Baisingen Friedhof 154.jpg (62551 Byte)  Segnende Hände der Kohanim auf einem Grabstein in Baisingen


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Bingen am Rhein (Landkreis Mainz-Bingen) 
Jüdische Geschichte / Synagoge   
  
Zur jüdischen Geschichte in Bingen und aktuellen Aktivitäten 
vgl. auch die Website des "Arbeitskreises Jüdisches Bingen"  
sowie die Website des "Fördervereins für jüdisches Leben in Bingen heute"   

Übersicht  

bulletZur Geschichte der jüdischen Gemeinde  
bulletZur Geschichte der Synagogen  
Mittelalterliche Synagoge(n)  
Bis 1905: Synagoge in der Judengasse (Rathausgasse)/Rheinstraße  
1905 - 1938: Synagoge in der Rochusstraße 
Die orthodoxe Synagoge in der Amtsgasse und die Privatsynagoge in der Martinstraße 
bulletFotos  
bulletErinnerungsarbeit vor Ort sowie erste Ansätze für neues jüdisches Leben in der Stadt (2008)  
bulletLinks und Literatur  

vgl. weitere Seite mit Texten zur jüdischen Geschichte in Bingen (interner Link) 
  
  
Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde (english version)    
   
In Bingen bestand eine bedeutende jüdische Gemeinde bereits im Mittelalter. Schon im 10. Jahrhundert sollen hier Juden ansässig gewesen sein. Um 1160 erwähnt Benjamin von Tudela eine jüdische Gemeinde in der Stadt. Am Neujahrsfest 1198 oder 1199 wurden die Binger Juden beraubt und verjagt. Seit dem Anfang des 14. Jahrhunderts erfährt man wieder von Juden in der Stadt. Als Geldgeber hatten sie für die Mainzer Erzbischöfe große Bedeutung. In religiösen und jüdisch-rechtlichen Angelegenheiten unterstanden die Binger Juden im 14. Jahrhundert dem rabbinischen Gericht in Mainz. Ein Teil der jüdischen Familien lebte Anfang des 14. Jahrhunderts in der so genannten "Judengasse". Diese lag im Stadtzentrum zwischen der "Judenpforte" im Norden (auf der Höhe der heutigen Rheinstraße) und dem westlichen Marktbereich im Süden (seit 1933: Rathausstraße). Während der Judenpogrome 1348/49 wurde die Gemeinde zerstört. 
 
Seit 1354 werden wieder jüdische Familien genannt. Im Laufe der folgenden Jahrzehnte lebten mindestens sechs bis neun jüdische Familien in der Stadt. Seit 1388 war Kussel, Sohn des Salman, in Bingen wohnhaft. Er wurde 1418 als das "Haupt" der Juden des Erzstifts Mainz bezeichnet. Bei den Stadtbränden von 1403 und 1409 wurde auch das Judenviertel zerstört. Im 15. Jahrhundert war von besonderer Bedeutung der in der weiten Umgebung von Bingen anerkannte Rabbiner, Lehrer und Richter Seligmann Bing (gest. 1469). Sein überragendes Wissen und seine tiefe Frömmigkeit wurden allgemein bewundert und anerkannt. Seit 1469 drohte den Juden der Stadt die Ausweisung, die jedoch immer wieder verschoben wurde (1507 teilweise durchgeführt). 

Auch vom 16.-18. Jahrhundert lebten Juden in Bingen: 1689 wurden 21 jüdische Familien in der Stadt gezählt. In diesem Jahr wurde Bingen von den Franzosen eingeäschert, wobei auch die Synagoge zerstört wurde. Bis 1765 stieg die Zahl der jüdischen Familien wieder auf 51 mit insgesamt 343 Personen (12 % von insgesamt 2.812 Einwohnern).  
 
Während der französischen Herrschaft (ab 1793) erlangten die jüdischen Einwohner um 1800 die rechtliche Gleichstellung mit den christlichen Einwohnern. Im Revolutionsjahr 1848 kam es zu schweren Ausschreitungen gegen jüdische Einwohner. Erst der Einsatz von hessischem Militär und die Verhaftung einiger an dem Pogrom beteiligter Personen beruhigte die Situation.  
 
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Zahl der jüdischen Einwohner wie folgt: 1807 297 jüdische Einwohner, 1828 409 (10,2 % von insgesamt etwa 4.000 Einwohnern), 1861 507 (8,6 % von 5.916), 1880 542 (7,7 % von 7.062), 1900 713 (7,4 % von 9.600). Nach 1900 ging die Zahl der jüdischen Einwohner durch Aus- und Abwanderung zurück (1910 601 jüdische Einwohner = 6,0 % von insgesamt 9.952 Einwohnern). Zur jüdischen Gemeinde Bingen gehörten (1924) auch die in Kempten, Gaulsheim (9*) sowie die in Bingerbrück, Münster und Weiler (35) lebenden jüdischen Personen. 
*Anm.: in Gaulsheim lebten bereits im 18. Jahrhundert jüdische Familien, vgl. den Stammbaum Seligmann https://brotmanblog.com/descendants-of-moritz-seligman-and-seligman-family-tree/   

Bis in die Jahre nach 1933 spielten zahlreiche jüdische Einwohner eine bedeutende Rolle im wirtschaftlichen und kommunalen Leben Bingens.
 
An Einrichtungen hatte die jüdische Gemeinde insbesondere eine Synagoge (s.u.), eine Schule, ein rituelles Bad und einen Friedhof. Bei der Schule handelte es sich zunächst um eine Religionsschule. 1825 wurde eine Israelitische Elementarschule (die einzige in Rheinhessen) gegründet und als Elementarlehrer Anton Bachrach angestellt; 1834 wurde die Elementarschule durch eine Religionsschule ergänzt. Nach der Erkrankung und dem frühem Tod von Lehrer Bachrach wurde die Elementarschule wieder geschlossen - die Schüler besuchten fortan die allgemeinen Schulen der Stadt.      
 
Bingen war Sitz eines Kreisrabbinates, zu dem bis in die NS-Zeit die jüdischen Gemeinden in Dromersheim, Fürfeld, Gau-Algesheim, Gensingen, Ingelheim, Ockenheim, Schwabenheim, Sprendlingen, Steinbockenheim und Wöllstein gehörten. Unter den Rabbinern des 19./20. Jahrhunderts sind zu nennen: 
   
Nathan-Neta Josef Ellinger (geb. 1772 in Mainz als Sohn von Rabbiner Juspo/Josef Ellinger, Bruder des Mainzer Rabbiners Löb Ellinger gen Löb Schnadig): 1789 bis 1794 Privatgelehrter und Klaus-Rabbiner in Mannheim, 1809 bis 1821 Rabbiner und Leiter der Talmud-Tora-Schule in Hamburg, 1821 bis zu seinem Tod 1839 Rabbiner in Bingen. 
Dr. Isaak Rafael Sobernheim (geb. 1807 in Bingen, gest. 1869 in Bingen): nach Studien in Bonn und Gießen von 1839 bis 1869 Rabbiner in Bingen.  
Moses Meier Lebrecht (geb. 1810, gest. 1897 in Nürnberg): studierte in Adelsdorf, Fürth und Würzburg; war zunächst Religionslehrer in Birkenfeld, seit 1840 Religionslehrer in Bingen; ab 1862 vertrat er den erkrankten Rabbiner Dr. Sobernheim; 1869 wurde er von Rabbiner Formstecher in Offenbach ordiniert; ab 1875 war er Rabbiner in Bingen, bis er im März 1898 in den Ruhestand trat und nach Nürnberg verzog.   
Dr. Richard Grünfeld: (geb. 1863, gest. 1931 in Augsburg): von 1889 bis 1910 Rabbiner in Bingen, von 1910 bis 1929 in Augsburg.    
Dr. Ernst Appel (geb. 1884, gest. 1973): studierte an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin, Rabbinatsprüfung 1910/11, danach als Rabbiner nach Bingen berufen, wo er bis 1926 blieb (verheiratet seit 1918 mit Marta geb. Insel, zwei Töchter); danach Rabbiner in Dortmund (Herbst 1935 Feier des 25-jährigen Amtsjubiläums); 1937 über Holland in die USA emigriert; amtierte bis 1969 als Rabbiner in Jackson (Tennessee). Seine Frau starb 1980 in Kalifornien. 
Dr. Ignaz Maybaum (geb. 1897 in Wien, gest. 1976 in London): studierte an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin, Rabbinatsprüfung 1926, Schüler von Franz Rosenzweig, war von 1926 bis 1928 Rabbiner in Bingen, dann bis 1936 in Frankfurt (Oder), zuletzt in Berlin, emigrierte 1939 nach England, 1949 Rabbiner an der Edgware and District Reform Synagogue, Dozent am Leo Baeck-Institut London. Zahlreiche theologische Publikationen, war einer der führenden jüdischen Theologen des 20. Jahrhunderts; siehe Wikipedia-Artikel.    
Dr. Heinrich Guttmann (geb. 1905 Csnograd, Ungarn, gest. 1995 USA): Studium in Gießen, 1928 Rabbiner in Bingen, anschließend bis 1933 in Landsberg/Warthe, nach 1933 Prof. am Jüdisch-theologischen Seminar in Budapest; 1948-1949 Landesrabbiner von Württemberg-Baden in Stuttgart, danach in die USA.  
    
    
In der jüdischen Gemeinde gab es ein reges Vereinsleben: Zentralkasse für jüdische Wohlfahrtspflege (zu der 1924/32 gehörten: Armenverein, Männerkrankenverein, Frauenkrankenverein, Humanitätsverein, Mädchenausstattungsverein, 1924 unter Leitung von Rabbiner Dr. Apppel, Max Roß und 10 Vorstandsmitglieder, 110 Mitglieder), Jüdischer Jugendverein (1924 Leitung Dr. Robert Stein, 1932 Paul Schirling), Männerkippe (1924 Leitung Salomon Pfifferling, 18 Mitglieder), Frauenkippe (1924 Leitung Frau Werthauer), Synagogenchorverein (1924 Leitung Ernst Groß), Minjanverein (1924 Leitung Julius Simon), Ortsgruppe des Centralvereins(1924 156 Mitglieder) und einen Reichsbund jüdischer Frontsoldaten (1932 Vors. Rechtsanwalt Stern). 

Neben der liberalen Gemeinde bestand seit 1876 die Israelitische Religionsgesellschaft mit einer eigenen Synagoge (s.u.), einem eigenen Rabbiner, einem Friedhofsanteil und einer Schule. 1924 waren die Vorsteher der Religionsgesellschaft: Julius Kann, Fritz Rosenthal und Hermann Wolf. Damals war das Rabbinat gerade unbesetzt. Den Religionsunterricht der Religionsgesellschaft besuchten damals 14 Kinder. 1932 war Vorsteher weiterhin Julius Kann, Schriftführer Martin Wolf. Als Lehrer, Kantor und Schochet fungierte Gustav Anger. Die Wohlfahrtspflege wurde gemeinsam von beiden Gemeinden ausgeübt (Zentralkasse s.o.).
Rabbiner der Israelitischen Religionsgesellschaft waren:  
Dr. Hirsch Naphtali Zwi Sänger (geb. 1843 in Buttenwiesen, gest. 1909): seit 1875/76 Predigt und Religionslehrer, dann bis 1893 Rabbiner in Bingen, von 1893 bis 1909 in Mergentheim
Dr. Salomon Bamberger (geb. 1869 in Frankfurt als Sohn des Frankfurter Dajan Dr. Seckel Bamberger, Enkel des Seligmann Baer Bamberger in Würzburg): Rabbiner in Bingen von 1893 bis 1896, danach Distriktsrabbiner und Leiter der Präparandenschule in Burgpreppach, 1901 bis zu seinem Tod 1920 Provinzialrabbiner in Hanau ("Hanauer Raw").  
Dr. Moses Schlesinger (geb. 1865 in Hamburg, gest. 1946 in Kfar Ata, Israel): studierte in Berlin; 1891 bis 1896 Rabbiner in Pinne (Pniewy, Posten); 1896 bis 1901 Rabbiner in Bingen; um 1911 Leiter des Schülerinternates in Marburg; 1917 bis 1938/39 Klausrabbiner in Halberstadt; 1939 nach Palästina emigriert.   
Dr. Samuel (Samo) Neuwirth (geb. 1867 in Sebeskellemes [Šarišské Lúky], Ungarn, gest. März 1941 in Stuttgart): studierte in Würzburg und Berlin; Lehrer an der Präparandenschule Schwabach, um 1898 in Frankfurt; Rabbiner in Bingen von 1901 bis 1924, danach bis 1934 Rabbiner in Ichenhausen; wohnte anschließend bis zu seinem Tod in Stuttgart.   

Im Ersten Weltkrieg fielen aus der jüdischen Gemeinde: Friedrich Fritz Borg, Max Feist, Otto Hallgarten, Siegfried Salomon Hallgarten, Siegmund Helfer, Otto Loeb, Ferdinand Löbmann, Manfried Marx, Kurt Mattes, Josef Münzner, Fritz Friedrich Meyer, Sally Rosenthal, Siegfried Rosenthal, Berthold Salomon, Ernst Simon, Berthold Sommer, Hugo Sommer, Maximilian Wolf, Sigismund Wolff. 

Um 1924,
als etwa 500 jüdische Einwohner gezählt wurden, waren die Vorsteher der jüdischen Religionsgemeinde Julius Simon, Isidor Groß, Dr. Otto Marx, Bernhard Loeb und Oskar Meyer. Als Lehrer und Kantor war Alfred Löwy tätig, als Gemeindesekretär Sigmund Seligmann, als Rechner Sigmund Strauß, als Synagogendiener Max Wolf, als Friedhofsaufseher Leopold Eis, als Hausmeisterin Fr. Schleider und als Chordirektor Josef Knethel tätig. Die Religionsschule der Gemeinde besuchten 42 Kinder. 1932 waren die Gemeindevorsteher: Dr. Otto Marx (1. Vors.), Isidor Groß (2. Vors.) und Nathan Loeb (3. Vors.). Als Kantor war Isi Bayer tätig. 

1933 wurden 465 jüdische Einwohner gezählt (3,3 % von insgesamt 14.098 Einwohnern). Am 1. April 1933 begann mit dem Boykottaufruf der Nationalsozialisten auch in Bingen die seitdem ständig zunehmende Unterdrückung und Entrechtung der jüdischen Einwohner. 

Beim Novemberpogrom 1938 wurden außer den Synagogen auch zahlreiche jüdische Geschäfte demoliert und geplündert. Heimische und ortsfremde SA-Angehörige beteiligten sich insbesondere an den Aktionen. Jüdische Einwohner wurden festgenommen und auf LKWs durch die Stadt zum "Hessischen Hof" in der Mainzer Straße gefahren; von dort vermutlich in ein Konzentrationslager verschleppt.  
   
1942
wurden 152 Juden, weitere 17 Personen in den beiden folgenden Jahren aus der Stadt deportiert. Fast alle von ihnen wurden in Vernichtungslagern des Ostens ermordet.   
     
Von den in Bingen geborenen und/oder längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Sibilla Bähr (1869), Ida Bär (1876), Mathilde Bär geb. Seligmann (1884), Walter Bär (1911), Simon Berg (1869), Amalie Bermann geb. Feist (1853), Delphina Bermann geb. Wendel (1884), Felix Bermann (1884), Otto Bloch (1906), Johanette Bohl geb. Wolf (1883), Theodor Boll (1880), Lili Brück geb. Natt (1892), Lotte Bruck (1922), Hedwig Eis geb. Stern (1879), Leopold Eis (1879), Alice Epstein (1896), Bertha Epstein geb. Hallgarten (1865), Charlotte Feist (1923), Ellen B. Feist (1925), Klara Feist (1875), Mathilde Feist (1881), Paul Eugen Feist (1863), Paula (Rula, Eula) Feist geb. Obermayer (1871), Siegfried Feist (1870), Thekla Feist geb. Kahn (1897), Julius Franck (1880), Hedwig Frank geb. Marx (1881), Carola Freundlich geb. Meyer (1891), Siegfried Freundlich (1883), David Friedmann (1880), Jenny Friedmann geb. Sommer (1888), Rosa Gans gab. Kaufmann (1899), David Goldschmidt (1862), Setchen Goldschmidt geb. Sternberg (1863), Agnes Groß geb. Neuberger (1883), Ella Gross geb. Cahn (1883), Ernst Gross (1880), Karl Groß (1876), Selma Gross geb. Simon (1890), Julius Josef Haas (1878), Alfred Hallgarten (1895), Julius Hallgarten (1868), Klara Hausmann (1890), Johanna Heimann geb. Wohlgemuth (1888), Ludwig Heimann (1921), Moritz Max Heli (1865), Hermann Herz (1888), Selma Herz geb. Löwenstein (1897), Berta Hirschberger geb. Moos (1871), Sigmund Hirschberger (1865), Elisabeth (Else) Kahn geb. Mayer (1889), Friedrich Kahn (1926), Julius Kahn (1905), Mathilde Kahn geb. Westheimer (1871), Max Kahn (1872), Max Kahn (1878), Moritz Kahn (1877), Rosa Kahn (1897), Samuel Kahn (1879), Selma Kahn geb. Speier (1875), Johanette Kaufmann geb. Feist (1874), Eva Keller geb. Salomon (1891), Karl Keller (1889), Ruth Mirjam Keller (1924), Walter Keller (1921), Emilie Kleeblatt geb. Seligmann (1880), Hertha Koppel geb. Wolf (1889), Karl Koppel (1891), Kurt Koppel (1921), Henny (Henriette) Kunkel geb. Schiff (1876), August Lazarus (1867), Emma Lazarus (1862), Emma Levi geb. Ackermann (1889), Willi Levi (1885), Helene Levy geb. Klee (1861), Julie Levy (1892), Bernhard Löb (1880), Helene Löb geb. Ebstein (1880), Rosa Löwenstein geb. Eis (1912, vgl. https://www.youtube.com/watch?v=NvZXt5VrPrE), Paula Löwenthal (1894), Barbara Lypstadt geb. Eis (1879), Adele Marcus (1878), Emma Marcus (1876), Henny Marcus (1882), Hugo Marcus (1874), Artur Marks (1921), Rosa Markus (1870), Arthur Marx (1922), Artur Marx (1898), Gisela Therese Marx (1930), Irma Marx geb. Koppel (1898), Josefine Marx geb. Mayer (1879), Toni (Antoni) Marx geb. Weiß (1876), Waltraud Doris Grete Edith Marx (1932), Lili Fanny Mayer geb. Hallgarten (1896), Max Mayer (1886), Rudolf (Rudi) Mayer (1925), Moritz Moos (1875), Rosa Moos (1876), Clara Flora Müller geb. Willstädter (1897), Friedrich Julius Müller (1925), Ludwig Müller (1887), Ruth Müller (1929), Ludwig Münzner (1911), Sabine (Sophie) Münzner geb. Albert (1871), Eugenie Nathan (1867), Hugo Nathan (1866), Klara Nathan (1872), Louise Nathan (1875), Moritz Nathan (1861), Rosalie Nathan geb. Lazarus (1868), Juliane Rosam (1874), Clara Rosenbaum (1867), Kathie (Kartharina) Rosenbaum (1869), Adolf Rosenstock (1883), Herbert Rosenstock (1928), Selma Rosenstock geb. Fink (1894), Alice Rosenthal geb. Kohlmann (1893), Emanuel Rosenthal (1888), Gerd Schildhaus (1924), Hilde Schildhaus (1923), Simon Schildhaus (1872), Sofie Schildhaus geb. Meyer (1887), Rosa Schmalz geb. Kahn (1876), Änne (Änni, Lina) Seligmann (1920), Elisabeth (Ella) Seligmann geb. Simon (1879), Isidor Seligmann (1874), Ludwig Seligmann (1875), Rosa Seligmann (1886), Bertha Simon geb. Levy (1873), Eduard Edmund Simon (1877), Ferdinand Simon (1868), Meta Simon geb. Goldstein (1886), Paula (Pauline) Simon geb. Hirsch (1866), Ida Sommer geb. Blumenthal (1893), Sally Sommer (1881), Paula Steinberg geb. Marx (1887), August Adolf Stern (1877), Fritz Stern (1914), Julius Stern (1883), Paula Stern geb. Oppenheimer (1883), Selma Stern geb. Meyer (1888), Walter Stern (1907), Elise Strauss (1909, Lea Strauss (1921), Richard Strauss (1872), Sigmund Strauß (1869), Rosa Viskoper geb. Eis (1885), Cecilie Waller geb. Kahn (1912), Martha Weinthal (1933), Frieda Weiß (1900), Blondine Willstädter geb. Haas (1871), Jakob Willstädter (1865), Juli (Julie) Winkelstein geb. Meyer (1878), Adolf Wolf (1874), Ella Wolf (1896), Ernst Wolf (1895), Eugen Wolf (1892), Fanny Wolf geb. Rosenbaum (1871), Gertrud Wolf geb. Levy (1903), Ida Wolf geb. Gardé (1872), Isidor Wolf (1869), Klara Wolf geb. Kahn (1885), Leonhard Wolf (1872), Marianna Wolf geb. Schwalbe (1904), Marie Eleonore Wolf (1928), Marion Wolf (1928), Martin Wolf (1895), Selma Wolf geb. Hecht (1884), Sofie Wolf geb. Hess (1874).    
 
Hinweis: obige Liste wurde erstellt durch Abruf von "Wohnort Bingen" über die Suchfunktion der Liste des Bundesarchivs. Eine zusätzliche Eingabe von "Geburtsort" würde weitere Namen ergeben.   
   
   
   
   

Zur Geschichte der Synagogen in Bingen  

   
Mittelalterliche Synagoge(n)   
   

Eine "Judenschule" (Synagoge) wird erstmals 1396 genannt, war jedoch sicher schon einige Jahrzehnte vorher vorhanden. Die Synagoge lag am nördlichen Ende der Judengasse, etwa dort, wo die neuere, bis 1905 benutzte Synagoge stand (Rheinstraße 2-4). Mit einer Seite stieß sie offenbar an ein Haus in der Mönchsgasse. Diese erste Synagoge dürfte bei den Stadtbränden 1403/09 zerstört wurden sein. 
 
1502
ist wieder eine "Judenschule" genannt, die Ende des 16. Jahrhunderts erweitert wurde. Sie befand sich nach einem Plan von 1570 neben der St. Urbans-Kapelle. 
   
   
Bis 1905: Synagoge in der Judengasse (Rathausstraße)/Rheinstraße (Rheinstraße 2-4)   
   
Die auf dem Grundstück in der Judengasse stehende Synagoge (noch aus dem Mittelalter?) wurde 1689 bei der Zerstörung der Stadt niedergebrannt. Erst 1698 wurde an derselben Stelle u.a. mit Hilfe von Spenden aus Worms und Mainz ein Neubau erstellt, die Einweihung war 1700. Nachdem 1789 ein Brand den Dachstuhl zerstörte, wurde der Betsaal anlässlich der Reparatur vergrößert. Von diesem Bau sind noch einzelne Teile erhalten (Hochzeitsstein, heute im Israel-Museum Jerusalem; Türflügel mit Stifterinschrift; roter Sandsteinpfeiler aus dem Bereich des Toraschreines).
     
1831 befand sich die Synagoge in einem baufälligen Zustand. Man entschloss sich zu einem Umbau. Der Eingang wurde von der Judengasse im Süden zur Rheinstraße auf die Nordseite verlegt. Durch den Einbau einer Frauenempore konnte der bisherige Frauenbereich dem Männerbereich hinzugefügt werden. Die Einweihung war am 14./15. Dezember 1838. Bereits 1841 danach war eine erneute Erweiterung nötig (siehe Bericht von 1841 unten). 

1853 und 1871 (Einbau von Orgel- und Chorempore) sowie letztmals 1891 wurde die Synagoge renoviert. Wenige Jahre später beschloss die Gemeinde jedoch einen Neubau der Synagoge, zumal es bautechnische Probleme mit der Orgelempore gab. Die Ritualien der alten Synagoge einschließlich des wertvollen Toraschreines wurden in die neue Synagoge in der Rochusstraße gebracht. 
   
Nach der Einweihung der neuen Synagoge 1905 wurde das alte Synagogengebäude verkauft und in den kommenden Jahren unterschiedlich genutzt (als Gaststätte und Hotelbetrieb "Rolandseck", siehe Foto unten, später als "Casino Royal", ebenfalls Gaststättenbetrieb. 1975 ist das Gebäude abgebrannt und wurde durch einen Neubau ersetzt. 1985 erfolgt durch die Stadt Bingen der Ankauf des Neubaus. Auf dem Grundstück wurde ein Haus der Jugend errichtet. 
   
  
Aus der Geschichte der alten Synagoge 
 
Die Erweiterung der Synagoge 1841   

Bingen AZJ 06111841s.jpg (198992 Byte)Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 6. November 1841: "Bingen, 13. Oktober (1841). In No. 42 dieser Zeitung findet sich ein Korrespondenzartikel, den Bau der neuen Synagoge zu Ober-Ingelheim betreffend. Dieses ist nun das zweite neue Gotteshaus, das wir seit einigen Jahren in unserem Kreise erstehen sehen. Es ist wirklich ein sehr erfreulicher Beweis der Fortschritte der Kultur unter den Juden, wenn kleinere Gemeinden, mit beschränkteren Mitteln, bedeutende Opfer nicht scheuen, um einen regelmäßigen, dem Zeitgeiste angemessenen Gottesdienst abzuhalten. Die Tätigkeit unseres Gemeindevorstandes (d.h. in Bingen) hat seit Kurzem bedeutende Verbesserungen ins Leben gerufen, die unser würdiger Herr Kreisrat Wieger aufs kräftigste fördert und unterstützt. Dankbare Anerkennung verdient auch die Humanität unseres städtischen Vorstandes, der zum Bau der Synagoge sowohl, als auch zu sonstigen Anschaffungen aus den städtischen Fonds Beiträge bewilligte. – Während die ziemlich große Gemeinde unseres benachbarten Mainz noch sehr an den alten Missbräuchen festhält, und erst jetzt durch Anstellung des Herrn Dr. Frensheimer die Bahn zu brechen beginnt, erfreuen wir uns schon seit mehreren Jahren eines schönen Gottesdienstes mit deutschen Vorträgen und Chorälen. Seit einem Jahre werden an Sabbaten des Nachmittags abwechselnd von unserem kenntnisreichen Rabbinen Herrn Dr. Sobernheim und Herrn Lehrer Lebrecht Andachtsstunden in deutscher Sprache abgehalten, die sich stets eines sehr zahlreichen Auditoriums erfreuen. Durch den Abbruch einiger der Synagoge zunächst gelegener alter Häuser wurde an Raum gewonnen, und das etwas zu kleine Gotteshaus wird nun vergrößert. In wenigen Wochen wir der bereits begonnene Bau vollendet da stehen. Nach dem Muster einiger anderer Gemeinden wird nun für Anschaffung einer Orgel gesorgt werden, wozu die erforderliche Summe durch freiwillige Beiträge zusammengebracht werden soll. Wir sind von der Freigebigkeit unserer Gemeindeglieder, die uns im verflossenen harten Winter bewiesen, wie gerne sie ihre Hand öffnen, wenn es nützlichen und wohltätigen Zwecken gilt, überzeugt, dass sie recht gerne zur Anschaffung dieses Gemüt erhebenden Instruments beisteuern werden, sowie wir auch von unserem gebildeten Rabbinen mit Zuverlässigkeit darauf rechnen können, dass er, der zeitgemäße Verbesserungen gerne fördert, bereitwilligst dem allgemeinen Wunsche beistimmen werde."      

  
Einweihung einer neuen Torarolle (1862)      

Bingen Israelit 10121862s.jpg (202967 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 10. Dezember 1862: "Bingen am Rhein, im Dezember (1862). Vergangenen Sabbat, Paraschat Wajischlach ward hier eine Sefer Tora (Torarolle), die zweite binnen Jahresfrist, festlich eingeweiht. Das erste Sefer ließ die Beerdigungsbrüderschaft, das zweite ein Verein jünger Leute, die allsabbatlich zusammenkommen, um sich aus dem Worte Gottes belehren zu lassen, schreiben. Es ist dies ein sprechender Beweis, dass wie überall, so auch hier, wo Neologie und Indifferentismus bisher besonders heimisch waren, ein besserer Geist sich Bahn zu brechen beginnt, und wollen wir hoffen, dass der wahrhafte religiöse Sinn, wodurch sich in früheren Zeiten Bingen auszeichnete, daselbst immer mehr und mehr vorherrschend wird. Die Feier selbst war eine sehr würdige und fand die Predigt, die Herr Lehrer Lebrecht – da der Rabbiner Herr Dr. Sobernheim* von seinem Unwohlsein, wenn auch bedeutend besser – leider noch immer nicht ganz hergestellt – hielt, allgemeinen Beifall, indem sowohl Form als Inhalt nichts zu wünschen übrig ließen. Möchte es mir vergönnt sein, Ihnen recht bald fernere günstige Nachrichten über die hiesigen religiösen Verhältnisse zu geben. Schebach.  
*Anmerkung: Der Herr Rabbiner ward am zweiten Neujahrstage während einer Predigt, worin er sich wegen der durch einige eklatante Beispiel besonders hervorgetretenen Religionslosigkeit ungemein ereiferte, von einem sehr bedenklichen Unwohlsein betroffen, wovon sich derselbe, wie oben erwähnt, ziemliche erholt hat, aber noch immer nicht völlig hergestellt ist."   

   
Kritischer Bericht in der orthodoxen Zeitschrift "Der Israelit" 1876   

Bingen Israelit 26041876s.jpg (194554 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 26. April 1876: "Bingen. (Curiosa). Die Leser dieses Blattes, die in letzterer Zeit auch über die Binger jüdischen Verhältnisse gelesen und durch das eigentümliche Vorgehen eines reformsüchtigen Vorstandes in Erstaunen gesetzt worden sind, werden dennoch überrascht sein, wenn sie hören, wie man hier ‚in Reform macht’. Vergangenen Freitagabend vollzog sich ein seltener religiöser Weiheakt in der Orgelsynagoge allhier. Unter Musikbegleitung und erhebender Festrede wurde ein prachtvoller Becher dem Herrn Kantor überreicht, welchen der dankbare Vorstand den Chorsängern zum Geschenke machte. Da dieser Becher, wie verlautet, in der Synagoge als Jomtofkidusch-Becher (Kidduschbecher zum Feiertag) benutzt werden soll, die feierliche Anrede an den Kantor gerichtet war, sodass alle Anwesenden der irrigen Meinung waren, derselbe erhielte damit ein Zeichen der Anerkennung für seine gesanglichen Leistungen, aber, wie es schließlich heißt, dem Chorpersonal gewidmet worden sei, so können wir zu unserem tiefsten Bedauern unserer Berichterstatterpflicht nicht getreu nachkommen und den endgültigen Beschenkten nicht genau angeben. Auf bescheidene Anfragen wird aber der verehrliche Vorstand wohl Auskunft erteilen. Genug, das Publikum war durch die erhebende, gewiss in ihrer Art einzigen religiösen Feier sichtlich tief gerührt und gehoben, und wir müssen es gewiss als boshaft bezeichnen, wenn sich Einzelne, die der Feier beiwohnten, darüber lustig machten und erklärten, dass ihnen das Ganze wie ein Faschingsscherz vorkam, Wie aber bekanntlich das Publikum immer undankbar ist, so zeigte sich das schon zwei Tage darauf. Es war der letzte Tag Pessach, und da konnte selbstverständlich der Organist, welcher in der Kirche sehr in Anspruch genommen war, nicht zugleich in der Synagoge die Orgel spielen. Wer will es nun einer Gemeinde verargen, die sich zwar schon mehrmals aus demselben Grunde still ergeben darein gefunden, statt um 9 um 10 Uhr ihren Gottesdienst abzuhalten, wenn sie heute,  wo sie ein und eine halbe Stunde auf ihren Organisten warten musste, ungeduldig wurde und sich nicht mehr erinnerte des herrlichen Festgenusses, den ihr erfindungsreicher und für ihre Unterhaltung stets sorgender Vorstand erst zwei Abend vorher bereitet hatte! Wie wir hören, hat auch am ersten Pessachabend eine Dame durch Solovorträge aus Haydns ‚Schöpfung’ die andächtigen Besucher des Gotteshauses entzückt. – Ja die Binger jüdische Gemeinde kann sich glücklich schätzen, einen so kunst- und musikliebenden Vorstand zu besitzen!!!"   

   
Der Toraschrein der alten Synagoge wird zur neuen Synagoge gebracht (1905)   

Bingen Frf IsrFambl 25081905s.jpg (45222 Byte)Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 25. August 1905: "Bingen. Vorigen Samstag wurde in der 800 Jahre alten Synagoge der hiesigen israelitischen Gemeinde der letzte Gottesdienst abgehalten. Berühmt war in der Synagoge der Oraun hakaudesch (Toraschrein) als ein altes Kunstwerk von hohem Werte; derselbe wird in die mit einem Kostenaufwand von einer Viertel Million Mark erbaute neue Synagoge übergeführt werden."   

  
Kritischer Artikel zum Verkauf der alten Synagoge (1911)   
Anmerkung: Die orthodox eingestellte Zeitschrift "Der Israelit" stand in kritischer Distanz zu der liberal geprägten Israelitischen Religionsgemeinde in Mainz mit ihrer "Orgelsynagoge". Dass nun auch noch die alte Synagoge in der beschriebenen Weise weiterverwendet wurde, war Anlass für diesen kritisch geschriebenen Artikel:

Bingen Israelit 11051911s.jpg (253590 Byte) Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 11. Mai 1911: "Die jüdische Gemeinde in Görlitz ist aber schon lange vorher von der jüdischen Synagogengemeinde in Bingen am Rhein überflügelt worden. Vor, allerdings schon sehr langer Zeit, war die jüdische Gemeinde Bingen der Sitz einer Jeschiwa, an der hervorragende Männer und Leuchten des Judentums gelehrt hatten. Sehr häufig teilte die alte Gemeinde im Mittelalter das Schicksal ihrer benachbarten Schwestergemeinden Mainz, Worms, Oppenheim, Kreuznach, Bacharach und Boppard. Man sollte nun meinen, dass in einer solchen alten Gemeinde, der Geist der Pietät und Würde auf lange Zeit hinaus nachwirke. Wie aber dieser Geist der Pietät in der heutigen Generation lebt, das kann nicht besser illustriert werden, als durch die Tatsache, dass die frühere Synagoge in der Rheingasse, die über 70 Jahre gottesdienstlichen Zwecken diente, samt den nicht unbeträchtlichen Nebenbauten, als Mikwe, Beamtenwohnungen und Schullokal für 30 oder 35 Mark an einen christlichen Unternehmer verkauft wurde, der alsbald ein Vergnügungsetablissement daraus machte. Und gerade die alte Synagoge ist es, wo heute ein Tanzlokal, ein Konzertsaal, eine Bierhalle, ein Kinematographentheater, nicht weniger als wie Tingeltangel und Kabarett den Zusammenkunftsort für Publikum zweiten, dritten und weiteren Ranges bildet. Sonntäglich soll es da etwas weniger als vornehm hergehen. 
Es ist an sich gleichgültig, von welchem Gesichtspunkt aus man den jetzigen Verkehr in der ehemaligen Synagoge nach ästhetischen oder moralischen Gesichtspunkten einschätzt, ob es da etwas wild und stürmisch oder etwas ruhiger und gesetzter hergeht und ob die jungen Techniker, die in Bingen studieren, dort nur Bier trinken und nur tanzen, oder was sonst noch. Es ist und bleibt eine Schande und Schmach, dass eine Gemeinde, die mit zu den wohlhabendsten am Rhein gehört, eine Synagoge auf derartige Weise entweihen lässt. Ob eine der dortigen christlichen Kirchen jemals bedingungslos für derartige oder ähnliche Zwecke verkauft würde? Es ist ganz überflüssig, solche Fragen zu diskutieren.
Wenn aber Gemeinden wie Görlitz und Bingen hunderttausende für eine neue Synagoge auszugeben imstande sind, so müssen sie auch in der Lage sein, ihre alten Gotteshäuser so lange in eigener Hand behalten zu können, bis sich eine Gelegenheit findet, sie würdig zu verwenden. Warum konnten die Vorsteher dieser Gemeinde nicht etwa ein Altersheim für jüdische Beamten oder ein Refugium für erwerbsunfähige Beamtenwitwen errichten? In Bingen, wo die geographische Lage dazu ebenso geeignet gewesen wäre, wie auch der ganze Gebäudekomplex an sich schon, wären sicherlich von außer zu solchen Zwecken Gelder aufzubringen gewesen und das altehrwürdige Gebäude wäre nicht in so unerhörter Weise entweiht worden.
Da man nur allzu sehr berechtigten Grund hat, dass das von Görlitz und Bingen gegebene unrühmliche Beispiel Nachahmung finden könnte, sollte man an die jüdischen Gemeinde Deutschlands die dringende Warnung richten, einen solchen Chillul nicht weiterzuverbreiten. Sonst gibt man dem nie müden Antisemitismus nur weiter neue Handhaben das Gesamtjudentum für die Missgriffe einzelner Gemeindevorsteher verantwortlich zu machen und zu befehden. Und das muss unter allen Umständen verhütet werden."

  
   
1905 - 1938: Synagoge in der Rochusstraße (Rochusstraße 10-12)  
   
Der Bau einer großen neuen Synagoge wurde von 1903 bis 1905 durchgeführt. Sie wurde nach den Plänen von Professor Ludwig Levy aus Karlsruhe erstellt. Er hatte einen an romanischen Kirchenbauten orientierten Gebäudekomplex mit einer monumentalen Fassade entworfen. Im Betsaal befanden sich 218 Männer- und 171 Frauen-Sitze. Zur Ausstattung der Synagogen gehörten u.a. über 60 Torarollen, darunter eine aus dem Jahr 1700. 
      
Berichte zur Geschichte der neuen Synagoge    
Entwürfe zum Neubau der Synagoge (1903)    

Bingen AZJ 16011903s.jpg (57113 Byte)Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 16. Januar 1903: "Bingen am Rhein, 4. Januar (1903). Bei den zu dem Neubau einer Synagoge dahier von vier Bewerbern eingelaufenen Entwürfen ging derjenige des Herrn Baurat Professor Ludwig Levy in Karlsruhe als Sieger hervor. Ein Entwurf des Architekten Herrn Gartner in Wien wurde als zweibester von dem Preisrichterkollegium zum Ankauf empfohlen. Dieses Kollegium bildeten die Herren königlicher Baurat Stadtbaumeister Genzmer – Wiesbaden, Prof. K. Henrici – Aachen und Geheimer Oberbaurat Professor Hofmann – Darmstadt."   

  
Verdienste des Bankiers/Kommerzienrates Julius Landau um den Bau der Synagoge (Rückblick von 1911)
  

Bingen AZJ 08121911s.jpg (31334 Byte)Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 8. Dezember 1911: "Anlässlich des großherzoglichen Geburtstages ist Herr Bankier Julius Landau in Bingen am Rhein zum Kommerzienrat ernannt worden. Bingen verdankt ihm vor allem die neue Synagoge. Er ist erster Vorstand der jüdischen Religionsgemeinde."  

   
Die Einweihung der neuen Synagoge am 21. August 1905 
   

Bingen AZJ 06101905.jpg (235975 Byte)Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 6. Oktober 1905: "Bingen, 24. September. Am vergangenen Donnerstag den 21.v.M. feierte unsere Gemeinde die Einweihung ihrer neuerbauten Synagoge. Der Feier wohnten die staatlichen und städtischen Behörden bei, unter anderen der Kreisrat Geheimer Regierungsrat Spamer, Kreisamtmann Muhl, Bürgermeister Neff und fast sämtliche Stadtverordnete, der katholische Pfarrer Geistlicher Rat Dekan Engelhardt, die beiden evangelischen Pfarrer Reinhard und Engel, die Schulbehörden, die Vorstände der israelitischen Landgemeinden des Bezirks und ein zahlreiches Publikum. Die Bevölkerung hatte ihr Interesse an der seltenen Feier durch Beflaggen der Häuser kundgegeben, namentlich war die Rochusstraße, auf welcher das neue Gebäude sich befindet, seitens der Stadtverwaltung mit einem stattlichen Festgewand versehen worden. Die Feier wurde mit der feierlichen Schlüsselübergabe am Portale eröffnet, bei welcher Fräulein Ella Landau mit einer poetischen Ansprache den auf einem weißen Atlaskissen ruhenden goldenen Schlüssel übergab. Bei dem Einzuge in das Gotteshaus sang der Chor das Eingangslied: Preis und Anbetung, worauf durch den Rabbiner der Gemeinde Dr. Grünfeld das Entzünden der "Ewigen Lampe" mit weihevollen Worten erfolgte. Hieran schloss sich der Umzug mit den Torarollen, die von den Rabbinern Dr. Stein - Worms, Dr. Saalfeld - Mainz, Dr. Lewit - Alzey, Dr. Tawrogi - Kreuznach und dem hiesigen Rabbiner getragen wurden und das Einheben derselben unter den dabei üblichen Gesängen. Den Mittelpunkt der Feier bildete die eindrucksvolle Festpredigt mit darauffolgender Weihe von unserem allgemein beliebten Rabbiner Dr. Grünfeld. derselben lag der Text zugrunde: "Dieses Tor ist des Ewigen. Gerechte gehen da ein", welche Worte als Inschrift über dem Eingangsportale der neuen Synagoge angebracht sind. Der Redner führte dabei aus, dass das jüdische Gotteshaus ein laut redendes Zeugnis für die unverwüstliche Kraft des Monotheismus, eine Stätte der Sammlung und Andacht im brausenden Weltgewühl und eine Pflanzstätte alles Guten und Edlen sei. Diese gedankentiefe und formvollendete Predigt verfehlte nicht, auf alle Zuhörer einen weihevollen Eindruck zu machen. Hieran schloss die Absingung der Keduschah durch Kantor, Chor und Gemeinde und das Gebet für Kaiser und Großherzog. Ein Schlussgesang beendete die würdig verlaufene Feier. Nach der Feier fand im Englischen Hofe ein Frühstücke statt, an welchem die Behörden und Gäste mit dem Vorstand und den Bauausschüssen teilnahmen. Erwähnung verdient auch der Toast des großherzoglichen Bürgermeisters Neff, der als Vertreter der Stadt mit vollem Recht auf die vorbildliche Einigkeit hinweisen konnte, die in unserer Stadt unter den Angehörigen der jüdischen und christlichen Religion herrscht. Diese Eintracht unter unseren Mitbürgern hat sich anlässlich der Einweihung der Synagoge auch darin bestätigt, dass die Stadtverwaltung dem Vorstand unserer Gemeinde die Summe von 6.000 Mark als Beitrag zu den Anschaffungskosten der Orgel überwies. Abends war in demselben Hotel eine größere Festveranstaltung der Gemeindemitglieder mit Frauen und Kinder. Beide nahmen einen sehr freudigen, mit vielen Toasten, Reden und Vorträgen reich gewürzten Verlauf, und mit stolzer Genugtuung kann die Bingener Gemeinde auf ihr so herrlich vollendetes Werk wie auf den schönen Verlauf des ganzen Festes zurückblicken, das ihr in ewiger Erinnerung bleiben dürfte."  
    

Ergänzender Artikel über die neue Synagoge 

Bingen AZJ 13101905s.jpg (94928 Byte)Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 13. Oktober 1905: "Bingen, 6. Oktober (1905). Unsere neue Synagoge, über deren Einweihung ich Ihnen schon berichtet habe, ist nach den Plänen des als Synagogenerbauter weithin bekannten Architekten Herrn Baurat Professor Ludwig Levy in Karlsruhe erbaut. Der Stil ist ein einfach romanischer, die Fassade aus weißem Vogesensandstein, hat in der Mitte eine spitze Turmkuppel und an den anschließenden Gemeindegebäude tragen die Treppenhäuser Spitzverdachungen. In dem Mittelstück der Fassade befindet sich ein von Bildhauer Bauser – Karlsruhe kunstvoll ausgeführtes ornamentales Bild, die Gesetzestafeln von zwei sie schützenden Löwen darstellend. Der Tempel umfasst 220 Männerplätze und auf den Emporen 180 Sitze für Frauen. Der Bau begann im Frühjahr 1903 und betragen die Kosten desselben 250 000 Mark. Für die prächtige Ausschmückung des Innenraums sind von Gemeindemitgliedern, sowie von auswärts wohnenden Bingenern größere und kleinere Beträge gespendet worden. Dass die Stadt Bingen der Gemeinde ein Festgeschenk im Betrage von 6.000 Mark überwies, welche für die Kosten der Orgel verwendet werden, habe ich Ihnen schon gemeldet. Durch diesen herrlichen Bau hat unsere hübsche Rheinstadt wieder eine neue prächtige Zierde erhalten."  

  
Zuschuss der Stadt Bingen für die Orgel in der neuen Synagoge - kritische Kurzmeldung im (orthodoxen) Frankfurter Israelitischen Familienblatt (Oktober 1905) 
 

Bingen FfIsrFambl 06101905s.jpg (28947 Byte)Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 6. Oktober 1905: "…Die Stadtgemeinde Bingen hat der Israelitischen Religionsgemeinde daselbst, anlässlich der vor kurzem stattgehabten Einweihung ihrer neu erbauten Synagoge ein Festgeschenk von Mark 6.000 bewilligt und zwar mit der Bestimmung, mit dieser Summe die Kosten der – Orgel zu bestreiten…"  

  
Rückblick auf die Einweihung und die Berichtserstattung (November 1905) 
 

Bingen AZJ 24111905s.jpg (103465 Byte)Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 24. November 1905: "Bingen, 19. November (1905). Hier wurde, wie ich Ihnen seinerzeit gemeldet, vor kurzem die neue Synagoge eingeweiht. Die ‚Rhein- und Nahe-Zeitung’, das amtliche Kreisblatt in Bingen, richtete bei diesem Anlass an die Einwohnerschaft die folgende Aufforderung: ‚Zur Einweihung der neuen Synagoge ist vom Herrn Rabbiner Dr. Grünfeld eine Festschrift verfasst worden: ‚Die Geschichte der Juden in Bingen’. Das Werkchen ist auch für Nichtisraeliten sehr anregend und in den hiesigen Buchhandlungen zu haben. – Sehr wünschenswert würde es sein, wenn zu der Feier, die von so hoher Bedeutung für unsere israelitischen Mitbürger ist, auch die Angehörigen der anderen Konfessionen durch eine allgemein Beflaggung der Häuser das ihrige beitragen.’ – Diese Zumutung findet die ‚Staatsbürger-Zeitung’, die auch unter ihrem neuen Verleger nicht viel vornehmer geworden ist, ‚unerhört’. Wer die Verhältnisse am Rheine kennt, der muss über diese sittliche Entrüstung lachen. Im Rheinland wird keine christliche Kirche gebaut, zu der nicht die Juden durch Geldsammlungen beisteuern. Bei Prozessionen und Kircheneinweihungen schmücken die Juden ebenso ihre Häuser wie die Christen und ebenso erweisen die christlichen Nachbarn bei Synagogeneinweihungen durch äußeren Schmuck ihre Verehrung. Diese Leute werden das nie begreifen, dass die Liebe und nicht der Hass der Grundton aller Religionen ist." 

Die neue Synagoge war (nur) 33 Jahre lang Mittelpunkt des jüdischen Gemeindelebens der israelitischen Religionsgemeinde in Bingen. 
  
Beim Novemberpogrom 1938 wurde die Synagoge von SA-Männern und Nazianhängern zerstört. Nachdem am Morgen der Brand durch den Synagogendiener hatte gelöscht werden können, wurde das Gebäude gegen 17 Uhr noch einmal angezündet. Davor wurde die gesamt Einrichtung demoliert, die Orgel zerstört und die Trümmer mit Teer übergossen. Durch Zwangsverkauf kamen die Gebäudereste und das Grundstück in die Hände des Binger Winzervereins, der den erhaltenen rechten Teil des Bethauses eine Zeitlang als "Weinlokal mit Musik und Tanz" nutzte.  
  
1962 kamen die Gebäudereste und das Grundstück in den Besitz der Stadt Bingen. Diese ließ 1970 die Ruine mit der erhaltenen architektonisch wichtigen Ostfassade abbrechen. Seit 1983 erinnert eine Gedenktafel an die ehemalige Synagoge, von der nur noch der Flügel mit dem Treppenturm und der zum Wohnhaus umgebaute, dreiachsige Gebäudeteil  erhalten blieb. Reste einer Säule befinden sich auf dem jüdischen Friedhof

Gedenkfeiern zur Erinnerung an die Zerstörung der Synagoge werden regelmäßig vom "Arbeitskreis Jüdisches Bingen" durchgeführt.    
   
    

Die Orthodoxe Synagoge in der Amtsgasse (Amtsgasse 13)
 
und die Privatsynagoge in der Martinstraße (Martinstraße 1-3; Martinsgässchen)  
      
Der Einbau einer Orgel in der Synagoge 1871 war auch in Bingen Anlass für die Orthodoxen, eine eigene Gemeinde zu bildet. Zunächst traf man sich in einem provisorischen Betsaal. Seit der Einweihung eines neuen Betsaales in der Amtsgasse im August 1876 wurden die Gottesdienst hier abgehalten. 
  
Einweihung des neuen Betsaales im August 1876  

Bingen Israelit 23081876s.jpg (168886 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 23. August 1876: "Bingen, 18. August. Wir sind abermals in der angenehmen Lage, Ihnen Erfreuliches von unserer jungen Gemeinde mitteilen zu können. Wenn auch die Entwicklung derselben eine langsam ist, so verspricht sie doch eine umso gedeihlichere zu werden. Die am verflossenen Freitagabend begangene feierliche Einweihung unseres neuen Betsaales scheint uns Bürge hierfür zu sein. Schon um 5 ½ Uhr versammelten sich sämtliche Mitglieder unserer Religionsgesellschaft, festlich gekleidet, in dem alten Betsaale, um den Einzug in den erwähnten neuen Betsaal zu halten. Nach beendetem Mincha-Gebet wurden die Torarollen von den ältesten Mitgliedern unserer Religionsgesellschaft in das neue Lokal in feierlichem Zug, dem sich unsere sämtlichen Gemeindemitglieder anschlossen, übertragen. Als der Präses, Herr Joseph Meyer, die Synagoge öffnete, die Gemeinde unter Vorantritt der Torarollen den Einzug hielt, überraschte uns, unser jugendliches Mitglied, Herr Arthur Cahn, mit seinem erhebenden Gesang. Nachdem unser ehrwürdiger Rabbiner Herr Dr. Sänger zwei Segenssprüche und das Gebet für den Landesfürsten gesprochen und die üblichen Hakefot mit den Torarollen beendet waren beendet waren, hielt Herr Rabbiner Dr. Sänger, eine der Feier angemessene Predigt, die uns im wahrsten Sinne des Wortes begeisterte. Die hinreißende Redeweise unseres ehrwürdigen Rabbiners, die von tiefster Gottesfurcht überzeugende Wahrheit seiner Worte, konnten ihre Wirkung nicht verfehlen und so verließen wir in begeisterter und gehobener Stimmung nach beendetem Abendgottesdienst, die festlich geschmückten Räume unseres Gotteshauses.  
Befanden wir uns schon an diesem Abend in freudiger, gehobener Stimmung, so wurde diese bei dem darauf folgenden Morgen Gottesdienst in noch erhöhtem Grade hervorgerufen, durch die wiederholt trefflichen Gesangsleistungen unseres Mitgliedes Herrn A. Kahn und durch die entzückende Rede unseres allverehrten Rabbiners. 
Wir sagen nicht zu viel, wenn wir hiermit öffentlich aussprechen, dass ein Mann, wie Herr Rabbiner Dr. Sänger, beseelt von wahrer Gottesfurcht, getragen von den reinsten, erhabensten Ideen, auf seine Gemeindemitglieder, sowie auf seine ganze Umgebung veredelnd wirkt. Wir fühlen uns daher glücklich, einen solchen Mann an unserer Spitze zu haben, insbesondere schätzen wir uns glücklich, ihn als Religionslehrer unserer Kinder zu wissen.  
Möge es uns vergönnt sein, diesen trefflichen Mann recht lange in unserem Kreise wirken zu sehen. Zum Schluss statten wir unserem Vorstande für seine Mühe und Tätigkeit im Allgemeinen und insbesondere für dessen Tätigkeit bei dem Bau unseres Betsaales den innigsten Dank ab mit dem Wunsche, er möge es sich auch fernerhin zur Aufgabe machen, sich um die öffentlichen Bedürfnisse in Wahrheit zu kümmern."  

   
Gedenkgottesdienst für Samson Raphael Hirsch (1889)
  

Bingen Israelit 10011889s.jpg (51836 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 10. Januar 1889: "Bingen, 6. Januar 1889. In der Synagoge der israelitischen Religionsgesellschaft hier hielt heute Herr Rabbiner Dr. Sänger eine tief ergreifende Trauerrede aus Anlass des vor wenigen Tagen dahingeschiedenen Rabbi Samson Raphael Hirsch in Frankfurt am Main und schilderte in beredten Worten die große Bedeutung des Dahingeschiedenen für das Judentum. Seine Worte hinterließen einen tiefen Eindruck auf die Trauerversammlung; wir müssen es uns indes versagen, näher darauf zu zugeben, da, wie wir hören, auf Wunsch vieler Gemeindemitglieder die Rede durch Drück vervielfältigt werden."

Beim Novemberpogrom 1938 wurde die Inneneinrichtung des orthodoxen Betsaales demoliert.
  
   
Privatsynagoge in der Martinstraße
   

Neben den großen Synagogen gab es um 1900 auch eine Privatsynagoge. Das heutige Gebäude Hotel Martinskeller (Martinstraße 1-3) war nach 1884 zunächst Weinhandlungshof der Firma Augstein (der Jurist Dr. Josef Augstein [geb. 1909 in Bingen, gest. 1984 in Hannover] und sein Bruder, der langjährige Spiegelherausgeber Rudolf Augstein [geb. 1923 in Hannover, gest. 2002 in Hamburg], sind direkte Nachfahren dieser Familie). 
Im Laufe der folgenden Jahre diente das Anwesen den verschiedensten Zwecken: um 1900 war eine private Synagoge von Dr. Faist als Synagoge eingerichtet). Nach 1936 war in dem Gebäude ein Weingutsbetrieb, seit 1984 das Hotel Martinskeller.  
  
   
   
Fotos
:  

Synagoge in der Rheinstraße
(Fotos wurden bereits mehrfach veröffentlicht, u.a. im Gedenkbuch 
der Synagogen; Karte oben rechts aus Sammlung Hahn)    
  
Bingen Synagoge 027.jpg (55951 Byte) Bingen Synagoge 024.jpg (70356 Byte) Bingen Synagoge a180.jpg (158890 Byte) 
  Die Synagoge in der Rheinstraße um 1905 - Außen- und Innenansicht  Die ehemalige Synagoge nach Umbau 
zur Gaststätte "Zum Rolandseck" 
  
      
Bingen Synagoge 045.jpg (71747 Byte) Bingen Synagoge 026.jpg (55435 Byte) Bingen Synagoge 025.jpg (41870 Byte)
Eingangstür von 1789, übernommen in die
 Synagoge Rochusstraße mit Stifterinschrift
 ("gestiftet durch den Gemeindevorsteher
 Chajmi, den Sohn von Aron Friedburg...")
Der Hochzeitsstein der 
Synagoge Bingen 
(heute Israelmuseum Jerusalem)   
Die neugotische Maßwerkrose der 
alten Synagoge 
(Aufnahme von 1992)    
       
     
Die Synagoge in 
der Rochusstraße
Bingen Synagoge 023.jpg (56667 Byte) Bingen Synagoge 022.jpg (74214 Byte)
  Historische Postkarte mit der Außenansicht Innenansicht
     
Zum Eingangsbereich vgl. das Foto
aus der Sammlung von Ludwig Simon (bis 1938 Bingen):
http://objekte.jmberlin.de/view/objectimage.seam?uuid=jmb-obj-203730&cid=2128635   
Bingen Synagoge 021.jpg (54209 Byte) Bingen Synagoge 020.jpg (62696 Byte)
  Die beim Novemberpogrom 1938 zerstörte Synagoge
   
Die erhaltenen Reste der ehemaligen
 Synagoge in der Rochusstraße
(Fotos: Hahn, Aufnahmedatum 29.3.2005)
Bingen Synagoge 200.jpg (45495 Byte) Bingen Synagoge 201.jpg (55235 Byte)
   Blick von der Rochusstraße auf den erhaltenen rechten Flügel der ehemaligen Synagoge
   
Bingen Synagoge 202.jpg (53463 Byte) Bingen Synagoge 203.jpg (46927 Byte) Bingen Synagoge 204.jpg (61760 Byte)
   Ansicht des rechten Flügels vom Hinterhof Gedenktafel von 1983
     
Gebäude Martinstraße 1-3, worin 
sich um 1900 eine Privatsynagoge befand
Bingen Hotel Martinskeller 01.jpg (21220 Byte)    

    
    
Erinnerungsarbeit vor Ort sowie erste Ansätze zu neuem jüdischem Leben in der Stadt  

Mai 2008: Der "Arbeitskreis Jüdisches Bingen" will die Erinnerung an die jüdische Geschichte wach halten    
Link: "Arbeitskreis "Jüdisches Bingen"  
   
November 2008:  Erste Ansätze für neues jüdisches Leben in Bingen stoßen auf Schwierigkeiten   
Artikel im Main-Rheiner  (direkt zum Artikel) vom 1. November 2008:  Auf der Suche nach Raum für jüdisches Leben -  Wohnung in ehemaliger Synagoge an Feuerwehr vergeben / Private Iniative stellt Ansprüche 
lef. BINGEN Die Erinnerung an die einst bedeutende jüdische Gemeinde hält der Arbeitskreis Jüdisches Bingen mit großem Engagement aufrecht.
Nun hat sich in Bingen eine Initiative um Dorothea Dürsch zusammengetan, die, unabhängig vom Arbeitskreis Jüdisches Bingen, eine jüdische Gemeinschaft entstehen lassen will..."   
    
Artikel von Christine Tscherner im Main-Rheiner (direkt zum Artikel) am 5. Januar 2009:  "Wunsch nach Räumen mit Symbolwert. Jüdische Gemeinde möchte ehemaligen Synagogen-Flügel in der Rochusstraße nutzen. 
BINGEN. Der im Dezember gegründete "Förderverein für jüdisches Leben in Bingen heute" kämpft für die Nutzung der ehemaligen Synagoge. Die 100 Mitglieder zählende jüdische Gemeinde will eine Mietwohnung im ersten Stock der Rochusstraße 10 als Versammlungsort nutzen..."  
   
Februar 2009: Stand der Verlegung der "Stolpersteine" in Bingen   
Artikel von Christine Tscherner im Main-Rheiner (direkt zum Artikel) vom 24. Februar 2009: "Ein Fingerzeig auf Wunde der Geschichte - Der Künstler Gunter Demnig verlegt weitere "Stolpersteine" zum Gedenken an Binger Opfer des Holocaust.
BINGEN.
Seit dem Start vor vier Jahren sind insgesamt 56 Steine verlegt. Gestern kamen 24 neue "Stolpersteine" hinzu. Sie erinnern als "Denkmal von unten" an die Opfer des Holocaust. 
Der Arbeitskreis Jüdisches Bingen hat die ehemaligen Wohnhäuser jüdischer Mitbürger recherchiert und pflegt den Kontakt zu Nachfahren..."  
   
Mai 2011: Zahlreiche Besucher in der Erinnerungs- und Begegnungsstätte in der ehemaligen Synagoge   
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung" vom 28. Mai 2011 (Artikel): "Modell ehemaliger Synagoge ein Magnet
BINGEN. BEGEGNUNGSSTÄTTE Großes Besucherinteresse

(red). Mit einem solch großen Interesse hatten die Mitglieder des Arbeitskreises Jüdisches Bingen (AKJB) nicht gerechnet. Vier Stunden öffnete der AKJB die Erinnerungs- und Begegnungsstätte in der ehemaligen Synagoge in der Binger Rochusstraße. Etwa 60 Bürgerinnen und Bürger aus Bingen und Umgebung, darunter Beigeordneter Hans-Jürgen Klöckner für die Stadt Bingen, waren der Einladung des AKJB gefolgt..."       
   
August 2011: Verlegung von "Stolpersteinen" in Bingen am 31. August 2011 
Dazu erschien ein Artikel von Beate Goetz in der "Allgemeinen Zeitung" vom 5. August 2011. Link zu diesem Artikel
   
Ein weiterer Artikel zur Verlegung der "Stolpersteine" von "cts" erschien in der "Allgemeinen Zeitung" am 1. September 2011: 
"Erinnerung an Schicksale. Stolpersteine. Metallplatten machen jüdische Spuren sichtbar" (Link zu diesem Artikel)   
Weiterer Artikel von Beate Goetz in der "Allgemeinen Zeitung" vom 6. September 2011: "*Nach 1938 durften wir nirgendwo mehr hingehen. Bingen. Jüdische Schicksale. Ellen Mayer Fine denkt noch heute an Spaziergänge am Rhein mit hrem Großvater Ferdinand Simon zurück" (Link zu diesem Artikel).   
  
Januar 2012: Über den Internetauftritt des Arbeitskreises "Jüdisches Bingen":  
Professionelle Präsenz im Netz (Allgemeine Zeitung, 06.01.2012)
.  
  
Januar 2016: Unterrichtsprojekt für Grundschüler     
Kinder erfahren Geschichte der ehemaligen Synagoge (Allgemeine Zeitung, 16.01.2016) 
 
November 2017: Weitere Verlegung von "Stolpersteinen" - In Bingen liegen nun 117 "Stolpersteine" 
Pressemitteilung der Stadt Bingen vom 8. November 2017 (mit Foto - Quelle: Stadtverwaltung Bingen): "Bingen: In Bingen sind inzwischen 115 'Stolpersteine' verlegt
Bingen
– Inzwischen sind es 115 'Stolpersteine', die seit 2005 in der Innenstadt, in Büdesheim, Bingerbrück und Gaulsheim an das Schicksal jüdische Mitbürger, die dem Holocaust zum Opfer fielen, erinnern. Der Arbeitskreis Jüdisches Bingen (AKJB) hat den Kölner Künstler Gunter Demnig nun bereits zum achten Mal eingeladen, um für Arthur Hecht und seine Frau Maya (geborene Pfifferling) in der Schlossbergstraße 26, für David Friedmann und seine Frau Jenni (geborene Sommer) in der Salzstraße 7-9, für Amelie Durlacher in der Kapuzinerstraße, für Simon Berg in der Hospitalstraße (MVB), für Eugen und Paula Mandel (geborene Brück in der Mainzer Straße 31 sowie für die Geschwister Fritz und Lilli Hohmann in der Mainzer Straße 47-51 die Erinnerungssteine verlegen zu lassen. Während Demnig arbeitet, berichtet Beate Goetz von der jeweiligen Lebensgeschichte, sodass immer ein sehr eindrucksvoller Moment entsteht. 'Es ist eine gute Tradition, dass wir hier in Bingen die Verlegung der ,Stolpersteine‘ pflegen. So werden auch die nachfolgenden Generationen aufgefordert, daran zu denken, was einmal passiert ist und können dafür sorgen, dass sich solche unglaublichen Grausamkeiten niemals mehr wiederholen', so Oberbürgermeister Thomas Feser."  
Link zum Artikel  
 
Dezember 2018: Informationen zur jüdischen Geschichte an Kommunalpolitiker 
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung" vom 5. Dezember 2018: "Zu Gast in ehemaliger Synagoge
BINGEN
. Die Geschichte der Juden in Bingen reicht zurück ins 12. Jahrhundert. Mit der Zerstörung der Synagoge in der Pogromnacht vom 10. auf den 11. November 1938 und der Deportation aller in Bingen verbliebenen 152 Juden in den Jahren 1942/43 löschte die nationalsozialistische Schreckensherrschaft die jüdische Gemeinde in Bingen gänzlich aus.
Bereits 115 Stolpersteine in Bingen verlegt. 'Das Erinnern an die grausamen Taten und das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus steht daher im Mittelpunkt unserer Arbeit', erklärt der Vorsitzende des Arbeitskreises Jüdisches Bingen Hermann-Josef Gundlach. Er stellte den Binger Sozialdemokraten in den Räumlichkeiten der ehemaligen Synagoge das Wirken des Arbeitskreises vor. Dazu gehören die Forschung und Dokumentation der Geschichte der Binger Juden sowie die Pflege von Briefkontakten weltweit. 'Die am weitesten entfernt wohnenden Mitglieder leben in Korea und Mexiko', berichtete Gundlach. Ein Schwerpunkt der Arbeit ist die Verlegung von Stolpersteinen. Seit 2006 wurden 115 Stolpersteine zum Gedenken an die Opfer des Holocaust vor ihren ehemaligen Häusern und Wohnungen in Bingen verlegt. Besonders am Herzen liegt Gundlach die Arbeit mit Schülern: Projektwochen in den Schulen, Führungen auf dem Judenfriedhof und ein neues Heft im Comic-Stil für den Unterricht. 'Das hinterlässt tiefe Eindrücke bei den Schülern', so Gundlach. 'Insbesondere die Ansprache von Kindern und Jugendlichen ist absolut zu unterstützen', bedankt sich der SPD-Fraktionsvorsitzende Michael Hüttner für das große Engagement. Den Wunsch nach mehr Ausstellungsfläche und die Unterbringung der Bibliothek, die derzeit in einer Garage gelagert ist, nehmen die Sozialdemokraten mit."
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November 2019: Die ehemalige Synagoge soll wieder erkennbar werden 
Artikel von Ernst Michael Lang in der "Allgemeinen Zeitung" vom 13. November 2019: "Ehemalige Binger Synagoge soll erkennbar werden
Wer es nicht weiß, läuft einfach dran vorbei. Der Gebäudeteil in der Rochusstraße, der einmal zur Synagoge zählte, ist als solcher nicht erkennbar. Das soll sich jetzt ändern.
BINGEN
- Wer es nicht weiß, wird es auch nur schwerlich erkennen. Besucher, die entlang der Rochusstraße flanieren, laufen einfach vorbei; vorbei an der ehemaligen Synagoge, genauer gesagt: an dem verbliebenen rechten Trakt, dem Gemeindeteil, denn die eigentliche Synagoge mit dem imposanten Eingangsportal ist ein- für allemal verschwunden. Das haben übrigens nicht, wie man meinen könnte, die Nazis besorgt. Vielmehr wurden die baulichen Reste der Synagoge, unter anderem auch Teile jenes Portals, 1970 für Wohnbebauung weggeräumt. Diesen ungeheuerlichen und auch heute noch unfassbaren Vorgang hat Kulturamtsleiter Dr. Matthias Schmandt in seiner Vorlage für den jüngsten Kulturausschuss mit Bitterkeit so zusammengefasst: 'Nachdem bis 1945 alle Bemühungen um die Tilgung jüdischer Symbolik aus dem Straßenbild erfolglos geblieben waren, entsprach das damals – 25 Jahre nach der 'Stunde null' und der Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus – erzielte und im Wesentlichen bis heute gültige Ergebnis also 'endlich' den Intentionen der NS-Amtsträger in Stadt und Kreis: Das ehemalige Gotteshaus ist seither nicht ohne Weiteres mehr als Synagoge zu identifizieren.' Ortsunkundige Besucher laufen also vorbei und können gar nicht ahnen, welches imposante Ensemble hier Anfang des 20. Jahrhunderts einmal auch Ausdruck einer bewegenden Aufbruchstimmung und liberalen Stadtkultur war. Der Sakralbau der Synagoge fügte sich stolz und erhaben ein in die Prachtstraße des neuen Bingens, der Rochusstraße und -allee. Das nahe Technikum, das Ämterhaus, aber auch die Hafenanlage am Rhein: alles Ausdruck gründerzeitlicher Aufbruchstimmung und zugleich einer liberalen Stadtgesellschaft, in der buchstäblich und sozusagen auch baulich die jüdischen Mitbürger mitten unter allen waren. Von da aus lässt sich das ganze Ausmaß der nationalsozialistischen Barbarei ermessen, der Bruch mit allem, was einst in der deutschen Wertegemeinschaft Gültigkeit besaß. Die Synagoge ging im Pogrom von 1938 in Flammen auf, die Binger Juden wurden vertrieben und ermordet. Am vergangenen Samstag wurde wieder dieser erschütternden Ereignisse gedacht.
Der verbliebene Teil der Synagoge könnte nun nicht nur ein Ort der Erinnerung und des Gedenkens sein. Indem überhaupt erst wieder kenntlich gemacht wird, dass hier einst eine Synagoge stand und welches Schicksal das Gebäude und die Menschen jüdischen Glaubens erlitten, würde auch dem Vergessen ein Ende gesetzt. Dem Vergessen, auf das es die Nazis abgesehen hatten, die mit aller Gewalt und Brutalität alle Spuren jüdischer Kultur in Deutschland auslöschen wollten.
Kulturamtsleiter Schmandt sagte im Ausschuss, Bingen sei eine Stadt mit einer langen jüdischen Geschichte. Gerade den aktuellen Vorfällen von Antisemitismus in Deutschland müsse entschlossen begegnet werden, indem jüdische Kultur sichtbar gemacht und die Verbrechen der Nationalsozialisten dargestellt werden. 'Noch vor wenigen Jahren haben wir in Bingen eigentlich mehr über das Mittelalter gewusst als über die Zeit des Nationalsozialismus', sagte Schmandt. Dies habe sich inzwischen durch intensive Forschungsarbeit geändert, die im kommenden Jahr auch in einem eigenen Band zur Stadtgeschichte zusammengefasst wird. Auf Grundlage dieser Erkenntnisse sei es beispielsweise auch möglich, die Ereignisse im Zusammenhang mit der Pogromnacht in Bingen nachzuzeichnen.
Beschlossen ist bereits, einen Geschichtsprojektor in der Rochusstraße aufzustellen, durch den die Synagoge in ihrem ursprünglichen Zustand zu sehen ist, ähnlich wie am Naheufer das Kloster Rupertsberg. Informationstafeln sollen Erläuterungen geben. Ein besonderes Denkmal sind drei Steinfragmente aus dem Rundbogen, dem Tympanon der Synagoge, die bislang auf dem jüdischen Friedhof lagen. Sie sind einerseits Zeugen jüdischen Glaubens, anderseits bezeugen sie durch ihre Beschädigungen auch das Wüten der Nazis in der Pogromnacht. Der Ausschuss will in seiner Dezembersitzung erneut beraten, wie die Steine im Bereich der Synagoge aufgestellt und ebenfalls mit Erläuterungen versehen werden können. Ein erster Vorschlag, der ein Aufbringen auf die Nordwand des verbliebenen Gebäudeteils vorsah, fand mehrheitlich keinen Anklang." 
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November 2019: Schüler gedenken an die Pogromnacht 1938 
Artikel (und Fotos) aus der Website der Rochus Realschule plus vom 2. Dezember 2019: "Schüler gedenken der Opfer der Reichspogromnacht im Jahr 1938
Am 10. November 1938 gaben die Nationalsozialisten deutschlandweit und auch im bereits wieder 'angeschlossenen' Österreich den Geheimbefehl zu Ausschreitungen gegenüber jüdischen Mitbürgern. Anlass zu dieser Aktion bot das Attentat des erst 18-jährigen Herschel Grünspan auf den deutschen Legationssekretär Ernst vom Rath in Paris...
Auch in Bingen kamen die Befehle an. Dort wurden Ingelheimer SA-Männer eingesetzt, um die Übergriffe durchzuführen. Man vertraute beim Vorgehen mit Absicht auf örtlich nicht bekannte Personen, um das Bild einer spontanen Volkserhebung zu unterstreichen. Jedoch zeigen Berichte der Geheimpolizei der SS, des SD (Sicherheitsdienst), dass die Mehrheit der Bürger wusste wer für die Ausschreitungen verantwortlich war.
Im Rahmen der Gedenkveranstaltung an der ehemaligen jüdischen Synagoge in der Rochusstraße, nahmen Schüler der Geschichts-AG teil, indem sie folgenden kurzen Text, der die damaligen Geschehnisse nachzeichnete, vorlasen:
Der AKJB (Arbeitskreis jüdisches Bingen) hatte bereits 2010 gefordert, die Binger Nazizeit zu erforschen. Mit dem Buch Bingen im Nationalsozialismus wurde im vorigen Jahr damit begonnen. In diesem Buch untersuchte die Historikerin, Frau Dr. Bernard, auch die Vorgänge um die Zerstörung der Binger Synagoge im Rahmen der sogenannten 'Judenaktion' im November 1938. Danach war der Ablauf wie folgt:
• In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 drangen Unbekannte in die Synagoge ein und steckten Bänke mit einer brennbaren Flüssigkeit in Brand. Die Hausmeisterin Elisabeth Dunér und Karl Koppel löschten den Brand mit einem Schaumlöschgerät.
• Nathan Loeb erstatte deshalb zwischen 5.30 und 6.00 Uhr Anzeige bei der Polizei, worauf die Kripobeamten Rust und Mehren verständigt wurden, die den Tatbestand - Brandspuren an einigen Bänken und in der Sakristei - an Ort und Stelle aufnahmen.
• Um 8.00 Uhr verständigte Herr Loeb wieder die Polizei. Einige Unbekannte drangen erneut in die Synagoge ein.
• 9.00 Uhr erneute Brandstiftung an der Synagoge in der Rochusstraße. Tor und brennende Gegenstände liegen auf der Straße. Beginn der Demolierung der Synagoge in der Rochusstraße.
• Die Zerstörung der Synagoge wird von der Binger SA-Führung im Zusammenwirken mit der Bürgermeisterei der Stadt Bingen sowie mit Unterstützung von Angehörigen des Gaswerks Bingen und der Firma Richtberg durchgeführt. Die Feuerwehr wird verständigt."
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Januar 2020: Gedenkfeier zum Holocaust-Gedenktag    
Artikel von Sören Heim in der "Allgemeinen Zeitung" vom 28. Januar 2020: "Auschwitz-Gedenktag in der Binger Synagoge
Gertrud Kolmar steht im Mittelpunkt der vom 'Förderverein für jüdisches Leben in Bingen heute' initiierten Gedenkfeier für die Opfer des Nationalsozialismus.
BINGEN -
Mit Gedichten von Gertrud Kolmar beging 'Tiftuf', der 'Förderverein für jüdisches Leben in Bingen heute', den Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus in den Räumlichkeiten der ehemaligen Binger Synagoge. Über die Dichterin Kolmar sagte der Vortragende, Volkmar Döring, sie habe ihn schon in der Schule berührt und dann aufs Neue, als er in einem Antiquariat einige ihrer Gedichtbände entdeckt habe. Lange habe er allerdings nicht gewusst, dass Kolmar 1943 in Auschwitz ermordet worden sei. Die Tatsache, dass sie heute zu den bedeutendsten Dichterinnen des 20. Jahrhunderts zählende Kolmar weiter schrieb, während sie bereits von den Nationalsozialisten verfolgt worden sei, verleihe den formal von der deutschen Klassik beeinflussten Werken, die sich einer sehr ausdrucksstarken Bildsprache bedienen, noch einmal zusätzliche Bedeutung. Kolmar stehe an diesem Abend auch für all die anderen Verfolgten und Ermordeten, ergänzte die Vorsitzende von 'Tiftuf', Natalia Piskunova. Das Gedenken wachzuhalten an die Gräueltaten des Nationalsozialismus, so Piskunova weiter, sei derzeit wichtiger denn je. Der Anschlag in Halle habe die kleine Gemeinde in Bingen sehr erschüttert, und mit der Erinnerung an den Tag, als die Rote Armee das Konzentrationslager Auschwitz befreite, verbinde sich auch die Forderung, dass sich die Verbrechen der Nationalsozialisten niemals wiederholen dürfen. Zum Erinnern allerdings gehöre es auch, nach vorne zu schauen, weshalb der Verein 'Tiftuf' explizit das jüdische Leben in Bingen heute in den Mittelpunkt stelle, wobei man aus einer mehr als 3000-jährigen Geschichte und Tradition schöpfe. Dass in Bingen wieder regelmäßig jüdisch geprägte kulturelle Veranstaltungen stattfinden und jüdische Feste gefeiert werden und noch dazu in den Räumlichkeiten der während der Reichspogromnacht ausgebrannten, dann jahrzehntelang kaum beachteten und in den 70ern teils abgerissenen ehemaligen Synagoge, das sei ein besonderes Zeichen. Veranstaltungen, wie eben nun auch die Lesung Dörings mit Gedichten von Gertrud Kolmar: Ergreifende Texte, die von Hoffnung und Liebe sprechen, aber auch von Sorgen und einem Gefühl der Unbehaustheit. Auf besonderen Zuspruch beim Publikum stoßen drei Vertonungen Dörings, die in ruhigem, manchmal fast plauderndem Gesang zur Gitarre zeigen, wie gut sich diese Gedichte mit ihrer regulären Rhythmik auch als Lieder eignen. So etwa 'Die Fahrende', deren Visionen von Reise und Heimkehr dem traurigen Thema des Gedenktags eine hoffnungsvolle Bilderwelt entgegenstellt: 'Nackte, kämpfende Arme pflüg ich durch tiefe Seen, In mein leuchtendes Auge zieh ich den Himmel ein. Irgendwann wird es Zeit, still am Weiser zu stehen, Schmalen Vorrat zu sichten, zögernd heimzugehen, Nichts als Sand in den Schuhen, Kommender zu sein.' Er fühle sich sehr wohl bei 'Tiftuf', erzählt Döring später. Der Kontakt sei entstanden, als Döring sich angeboten hatte, ein Gemälde der Synagoge zu erstellen, wie es vor einiger Zeit für die Außenwand des heutigen Feuerwehrgebäudes diskutiert wurde. Dann sei aber vor allem seine Musik im Verein mit offenen Armen empfangen worden. Mittlerweile ist Döring selbst Mitglied.
Die Synagoge, wie sie aussah, bevor Binger Nationalsozialisten das Gebäude 1938 in Brand steckten, konnten die Gedenkenden an diesem Abend einmal mehr als Projektion an der Außenwand des noch bestehenden Gebäudes bewundern."
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Januar 2020: Die Stolpersteine werden von Schülern gereinigt 
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung" vom 31. Januar 2020: "Binger Schüler reinigen Stolpersteine. Geschichts-AG der Rochus Realschule plus setzt sich mit den Schicksalen deportierter Binger Juden auseinander.
BINGEN. Am 27. Januar 1945 wurde das Lager Auschwitz-Birkenau, dessen Name wohl mehr als alles andere für die Grauen und Verbrechen der Nationalsozialisten steht, von der Roten Armee befreit. Um die Geschehnisse von damals nicht in Vergessenheit geraten zu lassen und ein aktives Zeichen gegen neuerlichen Rassismus und Antisemitismus zu setzen, begaben sich einige Schüler der Geschichts-AG an der Rochus Realschule plus an die ehemaligen Wohnhäuser jüdischer Binger Bürger, um die dort zu deren Gedenken verlegten Stolpersteine zu reinigen. Die Stolpersteine wurden dabei bewusst gewählt, da sich die Schüler in den vergangenen Monaten mit einigen Schicksalen ehemaliger jüdischer Bürger Bingens auseinandergesetzt hatten, um ihnen im Rahmen einer schuleigenen Ausstellung ein Gedenken zu setzen. Dabei wurde für 15 Personen ein 'Erinnerungskasten' gestaltet, wobei für jedes Lebensjahr ein farbiger Holzwürfel gestaltet wurde. Die Farben sind den jeweiligen Lebensphasen der Person zugeordnet. So steht die Farbe weiß für die ersten sieben Lebensjahre, in denen man noch ein 'unbeschriebenes Blatt' ist und sich vollkommen frei entwickelt. Daran schließt sich die Farbe rosa an, die für die Pubertät und stärkere Entwicklungen steht. Weitere Farben sind dann rot, blau, grau und schwarz. Die Ausstellung, die unter dem Namen 'Gelebtes Leben – geraubtes Leben' läuft, wird im Rahmen der Feierlichkeiten zur Ernennung zur 'Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage' eröffnet. Bei den Ideen für die Ausstellung hatten sich die Schüler gemeinsam mit ihrem begleitenden Lehrer Marcel Griesang von der Hunsrücker Künstlerin Jutta Christ inspirieren lassen. Einer der gereinigten Steine erinnert an Ida Dehmel, die am 14. Januar 1870 geboren wurde. Sie stammte aus einer alteingesessenen Binger Winzerfamilie. Sie setzte sich aktiv für Frauenrechte ein. Nachdem ihr Sohn 1917 im Ersten Weltkrieg gefallen war und sie der nächste Schicksalsschlag mit dem frühen Tod ihres Mannes im Jahr 1920 ereilt hatte, intensivierte sie ihren Kampf für Frauenrechte noch. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten sah sie sich dann auch massiven Einschränkungen ausgesetzt. Dies führte dazu, dass sie im Jahr 1942, als die Deportationen in den Osten einsetzten, keinen anderen Ausweg mehr für sich sah als den Freitod.
Nachdem die Schüler auch die Stolpersteine des Ehepaares Paul und Paula Steinberg gereinigt hatten, begaben sie sich zum letzten an diesem Tag zu reinigenden Erinnerungsstein. Simon Berg wurde im Jahr 1869 in Weiler geboren und hatte vier Kinder. Während sein Sohn Walter es schaffte, nach Amerika zu emigrieren, kamen zwei seiner drei Töchter in den Todeslagern im Osten ums Leben. Er selbst wurde 1942 in einem der sogenannten Judenhäuser in Bingen untergebracht. Dort pferchten die Nationalsozialisten die noch verbliebenen jüdischen Bürger ein, um dann ihre ursprünglichen Wohnungen und Habseligkeiten zu plündern und weiterzuverkaufen. Außerdem konnten sie sie so besser für die bald anstehenden Deportationen überwachen. Simon Berg wurde schließlich am 27. September 1942 nach Theresienstadt deportiert. Dieses Lager versuchten die Nationalsozialisten der Welt als jüdische Mustersiedlung zu verkaufen. Heinrich Himmler, der Chef der SS, hatte hier sogar das internationale Rote Kreuz einbestellt, um ihnen dieses 'vorbildlich' geführte Lager zu präsentieren. Natürlich hatte man für diesen Tag das Lager herausgeputzt und den 'Besuchern' nur wohl genährte Menschen und sogar einen Kinderspielplatz gezeigt. Wie schlimm die Umstände im Lager jedoch in Wirklichkeit waren, zeigt der Umstand, dass Simon Berg am 27. April 1944 dort als verstorben gemeldet wurde. Die Schüler übernahmen die Reinigungsarbeiten voller Elan und befanden im Anschluss einstimmig, dass die Pflege der in Bingen verlegten Stolpersteine regelmäßig stattfinden sollen. Ihrer Meinung nach ist die Erinnerung an die damaligen Geschehnisse nicht mit der Verlegung der Stolpersteine getan, sondern muss, zum Beispiel durch die Reinigung der Steine und die Thematisierung der Schicksale, aktiv gelebt werden, um wirklichen Nutzen zu haben." 
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Links und Literatur   

bullet Website der Stadt Bingen am Rhein    
bullet Zur jüdischen Geschichte in Bingen siehe auch die Seiten des Arbeitskreises "Jüdisches Bingen" 
bulletAktuelles jüdisches Leben in Bingen siehe die Website von "TIFTUF", "Förderverein für jüdisches Leben in Bingen heute"  
bulletZur Seite über den jüdischen Friedhof in Bingen (interner Link)      
bulletSeiten zur Familiengeschichte von Julius Lachmann (1897 - 1941 deportiert), langjähriger Kantor der Israelitischen Gemeinde.
bulletSeiten über das Lebenswerk und den Nachlass des in Bingen geborenen Architekten Fritz Nathan (1891 - 1960) 
bulletListe der in den Central Archives in Jerusalem aufbewahrten Dokumente der jüdischen Gemeinde Bingen (pdf-Datei) 
bullet"Hörstolpersteine" zu Bingen in der Website von SWR 2    

Literatur:  

bulletGermania Judaica I S. 26-27; II,1 S. 82-85; III,1 S. 116-128. 
bulletPinkas Hakehillot: Encyclopedia of Jewish Communities from their foundation till after the Holocaust. Germany Volume III: Hesse -  Hesse-Nassau - Frankfurt. Hg. von Yad Vashem 1992 (hebräisch) S. 101-106. 
bulletBeate Goetz: Jüdisches Bingen. Von der Einweihung der Synagoge in der Rochusstraße bis zur brutalen Zerstörung. In: SACHOR. Beiträge zur Jüdischen Geschichte und zur Gedenkstättenarbeit in Rheinland-Pfalz. Hrsg. von Matthias Molitor und Hans-Eberhard Berkemann in Zusammenarbeit mit der Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz. Erschienen im Verlag Matthias Ess in Bad Kreuznach. 8. Jahrgang Ausgabe 2-1998 Heft Nr. 16. S. 15-22.  Online zugänglich (als pdf-Datei eingestellt).   
bulletHans-Peter Schwarz (Hg.): Die Architektur der Synagoge. Frankfurt a.M./Stuttgart 1988 S. 149 (Aufnahme Eingangstür von 1789). 
bulletArt. "Bingen" in:  "und dies ist die Pforte des Himmel". Synagogen Rheinland-Pfalz - Saarland. Reihe: Gedenkbuch der Synagogen in Deutschland Bd. 2. 2005 S. 108-115 (mit weiteren Literaturangaben bis 2005)
bulletOfer Ashkenazi: Exile at Home: Jewish Amateur Photography under National Socialism, 1933-1939. In: Leo Baeck Institute Year Book 2019. Oxford University Press. S. 115-140.   
Anmerkung: betr. Ludwig Simon und seine Familie in Bingen (1880-1938 Gaustraße 6). Ausgewertet werden die im Jüdischen Museum Berlin vorhandenen Fotografien. 

   
    


 

Article from "The Encyclopedia of Jewish life Before and During the Holocaust". 
First published in 2001 by NEW YORK UNIVERSITY PRESS; Copyright © 2001 by Yad Vashem Jerusalem, Israel.

Bingen. From the 11th century, Jewish moneylenders were permitted to settle there as protected Jews (Schutzjuden), the archbishops levying taxes on their wealth. The community later suffered expulsion (1198) and the Black Death persecutions of 1348-49. R. Seligmann Bing convened an assembly there in 1456, hoping the bring all the Rhinleland communities under his jurisdiction, but the attempt failed. In 1490 a fire destroyed the Jewish quarter (Judengasse) and in 1507 Jews were banished from the city. Following its reestablishment, the community made slow progress until the French occupation (1793-1813), when it numbered 297 and a delegate from Bingen attended the Paris Sanhedrin (1807). Many Jews welcomed the 1848 revolution and enlisted in the National Guard. When an organ and other reforms were introduced in 1871, Orthodox members left the community and established a separate Jewish community (Austrittsgemeinde). At a meeting held in Bingen (prior the the First Zionist Congress) on 11 July 1897, the establishment of a German Zionist Organization was approved. By 1900, the community had grown to 713 (7,4 % of the total). Jews played a major role in civic affairs and commerce, wine production being one of their specialties. Under the Weimar Republic, branches of the Central Union (C.V.), Jewish War Veterans Association, Zionist Organization, and other national bodies were active. On 1 April 1933, stormtroopers inaugurated the boycott of Jews and Jewish-owned stores. Nazi legislation (1933-38) resulted in the dismissal of Jewish professionals and the "Arynization" of Jewish businesses enterprises. On Kristallnacht (9-10 November 1938), Jewish department stores on the city were vandalized, the imposing Liberal synagogue was ransacked and the burned to the ground, and the Orthodox's synagogue's interior was destroyed. Of the 465 Jews (3,3 %) living there in 1933, 243 had left or emigrated by 1939; the 169 who still remained were deported in 1942. 
   
    

                   
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Stand: 30. Juni 2020