Baisingen Friedhof 154.jpg (62551 Byte)  Segnende Hände der Kohanim auf einem Grabstein in Baisingen


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Mainz (Landeshauptstadt von Rheinland-Pfalz )
Texte/Berichte zur jüdischen Geschichte der Stadt im 19./20. Jahrhundert
 
Hier: Berichte aus dem jüdischen Gemeinde- und Vereinsleben des 19./20. Jahrhunderts (bis zur NS-Zeit) 
    

Die nachstehend wiedergegebenen Texte mit Beiträgen zur jüdischen Geschichte in Mainz wurden in jüdischen Periodika gefunden. 
Bei Gelegenheit werden weitere Texte eingestellt.           
    

Die Texte wurde dankenswerterweise von Susanne Reber, Mannheim abgeschrieben.

   
 
Übersicht:   

bulletAllgemeine Berichte aus dem jüdischen Gemeindeleben 
Artikel über die Emanzipation der Juden in Mainz im Jahre 1798 (Artikel von 1920)   
-  Reformen im gottesdienstlichen Leben der Gemeinde (1841)   
-  Die Gemeinde Mainz "hält noch sehr an den alten Missbräuchen" fest (1841)  
-  Ein Verein zu Reformen in der Gemeinde wurde gebildet (1846)   
-  Über die Situation der jüdischen Gemeinde (1848)  
-  Freisinnige, pro-demokratische Versammlung in der Gemeinde (1849)  
-  Doppelter Fastentag in Mainz (1855) 
Spannungen in der Gemeinde mit der konservativ-orthodoxen Gruppierung (1859)    
-  Rituelle Verköstigung der Soldaten am Pessachfest (1862)  
-  Rituelle Verköstigung der Soldaten am Pessachfest (1864)  
-  Fast- und Bettag zugunsten der leidenden Glaubensgenossen in Jerusalem (1865)   
-  Bericht aus Mainz während den kriegerischen Auseinandersetzungen im Juli 1866 (1866)  
-  Sammlung in der Gemeinde für die notleidenden Juden in Westrussland (1869)   
-  Situation zu Kriegsbeginn in Mainz (1870)  
-  Spenden aus der Gemeinde für Notleidende in Palästina (1871)  
-  Trauergottesdienst für verstorbene Rabbiner und andere hervorragende Männer (1872)   
-  Sammlung für die Armen des Heiligen Landes (1872)  
-  Sammlung für die Armen des Heiligen Landes (1879)  
-  Patriotische Feier zu Ehren von Graf Moltke und weitere Mitteilungen (1890)  
-  Protestversammlung gegen die Vorgänge im russischen Zarenreich (1905)  
-  Ergebnisse der Vorstandswahlen der Israelitischen Religionsgemeinde (1906)  
-  Ergebnisse der Vorstandswahlen der Israelitischen Religionsgemeinde (1908)  
-  Spenden für die Arbeit des Roten Kreuzes (1914) 
-  Anordnung eines Fastentages durch Rabbiner Dr. Bondi (1915)   
-  Die jüdischen Soldaten und ortsfremde Arbeiter in der Stadt erhalten rituelle Kost (1917) 
-  "Befreiungsfeier" auch in der jüdischen Gemeinde (1930)  
-  Vortrag von Rabbiner Dr. Carlebach aus Köln über Erez Jisrael (1934)  
bulletAus dem jüdischen Vereinsleben   
-  50-jähriges Bestehen des dritten israelitischen Krankenpflege-Vereins (1860)  
-  Über den neu gegründeten "Israelitischen Hilfs-Verein" (1891)  
-  Über die Arbeit des "Israelitischen Hilfs-Vereins" (1892)  
-  50-jähriges Bestehen des "Israelitischen Vereins zur Unterstützung und Erziehung mittelloser Waisen" (1903)  
-  Bericht über den "Israelitischen Hilfsverein" (1904) 
-  51. Jahresbericht des "Israelitischen Vereins zur Unterstützung und Erziehung mittelloser Waisen" (1904)  
9. Jahresbericht über den "Verein zur Beschränkung des Wanderbettels in Mainz" (1904)   
-  Chanukkafest der Rhenus-Loge (1908)   
-  Gründung eines jüdischen Jugendvereins (1909)  
-  100 Jahre Israelitischer Krankenverein (1911)  
-  Gründung einer Ortsgruppe des "Centralvereins" (1911) 
-  Chanukkafest der zionistischen Ortsgruppe (1911)  
-  Veranstaltung der Agudas Jisroel und Gründung einer Mainzer Ortsgruppe (1912)  
-  Vermächtnis für den Israelitischen Hospitalverein (1913)  
-  Versammlung des "Israelitischen Humanitätsvereins Mainz" (1915) 
-  Aus der Arbeit der "Leopold Goldschmidt'schen Stiftung zu Mainz" (1915)  
-  Aus der Arbeit der Agudoh-Mädchengruppe (1928)   
-  Über die Ortsgruppe des Agudas Jisroel in Mainz (1937)  
bulletSonstiges 
-  Aufhebung der "Judenwache" (1863)  
-  Das antisemitische Blatt "Wucherpille" ist eingegangen (1886)  
Gründung des Vereins der israelitischen Lehrer des Großherzogtums Hessen in Mainz (1890)  
-  Die "Judengasse" wurde vom alten Pflaster befreit und erhielt einen Asphaltbelag (1897)   
-  Neuregelungen der Sonntagsruhe unter jüdischer Beteiligung (1917)  
-  Über die "Judengassen" in Mainz (Artikel von 1927)  
-  Umtriebe von Nationalsozialisten (1931) 
 Ein jüdisch-nichtjüdisches Paar wird anlässlich der standesamtlichen Trauung in "Schutzhaft" genommen (1934) 

   
   
Allgemeine Berichte aus dem jüdischen Gemeindeleben  
Artikel über die Emanzipation der Juden in Mainz im Jahre 1798 (Artikel von 1920)
       

Mainz FrfIsrFambl 06021920z.jpg (319495 Byte)Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 6. Februar 1920: "Die Emanzipation der Juden in Mainz im Jahre 1798
Von Paul Curt Loewenberg, Wiesbaden. Die Geschichte der Mainzer Juden im Mittelalter ist ein buntes Kapitel, reich an Morden und öfter wurde die dortige jüdische Gemeinde durch Brand und Verfolgungen gänzlich aufgerieben bis im Jahre 1583 die Gemeinde durch die Wiederaufnahme neu erstand. Zuerst besaß sie reichliche Freiheiten, gegen Ende des 17. Jahrhunderts jedoch pferchte man auch im 'goldenen Mainz' die Juden in ein Ghetto ein und brandmarkte sei damit in der schimpflichsten und rohen Form, die auch heute leider noch nicht ausgestorben ist, wenngleich die Methoden andere sind. Man schikanierte sie, wo man konnte, wenn man auch gern in der Not, ihre Dienste in Anspruch nahm und beschränkte sie in der Ausübung der Gewerbe und des Handels aus Furcht vor der Konkurrenz ihres Geschäftsgeistes. Einen radikalen Wandel und die endliche Befreiung von all diesen Demütigungen brachte erst die französische Revolution, die auch vor den finsteren, freudlosen Judengassen nicht Halt machte. Gerade uns, die wir in der neuen großen Revolution ein Aufleben des Judenhasses erleben müssen, der am liebsten neue Ghettos oder gar völlige Austilgung anstrebt, interessiert das Befreiungsdekret, das Stadtrat Bamberger von den Franzosen erwirkte:
Haupt-Register Bureau von
Nr. 2149 Französische Republik Nr.
Freiheit Gleichheit
Département Donnersberg Kanton Mainz
Die Beratung der Munizipalverwaltung der Gemeinde Mainz. Sitzung vom 26. Fructidor im 6. Jahre der einen und unteilbaren französischen Republik. 12. September 1798. Laut Bericht des Bürgers Dittmeyer, Polizei-Kommissär, beabsichtigen die Einwohner dieser Stadt, die der mosaischen Religion angehören, die Tore, die sich am Eingang der von ihnen bewohnten Straße befinden, auf feierliche Weise niederreißen zu lassen. Wir beschließen in Anbetracht dessen, dass es gerecht ist, dass diese Tore vernichtet werden, durch welche diese Bürger während der früheren Herrschaft von der Gesellschaft ihrer anderen Mitbürger getrennt und in einer despotischen und empörenden Art von jeder Verbindung mit denselben ausgeschlossen waren, also deren Fortbestehen ein schmerzliches Andenken an ihre frühere Sklaverei sein müsste, und sie nur all zu lange die Opfer der Tyrannei und des Fanatismus gewesen sind. Nachdem der Kommissär des Exekutiv-Direktoriums seine Meinung abgegeben hat, verordnet die Munizipalverwaltung: Es ist den Vorstehern der Einwohner, die der mosaischen Religion angehören, gestattet, die Tore, die am Eingang der Straße, genannt Judengasse, sich befinden, niederzureißen und damit diejenigen Feierlichkeiten zu verbinden, die ihnen hierzu am geeignetsten erscheinen, unter Aufsicht des Bürgers Dittmeyer, Polizei-Kommissär. Die Munizipalverwaltung von Mainz, gez. Umpfenbach, Präsident;  Zentner, Cronauer, Zümdt, Räte;  Retzer, Kommissär des Exekutiv-Direktoriums;  Müller, Sekretär.

Bevor aber das bedeutsame Dekret noch an die Öffentlichkeit gekommen war, war die Tat bereits geschehen. Der jungverheiratete Moise Cahn wollte vom Ghetto in die benachbarte Klarastraße ziehen. Der Wächter am Judentor suchte das befehlsmäßig zu verhindern. Daraus entwickelte sich ein Streit, bei dem ein zufällig vorbeikommender französischer Hauptmann Cahn mit den Worten zu Hilfe kam: 'Vous avez parfaitement raison, je vais vous envoyer du secours, dèinolliser douc cette vieille baraque'. (Sie haben vollkommen recht. Ich werde ihnen Hilfe schicken. Reißen sie vorsichtig diese alte Baracke nieder). Mit Hilfe eines französischen Sappeurs riß Cahn zum Jubel der Glaubensgenossen das Tor ein. Damit begann eine neue, freie Zeit.'"
Anmerkung: Sappeur: https://de.wikipedia.org/wiki/Sappeur        
    

  
Reformen im gottesdienstlichen Leben der Gemeinde (1841)     

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 4. September 1841: "Mainz, 12. August. Die L.A.Z. enthält folgenden Artikel von hier aus: 'In dem Kulturleben der hiesigen israelitischen Gemeinde, bekanntlich eine der stärksten in Deutschland, ist eine bedeutende bedeutsame Epoche eingetreten, über die sich alle Freunde des Fortschrittes freuen müssten. Bisher nämlich sah es mit dem Gottesdienst und mit den Formen des Ritus noch ganz altertümlich aus, mit eiserner Strenge hielt der Vorstand, der zur alten Schule gehört, jede, auch die unbedeutendste Neuerung ab, und während die kleinste Gemeinde um uns her bereits die deutsche Predigt, andere sogar Choralgesänge einführen, musste sich die hiesige, zum großen Teil sehr gebildete Gemeinde, mit dem unerbaulichen Gottesdienste begnügen. Unter diesen Verhältnissen riss hier nachgerade ein religiöser Indifferentismus ein, der traurig war, und sogar gefährlich zu werden drohte. Nun kam erst der Vorstand zur Einsicht, dass es doch besser sei, etwas nachzugeben, um das Gebäude zu retten, als durch starre Konsequenz dasselbe zu ruinieren. Mit wahrem Vergnügen vernehme ich, dass soeben ein gebildeter jüdischer Geistlicher als Prediger für die hiesige Gemeinde angestellt worden und bereits von der Staatsregierung genehmigt sei. Der Gewählte soll aus Norddeutschland hierher berufen sein, sich durch großes Wissen im Gebiete der Theologie und Philosophie, sowie durch ein ungemeines Predigertalent auszeichnen und, eine Hauptsache, er soll ein Mann sein, der das positive Element der jüdischen Religion zu retten und mit den Fortschritten des Zeitgeistes zu versöhnen weiß. Sein Name ist Dr. Frenzdorf. Ein solcher Mann hat hier Not, sehr Not, und glücklich die Gemeinde, wenn der neue Seelenhirt dieser Schilderung entspricht. Nun wird auch der intelligente Teil der Gemeinde endlich einmal eine Nahrung für das Herz in seinem Gotteshause finden, die jüdische Jugend wird nicht mehr durch die alten Formen erschreckt und abgestoßen werden, sie wird endlich die humanen Grundsätze ihres Glaubens, dessen göttliche Kraft schon in dem vieltausendjährigen Alter zu erkennen ist, in den wohltuenden Lauten der Muttersprache verkünden hören. Dank dem Vorstande, dass er dieser gebieterischen Forderung der Zeit endlich ein Ohr geliehen, Dank der Regierung, die so bereitwillig diesem Bedürfnisse abzuhelfen, die Hand bot. Wie jedoch alles Gute in der Welt seinen Widerspruch findet, so hat sich auch gegen diese wohltätige Maßregel des Vorstandes in der Mitte der Gemeinde eine Oppositionspartei erhoben, nicht gegen die Sache, sondern gegen die Person des neuen Seelenhirten; man nimmt nämlich an, dass ein Prediger, von diesem Vorstande berufen unmöglich den Grundsätzen des Fortschrittes huldigen könne; man fürchtet, Dr. Frenzdorf werde die alte Orthodoxie in einem neuen Gewande bringen. Diese Ansicht ist aber unhaltbar, denn einmal ist von einem Manne mit dieser ausgezeichneten Bildung so etwas nicht zu erwarten, und dann würde der neue Prediger selbst seine Stellung untergraben, wenn er nicht zu gemäßigten Reformen die Hand böte. Also keine Parteiungen, nie und nimmer! Wenn nur alle das Gute ernstlich wollen, ich bin überzeugt, der neue Prediger wird der Letzte sein, der sich dem Guten entgegenstellt.'"  
Anmerkung: Dr. Frenzdorf: gemeint Prof. Dr. Salman Frensdorff (1803 Hamburg - 1880 Hannover) - http://www.steinheim-institut.de:50580/cgi-bin/bhr?id=0483

   
Die Gemeinde Mainz "hält noch sehr an den alten Missbräuchen" fest (1841) 
Anmerkung: der Artikel ist von einem reformfreudigen Menschen geschrieben; aus seiner Sicht war die damalige Gemeinde Mainz sehr konservativ.     

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 6. November 1841: "Während die ziemlich große Gemeinde unseres benachbarten Mainz noch sehr an den alten Missbräuchen festhält, und erst jetzt durch Anstellung des Herrn Dr. Frensheimer die Bahn zu brechen beginnt, erfreuen wir uns schon seit mehreren Jahren eines schönen Gottesdienstes mit deutschen Vorträgen und Chorälen. Seit einem Jahre werden an Sabbaten des Nachmittags abwechselnd von unserem kenntnisreichen Rabbinen Herrn Dr. Sobernheim und Herrn Lehrer Lebrecht Andachtsstunden in deutscher Sprache abgehalten, die sich stets eines sehr zahlreichen Auditoriums erfreuen. Durch den Abbruch einiger der Synagoge zunächst gelegener alter Häuser wurde an Raum gewonnen und das etwas zu kleine Gotteshaus wird nun vergrößert. In wenigen Wochen wird der bereits begonnene Bau vollendet da stehen. Nach dem Muster einiger anderer Gemeinden wird nun für Anschaffung einer Orgel gesorgt werden, wozu die erforderliche Summe durch freiwillige Beträge zusammengebracht werden soll. Wir sind von der Freigebigkeit unserer Gemeindemitglieder, die uns im verflossenen harten Winter bewiesen, wie gerne sie ihre Hand öffnen, wenn es nützlichen und wohltätigen Zwecken gilt, überzeugt, dass sie recht gerne zur Anschaffung dieses Gemüt erhebenden Instrumentes beisteuern werden, so wie wir auch von unserm gebildeten Rabbinen mit Zuverlässigkeit darauf rechnen können, dass er, der zeitgemäße Verbesserungen gerne fördert, bereitwilligst dem allgemeinen Wunsche beistimmen werde."    
Anmerkung: Dr. Frensheimer: gemeint Prof. Dr. Salman Frensdorff (1803 Hamburg - 1880 Hannover) - http://www.steinheim-institut.de:50580/cgi-bin/bhr?id=0483
t    

  
Ein Verein zu Reformen in der Gemeinde wurde gebildet (1846)   

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 5. Januar 1846: "Mainz, 20. Dezember (Privatmitteilung). Es ist unverkennbar, dass die letzte Rabbinerversammlung in Frankfurt am Main mächtig auf die Israeliten in Süddeutschland einwirkt und eine große Anzahl von Indifferentisten zu ihrem Glauben zurückgeführt hat. Auch in Mainz hat sich, dadurch veranlasst, ein Verein aus der gebildeten Klasse, dem auch der Gemeindevorstand angehört, gebildet, um auf die Fortschritte ihrer Glaubensgenossen einwirken. Am 7. Dezember vereinigten sich die Mitglieder zu einem Festessen, wobei einige sehr schön gesprochene Toaste ausgebracht wurden. Ein Mitglied machte aufmerksam, wie nützlich es Mainz sein würde, wenn bei der nächsten Stadtgemeinderatswahl Juden und Christen sich über einen jüdischen Kandidaten vereinen würden, da Mainz bis 1820 im Stadtrat einige Israeliten zählte, seitdem aber hinter Bingen, Alzey, Guntersblum und anderen Orten des Großherzogtums in dieser Hinsicht zurückstand. Eine gute Aufnahme fand besonders ein Toast auf die Mitglieder der zwei Rabbinerversammlungen."     

  
Über die Situation der jüdischen Gemeinde (1848)    

Mainz Israelit19Jh 02011848.jpg (116397 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit des 19. Jahrhunderts" vom 2. Januar 1848: "In Mainz, dieser zahlreichen jüdischen Gemeinde, haben die Reformen noch wenig Platz gegriffen und mag teils der Grund darin liegen, dass bisher ein alter und gegenwärtig gar kein Rabbiner da ist, dass ferner der Vorstand bisher dem Fortschritte gram war und das Ministerium, besonders der Kanzler Linde lieber den status quo wünschte. Da jedoch Letzterer abgetreten ist, Mainz sich einen neuen, die Neologen begünstigenden Vorstand gewählt hat, so erwartet man eine baldige Änderung der Synagogenverhältnisse. Wie ich allenthalben höre, sollen nach Vollendung der nach einem großartigen Stile im Bau begriffenen Synagoge die Rabbinerverhältnisse reguliert werden. Ob dann die Gemeinde ihren gegenwärtigen, dem Fortschritt zugetanen, aus Mainz gebürtigen Rabbinatsverweser Kohn erwählen, oder ob die alte Partei den Sieg davontragen wird, steht dahin. Mehrere hiesige Privatlehranstalten stehen in guter Blüte. Auch ist die Stiftung für eine Art jüdischer Kleinkinderschule hier. Dass Mainz auch mehrere jüdische Kapazitäten besitzt, lässt sich erwarten, nur ist zu bedauern, dass der größte Teil in dem breiten Schoß der christlichen Kirche seine Ruhe suchte, so Derenburg, gegenwärtig Professor an der Universität zu Gießen, Levita, Richter in Mainz usw."  
Anmerkungen: - Neologen: https://de.wikipedia.org/wiki/Neologie
- Derenburg: https://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_Derenbourg.     
    

    
Freisinnige, pro-demokratische Versammlung in der Gemeinde (1849)      

Artikel in der Zeitschrift "Der treue Zionswächter" vom 23. März 1849: "Mainz, 18. Febr. Endlich wird es Licht in unserer jüdischen Gemeinde! Auf Einladung des immer noch alten Neuerling klebenden Vorstandes fand gestern Abend eine Versammlung einer großen Anzahl von Gemeindemitgliedern statt. Der Vorsitzende, Herr Leopold Goldschmidt, hielt eine längere Rede, wenn er mit Hinblick auf das hochwichtige Jahr 1848, durch die Anstrengungen des gesamten Volkes errungenen Freiheiten hervorhob, Freiheiten, die nun endlich nach langem Drucke auch den Juden zuteil geworden, der Redner wies dann darauf hin, wie mit dem Sturze des Polizeistaates auch die heillose Bevormundung der Gemeinde aufgehört, und wie derselbe jetzt berechtigt sei, sich eine selbständige, dem Geiste der Zeit entsprechende Verfassung zu geben. Nach dieser Rede erwartete man allgemein die freisinnigsten Vorschläge, und war nicht wenig erstaunt, als der Vorsitzende, im Namen des Vorstandes, einen Antrag stellte, der einen so entschieden polizeistaatlichen Charakter an sich trug, als ob das gestützte System noch in schönster Blüte stünde. Er beantragte nämlich: Es sollte die Gemeinde im Wege der Petition sich von der Regierung die Erlaubnis erbitten, aus ihrer Mitte eine Kommission von 25 Mitgliedern wählen zu dürfen, welche eine neue Gemeindeverfassung zu entwerfen, und diesen Entwurf der Regierung zur Bestätigung vorzulegen habe. Man traute seinen Ohren kaum, und es erhob sich sogleich ein heftiger Widerspruch gegen diesen Vorschlag. Mehrere Redner traten auf, unter denen sich besonders Herr Rudolf Bamberger auszeichnete. Dieser modifizierte den Antrag des Vorsitzenden, respektive des Vorstandes dahin, dass die Gemeinde, ohne vorherige Erlaubniseinholung der Regierung eine Kommission zu diesem Zwecke ernennen solle, und begründete seinen Antrag einfach dadurch, dass die errungene selbstständige Bewegung der Gemeinde jenen vorgeschlagenen Schritt an die Regierung ganz unnötig mache. Man schritt zur Abstimmung, bei welcher der Vorsitzende gegen allen parlamentarischen Takt seinen Vorschlag zuerst abgestimmt haben wollte, welches Ansinnen aber mit überwiegender Majorität abgewiesen und der Antrag des Herrn R. Bamberger angenommen ward. Es wurde dann ferner beschlossen: Dass die zu wählende Kommission der Gemeindeverfassung zwar selbständig zu entwerfen, aber jedem Mitgliede der Gemeinde diesen Entwurf zur Begutachtung mitzuteilen nach den gemachten Bemerkungen den Entwurf zu revidieren und die Verfassung damit endgültig festzustellen habe. Schließlich wurde die Wahl der Kommission der Leitung des Vorstandes überlassen. Wir freuen uns aufrichtig, dass unsere jüdische Gemeinde endlich aus ihrer Lethargie sich aufrüttelt und hoffen, sie werde alles aufbieten, damit das demokratische Element in der zu wählenden Kommission vorherrsche und nicht der Geist des Vorstandes, der sich mit großer Vorliebe zum Polizeistaat sowie zu den Ansichten des hiesigen Bürger-Piusvereins hinneigt, und in derselben Wurzel fasse. (Didaskalia)."       
 
Mainz AZJ 12031849.jpg (116829 Byte)Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 12. März 1849:   "Mainz, 18. Febr. Endlich wird es Licht in unserer jüdischen Gemeinde! Auf Einladung des immer noch alten Sauerteig klebenden Vorstandes fand gestern Abend eine Versammlung einer großen Anzahl von Gemeindemitgliedern statt. Der Vorsitzende, Herr Leopold Goldschmidt, hielte eine längere Rede, wenn er mit Hinblick auf das hochwichtige Jahr 1848, durch die Anstrengungen des gesamten Volkes errungene Freiheiten hervorhob, Freiheiten, die nun endlich nach langem Drucke auch den Juden zuteil geworden, der Redner wies dann darauf hin, wie mit dem Sturze des verhassten Polizeistaates auch die heillose Bevormundung der Gemeinden, also auch der hiesigen jüdischen Gemeinde aufgehört und wie derselbe jetzt berechtigt sei, sich eine selbständige, dem Geiste der Zeit entsprechende Verfassung zu geben. Nach dieser Rede erwartete man allgemein die freisinnigsten Vorschläge, und war nicht wenig erstaunt als der Vorsitzende, im Namen des Vorstandes, einen Antrag stellt, der einen so entschieden polizeistaatlichen Charakter an sich trug als ob das gestützte System noch in schönster Blüte stünde. Er beantragte nämlich: Es sollte die Gemeinde im Wege der Petition sich von der Regierung die Erlaubnis erbitten, aus ihrer Mitte eine Kommission von 25 Mitgliedern wählen zu dürfen, welche eine neue Gemeindeverfassung zu entwerfen, und diesen Entwurf der Regierung zur Bestätigung vorzulegen habe.- Man traute seinen Ohren kaum, und es erhob sich    
Mainz AZJ 12031849a.jpg (133835 Byte)sogleich ein heftiger Widerspruch gegen diesen servilen Vorschlag. Mehrere Redner traten auf, unter denen sich besonders Herr Rudolf Bamberger auszeichnete. Dieser modifizierte den Antrag des Vorsitzenden, respektive des Vorstandes dahin, dass die Gemeinde, ohne vorherige Erlaubniseinholung der Regierung eine eine Kommission zu diesem Zwecke ernennen solle, und begründete seinen Antrag einfach dadurch, dass die errungene selbstständige Bewegung der Gemeinde jenen vorgeschlagenen Schritt an die Regierung ganz unnötig mache. Man schritt zur Abstimmung, bei welcher der Vorsitzende gegen allen parlamentarischen Takt seinen Vorschlag zuerst abgestimmt wissen wollte, welches Ansinnen aber mit überwiegender Majorität abgewiesen und der Antrag des Herrn R. Bamberger angenommen ward. Es wurde dann ferner beschlossen: Dass die zu wählende Kommission der Gemeindeverfassung zwar selbständig zu entwerfen, aber jedem Mitgliede der Gemeinde diesen Entwurf zur Begutachtung mitzuteilen, nach den gemachten Bemerkungen den Entwurf zu revidieren und die Verfassung damit endgültig festzustellen habe. Schließlich wurde die Wahl der Kommission der Leitung des Vorstandes überlassen. Wir freuen uns aufrichtig, dass unsere jüdische Gemeinde endlich aus ihrer Lethargie sich aufrüttelt und hoffen, sie werde alles aufbieten, damit das demokratische Element in der zu wählenden Kommission vorherrsche und nicht der Geist des Vorstandes, der sich mit großer Vorliebe zum Polizeistaat sowie zu den Ansichten des hiesigen Bürger- und Piusvereins hinneigt, und in derselben Wurzel fasse. (Didaskalia)."  
Anmerkungen: - ..das hochwichtige Jahr 1848: https://de.wikipedia.org/wiki/Märzrevolution
- Rudolf Bamberger: https://de.wikipedia.org/wiki/Rudolph_Bamberger
- Piusverein: https://de.wikipedia.org/wiki/Piusvereine .     

  
Doppelter Fastentag in Mainz (1855)     

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 19. März 1855: "Worms, im März (Privatmitteilung). Ein wackeres Beispiel wahrhaft praktischer Wohltätigkeit bietet unsere würdige Nachbargemeinde Mainz. Es bildete sich daselbst ein Verein 'zur Unterstützung armer, aus der Fremde dahinkommenden Israeliten' und derselbe gibt nun für das Jahr 1854 die erste Rechnungsablage, aus der wir Folgendes hervorheben. - Der Verein zählt 212 Mitglieder, die vierteljährigen Beiträge derselben für gedachtes Jahr belaufen sich auf 2.976 Fl. 15 kr., verausgabt wurde an mildtätigen Gaben 2.768 Fl. 47 kr. , diese Gaben erhielten 1.957 Personen. Höchst bemerkenswert ist folgende Angabe: Im Jahr 1852 befanden sich unter 1.316 auf dem Bettel ergriffenen Individuen circa 75 Israeliten, im Jahre 1854 unter 1.267 nur 20 Israeliten, welche Tatsache wohl geeignet ist, das treffliche Wirken des Vereines, welcher die Unterdrückung des Bettels beabsichtigt, ins klare Licht zu setzen. Wir wünschen diesem wackern Verein Kräftigung nach innen und Nachahmung nach außen.*)" 
Anmerkung: *) In Magdeburg besteht ein solcher Verein bereits neun Jahre, spendet verhältnismäßig noch mehr und erspart der Gemeinde durch Beseitigung des Hausbettels viel größere Summen. Redaktion.          

     
Spannungen in der Gemeinde mit der konservativ-orthodoxen Gruppierung (1859)      

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 23. Mai 1859: "In Mainz fährt die orthodoxe Clique fort, Unfrieden und Spannung unter die Gemeindemitglieder zu säen. Sie hat jetzt eine Trennung im Koscherfleisch veranlasst. Was werden diese Männer noch an Allem Anstoß nehmen und geben, bis sie einsehen, dass ihre Zeit vorüber. Wenn diese Wirren nur nicht zu Chillul HaSchem Veranlassung gäben! Doch darum kümmern sich diese 'Frommen' nicht. Die Chowot halewawot überhaupt gelten ihnen ja längst nichts mehr. I. Kl."    
Anmerkungen: Chillul HaSchem https://en.wikipedia.org/wiki/Chillul_Hashem         


Rituelle Verköstigung der Soldaten am Pessachfest (1862)      

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 7. Mai 1862: "Mainz, den 23. April. Auch in diesem Jahre ist es uns gelungen, die hier überaus zahlreichen k. k. österreichischen und k. preußischen israelitischen Soldaten hiesiger Garnison während des Pessachfestes vollständig zu verköstigen. Viele wurden von einzelnen Mitgliedern der israelitischen Religionsgesellschaft eingeladen, die übrigen erhielten die Kost in einem hiesigen jüdischen Speisehause, es wurden durch Vermittelung des Herausgebers dieser Blätter allein 272 Mahlzeiten bezahlt."  
Anmerkungen: - Pessach: https://de.wikipedia.org/wiki/Pessach
-  Israelitische Religionsgesellschaft Mainz: https://de.wikipedia.org/wiki/Orthodoxe_Synagoge_Mainz         

 
Rituelle Verköstigung der Soldaten in Mainz am Pessachfest (1864)      

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 11. Mai 1864:  "Mainz. Wie alljährlich wurden auch in diesem Jahre die hier garnisonierenden österreichischen, preußischen und hessischen Soldaten während des verflossenen Pessachfestes vollständig verköstigt, es wurden an ca. 40 Mann, an jeden 17 Mahlzeiten, also im Ganzen gegen 700 Mahlzeiten verabreicht. Die von dem Herausgeber dieser Blätter veranstaltete Kollekte machte es möglich, den größten Teil der Kosten zu decken. Das Verhältnis gestaltet sich derart, dass die Religionsgesellschaft (die Minorität) 4/7, die Gemeinde hingegen (die überwiegend große Majorität) nur 3/7 der Kosten trug. Von der renommierten Weinhandlung der Herren Hugo Bondi und Compagnie wurde nicht unbeträchtliche Masse Weines für die Sedernächte unentgeltlich geliefert."  
Anmerkungen:  - Pessach: https://de.wikipedia.org/wiki/Pessach
- Herausgeber: https://de.wikipedia.org/wiki/Marcus_Lehmann
- Sedernacht: https://de.wikipedia.org/wiki/Seder
          

 
Fast- und Bettag zugunsten der leidenden Glaubensgenossen in Jerusalem (1865)     

Mainz Israelit 22111865.jpg (67024 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 22. November 1865: "Mainz, den 17. Nov. Gestern, Donnerstag, wurde hier von vielen Mitgliedern der israelitischen Religionsgesellschaft, zu Gunsten unsere von Krankheit und Hungersnot hartbedrängten Glaubensgenossen in der heiligen Stadt Jerusalem, ein Fast- und Bettag abgehalten. Um 2 Uhr nachmittags versammelte sich die Fastenden in der Synagoge, um ganz Tehillim zu sagen und dann für die Notleidenden zu beten, später wurde jom kippur katan abgehalten und da bedeutend mehr als der Minjan von 10 Betern anwesend waren, der für den Fasttag bestimmte Toraabschnitt wajachel verlesen. Da es nach jom kippur katan vollständig Nacht geworden, so schloss die Feier mit maariv bisman... - Möchte sich überall, wie hier, mit materieller Hilfe auch das Gebet vereinen, damit das Erbarmen des Allgütigen sich bald mächtig zeige und damit auch tewat jeruschalajim, die Liebe zu Jerusalem in unseren Herzen immer festere Wurzeln schlage. Und es komme nach Zion der Erlöser. (Jesaja 59,20) 
Anmerkungen:  - Jom Kippur Katan  https://en.wikipedia.org/wiki/Yom_Kippur_Katan  https://www.juedische-allgemeine.de/glossar/jom-kippur-katan/  
-  Minjan:  https://de.wikipedia.org/wiki/Minjan   
-  Toraabschnitt wajechal   https://de.wikipedia.org/wiki/Wajakhel   
-  Tehillim: https://www.talmud.de/tlmd/tanach/tehillim-psalmen/        

  
Bericht aus Mainz während den kriegerischen Auseinandersetzungen im Juli 1866 (1866)  

Mainz Israelit 25071866k.jpg (139331 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 25. Juli 1866: "Mainz, den 23. Juli. Wir wissen nicht, ob diese Zeilen in die Hände unserer geehrten Abonnenten gelangen werden; wir sind hier fast von der ganzen Welt abgeschnitten; nur wenige Zeitungen, noch weniger Briefe und fast gar keine Pakete oder Wertsendungen gelangen hierher. Ein großer Teil der Einwohner ist entflohen; die Zurückgebliebenen leben in Angst und Schrecken. An den Herausgeber dieser Blätter sind von auswärtigen Freunden viele Einladungen ergangen, mit seiner Familie, die für Mainz sich vorbereitende trüben Zeiten, die der Allgütige gnädig abwenden möge, bei ihnen Sicherheit abzuwarten; er hält es jedoch für seine Pflicht, seine Gemeinde nicht zu verlassen.
In der Synagoge werden morgens und abends besondere Gebete um Gottes allmächtigen Schutz abgehalten; wir bitten unsere Freunde, zu denen diese Zeilen gelangen werden, uns, unsere Gemeinde und unsere Stadt in ihr Gebet einzuschließen. 
Über den Stand der gegenwärtigen militärischen Operationen, über die vielen wahren und falschen Gerüchte, die fortwährend die Stadt durchziehen, enthalten wir uns jeder Bemerkung, da derartige Mitteilungen von Seiten des Festungsgouvernements verboten sind.
Den auswärtigen Angehörigen unserer Schüler (bachurim) diene zur beruhigenden Nachricht, dass dieselben sämtlich in voriger Woche die Stadt verlassen haben und sich in Sicherheit befinden; auch zwei unserer hiesigen Mitarbeiter sind fortgereist, sodass uns die Bürde der Redaktion, Korrektur etc. gegenwärtig fast allein obliegt.
Möge der allgütige Gott recht bald die Welt mit 'Frieden' beglücken, möge er uns vor den Schrecken und Gefahren eines ernstlichen Bombardement gnädigst bewahren!
Herausgeber: https://de.wikipedia.org/wiki/Marcus_Lehmann          

 
Sammlung in der Gemeinde für die notleidenden Juden in Westrussland (1869)      

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 16. Juni 1869: "Mainz, 11. Juni. Wir haben seit unserer jüngsten Veröffentlichung wiederum nicht unbedeutende Summen unseren notleidenden Brüdern in Westrussland zugewandt.
Die nunmehr geschlossene Sammlung in Mainz hat im Ganzen 1.701 fl. oder 972 Taler ergeben, von denen bereits lange 700 Taler und in jüngster Zeit 272 Taler nach Lyck gesandt wurden. Eben dahin haben wir 158 Taler geschickt. 300 Taler haben wir auf Anlass des Herrn Dr. Rülf in Memel an Seine Durchlaucht, den Fürsten Obelinski, Gouverneur von Kowno, für die dortigen israelitischen Suppenanstalten geschickt und 70 Taler an den Rabbiner Hirsch Löb Berlin für die darbenden Talmudschüler in Wolozün. - Die Summe der von uns obigem Zweck in diesem Jahre vermittelten Gaben beträgt nunmehr 9.800 Taler."
Anmerkungen: - Lyck: https://de.wikipedia.org/wiki/Kreis_Lyck   
- Kowno: https://de.wikipedia.org/wiki/Kaunas     
- Wolozün: https://de.wikipedia.org/wiki/Waloschyn         

 
Situation zu Kriegsbeginn in Mainz (1870)   

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 5. Oktober 1870:  "Leitender Artikel. Briefe und Nachrichten vom Kriegsschauplatz.
XIX. Mainz, 28. September

Wenn wir auch vom Kriegsschauplatze, Dank sei dem Allmächtigen, der den deutschen Waffen den Sieg verliehen, ziemlich weit entfernt sind, so gab es doch eine Zeit, in welcher wir demselben nahe waren und sehr fürchten mussten, die Gräuel des Krieges in der Nähe kennen zu lernen. Damals durften wir über die Vorgänge am hiesigen Platze nichts mitteilen. Das war die Introduction des Krieges, dass sämtliche Redakteure hiesiger Blätter – auch der Herausgeber des 'Israelit' – auf das Stadthaus beschieden wurden und die Instruktion erhielten, über hiesige Vorgänge nichts zu berichten. Wir glauben kaum, dass der Feind aus den Mitteilungen des 'Israelit' irgendwie hätte Nutzen ziehen können. Nichtsdestoweniger mussten wir uns sehr in acht nehmen und manches unreferiert lassen, was zu indirekten Schlüssen hätte Anlass geben können. Wir haben auch jetzt nicht die Absicht, das alles, was nunmehr veraltet wäre, nachträglich mitzuteilen; nur einiges, was Juden und Judentum berührt, und was auch heute noch für unsere Leser von Interesse sein wird, mag hier noch berichtet werden.
Der Ausbruch des Krieges bein hamizraijim hatte die deutschen Grenzländer in Angst und Schrecken versetzt; Mainz wurde sofort armiert und verproviantiert. Zweimal war unsere Stadt der Sitz von Hauptquartieren. Zuerst hatte er Oberbefehlshaber der 2. Armee, Prinz Friedrich Carl, hier sein Hauptquartier aufgeschlagen, später weilte Seine Majestät, der König, mit dem großen Hauptquartiere in Mainz. Der König sagte zu den Ihn begrüßenden Abgeordneten der Stadt, dass Mainz sich auf ernste Ereignisse gefasst machen müsse und dass es in eine bedenkliche Lage kommen könne.
Viele Familien verließen die Stadt. Die Glacis wurden teilweise rasiert, alle Zugänge mit Palisaden verrammelt, auf allen Schanzen Kanonen aufgefahren. In der Synagoge ordneten wir besondere Gebete an, die noch gegenwärtig täglich zweimal verrichtet werden. Unterdessen gewann die Stadt ein äußerst kriegerisches Aussehen. Hier war es, wo sich ein großer Teil der deutschen Armeen formierte. Tag und Nacht zogen die Truppen durch die Stadt; ebenso die Proviantkolonnen, die Geschütze, die Munitionswagen, die Pontons und so weiter und so fort.
Dass viele jüdische Soldaten hier garnisonieren - abwechselnd an 200, manchmal noch darüber - haben wir unsern Lesern bereits mitgeteilt. Sie alle erhalten jüdische Kost, und können wir die Liberalität der höchsten Festungsbehörden, Seiner Durchlaucht, des Prinzen Holstein, Gouverneur hiesiger Festung und Seiner Exzellenz des Generals von Hanneke, Kommandanten derselben, nicht genug rühmen. Mit der größten Bereitwilligkeit gestatteten sie nicht allein die Dispensierung der Israeliten von der Militärmenage, sondern sie bewilligten auch, dass dieselben statt der zu liefernden Naturalien an Fleisch, Speck etc. eine Kompensation in Geld erhalten.
Für die hohen Feiertage haben wir eine besondere Synagoge für die Soldaten in unserer Unterrichtsanstalt eingerichtet; Herr Buchhändler Kaufmann in Frankfurt a. M. hat uns zu diesem Zwecke eine große Auswahl Machsorim (Gebetbücher) leihweise überlassen; Herr Michael Cahn und Herr Moses Koch fungierten als Vorsänger; Herr Jakob Sänger, war Baal Tokea (Schofarbläser). Hier beteten sie in heißer Andacht die Neunzehner (aus der Provinz Posen) , die Siebenundachtziger (aus Hessen-Nassau), die Siebenundachtziger (aus Hessen-Nassau), die Einundachtziger (aus Kurhessen), die Zweiunddreißiger (aus Thüringen, Hessen, Sachsen und Westfalen), die Siebenundsechziger (aus der preußischen Provinz Sachsen) die Dreißiger und außerdem Artilleristen, Pioniere und Bäcker etc, sowie einige Rekonvaleszenten, die in verschiedenen Schlachten verwundet waren.
Der Herausgeber dieser Blätter hatte auch der gefangenen Franzosen gedacht. Auf seine Bitte wurden die Israeliten unter denselben während der Feiertage von der Arbeit dispensiert, und ein Erlass Seiner Durchlaucht, des Gouverneurs, ermächtigte ihn, im Zeltlager Gottesdienst abzuhalten.
Nicht weit von der Stadt, innerhalb der Festungswerke, ist nämlich auf dem Rücken eines Berges ein Zeltlager errichtet, wo ungefähr 6.000 französische Soldaten interniert sind. Ein zweifacher Cordon ist um das Feldlager gezogen und der Zutritt ist dem Publikum strenge verwehrt. 
Am 23. des Monats machen wir uns morgens früh um 6 Uhr gleich nach dem Frühgottesdienste in Begleitung des Synagogendieners, Herrn Moses Marx, auf den Weg, um uns nach den israelitischen Gefangenen umzusehen. Von den Vorposten wiederholt angehalten bahnte uns unsere von Seiner Durchlaucht ,dem Gouverneur, eigenhändig ausgestellte Legitimations-        
Mainz Israelit 05101870b.jpg (287297 Byte)karte den Weg ins Lager. Wir hatten deshalb eine so frühe Stunde gewählt, damit wir uns nach den Glaubensbrüdern umsehen konnten, ehe die Gefangenen sämtlich oder teilweise nach ihren Arbeitsplätzen abgeführt werden.
Wir trafen das Lager beim Erwachen. Welch ein Anblick bot sich uns! Liniensoldaten, Cürrassiere, Zuaven, Turcos, Spahis im buntesten Durcheinander. Zahllose Feuer brannten auf dem Erdboden, an denen sich die Soldaten Kaffee oder Suppe kochten. Andere wuschen sich, wieder andere machten Toilette. Da gingen sie umher, die schwarzen, braunen und gelben Söhne der Wüste, mit nackten Beinen, den Oberkörper bis über den Kopf in den blauen Burnus gehüllt. Wir hatten hier Gelegenheit, die atifat jismaelim, die Art und Weise wie sich die Ismaeliten (Araber) umhüllen, zu beobachten. Bekanntlich wird diese Art und Weise der Umhüllung in haluchut zizit als mustergültig für die Einhüllung in das Talith (lehitatef bezitit) angegeben.
Die Gefangenen schienen recht froh und heiter zu sein. Viele lagen auf der Erde und spielten allerlei Spiele; andere sangen Lieder, auch die Marseillaise und das Partons pour la Syrie tönten uns entgegen.
Wir traten mitten unter sie und ich redete den Ersten, der mir entgegen kam, an.
'Dites-moi, Monsieur, s’il vous plaît, y-a-t-il ici des Israélites entre les soldats francais?'
'Oh, oui Monsieur', war die Antwort, 'il y a ici des Catholiques, des Protestants, des Israélites, des Mouhamedains. La France est la terrede la fraternité et de l’égalité. Toutes les religions se trouvent das notre armée.'
'Mais ici, Monsieur, das ce champ-là, y-a-t-il des Israélites?'
'Certainement mais je ne les connais pas.*)'
Wir gingen weiter und weiter und fragten noch manchen, namentlich solche, deren Physiognomie uns jüdisches Gepräge zu haben schienen. Bald sammelte sich eine Gruppe von Gefangenen um uns, die heftig gestikulierend, alle durcheinander sprechend, uns hierhin und dorthin wiesen. Dann teilten zwei kräftige Arme die Menge und in jüdisch-lothringer Mundart schlugen die Worte an unser Ohr:
'Sie suche Jidde?'
So war denn einer gefunden und mit ihm auch wohl die anderen.
Wir begrüßten den gefangenen Glaubensgenossen herzlich, unterrichteten ihn von unserer Absicht und baten ihn, in den einzelnen Kompagnien Nachfrage zu halten, ob außer ihm noch Israeliten da seien. Wir versprechen dann am ersten Neujahrstage nachmittags 3 Uhr, wiederzukommen, um mit den israelitischen Gefangenen Minchah zu beten und ihnen Schofar zu blasen.
Zur bestimmten Zeit fanden wir uns mit noch mehreren Israeliten, unter ihnen unser Baal Tokea (Schofarbläser) Herr Marcus Bondi, im Lager ein. Es waren nur zwei Israeliten unter den 6.000 gefangenen Franzosen. Da uns die Zahl zu gering schien, so stellte der Kommandant des Lagers, Herr Oberstleutnant von Geffon, auf unsere Bitte amtliche Recherchen an, die kein anderes Resultat ergaben. Wir begaben uns dann in ein neu aufgeschlagenes Zelt, am äußersten Rand des Lagers, wo wir Minchah beteten und wo dann unser Baal Tokea (Schofarbläser) in bewährter Meisterschaft die ergreifenden Töne des Schofars erschallen ließ. Sodann begaben wir uns zum Kommandanten und erbaten die Erlaubnis wurde aufs Zuvorkommendste erteilt und am gestrigen Tage wurde ihr bereits entsprochen. Unter militärischer, bewaffneter Eskorte kamen sie in die Synagoge und beteten andächtig. Bei dieser Gelegenheit erinnerten sich ältere Leute lebhaft daran, dass vor ca. 60 Jahren, als Mainz unter Napoleon I. französisch war, gefangene österreichische Israeliten unter bewaffneter französischer Eskorte in die Synagoge geführt wurden. Gilgal Choser leolam.
Anmerkungen:  *) 'Sagen Sie mir gefälligst, mein Herr, befinden sich hier auch Israeliten unter den französischen Soldaten?'
'Ja, mein Herr, es gibt hier Katholiken, Protestanten, Israeliten, Muhamedaner. Frankreich ist das Land der Brüderlichkeit und der Gleichheit. Alle Religionen befinden sich in unserer Armee.' 
Aber hier, mein Herr, befinden sich hier Israeliten in diesem Lager?'  
'Sicherlich, aber ich kenne sie nicht.' 
-  Prinz Friedrich Carl: https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Karl_von_Preußen_(1828%E2%80%931885   
-  Glacis: https://de.wikipedia.org/wiki/Glacis_(Festungsbau)   
-  Prinz Holstein: https://de.wikipedia.org/wiki/Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg
-  General von Hanneke: https://de.wikipedia.org/wiki/Hermann_von_Hanneken_(Generalleutnant)    
-  Hohe Feiertage: https://de.wikipedia.org/wiki/Rosch_ha-Schana    https://de.wikipedia.org/wiki/Jom_Kippur
-  Chasseurs: Leichte Infanterie oder leichte Kavallerie https://de.wikipedia.org/wiki/Jäger_zu_Pferde
 - Kürassiere: https://de.wikipedia.org/wiki/K%C3%BCrassiere
-  Zuaven: https://de.wikipedia.org/wiki/Zuavenb
-  Turcos: https://de.wikipedia.org/wiki/Turkos
-  Spahis: https://de.wikipedia.org/wiki/Sipahi
-  Burnus: https://de.wikipedia.org/wiki/Burnus
-  Neujahrstag: https://de.wikipedia.org/wiki/Rosch_ha-Schana
-  Minchah: https://de.wikipedia.org/wiki/Mincha
-  Schofar: https://de.wikipedia.org/wiki/Schofar        

    
Spenden aus der Gemeinde für Notleidende in Palästina (1871)      

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 12. Juli 1871:  "Mainz, 23. Juni. (Durch Zufall verspätet). Wir haben wieder 1.500 fl. für die Armen, Notleidenden etc. in Palästina nach Amsterdam an das dortige Zentralkomitee geschickt. Die Summe der in diesem Jahre für obigen Zweck von uns gesammelten und übermittelten Spenden beträgt nunmehr 17.342 fl. 46 kr."      

  
Trauergottesdienst für verstorbene Rabbiner und andere hervorragende Männer (1872)     

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 7. Februar 1872:  "Mainz. Am 18. Schewat nach dem Minchagottesdienst wurde in der Synagoge der israelitischen Religionsgesellschaft denn in der letzten Zeit heimgegangenen großen Männer ein Hesped (Klagerede) gehalten. Es sind dies: Die Oberrabbiner in Altona und Preßburg, R. Jacob Ettlinger *) und R. Abraham Samuel Schreiber, R. Juda Löb Borges in Hermannmiestecz und noch andere hervorragende Männer.
Die Gemeindemitglieder hatten sich, wie immer, zahlreich eingefunden. Unter den anwesenden Fremden bemerkten wir: Herrn Dr. Kahn, Rabbiner der orthodoxen Gemeinde in Wiesbaden, sowie Herrn Dr. 
*)Wiewohl Rabbiner Jacob Ettlinger, seligen Andenkens, befohlen ..., so ist man doch nach dem Urteile großer Autoritäten nicht verpflichtet, dem Ausspruche der Gefühle um den Verlust Einhalt zu tun. Demnach hat sich der Redner zurückgehalten ...  und hat nur die tiefsinnige Trauer um die Dahingeschiedenen dargelegt.
Marx, Rabbiner der orthodoxen Gemeinde zu Darmstadt und der Provinz Starkenburg. Die Trauerrede galt vor allem den beiden ersten Rabbinen, durch deren Tod zwei der hervorragendsten Männer der Gegenwart aus Israel geschieden sind, Männer, in denen die Hochbilder einer großen Vergangenheit noch lebend vor uns standen, die durch ihre grenzenlose Hingebung, für die heilige Sache, durch ihr anspruchsloses, bescheidenes Wesen, durch ihren weithin befruchtenden und mit dem Lichte Gottes glänzenden talmudischen Zeitalters erinnern, das Israel Stolz und Herrlichkeit bildet. Der Hinblick auf Männer von solcher Geistesstärke, die durch unablässiges Forschen in dem Gotteswort den Torageist so in sich aufgenommen, dass jedes ihren Lippen entströmende Wort von dem sie beseelten Gottesgeiste Zeugnis ablegt, nötigt uns Staunen und Bewunderung ab; die Betrachtung eines an Tugenden so reichen Lebens, das man nicht nach Jahren, nicht nach Monaten, nicht nach Tagen, sondern nach Minuten und Sekunden zählen kann, weil auch der kleinere Zeitteil dem Dienste Gottes gewidmet ist, muss begeisternd und anregend wirken, und sie wird es umso mehr, wenn der diese Betrachtung anstellende Redner so warum fühlt für die heilige Sache des Glaubens, wenn derselbe in ein so reiches und tiefes Geistesleben, mit seinem eigenen Geiste einzudringen vermag, und so das Verständnis desselben vermitteln und die Größe des Verdienstes in einer Geist und Herz ergreifenden Weise zu Bewusstsein zu führen versteht. Aus der reichen Fülle herrlicher Gedenken und Schriftstellen, die der Rabbiner der Gemeinde, Herr Dr. Lehmann, bei diesem hesped (Trauerrede) mit trefflichen Anwendung auf das Leben der edlen Hingeschiedenen entwickelte, heben wir nun Einiges hervor.
Unsere Weisen sagen, auf den Tod von Abraham Awenu (Abraham unser Vater) in bewo betira begann der Redner: Oi leolam schäabad manhigu ... (hebräisch und deutsch:) 'Wehe der Welt, die ihre Führer und wehe dem Schiffe, das seinen Steuermann verloren!' Es sei ein Unterschied zwischen dem Führer auf festem Boden und dem Steuermann auf stürmischen Wogen. Dem ersteren folgen die Geführten, weil sie den Weg sehen, den sie geführt werden. Ihr Gang ist freie Entschließung. Dem letzteren hingegen müssten dieselben willenlos und unbedingt folgen weil – den stürmischen Wogen preisgegeben – ihnen keine andere Wahl übrig bliebe. Die Ersteren seiner die Menschen mit religiöser Einsicht, die sich ihrer Lebensaufgabe des zu erstrebenden Zieles klar bewusst wären, die Letzteren hingegen, die dieser Einsicht Entbehrenden, die das Vertrauen zum Steuermann mit sich fortreißt. So habe Abraham, von dem es heiße (1. Mose 21,33): 'Und er pflanzte eine Tamariske in Beerscheba, und rief dort den Namen des Ewigen, den Gott für immerdar...', seine Zeitgenossen durch seine Gastfreundlichkeit hereinzuziehen und für die Erkenntnis des einzigen Got-     
Mainz Israelit 07021872b.jpg (217279 Byte)tes zu gewinnen gewusst, er habe den auf festen Boden Wandelnden als Führer und den auf stürmischem Lebensmeer Umhergetriebenen als Steuermann vorgestanden und der Menschheit sei ein bitteres Weh widerfahren, nachdem dieser erhabene Mann ihr entzogen waren. In gleicher Weise müsse man ein bitteres Weh empfinden über den Verlust zweier Männer, die als hellleuchtende Sterne, als Führer und Steuerleute, nicht bloß dem engen Kreise der eigenen Gemeinden, sondern dem gesamten Israel belehrend und ratend vorangingen.
Bei der Armut unserer Zeit an Männern von solch hoher Bedeutung, bei der immer stärker hervortretenden Neigung unseres Geschlechtes zu einem materialistischen Streben müsse man mit dem heiligen Sänger rufen: (Psalm 94,16): 'Wer tritt für mich auf gegen Bösewichter, wer stellt sich für mich gegen Übeltäter?', das seien die, die das heilige Gesetz über Bord werfen möchten die Nichtiges tun von nichtig das seien, die nach Richtigem streben.
'Wer rafft sich auf gegen diese Zerstörer, wer steht zum Widerstande und zur Abweisung gegen die, welche Nichtiges schaffen?'
Ein Leben von solch inniger Frömmigkeit, wie solches bei den edlen Hingeschiedenen zu Tage getreten, das habe selbst den Gegnern Achtung abgenötigt und selten Einhalt geboten, was sich in Wirklichkeit schon jetzt kurz nach dem Tode des Barons von Königswarter zeige. Während seines Lebens habe dieser Edle sich den tiefgehenden Reformbestrebungen in der Wiener Gemeinde mit Energie widersetzt. Kaum habe er die Augen geschlossen, so seien die Rücksichten geschwunden und gesetzwidrige Reformen zum Durchbruch gekommen, und es werde jetzt in Wien, wie schon anderwärts, eine Trennung notwendig werden, um den Gesetzestreuen ihr heiligstes Gut zu bewahren.
Höchst ergreifend war die Erwähnung einer Episode aus dem Kindesalter des Oberrabbiners zu Preßburg, das Gedenken an den Gerechten ist zum Segen. Als Kind von 6 Jahren befiel ihn eine schwere Krankheit. Man hatte die Hoffnung auf Wiedergenesung bereits aufgegeben. Schon hatte man nach der Sitte des Landes zu jeziat neschama (beim Verlassen der Seele) die neschamah-(Seelen-)Lichter angesteckt. Jammernd umstanden die Eltern das Lager ihres Kindes und der Vater R. Mosche Sofer - das Gedenken an den Gerechten ist zum Segen flehte in heißinnigem Gebete um die Erhaltung seines Lieblings und wie, wenn er jemanden vor sich sähe, rief er auf einmal aus: 'Schenke mir meinen Sohn nur ein Jobel-Jahr!' und siehe da! Das Kind erholte sich und genas. Gerade 50 Jahre waren seit jenem Ereignis verflossen, als der himmlische Ruf erscholl: 'Im Jobeljahr kehrt zurück der Mann zu seinen Nächsten und der Mann zu seiner Familie. R. Abraham Schmuel Binjamin Sofer wurde heimgerufen zu seinen Vätern, nachdem er das 56. Jahr vollendet hatte, und die alten aufbewahrten Seelen-Lichter leuchteten auch beim Verlassen seiner einen Seele.
Nachdem Herr Dr. Lehmann noch von den wertvollen literarischen Erzeugnissen des Verstorbenen gesprochen, wies er schließlich darauf hin, wie dringlich notwendig es in dieser an großen Männern armen Zeit sei, die Worte der Weisen zu beherzigen , die da sagen: ..., dass jeder in seinem Kreise mit aller Kraft zu wirken suche, um die Religion der Väter und die Kenntnis der heiligen Tora uns und unsern Kindern zu erhalten. Ein tiefer Ernst lag bei dieser erhebenden Gedächtnisfeier auf der andächtigen Versammlung und man erkannte, was die Tora in der Paraschat Schemot sagt, dass Israel eine einzige Seele bildet, dass es mit gleichem Gefühle die Wunden fühlt, die ihm – wenn auch in entfernten Ländern, durch den Verlust seiner herrlichsten Männer geschlagen werden. 'Der Ewige lässt den Tod verschwinden für ewig' (Jesaja 25,8)!  
Anmerkungen:  - Preßburg: https://de.wikipedia.org/wiki/Bratislava
- R. Jacob Ettlinger: https://de.wikipedia.org/wiki/Jakob_Ettlinger
- Baron Königswarter: https://de.wikipedia.org/wiki/Jonas_Freiherr_von_Königswarter
- Herr Dr. Lehmann: https://de.wikipedia.org/wiki/Marcus_Lehmann       

 
Sammlung für die Armen des Heiligen Landes (1872)    

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 3. Juli 1872:  "Mainz, 28. Juni. Wir haben soeben 2.243 fl 59 ¼ kr.. an das Central-Comité nach Amsterdam zum Besten der Armen, Notleidenden, Waisen etc. im Heiligen Lande geschickt. Es ist dies die zweite Sendung in diesem Jahre; die Gesamtsumme unserer diesjährigen Sendungen beträgt bis jetzt 3.980 fl. 21 ¼ kr."       

 
Sammlung für die Armen des Heiligen Landes (1879)      

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 6. August 1879: "Mainz, 31. Juli. Wir haben heute für die Notleidenden, Armen etc. im Heiligen Lande 1.702 Mk. an das Comité in Amsterdam gesandt. Die Summe der in diesem Jahre von uns für obigen Zweck gesammelten und übersandten Geldes beträgt nunmehr 21.920 Mk. 41 Pf. - Die Nachrichten aus dem Heiligen Lande lauten noch immer sehr betrübend. Hoffentlich werden die reichlich eingehenden Spenden das Central-Comité bald in den Stand setzen, in Jerusalem ein Getreidemagazin zu etablieren, um zu ermöglichen, dass der Preis des Brotes einen bestimmten Höhegrad nicht überschreite. Dazu ist aber nötig, dass das Comité über größere Mittel verfüge."       

  
Patriotische Feier zu Ehren von Graf Moltke und weitere Mitteilungen (1890)    

Mainz Israelit 30101890.jpg (112055 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 30. Oktober 1890: "Mainz, 27. Oktober. In der Vorhalle der Synagoge der israelitischen Religionsgesellschaft beging heute unsere Unterrichtsanstalt eine Feier zu Ehren Moltke's. Nach vorangegangenem patriotischen Liedern und Deklamationen hielt der Leiter der Anstalt, Herr Dr. Bondi - sein Licht leuchte -, anknüpfend an den Vers der gestrigen Haftora (hebräisch und deutsch aus Jesaja 41,3:) 'Er verfolgt seine Feinde und durchschreitet unversehrt einen Pfad, den er vormals nie betreten', eine Rede, indem er in der anziehendsten Weise ausführte, wie Moltke es war, der der Kriegswissenschaft erst auf ihre Höhe brachte und durch Erforschen fremder Gegenden selbst die schwierigsten Märsche in feindlichem Gebiete dem deutschen Heere ermöglichte. Mit Absingung der Wacht am Rhein schloss die Feier, die auf die Kinder sichtlich eines tiefen Eindruckes nicht verfehlte. - Vergangene Woche hat auch der Herr Rabbiner damit begonnen, seine Vorträge im Jungverein, die im Laufe des Sommers nur am Sabbat stattfanden, auch an Wochentagen zu halten. Dieselben erfreuen sich sehr großen Zuspruchs, da der Vortragende es versteht, durch lichtvolle Darstellung seine Zuhörer zu fesseln. Möge auch ferner seine Wirksamkeit von reichem Segen begleitet sein, um die Tora groß und ruhmreich werden zu lassen.
Anmerkungen:   Moltke:  https://de.wikipedia.org/wiki/Helmuth_von_Moltke_(Generalfeldmarschall)  
- Dr. Bondi:
Rabbiner Dr. Jonas Marcus Bondi (geb. 1862 in Mainz als Sohn von Markus Bondi und Enkel von Samuel Bondi, gest. 1929 ebd.): studierte in Berlin und Halle; war seit 1890 Rabbiner der Israelitischen Religionsgesellschaft Mainz. Vgl. http://www.mainz1933-1945.de/rundgang/teil-i-innenstadt/orthodoxe-synagoge-und-bondi-schule.html
- Haftora:  https://de.wikipedia.org/wiki/Haftara   
Wacht am Rhein: https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Wacht_am_Rhein         

  
Protestversammlung gegen die Vorgänge im russischen Zarenreich (1905)   

Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 8. Dezember 1905: "Mainz, den 5. Dezember. In dieser Woche fand hier eine Protestversammlung statt, die sich mit den grauenerregenden Vorgängen im russischen Zarenreich beschäftigte. Über 1.200 Männer waren erschienen, die ihre Sympathie mit den russischen Märtyrern dadurch zum Ausdruck bringen wollten. Wir bemerkten u. a. dabei den Landtagsabgeordneten Schmid, sozialistischen Reichstagsabgeordneten David, Professor Schlenger, die Stadtverordneten Schäfer, Riedner und viele andere. Herr Professor Staudinger, der bekannte Freiheitsapostel aus Darmstadt hielt die mit großer Begeisterung aufgenommene Protestrede. Ihm schloss sich der russische Flüchtling Levene-Petersburg an, der bei seinen Schilderungen über die entsetzlichen Zustände willig das Ohr der Versammlung fand. Eine Resolution wurde angenommen, die der Überzeugung Ausdruck gab, dass die Hingemordeten, ihres Besitzes Beraubten, die Sympathie aller wohl denkenden Menschen finden müssen.
Soweit ungefähr der offizielle Bericht. Wie gesagt, 1.200 Personen waren anwesend, darunter auch zum Lobe von Mainz – viele Christen. Nur zwei Herren bemerkten wir nicht und das waren merkwürdigerweise die beiden Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde, die Herren Justizrat Meyer und Justizrat Oppenheimer; deswegen große Missstimmung in der Versammlung. Nun soll man niemanden verurteilen, ohne dass man die Gründe kennt, die ihn zu seinem Verhalten bestimmen. Von dem Grundsatz ausgehend: Audiatur et altera pars, versuchten wir nun die Motive der beiden Herren zu erforschen und erfuhren Folgendes: Herr M. blieb aus mit der Motivierung: 'Er sei kein Politiker.' Herr O. weigerte sich an dieser Demonstration teilzunehmen, weil er 'Bürger eines Landes sei, dessen Fürst Schwager des Zaren ist!' Mit anderen Worten also: Herr M. betrachtet sein Amt als Vorstandsmitglied der jüdischen Gemeinde ungefähr ebenso, wie ein Kassierer einer großen Bank das seine. Er verwaltet die Kasse, führt genau Buch über die Eingänge, aber er hat kein Interesse daran, ob seine Brüder im Osten dahingemordet werden. Er allein kann seine Trauer über diese Vorgänge empfinden, denn er ist ja kein Politiker.
Herr O. wendet seinen Blick nach oben. Er fragt, sich, was der Großherzog zu diesen Demonstrationen sagen wird. Er weiß zwar nicht, ob er etwas dagegen hat, aber er ist der Schwager des Zaren, in dessen Land die Gräueltaten verübt wurden, und das ist für den Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde ein wichtigeres Moment als vielleicht für den Großherzog selbst.
Wenn einmal gezeigt worden ist, wie es mit den Vorständen in vielen jüdischen Gemeinden bestellt ist, so ist wohl in Mainz der beste Beweis dafür erbracht worden, dass man wohl Leute, die eine gute akademische Bildung genossen haben, an die Spitze des Judentums einer Stadt stellt, dass man aber nicht darauf achtet, ob die führenden Persönlichkeiten unserer Gemeinde eigentlich das sind, was doch das Wichtigste für das Judentum ist: Nämlich – Juden! - Wir meinen, dass die jüdische Gemeinde in Mainz, Veranlassung hätte, nach dieser einen Protestversammlung, die sie wegen der Gräueltaten, die an ihren russischen Brüdern verübt worden sind, eine zweite folgen zu lassen, in der sie lauten Protest erhebt gegen das Verhalten ihrer eigenen Vorstände und dieselben zwingt, ihre Ämter niederzulegen, denn schließlich ist das Judentum kein Verein und der Führer nicht nur Verwalter der Kasse desselben. Zum Schlusse dieser Ausführungen möchten wir die Worte eines bekannten Parlamentariers wiedergeben, der sich veranlasst sah, sich über die Feigheit der zu äußern, die selbst Fußtritte ruhig hinnehmen. Wenn die jüdische Gemeinde in Mainz die Fußtritte ihrer Vorsitzenden ruhig hinnimmt, dann verdient sie keine besseren - - dann ist ihr recht geschehen."
Anmerkungen: - Reichstagsabgeordneter David: https://de.wikipedia.org/wiki/Eduard_David
- Professor Staudinger: https://www.darmstadt-stadtlexikon.de/s/staudinger-franz.html
- Audiatur et altera pars: https://de.wikipedia.org/wiki/Audiatur_et_altera_pars           

 
Ergebnisse der Vorstandswahlen der Israelitischen Religionsgemeinde (1906)       

Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 21. Dezember 1906: "Mainz, 18. Dez. Bei der heutigen Vorstandswahl der israelitischen Religionsgemeinde wurde das seitherige Vorstandsmitglied Bernhard Albert Mayer wieder und S. Cahn neu gewählt." 
Anmerkung: Bernhard Albert Mayer: Kommerzienrat Bernhard Albert Mayer (1866-1947)  https://www.geni.com/people/Bernhard-Mayer/6000000031492887587
https://www.juedische-allgemeine.de/unsere-woche/buecher-fuer-die-gemeinde/        


Ergebnisse der Vorstandswahlen der Israelitischen Religionsgemeinde (1908)       

Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 24. Dezember 1908: "Bei der Vorstandswahl der israelitischen Gemeinde wurde Herr S. Cahn wiedergewählt. Herr Justizrat Dr. Loeb – bekannt durch seine Rede auf dem letzten deutschen Judentag in Frankfurt a. M  - und Herr Loewensberg neu gewählt. E.G."     

 
Spenden für die Arbeit des Roten Kreuzes (1914)     

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 21. August 1914: "Aus Mainz wird gemeldet: Hiesige Vereine bewilligten für das Rote Kreuz folgende Beiträge: Der Waisenverein für die israelitische Gemeinde 5.000 Mark, der Israelitische Krankenpflegeverein der Ältere in Mainz 5.000 Mark, der Israelische Frauenpflegeverein 2.000 Mark."       

 
Anordnung eines Fastentages durch Rabbiner Dr. Bondi (1915)     

Mainz Israelit 22041915.jpg (31234 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 22. April 1915: "Mainz, 19. April. Herr Rabb. Dr. Bondi hat angeordnet, dass scheni uchamischi scheni gefastet werde. Es darf mit Befriedigung hervorgehoben werden, dass durch die schönen und begeisterten Reden unseres Rabbiners die Spenden für die Ostjuden , sowie die Gaben für Erez Israel eine unerwartete Höhe erreicht haben.
Anmerkung: Erez Israel: https://de.wikipedia.org/wiki/Eretz_Israel 
        

 
Die Soldaten und ortsfremde Arbeiter in der Stadt erhalten rituelle Kost (1917)      

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 16. März 1917: L. Mainz, 11. März. In beispielgebender Weise ist hier für Soldaten und die ortsfremden jüdischen Arbeiter gesorgt, die auf rituelle Kost Anspruch erheben. Nachdem schon seit langer Zeit durch die fürsorgende Tätigkeit von Frau Rabbiner Dr. Bondi eine vielfach als große Wohltat empfundene Soldatenküche im Restaurant Gottschall besteht, in der gutes Essen zu billigen Preisen, wie es dem Menagegeld angemessen ist, geliefert wird, ist jetzt durch das tatkräftige Eingreifen ebenfalls der Frau Rabbiner eine besondere Arbeiterküche gegründet worden. Es handelt sich um eine größere Anzahl jüdisch-polnischer Arbeiter aus den besetzten Gebieten, meist Familienväter, die hier beim Bahnbau beschäftigt sind. Um die Leute koscher und billig zu verpflegen, da sie auch darauf angewiesen sind, ihre Familien zu unterstützen, erwirkte Frau Dr. Bondi die Erlaubnis der zuständigen Behörde zur Errichtung einer jüdischen Arbeiterküche. Die Mittel hierzu auf privatem Wege aufgebracht. Die Arbeiter, die bisher den fremden Verhältnissen hilflos gegenüberstanden, erhalten hier für weniges Geld – die Mahlzeit 60 Pfennig – ein einfaches, aber kräftiges Essen. Auch für ihre anderweitigen Bedürfnisse, wie Kleider und Schuhwerk, wird möglichst gesorgt."        

  
"Befreiungsfeier" auch in der jüdischen Gemeinde (1930)    

Mainz Israelit 24071930.jpg (82657 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 24. Juli 1930: "Mainz, 23. Juli. Anlässlich der für den 19. und 20. Juli in Anwesenheit des Reichspräsidenten anberaumten Befreiungsfeiern des Reiches fand am letzten Sabbat in der Synagoge der Mainzer Religionsgesellschaft im Rahmen des G'ttesdienstes eine synagogale Feier statt, bei der Herr Rabbiner Dr. Bamberger in treffenden Worten der Bedeutung des geschichtlichen Ereignisses, von der jüdischen Warte aus gesehen, Ausdruck gab. - Herr Dr. Bamberger war von der Stadt zum Empfang Hindenburgs, zum Festakt in der Stadthalle, am Sonntag Vormittag und zum anschließenden Frühstück im Schlosse geladen, ebenso Herr Rabbiner Dr. Levi. Bei dem Festakt war auch der Vorstand der Religionsgesellschaft durch einige Herren vertreten.
Bei der Spalierbildung anlässlich der Rundfahrt Hindenburgs war der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten in der beachtlichen Stärke von 720 Mann beteiligt, was allgemeine Beachtung fand; nur einige Zeitungen scheinen nichts davon bemerkt zu haben."  
Anmerkungen: - Rabbiner Dr. Bamberger: Wahrscheinlich Moses Löb Bamberger, Sohn von Rabbiner Seckel Bamberger https://de.wikipedia.org/wiki/Seckel_Bamberger 
- Rabbiner Dr. Levi: https://de.wikipedia.org/wiki/Sali_Levi 
- Religionsgesellschaft: https://de.wikipedia.org/wiki/Orthodoxe_Synagoge_Mainz 
- Hindenburg:  https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_von_Hindenburg 
- Reichsbund jüdischer Frontsoldaten: https://de.wikipedia.org/wiki/Reichsbund_jüdischer_Frontsoldaten   https://www.dhm.de/lemo/kapitel/weimarer-republik/antisemitismus/reichsbund-juedischer-frontsoldaten.html    
      

   
Vortrag von Rabbiner Dr. Carlebach aus Köln über Erez Jisrael (1934)      

Mainz Israelit 28061934.jpg (153560 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 28. Juni 1934:  "Mainz, 25. Juni. Im Rahmen der Agudas Jisroel sprach hier vor einigen Wochen Herr Rabbiner Dr. Carlebach, Köln, über Erez Jisrael. Es war kein Reisebericht, sondern der zu Urteilen und Problemen verdichtete Niederschlag der Eindrücke, die der Redner auf seiner Palästinareise gewonnen hatte. Er schilderte die einzigartige Verbundenheit aller jüdischen Passagiere während der Fahrt, da alle ungeteilt die Sehnsucht, in das Land zu kommen, beherrscht. Aber schon im Augenblick der Landung sei die strenge Scheidung der Geister und Interessen zu verspüren. - Es folgten die Eindrücke von dem Aufbau und der Besiedelung des Landes, wobei der Redner einleuchtend hervorhob, wie das Wort Jischuw ein Doppelbegriff darstelle, nämlich in seiner statischen Bedeutung als sesshaftes Wohnen und seiner dynamischen Bedeutung als Besiedeln und wie dieser dynamische Wortbegriff den modernen Jischuw charakterisiere. Über das Werden und die innere Zusammensetzung des sogenannten alten Jischuw, dessen Wesensart und Existenz zu wenig bekannt ist, gab der Redner einen eingehenden Bericht. Die Frage, warum vor der Welle des neuen jischuv man nur vereinzelt in Erez Jisrael wohnte und lebte, ohne dass sich viele zur Rückkehr in unser Land verpflichtet fühlen, wusste der Redner bis zur Gewissensfrage zu steigern. Hieran schloss sich die Schilderung der heutigen Siedlungen und ihrer jüdischen Haltung, wobei die Unterschiede zwischen dem alten und dem neuen jischuv besonders augenfällig wurden. - Es würde zu weit führen, alle Einzelheiten, vor allem auch die schönen talmudischen Vergleiche des geistreichen und packenden Vortrags, zu zitieren. Nur das darf noch erwähnt werden, dass die echte glühende Liebe zum Lande und die Aufrichtigkeit, die aus jedem Worte sprachen, dem Abend eine besonders warme Note verliehen und nicht nur geistig, sondern auch seelisch bereicherten."
Anmerkungen:  -  Agudas Jisroel: https://de.wikipedia.org/wiki/Agudath_Israel_Weltorganisation
-  Erez Jisrael: https://de.wikipedia.org/wiki/Eretz_Israel  
       

  
  
   
Aus dem jüdischen Vereinsleben 
  
50-jähriges Bestehen des dritten israelitischen Krankenpflege-Vereins (1860)     

Mainz Israelit 26121860.jpg (71021 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 26. Dezember 1880: "Mainz, 17. Dezember. Heute habe ich von einem schönen Feste zu berichten. Der dritte israelitische Krankenpflege-Verein beging gestern am achten Tage des Chanukkah-Festes sein fünfzigjähriges Jubiläum. Schon am frühen Morgen wurde das Fest durch einen feierlichen Gottesdienst eingeleitet. Das Vereinslokal war zu diesem Zwecke festlich erleuchtet und Sie können sich leicht denken, dass bei den zahlreichen Anwesenden eine gehobene Stimmung herrschte.
Abends versammelten sich circa achtzig Mitglieder zu einem Festmahle, bei welchem Worte aus der Tora mit entsprechenden Toasten abwechselnd vorgetragen wurden. Das Fest war vom besten Humor begleitet und erst am frühen Morgen trennten sich die Anwesenden, denen diese Feier noch lange im Gedächtnis bleiben wird. G."
Anmerkung:  Chanukkah: https://de.wikipedia.org/wiki/Chanukka       

   
Über den neu gegründeten "Israelitischen Hilfs-Verein" (1891)     

Mainz Israelit 21041891.jpg (63989 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 21. April 1891: "Mainz. Vor kurzem wurde dahier, wie bereits früher berichtet, ein 'Israelitischer Hilfs-Verein' gegründet, der die Bestimmung hat, armen, durch Altersschwäche, Krankheit, Gebrechen oder andere Zufälle zum Erwerb ihres Unterhalts vorübergehend oder auf die Dauer unfähig gewordenen Angehörigen der hiesigen israelitischen Gemeinde, sofern dieselben ihren Unterstützungswohnsitz mindestens seit zwei Jahren hier erworben haben, Unterstützung, Verpflegung oder Unterkommen zu gewähren.
Der Verein übernimmt die Verpflichtung, jede von ihm selbst angeordnete Verpflegung in rituell jüdischer Weise zu gewähren und dabei möglichst die diesbezüglichen Anschauungen der zu Verpflegenden zu berücksichtigen."         

   
Über die Arbeit des "Israelitischen Hilfs-Vereins" (1892)      

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 17. März 1892: "Mainz. Der seit ¾ Jahren in Wirksamkeit getretene 'Israelitische Hilfs-Verein' dahier, der die Bestimmung hat, arme, durch Altersschwäche, Krankheit, Gebrechen und andere Zufälle erwerbsunfähig, gewordene Angehörige der hiesigen israelitischen Gemeinde zu unterstützen, zählt bereits 263 Mitglieder, die sich zur Zahlung von Jahresbeiträgen von dem Minimalsatze von Mark 12 anfangend bis zu Mark 40 und in einzelnen Fällen bis zu Mk. 100 bereit erklärten. Welche Wohltat der Verein in unserer Gemeinde ist, ergibt sich schon daraus, dass der Vorstand in der Lage war, sich für fortwährende Monatsunterstützungen pro 1892 für den Betrag von ungefähr Mk. 3.000 zu verpflichten. Andererseits ist es dringend notwendig, wenn der Vorstand auch ferner eine umfassende segensreiche Wirksamkeit entfalten und was er erstrebt, alle seitherigen privaten Unterstützungsvereinigungen übernehmen soll, dass weitere Mitglieder mit namhaften Beiträgen dem Vereine beitreten. Das Vereinsvermögen beträgt 11.483 Mk. 98 Pf., hiervon sind 3.668 Mk. 50 Pf. Auszuscheiden, welche als Pfründner- und Krankenhaus-Fonds getrennt verwaltet werden. 
Der derzeitige Vorstand besteht aus den Herren: Bernhard Albert Mayer, Eduard Simon, Joseph Heidenheimer, Leopold Oppenheim, Dr. Max Löb, Dr. Benedict Hessdörffer, Hugo Bondi sr. , Martin Moritz Nathan Philipp Reis."
Anmerkung: - Bernhard Albert Mayer: https://www.geni.com/people/Bernhard-Mayer/6000000031492887587 
       

  
50-jähriges Bestehen des "Israelitischen Vereins zur Unterstützung und Erziehung mittelloser Waisen" (1903)       

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 25. Mai 1903: "Mainz, 24 Mai. Der 'Israelitische Verein zur Unterstützung und Erziehung mittelloser Waisen' feiert das Fest seines 50jährigen Bestehens. Der Verein hat während dieser 50 Jahre im Ganzen 178 Mainzer Kinder unterstützt und für deren Erziehung und Verpflegung 220.813 Mk. aufgewendet. Zur Zeit sind 31 Kinder in der Obhut des Vereins.
Sämtliche übrigen Mainzer jüdischen Wohltätigkeitsvereine waren durch Deputationen bei der heutigen Generalversammlung im Gemeindehause vertreten und überbrachten Glückwünsche. Der Präsident der Israelitischen Gemeinde, Herr Justizrat Dr. Ferdinand Philipp Mayer, warf in einer Ansprache einen Rückblick auf die halbhundertjährige Wirksamkeit des Vereins und zeigte, wie viel Segen er der hiesigen Glaubensbrüderschaft gebracht. Herr Rabbiner Dr. Salfeld feierte ebenfalls den Verein in längerer gehaltvoller Rede. Herr Bertram Bondi sprach im Namen der Israelitischen Religionsgesellschaft und schlug vor, statt des ausscheidenden Herrn Josef Reinach den bekannten Philanthropen Herr Bankier Eduard Simon in den Vorstand neu zu wählen; es erfolgte dessen Wahl seitens der Mitglieder mit Stimmeneinheit. Der Saal, in dem die Feier stattfand, war mit Blumen aufs Schönst verziert. Auch uns sei es gestattet, dem Verein ein kräftiges Masseltof zuzurufen."  
Anmerkungen: - Rabbiner Dr. Salfeld: https://de.wikipedia.org/wiki/Siegmund_Salfeld   http://steinheim-institut.de:50580/cgi-bin/bhr?id=1537 
- Bertram Bondi: https://www.geni.com/people/Baruch-Bondi/6000000003308263956 
- Masseltof: https://de.wikipedia.org/wiki/Masel_tov           

    
Bericht über den "Israelitischen Hilfsverein" (1904)     

Mainz Israelit 25021904.jpg (67960 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 25. Februar 1904: "Mainz. (Israelitischer Hilfsverein). Die Zahl der Vereinsmitglieder vermehrte sich leider nur um 2, da den neu in den Verein eingetretenen 14 Personen eine Anzahl von 12, durch Wegzug oder Todesfall ausgeschiedenen gegenübersteht. Um Jahresschluss betrug die Zahl der Vereinsmitglieder 372. An Unterstützungen mussten an die ständig vom Verein unterstützten Personen, trotzdem sich dieselben gegen das Vorjahr um sechs verminderten, 415 M. mehr wie vorher gezahlt werden, dagegen hat sich der Betrag der einmaligen und periodischen Unterstützungen um etwas verringert.
Von dem Testamentsvollstrecker des verstorbenen Gustav Hirsch wurde aus dessen Nachlass dem Verein die Summe von 50.000 M. überwiesen, wogegen er die Verpflichtung übernahm, die Zinsen an vertragsmäßig bestimmte Personen bis deren Ableben auszuzahlen."        

   
 51. Jahresbericht des "Israelitischen Vereins zur Unterstützung und Erziehung mittelloser Waisen" (1904)      

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 21. April 1904: "Mainz. Dem 51. Jahresbericht des Vereins zur Unterstützung und Erziehung mittelloser Waisen der Israelitischen Religionsgesellschaft dahier, entnehmen wir:
Die vielen Glückwünsche der Gemeinde, der Religionsgesellschaft und sämtlicher Wohltätigkeitsvereine anlässlich der 50. General-Versammlung haben gezeigt, welcher Würdigung und großen Anerkennung sich unser Verein in allen Kreisen erfreut. Die Zahl unserer Pfleglinge war im abgelaufenen Jahre 31 und können wir wiederum zu unserer großen Genugtuung mitteilen, dass wir nach den Berichten unseres verehrten Damenpflegschaftsrates, wie nach eigener Anschauung, mit der Entwicklung zufrieden sein können. Die Verpflegungskosten betrugen Mk. 7.415.50, an Geschenken und Vermächtnissen gingen Mk. 3.887 ein und sagen wir den mildtätigen Gönnern und geehrten Mitgliedern nochmals warmen Dank.
Von dem Testamentsvollstrecker des verstorbenen Herrn Gustav Hirsch wurde aus dessen Nachlass unserem Vereine die Summe von Mk. 50.000 überwiesen, wogegen wir uns verpflichten, die Zinsen an durch Vertrag bestimmte Personen bis zu deren Ableben auszuzahlen."      

     
9. Jahresbericht über den "Verein zur Beschränkung des Wanderbettels in Mainz" (1904)     

Mainz Israelit 30051904.jpg (134723 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 30. Mai 1904: "Mainz. Den neunten Bericht über den 'Verein zur Beschränkung des Wanderbettels in Mainz' entnehmen wir:
Wir haben das befriedigende Bewusstsein, dass es uns gelungen ist, den 'Verein zur Beschränkung des Wanderbettels', zu einem wichtigen Organ der hiesigen Armenpflege auszugestalten und wir haben das eifrige Bestreben, das uns vorgestreckte Ziel in bisheriger erfolgreicher Weise weiter zu verfolgen. Wir konstatieren, dass der Wanderbettel gegen früher bedeutend abgenommen und das sogenannte Schnorrertum in den Häusern kaum mehr zu spüren ist.
Leider haben wir zu berichten, dass der Vorsitzende und Mitbegründer des Vereins, Herr Kommerzienrat Martin Mayer, uns im verflossenen Vereinsjahre durch den Tod entrissen wurde. Wir verlieren in dem Dahingeschiedenen einen hochgeschätzten Kollegen und eifrigen Förderer unserer Bestrebungen. Sein Name und seine Verdienste um den Verein werden bei uns ewig unvergessen sein.
Zum Andenken an den teuren Verstorbenen haben uns seine Hinterbliebenen ein Geschenk von Mk. 1.000 gespendet, dessen Zinsen alljährlich am Todestage an Bedürftige verteilt werden sollen.
Die Anzahl der Mitglieder betrug am 1. April 1904 183, hierzu eingetreten 1. An Mitgliederbeiträgen gingen 4.154 und an Geschenken Mk. 1150 ein.
Es sind verausgabt worden vom 1. April 1903 bis 31. März 1904: 1.682 Unterstützungen M. 1.916,60, 4 außerordentliche Unterstützungen Mk. 220, für Fahrscheine Mk. 886,30, 155 Posteinzahlungen nach auswärts Mk. 947. Zusammen Mk. 3.669.90. Per Kopf durchschnittlich Mk. 2,15 ca. Abgewiesen wegen Unwürdigkeit wurden 26 Personen." 
Anmerkung: Kommerzienrat Mayer: Martin Mayer war Inhaber der gleichnamigen Silberwarenfabrik in Mainz.
          

 
Chanukkafest der Rhenus-Loge (1908)    

Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 24. Dezember 1908: "Mainz, 20. Dez. Heute feierte im großen Konzertsaal der Liedertafel die Rhenus-Loge ihr Chanukafest. Die Eingeweihten hatten wirklich Angst davor, denn in den Proben sah’s schauerlich aus, zuletzt wurden gar noch Mitwirkende krank, sodass wir uns mir Recht noch mehr fürchteten. Unsere Beklemmung wuchs noch als bereits ¼ Stunde vor dem Beginn der Saal gedrängt gefüllt war. Aber alles ging wie am Schnürchen, und es wurde trotz allem Missgeschick Glänzendes geleistet.
Nach dem Anzünden der Chanukalichter und der Rede des Herrn Rabb. Dr. Salfeld betrat Fräulein Gertrude Nußbaum das Podium, um mit ihrer sehr wohlklingenden und ausgebildeten Stimme ein von Fr. Elsa Neugarten gedichtete Prolog vorzutragen. Eine Kindersymphonie von Haydn, ausgeführt von 25 Kindern , fesselte sodann den Blick des Publikums. Die Symphonie klappte vorzüglich; die Kinder waren alle sehr eifrig bei der Sache, jedoch verdienen Klavier (Marxsohn, Nußbaum) und Cello (K. Goldschmidt, F. Kallmann) ein besonderes Lob.
Ein Frankfurter Zauberer beschäftigte nun die Zuhörerschar für eine Stunde. Ihm folgte 'Das internationale Wachsfiguren-Kabinett'. Ein durch seine Erfolge – er erzählt uns u. a., dass er den Drachenorden hat und man ihm schon 6 Frauen nebst – 6 Schwiegermüttern zu Geschenke bot – überspannter Budenbesitzer (Richard Metzger) wird von seinem Diener (Karl Goldschmidt) verspottet. Nachdem beide in langem Dialog das Publikum ergötzt haben, entschließen sie sich, dem 'verehrten Publikum' endlich ihre Sehenswürdigkeiten vorzuführen. Was sich nun unserem Auge an Grazie, an Kunst der Mimik, der Deklamation und des Gesanges vergessen alle, die es sahen, sobald nicht: Nr. 1: Hänsel und Grete (Fritz Hainebach und Gertrud Kahn). Vielleicht das Beste vom Ganzen? Die Menge war begeistert über das reizende Singen der beiden Kinder. Nr. 2: Mirijams Abendgebet (Toni Metzger) wurde sehr gut vorgetragen. Nr. 3: Frl. Evchen Lebrecht sang zwar etwas befangen, aber mit einer Stimme, von der man noch viel erwarten kann, ein Couplet. Auch Nr. 4 das Gigerl (Leonhard Fulda) war befangen, aber er machte seine Sache sehr hübsch. Nachdem als 5. Nr. Trude Lebrecht und          
Mainz FrfIsrFambl 24121908e.jpg (127176 Byte) Lilly Herz einen Schäfertanz sehr lieb vor Augen geführt hatten, trug Arthur Heinemann als hessisches Bäuerlein ein formvollendetes Gedicht seines Vaters im Dialekt ganz ausgezeichnet vor. Eine Pantomime (Fritz und Erna Kahn) suchten uns zu überzeugen, wie schnell Amerika erobert wurde. Lilly Raphaelsohn brachte ein humoristisches Gedicht sehr lieb zu Gehör, auch Joseph Lipanowitsch hatte mit 'Der Kritik der Weltschöpfung' großen Erfolg. Fritz und Erna Klein trugen den 'Lustigen Ehemann' vor und ernteten reichen Beifall. 3 Nummern waren es, die über den Dilettantismus weit hinausgingen: Sophie Plaut und Leni Kronenberger im Blumentanz, Fritz und Erna Kronenberger im Ringelreih’n aus der Dollarprinzessin und Trude und Paula Neugarten in der Pikkoloszene aus dem Walzertraum. Die stumme Wachsfigur Struwwelpeter (Emmy Metzger) hat allen den erwünschten Abscheu eingejagt. Mit einer Gavotte fand der Reigen der Darbietungen sein Ende.
Zum Schluss rief man stürmisch nach Herrn Hühner vom Stadttheater und Frl. Neugarten, die alles einstudiert hatten und denen man die wochenlange Mühe ein wenig mit Klatschen lohnen wollte. - -
Das Theaterstück 'Gestalten aus Israels Vergangenheit' von Elsa Neugarten, das zur vorigen Chanukafeier hier seine Aufführung hatte, wurde im Berliner Israelitischen Waisenhaus vor 8 Tagen mit großem Beifall aufgenommen. E.G."  
Anmerkungen: Karl Goldschmidt: Womöglich https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de1559267
Sophie Plaut: https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de944873
Dollarprinzessin: https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Dollarprinzessin
Walzertraum: https://de.wikipedia.org/wiki/Ein_Walzertraum
Gavotte: https://de.wikipedia.org/wiki/Gavotte 
Stadttheater: https://de.wikipedia.org/wiki/Staatstheater_Mainz 
Israelitisches Waisenhaus: https://de.wikipedia.org/wiki/Jüdisches_Waisenhaus_Berlin
 

 
Gründung eines jüdischen Jugendvereins (1909)       

Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 19. November 1909:  "Mainz. Unter lebhafter Beteiligung fand hier im Köterhofsaale eine Versammlung zwecks Gründung eines jüdischen Jugendvereines statt.
Der Vorsitzende des vorher gebildeten Komitees, Herr Dr. jur. Simon hier, wies in seiner beifällig aufgenommenen Begrüßungsrede auf den Zweck und die Notwendigkeit hin, indem er u.a. ausführte, dass gerade die jüdische Jugend dazu berufen sei, durch Befestigung und Erweiterung ihrer Anschauungen sich zu den – im späteren Lebenskampfe unbedingt notwendigen – Persönlichkeiten zu erziehen. Er schloss mit der Erwartung, dass die Bestrebung auch hier in Mainz auf fruchtbaren Boden fallen möchte.
Herr Dr. Löffler – Referent des Abends und Vorstandsmitglied des Montefiore-Vereins Frankfurt  – konnte wohl kein besseres Thema gewählt haben als die Einrichtung und Erfolge des vorbildlichen Frankfurter Vereins zu schildern. Mit Spannung folgte ein Jeder seinen Worten, die einen glänzenden Beweis erbrachten, wie nach jeder Richtung hin segensreich und ideal ein derartiger Verein sich bestätigen kann.
Die darauf folgende Diskussion, in welcher von den verschiedenen Seiten lebhaft eingegriffen wurde, führte mit zu dem schönen Ergebnis, dass 86 Herren ihren Beitritt erklärten, welche Zahl ungefähr 75 % der Erschienenen ausmachte.
In einem Schlusswort erkannte Herr Dr. Löffler lobend die Begeisterung der Versammlung und den großen Erfolg an und schloss mit den Wunsche, dass der Mainzer Verein recht bald zu den führenden gezählt würde."        

  
100 Jahre Israelitischer Krankenverein (1911)     

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 6. Januar 1911: "Mainz, 29. September. Am 15. Kislew waren 100 Jahre verflossen, dass eine Anzahl wackerer Männer den Dritten Israelitischen Krankenpflegeverein ins Leben gerufen haben. Es waren Männer aus dem nahen Vorort Bretzenheim, die kurz vorher in unsere Stadt gezogen waren und aus diesem Grunde enthält die Festschrift, die der Verein jetzt herausgegeben hat, auch einen Rückblick auf die Geschichte der Juden in Bretzenheim. Nach einer Notiz aus dem Jahre 1517 empfing bereits in früheren Jahrhunderten der Erzpriester, wenn er das Sendgericht zu Bretzenheim abhielt, von jedem Juden einen Goldgulden. 1784 erhielten die Juden vom Kurfürsten das Recht, liegende Güter zu erwerben. Die Schrift enthält eine Fülle hierauf bezüglichen interessanten Materials, es würde uns aber zu weit führen, wollten wir auch nur kurz auf den Inhalt näher eingehen. Die Schrift hat Herrn Oskar Lehmann zum Verfasser, der seit einer längeren Reihe von Jahren in diesem Verein allsabbatllich mit großem Beifall aufgenommene religiöse Vorträge hält. Auch die Geschichte des Vereins selbst, die in der Festschrift niedergelegt ist, ist insofern für weitere Kreise bemerkenswert, als sie kurze Biografien der früheren Vereinsrabbiner mitteilt. Ein Festgottesdienst bildete die würdige Einleitung der Feier. Nach Absingung von Choralgesänge und der Rezitierung von Psalmen, gedachte man der Gründer mit einem Haskarat Neschamoth-Gebete, worauf Herr Lehmann folgende Ansprache hielt: Abraham wunderte sich – führte er aus – dass er zu 100 Jahren noch einen Sohn erhalten solle, so wunderte sich auch mancher, dass dieser alte Verein noch existiere, aber gerade in seinem Alter liegen die Wurzeln seiner Kraft, wie überhaupt in dem Alter der jüdischen Vereine der Stolz des Judentums liege. Denn lange bevor man in nichtjüdischen Kreisen an Krankenversicherungen, Arbeitslosenunterstützung, Invaliditätsversicherung dachte, ist dieser Gedanke in jüdischen Kreisen in die Wirklichkeit umgesetzt worden, auch hier ist der jüdische Geist der Kultur der übrigen Welt vorausgeeilt. Isaak erntete das Hundertfache und verteilte es an hundert Stadttoren, so auch der Mainzer Verein: Was er in 100 Jahren einnahm, verteilte er an 100 Türen der Armen. Wechselgesang einiger Psalmen und Choralgesang schlossen diese Feier, bei der die Rabbinate und Vorstände der beiden Mainzer Gemeinden vertreten waren. Ein Festessen, das am folgenden Tage stattfand, verlief in animiertester Stimmung; es wurden viele geistreiche Worte gesprochen und anerkennende Schreiben der staatlichen und städtischen Behörden verlesen. Auch die jüdischen Schwestervereine, Logen usw. sandten herzliche Glückwunschschreiben.
Anmerkungen: -  Kislew: https://de.wikipedia.org/wiki/Kislew
Oskar Lehmann: Sohn von Rabbiner Markus Lehmann https://de.wikipedia.org/wiki/Marcus_Lehmann
Haskarat Neschamoth: https://www.jewiki.net/wiki/Haskarat_Neschamot       
  

 
Gründung einer Ortgruppe des "Centralvereins" (1911)     

Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 12. Mai 1911: "Mainz. Gestern wurde in einer Versammlung jüdischer Männer und Frauen hier eine Ortsgruppe des 'Centralvereins Deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens' gegründet. Nachdem Rabbiner Dr. Saalfeld die Versammlung eröffnet hatte, schilderte Dr. Mainzer Frankfurt a. M., die trostlose Lager der deutschen Juden seit dem Entstehen des Antisemitismus. Dr. Hollaender – Berlin gab in temperamentvoller Weise ein Bild der zersetzenden Wirkung der Judentaufen und zeigte die Notwendigkeit der Organisation. Beide Redner forderten Stärkung des jüdischen Selbstbewusstseins und Organisation.  W."
Anmerkungen: -  Centralverein Deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens: https://de.wikipedia.org/wiki/Central-Verein_deutscher_Staatsbürger_jüdischen_Glaubens
-  Rabbiner Dr. Saalfeld: https://de.wikipedia.org/wiki/Siegmund_Salfeld 
      

  
Chanukkafest der zionistischen Ortsgruppe (1911)     

Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 22. Dezember 1911: "Mainz. Die hiesige zionistische Ortsgruppe ist aus ihrem Sommerschlaf erwacht. Dienstag, den 19. Dezember, schlug sie, um bei dem vorhin gebrauchten Bilde zu bleiben, zur 'Feier des Chanukkafestes' die Augen auf und entdeckte viele, die nicht da waren.
Nachdem der 2. Vorsitzende, Herr Lazarus, dem Andenken Justizrats Dr. Loeb, dessen verdienstvolles Wirken für die Judenheit den weitesten Kreisen bekannt sein dürfte – die Frankfurter seien bei dieser Gelegenheit an seine eindrucksvolle Rede anlässlich des hier stattfindenden 'Verbandstag der deutschen Juden' erinnert – einige Worte gewidmet hatte, hielt der 1. Vorsitzende, Herr Bloch, ein Referat über den letzten Basler Kongress. Reicher Beifall lohnte seine interessanten und klaren Ausführungen.
Darauf gedachte man des Chanukkafestes durch gemeinsames Singen von 'Maous zur Jeschuosi'. Gesangsvorträge von Herrn London, deklamatorische Vorträge von Frl. Lochat und Klaviervorträge von Frl. Lazarus trugen zur Belebung des Abends bei. Leider gab die sehr geringe Beteiligung wieder ein Zeugnis von der Indifferenz der hiesigen Juden!"
Anmerkungen: -  Justizrat Dr. Loeb (weitere Informationen über Link)  
- Maous zur Jeschuosi: https://de.wikipedia.org/wiki/Maos_Zur 
      

 
Veranstaltung der Agudas Jisroel und Gründung einer Mainzer Ortsgruppe (1912)     

Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 6. September 1912: "Mainz. Hier fand eine Propagandaversammlung der Agudas Jisroel statt, die sehr zahlreiches Publikum im Bankettsaale der 'Liederhalle' zusammenführte.
Das Referat erstattete Rabbiner Dr. Bondi – Mainz, der in dreiviertelstündiger Rede die Grundgedanken der Agudas Jisroel entwickelte die auf der einen Seite die Hebung der Tora in den westlichen Ländern und andererseits die wirtschaftliche Besserstellung der östlichen Juden zu verwirklichen habe. Redner schildert die begeisternde Konferenz in Kattowitz, die auf jeden Besucher einen unauslöschlichen Eindruck hinterlassen habe und fordert in warmen, zu Herzen gehenden Worten zum Beitritt zur Mainzer Ortsgruppe auf, die unter begeisterter Zustimmung als begründet erklärt wurde.
In kurzen Worten begrüßt noch L. Perlmutter Frankfurt a. M. - die neue die neue Ortsgruppe. In die aufliegenden Listen zeichneten sich sofort etwa 70 Mitglieder ein. In den Vorstand wurden gewählt: Rabbiner Dr. Bondi, J. Kahn, Dr. Schlesinger, J. Fulda.
Anmerkung: Agudas Jisroel: https://de.wikipedia.org/wiki/Agudath_Israel_Weltorganisation        

  
Vermächtnis für den Israelitischen Hospitalverein (1913)      

Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 5. Dezember 1913: "Mainz. Eine von hier gebürtige Frankfurter Dame hat dem Israelitischen Hospitalverein 25.000 Mk. geschenkt. Der Vorstand hat für das Geld das an das Krankenhaus anstoßende Gelände angekauft, um, wenn erforderlich, später ein neues Altersheim darauf zu errichten und den Anstaltsgarten zu vergrößern."         

  
Versammlung des "Israelitischen Humanitätsvereins Mainz" (1915)     

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 18. März 1915: "Mainz, 12. März. Der 'Israelitische Humaitätsverein Mainz', bestehend aus einer großen Anzahl österreichischer und russischer Staatsangehöriger, veranstaltete am Sonntag abend eine Versammlung, zu der sich eine zahlreiche Zuhörerschaft einfand. Der Vorsitzende des Vereins, Herr Siegmund Biener, eröffnete die Versammlung mit einer Ansprache, in der er die Leiden der jüdischen Kriegsopfer schilderte und im Namen aller in Deutschland lebenden russischen Jude gegen die im Zarenerlasse an die Juden enthaltenen unverschämten Lügen Verwahrung einlegte. 
Nach einem Gottesdienst, in welchem der endgültige Sieg der deutsch-österreichischen Waffen erbeten wurde, wurde eine Sammlung für den Hilfsfonds für Polen und Galizien eingeleitet, die den Betrag von 500 Mark erreichte."       

  
Aus der Arbeit der "Leopold-Goldschmidt'schen Stiftung zu Mainz" (1915)     

Mainz Israelit 29041915c.jpg (203437 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 29. April 1915: "'In der jüngsten Nummer des 'Schulboten für Hessen' findet sich das folgende Anschreiben 'Leopold Goldschmidt’sche Stifung zu Mainz'. Zweck der Stiftung ist: 'Im Gebiet der Provinz Rheinhessen und namentlich in den Landgemeinden angestellten Schullehrern oder Lehrerinnen, welche sich durch Berufstreue bewährt haben, Gratifikationen zukommen zu lassen.' Anmeldungen usw.
Die hessischen Volksschullehrer werden zwar ganz anständig bezahlt. Ihr pensionsfähiges Einkommen beträgt auf dem kleinsten Gehöft 4.100 Mk. (3.100 Mark Gehalt und 300 Mark Wohnungsgeldentschädigung. Dazu kommt noch das Honorar für den Organistendienst (2.300 Mk.) und für den obligatorischen Fortbildungsunterricht (ca. 200 Mk, pro Jahr). Aber die Stiftung ist darum doch nicht überflüssig und wir sind stolz darauf, dass ein Glaubensgenosse sie ins Leben gerufen. Der Beruf der Volksschullehrer ist anstrengend und aufreibend und es tut ihnen wohl, wen ihre Berufstreue neben dem stattlichen Gehalt und der gesicherten Lebensstellung auch von privater Seite durch ein äußeres klingendes Zeichen der Anerkennung belohnt wird.
Und nun die Kehrseite der Medaille. Die jüdischen Religionslehrer auf dem Lande und in den kleinen Städten arbeiten für wahre Hungerlöhne. Das Großherzogtum Hessen erfreut sich bekanntlich des traurigen Ruhms, seine Religionslehrer materiell und rechtlich am schlechtesten unter allen deutschen Staaten zu stellen, und von den drei hessischen Provinzen sind die in Rheinhessen am übelsten daran, denn dort ist die Lebenshaltung der Bevölkerung auch auf dem Lande verhältnismäßig hoch. Wein bei fast jeder Mahlzeit! - und ihr stehen die niedrigsten Gehalte – von 360 Mk. pro Jahr, nicht etwa pro Monat anfangend – gegenüber! Es trifft bei diesen Landlehrern auch nicht zu, dass sie mehr auf 'gute Behandlung' als auf hohen Lohn sehen. Wir haben vor nicht langer Zeit an dieser Stelle eine ganze Anzahl krasser Fälle veröffentlicht und gezeigt, wessen sich ein Religionslehrer in Hessen zu versehen hat. Wir können heute noch mit einigen aus der Krieg unsere Vorstände nicht milder stimmt, aber wir wollen es, weil zwecklos, besser unterlassen. Die jüdischen Lehrer halten trotz allem und allem wacker aus und an Berufstreue stehen sie ihren christlichen Kollegen wahrlich nicht nach. Sie wird auch auf Lehrerkonferenzen von Justiz und Kommerzienräten sowie sonstigen Inhabern kultusgemeindlicher Ehrenstellen gebührend anerkannt. Leider findet sich aber kein Glaubensgenosse, der wie der brave Leopold Goldschmidt aus Mainz, den schönen Worten auch die brave Tat folgen lässt. Es wird noch sehr, sehr lange dauern, bis sich in jüdischen Blättern an die jüdischen Religionslehrer gerichtete Ausschreiben finden, ähnlich dem im 'Schulboten für Hessen'."      

  
Aus der Arbeit der Agudoh-Mädchengruppe (1928)  

Mainz Israelit 26041928.jpg (106764 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 26. April 1928: "Mainz, 15. April. Unsere Agudoh-Mädchengruppe hatte in letzter Zeit durch Wegzug einiger eifriger und tatkräftiger Mitglieder eine Einbuße zu verzeichnen. Da diese Wegzüge infolge Verheiratung entstanden sind, mussten wir frohe Miene zu diesem Spiel machen. Dank der unermüdlichen Tätigkeit unserer Ehrenpräsidentin, Frau Rabb. Dr. Bondi, erlahmte dennoch die Tätigkeit unserer Gruppe keineswegs. Selbst von unbeschreiblichem Eifer und Energie beseelt, versteht es unsere Ehrenpräsidentin, diesen Eifer auch auf die Vorstands- und Vereinsmitglieder zu übertragen und auch bei diesen die Liebe für die Agudoharbeit zu erwecken und entfachen. Allwöchentlich vereinigen die Lernvorträge des Rabbinners Dr. Bondi die Mitglieder miteinander. Bei der lehrreichen und anziehenden Weise dieser Vorträge ist es selbstverständlich, dass sie sehr eifrig besucht werden. Unter der bewährten und talentvollen Regie von Frau Dr. Bondi entfalten sich die Veranstaltungen unserer Gruppe bei den verschiedenen Anlässen zu Glanzleistungen der Kunst und Agudohgemütlichkeit. Die demnächst stattfindende Generalversammlung wird daher über ein Jahr befriedigender Tätigkeit berichten können."      

 
Über die Ortsgruppe der Agudas Jisroel in Mainz (1937)   

Mainz Israelit 25031937.jpg (134173 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 25. März 1937: "Von der Agudas Jisroel-Ortsgruppe Mainz
Mit Befriedigung kann unsere Ortsgruppe auf die in diesem Winter geleistete Arbeit zurückblicken. Außer den üblichen Schiurim hatte sie sich angelegen sein lassen, durch Vorträge hiesiger und auswärtiger Redner die Idee und die Ziele der Aguda einem größeren Kreise zugänglich zu machen und außerdem Belehrung und Ermahnung damit zu verbinden. Unser verehrter Herr Rabbiner Dr. M. Bamberger sprach an zwei Abenden über 'Rückwanderung nach Erez Israel in früheren Jahrhunderten' und ließ dabei das Golusleid und Golusschicksal an unserem geistigen Auge vorüberziehen. Herr Landesrabbiner i. R. Dr. Lewinsky, Mainz, gab in seinem Referate 'Goethe und die Bibel', eine interessante literarische Studie. Herr Rabbiner J. Mayer, Frankfurt, brachte in seinem Vortrage 'Zeitgebundene Gebote' eine lehrreiche Darstellung zu obigem Thema und fesselte uns durch die wunderbare Art seiner Diktion. Herr Zahnarzt Dr. Ehrmann, Frankfurt, begeisterte seine zahlreiche Zuhörerschar mit seinem Vortrage: 'Die Aussage der Aguda-Vertreter vor der Königl. Kommission in Palästina' und durch die Art und Weise, wie er von hoher Warte aus die agudistische Position im Heiligen Land darstellte. Schließlich gab Herr Rabbiner Dr. Merzbach, Darmstadt, in seinen Vorträgen: 'Moderne Probleme in Erez Israel aufgrund altjüdischer Forschungsweise' noch einmal dem Primat der Tora in allen Lagen des Lebens beredten Ausdruck. Möge die Arbeit, die die bewährten Herren Redner geleistet haben, ihren Lohn darin finden, unserer Ortsgruppe weitere Freunde zuzuführen.
Anmerkungen: - Schiurim: Mehrzahl von Schiur https://de.wikipedia.org/wiki/Schi'ur
- Erez Israel: https://de.wikipedia.org/wiki/Eretz_Israel
- Golus: https://de.wikipedia.org/wiki/Jüdische_Diaspora
- Agudistisch: eine Strömung des orthodoxen Judentums
- Rabbiner Dr. Merzbach: https://www.geni.com/people/Julius-Jona-Merzbach/6000000000151813774   
    

   
    
    
Sonstiges   
Sonderausgabe zu Mainz in der Zeitschrift "Menorah" (1927) 
Hinweis: die Sonderausgabe bzw. die einzelnen Beiträge können eingesehen werden unter www.compactmemory.de

Mainz Menorah 1927 Uebersicht.jpg (403972 Byte)Inhaltsverzeichnis des Heftes 12 der Zeitschrift "Menorah" Dezember 1927 unter "Magenza"  :  
- Mendele Mocher Sforim. Zu seinem zehnten Todestag am 8. Dezember. S. 699-700.
- Text aus dem Martyrologium des alten Mainzer Memorbuches. um 1250. S. 701.
- Grabstein des Maharil (gest. 1427) auf dem Wormser alten Judenfriedhof. (Fotografie). S. 702.
- Grabsteine vom Denkmalfriedhof. S. 703-704.
-  Scheni ... (Scheniur 540?). (Fotografie des Grabsteins). S. 703.
Jakob Bar Menachem. gest. 1084. (Fotografie des Grabsteins). S. 703.
Schimon ben Jizchok. um 1100. (Fotografie des Grabsteins). S. 703.
Rabbenu Gerschom. 960-1028. (Fotografie des Grabsteins). S. 704.
Jakob ben Jakar. gest. 1064. (Fotografie des Grabsteins). S. 704.
Meschullam ben Kalonymos. vor 1000. (Fotografie des Grabsteins). S. 704.
Sonderheft Magenza. Zur Einführung. S. 705-717.
Rabbiner aus dem Gemälde "Die Tempelpredigt". Nach einem mittelrheinischen Meister des 15. Jh. S. 711.
Siegelabzug des Erzbischof-Kurfürsten Konrads III. 1419-1434. S. 715.
Der alte Friedhof. S. 718-728.
Plan des alten Judenfriedhofes von einem Kurmainzer Geometer. 1779. S. 723.
Privileg des Erzbischofs Gerhard II vom 18. Juni 1295. S. 728.
Wie gelangte Mainz zur Herrschaft über die Juden der Stadt?. Privileg vom 18. Juni 1295. S. 729-734.
Säulen und Pfeiler vom Fenster des sogenannten Kalonymos-Hauses. S. 735.
Das Haus des Kalonymos und der Reichtum des Humbert zum Widder. S. 735-743.
Gesamtansicht des Fensters am sogenannten Kalonymos-Hause. S. 739.
Mainz [Stadtansicht]. (Stich). S. 744.
Mainz und seine Kunst zur Zeit Maharils. S. 744-746.
Einige Aktenstücke aus der Franzosenzeit, die Mainzer Juden betreffend. S. 747-751.
Berufung des Rabbiners Seligmann Landau zum großen Sanhedrin Napoleons. S. 747.
Das Judenbad von 1684 bis zum Jahre 1811 und der Entwurf von Henrion .... S. 749.
Plan des Judenviertel [Mainz]. 1813. S. 750.
Entwurf ... für den Neubau der Synagoge [Mainz]. S. 751.
Dr. Josef Hamburg. Ein jüdischer Arzt in Mainz zur Kurfürstenzeit. S. 752.
Mainzer Redensarten. S. 752.
Blick in das Ghetto. Hintere Synagogengasse. S. 753.
Blick in das Ghetto. Vordere Synagogengasse. mit der 1853 errichteten Synagoge. S. 753.
Thoraschreinvorhang der isr. Gemeinde. (Fotografie). S. 754.
Außenansicht der alten Synagoge von 1853 [Mainz]. (Radierung). S. 755.
Von den Judengassen. S. 755-756.
Hauptsynagoge, eingeweiht 1912 [Mainz]. (Fotografie). S. 757.
Die israelitische Gemeinde Mainz in der Neuzeit. Darstellung auf Grund der Gemeindeakten. S. 757-766.
Mainz Menorah 1927 Uebersichtb.jpg (203209 Byte) Blick in die Synagoge der Religionsgesellschaft [Mainz]. (Fotografie). S. 759.
Hauptsynagoge [Mainz]. Innenraum von der Empore gesehen. (Fotografie). S. 761.
Rabbiner Dr. E. B. Cahn. (Porträt). S. 762.
Rabbiner Dr. Josef Aub. (Porträt). S. 763.
Rabbiner Dr. Marcus Lehmann. (Porträt). S. 764.
Rabbiner Prof. Dr. Sigmund Salfeld. (Porträt). S. 765.
Beschneidungsschälchen aus dem 16. Jahrhundert. S. 767.
Ein Gang durch das Museum Jüdischer Altertümer. Historische Sammlung der israelitischen Gemeinde Mainz. S. 767-784.
Schuld-Urkunde von 1765 mit dem Gemeindesiegel .... S. 768.
Aus dem Silberschatz der Israelitischen Gemeinde. Thorakrone. S. 771.
Aus dem Silberschatz der Israelitischen Gemeinde. Thoraschild. S. 771.
Thoraschild. Aus dem Silberschatz der israelitischen Gemeinde. S. 772.
Barockterrinen der Beerdigungsbruderschaft. Schenkung des H. Reinach, 1798. S. 772.
Ecke aus der historischen Sammlung des Vereines zur Pflege jüdischer Altertümer. (Fotografie). S. 775.
Ecke aus der historischen Sammlung des Vereines zur Pflege jüdischer Altertümer. (Fotografie). S. 777.
Erinnerungsblatt für den Mameluck Isaac Herz. der den Feldzug Napoeleons I. 1808-1814 begleitete. S. 783.
Mainz Menorah 1927 Uebersichtc.jpg (58747 Byte) Zu den Bildern. S. 784.
Die Judenwache. Abgerissen. S. 785.
Das Judenviertel um 1860 [Mainz]. S. 785-789.
Frau Emil Rathenau geb. Nachmann. Mutter Walter Rathenaus. (Porträtfoto). S. 786.
Becher des Mainzer Krankenvereines. des älteren. S. 787.
Ludwig Bamberger. (Porträt). S. 788.
Moses Kannstadt. Deputierter der Gemeinde Mainz beim Großen Synhedrion. (Porträt). S. 789.
Mainzer Minhogim. S. 790-791.
Alte Mainzer Synagogen-Gesänge. S. 791.
Jaaleh. nach Mainzer Weise. S. 792-793.
Originale und Redensarten in der Judengasse. Zusammengetragen von einem alten Mainzer. S. 794-796.
Hochzeitszug, Vordere Synagogenstraße [Mainz]. (Tondo; Rundbild). S. 795.
Judaica im Stadtarchiv und in der Stadtbibliothek [Mainz]. S. 797-803.

  
Aufhebung der "Judenwache" (1863)     

Mainz Israelit 27051863.jpg (189368 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 27. Mai 1863:  "Mainz, den 15. Mai. Die Umwandlung der alten Zustände ist eine allmähliche und die Zeichen der Zeit ist die Aufhebung der sogenannten Judenwache in hiesiger Stadt, die sich fast unmerklich vollzogen hat. Mit dieser hat es folgende Bewandtnis:
Kurfürst Johann Philipp (starb zu Würzburg 1673) hatte die Umbach, welche ehemals durch Mainz in den Rhein floss, trocken legen und die Ufer derselben, die früher Bleichgärten waren, in Straßen (die drei Bleichen) umwandeln lassen. Die Stätte aber, wo früher die Umbach floss, blieb feucht und namentlich war es eine bestimmte Stelle, die nicht gut trocken zu legen war. Dadurch fehlten die Kommunikationsstraßen ins Innere der Stadt; um diese herzustellen, befahl der Kurfürst im Jahre 1662, dass die Mainzer Israeliten ihre Wohnungen und ihre Synagoge im Innern der Stadt aufgeben und sich in der schlechtesten Gegend, wo bisher eine Schwemme für die Schweine gewesen war, in abgesperrten Judengassen ansiedeln wollten. Diese Verordnung blieb zwar im Jahre 1662 unausgeführt, wurde aber Anno 1671 wiederholt. Damals waren unsere armen Vorfahren gezwungen, ihre gesunden und bequemen Wohnhäuser im Innern der Stadt aufzugeben; auf dem Platze, wo die damalige Synagoge stand, wurde im Jahr 1686 von dem Kurfürsten Anselm Franz von Ingelheim, der Ingelheimer Hof gebaut*). Der neuentstandenen Judengassen waren zwei (nebeneinander), die offene und die geschlossene. Die geschlossene hatte an jedem Ende Tore, welche an christlichen Sonn- und Festtagen geschlossen wurden; daher der Name. In den Eingang der offenen Judengasse wurde ein Wachthaus gebaut. Dieses hatte einen doppelten Zweck: Erstlich, jede Passage mit Fuhrwerken zu hindern; und zweitens die Juden vor etwaigen Angriffen des Pöbels zu schützen. Dies ist die sogenannte Judenwache.
Im Jahre 1798 , nachdem sich die Franzosen der Stadt bemächtigt hatten, wurden die Tore der geschlossenen Judengasse in feierlicher Weise unter Musik und festlichen Reden entfernt, die Gasse selbst trägt seit einigen Jahren den Namen 'Synagogengasse'. Das Wachhaus steht aber noch und war bis vor wenigen Wochen von kaiserlich königlich österreichischem Militär besetzt. Seitdem ist die Wache ganz geräuschlos aufgehoben und das Haus an einen Schlosser vermietet worden, der es gestern bezogen hat.
*) Dieses palastähnliche Gebäude befindet sich wieder in jüdischen Händen und zwar im Besitze des Herrn L. Strauß Söhne in Mainz.
Anmerkungen: - Umbach: https://de.wikipedia.org/wiki/Bleichenviertel
- Kurfürst Johann Philipp: https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Philipp_von_Schönborn
- Kurfürst Anselm Franz: https://de.wikipedia.org/wiki/Anselm_Franz_von_Ingelheim_(1634-1695)
- Judenwache: Station 3 https://landesmuseum-mainz.de/de/angebote-programm/digitale-angebote/stadtspaziergang/
        

 
Das antisemitische Blatt "Wucherpille" ist eingegangen (1886)     

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 6. Juli 1886: "Mainz, 25. Juni. Zur 'Unterstützung der antisemitischen Bewegung' wurde vor etwa 2 Jahren hier ein sich 'Wucherpille' nennendes Blatt gegründet, das mit wenig Witz und viel Behagen gewissenhaft jedes Verbrechen und Vergehen registrierte, das auf irgendeinem Winkel des Erdballs von einem Israeliten begangen ist oder begangen sein soll. Trotz verschiedener Zuwendungen bei der letzten Reichstagswahl wurden ihm von dem bekannten flüchtigen Ehrenmann Kinsberger bedeutende Beiträge als Lohn für die für Herrn von Schauß betriebenen Agitation zugewendet – ist das edle Blatt wegen Mangel an Abonnenten und Subsistenzmitteln heute sanft entschlafen. Sein Herausgeber und Redakteur empfiehlt sich jetzt als öffentlicher Schreiber zum Abfassen von Bittschriften und Gelegenheitsgedichten."      

    
Gründung des Vereins der israelitischen Lehrer des Großherzogtums Hessen in Mainz (1890)       

  Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 13. Juni 1890:  "Aus Rheinhessen, 6. Juni (1890). Gestern fand im israelitischen Gemeindesaale in Mainz die Gründung eines Vereins der israelitischen Lehrer des Großherzogtums Hessen statt. Es waren ungefähr 35 bis 40 Lehrer und die Herren Rabbiner Dr. Salfeld aus Mainz und Dr. Stein aus Worms anwesend. Zum Vorsitzenden wurde Herr Lehrer Klingenstein - Ober-Ingelheim gewählt. Es wurde sodann eine Kommission gewählt zum Entwurf von Stauten und eine andere zum Entwurf eines Denkschrift, welche bei der Regierung eingereicht werden und in der die traurigen Missstände, die auf dem Gebiete des Schulwesens in unserem Lande herrschen, dargelegt und die Regierung ersucht werden soll, dieselben abzustellen. Besonders erfreulich war die rege Beteiligung der beiden Herren Rabbiner an den Debatten, welche sich noch über manche Verhältnisse des religiösen Leben erstreckten, und trat hier so recht die Zusammengehörigkeit der beiden Stände, die von jeher eins im Judentum waren, wohltuend hervor. Hoffen wir, dass die Begeisterung, wie sie sich gestern für den Verein kund gab, nachhaltig wirke! Die nächste Versammlung wird in Darmstadt stattfinden. Ein gemeinschaftliches Mal mit verschiedenen Toasten folgte den Verhandlungen, und bis zum späten Abend verbrachten noch viele Besucher der Versammlung vergnügte Stunden gemütlichen Beisammenseins im goldenen Mainz. Auf ein Ergebenheits-Telegramm, das dem Großherzog gesandt wurde, traf die Antwort ein: 'Aufrichtigen Dank für die ausgesprochene Gesinnung des neuen Vereins. Ludwig.' Möge der neue Verein blühen und gedeihen!"           


Die "Judengasse" wurde vom alten Pflaster befreit und erhielt einen Asphaltbelag (1897)      

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 6. September 1897: "Mainz, 1. Sept. (Unlieb verspätet)
Wenn einer unserer Voreltern, die vor 120 Jahren hier gelebt haben, an vergangenem Tischo beav wieder erwacht und in das alte Mainzer Ghetto gekommen wäre, so hätte er glauben müssen, dass der Messias endlich angelangt und die heiß ersehnte Erlösung uns gebracht habe.
Denn an diesem jüdischen nationalem Trauertage war die Mainzer Judengasse festlich geschmückt. Hunderte von buntem Lampen erleuchteten dieselbe und mitten auf der Gasse standen Tisch an Tisch und Stuhl an Stuhl, auf welchem fröhliche Zecher saßen, welche die ganze Nacht von Samstag auf Sonntag hindurch bei Becherklang und Liedersang in ungebundenster Heiterkeit. Der geehrte Leser wird erstaunt fragen, was den mit diesem historischen Orte vorgegangen sei. Nun, es war eigentlich ein wenig bedeutendes Ereignis, das die Bewohner dieser Gasse, welche heute zum allergrößten Teile aus Nichtjuden bestehen, gefeiert haben, das aber bei dem heiteren Sinn der hiesigen Bevölkerung, welche gern jeden Anlass benutzt, um Feste zu feiern, sich recht hübsch gestaltete. Es war ein sogenanntes Pflasterfest, das hier in andern Gassen, auch schon mehrfach gefeiert wurde.
Das alte holperige, aus früheren Jahrhunderte stammende Pflaster ist entfernt worden und auf Anordnung der städtischen Behörden wurde die Straße mit hübschem Asphalt versehen. Wenn ein Nichtmainzer die Lieder lesen würde, die bei dieser Gelegenheit gedruckt und gesungen wurden, so möchte er wohl glauben, dass ein leiser, antisemitischer Zug durch die hiesige Bevölkerung gehe. Wir aber wissen, dass alle diese Scherze ganz harmloser Natur sind, die der Mainzer Jude seiner, selbst im Sommer karnevalistischen Vaterstadt nicht übel nimmt. Es sei uns vergönnt, einzelne Verse aus den Liedern hier wiederzugeben:
Vor alter Zeit war eingezwängt,
Allhier die Judenschaft
O waih, wie war sie eingeschränkt
Nach des Gesetzes Kraft
Gesperrt dort drüben durch ein Tor,
Das abends man verschloss.
Hier stand die 'Juden-Wach' davor;
Das war, was sie verdross.
Doch bald tat Freiheit ihnen winken, ein großer Mann, 'Napoleon',
Der ließ der Tore Mauern sinken, es jauchzten Kohn, Hersch, Aronsohn.           
Mainz Israelit 06091897b.jpg (105418 Byte)Dann einer nach dem andern floh,
Ach Jekuff mit seim Schatz
Aus dem Juden-Eldorado,
- Als wär’s an 'Dalles-Platz'.
In ander’em Viertel macht er nun
‘s Geschäft viel besser gar.
:,: Und sein Nachkommen längst ausruh’n
Wohl drauß’ am Boulevard. :,:
Blüht nun’s Geschäft, nu Gottes Wunder, und geht nit flau, wird’s aach nit mau,
E’ koscherer Jüd geht niemals unter, denn er ist schlau! jau, jau, jau, jau,jau
Ob Jüd, ob Christ, is’ ganz egal,
Heut bei dem Asphaltfest.
Ein Jeder freut sich sonder Wahl
Und amüsiert sich fest.
Gar deutlich tritt wohl hier zu Tag
Der Mainzer Bürgersinn,
:,: Man sieht, was Einigkeit vermag,
Schaut auf den Jubel hin. :,:
Drum haltet fest und treu zusammen, zu jeder Zeit, in Schmerz und Freud,
Und mögen finstere Wolken kommen, dann nicht verzagt, s’ kommt bess’re Zeit!
Am Schawwes gab es Bohnesupp’, uff Pessach Matzeklöß’,
Un’ Kul un’ Schalet ohne Spaß, das schmeckte gar net bös,
Un’ Milch- und Fläaschding gab es noch in jedem kosch’re Haus,
:,: Auch blies das Licht am Leuchterarm die Schawesgoje aus. :,:
Dann schliefen all’ in Ruh’ und Frieden
Gar wohl bewacht die ganze Nacht,
Die guten und die andern Jüden,
Die ganze Nacht, gar wohl bewacht!
Doch heute ist von allem kaum ein wenig noch am Ort,
Die Mauer weg, die Wache fehlt; selbst Israel ist fort;
Die Straße ist jetzt umgebaut, neu Pflaster comme il faut,
:,:Drum haben Christen ihre Freud, die Juden ihr Hanno!:,:
 
Die jetzigen Bewohner der Judengasse wünschen diesselbe durchaus 'umgetauft' zu haben und zwar zur Erinnerung an das österreichische Militär, das zur Zeit der Bundesfestung hier lag, in Franz-Josefstraße. H." 
Anmerkungen: - Tischo beav: https://de.wikipedia.org/wiki/Tischa_beAv
-  Dalles-Platz: https://de.wikipedia.org/wiki/Dalles
-  Schawwes: Sabbat 
-  Schawesgoje: Schabbesgoi: https://de-academic.com/dic.nsf/dewiki/1240990
-  Wache: (hier) Judenwache: https://www.alemannia-judaica.de/mainz_gemeindeleben.htm#Aufhebung%20der%20%22Judenwache%22%20(1863)%C2%A0  
-  Israel: Jüdische Gemeinschaft.  

 
Neuregelungen der Sonntagsruhe unter jüdischer Beteiligung (1917)    

Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 23. Februar 1917: "Mainz. Sonntagsruhe
Die Handelskammer gab ihr Gutachten dahin ab, bei Einführung der völligen Sonntagsruhe die am Sonntag schließenden Geschäfte ihr Personal zwei Stunden im inneren Geschäftsbetriebe arbeiten zu lassen. Auch die Stadtverordneten befassten sich mit der Angelegenheit, die Stadtverordneter Bankier Eduard Simon als gesetzestreuer Jude klar beleuchtete. Der Referent zu diesem Punkte der Tagesordnung bezog sich auf die Entscheidung des bayerischen Oberlandesgerichts, nach der festgestellt sei, dass, nach deutschem Reichsgesetz nur für ganze Gewerbe, nicht aber für einzelne Personenkreise Ausnahmen vom Sonntagsruhegesetz zulässig seien, er glaube daher, so sympathisch ihm als strenggläubiger Katholik die Wünsche der frommen Juden seien, dass ihnen in diesem Falle doch nicht geholfen werden könne. Geheimer Justizrat und Landtagsabgeordneter Dr. Ad. F. Schmitt, gleichfalls Mitglied der Zentrumspartei, meint, dass, wenn reichsgesetzliche Schwierigkeiten im Wege stünden, diese ja durch Anträge beim Reichstage beseitigt werden könnten. Stadtverordneter und Landtagsabgeordneter Adelung (Soz.) meint, dass dem Wunsche der orthodoxen Juden stattgegeben werden müsse, nur dürften dann die jungen Leute nach Sabbatausgang in der Nacht nicht stundenlang beschäftigt werden. Auch für die Konditoren und Blumenhändler, die durch die völlige Sonntagsruhe schwer geschädigt seien, müsste Ausnahmen gefunden werden. Schließlich wurde ein Antrag Rechtsanwalts Leopold Mayer, Mitglied des Vorstandes der israelitischen Hauptgemeinde, angenommen, nachdem die völlige Sonntagsruhe zwar beschlossen werden solle, dass aber gesucht werde, eine Form zu finden, um den Schwierigkeiten der orthodoxen Juden zu begegnen. Demnach wird die völlige Sonntagsruhe in Mainz eingeführt, wenn Wiesbaden und einige Nachbarstädte sie ebenfalls einführen."  
Anmerkung: Adelung: Bernhard Adelung https://www.darmstadt-stadtlexikon.de/a/adelung-bernhard.html  
      

    
Über die "Judengassen" in Mainz (Artikel von 1927)     

Mainz Menorah 121927 755.jpg (231679 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Menorah" vom Dezember 1927 S. 755: "VON DEN JUDENGASSEN
Der alte Name 'Judengasse' lebt noch heute im Mainzer Volksmunde ruhig weiter, obwohl man schon vor ungefähr 70 Jahren in der amtlichen Bezeichnung die Gassen umgetauft hat.
Das Mainzer Adressbuch von 1843 führt noch an: 1. eine Judengasse, 2. eine offene Judengasse und 3. eine hintere Judengasse. Ihnen entsprechen die heutige Margarethengasse, die vordere und die hintere Synagogenstraße. Erst im Adressbuche von 1860 taucht eine Synagogenstraße auf, mit der Bemerkung: 'früher: vordere Judengasse'.
Reiches Material für die Geschichte der Mainzer Judengasse findet sich bei Salfeld: 'Bilder aus der Vergangenheit der jüdischen Gemeinde Mainz', S. 40 ff. und bei Schrohe: 'Kurmainz unter kurfürstlicher Verwaltung', Beiträge zur Geschichte der Stadt Mainz, Band 5, an verschiedenen Stellen. Nach der baulichen und baugeschichtlichen Seite hin widmet ihnen Vogts 'Das Mainzer Wohnhaus im 18. Jahrhundert' Beiträge zur Geschichte der Stadt, Band 1, Seite 37, ein besonderes Kapitel.
Für die Topographie der Judengassen werden die älteren Mainzer Stadtaufnahmen (von 1568) ab, die Professor Dr. Schrohe für die Beiträge zur Geschichte der Stadt Mainz, Band 6 und 7, bearbeitet hat und deren 1. Band bereits im Druck ist, noch manches wertvolle Material bringen. Ganz abgesehen von einer zusammenfassenden Darstellung der Geschichte der Mainzer Judengassen, wäre es für die heimatliche Geschichtsforschung eine nicht so ganz belanglose Aufgabe, auch dem oben erwähnten Umtaufen der alten Gassennamen und ihrer Begründung einmal nachzugehen. Selbst aus diesen scheinbar nebensächlichen Feststellungen dürften immerhin in die Geschichte de Mainzer Judengemeinde und deren Stellung in der Stadt einige kleine Streiflichter fallen.
Hier soll nur das Bild einer der Mainzer Judengassen zum ersten Mal veröffentlicht und nur soviel gebracht werden, als zu dessen Erläuterung und Verständnis nötig ist.
Erst die Verordnung des Kurfürsten Johann Philipp von Schönborn am 8. Dezember 1662 und späterhin die Judenordnung 
vom 12. November 1671 verwies die Mainzer Judenschaft, die früher zerstreut in der Stadt gewohnt hatte, in ein Ghetto. Der ersten Verordnung zufolge durften nicht mehr als 20 Juden (-familien) in der Stadt bleiben. Sie sollten in einer Gasse zusammen wohnen, an die bezeichneten Stellen innerhalb zweier Jahre ihre Synagoge und ihre eigenen Häuser in der Weise bauen, wie sie ihnen das kurfürstliche Kammeramt angeben und gestatten werde. Der zuletzt genannte Erlass bestimmte: es werden nicht mehr als zehn schutzverwandte Juden (-familien) in Mainz geduldet. Diese müssen in der alten Judengasse, unfern der armen Klarissen, wie Ihnen solches die Kammer bestimmt, wohnen, die Gasse oben und unten schließen, die sonst von Ihnen innegehabten Behausungen sowie die Synagoge binnen Jahresfrist an Bürger verkaufen und so weiter.
Das hier den Juden zur Bebauung überwiesene Gebiet unfern der armen Klarissen ist das der heutigen hinteren und vorderen Synagogenstraße. Der sogenannte schwedische Stadtplan aus der Zeit des Kurfürsten Johann Schweikard von Cronberg, der um 1626 aufgenommen wurde, verzeichnet gerade an der einen Seite der hinteren Synagogenstraße (nach der Emmeransgasse hin) noch viel unbebautes Gebiet.
Die Zahl der geduldeten Juden hatte sich gegen Ende des 17. Jahrhunderts auf 100 (Familien) erhöht. Mit dem zur Verfügung stehenden Baugelände musste deshalb sparsam umgegangen werden. Auch hier bewährte sich - fast im wörtlichen Sinne - das Sprichwort 'Viele Brüder, schmale Güter'. Es galt, hier aus dem zur Verfügung stehenden Gelände möglichst viele Bauplätze zu gewinnen. Man gab diesen daher in der Tiefe mehr als das Vierfache der Breite, zerschnitt also das Gelände in schmale Riemen. Unser Bild der hinteren Judengasse mit den dicht aufeinander sitzenden schmalen Häuserfonten zeigt dies noch deutlich. Die Straßenflucht ist stark gekrümmt, was vielleicht mit darin seinen Grund haben mag, dass man für die Häuserfronten möglichst viel Platz gewinnen wollte. Die Mehrzahl der Häuser hat nur zwei Fenster in der Front. Die mangelnde Breite ersetzte man durch die Höhe und baute vierstöckig mit Zwerchgiebeln. Häuser mit drei und oder mehr Fensterachsen, die ursprünglich auch nur die übliche Höhe von drei Stockwerken hatten, treten nur vereinzelt auf, was seinen Grund vielleicht in dem größeren Wohlstand des Bauherrn oder dessen höherer amtlicher Stellung in der Gemeinde haben mag. Gerade diese eigenartige Bauweise und Gruppierung der Häuser gibt dem Straßenbilde dieser Mainzer Judengasse seinen eigenartigen Charakter, keine der anderen älteren Mainzer Gassen zeigt in dieser Hinsicht etwas ähnliches.
Aber bei aller jener durch die Notlage gebotenen Beschränkung im Ausbau der Judengassenhäuser verzichtete man ihm Äußern und Innern doch nicht völlig auf künstlerischen Schmuck. 'Bei aller Armut, die in den Judengassen geherrscht hat, trifft man doch auf vielen kleinen Schmuck, hübsche Masken und Kartuschen über den Eingängen, die zum Teil die Häusernamen andeuten, wie 'Bär' oder 'die Ente', auf schöne Haus- oder Innentüren, Türklopfer, Treppengeländer, Rahmendecken und dergleichen', so schreibt Vogt a.a.O.. Gerade für den in den beiden ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts in der Stuckdekoration herrschenden Stil - das sogenannte Knorpelwerkmuster - finden sich hier zahlreiche Beispiele, von denen leider eines der reichsten und schönsten unlängst den Bedürfnissen der Neuzeit zum Opfer fallen musste.
Unserer heutigen 'Wohnkultur' und unseren heutigen hochgesteigerten Ansprüchen an Licht und Luft mögen allerdings diese Wohnräume nicht mehr so ganz entsprechen. Ja selbst für die zur Zeit ihre Entstehung waltenden Verhältnisse könnten sie in dieser Hinsicht als schon recht dürftig betrachtet werden. Aber bei aller Not und Bedrückung fanden ihre Bewohner dort im stillen, weltabgeschlossenen Heime und am eigenen Herde  in einem glücklichen Familienleben Ruhe und Frieden.           Neeb."
Anmerkungen:
- Prof. Dr. Schrohe: https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Schrohe  
- Kurfürst Johann Philipp von Schönborn: https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Philipp_von_Sch%C3%B6nborn     

  
Umtriebe von Nationalsozialisten (1931)     

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 10. September 1931: "Mainz, 3. Sept. Im Monat April zog ein Trupp Nationalsozialisten von etwa 100 Mann durch den Ort Dexheim bei Oppenheim und sangen dabei ihre Kampflieder, die eine Herausforderung der republikanischen Bevölkerung waren. In einem Lied hieß es: 'Erst wenn die Juden bluten, dann ist das Volk befreit'. - Es wurde Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Mainz erhoben, da die Tendenz des Liedes offen den Judenmord ausspricht. Grund zu der Anzeige lag um so mehr vor, als wenige Tage vorher Dr. Goebbels, der im 'Angriff' dieses Lied abgedruckt hatte, vom Berliner Gericht wegen Aufreizung zum Klassenhass zu 500 Mark Geldstrafe verurteilt worden war. Die Staatsanwaltschaft in Mainz jedoch sah in dem Lied keinerlei Aufreizung zum Klassenhass und Gefährdung des öffentlichen Friedens. Sie begründete den Einstellungsbeschluss wie folgt: 'Hessische Staatsanwaltschaft, J. 3837/31, betreffend: Strafsache gegen Strub, Friedrich in Nierstein. Beschluß: Einstellung des Verfahrens
Eine Gefährdung des öffentlichen Friedens ist nicht erweislich. Durch das Singen des Liedes kann feststellbar nicht die Gefahr begründet werden, dass, wenn auch nicht sofort, so doch bei einer sich bietenden Gelegenheit es zu Gewalttätigkeiten zwischen Bevölkerungsklassen komme, zumal Angehörige jüdischer Konfession in Dexheim nicht wohnen. Aber abgesehen hiervon, lässt sich nicht beweisen, dass eine vorsätzliche Anreizung geschah und darüber hinaus ist nicht erweislich, dass das Wollen des Beschuldigten die Begehung von Gewalttätigkeiten und die Gefährdung des öffentlichen Friedens mit umfasste.'"
Anmerkungen: - Erst wenn die Juden bluten: Lied der Hitler-Jugend aus 'Uns geht die Sonne nicht unter. Lieder der Hitler-Jugend', Duisburg, 1934
- Dr. Goebbels: https://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_Goebbels
- Angriff: https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Angriff       

   
Ein jüdisch - nichtjüdisches Paar wird anlässlich der standesamtlichen Trauung in "Schutzhaft" genommen (1934)     

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 15. März 1934: "Mainz, 14. März. Nach dem 'Mainzer Anzeiger' sammelte sich Ende vergangener Woche vor dem Standesamt in Mainz eine erregte Menschenmenge, als ein Nichtarier aus Kassel sich mit einer arischen Arbeiterin aus Mainz trauen lassen wollte. Die Demonstration habe so bedrohliche Formen angenommen, dass das Überfallkommando beide in Schutzhaft nehmen musste."    
Anmerkung: Schutzhaft: https://de.wikipedia.org/wiki/Schutzhaft   

   
    
    

      

 

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Stand: 30. Juni 2020