lange uze
meinze varn: bit er des bered wirt bit zwein biederbin manin, eime Juden und
eime Christen.' Der zweite war: 'Wel jude eischit kein unsen Burgern inne zu
helfene zu siner Sach zu judeschim rechte der jude sal gebin vonzig pont
heller zu bezzerunge der stad und siner den er dazu eischet der als uz
Meinze varin einen mand zu bezzerunge.'
Aus diesem Friedensgebot ersieht man, dass im ersten Jahre des vierzehnten
Jahrhunderts die Juden bereits wieder in Mainz waren und dass damals der
Jude in dieser Stadt gegen den Christen nur für halb ebenbürger gehalten
wurde. Auch der alte Rabbiner und seine Assessoren waren zu dieser Zeit in
Mainz, denn R. Jedidia starb da, wie wir bereits bemerkt haben, ums Jahr
1305, und seine Assessoren, R. Meir Cohen und R. Abraham, überlebten ihn
noch mehrere Jahre. Die Zeit ihres Ablebens jedoch ist unbekannt, wie
überhaupt die Nachrichten über die inneren Angelegenheiten der Juden in
Mainz immer seltener werden.
Die ewigen Gelderpressungen und ihre traurigen Folgen, sowie die Einführung
der Kirchengesetze hatten den Geist der Juden in Mainz und in ganz
Deutschland herabgewürdigt, dass der Sinn für Studium dadurch abgestumpft
worden war. Jedoch an dem Glauben ihrer Väter, ihrem einzigen Trost und
ihrer einzigen Hoffnung, hielten sie fest und suchten so viel wie möglich
einen Seelenhirten an ihrer Spitze zu halten. Aber der Druck des Erzbischofs
Peter, der auf ihnen lastete, war so groß, dass während seiner Zeit fast nur
unbedeutende Männer die Rabbinerstelle vertraten, deren Namen in
Vergessenheit geraten sind.
Im Jahre 1310 wurde zu Mainz vom obengenannten Erzbischof, nämlich eine
Synode gehalten, in der gegen die Juden im Mainzer Erzstift Folgendes
verordnet wurde: 1) Dass sie nach zwei Monaten, von Publikation dieses
Synodalstatuts an, Zeichen an ihren Kleidern tragen sollten, wodurch man sie
von den Christen unterscheiden könne 2) Sollten sie alle öffentlichen Ämter
niederlegen. 3) Kein Jude soll sich am Karfreitag auf der Straße, an seinem
Fenster oder seiner Haustüre sehen lassen, bei einer Strafe von einer Mark
Silber (Schaab, Seib 70).
(Fortsetzung folgt.) E. Carmoly
Anmerkungen: -
Erzbischof Gerhard:
https://de.wikipedia.org/wiki/Gerhard_II._von_Eppstein
-
Rindfleisch: https://de.wikipedia.org/wiki/Rintfleisch-Pogrom
https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Rintfleisch-Verfolgung,_1298
-
Adolph: https://de.wikipedia.org/wiki/Adolf_von_Nassau
-
Albrecht: https://de.wikipedia.org/wiki/Albrecht_I._von_%C3%96sterreich
-
Pertz: https://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Heinrich_Pertz
-
Zeichen an ihren Kleidern:
https://de.wikipedia.org/wiki/Gelber_Ring
-
Schaab: https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Anton_Schaab
https://www.regionalgeschichte.net/bibliothek/biographien/schaab-karl-anton.html
-
E.Carmoly: https://en.wikipedia.org/wiki/Eliakim_Carmoly
|
Über die Juden zu Mainz im Mittelalter (XXX, 1866)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 25. Juli
1866: "Die Juden zu Mainz im Mittelalter.
(Fortsetzung)
XXX.
Glücklicher Zustand der Juden unter Erzbischof Heinrich
Die düstere Wolke, die während der ganzen Regierungszeit von Erzbischof
Peter über der jüdischen Gemeinde von Mainz lagerte, verzog sich allmählich
unter seinem Nachfolger Heinrich. Dieser Erzbischof, ein Graf Birneburg,
welcher von 1328 bis 1353 auf dem erzbischöflichen Stuhl saß, bestätigte am
7. Dezember 1329 durch eine eigene Urkunde die zwischen Erzbischof Gerhard
und der Stadt Mainz hinsichtlich der in der Stadt wohnenden Juden unterm 18.
Juni 1295 getroffene Übereinkunft und ließ beide Urkunden, welche dieser
Erzbischof darüber ausstellte, seiner Bestätigungsurkunde wörtlich einrücken
(Schaab, Seite 72).
Zur selben Zeit erfreute sich die Synagoge eines geistlichen Oberhauptes in
der Person von Rabbi Prez Jehuda, Sohn des Rabbi Jom Tob,
harav Rabbi Perez Jehudah ben harav Rabbi jom tob. Auch
zählte sie unter ihren Religionsgenossen einen gelehrten Grammatiker, namens
R. David ha-Nathan, Rabbi Davi haNakdan, und was gewiss merkwürdig ist,
eine reiche Christin, die das Judentum annahm. Diese Dame, Gute, die Proselytin,
Gute Hagioret genannt, war sehr wohltätig und spendete
viel. Die schreckliche Verfolgung der Juden und ihre heldenmütige
Aufopferung für den Glauben ihrer Väter mussten den größten Eindruck auf
viele Christen machen, die nicht vom Fanatismus verblendet waren und sie in
den Schoß der Synagoge führen. Wirklich finden wir in den israelitischen
Annalen im Mittelalter eine große Anzahl von Proselyten, namentlich aus der
Geistlichkeit und dem gebildeten Stande. Oft haben diese denkwürdigen
Menschen ihren neuen Glauben durch freiwilligen Tod öffentlich bekannt.
Unter Erzbischof Heinrich bestand in Mainz ein eigenes Juden-Rathamt. Herr
Schaab macht uns in seiner Geschichte mit einer interessanten Urkunde über
dieses Amt bekannt; darin übergibt der mainzische Kämmerer Salmann am 3. März
1335 dem Juden Haseman von
Oppenheim, Bürger zu Mainz, 'das Juden-Ratampt, das ihm Gumbrecht von
Speyer, der Jude, han gegeben
und gelumen mit den Vorworten, das Haseman das selbe Ratampt in diesem Jahre
nach der Data des briewes Gumbrecht oder einem andern ersamen und bescheiden
Juden wele er sie stat bit unsern willen mag uf gehen und nie denselben, wer
der ist, dem er iz in diesem jare gibet, sellen darüber bestädigen in aller
der maget, als wir Haseman darüber bestedigt hatten und wenn das jar emweg
kümp, se an hat dieser brief keine macht und enmag derselbe Haseman daz ampt
darum niemman geben an unserm willen. Daz biz stete und veste blibet, so
geben wie dem vorgenannte Haseman diesen gegenwärtigen brief, versiegelt mit
unserm ingesiegeln daz deran hanget.) Es scheint, dass der jeweilige
Stadtkämmerer der Stadt Mainz alle Jahre dieses Juden-Rathampt als einen
Ausfluss seines Amts, als erster Gerichtsbeamter der Stadt einem geachteten
Juden verliehen hat. Was es aber für eine nähere Bewand- |
nis mit diesem Juden-Rathamt in Mainz hatte konnte ich nicht erfahren. Gewiss
wurde von ihm irgendein Zweig der Jurisdiktion ausgeübt.
Überhaupt genossen damals die Juden in Mainz mehr Ruhe als ihre Brüder im
übrigen Deutschland; sie blieben 1337 von den Metzeleien des berüchtigten
Armleder's verschont. Das Memorbuch konnte seine Berichte über den Zustand
der Gemeinde ruhig niederschreiben bis zur Katastrophe vom Jahre 1349, wo
fast alle Nachkommen Jakobs in Deutschland ein Opfer der Volkswut wurden,
wie wir im folgenden Paragraph ersehen werden. Die Mainzer Gemeinde fiel,
wie die anderen Gemeinden Deutschlands, ohne, dass sie Erzbischof Heinrich
retten konnte. An ihrer Spitze starb Rabbiner Meir ben Uri, einer der
letzten, dessen Spenden im Memorbuch eingetragen sind. Denn mit der Zeit des
schwarzen Todes endigt der zweite Teil unseres Gedächtnisbuches. Der
Schreiber selbst erlitt den Märtyrertod und eine fremde Hand verzeichnete
auf dem letzten Blatte alle Orte, von denen es bekannt worden war, dass
daselbst die Juden 1349 ausgerottet wurden.
XXXI.
Die lügenhafte Beschuldigung der Brunnen-Vergiftung
Während die Juden in Mainz, wie wir in vorigem Paragraphen gesehen haben,
ruhig unter dem Schutz des Erzbischofs Heinrich lebten, kam plötzlich über
ganz Israel eine so große Verfolgung, dass alle bisherigen Judengemetzel
klein genannt werden müssen. Die furchtbare Epidemie, welche 1348, 1349 und
1350 fast ganz Europa entvölkerte, durch die bei den Juden aber
verhältnismäßig wenige starben, erregte den Verdacht, sie hätten die
schreckliche Seuche durch Brunnenvergiftung herbeigerufen. Clemens VI, der
in Avignon lebte, glaubte diesem Volkswahne nicht, und die Juden blieben, so
weit seine Macht reichte, unversehrt. Aber in der Dauphinee wütete man gegen
sie mit Feuer und Schwert. Namentlich in Vizille, Veynes und
Saint-Saturnin,
wo im Frühjahr 1348 die ganze Gemeinde, Männer, Frauen und Kinder verbrannt
wurden.
Von da an verbreitetet sich die Verfolgung der Juden nach Katalonien und
Aragonien. Die ersten Opfer fielen an einem Sonnabend, Ende Juni 1348 in
Barcelona; zwanzig Personen fanden dort ihren Tod, andere wurden beraubt.
Einige Zeit nachher kam die Reihe an die Gemeinde von Cervera; achtzehn
wurden getötet, die übrigen retteten sich durch Flucht. Schrecklicher war
die Verfolgung in Tarrega am 6. Juli 1348, wo mehr als dreihundert
Israeliten ermordet und in eine Grube geworfen wurden. Die übrigen retteten
sich in die Häuser ihrer Bekannten, wo sie sich verborgen hielten, bis der
Sturm vorüber war, Über die Gemeinde von Salsona ergoss sich ebenfalls das
Unheil und an 300 Personen fielen durch das Schwert, wie aus R. Chajim
Gallipapa, in seinem Emek Rephaim zu ersehen ist.
Auch die Gegend am Genfersee, unter der Herrschaft des Herzogs Amadeus von
Savoyen, ward der Schauplatz blutiger Verfolgungen. In Chillon wurden am
Versöhnungstage, dem 15. September 1348, drei Juden und eine Jüdin auf die
Folter gespannt, ein Wundarzt Balavigny aus Thonen, Bandito und
Mamson aus
Villen-Neuve und drei Wochen später Bellieta und ihr Sohn Acquet. Sie
gestanden im Schmerz und in der Verzweiflung alles ein, was man von ihnen
herauspressen wollte: Dass sie Quellen und Brunnen vergiftet hätten, um die
Christen zu verderben. In Châtel wurden fünf Israeliten gefoltert und auch
sie machten die verlangten Geständnisse, auf welche hin nicht nur die
Angeklagten, sondern sämtliche Juden des Genfersees und wohl von ganz
Savoyen verbrannt wurden.
Von der Genfer Gegend hatte sich das beflügelte Gerücht von erwiesener
Schuld der Juden nach der Schweiz verbreitet und alsbald wiederholten sich
auch da dieselben Blutszenen. In
Bern, Zofingen und
Zürich
schon im Monat September 1348. Wie die Gemeinden um den Genfersee, so wurden
auch die Gemeinden um den Bodensee,
St. Gallen, Lindau,
Überlingen,
Schaffhausen,
Konstanz und andere
durch Scheiterhaufen, Rad und Vertreibung und Zwangstaufe aufgerieben.
In Konstanz hat einer von denen, welcher aus Verzweiflung zum Christentum
übergetreten war, seinen Schritt gleich darauf bereut und sein Haus
angezündet, um mit den Seinigen von eigner Hand aus dem Leben zu scheiden,
indem er aus dem Fenster rief: 'Sehet, ich sterbe als Jude.'
*) Basnage, Histoire de Juifs, Tome IX, p. 593. - In Vizille dauerte der
Prozess gegen die Unglücklichen zehn Tage, die Gemeinde von Veynes, 93
Personen an der Zahl, wurden den 27. März schon hingerichtet, die von Saint
Saturnin mitten im Mai. Vergl. Die Bemerkung zu einem Pentateuch in der
Wiener Bibliothek, Katalog p. 18 (Hebräisch). Weder die Verfasser des
Katalogs noch Dr. Zunz wussten den Namen: milnawa deSaturnin zu
erklären, der durch den Bericht des alten Basnage keinen Zweifel übrig
lässt, dass es Saint-Saturnin ist. Statt Saint schreibt der unglückliche
Schreiber aus religiöser Skrupel t l n m a. |
Durch den Brand seines Hauses sind mehr als vierzig Häuser eingeäschert
worden. Noch einmal hat sich der Papst Clemens VI. für die Juden verwendet
und eine Bulle an die katholische Christenheit erlassen, worin er die
Unschuld der Juden an den ihnen zur Last gelegten Frevel auseinandersetzt.
Er brachte alle Gründe vor, die nur geltend gemacht werden könnten, um die
Abgeschmacktheit der Anschuldigung ins Licht zu setzen: Dass auch solche
Gegenden von der Pest heimgesucht waren, in denen kein Jude wohnt und dass
auch die Juden davon betroffen wurden. Vergebens ermahnte er die
Geistlichen, die Juden in Schutz zu nehmen und belegte die falschen Ankläger
und Henker mit dem Kirchenbann. Der Wahn war mächtiger als das Papsttum.
Über die Verfolgung der Juden in Deutschland, die schrecklichste von allen,
liegt des Materials so viel vor, dass es schwierig wird, das Geeignete
hervorzuholen. Ein reicher und angesehener Jude, Moses in Mainz, sollte, wie
man aussprengte, Gift verschafft haben, um den Rhein, Main und die Donau
sowie alle übrigen deutschen Flüsse, Quellen und Brunnen des heutigen
römisch-deutschen Reiches zu vergiften. Dieses unglaubbare Märchen zündete
allenthalben Scheiterhaufen an. Viele Tausende verbrannten sich selbst in
ihren Häusern. Andre ging zum Christentum über. Das alte Metzer Memorbuch,
auf Pergament, von einem Zeitgenossen verfasst, gibt uns einen treuen
Bericht von der Vertilgung der Juden im Jahre 1349, von
Speyer
bis nach Wien. Dieser Bericht ist die Quelle, aus welcher R. Akiba aus
Frankfurt a.
M.
bei Verfassung seiner Kinah (Trauergedicht) schöpfte, die aber sehr
fehlerhaft gedruckt ist. Das Mainzer Memorbuch, II. Teil am Ende, enthält
ebenfalls ein sehr genaues Verzeichnis von allen Orten der Ausrottung der
Israeliten, vom Bodensee bis an die Donau. Auch dieses Verzeichnis ist von
einem Zeitgenossen.
In Mainz , wo ihnen der Erzbischof Verteidigung versprach, sammelte sich
eine große Anzahl Juden, von denen viele sich bewaffneten. Der edle Prälat
schützte sie so lange, bis gegen Ende August in einem unvorhergesehenen
Auflauf das Volk gegen sie aufstand. Die Juden verteidigten sich tapfer,
dreihundert Bewaffnete fielen über die Aufständigen her und töteten
zweihundert von ihnen. Die Bürger, über diese Heldentat aufgebracht,
stürzten mit Ungestüm über sie her und erschlugen alle, die sie finden
konnten. In der Nähe der Quintinskirche wurde ein ungeheurer Scheiterhaufen
errichtet, wo am 24. August 1348 alle Juden zu Mainz verbrannt wurden. Das
Feuer war so groß, dass der Kirchturm in Brand geriet und dass die Glocke
nebst den kostbaren Fenstern der Kirche verschmolzen sein sollten.
Sechstausend, nach andern zwölftausend, Unschuldige fanden einen
schrecklichen Tod in Mainz, ohne dass sie der Erzbischof Heinrich retten
konnte. An ihrer Spitze starb der ehrwürdige Rabbiner Meir ben Uri, seine
Frau und Kinder, sowie Verteidiger ihrer Brüder, die Waffen in der Hand.
Die Zahl sechstausend oder zwölftausend sind keineswegs übertrieben, wenn
man bedenkt, dass wegen des Schutzes, welchen der Erzbischof von Mainz den
Unglücklichen versprach, Tausende in diese Stadt als Zufluchtsort sich
flüchteten und mit der Mainzer Gemeinde den fürchterlichsten Tod teilen
mussten. Ein Dichter sang:
(Hebräisch und deutsch)
'Maguntia erhob ein großes und bitterliches Geschrei,
Wohin ging mein Schmuck? dies ist die Pracht der Thora,
Wo ist Rabbi Meir ben Uri? rief sie traurig aus.
Wohin sind die Glaubensmänner und die Heroen der Tapferkeit?
Ach! Alle sind gefallen in die Hände der Söhne des Drangsals,
Nicht einer von ihnen entkam am Tage des Zornes.
Und die Brüder, die zur Rettung kamen, erreichte der Fluch,
Mit ihnen wurden sie verbrannt am Tage, da der Zorn Gottes erglühte.'
XXXII.
R. Elieser ben Samuel ha-Levi
Das Memorbuch von Mainz, das uns bis jetzt als Hauptquellen diente, hört mit
der Verfolgung von 1349 auf. Es selbst wurde, wie es scheint, gestohlen und
nach Nürnberg
gebracht, und dort als Gedächtnisbuch in der Synagoge gebraucht, wie nach
einer Angabe, Seite 210 im dritten Teil, zu schließen ist. Dort heißt es
nämlich: Elu hamachsirim po beNürnberg -
'Folgende werden hier zu Nürnberg gedacht.' Erst später kam es wieder nach
Mainz, wir wissen nicht, durch wen. Wegen diesen Mangels an authentischen
Berichten können wir nicht genau angeben, wann eine neue Ansiedelung der
Juden in Mainz nach der Ausrottung im Jahre 1349 stattfand. Höchst
wahrscheinlich geschah dieses schon im Jahre 1356, in welchem der Kaiser
Karl IV. zwei hintereinander folgende Reichstage zu Nürnberg und zu Metz
hielt. Der schlaue Mainzer Erzbischof Gerlach war ihm nach diesen zwei
Städten gefolgt und ihm nicht von der Seite gewichen, bis er erhielt, was er
wollte: Juden in seinem Erzstift zu haben (Schaab Seite 96).
Der Erzbischof von Mainz war über die kaiserliche Erlaubnis, Juden
aufzunehmen, so erfreut, dass |
er seine Rückreise in sein Erzstift nicht abwarten, um davon Gebrauch zu
machen. Schon in Nürnberg nahm er durch eine förmliche Urkunde einen Juden
von Bischofsheim, mit Namen Gottlieben, in seinen Schirm und Schutz und erteilte ihm die
Vollmacht und Gewalt: 'Daß er reden und bedingen möge mit andern Juden, daz
sie under uns zyhen und daz wollen siede halden unverbrüchlich.' (Bodmann,
rhein. Altertum II, 712 ). Noch im nämlichen Jahre 1356 und im folgenden
nahm er mehrere Juden in seinen Rheingau auf und saß sogar zu
Eltville in ihrer Klagsache zu
Gericht (das. 713). Obgleich uns über die neue Ansiedelung der Juden in
Mainz keine Dokumente vorliegen, so ist doch gewiss, dass 1357 bereits dort
Israeliten ansässig waren, unter anderem der Rabbiner Elieser ben Samuel
ha-Levi, über dessen letzte Jahre wir authentische Nachrichten besitzen.
Wir verdanken diese Nachrichten einem Enkel des R. Elieser ha-Levi, der sie
am Ende des 'Testaments' seines Großvaters niederschrieb. Das Testament ist
eine moralische Anleitung für seine Kinder, das handschriftlich in mehreren
Bibliotheken, unter andern in der Pariser, aufbewahrt wird. S. D. Luzzatto,
der ebenfalls ein Exemplar von dieser Schritt besaß, erwähnt sie im Kerem
Chemech Th. 7, S. 57. Sie verdient gedruckt zu werden, denn sie enthält sehr
schätzbare Lehren der Moral und Religion, die uns von der Tugend,
Religiosität und Toleranz des Verfassers eine hohe Idee geben. Obgleich
zunächst für seine eignen Kinder geschrieben, so war das Testament doch für
jeden andern bestimmt, wie man aus folgenden Versen an der Spitze ersehen
kann:
(Hebräisch und deutsch): 'Ein schätzenswertes Testament, dessen Wege angenehme Wege sind,
Würdig und geprüft, für das ganze Volk bestimmt.'
Über die frühen Lebensverhältnisse unsres Rabbiners, wo er lebte und wirkte,
wissen wir nicht das Geringste. Ebenso ist es unbekannt, durch welches
Wunder, er und seine Kinder, von der allgemeinen Vertilgung der Juden im
Jahre 1349, gerettet wurden. Wir wissen nur, dass er und seine Familie nach
dieser schrecklichen Katastrophe in Mainz war und dort den 16. September
1357 starb und am 17. dieses Monats in Mainz begraben wurde. Auf seinem
Grabe wurde ein Gedenkstein gesetzt, mit folgender Inschrift:
'Hier ruht...'
Wir geben hier den Anfang des Testaments R. Elieser ha-Levis in treuer
Übersetzung:
'Dies sind die Gebote, welche meine Söhne und Töchter, wie ich sie bitte,
beachten sollen. Morgens und abends sollen sie die Synagoge besuchen und auf
das Gebet und Schema achtgeben. Auch dem Gebet sollen sie sich gleich mit
der Thora, den Psalmen oder mit Werken der Barmherzigkeit beschäftigen. Ihr
Verkehr mit den Nebenmenschen, Israeliten und Nichtisraeliten, soll
gewissenhaft und gerade sein. Sie sollen ihnen freundlich begegnen und ihnen
alles, was thunlich ist nach ihrem Verlangen gewähren. Sie sollen keine
überflüssige Worte sprechen, nur was nothwendig ist, dies wird sie vor
Verläumdung und Spötterei bewahren Den Zehnten sollen sie genau abgeben und
keinen Armen leer abweisen sondern ihm immer etwas geben, sei es viel, sei
es wenig.'
R. Elieser ben Samuel ha-Levi scheint kein Amtsrabbiner gewesen zu sein,
denn auf seinem Grabstein wird er bloß h"chr das ist hächawer
Rabbi
genannt. Auch war die jüdische Gemeinde noch zu klein, um einen Rabbiner
aufnehmen zu können. Erst gegen 1365 scheint die Gemeinde eine gewisse
Anzahl Familien zu enthalten die sie in den Stand setzte, ein geistliches
Oberhaupt berufen zu können. Die Geschichte spricht von einem R. Jakob
Nordhausen, der damals mit seiner ganzen Familie nach Mainz kam und auf vier
Jahre vom Bürgermeister und Rat aufgenommen wurde. Wir werden im folgenden
Paragraphen auf diesen Rabbiner zurückgekommen, unter dessen Leitung die
Gemeinde sich bedeutend erhob und bald nachher noch einmal aufblüte. Das
Memorbuch, das sich wieder in Mainz befand, beginnt wieder mit dem Jahre
1373 seine glaubwürdigen Berichte. (Fortsetzung folgt.) E. Carmoly"
Anmerkungen: -
Erzbischof Heinrich:https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_III._von_Virneburg
-
Erzbischof Peter: https://de.wikipedia.org/wiki/Peter_von_Aspelt
-
Erzbischof Gerhard:
https://de.wikipedia.org/wiki/Gerhard_II._von_Eppstein
-
Proselytin: Konvertitin (zum Judentum) https://de.wikipedia.org/wiki/Proselytismus
Schaab: https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Anton_Schaab
-
Memorbuch: https://de.wikipedia.org/wiki/Memorbuch
-
Nachkommen Jakobs: In Deutschland lebende Juden
-
Paragraph: Textabschnitt
-
Schwarzer Tod:https://de.wikipedia.org/wiki/Schwarzer_Tod
-
Dauphiné: https://de.wikipedia.org/wiki/Dauphin%C3%A9
-
Vizille: https://de.wikipedia.org/wiki/Vizille
-
Veynes: https://de.wikipedia.org/wiki/Veynes
-
Saint-Saturnin:
https://de.wikipedia.org/wiki/Saint-Saturnin_(Puy-de-D%C3%B4me
-
Cervera: https://de.wikipedia.org/wiki/Cervera
-
Tarrega: https://de.wikipedia.org/wiki/Tarrega
-
Amadeus von Savoyen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Amadeus_VI._(Savoyen)
-
Papst Clemens VI.:
https://de.wikipedia.org/wiki/Clemens_VI.
https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/kalenderblatt/2609-papst-clemens-pest-juden-100.html
-
Chillon: https://de.wikipedia.org/wiki/Schloss_Chillon
-
Versöhnungstag: https://de.wikipedia.org/wiki/Jom_Kippur
-
Rad: https://de.wikipedia.org/wiki/R%C3%A4dern
-
Quintinskirche:
https://de.wikipedia.org/wiki/St._Quintin_(Mainz)
-
Kaiser Karl IV.:
https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_IV._(HRR)
-
Erzbischof Gerlach:
https://de.wikipedia.org/wiki/Gerlach_von_Nassau
-
Schaab: https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Anton_Schaab
-
Bodmann: https://de.wikipedia.org/wiki/Franz_Joseph_Bodmann
-
S. D. Luzzatto:
https://de.wikipedia.org/wiki/Samuel_David_Luzzatto
-
E. Carmoly: https://en.wikipedia.org/wiki/Eliakim_Carmoly
-
Judenverfolgung in Savoyen:
https://ubt.opus.hbz-nrw.de/opus45-ubtr/files/780/FGJA5_Bardelle.pdf |
Korrektur zum Beitrag über die Geschichte der Juden in Mainz
im Mittelalter (1866)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
14. November 1866: "Korrektur zum Beitrag über die Geschichte der Juden in Mainz im Mittelalter
(1866)
Frankfurt a. M. (hebräisch) (Hat sich ein Fehler
eingeschlichen, so bleibt er auch). In der Geschichte der Juden zu Mainz im
Mittelalter (deren Fortsetzung nächstens erscheinen wird), bemerkte ich bei
der Erwähnung R. Jedidias aus
Nürnberg, eines Mainzer Rabbinen, der dort ums Jahr 1305 gestorben ist, dass er nicht
in unseren Tosafot zitiert wird, und dass R. Jechiel Heilprün ihn irrtümlich
den Tosafisten zuzählt, wie sich jeder davon überzeugen kann. Herr Rabbiner
Deutsch jedoch, ist nicht dieser Meinung, er glaubt, die Angabe R. Jechiels
beziehe sich nicht auf unsere Tosafot, wo wirklich keine Spur von R. Jedidia
aus Nürnberg zu finden ist, sondern auf die alten Tosafot, wo dieser
ehrwürdige Rabbi vorkommt. Ich suche aber vergebens in den tosafot
jeschinim mokol hasch"s, die mit sogiot hasch"s in Berlin 5496 (1736, Anm. S.R.) in Folio erschienen sind, nachdem R.
Jedidia aus Nürnberg, weder im Traktat Erubin noch im Traktat Ketubot, finde
ich diese Namen. Er konnte sich aber auch gar nicht in diesen alten Tosafot,
die aus dem 12. und anfangs des 13. Jahrhunderts datieren, befinden, da er
noch im 14. Jahrhundert lebte.
Am Ende überlas ich noch einmal R. Jechiel Heilprüns Worte, sie lauten nicht
ganz, wie sie Herr Rabbiner Deutsch anführt, sondern harav Jedidja
minirnberg... . Der Name
Salomon Laurier, der R. Jechiel als Quelle angibt, überzeugt mich, dass
hier weder von unseren Tosafot noch von den alten Tosafot die Rede ist,
sondern von den chalufei gersaot besch"s, die R.
Jechiel Heilprün im Artikel: harav Chajim bar jizchak koenkoz als
Quelle angibt, das sind die Notizen des R. Arje Löb, Herausgeber des Talmuds
Edit. Amsterdam und
Frankfurt a. M., von Heilprün
sch"s chadaschim genannt. Dieser R. Arje Löb hat in seine chalufei
gersaot hamaferschim, Randglossen, die er in einem
Manuskript der alten Tosafot zu einigen Traktaten fand, aufgenommen und sie
irrtümlich mit dem Titel 'Alte Tosafot' dekoriert. Dieser Irrtum leitete
Heilprün irre, leitete Herrn Deutsch irre,denn hat sich ein Fehler
eingeschlichen, so bleibt er auch!
Schließlich bemerke ich, dass der zweite R. Jedidia den R. Arje Löb im Namen
Salomon Lauriers erwähnt, nicht R. Jedidia aus Nürnberg ist, wie der
Verfasser der Seder ha-Dorot glaubt, sondern R. Jedidia aus Melun, welcher
am Ende des 12. Jahrhundert in Frankreich lebte. Vergl. chalufot pessach,
sefer haminhag, § 35: ken kibaliti mipi haraw raw Jedidja sichrono liwracha
mimelun, der in
der Tat ein Tosafist war und in tosofot schanz und noch
anderwärts vorkommt, wie ich bereits in einem Briefe an Herrn Dr. Buchholz,
Rabbiner in Märkisch Friedland, welcher sich mit einer Geschichte der
Charakteristik der Tosafot beschäftigt, bemerkt habe.
Da ich einmal von schiwscheta kejon daal al spreche, kann ich
nicht umhin, auf einen Fehler aufmerksam zu machen, der mir ebenfalls zur
Last gelegt wird. Dr. B. H. Auerbach schreibt in seiner Geschichte der
israelitischen Gemeinde Halberstadt Seite 87: 'Dass der berühmte Londoner
Rabbiner Hirschel Lewin wirklich die hiesige Rabbbinerstelle mehrere Jahre
bekleidete, wird von Carmoly und R. bestritten. (Hebräisch) wie sich jeder
überzeugen kann, der meine Schrift haorawim uwnei jona S. 37
nachsieht.
Ich bestritt nur die Angabe seines Epitaphs, dass er in
Mannheim Rabbiner war, dem
französischen Sprichwort gemäß: Menteur comme une épitaphe.
E. Carmoly."
Anmerkungen: -
Tosafot: https://de.wikipedia.org/wiki/Tosafot
Melun: https://de.wikipedia.org/wiki/Melun
Märkisch Friedland: https://de.wikipedia.org/wiki/Miros%C5%82awiec
Dr. B. H. Auerbach:
https://en.wikipedia.org/wiki/Benjamin_Hirsch_Auerbach
Hirschel Lewin:
https://www.deutsche-biographie.de/pnd102787123.html
Menteur comme une épitaphe: In etwa 'Verlogen wie eine Grabinschrift'
entspricht ungefähr 'Es wird selten so viel gelogen, wie auf einer
Beerdigung'.
E. Carmoly: https://de.wikipedia.org/wiki/Eljakim_Carmoly |
Die
Judenverfolgungen in den Städten Speyer, Worms und Mainz im Jahre 1096,
während des ersten Kreuzzuges - mit Übersetzung eines mittelalterlichen
Berichtes des Elieser ben Nathan Halevi aus
Köln (Beitrag von Moses Mannheimer, 1876)
Anmerkung: der Beitrag von Moses Mannheimer wurde später nochmals aufgelegt,
vgl. https://www.amazon.de/Judenverfolgungen-Speyer-W%C3%A4hrend-Ersten-Kreuzzuges/dp/0332483851
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 9. Mai 1876: "Die Judenverfolgungen in den Städten Speyer,
Worms und Mainz im Jahre 1096, während des ersten Kreuzzuges.
Aus einem hebräischen Manuskripte übertragen von Moses Mannheimer,
emeritierter Rabbinatsverweser in Darmstadt
Die Geschichte der Kreuzzüge ist bis jetzt noch nicht vollständig nach allen
ihren Beziehungen aufgehellt, so sehr auch emsige Forscher bemüht waren,
alles einschlägige, ihnen zu Gebote stehende Material zu sammeln, zu sichten
und daraus ein vollständiges, alles Bedeutsame umfassendes Bild zu schaffen.
Am wenigsten ist dies aber der Fall bei demjenigen Teile derselben, der die
Judenverfolgungen betrifft, ungeachtet Letztere große blühende Gemeinden mit
barbarischer Grausamkeit gänzlich vernichteten und auch mit den allgemeinen
politischen Verhältnissen Deutschlands in einigem Zusammenhange standen. Im
Mittelalter hat die mündliche Überlieferung die Stelle der Aufzeichnung
versehen. Sie hat in Familien und Gemeinden wie Taten und Begegnisse der
Väter, einige Generationen hindurch, frisch und lebendig erhalten, bis sie
sich allmählich trübte und dann erlosch. Das Aufzeichnen derselben und das
hinlänglich wiederholte Abschreiben des Aufgezeichneten war nicht allgemein
verbreitet, nicht genug im Gebrauch und Übung; daher fließen die
Geschichtsquellen von damals außerordentlich dürftig. –
Von den rubrizierten (= katalogisierten, aufgezeichneten)
Verfolgungen der damals bedeutendsten jüdischen Gemeinden waren kaum einige
fragmentarische Berichte zu uns gelangt. Nur eine eigentlich interne
Geschichtsquelle ist uns aufbewahrt geblieben, das ist die von Dr. Jellinek
(vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Adolf_Jellinek) zum ersten Male
(Leipzig 1854) edierte Konteros tatnu (Anmerkung 1) 'Bericht
über die Leiden des Jahres 1096' von Elieser ben Nathan Halevi aus Köln (vgl.
https://en.wikipedia.org/wiki/Eliezer_ben_Nathan). Da jedoch der
Verfasser in Köln wohnte, so hat er über die dortige Verfolgung, deren
Augenzeuge er war, ausführlicher berichtet als über die, welche in Speyer,
Worms und Mainz stattgefunden hat. Hinsichtlich dieser Städte, die noch den
ersten Anprall der vertierten Blutmenschen auszuhalten hatten, ist sein
Bericht lückenhaft. Auch die Poetanen (Anmerkung 2) (Poeten),
die in synagogalen Dichtungen die Leiden der Gemeinden und ihren darüber
empfundenen tiefen Schmerz ausdrückten, konnten doch nur für ihren Zweck
einzelne Züge aus der Reihe der Begebenheiten hervorheben, und da dieselben
in ein poetisches Gewand gekleidet waren, so konnte der Leser oder Beter
leicht versucht sein, in ihnen anstatt Wahrheit nur hyperbolische
Redefiguren zu erblicken. – Unter diesen Umständen muss es uns willkommen
sein, wenn hier und da noch irgendein altes Manuskript zum Vorschein kommt,
das uns von Details Kunde bringt, die uns bis jetzt nicht bekannt waren, und
die zur Berichtigung und Ergänzung der historischen Darstellung einen
Beitrag liefern. Zu einem solchen bin ich dieser Tage gelangt. Dasselbe
enthält in hebräischer Sprache einen ziemlich ausführlichen Bericht über die
1096, während des ersten Kreuzzuges in Speyer, Worms und Mainz,
stattgefundenen schrecklichen Judenverfolgungen und ich fühle mich
verpflichtet, denselben, ins Deutsche übertragen, in dieser geschätzten
Zeitung der Öffentlichkeit zu übergeben. Dieses Manuskript befindet sich im
Besitze der Großherzoglichen Hofbibliothek (Anmerkung 3)
dahier. Vor kurzem hatte Herr Hofbibliothekar Dr. Maurer die Güte, mich
darauf aufmerksam zu machen. Es bildet ein aus ungefähr 100
Pergamentblättern zusammengeheftetes Buch, im Quartformat; ohne Einband. Der
Anfang, darunter das Titelblatt, fehlt. Es scheint durch einen Brand
geschädigt worden zu sein. – Den Namen des Verfassers sowie die Zeit, wann
er gelebt hat, habe ich bis jetzt noch nicht genau ermitteln können. – Die
darin behandelten, verschiedenen Materien scheinen übrigens verschiedenen
Verfassern (Anmerkung 4) zu verschiedenen Zeiten anzugehören.
– Die ersten 11 Blätter enthalten scharfsinnige Dezisionen, verbunden mit
kurzen Erörterungen über die jüdischen Trauergebräuche, wie diese nämlich in
besondern Verhältnissen und Umständen anzuwenden seien; die folgenden 4
Blätter umfassen eine Betrachtung über den damals erwarteten Messias und den
Krieg des Gog Magog (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Gog_und_Magog) und daran schließt sich
auf den nachfolgenden 4 Blättern der Bericht über die Verfolgungen während
des ersten Kreuzzuges. Die auf diesen 19 Blättern angewandte und sich stets
gleichbleibende Schriftart ist eine ganz eigentümlich aus mehreren
Schriftarten zusammengesetzte. Manche Buchstaben haben die Form der
Quadratschrift (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Quadratschrift (ktaw meruba =
Quadratschrift) , andere kommen der sogenannten Kurrentschrift (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Kurrentschrift) sehr nahe,
bildeten vielleicht ehedem einen Übergang zu dieser. – Ich werde nun mit der
Wiedergabe des Inhalts des Berichts beginnen; jedoch werde ich alle darin
vorkommenden, wenn auch mit den stattgefundenen Gräueltaten entschuldbaren
Ausdrücke übergehen.-
Im Jahre 1028 (Anmerkung 5) nach der Zerstörung des Tempels
kamen Verhängnisse über Israel. Es erhoben sich nämlich in Frankreich
Herren, Ritter, Grafen und Fürsten, und das gemeine Volk, und berieten sich
zusammen und fassten den Entschluss, sich kämpfend Bahn zu machen und nach
Jerusalem zu wallen, zum Grabe Christi. – Und sie sprachen zueinander:
'Seht, wir wagen unser Leben, um zu streiten mit Königen der Erde, und zu
morden und zu zertrümmern solche Reiche, die nicht an Christus glauben –
seht doch, da die Juden, die ihn gekreuzigt haben – entweder sie müssen sich
zu ihm bekennen oder wir vertilgen sie von Kind bis Säugling.'
(Anmerkung 6). Und sie hefteten das Zeichen des Kreuzes an ihre
Kleider (Anmerkung 7) und setzten Helme auf. – Und als dies
die Gemeinden in Frankreich hörten, wurden sie von Entsetzen ergriffen. Sie
sandten sofort Boten mit Briefen an die Gemeinden in den Rheingegenden, dass
sie noch fasten und den, der in der Höhe thront, bitten möchten, dass er sie |
retten
wolle aus der Hand ihrer Verfolger. Und als ein solches Schreiben bei den
gottesfürchtigen berühmten Männern in Mainz (Anmerkung 8)
anlangte, schrieben sie den jüdischen Gemeinden Frankreichs folgende
Antwort: 'Alle Gemeinden (nämlich am Rhein) haben Fast- und Bußtage
angeordnet. Wir tun das Unsrige. Gott möge Euch retten aus aller Not und
Bedrängnis. Wir sind Euretwegen sehr in Ängsten. Was jedoch uns anbelangt,
so haben wir kaum etwas von der Sache gehört.' (Anmerkung 9)
Und als die Irrenden (Anmerkung 10)anfingen, hereinzukommen in
dieses Land (Anmerkung 11), da verlangten sie Geld, um Brot zu
kaufen. Wir gaben es ihnen. Wir dachten über uns nach - betrübten
(Anmerkung 12) sie doch den König überall und lebten! All dies half
uns aber nichts – unsere Sünden verursachten es - denn die Städter
(Anmerkung 13) in jener Stadt, wohin die Irrenden kamen, reizten
diese wider uns auf, standen ihnen bei, um Weinstock und Wurzel auf dem
ganzen Wege bis Jerusalem auszurotten. – Als nun eine sehr große Schar der
Irrenden angelangt war, da sprachen einige der Herren (Vorgesetzte, Ritter,
Grafen etc.), welche in diesem Königreich sich befanden: 'Warum bleiben wir
so müßig? Lasst uns mit ihnen ziehen! Denn ein Jeder, der diesen Weg geht
und sich den Strapazen und Mühen der Reise unterwirft, um zum Grabe des
Nazareners zu gelangen, ist zur Seligkeit im Paradiese bereit und bestimmt.'
Und die versammelten sich, die Irrenden und sie (die Städter), sowohl Herren
als gemeines Volk aus verschiedenen Provinzen, bis sie so viel als Sand am
Meer waren, und ließen bekanntmachen: 'Wer einen Juden tötet, dessen Sünden
sollen vergeben sein.' – Auch ein Pechach (Anmerkung 14)
(Ritter, Graf, Bischof etc.) war da, der Dithmar (Anmerkung 15)
hieß. Dieser sagte, er gehe nicht aus diesem Königreiche hinaus, bis er
einen Juden getötet hat, nur dann werde er gehen seines Wegs. – Und es
geschah als die Gemeinde zu Mainz dieses alles hörte, das schrien sie
gewaltig zu Gott, verbrachten Tag und Nacht im Fasten und Beten, auch
Klagelieder rezitierten sie, und dennoch hat sich Gottes Zorn nicht von uns
gewandt. Vielmehr kamen die Irrenden mit ihren Zeichen herbei, stellten sich
vor unsern Häusern auf, und erblickten sie einen von uns, liefen sie ihm
nach und stachen ihn mit Spießen, sodass wir nicht mehr unsre Türschwelle zu
überschreiten wagten. – Und es geschah am 8. des Monats Adar (Anmerkung
16), an einem Sabbath, da fing das schreckliche Verhängnis uns zu
treffen an. Da standen nämlich die Irrenden und die Städter zuvörderst gegen
die heiligen Männer der Gemeinde Speyer auf. Sie fassten den Entschluss, die
Juden alle in der Synagoge zu ergreifen und als sie sahen, dass ihr
Ratschluss vereitelt war, indem die Juden in der Frühe die Synagoge besucht,
daselbst eilends gebetet und sie schnell verlassen hatten, da fielen sie
über dieselben außerhalb der Synagoge her und töteten 11 Personen. Als aber
der Hegemann (Anführer, Herr, Bischof) Johann (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Johannes_I._(Kraichgau)) es hörte, kam
er mit Mannschaft herbei, um der Gemeinde Hilfe zu leisten. Viele Juden
brachte er in seine Gemächer, um sie vor der Mörderbande zu schützen. Einige
von den Städtern (Anmerkung 17) ließ er ergreifen und ihnen
die Hand abhauen. Durch ihn hat uns Gott Rettung gebracht. Auch lebte
daselbst ein Gemeindevorsteher: Rabbi Moses ben Jekuthiel. Dieser setzte
sein Leben für seine Brüder ein und bewirkte, dass die zur Taufe
Gezwungenen, welche noch hier und da im Königreiche Heinrichs vorhanden
waren, zu ihrer Religion zurückkehrten. Und auf Anordnung des Königs hat der
Bischof Johann sie in Burgen, feste Plätze gebracht, bis die Feinde Gottes
vorüber waren. Daselbst fasteten, weinten und beteten sie stets; sie waren
auch ihres Lebens überdrüssig; denn täglich sammelten sich ihre Feinde – und
Emmichen (Anmerkung 18, vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Emicho_(Kreuzfahrer)) war bei ihnen -
um sie zu ergreifen und sie auszutilgen (Anmerkung 19)- Also
durch von Bischof Johann, der keine Bestechung annahm, dessen Herz vielmehr
Gott erfüllte – er war ein sehr frommer Mann – brachte Gott uns Rettung.
Anmerkungen des Einsenders
1) TTNW: Diese 4 hebräischen Buchstaben bedeuten als Zahlzeichen
856, d.h. das 856ste Jahr des fünften Jahrtausends nach Erschaffung der
Welt, das ist 1096 n. Chr.
2) In der Klag- und Bußliedersammlug (Selichot) rührt die bekannte Selicha (hebräisch
und deutsch:) 'Die Stimme ist Jakobs Stimme' von Kalonymos ben
Jehuda (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Kalonymiden) her. Da es aber 2 Kalonymos
ben Jehuda gab, einen in Mainz und einen in Speyer, so ist's nach Ansicht
des Herrn Dr. Grätz zweifelhaft, wer von beiden der Verfasser dieser Selicha
sei. Da aber in dem von mir entdeckten Manuskript der Mainzer Vorgänge
solche eigentümlichen Bezeichnungen von Jammerszenen vorkommen, die sich
wörtlich in der erwähnten Selicha wiederfinden, so ist es mir fast gewiss,
dass Letztere die Klagetöne und Seufzer eines Leidensgenossen und
Augenzeugen in Mainz enthält und einen solchen zu ihrem Urheber hat.
3) Die Großherzogliche Hofbibliothek (heute Stadtbibliothek Worms)
dahier ist eine der größten Deutschlands. Ihre Verwaltung ist gegenwärtig
unter der ein- und umsichtsvollen Direktion des Herrn Geheimrat Dr. Walter
eine ausgezeichnete. Die Anschaffung neuer Werke wird allen Gebieten des
Wissens, auch dem rabbinisch-talmudischen, gebührende Rechnung getragen.
4) Die Dezisionen können nicht früher als gegen das Ende des 13ten
Jahrhunderts verfasst worden sein; denn ihr Verfasser zitiert außer anderen
Autoritäten aus der Tosaphisten-Schule (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Tosafot) auch den berühmten Rabbi Meier
ben Baruch aus Rothenburg, bekannt unter dem Namen Maharam. Er führt
nur seine mündlichen Aussprüche an und scheint ein Schüler von ihm gewesen
zu sein. Rabbi Meiers Lehrhaus blühte aber erst in der zweiten Hälfte des
13ten Jahrhunderts; er wurde 1286 nach dem Schloss
Ensisheim im Elsass gebracht, wo er in
Gewahrsam blieb, bis er 1293 starb; seine Leiche wurde aber erst 1304 nach
Worms gebracht und dort begraben. Bei Abfassung der Dezisionen war Rabbi Meïer
schon gestorben, denn der Verfasser fügt bei dessen Namensnennung immer
(Hebräisch) hinzu, womit man nur einen Toten ehrte. - Dass er das von Ascher
ben Jechiel, Rabbiner zu Toledo (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Ascher_ben_Jechiel) (starb 1327) verfasste
Hauptwerk für talmudische Gesetzeskunde, bekannt unter dem Namen Rosch
nicht kannte, geht daraus hervor, dass er ihn nie anführt, was jedoch nicht
auffällig sein kann, wenn man erwägt, dass 50 Jahre nach dem Tode des |
Rabbi
Ascher, dessen Schriften noch etwas Seltenes in den Rheingegenden waren
(Leopold Zunz: Zur Geschichte und Literatur, S. 211
Link zur Seite). – Der Verfasser der Betrachtung über den Messias
kann spätestens, da er die Ankunft desselben noch vor Ablauf des 5ten
Jahrtausends nach Erschaffung der Welt erwartete, im Anfange des 13ten
Jahrhunderts gelebt haben. Wann der Verfasser des Berichts über die
Verfolgungen gelebt hat, lässt sich nicht genau bestimmen.- Die Schrift
dieser drei verschiedenen Geisteszeugnisse kann nur, da sie sicher vor einer
und derselben Hand herrührt, entweder vom Verfasser der Dezisionen oder, was
mir wahrscheinlicher ist, von einem Abschreiber (Kopisten) geschrieben
worden sein.
5) Hier ist wieder ein Beispiel, dass im Mittelalter öfters nach der
Tempelzerstörung gezählt wurde. Die Vermutung des Herrn Dr. Grätz
(Geschichte der Israeliten, Band IV), dass das rätselhafte 2. Datum an der
Synagoge zu Worms, welches die Erbauung derselben in das Jahr 946 verlegt,
von der Zerstörung des Tempels an gerechnet wäre, ist demnach wohlbegründet.
6) Im Hebräischen ist dies ein bildlicher Ausdruck in der Bedeutung von
Alles. In der Tat aber schonten die Unmenschen auch die Säuglinge nicht.
In Schlossers Weltgeschichte Band V wird von den Kreuzfahrern, welche am 15.
Juli 1099 Jerusalem eroberten, berichtet: 'Die ganze Nacht hindurch wurden
die Moslemen gewürgt. Man metzelte alle Ungläubigen nieder und schonte nicht
einmal die Säuglinge.'
7) Schti waErew habe ich mit Kreuz übersetzt. Wörtlich heißt Schti
Aufzug (Zettel) und Erew heißt Durchschlag. Das Bild ist vom Gewebe
hergenommen und bezeichnet etwas, das sich kreuzt. Talmud Chullin 109b (hebräisch
und deutsch:) 'Er zerreißt es (das Herz) in Länge und Breite.'
8) Seit Anfang des elften Jahrhunderts wurde
Mainz als der Sitz talmudischer Gelehrsamkeit angesehen. Diesen Ruf
hatte es wesentlich den ausgezeichneten Leistungen des eine lange Reihe von
Jahren daselbst in Wort und Schrift lehrenden Rabbi Gerschom ben Jehuda
(vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Gerschom_ben_Jehuda) zu verdanken, den
man die Leuchte des Exils nannte, um anzudeuten, wie viel man ihm zu
verdanken habe. Die von ihm gegründete Talmudschule wurde auch von Raschi
besucht. Von seinen Anordnungen, die zu allgemeinen Annahmen gelangten,
waren 3 besonders wichtig: 1) die gänzliche Abschaffung der Polygamie, eine
Verordnung, welche auch die mosaische Levirats-Ehe (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Levirat) berührte; 2) dass eine Frau
ohne ihre Einwilligung der Scheidebrief (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Scheidebrief) nicht behändigt werden
dürfe, und 3) das Briefgeheimnis, welches zu brechen bei Strafe des Bannes
verboten war. Dies ist umso notwendiger gewesen, als damals die Briefe durch
Boten übermittelt wurden.-
9) Diesen den Ereignissen vorangegangene und den damaligen Verhältnissen
angemessene Briefwechsel zwischen Mainz und den bedrohten Gemeinden ist,
meines Wissens, noch in keinem anderen Berichte erwähnt worden.
10) Hato'im Die Irrenden. So pflegten die Juden des Mittelalters die
Kreuzritter zu nennen. Leopold Zunz, Zur Geschichte und Literatur, S. 182 (Link
zur Seite), übersetzt 'die Herumirrenden', wahrscheinlich von ihrem
unsteten Umherziehen. Mir scheint es aber, dass man dabei auch an ihre
irrigen Ansichten und Neigungen dachte, daher übersetze ich 'die Irrenden'.
11) Damals begriff man unter dem Lande Lothringen auch noch die Gegenden des
linken Rheinufers und die Gelehrten in Speyer, Worms und Mainz nannte man
die Gelehrten Lothringens.
12) Die Stelle lautet: Awru et melech wechiu. Sie ist schwierig,
scheint aber folgenden Sinn zu haben: Im damaligen heftigen Streit zwischen
dem Papst Urban II. (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Urban_II.) und König Heinrich IV von
Deutschland (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_IV._(HRR)), haben solche
gewiss das Kreuz nicht genommen, welche Letzterem treu gesinnt waren. Lag
doch dem Papste bei seiner an die Völker ergangenen Aufforderung, einen
Kreuzzug gegen die Sarazenen zu unternehmen, die offenbare Absicht am
Herzen, die Völker unter päpstlicher Hierarchie zu vereinigen und dadurch
die Macht des Königstums zu schwächen! - So finden wir denn auch, dass die
ihm Jahre 1091 der jüdischen Gemeinde zu Speyer vom König Heinrich IV
ausgestellte, den Juden höchst günstige Urkunde von der kreuzzüglerischen
Schar verhöhnt und missachtet wurde.- Unsre Stelle will demnach fragen, sie
konnten den König missachten, ohne das Leben zu verwirken.-
13) Ironim Stadtbewohner, Städter. Der Verfasser hat von Ir (=
Stadt) ein Denominaticum gebildet, wie von Schilo - Schiloni. - Doch
hat sich nur ein Teil der Städter mit den Kreuzzüglern verbunden, das
räuberische Gesindel; die andern blieben gleichgültig oder standen öfters
den Juden noch bei. Woher hätte denn der Bischof Johannsen die Mannschaft
erhalten können, mit welcher er gegen die Angreifenden einschritt, als aus
der Mitte der Städter?
14) Pächa heißt eigentlich Statthalter, der Verfasser scheint aber
Ritter, Grafen etc. so benannt zu haben, wie sie meistens ihre Besitzungen
zu Lehen (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Lehnswesen) hatten, demnach als
Statthalter angesehen werden konnten.
15) Die Geschichte der Kreuzzüge erzählt nichts von einem Dithmar,
demungeachtet kann derselbe noch existiert und das getan haben was hier
berichtet wird. Einen Adhemar von Puy (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Adhemar_de_Monteil) gab es, der zuerst
auf der Versammlung zu Clermont das Gelübde des Kreuzes ablegte und könnte
hier ein Schreibfehler eingeflossen sein. - Es ist merkwürdig, dass sowohl
in diesem wie in manchem anderen jüdischen Berichte nichts von Peter von
Amiens (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Peter_der_Einsiedler) erwähnt wird.
Sollte dies nicht, wenn auch nur eine sekundäre Bestätigung der Behauptung
des Herrn Heinrich von Sybel in seiner Geschichte des ersten Kreuzzuges
sein, dass nämlich die Erzählung, Peter von Amiens habe zuerst den Papst
Urban II. und dann die Völker zur Unternehmung des Kreuzzuges aufgerufen,
nur eine Sage sein, die der geschichtlichen Wahrheit entbehre? Man wollte
die Askese verherrlichen und an dem Eremiten Peter zeigen, wessen sie
gewürdigt werde und welche Taten sie zu vollbringen im Stande sei. – In
Wahrheit aber sei es der Papst gewesen, der den Impuls zu diese großen
Völkerbewegung gegeben habe. – Herr Dr. Grätz hat in seiner Geschichte der
Juden (Band IV, S. 95) die gewöhnliche Meinung über Peter von Amiens
beibehalten.
16) Hier steht bejom chet bechodesch adar bejom haschiwa, während
nach Grätz im Berichte des Rabbiners Elieser Ijar steht (sc. zwei
unterschiedliche Monatsangaben). Möglich, dass hier ein Schreibfehler
vorhanden ist.
17) Nach Grätz waren es Wallbrüder, nach unserem Berichte aber Städter, die
Bischof Johann bestrafen ließ. Die Angabe unseres Berichts ist
wahrscheinlicher, indem über die Wallbrüder der Bischof schwerlich eine
Jurisdiktion besessen hat.
18) Lehaschmid otam kann ebenso gut bedeuten: 'Sie zu töten', als
durch Verlassen ihrer Religion sie aus der Gemeinde 'zu tilgen'.
19) Dieser Emmichen oder Emigo, Graf von
Leiningen war ein gewissenloser, blutdürstiger Wüterich. (Fortsetzung
folgt) . |
Fortsetzung
des Beitrages von Moses Mannheimer (Teil 2)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 16. Mai 1876: "(Fortsetzung)
Und es geschah, als in Worms die Nachricht angelangt, dass ein Teil der
Speyer’schen Gemeinde getötet worden war, da schrien sie zu Gott und weinten
bitterlich; denn sie sahen ein, dass vom Himmel ein böses Verhängnis über
sie beschlossen, dem sie nicht ausweichen konnten, weder nach vorwärts noch
nach rückwärts. Und die Gemeinde teilte sich in zwei Abteilungen: Die einen
flohen zum Bischof (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Johannes_I._(Kraichgau)), in dessen
Schlösser und Burgen, und die anderen blieben in ihren Häusern, vertrauend
auf die Zusicherung der Städter, die zu ihnen gesagt hatten: 'Fürchtet Euch
nicht vor ihnen (den Kreuzfahrern); denn wer einen von Euch tötet, der werde
mit dem Leben bestraft.' Allein die Versicherungen der Städter waren Worte
der List und Falschheit, geknicktem Rohre gleich, das die Hand beschädigt,
die sich darauf stützt. Sie standen den Herumirrenden bei, um uns Namen und
Überrest auszutilgen. Auch entfliehen ließen sie sie (die Jehudim =
Juden) nicht; denn die Mitglieder (Anmerkung 1) der Gemeinde hatten
ihnen ihr Gold zur Aufbewahrung gegeben, darum haben diese sie überliefert (gemeint:
ausgeliefert; nämlich den Wallfahrern). –
Und es geschah am 10. Ijar (Anmerkung 2) = 5. Mai 1096, an einem
Sonntag, da fassten sie listige Anschläge. Sie holten einen schon 30 Tage
lang begrabenen Leichnam herbei, trugen ihn in der Stadt umher und riefen
aus: 'Seht, was die Juden in unserer Nachbarschaft getan haben! Sie haben
einen Christen im Wasser gebrüht und dasselbe in unsere Brunnen geschüttet,
um uns zu töten.' Und als die Umherirrenden und Städter dies hörten, da
erhoben sie einen gewaltigen Lärm, versammelten alle Waffentragenden und
sprachen: 'Jetzt ist die Zeit gekommen, den zu rächen, den ihre Väter
gekreuzigt haben. Nun soll keiner von ihnen übrig bleiben, selbst Säuglinge
nicht in ihren Betten (Wiegen).' Und sie drangen in die Häuser und
erschlugen die, welche sich darin befanden: Greise und Greisinnen, Jünglinge
und Jungfrauen, sogar Knechte und Mägde. Alle ließen sich töten, zur
Heiligung des göttlichen Namens, des furchtbaren und ewigerhabenen, der da
herrscht in der Höhe und in der Tiefe. Er war und ist, ewiger Zebaoth ist
sein Name. Er ist gekrönt mit den Regeln (Gesetzen) der 72 Namen
(Anmerkung 3). Er schuf die Thora 974 Geschlechter (Zeitalter) vor der
Erschaffung der Welt. Und 20 Geschlechter vergingen von der Erschaffung der
Welt an bis auf Moses, den Vater der Propheten, durch welchen die heilige
Thora uns geworden ist. Und dieser Moses war herbeigekommen und hat in
dieselbe hineingeschrieben: 'Dem Ewigen hast du kundgetan, sein Volk bleiben
zu wollen.' Auf ihn und seine heilige Thora wurden sie wie Ochsen geschlagen
und auf öffentlichen Plätzen und in Straßen umhergeschleift, wie Schafe zur
Schlachtbank geschleift werden. Sie lagen da nackt, denn sie (ihre Mörder)
hatten sie entkleidet und nackt liegen lassen. -
Als nun die Übriggebliebenen ihre Brüder nackt und die Töchter Israels, die
züchtigen und verschämten, nackt da liegen sahen, da sprachen einige von
ihnen, der schrecklichen Not nachgebend: 'Lasst uns momentan ihren Willen
tun (nämlich die Taufe annehmen), damit wir unsre Brüder begraben dürfen und
unsre Kinder aus ihrer Hand retten.' Denn die Herumirrenden hatten die an
geringer Zahl übriggebliebenen Kinder ergriffen, um sie zu nötigen, ihren
Glauben anzunehmen; diese hatten es jedoch verweigert, blieben vielmehr
Gott, ihrem Schöpfer, treu. Auch die übrigen in den Gemächern des Bischofs
sich befindenden Gemeindemitglieder, darunter Häupter (Vorsteher) und
Wohltäter sandten den (den Mörderhänden der Kreuzzügler) Entronnenen Kleider
um die Getöteten zu bekleiden, und ließen ihnen den (zur Taufe) Gezwungenen
(Anmerkung 4) Worte des Trostes sagen: 'Fürchtet Euch nicht und
nehmet Euch das, was ihr getan, nicht zu Herzen, denn wenn uns der Heilige,
gelobt sei er, aus der Hand unsrer Feinde rettet, so werden wir mit Euch
sein im Leben und im Tode, weichet nur nicht vom Ewigen' (nämlich in Euerem
Inneren). –
Und es geschah am 25. Ijar = 20. Mai 1096, da sprachen die Herumirrenden und
die Städter: 'Seht, da sind noch die, welche in den Gemächern des Bischofs
übriggeblieben, lasst uns auch an ihnen Rache nehmen!' Und es sammelten sich
(Leute) aus den Dörfern in der Umgegend und die Herumirrenden und die
Städter und belagerten sie und kämpften mit ihnen (den Juden), und es
entbrannte ein heftiger gegenseitiger Kampf, bis jene die Gemächer erobert
hatten, worin die Kinder des heiligen Bundes sich befanden. Und als diese
einsahen, dass aus diesem Kampfe kein Entkommen möglich war, da erkannten
sie das über sie vom Könige aller Könige verfügte Urteil als gerecht an und
brachen Opfer der Frömmigkeit, indem sie sogar ihre Kinder ergriffen und
schlachteten auf die Einheit des göttlichen Namens, mit ganzem Herzen. –
Daselbst wurden die Besten der Gemeinde getötet. –
Und es befand sich daselbst (nämlich in den Räumen des bischöflichen
Palastes) ein junger Mann, Rabbi Meschullam ben Isaak. Er rief allen
Umstehenden sowie seiner Frau Zipporah (Anmerkung 5) mit erhobener
Stimme zu: 'Höret mich an, ihr Großen und Kleinen! Diesen Sohn hat mir Gott
gegeben, meine Frau Zipporah gebar ihn mir in ihrem vorgerückten Alter, er
heißt Isaak. Jetzt will ich ihn zum Opfer bringen wie dereinst unser Vater
Abraham getan mit seinem Sohne.' Aber Zipporah |
antwortete:
'Ach mein Herr, warte noch ein wenig, lege nicht deine Hand an den Knaben!
Ich habe ihn in meinem vorgerückten Alter geboren und ihn großgezogen (mit
einer Liebe) wie der Adler seine Jungen hegt und pflegt.' Er aber sprach:
'Ich zögere keinen Augenblick. Der ihn mir gegeben, nehme ich ihn als sein
Teil zurück und bringe ihn in den Schoß unseres Vaters Abraham.' (Anmerkung
6). Und er nahm das Schlachtmesser und sprach die Benediktion des Schächters
aus, worauf der Knabe laut sprach: Amen! und schächtete seinen Sohn. Hierauf
ergriff er seine laut schreiende Frau, und sie gingen vereint aus dem
Zimmer, und die Herumirrenden töteten sie.-
Und es befand sich daselbst (Worms) ein junger Mann, Isaak ben Daniel.
Diesen fragten sie (die Kreuzfahrer): '´Willst du deinen Gott vertauschen?'
Er antwortete: 'Fern sei es von mir, ihn zu verleugnen. Im Vertrauen auf ihn
will ich mich stärken und dann ihm meine Seele übergeben.' Und sie banden um
seinen Hals einen Strick, schleiften ihn damit im Gassenkot bis zur Kirche,
und da seine Seele noch in seiner Höhlung (Anmerkung 7) (Innere) war,
sprachen sie zu ihm: 'Noch kannst du dich retten. Willst Du deinen Gott
vertauschen?' Er aber, der nicht mehr sprechen konnte, gab ein Zeichen mit
seinen Fingern, andeutend: 'Schneidet mir den Kopf ab!' Und sie taten es. –
Und die Übrigen, nachdem sie täglich gefastet und schwach geworden, dass sie
sich nicht zur Wehre setzen konnten, und nachdem sie ihre getöteten
Hausgenossen und Freunde beweint hatten, übergaben sie ihr Leben, sprechend:
'Lasst uns fallen in die Hand Gottes und das große Licht im Jenseits
schauen.' -
Noch ein junger Mann war daselbst, Rabbi Simcha Hakohen, Sohn unseres
Meisters und Lehrers Isaak Hakohen. Dieser gab ihnen zur Antwort: 'Ich will
Euer Verlangen tun, führt mich aber vorher zum Bischof.' Und sie taten es.
Bis sie nun in der Wohnung des Bischofs ihn zu taufen begannen, zog er ein
verborgen gehaltenes Messer hervor, erstach den Neffen des Bischofs, der
unter ihnen tätig war, und noch zwei andere. Hierauf wurde er getötet. –
Auch eine vornehme Frau befand sich daselbst, Minna. Sie hielt sich
verborgen in einem Hause außerhalb der Stadt unter dem Erdboden. Da
versammelten sich um sie herum alle Stadtleute und sprachen zu ihr: 'Siehe,
du bist ein biederes Weib. Erkenne doch, dass Gott Euch nicht retten will,
Euere Leute liegen tot auf der Straße, und niemand begräbt sie. Taufe dich!'
– Sie fürchteten Hand an sie zu legen, weil die Fürsten des Landes und die
Vornehmen der Stadt bei ihr einzukehren zu pflegten. – Sie aber antwortete:
'Fern sei es mir, meinen Gott zu verleugnen. Auf ihn und seine heilige Thora
sollt Ihr mich töten, zögert nicht.' Und auch diese berühmte Frau wurde
getötet. – Alle wurden daselbst getötet, sie haben sich auch selbst einander
geschlachtet zur Heiligung des göttlichen Namens.
Anmerkungen des Einsenders
1) Manchmal bemerkt man im Manuskript offenbare Schreibfehler. Nach
Rektifizierung lautet diese Stelle also: (Hebräisch), was ich dahin
deute: viele Gemeindemitglieder haben ihr Geld den Städtern, ihren
Versprechungen vertrauend, zur Aufbewahrung übergeben, um es gegen
Raubgesindel zu sichern; aber bei der schlichten Gesinnung der Städter
diente dieser Umstand gerade dazu, dass sie dieselben desto eher den
Kreuzfahrern zur Niedermetzelung überlieferten, weil sie dadurch enthoben
waren, das Geld wieder herauszugeben. – Höchstwahrscheinlich ist’s, dass
nicht alle Städter solche schlechte Gesinnung teilten, und wenn der
Verfasser unter denselben keinen Unterschied setzt, so mag dies ebenso wohl
an der Ungenauigkeit der mündlichen Überlieferung liegen, die ihm geworden,
wie der schriftlichen Aufzeichnung, die er uns mitteilt. Die hebräische
Sprache hat auch Mangel an positiven Fürwörtern wie einige, etliche, manche
etc., darum bedient er sich kurzweg des persönlichen Fürworts in der dritten
Person 'sie', ohne dass er gerade alle darunter verstanden wissen wollte.
Die Solidarität in Beurteilung der Nichtisraeliten ist ohnehin dem Judentume
fremd, wie im Talmud Beispiele zeigen. Andererseits steht die Relation
dieses Manuskripts im Widerspruch mit der Behauptung des Herrn Dr. Grätz
(Geschichte der Juden, Band IV, S. 247): 'Endlich waren die Bürger und der
Rat ganz unschuldig an dem Gemetzel der Wormser Gemeinde beim ersten
Kreuzzug. Ihre Henker waren lediglich die Kreuzzügler und der Bischof.' -
2) Die Tagesdaten stimmen mit Rabbi Elieser ben Nathan nicht überein.
3) Bekanntlich eine Vorstellung der jüdischen Mystik, Kabbalah. Neben dieser
finden wir in dem Berichte dieses Martyriums Züge einer jüdischen Askese:
Tag und Nacht, fasten, sich kasteien, beten etc.; die übrigens in den
Büchern der heiligen Schrift ihr Vorbild findet, und in Zeiten der Gefahr
und des Schreckens so natürlich ist, vgl. Joel 1,14. 2,15.17. Jona 3, 5.7.8.
Esther 4, 3.16. und von anderen Stellen.
4) (Hebräisch:) Zur Taufe Gezwungenen. Später, als sich der
kreuzzüglerische Schwarm verzogen hatte, beanstandeten fromme Israeliten,
die als ihre Brüder anzusehen, welche sich aus Todesfurcht hatten taufen
lassen, obgleich sie sofort wieder zum Judentume zurückgekehrt waren. Als
dies Raschi (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Raschi) zu Ohren kam, sprach er sich
entschieden dagegen aus: 'Ferne sei es von uns, uns von den Zurückgekehrten
abzusondern. Nur aus Furcht vor gewissem Tode haben sie es getan (sich
getauft), sind aber sofort wieder zu uns zurückgekehrt.' Nicht lange nachher
starb Raschi, 13. Juli 1105. – Um uns zu zeigen, warum die Israeliten ein
unbezwingliches Entsetzen vor dem damaligen Christentum und der Taufe
empfunden haben, verweisen wir auf Grätz (Geschichte der Juden, Band VI, S.
103).
5) Ulemarat Zipora tiomato Wörtlich: Und der Gebieterin
(Herrin) Zippora, seiner Schwester. Also bezeichnet Rabbi Meschullam seine
Frau, die er sogleich Ischti (= meine Frau) nennt. Bekanntlich wird
in jüdischen Schriften seit uralter Zeit der Frau das Epitheton (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Epitheton) (Marta, Marat) (chaldäisch)
Herrin, Gebieterin beigelegt, als Beweis, in welcher hohen Achtung die
Frauen im Judentum standen. Hier wird dieselbe aber auch noch als Ausdruck
inniger Zärtlichkeit Tiomata (chaldäisch) Zwillingsschwester,
Schwester genannt.
6) Der Israelite drückt bei der Erfüllung irgendeines Gebots seinen Dank
gegen Gott aus, dass er ihn dazu gewürdigt und berufen hat. – Der hier
erzählte Vorfall ist so der biblischen Erzählung von der Opferung
nachgebildet und so drastisch dargestellt, dass wir an der Wahrheit des
Faktums zweifeln müssten, wäre es nicht so anderwärts verbürgt. Zunz (Der
synagogale Ritus, S. 20) zählt, unter den namhaften Wormser Märtyrern:
'Zippora, eine alte Frau und ihr Sohn Isaak', doch fehlen ihr Mann und alle
Lebensumstände.
7) Die Konstruktion veranlasste mich, das Wort täläd nicht 'Leben
oder Lebenszeit' zu übersetzen, sondern nach dem Chaldäischen 'Höhlung'.
(Fortsetzung folgt)
Worterklärungen: Herumirrende - Kreuzzügler; Kreuzfahrer – Kreuzzügler;
Wallfahrer – Kreuzzügler, auf dem Weg nach Jerusalem.
|
Fortsetzung
des Beitrages von Moses Mannheimer (Teil 3)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 23. Mai 1876: "Fortsetzung (Teil 3 / Schluss).
Und es geschah, als die frommen Männer der heiligen Gemeinde zu
Mainz hörten, dass ein Teil der Gemeinde
Speyer und die ganze Gemeinde Worms
getötet worden, schmolz ihnen das Herz zu Wasser, und sie schrien zu Gott:
'O, Ewiger, willst Du dem Reste Israels ein Ende machen?' Und es traten
zusammen die Führer der Gemeinde Speyer
und begaben sich zu dem Bischof und seinen Beamten und sprachen: 'Was sollen
wir Juden unter diesen Umständen tun?' Diese antworteten: 'Höret unsern Rat!
Bringet all Euer Geld in unsere Schatzkammern zur Aufbewahrung und Ihr, Eure
Weiber und Kinder, begebet Euch in den Hofraum des Bischofs, da könnet Ihr
gerettet werden.' Dies (Anmerkung 1) rieten sie, um uns wie Fische im
Netze auf einmal zu fangen und zu ergreifen.- Der Bischof hat auch wirklich
seine Beamten und Diener, sowie Fürsten, Ritter, Herren, Befehlshaber und
Vornehme des Landes versammelt, um uns zu helfen und uns zu retten vor den
Herumirrenden, denn anfänglich war dies wirklich keine Absicht, aber am Ende
wurde es schlecht. (Anmerkung 2). –
Eines Tages kam in den Straßen eine Christin einhergegangen und führte eine
Gans mit sich, die sie von damals an, da dieselbe noch ein Küklein war,
großgezogen hatte, und die gewöhnt war, überall hin ihr zu folgen. Sie
redete alle Vorübergehenden an: 'Sehet, die Gans verstand, dass ich sagte,
ich wolle zur Kirche gehen.' Und alsbald versammelten sich um uns die
Herumirrenden (Kreuzzügler) und die Städter und sprachen: 'Wo ist
Euer Ruhm? (Anmerkung 3) Wie könnt Ihr Euch retten? Sehet, was
Christus diesen Gänsen tut.' (Anmerkung 4) Und sie kamen mit
Schwertern und Lanzen herzu, um uns zu töten, allein ein Teil der Städter
trat dazwischen und litt es nicht.-
Zu selbiger Zeit mordeten sie in der Umgegend des Rheines, weil sie einen
von den Herumirrenden erschlagen hatten, indem sie sprachen: 'All dieses
haben sie den Juden getan.' Und es fehlte wenig, so wären wir alle
umgekommen. Und als die frommen Männer der Gemeinde es erfuhren, redeten sie
mit ihnen harte Worte (dies könnte veranlassen, Anmerkung 5) über uns
herzufallen. Und als sie ihre Worte hörten, sprachen sie: 'O, stürben wir
doch durch die Hand Gottes und nicht durch die seiner Feinde.' – Und sie
ließen ihre Häuser öde und leer stehen, gingen auch nicht zur Synagoge außer
am Sabbat, dies war der letzte Sabbat, der nächste zu unserem Verhängnisse.
Nur wenige Leute gingen hinein zu beten. – Rabbi Isaak ben Jehuda war dabei
– sie weinten jämmerlich.
Und es befand sich daselbst (Mainz) ein
scharfsinniger gelehrter Jünger, Rabbi Baruch ben Isaak. Er sprach zu uns:
'Unser Verhängnis ist unabwendbar. Denn ich und mein Schwäher (Schwager)
Jehuda - - die Seelen, die hier gebetet hatten mit lauter Stimme wie Weinen,
und wie wir die Stimmen hörten, glaubten wir, vielleicht seien einige
Gemeindemitglieder aus dem Hofe des Bischofs hinweg und in der Mitte der
Nacht in die Synagoge gegangen, um da in Not und Herzenskummer zu beten. Wir
liefen an die Synagogentüre und sie war verschlossen. Die Stimmen hörten
wir, schauten aber nichts. Da kehrten wir zurück in das Haus, welches nahe
bei der Synagoge war.' –
Und als wir diese Worte hörten, fielen wir auf unser Antlitz zur Erde und
sprachen: 'Willst Du, Ewiger, dem Reste Israels ein Ende machen?' Und sie
gingen hin und erzählten ihre Begegnisse auch ihren Brüdern im Hofe des
Statthalters und im Hofe des Bischofs. Und auch sie weinten sehr (Anmerkung
6).-
Und es geschah am 1. Siwan (= 25. Mai 1096), da kam Emicho (Anmerkung 7,
vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Emicho_(Kreuzfahrer)), der Bösewicht
mit einem großen Heere aus Herumirrenden und gemeinem Volke bestehend, vor
der Stadt |
an.
Auch er wollte zum Grabe Christi gehen (sc. nach Jerusalem). Er war unser
grausamster Feind, ein Wütrich, der weder den Greis noch den Säugling und
den Kranken verschonte, Alle tötete. – Und sie lagerten außerhalb der Stadt
zwei Tage lang.
Da sprachen die Häupter der Gemeinde: 'Wir wollen ihm (Emicho) Geld senden
und durch ihn an die Gemeinden schreiben, dass sie ihn gut aufnehmen
möchten, vielleicht hilft dieses.'- Sie hatten bereits zwecklos gegen 400
Halbe (Anmerkung 8) (vielleicht halbe Golddenare) an den Bischof,
Statthalter, an die Beamten und Städter verschenkt gehabt. –
Und es geschah am 3. Siwan (27. Mai 1096) mittags, da rückte der Bösewicht
Emicho mit seinem Heere gegen die Stadt heran, und die Städter öffneten ihm
die Tore. Und es sprachen die Feinde Gottes, einer zu andern: 'Sehet, die
Tore sind von selbst aufgegangen, das hat Christus getan, um Rache an den
Juden nehmen zu können.' Und sie zogen mit ihren Fahnen vor das Tor des
bischöflichen Palastes, worin die Juden versammelt waren. Und als die
heiligen Männer die große Menge erblickten, stärkten sie sich im Vertrauen
auf Gott und Bewaffneten sich von groß bis klein und Rabbi Kalonymos ben
Meschullam (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Kalonymiden) stand an ihrer Spitze.
Daselbst war auch ein Chassid, einer der größten des Zeitalters, Rabbi
Menachem (Anmerkung 10) ben Rabana, Rabbi David Halevi. Dieser
sprach: 'Ganze Gemeinde! Heiliget den Namen Gottes, des ehrfurchtsvollen!
Eure Väter sprachen um diese Zeit (der Gesetzgebung auf Sinai): 'Wir wollten
vollbringen und gehorchen.' Und sie riefen laut aus: 'Höre Israel, der
Ewige, unser Gott ist einzigeinig.' (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Schma_Jisrael) -
Und (Anmerkung 11) sie (die Juden) näherten sich dem Tore und
kämpften daselbst mit den Herumirrenden und den Städtern; aber die Sünden
verursachten, dass die Feinde siegten und das Tor eroberten. Und die Leute
des Bischofs, welche den Juden versichert hatten, ihnen Beistand zu leisten,
waren die ersten, welche die Flucht ergriffen, sie waren unzuverlässig. Da
drangen denn die Feinde in das Tor und erschlugen alle, die nur finden
konnten, darunter auch Rabbi) Isaak ben Moses. – Nur 53 Personen (Anmerkung
12), darunter auch Kalonymos, flohen durch die Gemächer des 13
Bischofs, bis sie in ein langes Gemach kamen, das man Schinger (Anmerkung
13) hieß, woselbst sie blieben.
Und als die Juden sahen, dass Rettung unmöglich sei, schrien sie: 'Auf,
lasset uns nicht zögern, die Feinde sind gleich da, lasset uns uns selbst
opfern vor unsrem Vater im Himmel! Wer ein Schlachtmesser hat, komme und
schlachte uns zur Heiligung des Namens des Einen-Einzigen; alsdann
durchbohrte er sich selbst. Und sie schlachteten sich gegenseitig. Männer
schlachteten ihre Frauen und Kinder. Manche Frauen warfen den Feinden Geld
zu, um sie so lange aufzuhalten, bis sie ihre Kinder geschlachtet hätten.
Zärtliche Mütter erwürgten ihre Kinder und zeigten deren Gesichter den
Feinden. Jünglinge und Jungfrauen schauten durch die Fenster und riefen den
Feinden zu: 'Sehet, was wir tun, um unsere Gottheit nicht vertauschen zu
müssen.' - Und die Geschlachteten und die Sichselbstentleibten lagen in den
Zimmern in langen Reihen, und das Blut strömte zu den Zimmern hinaus. Und
als die Feinde die Türen zerbrochen hatten und in dieselben eindrangen und
die Juden sich im Blute wälzend fanden, da zogen sie ihnen die Kleider aus,
nahmen deren Geld und schlugen die noch Übriggebliebenen tot.
Nur ein Zimmer widerstand durch seine Festigkeit ihren Angriffen bis gegen
Abend. Als nun die Heiligen (Anmerkung 14) daselbst sahen, dass die
Feinde stärker als sie waren, da rafften sich die Männer und Frauen auf,
schlachteten zuerst ihre Kinder, dann sich gegenseitig. Und es warfen Frauen
Steine durch die Fenster auf die Feinde, und diese schleuderten Steine auf
sie, sodass diesen Gesicht und Leib zerfleischt wurden. Darunter befand sich
auch eine sehr geachtete Frau, Rachel, Tochter der Rabbi Isaak ben Ascher
(vgl.
http://www.jewishencyclopedia.com/articles/8158-isaac-ben-asher-ha-l).
Sie sprach zu ihrer Freundin: 'Ich habe vier Kinder. Auch sie sollt Ihr
nicht verschonen, damit sie nicht im Irrtum erzogen werden.' Ein
Schlachtmesser wurde von einer Freundin herbeigeholt und die vier Kinder,
zwei Söhne, Aaron und Isaak und zwei Töchter, Bella und Matrone (Anmerkung
15), wurden geschlachtet. Und die Herumirrenden, die sie bei ihren
Kindern sitzen, klagen und weinen fanden, erschlugen auch sie (Anmerkung
16). Hierauf warfen sie alle Ermordeten, Geschlachteten,
Sichselbstentleibten aus den Fenstern hinaus. Das taten sie in allen
Gemächern.
Und es entstanden viele Haufen von Leichnamen, so hoch wie Berge (Anmerkung
17). Und unter den zu den Fenstern Hinausgeworfenen waren manche, welche
noch Leben in sich hatten. Sie winkten mit ihren Fingern: 'Gebet uns
Wasser!' Aber die Herumirrenden, die dies merkten, fragten sie: 'Wollt Ihr
euch taufen?' Und da sie es mit Kopfschütteln verneinten und ihre Augen zum
Himmel aufschlugen, wurden sie vollends getötet. –
Nachdem dies vorüber war, gingen die Herumirrenden mit ihren Fahnen in den
Hof des Statthalters, das ist der Burggraf (Anmerkung 18), wo der
übrige Teil der Gemeinde war. Und sie eroberten den Eingang des Hofes,
kämpften mit ihnen und erschlugen auch sie. Daselbst war ein Mann, Mar
Chelbo ben Moses. Dieser sagte zu seinen zwei Söhnen: 'Nun ist das Paradies
und auch die Hölle offen, wählet!' Und sie wählten Ersteres. Hierauf wurden
sie samt ihrem Vater erschlagen. Auch eine Thorarolle fanden die
Herumirrenden in einem Zimmer daselbst, und sie zerrissen sie in Stücke. Da
hoben Männer und Frauen zu klagen und zu jammern an. 'Wie ist doch die
heilige Thora, die wir in der Synagoge so hoch verehrt haben, jetzt zu
Schanden geworden!' Und Rabbi David ben Rabana Menachem sprach: 'Zerreisset
Eure Kleider wegen der heiligen Thora.' Und sie taten also. Und gerade
fanden sie einen Herumirrenden in irgendeinem Zimmer und steinigten ihn. Da
bestiegen die Herumirrenden und die Städter den Söller (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Söller) und schossen mit Pfeilen auf
die dort sich befindenden Juden und stachen sie mit Lanzen. Da war ein Mann,
Max Jakob ben Sulam, dessen Mutter keine Jüdin war, Auch er entleibte sich,
um dem |
Ewigen
treu zu bleiben. Ebenso tat ein Greis, Rabbi Samuel ben Mordchai.
Hierauf zogen die Herumirrenden und Städter in die Stadt, in den Hof eines
Geistlichen. Dort hatte sich der Gemeindeeinnehmer, Max David ben Nathaniel
versteckt, er, seine Frau und Kinder. Der Geistliche sprach zu ihm: 'Siehe,
von den Juden sind nur die übriggeblieben, die die Taufe angenommen haben.
Taufe dich und du bist gerettet.' Er erwiderte: 'Geh hin und sage den
Herumirrenden, sie möchten daherkommen.' Er tat es, und mehrere Tausende
versammelten sich um das Haus. Da rief ihnen Max David zu: 'Ich vertraue auf
den Ewigen. Wenn ihr mich getötet habt, so wird meine Seele im Paradiese
ruhen, ihr aber werdet in die Hölle fahren.' Und sie töteten ihn und alle
seine Angehörigen. –
Ebenso verfuhren sie mit einem andern Manne, der in seinem Hause geblieben
war, Rabbi Salomon ben Naamon. Als er ihr Verlangen, sich taufen zu lassen,
verneinte, erschlugen sie ihn und seine Angehörigen. -
Ich habe hier einige Männer mit Namen (Anmerkung 19) angegeben. Was
hingegen andere Gemeindeglieder, insbesondere die Führer der Gemeinde für
die Einheit des Königs aller Könige gesprochen und gewirkt haben, wie Rabbi
Akiba (Anmerkung 20, vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Rabbi_Akiba) einst getan, ist mir
nicht näher bekannt geworden. – Gott erlöse uns von dieser Trübsal.
Anmerkungen des Einsenders:
1) Diese Absicht scheint wenigstens bei dem Bischof nicht vorhanden gewesen
zu sein, wie dies aus den nachfolgenden Worten hervorgeht
2) (Hebräisch), eigentlich heißt es: Und zuletzt wurde er sauer;
allein wir finden den Ausdruck schon im Talmud rosch haschana 3 b bildlich
in der Bedeutung von 'schlecht' gebraucht. – Über das Verhalten des Bischofs
Ruthart (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Ruthard_(Mainz)) sind die Meinungen
geteilt. Die einen beschuldigen ihn, den Überfall begünstigt und am Raube
teilgenommen zu haben, während die andern ihn von aller Schuld freisprechen.
Der Verfasser des vorliegenden Berichts scheint das Richtige mitgeteilt zu
haben. 'Anfänglich hatte er den Willen, uns zu retten, zuletzt wurde er
'schlecht'. Dass er die Absicht hatte, sie zu retten, beweist die
Mannschaft, die er zur Beschützung der in seinem Hofraume sich befindenden
Juden aufgeboten hatte. Als aber dieselbe zu schwach war, der großen Masse
der Kreuzfahrer Widerstand zu leisten, und als die Juden allesamt teils
durch die Kreuzfahrer, teils durch Selbstentleibung umgekommen waren, wollte
er ihre Schätze nicht ganz den bluttriefenden Händen des kreuzzüglerischen
Gesindels überlassen. Er nahm teil am Raube und wurde deshalb später von
Heinrich IV. (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_IV._(HRR)) zur Rechenschaft
gezogen.
3) (Hebräisch) Ruhm, es könnte jedoch auch ein im Talmud vorkommendes
chaldäisches Wort (Chaldäisch) sein und Gewinn, Vorteil bedeuten.
4) Man müsste solchen Blödsinn für ein Märchen halten, fände er sich nicht
anderwärts bestätigt. Grätz (Geschichte der Juden, Band IV, S. 162) erzählt
von den Wallfahrern unter den französischen Ritter, Wilhelm der Zimmermann:
'Sie hatten eine Gans und einige Ziegen, die sie vor sich gehen ließen, und
von denen sie glaubten, sie seien vom heiligen Geiste angehaucht und würden
ihnen den Weg nach Jerusalem zeigen.'
5) Das Eingeklammerte habe ich suppliert. Der ganze Absatz ist dunkel. Man
weiß selten, wer das Subjekt der Handlung ist.
6) Die hier erzählte Begebenheit ist sehr dunkel. Meines Erachtens soll sie
den Gedanken darstellen, man habe mitten in der Nacht eine
weinerlich-betende Stimme von abgeschiedenen Seelen vernommen, und dies habe
man als ein böses Omen angesehen.-
7) Dass dieser Emicho, Graf von Leiningen (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Leiningen_(Adelsgeschlecht)), ein
Bösewicht war, bezeugen die Historiker. Schlosser, (Weltgeschichte, Band 5)
nennt ihn roh, gewalttätig; H. von Sybel (a.a.O. S. 245) nennt ihn grausam,
tyrannisch und Grätz (a.a.O. S. 105) gewissenlos, blutrünstig. Dieser Graf
Emicho hauste in der Gegend von Mainz. Der Auswurf der englischen,
flandrischen, französischen und lothringischen Völker versammelte sich
daselbst unter seiner Anführung, sodass seine Schar auf 14.000 Kreuzfahrer
anwuchs. Auch Wilhelm der Zimmermann, Vicomte von Melun (vgl.
https://www.geni.com/people/Guillaume-de-Melun-Vicomte-de-Melun/6000000002248212482),
dieser rohe, gewalttätige Mensch, der durch Plünderung französischer Bauern
sich die Mittel zum Zuge erworben hatte, war zu Emicho gestoßen. Dieser
Emicho soll auch derjenige gewesen sein, welcher den Plan zur Vertilgung der
Juden zuerst entworfen und als zündenden Funken unter die verwilderten
Kreuzscharern geschleudert habe.
8) Im Manuskript heißt es (Hebräisch), worunter ich 400 Golddenare (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Denarius) verstand, weil diese
Münzsorte seit den Karolingern (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Karolinger) stark im Umlauf war.
9) Dieser Meschullam ist wahrscheinlich der bekannte fruchtbare Pajetan, der
zu den Lehrern Raschis gezählt wird.
10) Dieser Menachem könnte vielleicht der in Tosaphot vorkommende sein, doch
ist dies hier ungewiss. Sein Vater Rabbi David Halevi ist der Verfasser der
bekannten Selicha (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Slichot) Adonai elohai rabbat
zeraruni, welche die Kreuzzugsschrecken zum Thema hat.
11) Der Verfasser unterbricht hier häufig die Erzählung von dem Geschehen
mit dem Ausdrucke des tiefsten Schmerze, den sein Herz empfindet, und mit
Worten des Trostes, die er den Märtyrern in den Mund legt. Er beklagt es,
dass mit der Hinschlachtung so vieler frommer und gelehrter Männer der Glanz
des Torastudiums sich verdunkelt habe; Demut, Frömmigkeit und echte
Wohltätigkeit geschwunden seien. 'Sonne und Mond, ruft er aus, warum habt
Ihr Euer Licht nicht entzogen denen, die den Namen Israels austilgen
wollten?' Die Märtyrer lässt er sagen: 'Wir vertauschen dieses Leben der
Not, Finsternis und Vergänglichkeit mit dem Leben der Freude, des Lichtes
und der Ewigkeit. Sein Stil erinnert an die Dichter der Buß- und Klagelieder
(Selichot weKinot). Des Zusammenhanges und der Abkürzung willen, habe
ich diese eingefügten elegischen Stücke weggelassen.
12) Elieser ben Nathan berichtet in seinem Martyrologium, in dem Schatzhause
des Doms (Bebait HaOzar schäl tehom) hätten sich an diesem Tage 60
Personen gerettet, die vom Bischof nach dem Rheingau gebracht, aber später
auch von den Feinden erschlagen worden wären.
13) Dieses Wort (Schingir) war mir unerklärlich.
14) Dieser Ausdruck ist antizipatorisch zu fassen, denn erst in der Folge
pflegt man die Märtyrer Heilige zu nennen, gegen den Geist des Judentums,
das nur Einen als heilig anerkennt, das ist Gott. |
15)
Im Manuskript heißt es (Hebräisch), was ich nicht anders als Matrone
deuten kann. Matrone ist ein bei Jüdinnen im Mittelalter häufig vorkommender
Name.
16) Unser Martyrologe hat diese Schlachtszene so drastisch dargestellt, dass
sie auf den Leser einen erschütternden Eindruck zu machen nicht verfehlt.
Bei der Übersetzung habe ich krasse Nebenumstände beiseite gelassen.
17) Nach dem Berichte des zeitgenössischen Rabbi Elieser betrug in Mainz die
Gesamtsumme der Getöteten und Selbstentleibten 1.300 Personen.
18) Im Manuskript (Hebräisch). Burggravo ist Altdeutsch und
bedeutet: Burggraf, Stadthauptmann, Stadtrichter. (Pacha) heißt in
biblischem Gebrauch: Statthalter (Pascha) ist aber hier in dem näher
bezeichneten Sinn zu nehmen. – Im Mittelalter sind manche Burggrafen in
Stadtgrafen (comites urbis) übergegangen. – Die Vorgänge bei dem
Statthalter sind neue Details, die bisher unbekannt waren. Einen Söller,
worauf Juden waren, gegen welche die Kreuzfahrer mit Pfeilen und Lanzen
zuerst kämpften und sie endlich alle getötet haben, kennt wohl Albertus
Aquensis, nicht aber Rabbi Elieser ben Nathan.
19) Die hier besonders hervorgehobenen Namen stimmen mehrenteils mit denen
überein, die auch bei Rabbi Elieser ben Nathan vorkommen.
20) Anspielung auf Rabbi Akiba, den um 130 n. Chr. Rufus unter grausamen
Martern hat hinrichten lassen und der seinen Geist aushauchte, mit dem
Bekenntnis: 'Höre Israel, der Ewige, unser Gott ist einzig-einig.' - " |
Über die Judenverfolgung in Mainz während des ersten Kreuzzuges 1096 (Beitrag von 1925)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 28. Mai
1925: "Die Verfolgung in Mainz. Die Schreckenskunde von den
Geschehnissen in Speyer und
Worms war auch nach Mainz gedrungen und
versetzte die dortigen Juden in Angst und Entsetzen. Wehklagend sandten sie
ihre Gebete zum Herrn empor, der die Väter aus 1000 Gefahren errichtet
hatte. Aber es schien, als habe sich der Himmel ihren Bitten verschlossen.
Da traten die Vornehmsten der Gemeinde zu einer Beratschlagung zusammen, und
man kam überein, eine Deputation aus den Angesehensten der Versammlung mit
einer hohen Geldsumme als Lösegeld für Ihr Leben zum Erzbischof Ruthart zu
schicken und dessen Schutz nachzusuchen. Diesen wurde der Rat erteilt, ihr
Vermögen in die erzbischöfliche Schatzkammer zu bringen und sich selbst mit
ihren Angehörigen in die erzbischöfliche Pfalz zu begeben, bis die Gefahr
vorüber sei. |
Am
ersten Sivan (25. Mai) näherte sich der wilde Graf Emihr von Leiningen, ein
naher Verwandter des Erzbischof Ruthart, mit einem Heere von 12.000
Wallfahrern in der Stadt. Ruthard, der ursprünglich eine Reise nach den ihm
unterstehenden Dörfern des Rheingaues beabsichtigte, hatte sich durch das
Geschenk von 300 Silberstücken bewegen lassen, in der Stadt zu bleiben und
einen Teil der Juden bei sich aufzunehmen. Ein anderer Teil fand in dem Hofe
des Burggrafen Gerhard, der gleichfalls von den Juden besprochen war, einen
Unterschlupf. Bange Stunden verbrachten hier die Geängstigten. Einzelne
hatten noch den Mut gefunden, am Tage vorher in der verödeten Synagoge zu
beten. Zu diesen gehörte der Gelehrte Rabbi Baruch Bar Isaak, der den
geflüchteten Gemeinde Mitgliedern seltsame Kunde brachte. 'Erkennet', sprach
er, 'dass der Himmel unser Verderben beschlossen hat. Ich und mein
Schwiegervater Jehuda hörten diese Nacht in der Synagoge lautes Beten
weinender Stimmen. Zuerst dachten wir, es habe sich ein Teil der Gemeinde
vom Hofe des Bischofs zum Beten versammelt. Als wir aber schnell hinliefen,
fanden wir das Tor verschlossen. Es waren die Seelen der Hingeschieden, die
da beteten, ohne dass wir die Worte verstanden'. Weinend fügte sich die
Gemeinde, die das Unabänderliche ihres Geschicktes erkannte, in den Willen
des Allmächtigen.
Zwei Tage hatte Emihr vor den Toren der Stadt gelagert, ohne dass es ihm
gelang, Einlass zu erhalten. Ein von den Juden unternommener
Bestechungsversuch, der ihn zum Abzug bewegen sollte, blieb ohne Erfolg. Am
27. Mai gegen Mittag wurde ihm von einigen Bürgern ein Stadttor geöffnet,
und nun ergoss sich die nach Blut dürstende Menge über die Stadt. Bald
erschienen sie vor der erzbischöfliche Pfalz, wo die Juden unter Führung
ihres tapferen Vorstehers Kalonymos ben Meschullam sich bewaffnet zum
Widerstand gerüstet hatten. Allein von den Leuten des Erzbischofs feige im
Stich gelassen, Ruthart selbst hatte sich aus Furcht wegen seines Eintretens
für die Juden aus der Stadt geflüchtet - erlagen sie gar bald ihrem
Schicksal. In den Gemächern der Pfalz, deren Türen die Feinde nacheinander
brachen, spielten sich herzzerreißende Szenen ab, die die Feder zu
schildern, der Mund auszusprechen und das Ohr anzuhören sich sträuben.
(Schluss folgt).". |
Erzählung aus der Mainzer Judengasse
(1901)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 3. Juni
1901: "Feuilleton.
Das rote Schild des roten Koppel.
Ein Histörchen aus der Mainzer Judengasse
Wer heute die beiden Mainzer Judengassen, die nunmehr ihre Namen mit den
vornehmer klingenden Vordere und Hintere Synagogenstraße, vertauscht haben,
durchschreitet, wird wohl noch vielfach die schmalen, drei- und
vierstöckigen Häuschen aus alter Zeit dort finden, auch wohl noch mal einer
kleinen Gruppe neugierig die Köpfe zusammensteckender Glaubensgenossen
begegnen, aber das Leben und Treiben, wie es noch vor ungefähr hundert
Jahren in denselben herrschte, dies ist, Gott sei Dank, vorbei.
Aber obschon die Juden daselbst gar eng zusammengepfercht waren und sich nur
mit der schwersten Mühe zu ernähren vermochten, so fehlte es doch auch an
heiteren Episoden nicht, wozu wohl auch die große Jeschiba, oder richtiger,
die vielen Bachurim, die sich hier aufhielten, um ihren Wissensdurst zu
stillen, das meiste beitrugen.
Ein solches heiteres Geschichtlein wollen wir heute zum Besten geben.
An der Ecke der vorderen Synagogen- und Löwenhofgasse, wo heute das Haus,
genannt zum roten Ochsen, sich befindet, stand in der zweiten Hälfte des
vorigen Jahrhunderts ein kleines, zweistöckiges Häuschen, das der Schammes
der Gemeinde bewohnte. Dieser war unter dem Namen der rote Koppel bekannt,
welchen Titel er seinem schönen roten Vollbarte, auf den er nicht wenig
stolz war, verdankte. Außer dem Amte eines Synagogendieners hatte er auch
noch einen kleinen Bücherhandel, was der gesamten Judenheit durch ein
großes, rotes Schild, welches über seiner Haustüre befestigt war, kund
gemacht wurde und auf welchem die Worte zu lesen waren: seferim jaakov
bar schimon michar.
Ein besonderes Kunstwerk war das Schild gerade nicht, und auch den
gewöhnlichsten Anforderungen des Sinnes für Schönheit und Symmetrie
entsprach es kaum, dagegen besaß es eine Eigenschaft, durch die es, wie wir
später sehen, einmal eingreifend in die Schicksale der Menschen wirkte, und
diese Eigenschaft war, dass es sich jahraus jahrein durch den durch die
Straßenecke hervorgerufenen Luftzug hin- und herbewegte und hierbei Töne
erzeugte, wie man sie selbst in Siegfried Wagners neuesten Opern vergebens
suchen würde.
Das Häuschen, das in jedem Stock nur zwei Zimmer aufzuweisen hatte, wurde
von unserem Schammes allein bewohnt, bis auf das Erkerzimmer im ersten
Stock, wo er an einen Bachur inklusive Kost für 50 Gulden per Jahr vermietet
hatte.
Rebbe Eisik, so hieß der Talmudbeflissene, wohnte bereits drei Jahre bei dem
Schammes und dieser, wenn er auch an sämtlichen Mitgliedern der Gemeinde
kein gutes Haar ließ, auf den Bachur ließ er nichts kommen. Und er hatte
auch alle Ursache dazu. Rebbe Eisik war ein bescheidener, tüchtiger Mensch,
der Tag und Nacht lernte und von den Gassenstreichen seiner Gefährten als da
waren: Den Balbattim Männchen mit Kreide auf den Rücken malen, in Schul die
Schnupftabaksdose aus der einen Tasche ziehen und in die Tasche des anderen
praktizieren oder wenn jemand aufgerufen wurde, rasch dessen Teffillinriemen
in die Bank festklemmen oder an Tischo Beaw Verwirrung anrichten, dass nach
Beendigung des Gottesdienstes niemand mehr die seinigen herausfinden konnte
– an allen diesen Dingen hat sich Rebbe Eisik nicht beteiligt. Allerdings
war er er bisschen linkisch und wäre vielleicht schon beim ersten Streich
ertappt worden, aber das wollte der Schammes nicht eingestehen und wenn
jemand ihm etwas darüber sagte, pflegte er gewöhnlich zu antworten: 'Lasst
mir den nur gehen der ist mir lieber, wie zwanzig andere, die zehnmal so tief Mandim bücken, aber nachher statt zu lernen, nichts wie Narrenpossen
machen.'
Nun muss man aber nicht glauben, dass die Liebe des sonst so großen 'Pegras',
oder wie die Bachurim sagten 'Zebra's', so ganz uneigennützig gewesen wäre.
Schon längst hatte die schlanke Judith, das einzige Kind des roten Koppel,
ihre schwarzen Glutaugen auf des Bachurs wackeliger Gestalt ruhen lassen und
aus dieser Neigung ihrem Vater gar kein Hehl gemacht.
Dem Schammes war der Schidduch auch ganz recht. 'Denn', pflegte er zu sagen,
'Söhne hab’ ich keine und wer könnte einmal meine Massematten besser führen
als Rebbe Eisik, der alle Seforim auswendig kann?! Nur', setzte er in
Gedanken hinzu, 'will ich meine Kowed nit wegwerfen, sondern warte, bis er
selbst kommt.'
Und dass auch Eisik der schönen Judith in Liebe zugetan war, das hatte der
schlaue Synagogendiener längst heraus. Dass er bis jetzt nicht um sie
angehalten, schrieb er nur seiner großen Schüchternheit zu. Es war an einem
Freitagabend. Die ganze Gemeinde war in der Synagoge versammelt und auch
unser Bachur stand andächtig auf seinem Platze und betete, plötzlich fuhr er
erschreckt auf; er hatte nämlich allsabbatlich bei dem reichen Schlome Löb,
der in seinem Haus einen Frühgottesdienst abhielt, den betreffenden
Wochenabschnitt aus der Tora vorzulesen und nun fiel ihm ein, dass der die
drei letzten Paraschot noch zu lernen hatte. Er beschleunigte daher sein
Gebet, ging noch ehe die Schul aus war, nach Hause in sein Zimmerchen und
machte sich eifrigst daran, das Versäumte nachzuholen. Aber es war
eigentümlich, |
er lernte und lernte, die
Neginot wollten heute nicht in seinen Kopf. Schon
war die Zeit nahe, da er zu Kiddusch gerufen werden würde, und noch hatte er darum
kaum drei Pesukim behalten. Endlich glaubte er die Ursache seiner
Zerstreutheit gefunden zu habe: Das rote Schild vor seinem Fenster knarrte
heute ganz fürchterlich und schien es darauf abgesehen zu haben, ihm immer
die falsche Neginot vorzusingen. Flugs öffnete er das Fenster, hob das
Schild aus seinen Angeln und verschloss es in die finstersten Räume seines
Bücherschranks.
Mit jener gehobenen Stimmung, die man empfindet, wenn man eine Heldentat
begangen hat, machte sich Rebbe Eisik wieder an seine Sidrah und siehe,
jetzt ging es ganz flott; nach kaum zehn Minuten hatte er die drei Parschiot
so inne, als hätte er schon die ganze Woche daran studiert.
Inzwischen war die 'Schul' aus und Rebbe Koppel ging, umschwärmt von seinen
Freunden, der heimatlichen Stätte zu.
'Koppel', sagte der dicke Chajem, als sie vor des ersteren Hause
angelangten, 'Koppel', habt Ihr Euren Seforimhandel uffgesteckt?'
'Warum sollte ich?', fragte dieser erstaunt.
'Nu, Euer Schild ist doch weg', antwortete dieser, indem er auf die zwei
verrotteten Stangen deutete, die nunmehr ihres Schmuckes bar, wie zwei
hilfesuchende Arme in die Luft ragten.
Keines Wortes mächtig starrte der Synagogendiener bald auf die zwei Stangen,
bald auf die ihn mit spöttischen Blicken musternden Freunde. Endlich löste
sich seine Zunge und mit Donnerstimme rief er ins Haus:
'Gutel, Jüdel, Sarle, habt ihr mein Schild wegmache lasse?' Und als Frau,
Tochter und Dienstmagd herausgestürzt kamen und hoch und teuer ihre Unschuld
versicherten, fuhr er zu schimpfen fort:
'Dann war’s kein anderer wie der Schuft von Sofer, dem bin ich schon längst
ein Dorn im Aug’, weil ich die Luckes ‘n halbe Albes*) billiger verkaaf,
aber ich steh’ Euch dafür, ich krieg’s heraus, un wenn ich bis zum
Kurferscht muss.'
Gerade hatte Rebbe Eisik befriedigt über das Resultat seiner Mühe, sein 'Tikenchen'
zugeklappt, als er den Skandal auf der Gasse bemerkte und auch sofort alles
erriet. Nun war die Verlegenheit groß, noch nie war unser Eisik in solcher
Seelenpein. Wenn es herauskäme, dass er der 'Gannef' (Dieb) des roten Schildes, er,
der nie einer Fliege etwas zu Leide getan, er sollte sich als gemeiner
Verbrecher entpuppen. Mit mächtigen Schritten durchmaß er sein Zimmerlein
hin und her, überlegend, was da zu tun sei. Endlich schien er zu einem
Entschlusse gelangt zu sein – er wollte nämlich heute Nacht, da alles in
Morpheus Armen lag, in aller Stille das Schild wieder an seinem ihm
gebührenden Platz befestigen und mit diesem Entschlusse in der Brust begab
er sich beruhigt an des Schammes festlich geschmückten Sabbattisch.
Natürlich bildete das abhanden gekommene Schild fast ausschließlich den
Stoff zur Tischunterhaltung und während sich Familie Koppel in tausend
Vermutungen erging, wechselte auf Eisiks Antlitz Röte und Blässe mit
merkwürdiger Regelmäßigkeit. Aber er hatte Glück, denn da Verlegenwerden
nichts Seltenes bei ihm war, so merkte niemand seine Verlegenheit.
Nach Tisch unterhielt man sich noch lange im Koppel’schen Familienkreise und
spät in der Nacht erst kam Rebbe Eisik dazu, seine Lagerstätte aufzusuchen.
Behutsam öffnete er das Fenster in seinem Zimmer und blickte auf die Gasse,
sie war ganz leer. Hastig holte er das Schild aus seinem Schranke und
steckte es wieder auf seinen gewohnten Platz.
Als Rebbe Koppel den andern Morgen erwachte und vor sein Haus trat, um die
Fensterläden zu öffnen, blickte er instinktiv in die Höhe und o Wunder! Das
Schild war wieder an seinem alten Orte. Nun war es ihm klar, dass es keine 'Genaiime',
sondern nur ein bloßer Schabernack war und so stand es bei ihm fest, dass es
kein anderer wie der 'Schuft von Sofer' getan haben muss, der ihm aus purem
Konkurrenzneid in diese Aufregung versetzt hatte.-
Acht Tage waren seit dem Erzählten verflossen. Wiederum rief Rebbe Koppel
Freitagabend die Gemeinde in die Synagoge zur Andacht und auch Rebbe Eisik
stand auf seinem gewohnten Platze. Da am folgenden Tage 'Mataus Umasse', die
größte Doppelsidrah des Jahres ging und Rebbe Eisik kaum erst die Hälfte
davon einstudiert hatte, so nahm er sich schon bei Beginn des Gottesdienstes
vor, wieder wie vor acht Tagen die Synagoge vor Schluss des Gottesdienstes
zu verlassen. Und wie gesagt, so getan. Noch ehe der Chasan mit dem 'Bameh
Madlikin' begonnen, huschte er zur Schul hinaus, begab sich in sein
Zimmerchen und machte sich an seine Sidrah. Und wiederum war es das rote
Schild, das ihn heute in noch viel höherem Maße störte. Aber trotz der vor
acht Tagen ausgestandenen Unannehmlichkeiten entfernte er es diesmal wieder
hoffend, es noch vor Beendigung des Gottesdienstes wieder anbringen zu
können. Aber er hatte sich getäuscht.
Die Schul war aus und ehe er die geringsten Anstalten machte, des Schammes
rote Flagge wieder aufzuhissen. Wurde Rebbe Koppel schon vor acht Tagen, als
das Schild zum ersten Male auf die Wanderung gegangen, von seinen Freunden
gefoppt und gehänselt, so kann man sich denken, dass dies heute noch in
noch viel höherem Grade der Fall war. 'Dein Schild hält auch Schabbesmenuch',
sagte der kleine Gumpel, 'wie der Schabbes angeht, ist es fort.'
*) Albus, Weißpfennige, westdeutsche Silberscheidemünze, bis 1789 in Mainz
gangbar.. |
'So was tät ich mir nit gefalle lasse', stachelte Schimmeche, ein bekannter
Hetzer usw.
Rebbe Koppel war außer sich, alle Schimpf- und Fluchwörter, die er sich in
den langen Jahren seiner Praxis angeeignet hatte, entfuhren seinen rötlich
umrahmten Lippen und in seinem Eifer engagierte er um fünf Albus zwei arme
Bachurim, die die ganze Nacht vor seiner Türe Wache stehen sollten, damit,
wenn etwa wie vor acht Tagen, das Schild des Nachts wieder aufgehängt werden
sollte, sie den Betreffenden abfassen und bis zum andern Morgen gefangen
halten sollten.
Aber die zwei starrten vergeblich die ganze Nacht auf Posten. Niemand ließ
sich blicken und am kommenden Sabbatmorgen standen die zwei Eisenstangen
noch ebenso leer wie am Abend in die Welt hinaus.
Der Schammes konnte die ganze Nacht vor lauter Aufregung kaum schlafen und
als er am andern Morgen das resultatlose Bemühen der gemieteten Jünglinge
erfuhr, kannte seine Wut keine Grenzen. Rebbe Koppel war kein Bal Nichesch,
aber das Schild, das sich von seinen Urahnen auf ihn vererbt hatte, durfte
nicht abhanden kommen.
'Drei Dukaten dem, der mir den Gannef von mei Schild sagt', schrie er jedem,
der ihm in den Weg kam, entgegen und außerdem ließ er diese Preisverteilung
noch durch den Unterschammes in der ganzen Khillo bekannt machen.
Rebbe Eisik war in der furchtbarsten Verlegenheit. Die ganze Nacht schaute
er versteckt hinter seinem Vorhang zu seinem Fenster hinaus, um in einem
unbeobachteten Moment das Schild wieder an seiner Stelle zu befestigen, aber
vergebens. Die zwei Bachurim verwandten kein Auge von der indiskriminierten
Stelle und er musste das Schild in seinem Schranke ruhen lassen.
Den ganzen Sabbat lief er rastlos in den kurfürstlichen Gärten und
Parkanlagen herum; endlich gegen Abend schien er zu einem Entschlusse
gekommen zu sein. Nachdem Rebbe Koppel Hawdahlah gemacht, ging er auf diesen
zu.
'Rebb Koppel', sagte er bebend, 'ich weiß den Gannef von Eurem Schild!'
'Du weißt', fiel Rebbe Koppel ein, 'wer?- Sag’ wer?'-
'Ich verlange aber anderen Lohn, als drei Dukaten.'
'Verlange, was Du willst, sag’ mir nur den Schuft!'
'Ich verlange Eure Tochter zur Frau!'
'Hier hast Du Sie, nenn’ mir nur den Lump!'
'Ich war es!'
Rebbe Koppel erhob seine Hand zum Schlage!
'Rühr’ meinen Chosen nicht an, Vater', sagte Judith!
'Es hat so geknarrt, es hat so geknarrt', fiel Rebbe Eisik am ganzen Körper
zitternd ein.
'Was, mein Schild hat geknarrt!? Und was geht’s Dich an, wenn mein Schild
knarrt? Du…'
Unter den größten Schwierigkeiten und unter den anregendsten Szenen erklärte
Rebbe Eisik, wie er zur Hinwegnahme des Schildes veranlasst wurde. Doch
allmählich machte die Aufregung einer heiteren Stimmung Platz und die
Erklärung endigte damit, dass Eisik und Judith sich in die Arme fielen und
der Schammes seinen Segen erteilte.
Rebbe Eisik erhielt nun ein anderes Zimmer angewiesen, wo er nicht nur seine
Sidroth, sondern auch seine Chaßne-Drescho lernen konnte, ohne durch das
Knarren eines Schildes belästigt zu werden.
Anmerkungen:
-
Koppel: Jakob
-
Schammes: https://de.wikipedia.org/wiki/Schammes
-
Jeschiba: https://de.wikipedia.org/wiki/Jeschiwa
-
Bachurim: Plural von Bachur:
https://konversations_lexikon.de-academic.com/5674/Bachur
-
Eisik: Jiddisch für Isaak
-
Talmud: https://de.wikipedia.org/wiki/Talmud
-
Siegfried Wagner: https://de.wikipedia.org/wiki/Siegfried_Wagner
-
Talmud: https://de.wikipedia.org/wiki/Talmud
-
Balbattim: steuerzahlende Mitglieder der jüdischen Gemeinde, die es zu
Wohlstand gebracht haben
-
Schul: (Gottesdienst in der) Synagoge
-
Teffilinriemen: https://en.wikipedia.org/wiki/Tefillin
-
Tischo Beaw: https://de.wikipedia.org/wiki/Tischa_beAv
-
Schidduch: https://www.juedische-allgemeine.de/glossar/schidduch/
-
Massematten: https://de.wiktionary.org/wiki/Masematte
-
Seforim: Religiöse Bücher
-
Paraschot, Plural von Parascha:
https://de.wikipedia.org/wiki/Parascha
-
Sidrah: Leseabschnitt der Tora, siehe:
https://de.wikipedia.org/wiki/Parascha
-
Seforimhandel: Buchhandel
-
Gütel: Oder 'Gitel', jiddische Form des hebräischen Namens 'Tovah', die Gute
-
Jüdel: Jiddische Koseform von 'Judith'
-
Sarle: Koseform von 'Sarah'
-
Sofer: https://de.wikipedia.org/wiki/Sofer
-
Gannef: Dieb
-
Morpheus: https://de.wikipedia.org/wiki/Morpheus
-
Sidrah: Leseabschnitt der Tora
-
Chasan:
https://de.wikipedia.org/wiki/Chasan_(Kantor)
-
Bameh madlikin: religiöses hebräisches Lied
Schabbesmenuch: Sabbatruhe
-
Khillo: Eigentlich Kehilla -
https://de.wikipedia.org/wiki/Kehillah
-
Hawdahlah: https://de.wikipedia.org/wiki/Hawdala
-
Rebb (Jiddisch 'Rebbe'): Rabbi
- Chosen (hier): Verlobter. |
Vortrag
von Rabbiner Prof. Dr. Salfeld über "Aus dem altjüdischen Mainz"
(1919)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 21. Februar 1919: "Mainz, 14. Februar. In dem hiesigen Verein
für jüdische Geschichte und Literatur sprach kürzlich Rabbiner Prof. Dr.
Salfeld über das Thema 'Aus dem altjüdischen Mainz'. Mit dem Redner, den die
Mitglieder zu ihrer Freude aus schwerer Krankheit wieder hergestellt sahen,
machten sie einen Gang durch die Jahrtausend Mainzer jüdischer Geschichte,
von den ältesten Zeiten beginnend bis herab auf unsere Tage. Wie im uralten
Mainz bereits Hochschulen für die jüdische Wissenschaft blühten, wie hier
auf Synoden maßgebende Gesetze für die Judenheit der ganzen Welt gegeben
wurden, wie die größten jüdischen Gelehrten hier ihre fruchtbringenden
Arbeiten zutage förderten, jüdische Dichter Psalmen und Gebete verfassten,
die noch heute überall wo Juden wohnen, gesungen und gebetet werden. Die
Wohnstätten der Juden bildeten schon in der Frühzeit des Mittelalters ein
eigenes Quartier in Mainz, das in jüdischen Geschichtsquellen als 'jüdische
Niederlassung', 'unsere Straßen', in christlichen 'unter den Juden' und
ähnlich bezeichnet wird und das kein Ghetto im eigentlichen Sinne ist, weil
auch Christen in ihm wohnten. Wer von der Mühlpforte die Stadt betrat,
befand sich bald in der jüdischen Niederlassung, die sich der Länge nach von
der Flachsmarktstraße bis zur Betzelsstraße, der Peterstraße, der alten
Marktstraße, der Christophstraße, des Karmeliterplatzes, der
Stationerhofstraße, des Lyzeumsgässchens und der Stadthausstraße umfasste.
Auch der alte Hof zu Gutenberg, das Geburtshaus des Erfinders, jetzt
Mohrenapotheke, war ein Judenhaus. Auf dem Platz, auf dem sich heute das
Tietzsche Warenhaus befindet, befanden sich eine Synagoge und ein jüdisches
Lehrhaus. Redner schildert das später entstandene Ghetto und berichtete von
den Abgaben und Lasten, die die Juden zu leisten hatten. Sehr interessant
waren und große Heiterkeit erregten die Kleiderordnungen, die die Kurfürsten
erließen; da war oft auch das intimste Toilettenstück nicht vergessen. Die
französische Revolution brachte mancherlei Besserung und 1810 wohnten hier
bereits 1.264 Juden. 1808 erließ Napoleon eine jüdische
Konsistorialverfassung. Die Juden mussten sich Zunamen beilegen. Redner
nannte noch die Namen einiger altjüdischer Mainzer Familien, deren
Nachkommen noch heute in unserer Mitte weilen. Reicher Beifall lohnte die
Ausführung."
Anmerkungen:
- Gutenberg: siehe
https://de.wikipedia.org/wiki/Johannes_Gutenberg
- Rabbiner Prof. Dr. Salfeld siehe
https://de.wikipedia.org/wiki/Siegmund_Salfeld
-
Tietzsches Warenhaus vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Leonhard_Tietz
|
Erinnerung
an die Ermordung von Juden im Jahr 1283 (Artikel von 1892)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 29. Juli 1892 (aus einem
längeren Artikel über Judenverfolgungen des Mittelalters): "Im
Jahre 1283 hat man zur Osterzeit in der Nähe von Mainz ein totes
Christenkind gefunden. Die erbitterten Judenfeinde begrüßten diesen Fall
mit Freuden, weil sich ihnen hierdurch die Gelegenheit darbot, die Juden
verdächtigen zu können. Eine christliche Amme, so wurde das Gerücht
verbreitet, hatte das Kind den Juden verkauft, die es erschlagen haben, um
dessen Blut am Pessachfeste zu genießen.
Am vorletzten Pessachtage überfiel die aufgestachelte Menge die Mainzer
Gemeinde. Zehn Personen wurden getötet und viele jüdische Häuser
geplündert. Ein Glück war, dass der edle Erzbischof, Werner sich der
armen Juden angenommen hatte, sonst wäre kein einziger Jude in Mainz am
Leben geblieben. Am selben Tage fand auch in Bacharach
ein Judengemetzel statt, wobei sechsundzwanzig Juden umkamen. Auch in
anderen Städten wurden um jene Zeit viele Juden getötet."
Anmerkung: vgl. oben den Text
https://www.alemannia-judaica.de/mainz_texte.htm#Über die Juden zu Mainz im
Mittelalter (XXX, 1866) |
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