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in Mainz
Mainz (Landeshauptstadt
von Rheinland-Pfalz
)
Texte/Berichte zur jüdischen Geschichte der Stadt im 19./20. Jahrhundert
Hier: Berichte aus dem jüdischen
Gemeinde- und Vereinsleben des 19./20. Jahrhunderts (bis zur NS-Zeit)
Die nachstehend wiedergegebenen Texte mit
Beiträgen zur jüdischen Geschichte in Mainz wurden in jüdischen Periodika
gefunden.
Bei Gelegenheit werden weitere Texte eingestellt.
Die Texte wurde dankenswerterweise von Susanne Reber, Mannheim
abgeschrieben.
Übersicht:
Allgemeine Berichte aus dem jüdischen Gemeindeleben
Artikel über die Emanzipation der Juden in Mainz im Jahre
1798 (Artikel von 1920)
Artikel
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 6. Februar
1920: "Die Emanzipation der Juden in Mainz im Jahre 1798
Von Paul Curt Loewenberg, Wiesbaden. Die Geschichte der Mainzer Juden
im Mittelalter ist ein buntes Kapitel, reich an Morden und öfter wurde die
dortige jüdische Gemeinde durch Brand und Verfolgungen gänzlich aufgerieben
bis im Jahre 1583 die Gemeinde durch die Wiederaufnahme neu erstand. Zuerst
besaß sie reichliche Freiheiten, gegen Ende des 17. Jahrhunderts jedoch
pferchte man auch im 'goldenen Mainz' die Juden in ein Ghetto ein und
brandmarkte sei damit in der schimpflichsten und rohen Form, die auch heute
leider noch nicht ausgestorben ist, wenngleich die Methoden andere sind. Man
schikanierte sie, wo man konnte, wenn man auch gern in der Not, ihre Dienste
in Anspruch nahm und beschränkte sie in der Ausübung der Gewerbe und des
Handels aus Furcht vor der Konkurrenz ihres Geschäftsgeistes. Einen
radikalen Wandel und die endliche Befreiung von all diesen Demütigungen
brachte erst die französische Revolution, die auch vor den finsteren,
freudlosen Judengassen nicht Halt machte. Gerade uns, die wir in der neuen
großen Revolution ein Aufleben des Judenhasses erleben müssen, der am
liebsten neue Ghettos oder gar völlige Austilgung anstrebt, interessiert das
Befreiungsdekret, das Stadtrat Bamberger von den Franzosen erwirkte:
Haupt-Register Bureau von
Nr. 2149 Französische Republik Nr.
Freiheit Gleichheit
Département Donnersberg Kanton Mainz
Die Beratung der Munizipalverwaltung der Gemeinde Mainz. Sitzung vom 26.
Fructidor im 6. Jahre der einen und unteilbaren französischen Republik. 12.
September 1798. Laut Bericht des Bürgers Dittmeyer, Polizei-Kommissär,
beabsichtigen die Einwohner dieser Stadt, die der mosaischen Religion
angehören, die Tore, die sich am Eingang der von ihnen bewohnten Straße
befinden, auf feierliche Weise niederreißen zu lassen. Wir beschließen in
Anbetracht dessen, dass es gerecht ist, dass diese Tore vernichtet werden,
durch welche diese Bürger während der früheren Herrschaft von der
Gesellschaft ihrer anderen Mitbürger getrennt und in einer despotischen und
empörenden Art von jeder Verbindung mit denselben ausgeschlossen waren, also
deren Fortbestehen ein schmerzliches Andenken an ihre frühere Sklaverei sein
müsste, und sie nur all zu lange die Opfer der Tyrannei und des Fanatismus
gewesen sind. Nachdem der Kommissär des Exekutiv-Direktoriums seine Meinung
abgegeben hat, verordnet die Munizipalverwaltung: Es ist den Vorstehern der
Einwohner, die der mosaischen Religion angehören, gestattet, die Tore, die
am Eingang der Straße, genannt Judengasse, sich befinden, niederzureißen und
damit diejenigen Feierlichkeiten zu verbinden, die ihnen hierzu am
geeignetsten erscheinen, unter Aufsicht des Bürgers Dittmeyer,
Polizei-Kommissär. Die Munizipalverwaltung von Mainz, gez. Umpfenbach,
Präsident; Zentner, Cronauer, Zümdt, Räte; Retzer, Kommissär des
Exekutiv-Direktoriums; Müller, Sekretär.
Bevor aber das bedeutsame Dekret noch an die Öffentlichkeit gekommen war,
war die Tat bereits geschehen. Der jungverheiratete Moise Cahn wollte vom
Ghetto in die benachbarte Klarastraße ziehen. Der Wächter am Judentor suchte
das befehlsmäßig zu verhindern. Daraus entwickelte sich ein Streit, bei dem
ein zufällig vorbeikommender französischer Hauptmann Cahn mit den Worten zu
Hilfe kam: 'Vous avez parfaitement raison, je vais vous envoyer du secours,
dèinolliser douc cette vieille baraque'. (Sie haben vollkommen recht. Ich
werde ihnen Hilfe schicken. Reißen sie vorsichtig diese alte Baracke
nieder). Mit Hilfe eines französischen Sappeurs riß Cahn zum Jubel der
Glaubensgenossen das Tor ein. Damit begann eine neue, freie Zeit.'"
Anmerkung: Sappeur:
https://de.wikipedia.org/wiki/Sappeur |
Reformen im gottesdienstlichen Leben der Gemeinde
(1841)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 4.
September 1841: "Mainz, 12. August. Die L.A.Z. enthält
folgenden Artikel von hier aus: 'In dem Kulturleben der hiesigen
israelitischen Gemeinde, bekanntlich eine der stärksten in Deutschland,
ist eine bedeutende bedeutsame Epoche eingetreten, über die sich alle
Freunde des Fortschrittes freuen müssten. Bisher nämlich sah es mit dem
Gottesdienst und mit den Formen des Ritus noch ganz altertümlich aus, mit
eiserner Strenge hielt der Vorstand, der zur alten Schule gehört, jede, auch
die unbedeutendste Neuerung ab, und während die kleinste Gemeinde um uns her
bereits die deutsche Predigt, andere sogar Choralgesänge einführen, musste
sich die hiesige, zum großen Teil sehr gebildete Gemeinde, mit dem
unerbaulichen Gottesdienste begnügen. Unter diesen Verhältnissen riss hier
nachgerade ein religiöser Indifferentismus ein, der traurig war, und sogar
gefährlich zu werden drohte. Nun kam erst der Vorstand zur Einsicht, dass es
doch besser sei, etwas nachzugeben, um das Gebäude zu retten, als durch
starre Konsequenz dasselbe zu ruinieren. Mit wahrem Vergnügen vernehme ich,
dass soeben ein gebildeter jüdischer Geistlicher als Prediger für die
hiesige Gemeinde angestellt worden und bereits von der Staatsregierung
genehmigt sei. Der Gewählte soll aus Norddeutschland hierher berufen sein,
sich durch großes Wissen im Gebiete der Theologie und Philosophie, sowie
durch ein ungemeines Predigertalent auszeichnen und, eine Hauptsache, er
soll ein Mann sein, der das positive Element der jüdischen Religion zu
retten und mit den Fortschritten des Zeitgeistes zu versöhnen weiß. Sein
Name ist Dr. Frenzdorf. Ein solcher Mann hat hier Not, sehr Not, und
glücklich die Gemeinde, wenn der neue Seelenhirt dieser Schilderung
entspricht. Nun wird auch der intelligente Teil der Gemeinde endlich einmal
eine Nahrung für das Herz in seinem Gotteshause finden, die jüdische Jugend
wird nicht mehr durch die alten Formen erschreckt und abgestoßen werden, sie
wird endlich die humanen Grundsätze ihres Glaubens, dessen göttliche Kraft
schon in dem vieltausendjährigen Alter zu erkennen ist, in den wohltuenden
Lauten der Muttersprache verkünden hören. Dank dem Vorstande, dass er dieser
gebieterischen Forderung der Zeit endlich ein Ohr geliehen, Dank der
Regierung, die so bereitwillig diesem Bedürfnisse abzuhelfen, die Hand bot.
Wie jedoch alles Gute in der Welt seinen Widerspruch findet, so hat sich
auch gegen diese wohltätige Maßregel des Vorstandes in der Mitte der
Gemeinde eine Oppositionspartei erhoben, nicht gegen die Sache, sondern
gegen die Person des neuen Seelenhirten; man nimmt nämlich an, dass ein
Prediger, von diesem Vorstande berufen unmöglich den Grundsätzen des
Fortschrittes huldigen könne; man fürchtet, Dr. Frenzdorf werde die alte
Orthodoxie in einem neuen Gewande bringen. Diese Ansicht ist aber unhaltbar,
denn einmal ist von einem Manne mit dieser ausgezeichneten Bildung so etwas
nicht zu erwarten, und dann würde der neue Prediger selbst seine Stellung
untergraben, wenn er nicht zu gemäßigten Reformen die Hand böte. Also keine
Parteiungen, nie und nimmer! Wenn nur alle das Gute ernstlich wollen, ich
bin überzeugt, der neue Prediger wird der Letzte sein, der sich dem Guten
entgegenstellt.'"
Anmerkung: Dr. Frenzdorf: gemeint Prof. Dr. Salman Frensdorff (1803 Hamburg
- 1880 Hannover) -
http://www.steinheim-institut.de:50580/cgi-bin/bhr?id=0483. |
Die Gemeinde Mainz "hält noch sehr an den alten
Missbräuchen" fest (1841)
Anmerkung: der Artikel ist von einem reformfreudigen Menschen geschrieben;
aus seiner Sicht war die damalige Gemeinde Mainz sehr
konservativ.
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 6. November 1841: "Während die ziemlich große Gemeinde
unseres benachbarten Mainz noch sehr an den alten Missbräuchen festhält, und
erst jetzt durch Anstellung des Herrn Dr. Frensheimer die Bahn zu
brechen beginnt, erfreuen wir uns schon seit mehreren Jahren eines schönen
Gottesdienstes mit deutschen Vorträgen und Chorälen. Seit einem Jahre werden
an Sabbaten des Nachmittags abwechselnd von unserem kenntnisreichen Rabbinen
Herrn Dr. Sobernheim und Herrn Lehrer Lebrecht Andachtsstunden
in deutscher Sprache abgehalten, die sich stets eines sehr zahlreichen
Auditoriums erfreuen. Durch den Abbruch einiger der Synagoge zunächst
gelegener alter Häuser wurde an Raum gewonnen und das etwas zu kleine
Gotteshaus wird nun vergrößert. In wenigen Wochen wird der bereits begonnene
Bau vollendet da stehen. Nach dem Muster einiger anderer Gemeinden wird nun
für Anschaffung einer Orgel gesorgt werden, wozu die erforderliche Summe
durch freiwillige Beträge zusammengebracht werden soll. Wir sind von der
Freigebigkeit unserer Gemeindemitglieder, die uns im verflossenen harten
Winter bewiesen, wie gerne sie ihre Hand öffnen, wenn es nützlichen und
wohltätigen Zwecken gilt, überzeugt, dass sie recht gerne zur Anschaffung
dieses Gemüt erhebenden Instrumentes beisteuern werden, so wie wir auch von
unserm gebildeten Rabbinen mit Zuverlässigkeit darauf rechnen können, dass
er, der zeitgemäße Verbesserungen gerne fördert, bereitwilligst dem
allgemeinen Wunsche beistimmen werde."
Anmerkung: Dr. Frensheimer: gemeint Prof. Dr. Salman Frensdorff (1803
Hamburg - 1880 Hannover) -
http://www.steinheim-institut.de:50580/cgi-bin/bhr?id=0483t |
Ein Verein zu Reformen in der Gemeinde wurde gebildet
(1846)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 5. Januar 1846: "Mainz, 20. Dezember (Privatmitteilung). Es ist
unverkennbar, dass die letzte Rabbinerversammlung in
Frankfurt am Main mächtig auf die Israeliten in Süddeutschland einwirkt
und eine große Anzahl von Indifferentisten zu ihrem Glauben zurückgeführt
hat. Auch in Mainz hat sich, dadurch veranlasst, ein Verein aus der
gebildeten Klasse, dem auch der Gemeindevorstand angehört, gebildet, um auf
die Fortschritte ihrer Glaubensgenossen einwirken. Am 7. Dezember
vereinigten sich die Mitglieder zu einem Festessen, wobei einige sehr schön
gesprochene Toaste ausgebracht wurden. Ein Mitglied machte aufmerksam, wie
nützlich es Mainz sein würde, wenn bei der nächsten Stadtgemeinderatswahl
Juden und Christen sich über einen jüdischen Kandidaten vereinen würden, da
Mainz bis 1820 im Stadtrat einige Israeliten zählte, seitdem aber hinter
Bingen,
Alzey,
Guntersblum und anderen Orten des Großherzogtums in dieser Hinsicht
zurückstand. Eine gute Aufnahme fand besonders ein Toast auf die Mitglieder
der zwei Rabbinerversammlungen." |
Über die Situation der jüdischen Gemeinde
(1848)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit des 19. Jahrhunderts" vom 2.
Januar 1848: "In Mainz, dieser zahlreichen jüdischen Gemeinde, haben die
Reformen noch wenig Platz gegriffen und mag teils der Grund darin liegen,
dass bisher ein alter und gegenwärtig gar kein Rabbiner da ist, dass ferner
der Vorstand bisher dem Fortschritte gram war und das Ministerium, besonders
der Kanzler Linde lieber den status quo wünschte. Da jedoch Letzterer
abgetreten ist, Mainz sich einen neuen, die Neologen begünstigenden Vorstand
gewählt hat, so erwartet man eine baldige Änderung der
Synagogenverhältnisse. Wie ich allenthalben höre, sollen nach Vollendung der
nach einem großartigen Stile im Bau begriffenen Synagoge die
Rabbinerverhältnisse reguliert werden. Ob dann die Gemeinde ihren
gegenwärtigen, dem Fortschritt zugetanen, aus Mainz gebürtigen
Rabbinatsverweser Kohn erwählen, oder ob die alte Partei den Sieg
davontragen wird, steht dahin. Mehrere hiesige Privatlehranstalten stehen in
guter Blüte. Auch ist die Stiftung für eine Art jüdischer Kleinkinderschule
hier. Dass Mainz auch mehrere jüdische Kapazitäten besitzt, lässt sich
erwarten, nur ist zu bedauern, dass der größte Teil in dem breiten Schoß der
christlichen Kirche seine Ruhe suchte, so Derenburg, gegenwärtig
Professor an der Universität zu
Gießen,
Levita, Richter in Mainz usw."
Anmerkungen: - Neologen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Neologie
- Derenburg:
https://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_Derenbourg. |
Freisinnige, pro-demokratische Versammlung in der
Gemeinde (1849)
Artikel in der Zeitschrift "Der treue Zionswächter"
vom 23. März 1849: "Mainz, 18. Febr. Endlich wird es Licht in unserer
jüdischen Gemeinde! Auf Einladung des immer noch alten Neuerling klebenden
Vorstandes fand gestern Abend eine Versammlung einer großen Anzahl von
Gemeindemitgliedern statt. Der Vorsitzende, Herr Leopold Goldschmidt, hielt
eine längere Rede, wenn er mit Hinblick auf das hochwichtige Jahr 1848,
durch die Anstrengungen des gesamten Volkes errungenen Freiheiten hervorhob,
Freiheiten, die nun endlich nach langem Drucke auch den Juden zuteil
geworden, der Redner wies dann darauf hin, wie mit dem Sturze des
Polizeistaates auch die heillose Bevormundung der Gemeinde aufgehört, und
wie derselbe jetzt berechtigt sei, sich eine selbständige, dem Geiste der
Zeit entsprechende Verfassung zu geben. Nach dieser Rede erwartete man
allgemein die freisinnigsten Vorschläge, und war nicht wenig erstaunt, als
der Vorsitzende, im Namen des Vorstandes, einen Antrag stellte, der einen so
entschieden polizeistaatlichen Charakter an sich trug, als ob das gestützte
System noch in schönster Blüte stünde. Er beantragte nämlich: Es sollte die
Gemeinde im Wege der Petition sich von der Regierung die Erlaubnis erbitten,
aus ihrer Mitte eine Kommission von 25 Mitgliedern wählen zu dürfen, welche
eine neue Gemeindeverfassung zu entwerfen, und diesen Entwurf der Regierung
zur Bestätigung vorzulegen habe. Man traute seinen Ohren kaum, und es erhob
sich sogleich ein heftiger Widerspruch gegen diesen Vorschlag. Mehrere
Redner traten auf, unter denen sich besonders Herr Rudolf Bamberger
auszeichnete. Dieser modifizierte den Antrag des Vorsitzenden, respektive
des Vorstandes dahin, dass die Gemeinde, ohne vorherige Erlaubniseinholung
der Regierung eine Kommission zu diesem Zwecke ernennen solle, und
begründete seinen Antrag einfach dadurch, dass die errungene selbstständige
Bewegung der Gemeinde jenen vorgeschlagenen Schritt an die Regierung ganz
unnötig mache. Man schritt zur Abstimmung, bei welcher der Vorsitzende gegen
allen parlamentarischen Takt seinen Vorschlag zuerst abgestimmt haben
wollte, welches Ansinnen aber mit überwiegender Majorität abgewiesen und der
Antrag des Herrn R. Bamberger angenommen ward. Es wurde dann ferner
beschlossen: Dass die zu wählende Kommission der Gemeindeverfassung zwar
selbständig zu entwerfen, aber jedem Mitgliede der Gemeinde diesen Entwurf
zur Begutachtung mitzuteilen nach den gemachten Bemerkungen den Entwurf zu
revidieren und die Verfassung damit endgültig festzustellen habe.
Schließlich wurde die Wahl der Kommission der Leitung des Vorstandes
überlassen. Wir freuen uns aufrichtig, dass unsere jüdische Gemeinde endlich
aus ihrer Lethargie sich aufrüttelt und hoffen, sie werde alles aufbieten,
damit das demokratische Element in der zu wählenden Kommission vorherrsche
und nicht der Geist des Vorstandes, der sich mit großer Vorliebe zum
Polizeistaat sowie zu den Ansichten des hiesigen Bürger-Piusvereins
hinneigt, und in derselben Wurzel fasse. (Didaskalia)." |
|
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 12. März
1849: "Mainz, 18. Febr. Endlich wird es Licht in unserer
jüdischen Gemeinde! Auf Einladung des immer noch alten Sauerteig klebenden
Vorstandes fand gestern Abend eine Versammlung einer großen Anzahl von
Gemeindemitgliedern statt. Der Vorsitzende, Herr Leopold Goldschmidt,
hielte eine längere Rede, wenn er mit Hinblick auf das hochwichtige Jahr
1848, durch die Anstrengungen des gesamten Volkes errungene Freiheiten
hervorhob, Freiheiten, die nun endlich nach langem Drucke auch den Juden
zuteil geworden, der Redner wies dann darauf hin, wie mit dem Sturze des
verhassten Polizeistaates auch die heillose Bevormundung der Gemeinden, also
auch der hiesigen jüdischen Gemeinde aufgehört und wie derselbe jetzt
berechtigt sei, sich eine selbständige, dem Geiste der Zeit entsprechende
Verfassung zu geben. Nach dieser Rede erwartete man allgemein die
freisinnigsten Vorschläge, und war nicht wenig erstaunt als der Vorsitzende,
im Namen des Vorstandes, einen Antrag stellt, der einen so entschieden
polizeistaatlichen Charakter an sich trug als ob das gestützte System noch
in schönster Blüte stünde. Er beantragte nämlich: Es sollte die Gemeinde im
Wege der Petition sich von der Regierung die Erlaubnis erbitten, aus ihrer
Mitte eine Kommission von 25 Mitgliedern wählen zu dürfen, welche eine neue
Gemeindeverfassung zu entwerfen, und diesen Entwurf der Regierung zur
Bestätigung vorzulegen habe.- Man traute seinen Ohren kaum, und es erhob
sich |
sogleich
ein heftiger Widerspruch gegen diesen servilen Vorschlag. Mehrere Redner
traten auf, unter denen sich besonders Herr Rudolf Bamberger auszeichnete.
Dieser modifizierte den Antrag des Vorsitzenden, respektive des Vorstandes
dahin, dass die Gemeinde, ohne vorherige Erlaubniseinholung der Regierung
eine eine Kommission zu diesem Zwecke ernennen solle, und begründete seinen
Antrag einfach dadurch, dass die errungene selbstständige Bewegung der
Gemeinde jenen vorgeschlagenen Schritt an die Regierung ganz unnötig mache.
Man schritt zur Abstimmung, bei welcher der Vorsitzende gegen allen
parlamentarischen Takt seinen Vorschlag zuerst abgestimmt wissen wollte,
welches Ansinnen aber mit überwiegender Majorität abgewiesen und der Antrag
des Herrn R. Bamberger angenommen ward. Es wurde dann ferner beschlossen:
Dass die zu wählende Kommission der Gemeindeverfassung zwar selbständig zu
entwerfen, aber jedem Mitgliede der Gemeinde diesen Entwurf zur Begutachtung
mitzuteilen, nach den gemachten Bemerkungen den Entwurf zu revidieren und
die Verfassung damit endgültig festzustellen habe. Schließlich wurde die
Wahl der Kommission der Leitung des Vorstandes überlassen. Wir freuen uns
aufrichtig, dass unsere jüdische Gemeinde endlich aus ihrer Lethargie sich
aufrüttelt und hoffen, sie werde alles aufbieten, damit das demokratische
Element in der zu wählenden Kommission vorherrsche und nicht der Geist des
Vorstandes, der sich mit großer Vorliebe zum Polizeistaat sowie zu den
Ansichten des hiesigen Bürger- und Piusvereins hinneigt, und in derselben
Wurzel fasse. (Didaskalia)."
Anmerkungen: - ..das hochwichtige Jahr 1848:
https://de.wikipedia.org/wiki/Märzrevolution
- Rudolf Bamberger:
https://de.wikipedia.org/wiki/Rudolph_Bamberger
- Piusverein:
https://de.wikipedia.org/wiki/Piusvereine . |
Doppelter Fastentag in Mainz (1855)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 19. März 1855: "Worms, im März (Privatmitteilung). Ein wackeres
Beispiel wahrhaft praktischer Wohltätigkeit bietet unsere würdige
Nachbargemeinde Mainz. Es bildete sich daselbst ein Verein 'zur
Unterstützung armer, aus der Fremde dahinkommenden Israeliten' und derselbe
gibt nun für das Jahr 1854 die erste Rechnungsablage, aus der wir Folgendes
hervorheben. - Der Verein zählt 212 Mitglieder, die vierteljährigen Beiträge
derselben für gedachtes Jahr belaufen sich auf 2.976 Fl. 15 kr., verausgabt
wurde an mildtätigen Gaben 2.768 Fl. 47 kr. , diese Gaben erhielten 1.957
Personen. Höchst bemerkenswert ist folgende Angabe: Im Jahr 1852 befanden
sich unter 1.316 auf dem Bettel ergriffenen Individuen circa 75 Israeliten,
im Jahre 1854 unter 1.267 nur 20 Israeliten, welche Tatsache wohl geeignet
ist, das treffliche Wirken des Vereines, welcher die Unterdrückung des
Bettels beabsichtigt, ins klare Licht zu setzen. Wir wünschen diesem wackern
Verein Kräftigung nach innen und Nachahmung nach außen.*)"
Anmerkung: *) In Magdeburg besteht ein solcher Verein bereits neun
Jahre, spendet verhältnismäßig noch mehr und erspart der Gemeinde
durch Beseitigung des Hausbettels viel größere Summen. Redaktion. |
Spannungen in der Gemeinde mit der
konservativ-orthodoxen Gruppierung (1859)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 23. Mai 1859: "In Mainz fährt die orthodoxe Clique fort,
Unfrieden und Spannung unter die Gemeindemitglieder zu säen. Sie hat jetzt
eine Trennung im Koscherfleisch veranlasst. Was werden diese Männer noch an
Allem Anstoß nehmen und geben, bis sie einsehen, dass ihre Zeit vorüber.
Wenn diese Wirren nur nicht zu Chillul HaSchem Veranlassung gäben!
Doch darum kümmern sich diese 'Frommen' nicht. Die Chowot halewawot
überhaupt gelten ihnen ja längst nichts mehr. I. Kl."
Anmerkungen: Chillul HaSchem
https://en.wikipedia.org/wiki/Chillul_Hashem |
Rituelle Verköstigung der Soldaten am Pessachfest
(1862)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 7.
Mai 1862: "Mainz, den 23. April. Auch in diesem Jahre ist es
uns gelungen, die hier überaus zahlreichen k. k. österreichischen und k.
preußischen israelitischen Soldaten hiesiger Garnison während des
Pessachfestes vollständig zu verköstigen. Viele wurden von einzelnen
Mitgliedern der israelitischen Religionsgesellschaft eingeladen, die übrigen
erhielten die Kost in einem hiesigen jüdischen Speisehause, es wurden durch
Vermittelung des Herausgebers dieser Blätter allein 272 Mahlzeiten bezahlt."
Anmerkungen: - Pessach:
https://de.wikipedia.org/wiki/Pessach
- Israelitische Religionsgesellschaft Mainz:
https://de.wikipedia.org/wiki/Orthodoxe_Synagoge_Mainz |
Rituelle Verköstigung der Soldaten in Mainz am
Pessachfest (1864)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
11. Mai 1864: "Mainz. Wie alljährlich wurden auch in
diesem Jahre die hier garnisonierenden österreichischen, preußischen und
hessischen Soldaten während des verflossenen Pessachfestes vollständig
verköstigt, es wurden an ca. 40 Mann, an jeden 17 Mahlzeiten, also im Ganzen
gegen 700 Mahlzeiten verabreicht. Die von dem Herausgeber dieser Blätter
veranstaltete Kollekte machte es möglich, den größten Teil der Kosten zu
decken. Das Verhältnis gestaltet sich derart, dass die Religionsgesellschaft
(die Minorität) 4/7, die Gemeinde hingegen (die überwiegend große Majorität)
nur 3/7 der Kosten trug. Von der renommierten Weinhandlung der Herren Hugo
Bondi und Compagnie wurde nicht unbeträchtliche Masse Weines für die
Sedernächte unentgeltlich geliefert."
Anmerkungen: - Pessach:
https://de.wikipedia.org/wiki/Pessach
- Herausgeber:
https://de.wikipedia.org/wiki/Marcus_Lehmann
- Sedernacht:
https://de.wikipedia.org/wiki/Seder |
Fast- und Bettag zugunsten der leidenden Glaubensgenossen in
Jerusalem (1865)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 22. November
1865: "Mainz, den 17. Nov. Gestern, Donnerstag, wurde hier von
vielen Mitgliedern der israelitischen Religionsgesellschaft, zu Gunsten
unsere von Krankheit und Hungersnot hartbedrängten Glaubensgenossen in der
heiligen Stadt Jerusalem, ein Fast- und Bettag abgehalten. Um 2 Uhr
nachmittags versammelte sich die Fastenden in der Synagoge, um ganz Tehillim
zu sagen und dann für die Notleidenden zu beten, später wurde jom kippur
katan abgehalten und da bedeutend mehr als der Minjan von 10 Betern
anwesend waren, der für den Fasttag bestimmte Toraabschnitt wajachel
verlesen. Da es nach jom kippur katan vollständig Nacht geworden, so schloss die
Feier mit maariv bisman... - Möchte sich überall, wie hier, mit
materieller Hilfe auch das Gebet vereinen, damit das Erbarmen des Allgütigen
sich bald mächtig zeige und damit auch tewat jeruschalajim,
die Liebe zu Jerusalem in unseren Herzen immer festere Wurzeln schlage.
Und es komme nach Zion der Erlöser. (Jesaja 59,20)
Anmerkungen: - Jom Kippur Katan
https://en.wikipedia.org/wiki/Yom_Kippur_Katan
https://www.juedische-allgemeine.de/glossar/jom-kippur-katan/
- Minjan:
https://de.wikipedia.org/wiki/Minjan
- Toraabschnitt wajechal
https://de.wikipedia.org/wiki/Wajakhel
-
Tehillim:
https://www.talmud.de/tlmd/tanach/tehillim-psalmen/ |
Bericht aus Mainz während den kriegerischen
Auseinandersetzungen im Juli 1866 (1866)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 25. Juli 1866: "Mainz, den 23. Juli.
Wir wissen nicht, ob diese Zeilen in die Hände unserer geehrten Abonnenten
gelangen werden; wir sind hier fast von der ganzen Welt abgeschnitten; nur
wenige Zeitungen, noch weniger Briefe und fast gar keine Pakete oder
Wertsendungen gelangen hierher. Ein großer Teil der Einwohner ist entflohen;
die Zurückgebliebenen leben in Angst und Schrecken. An den Herausgeber
dieser Blätter sind von auswärtigen Freunden viele Einladungen ergangen, mit
seiner Familie, die für Mainz sich vorbereitende trüben Zeiten, die der
Allgütige gnädig abwenden möge, bei ihnen Sicherheit abzuwarten; er hält es
jedoch für seine Pflicht, seine Gemeinde nicht zu verlassen.
In der Synagoge werden morgens und abends besondere Gebete um Gottes
allmächtigen Schutz abgehalten; wir bitten unsere Freunde, zu denen diese
Zeilen gelangen werden, uns, unsere Gemeinde und unsere Stadt in ihr Gebet
einzuschließen.
Über den Stand der gegenwärtigen militärischen Operationen, über die vielen
wahren und falschen Gerüchte, die fortwährend die Stadt durchziehen,
enthalten wir uns jeder Bemerkung, da derartige Mitteilungen von Seiten des
Festungsgouvernements verboten sind.
Den auswärtigen Angehörigen unserer Schüler (bachurim) diene zur
beruhigenden Nachricht, dass dieselben sämtlich in voriger Woche die Stadt
verlassen haben und sich in Sicherheit befinden; auch zwei unserer hiesigen
Mitarbeiter sind fortgereist, sodass uns die Bürde der Redaktion, Korrektur
etc. gegenwärtig fast allein obliegt.
Möge der allgütige Gott recht bald die Welt mit 'Frieden' beglücken,
möge er uns vor den Schrecken und Gefahren eines ernstlichen Bombardement
gnädigst bewahren!
Herausgeber:
https://de.wikipedia.org/wiki/Marcus_Lehmann |
Sammlung in der Gemeinde für die notleidenden Juden
in Westrussland (1869)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 16. Juni
1869: "Mainz, 11. Juni. Wir haben seit unserer jüngsten
Veröffentlichung wiederum nicht unbedeutende Summen unseren notleidenden
Brüdern in Westrussland zugewandt.
Die nunmehr geschlossene Sammlung in Mainz hat im Ganzen 1.701 fl. oder 972
Taler ergeben, von denen bereits lange 700 Taler und in jüngster Zeit 272
Taler nach Lyck gesandt wurden. Eben dahin haben wir 158 Taler geschickt.
300 Taler haben wir auf Anlass des Herrn Dr. Rülf in Memel an Seine
Durchlaucht, den Fürsten Obelinski, Gouverneur von Kowno, für die
dortigen israelitischen Suppenanstalten geschickt und 70 Taler an den
Rabbiner Hirsch Löb Berlin für die darbenden Talmudschüler in
Wolozün. - Die Summe der von uns obigem Zweck in diesem Jahre
vermittelten Gaben beträgt nunmehr 9.800 Taler."
Anmerkungen: - Lyck:
https://de.wikipedia.org/wiki/Kreis_Lyck
- Kowno:
https://de.wikipedia.org/wiki/Kaunas
- Wolozün:
https://de.wikipedia.org/wiki/Waloschyn |
Situation zu Kriegsbeginn in Mainz
(1870)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
5. Oktober 1870: "Leitender Artikel. Briefe und Nachrichten vom
Kriegsschauplatz.
XIX. Mainz, 28. September
Wenn wir auch vom Kriegsschauplatze, Dank sei dem Allmächtigen, der den
deutschen Waffen den Sieg verliehen, ziemlich weit entfernt sind, so gab es
doch eine Zeit, in welcher wir demselben nahe waren und sehr fürchten
mussten, die Gräuel des Krieges in der Nähe kennen zu lernen. Damals durften
wir über die Vorgänge am hiesigen Platze nichts mitteilen. Das war die
Introduction des Krieges, dass sämtliche Redakteure hiesiger Blätter – auch
der Herausgeber des 'Israelit' – auf das Stadthaus beschieden wurden und die
Instruktion erhielten, über hiesige Vorgänge nichts zu berichten. Wir
glauben kaum, dass der Feind aus den Mitteilungen des 'Israelit' irgendwie
hätte Nutzen ziehen können. Nichtsdestoweniger mussten wir uns sehr in acht
nehmen und manches unreferiert lassen, was zu indirekten Schlüssen hätte
Anlass geben können. Wir haben auch jetzt nicht die Absicht, das alles, was
nunmehr veraltet wäre, nachträglich mitzuteilen; nur einiges, was Juden und
Judentum berührt, und was auch heute noch für unsere Leser von Interesse
sein wird, mag hier noch berichtet werden.
Der Ausbruch des Krieges bein hamizraijim hatte die deutschen
Grenzländer in Angst und Schrecken versetzt; Mainz wurde sofort armiert und
verproviantiert. Zweimal war unsere Stadt der Sitz von Hauptquartieren.
Zuerst hatte er Oberbefehlshaber der 2. Armee, Prinz Friedrich Carl, hier
sein Hauptquartier aufgeschlagen, später weilte Seine Majestät, der König,
mit dem großen Hauptquartiere in Mainz. Der König sagte zu den Ihn
begrüßenden Abgeordneten der Stadt, dass Mainz sich auf ernste Ereignisse
gefasst machen müsse und dass es in eine bedenkliche Lage kommen könne.
Viele Familien verließen die Stadt. Die Glacis wurden teilweise rasiert,
alle Zugänge mit Palisaden verrammelt, auf allen Schanzen Kanonen
aufgefahren. In der Synagoge ordneten wir besondere Gebete an, die noch
gegenwärtig täglich zweimal verrichtet werden. Unterdessen gewann die Stadt
ein äußerst kriegerisches Aussehen. Hier war es, wo sich ein großer Teil der
deutschen Armeen formierte. Tag und Nacht zogen die Truppen durch die Stadt;
ebenso die Proviantkolonnen, die Geschütze, die Munitionswagen, die Pontons
und so weiter und so fort.
Dass viele jüdische Soldaten hier garnisonieren - abwechselnd an 200,
manchmal noch darüber - haben wir unsern Lesern bereits mitgeteilt. Sie alle
erhalten jüdische Kost, und können wir die Liberalität der höchsten
Festungsbehörden, Seiner Durchlaucht, des Prinzen Holstein, Gouverneur
hiesiger Festung und Seiner Exzellenz des Generals von Hanneke, Kommandanten
derselben, nicht genug rühmen. Mit der größten Bereitwilligkeit gestatteten
sie nicht allein die Dispensierung der Israeliten von der Militärmenage,
sondern sie bewilligten auch, dass dieselben statt der zu liefernden
Naturalien an Fleisch, Speck etc. eine Kompensation in Geld erhalten.
Für die hohen Feiertage haben wir eine besondere Synagoge für die Soldaten
in unserer Unterrichtsanstalt eingerichtet; Herr Buchhändler Kaufmann in
Frankfurt a. M. hat uns zu diesem Zwecke eine große Auswahl Machsorim
(Gebetbücher) leihweise überlassen; Herr Michael Cahn und Herr Moses Koch
fungierten als Vorsänger; Herr Jakob Sänger, war Baal Tokea (Schofarbläser).
Hier beteten sie in heißer Andacht die Neunzehner (aus der Provinz Posen) ,
die Siebenundachtziger (aus Hessen-Nassau), die Siebenundachtziger (aus
Hessen-Nassau), die Einundachtziger (aus Kurhessen), die Zweiunddreißiger
(aus Thüringen, Hessen, Sachsen und Westfalen), die Siebenundsechziger (aus
der preußischen Provinz Sachsen) die Dreißiger und außerdem Artilleristen,
Pioniere und Bäcker etc, sowie einige Rekonvaleszenten, die in verschiedenen
Schlachten verwundet waren.
Der Herausgeber dieser Blätter hatte auch der gefangenen Franzosen gedacht.
Auf seine Bitte wurden die Israeliten unter denselben während der Feiertage
von der Arbeit dispensiert, und ein Erlass Seiner Durchlaucht, des
Gouverneurs, ermächtigte ihn, im Zeltlager Gottesdienst abzuhalten.
Nicht weit von der Stadt, innerhalb der Festungswerke, ist nämlich auf dem
Rücken eines Berges ein Zeltlager errichtet, wo ungefähr 6.000 französische
Soldaten interniert sind. Ein zweifacher Cordon ist um das Feldlager gezogen
und der Zutritt ist dem Publikum strenge verwehrt.
Am 23. des Monats machen wir uns morgens früh um 6 Uhr gleich nach dem
Frühgottesdienste in Begleitung des Synagogendieners, Herrn Moses Marx, auf
den Weg, um uns nach den israelitischen Gefangenen umzusehen. Von den
Vorposten wiederholt angehalten bahnte uns unsere von Seiner Durchlaucht
,dem Gouverneur, eigenhändig ausgestellte Legitimations- |
karte
den Weg ins Lager. Wir hatten deshalb eine so frühe Stunde gewählt, damit
wir uns nach den Glaubensbrüdern umsehen konnten, ehe die Gefangenen
sämtlich oder teilweise nach ihren Arbeitsplätzen abgeführt werden.
Wir trafen das Lager beim Erwachen. Welch ein Anblick bot sich uns!
Liniensoldaten, Cürrassiere, Zuaven, Turcos, Spahis im buntesten
Durcheinander. Zahllose Feuer brannten auf dem Erdboden, an denen sich die
Soldaten Kaffee oder Suppe kochten. Andere wuschen sich, wieder andere
machten Toilette. Da gingen sie umher, die schwarzen, braunen und gelben
Söhne der Wüste, mit nackten Beinen, den Oberkörper bis über den Kopf in den
blauen Burnus gehüllt. Wir hatten hier Gelegenheit, die atifat jismaelim, die Art
und Weise wie sich die Ismaeliten (Araber) umhüllen, zu beobachten.
Bekanntlich wird diese Art und Weise der Umhüllung in haluchut zizit als mustergültig für die Einhüllung in das Talith
(lehitatef bezitit) angegeben.
Die Gefangenen schienen recht froh und heiter zu sein.
Viele lagen auf der Erde und spielten allerlei Spiele; andere sangen Lieder,
auch die Marseillaise und das Partons pour la Syrie tönten uns entgegen.
Wir traten mitten unter sie und ich redete den Ersten, der mir entgegen kam,
an.
'Dites-moi, Monsieur, s’il vous plaît, y-a-t-il ici des Israélites entre les
soldats francais?'
'Oh, oui Monsieur', war die Antwort, 'il y a ici des Catholiques, des
Protestants, des Israélites, des Mouhamedains. La France est la terrede la
fraternité et de l’égalité. Toutes les religions se trouvent das notre armée.'
'Mais ici, Monsieur, das ce champ-là, y-a-t-il des Israélites?'
'Certainement mais je ne les connais pas.*)'
Wir gingen weiter und weiter und fragten noch manchen, namentlich solche,
deren Physiognomie uns jüdisches Gepräge zu haben schienen. Bald sammelte
sich eine Gruppe von Gefangenen um uns, die heftig gestikulierend, alle
durcheinander sprechend, uns hierhin und dorthin wiesen. Dann teilten zwei
kräftige Arme die Menge und in jüdisch-lothringer Mundart schlugen die Worte
an unser Ohr:
'Sie suche Jidde?'
So war denn einer gefunden und mit ihm auch wohl die anderen.
Wir begrüßten den gefangenen Glaubensgenossen herzlich, unterrichteten ihn
von unserer Absicht und baten ihn, in den einzelnen Kompagnien Nachfrage zu
halten, ob außer ihm noch Israeliten da seien. Wir versprechen dann am
ersten Neujahrstage nachmittags 3 Uhr, wiederzukommen, um mit den
israelitischen Gefangenen Minchah zu beten und ihnen Schofar zu blasen.
Zur bestimmten Zeit fanden wir uns mit noch mehreren Israeliten, unter ihnen
unser Baal Tokea (Schofarbläser) Herr Marcus Bondi, im Lager ein. Es waren nur
zwei Israeliten unter den 6.000 gefangenen Franzosen. Da uns die Zahl zu
gering schien, so stellte der Kommandant des Lagers, Herr Oberstleutnant von
Geffon, auf unsere Bitte amtliche Recherchen an, die kein anderes Resultat
ergaben. Wir begaben uns dann in ein neu aufgeschlagenes Zelt, am äußersten
Rand des Lagers, wo wir Minchah beteten und wo dann unser Baal
Tokea (Schofarbläser) in bewährter Meisterschaft die ergreifenden Töne des Schofars erschallen
ließ. Sodann begaben wir uns zum Kommandanten und erbaten die Erlaubnis
wurde aufs Zuvorkommendste erteilt und am gestrigen Tage wurde ihr bereits
entsprochen. Unter militärischer, bewaffneter Eskorte kamen sie in die
Synagoge und beteten andächtig. Bei dieser Gelegenheit erinnerten sich
ältere Leute lebhaft daran, dass vor ca. 60 Jahren, als Mainz unter Napoleon
I. französisch war, gefangene österreichische Israeliten unter bewaffneter
französischer Eskorte in die Synagoge geführt wurden. Gilgal Choser
leolam.
Anmerkungen: *) 'Sagen Sie mir gefälligst, mein Herr, befinden sich
hier auch Israeliten unter den französischen Soldaten?'
'Ja, mein Herr, es gibt hier Katholiken, Protestanten, Israeliten,
Muhamedaner. Frankreich ist das Land der Brüderlichkeit und der Gleichheit.
Alle Religionen befinden sich in unserer Armee.'
Aber hier, mein Herr, befinden sich hier Israeliten in diesem Lager?'
'Sicherlich, aber ich kenne sie nicht.'
- Prinz Friedrich Carl:
https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Karl_von_Preußen_(1828%E2%80%931885
- Glacis:
https://de.wikipedia.org/wiki/Glacis_(Festungsbau)
- Prinz Holstein:
https://de.wikipedia.org/wiki/Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg
- General von Hanneke:
https://de.wikipedia.org/wiki/Hermann_von_Hanneken_(Generalleutnant)
- Hohe Feiertage:
https://de.wikipedia.org/wiki/Rosch_ha-Schana
https://de.wikipedia.org/wiki/Jom_Kippur
- Chasseurs: Leichte Infanterie oder leichte Kavallerie
https://de.wikipedia.org/wiki/Jäger_zu_Pferde
- Kürassiere:
https://de.wikipedia.org/wiki/K%C3%BCrassiere
- Zuaven:
https://de.wikipedia.org/wiki/Zuavenb
- Turcos:
https://de.wikipedia.org/wiki/Turkos
- Spahis:
https://de.wikipedia.org/wiki/Sipahi
- Burnus:
https://de.wikipedia.org/wiki/Burnus
- Neujahrstag:
https://de.wikipedia.org/wiki/Rosch_ha-Schana
- Minchah:
https://de.wikipedia.org/wiki/Mincha
- Schofar:
https://de.wikipedia.org/wiki/Schofar |
Spenden aus der Gemeinde für Notleidende in Palästina
(1871)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
12. Juli 1871: "Mainz, 23. Juni. (Durch Zufall verspätet).
Wir haben wieder 1.500 fl. für die Armen, Notleidenden etc. in Palästina
nach Amsterdam an das dortige Zentralkomitee geschickt. Die Summe der in
diesem Jahre für obigen Zweck von uns gesammelten und übermittelten Spenden
beträgt nunmehr 17.342 fl. 46 kr." |
Trauergottesdienst für verstorbene Rabbiner und andere
hervorragende Männer (1872)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
7. Februar 1872: "Mainz. Am 18. Schewat nach dem
Minchagottesdienst wurde in der Synagoge der israelitischen
Religionsgesellschaft denn in der letzten Zeit heimgegangenen großen Männer
ein Hesped (Klagerede) gehalten. Es sind dies: Die Oberrabbiner in
Altona und Preßburg, R. Jacob Ettlinger *) und R. Abraham Samuel
Schreiber, R. Juda Löb Borges in Hermannmiestecz und noch andere
hervorragende Männer.
Die Gemeindemitglieder hatten sich, wie immer, zahlreich eingefunden. Unter
den anwesenden Fremden bemerkten wir: Herrn Dr. Kahn, Rabbiner der
orthodoxen Gemeinde in
Wiesbaden,
sowie Herrn Dr.
*)Wiewohl Rabbiner Jacob Ettlinger, seligen Andenkens, befohlen ..., so
ist man doch nach dem Urteile großer Autoritäten nicht verpflichtet, dem
Ausspruche der Gefühle um den Verlust Einhalt zu tun. Demnach hat sich der
Redner zurückgehalten ... und hat nur die tiefsinnige Trauer um die
Dahingeschiedenen dargelegt.
Marx, Rabbiner der orthodoxen Gemeinde zu
Darmstadt und der Provinz Starkenburg. Die Trauerrede galt vor allem den
beiden ersten Rabbinen, durch deren Tod zwei der hervorragendsten Männer der
Gegenwart aus Israel geschieden sind, Männer, in denen die Hochbilder einer
großen Vergangenheit noch lebend vor uns standen, die durch ihre grenzenlose
Hingebung, für die heilige Sache, durch ihr anspruchsloses, bescheidenes
Wesen, durch ihren weithin befruchtenden und mit dem Lichte Gottes
glänzenden talmudischen Zeitalters erinnern, das Israel Stolz und
Herrlichkeit bildet. Der Hinblick auf Männer von solcher Geistesstärke, die
durch unablässiges Forschen in dem Gotteswort den Torageist so in sich
aufgenommen, dass jedes ihren Lippen entströmende Wort von dem sie beseelten
Gottesgeiste Zeugnis ablegt, nötigt uns Staunen und Bewunderung ab; die
Betrachtung eines an Tugenden so reichen Lebens, das man nicht nach Jahren,
nicht nach Monaten, nicht nach Tagen, sondern nach Minuten und Sekunden
zählen kann, weil auch der kleinere Zeitteil dem Dienste Gottes gewidmet
ist, muss begeisternd und anregend wirken, und sie wird es umso mehr, wenn
der diese Betrachtung anstellende Redner so warum fühlt für die heilige
Sache des Glaubens, wenn derselbe in ein so reiches und tiefes Geistesleben,
mit seinem eigenen Geiste einzudringen vermag, und so das Verständnis
desselben vermitteln und die Größe des Verdienstes in einer Geist und Herz
ergreifenden Weise zu Bewusstsein zu führen versteht. Aus der reichen Fülle
herrlicher Gedenken und Schriftstellen, die der Rabbiner der Gemeinde, Herr
Dr. Lehmann, bei diesem hesped (Trauerrede) mit trefflichen
Anwendung auf das Leben der edlen Hingeschiedenen entwickelte, heben wir nun
Einiges hervor.
Unsere Weisen sagen, auf den Tod von Abraham Awenu (Abraham unser
Vater) in bewo betira begann der Redner: Oi leolam schäabad
manhigu ... (hebräisch und deutsch:) 'Wehe der Welt, die ihre Führer und
wehe dem Schiffe, das seinen Steuermann verloren!' Es sei ein Unterschied
zwischen dem Führer auf festem Boden und dem Steuermann auf stürmischen
Wogen. Dem ersteren folgen die Geführten, weil sie den Weg sehen, den sie
geführt werden. Ihr Gang ist freie Entschließung. Dem letzteren hingegen
müssten dieselben willenlos und unbedingt folgen weil – den stürmischen
Wogen preisgegeben – ihnen keine andere Wahl übrig bliebe. Die Ersteren
seiner die Menschen mit religiöser Einsicht, die sich ihrer Lebensaufgabe
des zu erstrebenden Zieles klar bewusst wären, die Letzteren hingegen, die
dieser Einsicht Entbehrenden, die das Vertrauen zum Steuermann mit sich
fortreißt. So habe Abraham, von dem es heiße (1. Mose 21,33): 'Und er
pflanzte eine Tamariske in Beerscheba, und rief dort den Namen des Ewigen,
den Gott für immerdar...', seine
Zeitgenossen durch seine Gastfreundlichkeit hereinzuziehen und für die
Erkenntnis des einzigen Got- |
tes
zu gewinnen gewusst, er habe den auf festen Boden Wandelnden als Führer und
den auf stürmischem Lebensmeer Umhergetriebenen als Steuermann vorgestanden
und der Menschheit sei ein bitteres Weh widerfahren, nachdem dieser erhabene
Mann ihr entzogen waren. In gleicher Weise müsse man ein bitteres Weh
empfinden über den Verlust zweier Männer, die als hellleuchtende Sterne, als
Führer und Steuerleute, nicht bloß dem engen Kreise der eigenen Gemeinden,
sondern dem gesamten Israel belehrend und ratend vorangingen.
Bei der Armut unserer Zeit an Männern von solch hoher Bedeutung, bei der
immer stärker hervortretenden Neigung unseres Geschlechtes zu einem
materialistischen Streben müsse man mit dem heiligen Sänger rufen: (Psalm
94,16): 'Wer tritt für mich auf gegen Bösewichter, wer stellt sich für
mich gegen Übeltäter?', das seien die, die das
heilige Gesetz über Bord werfen möchten die Nichtiges tun von
nichtig das
seien, die nach Richtigem streben.
'Wer rafft sich auf gegen diese Zerstörer, wer steht zum Widerstande und zur
Abweisung gegen die, welche Nichtiges schaffen?'
Ein Leben von solch inniger Frömmigkeit, wie solches bei den edlen
Hingeschiedenen zu Tage getreten, das habe selbst den Gegnern Achtung
abgenötigt und selten Einhalt geboten, was sich in Wirklichkeit schon jetzt
kurz nach dem Tode des Barons von Königswarter zeige. Während seines Lebens
habe dieser Edle sich den tiefgehenden Reformbestrebungen in der Wiener
Gemeinde mit Energie widersetzt. Kaum habe er die Augen geschlossen, so
seien die Rücksichten geschwunden und gesetzwidrige Reformen zum Durchbruch
gekommen, und es werde jetzt in Wien, wie schon anderwärts, eine Trennung
notwendig werden, um den Gesetzestreuen ihr heiligstes Gut zu bewahren.
Höchst ergreifend war die Erwähnung einer Episode aus dem Kindesalter des
Oberrabbiners zu Preßburg, das Gedenken an den Gerechten ist zum Segen. Als Kind von 6 Jahren befiel
ihn eine schwere Krankheit. Man hatte die Hoffnung auf Wiedergenesung
bereits aufgegeben. Schon hatte man nach der Sitte des Landes zu jeziat
neschama (beim Verlassen der Seele) die neschamah-(Seelen-)Lichter
angesteckt. Jammernd umstanden die Eltern das Lager ihres Kindes und der
Vater R. Mosche Sofer - das Gedenken an den Gerechten ist zum Segen flehte in
heißinnigem Gebete um die Erhaltung seines Lieblings und wie, wenn er
jemanden vor sich sähe, rief er auf einmal aus: 'Schenke mir meinen Sohn nur
ein Jobel-Jahr!' und siehe da! Das Kind erholte sich und genas. Gerade 50
Jahre waren seit jenem Ereignis verflossen, als der himmlische Ruf erscholl:
'Im Jobeljahr kehrt zurück der Mann zu seinen Nächsten und der Mann zu
seiner Familie. R. Abraham Schmuel Binjamin Sofer wurde heimgerufen zu
seinen Vätern, nachdem er das 56. Jahr vollendet hatte, und die alten
aufbewahrten Seelen-Lichter leuchteten auch beim Verlassen seiner
einen Seele.
Nachdem Herr Dr. Lehmann noch von den wertvollen literarischen Erzeugnissen
des Verstorbenen gesprochen, wies er schließlich darauf hin, wie dringlich
notwendig es in dieser an großen Männern armen Zeit sei, die Worte der
Weisen zu beherzigen , die da sagen: ..., dass jeder in seinem Kreise mit
aller Kraft zu wirken suche, um die Religion der Väter und die Kenntnis der
heiligen Tora uns und unsern Kindern zu erhalten. Ein tiefer Ernst lag bei
dieser erhebenden Gedächtnisfeier auf der andächtigen Versammlung und man
erkannte, was die Tora in der Paraschat Schemot sagt, dass
Israel eine einzige Seele bildet, dass es mit gleichem Gefühle die
Wunden fühlt, die ihm – wenn auch in entfernten Ländern, durch den Verlust
seiner herrlichsten Männer geschlagen werden. 'Der Ewige lässt den Tod
verschwinden für ewig' (Jesaja 25,8)!
Anmerkungen: -
Preßburg: https://de.wikipedia.org/wiki/Bratislava
-
R. Jacob Ettlinger: https://de.wikipedia.org/wiki/Jakob_Ettlinger
-
Baron Königswarter:
https://de.wikipedia.org/wiki/Jonas_Freiherr_von_Königswarter
-
Herr Dr. Lehmann: https://de.wikipedia.org/wiki/Marcus_Lehmann |
Sammlung für die Armen des Heiligen Landes
(1872)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
3. Juli 1872: "Mainz, 28. Juni. Wir haben soeben
2.243 fl 59 ¼ kr.. an das Central-Comité nach Amsterdam zum Besten
der Armen, Notleidenden, Waisen etc. im Heiligen Lande geschickt. Es
ist dies die zweite Sendung in diesem Jahre; die Gesamtsumme unserer
diesjährigen Sendungen beträgt bis jetzt 3.980 fl. 21 ¼ kr." |
Sammlung für die Armen des Heiligen Landes
(1879)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
6. August 1879: "Mainz, 31. Juli. Wir haben heute für die
Notleidenden, Armen etc. im Heiligen Lande 1.702 Mk. an das Comité in
Amsterdam gesandt. Die Summe der in diesem Jahre von uns für obigen Zweck
gesammelten und übersandten Geldes beträgt nunmehr 21.920 Mk. 41 Pf. - Die
Nachrichten aus dem Heiligen Lande lauten noch immer sehr betrübend.
Hoffentlich werden die reichlich eingehenden Spenden das Central-Comité bald
in den Stand setzen, in Jerusalem ein Getreidemagazin zu etablieren, um zu
ermöglichen, dass der Preis des Brotes einen bestimmten Höhegrad nicht
überschreite. Dazu ist aber nötig, dass das Comité über größere Mittel
verfüge." |
Patriotische Feier zu Ehren von Graf Moltke und weitere
Mitteilungen (1890)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 30. Oktober
1890: "Mainz, 27. Oktober. In der Vorhalle der Synagoge der
israelitischen Religionsgesellschaft beging heute unsere Unterrichtsanstalt
eine Feier zu Ehren Moltke's. Nach vorangegangenem patriotischen
Liedern und Deklamationen hielt der Leiter der Anstalt, Herr Dr. Bondi
- sein Licht leuchte -, anknüpfend an den Vers der gestrigen Haftora
(hebräisch und deutsch aus Jesaja 41,3:) 'Er verfolgt seine Feinde
und durchschreitet unversehrt einen Pfad, den er vormals nie betreten',
eine Rede, indem er in der anziehendsten Weise ausführte, wie Moltke es war,
der der Kriegswissenschaft erst auf ihre Höhe brachte und durch Erforschen
fremder Gegenden selbst die schwierigsten Märsche in feindlichem Gebiete dem
deutschen Heere ermöglichte. Mit Absingung der Wacht am Rhein schloss die
Feier, die auf die Kinder sichtlich eines tiefen Eindruckes nicht verfehlte.
- Vergangene Woche hat auch der Herr Rabbiner damit begonnen, seine Vorträge
im Jungverein, die im Laufe des Sommers nur am Sabbat stattfanden, auch an
Wochentagen zu halten. Dieselben erfreuen sich sehr großen Zuspruchs, da der
Vortragende es versteht, durch lichtvolle Darstellung seine Zuhörer zu
fesseln. Möge auch ferner seine Wirksamkeit von reichem Segen begleitet
sein, um die Tora groß und ruhmreich werden zu lassen.
Anmerkungen: Moltke:
https://de.wikipedia.org/wiki/Helmuth_von_Moltke_(Generalfeldmarschall)
- Dr. Bondi:
Rabbiner Dr. Jonas
Marcus Bondi (geb. 1862 in Mainz als Sohn von Markus Bondi und Enkel von
Samuel Bondi, gest. 1929 ebd.): studierte in Berlin und Halle; war seit 1890
Rabbiner der Israelitischen Religionsgesellschaft Mainz. Vgl.
http://www.mainz1933-1945.de/rundgang/teil-i-innenstadt/orthodoxe-synagoge-und-bondi-schule.html
- Haftora:
https://de.wikipedia.org/wiki/Haftara
Wacht am Rhein:
https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Wacht_am_Rhein |
Protestversammlung gegen die Vorgänge im russischen
Zarenreich (1905)
Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt"
vom 8. Dezember 1905: "Mainz, den 5. Dezember. In dieser Woche fand
hier eine Protestversammlung statt, die sich mit den grauenerregenden
Vorgängen im russischen Zarenreich beschäftigte. Über 1.200 Männer waren
erschienen, die ihre Sympathie mit den russischen Märtyrern dadurch zum
Ausdruck bringen wollten. Wir bemerkten u. a. dabei den Landtagsabgeordneten
Schmid, sozialistischen Reichstagsabgeordneten David, Professor Schlenger,
die Stadtverordneten Schäfer, Riedner und viele andere. Herr Professor
Staudinger, der bekannte Freiheitsapostel aus
Darmstadt hielt die mit großer Begeisterung aufgenommene Protestrede.
Ihm schloss sich der russische Flüchtling Levene-Petersburg an, der bei
seinen Schilderungen über die entsetzlichen Zustände willig das Ohr der
Versammlung fand. Eine Resolution wurde angenommen, die der Überzeugung
Ausdruck gab, dass die Hingemordeten, ihres Besitzes Beraubten, die
Sympathie aller wohl denkenden Menschen finden müssen.
Soweit ungefähr der offizielle Bericht. Wie gesagt, 1.200 Personen waren
anwesend, darunter auch zum Lobe von Mainz – viele Christen. Nur zwei
Herren bemerkten wir nicht und das waren merkwürdigerweise die beiden
Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde, die Herren Justizrat Meyer und
Justizrat Oppenheimer; deswegen große Missstimmung in der
Versammlung. Nun soll man niemanden verurteilen, ohne dass man die Gründe
kennt, die ihn zu seinem Verhalten bestimmen. Von dem Grundsatz ausgehend:
Audiatur et altera pars, versuchten wir nun die Motive der beiden Herren zu
erforschen und erfuhren Folgendes: Herr M. blieb aus mit der Motivierung:
'Er sei kein Politiker.' Herr O. weigerte sich an dieser Demonstration
teilzunehmen, weil er 'Bürger eines Landes sei, dessen Fürst Schwager des
Zaren ist!' Mit anderen Worten also: Herr M. betrachtet sein Amt als
Vorstandsmitglied der jüdischen Gemeinde ungefähr ebenso, wie ein Kassierer
einer großen Bank das seine. Er verwaltet die Kasse, führt genau Buch über
die Eingänge, aber er hat kein Interesse daran, ob seine Brüder im Osten
dahingemordet werden. Er allein kann seine Trauer über diese Vorgänge
empfinden, denn er ist ja kein Politiker.
Herr O. wendet seinen Blick nach oben. Er fragt, sich, was der Großherzog zu
diesen Demonstrationen sagen wird. Er weiß zwar nicht, ob er etwas dagegen
hat, aber er ist der Schwager des Zaren, in dessen Land die Gräueltaten
verübt wurden, und das ist für den Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde ein
wichtigeres Moment als vielleicht für den Großherzog selbst.
Wenn einmal gezeigt worden ist, wie es mit den Vorständen in vielen
jüdischen Gemeinden bestellt ist, so ist wohl in Mainz der beste Beweis
dafür erbracht worden, dass man wohl Leute, die eine gute akademische
Bildung genossen haben, an die Spitze des Judentums einer Stadt stellt, dass
man aber nicht darauf achtet, ob die führenden Persönlichkeiten unserer
Gemeinde eigentlich das sind, was doch das Wichtigste für das Judentum ist:
Nämlich – Juden! - Wir meinen, dass die jüdische Gemeinde in Mainz,
Veranlassung hätte, nach dieser einen Protestversammlung, die sie wegen der
Gräueltaten, die an ihren russischen Brüdern verübt worden sind, eine zweite
folgen zu lassen, in der sie lauten Protest erhebt gegen das Verhalten ihrer
eigenen Vorstände und dieselben zwingt, ihre Ämter niederzulegen, denn
schließlich ist das Judentum kein Verein und der Führer nicht nur Verwalter
der Kasse desselben. Zum Schlusse dieser Ausführungen möchten wir die Worte
eines bekannten Parlamentariers wiedergeben, der sich veranlasst sah,
sich über die Feigheit der zu äußern, die selbst Fußtritte ruhig hinnehmen.
Wenn die jüdische Gemeinde in Mainz die Fußtritte ihrer Vorsitzenden ruhig
hinnimmt, dann verdient sie keine besseren - - dann ist ihr recht
geschehen."
Anmerkungen: - Reichstagsabgeordneter David:
https://de.wikipedia.org/wiki/Eduard_David
- Professor Staudinger:
https://www.darmstadt-stadtlexikon.de/s/staudinger-franz.html
- Audiatur et altera pars:
https://de.wikipedia.org/wiki/Audiatur_et_altera_pars |
Ergebnisse
der Vorstandswahlen der Israelitischen Religionsgemeinde
(1906)
Ergebnisse der Vorstandswahlen der Israelitischen Religionsgemeinde (1908)
Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt"
vom 24. Dezember 1908: "Bei der Vorstandswahl der israelitischen
Gemeinde wurde Herr S. Cahn wiedergewählt. Herr Justizrat Dr.
Loeb – bekannt durch seine Rede auf dem letzten deutschen Judentag in
Frankfurt a. M - und Herr Loewensberg neu gewählt. E.G." |
Spenden für die Arbeit des Roten Kreuzes
(1914)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 21. August 1914: "Aus Mainz wird gemeldet: Hiesige Vereine
bewilligten für das Rote Kreuz folgende Beiträge: Der Waisenverein für die
israelitische Gemeinde 5.000 Mark, der Israelitische Krankenpflegeverein der
Ältere in Mainz 5.000 Mark, der Israelische Frauenpflegeverein 2.000 Mark." |
Anordnung eines Fastentages durch Rabbiner
Dr. Bondi (1915)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 22. April
1915: "Mainz, 19. April. Herr Rabb. Dr. Bondi hat angeordnet, dass
scheni uchamischi scheni gefastet werde. Es darf mit Befriedigung
hervorgehoben werden, dass durch die schönen und begeisterten Reden unseres
Rabbiners die Spenden für die Ostjuden , sowie die Gaben für Erez Israel
eine unerwartete Höhe erreicht haben.
Anmerkung: Erez Israel:
https://de.wikipedia.org/wiki/Eretz_Israel |
Die Soldaten und ortsfremde Arbeiter in der Stadt
erhalten rituelle Kost (1917)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 16. März 1917: L. Mainz, 11. März. In beispielgebender
Weise ist hier für Soldaten und die ortsfremden jüdischen Arbeiter gesorgt,
die auf rituelle Kost Anspruch erheben. Nachdem schon seit langer Zeit durch
die fürsorgende Tätigkeit von Frau Rabbiner Dr. Bondi eine vielfach
als große Wohltat empfundene Soldatenküche im Restaurant Gottschall besteht,
in der gutes Essen zu billigen Preisen, wie es dem Menagegeld angemessen
ist, geliefert wird, ist jetzt durch das tatkräftige Eingreifen ebenfalls
der Frau Rabbiner eine besondere Arbeiterküche gegründet worden. Es handelt
sich um eine größere Anzahl jüdisch-polnischer Arbeiter aus den besetzten
Gebieten, meist Familienväter, die hier beim Bahnbau beschäftigt sind. Um
die Leute koscher und billig zu verpflegen, da sie auch darauf angewiesen
sind, ihre Familien zu unterstützen, erwirkte Frau Dr. Bondi die Erlaubnis
der zuständigen Behörde zur Errichtung einer jüdischen Arbeiterküche. Die
Mittel hierzu auf privatem Wege aufgebracht. Die Arbeiter, die bisher den
fremden Verhältnissen hilflos gegenüberstanden, erhalten hier für weniges
Geld – die Mahlzeit 60 Pfennig – ein einfaches, aber kräftiges Essen. Auch
für ihre anderweitigen Bedürfnisse, wie Kleider und Schuhwerk, wird
möglichst gesorgt." |
"Befreiungsfeier" auch in der jüdischen
Gemeinde (1930)
Vortrag von Rabbiner Dr. Carlebach aus Köln über Erez
Jisrael (1934)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 28. Juni
1934: "Mainz, 25. Juni. Im Rahmen der Agudas Jisroel sprach
hier vor einigen Wochen Herr Rabbiner Dr. Carlebach, Köln, über Erez
Jisrael. Es war kein Reisebericht, sondern der zu Urteilen und Problemen
verdichtete Niederschlag der Eindrücke, die der Redner auf seiner
Palästinareise gewonnen hatte. Er schilderte die einzigartige Verbundenheit
aller jüdischen Passagiere während der Fahrt, da alle ungeteilt die
Sehnsucht, in das Land zu kommen, beherrscht. Aber schon im Augenblick der
Landung sei die strenge Scheidung der Geister und Interessen zu verspüren. -
Es folgten die Eindrücke von dem Aufbau und der Besiedelung des Landes,
wobei der Redner einleuchtend hervorhob, wie das Wort Jischuw ein
Doppelbegriff darstelle, nämlich in seiner statischen Bedeutung als
sesshaftes Wohnen und seiner dynamischen Bedeutung als Besiedeln und wie
dieser dynamische Wortbegriff den modernen Jischuw charakterisiere. Über das
Werden und die innere Zusammensetzung des sogenannten alten Jischuw, dessen
Wesensart und Existenz zu wenig bekannt ist, gab der Redner einen
eingehenden Bericht. Die Frage, warum vor der Welle des neuen jischuv
man nur vereinzelt in Erez Jisrael wohnte und lebte, ohne dass sich viele
zur Rückkehr in unser Land verpflichtet fühlen, wusste der Redner bis zur
Gewissensfrage zu steigern. Hieran schloss sich die Schilderung der heutigen
Siedlungen und ihrer jüdischen Haltung, wobei die Unterschiede zwischen dem
alten und dem neuen jischuv besonders augenfällig wurden. - Es würde
zu weit führen, alle Einzelheiten, vor allem auch die schönen talmudischen
Vergleiche des geistreichen und packenden Vortrags, zu zitieren. Nur das
darf noch erwähnt werden, dass die echte glühende Liebe zum Lande und die
Aufrichtigkeit, die aus jedem Worte sprachen, dem Abend eine besonders warme
Note verliehen und nicht nur geistig, sondern auch seelisch bereicherten."
Anmerkungen: - Agudas Jisroel:
https://de.wikipedia.org/wiki/Agudath_Israel_Weltorganisation
- Erez Jisrael:
https://de.wikipedia.org/wiki/Eretz_Israel |
Aus dem jüdischen Vereinsleben
50-jähriges Bestehen des dritten israelitischen
Krankenpflege-Vereins (1860)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 26. Dezember
1880: "Mainz, 17. Dezember. Heute habe ich von einem schönen
Feste zu berichten. Der dritte israelitische Krankenpflege-Verein beging
gestern am achten Tage des Chanukkah-Festes sein fünfzigjähriges Jubiläum.
Schon am frühen Morgen wurde das Fest durch einen feierlichen Gottesdienst
eingeleitet. Das Vereinslokal war zu diesem Zwecke festlich erleuchtet und
Sie können sich leicht denken, dass bei den zahlreichen Anwesenden eine
gehobene Stimmung herrschte.
Abends versammelten sich circa achtzig Mitglieder zu einem Festmahle, bei
welchem Worte aus der Tora mit entsprechenden Toasten abwechselnd
vorgetragen wurden. Das Fest war vom besten Humor begleitet und erst am
frühen Morgen trennten sich die Anwesenden, denen diese Feier noch lange im
Gedächtnis bleiben wird. G."
Anmerkung: Chanukkah:
https://de.wikipedia.org/wiki/Chanukka |
Über den neu gegründeten "Israelitischen
Hilfs-Verein" (1891)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 21. April
1891: "Mainz. Vor kurzem wurde dahier, wie bereits früher
berichtet, ein 'Israelitischer Hilfs-Verein' gegründet, der die Bestimmung
hat, armen, durch Altersschwäche, Krankheit, Gebrechen oder andere Zufälle
zum Erwerb ihres Unterhalts vorübergehend oder auf die Dauer unfähig
gewordenen Angehörigen der hiesigen israelitischen Gemeinde, sofern
dieselben ihren Unterstützungswohnsitz mindestens seit zwei Jahren hier
erworben haben, Unterstützung, Verpflegung oder Unterkommen zu gewähren.
Der Verein übernimmt die Verpflichtung, jede von ihm selbst angeordnete
Verpflegung in rituell jüdischer Weise zu gewähren und dabei möglichst die
diesbezüglichen Anschauungen der zu Verpflegenden zu berücksichtigen." |
Über die Arbeit des "Israelitischen Hilfs-Vereins"
(1892)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 17. März
1892: "Mainz. Der seit ¾ Jahren in Wirksamkeit getretene
'Israelitische Hilfs-Verein' dahier, der die Bestimmung hat, arme, durch
Altersschwäche, Krankheit, Gebrechen und andere Zufälle erwerbsunfähig,
gewordene Angehörige der hiesigen israelitischen Gemeinde zu unterstützen,
zählt bereits 263 Mitglieder, die sich zur Zahlung von Jahresbeiträgen von
dem Minimalsatze von Mark 12 anfangend bis zu Mark 40 und in einzelnen
Fällen bis zu Mk. 100 bereit erklärten. Welche Wohltat der Verein in unserer
Gemeinde ist, ergibt sich schon daraus, dass der Vorstand in der Lage war,
sich für fortwährende Monatsunterstützungen pro 1892 für den Betrag von
ungefähr Mk. 3.000 zu verpflichten. Andererseits ist es dringend notwendig,
wenn der Vorstand auch ferner eine umfassende segensreiche Wirksamkeit
entfalten und was er erstrebt, alle seitherigen privaten
Unterstützungsvereinigungen übernehmen soll, dass weitere Mitglieder mit
namhaften Beiträgen dem Vereine beitreten. Das Vereinsvermögen beträgt
11.483 Mk. 98 Pf., hiervon sind 3.668 Mk. 50 Pf. Auszuscheiden, welche als
Pfründner- und Krankenhaus-Fonds getrennt verwaltet werden.
Der derzeitige Vorstand besteht aus den Herren: Bernhard Albert Mayer,
Eduard Simon, Joseph Heidenheimer, Leopold Oppenheim, Dr. Max Löb, Dr.
Benedict Hessdörffer, Hugo Bondi sr. , Martin Moritz Nathan Philipp Reis."
Anmerkung: - Bernhard Albert Mayer:
https://www.geni.com/people/Bernhard-Mayer/6000000031492887587 |
50-jähriges
Bestehen des "Israelitischen Vereins zur Unterstützung und Erziehung
mittelloser Waisen" (1903)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 25. Mai 1903: "Mainz, 24 Mai. Der 'Israelitische Verein
zur Unterstützung und Erziehung mittelloser Waisen' feiert das Fest seines
50jährigen Bestehens. Der Verein hat während dieser 50 Jahre im Ganzen 178
Mainzer Kinder unterstützt und für deren Erziehung und Verpflegung 220.813
Mk. aufgewendet. Zur Zeit sind 31 Kinder in der Obhut des Vereins.
Sämtliche übrigen Mainzer jüdischen Wohltätigkeitsvereine waren durch
Deputationen bei der heutigen Generalversammlung im Gemeindehause vertreten
und überbrachten Glückwünsche. Der Präsident der Israelitischen Gemeinde,
Herr Justizrat Dr. Ferdinand Philipp Mayer, warf in einer Ansprache
einen Rückblick auf die halbhundertjährige Wirksamkeit des Vereins und
zeigte, wie viel Segen er der hiesigen Glaubensbrüderschaft gebracht. Herr
Rabbiner Dr. Salfeld feierte ebenfalls den Verein in längerer
gehaltvoller Rede. Herr Bertram Bondi sprach im Namen der
Israelitischen Religionsgesellschaft und schlug vor, statt des
ausscheidenden Herrn Josef Reinach den bekannten Philanthropen Herr
Bankier Eduard Simon in den Vorstand neu zu wählen; es erfolgte dessen
Wahl seitens der Mitglieder mit Stimmeneinheit. Der Saal, in dem die Feier
stattfand, war mit Blumen aufs Schönst verziert. Auch uns sei es gestattet,
dem Verein ein kräftiges Masseltof zuzurufen."
Anmerkungen: - Rabbiner Dr. Salfeld:
https://de.wikipedia.org/wiki/Siegmund_Salfeld
http://steinheim-institut.de:50580/cgi-bin/bhr?id=1537
- Bertram Bondi:
https://www.geni.com/people/Baruch-Bondi/6000000003308263956
- Masseltof:
https://de.wikipedia.org/wiki/Masel_tov |
Bericht über den "Israelitischen Hilfsverein"
(1904)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 25. Februar
1904: "Mainz. (Israelitischer Hilfsverein). Die Zahl
der Vereinsmitglieder vermehrte sich leider nur um 2, da den neu in den
Verein eingetretenen 14 Personen eine Anzahl von 12, durch Wegzug oder
Todesfall ausgeschiedenen gegenübersteht. Um Jahresschluss betrug die Zahl
der Vereinsmitglieder 372. An Unterstützungen mussten an die ständig vom
Verein unterstützten Personen, trotzdem sich dieselben gegen das Vorjahr um
sechs verminderten, 415 M. mehr wie vorher gezahlt werden, dagegen hat sich
der Betrag der einmaligen und periodischen Unterstützungen um etwas
verringert.
Von dem Testamentsvollstrecker des verstorbenen Gustav Hirsch wurde
aus dessen Nachlass dem Verein die Summe von 50.000 M. überwiesen, wogegen
er die Verpflichtung übernahm, die Zinsen an vertragsmäßig bestimmte
Personen bis deren Ableben auszuzahlen." |
51.
Jahresbericht des "Israelitischen Vereins zur Unterstützung und Erziehung
mittelloser Waisen" (1904)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 21. April
1904: "Mainz. Dem 51. Jahresbericht des Vereins zur Unterstützung und
Erziehung mittelloser Waisen der Israelitischen Religionsgesellschaft dahier,
entnehmen wir:
Die vielen Glückwünsche der Gemeinde, der Religionsgesellschaft und
sämtlicher Wohltätigkeitsvereine anlässlich der 50. General-Versammlung
haben gezeigt, welcher Würdigung und großen Anerkennung sich unser Verein in
allen Kreisen erfreut. Die Zahl unserer Pfleglinge war im abgelaufenen Jahre
31 und können wir wiederum zu unserer großen Genugtuung mitteilen, dass wir
nach den Berichten unseres verehrten Damenpflegschaftsrates, wie nach
eigener Anschauung, mit der Entwicklung zufrieden sein können. Die
Verpflegungskosten betrugen Mk. 7.415.50, an Geschenken und Vermächtnissen
gingen Mk. 3.887 ein und sagen wir den mildtätigen Gönnern und geehrten
Mitgliedern nochmals warmen Dank.
Von dem Testamentsvollstrecker des verstorbenen Herrn Gustav Hirsch wurde
aus dessen Nachlass unserem Vereine die Summe von Mk. 50.000 überwiesen,
wogegen wir uns verpflichten, die Zinsen an durch Vertrag bestimmte Personen
bis zu deren Ableben auszuzahlen." |
9.
Jahresbericht über den "Verein zur Beschränkung des Wanderbettels in
Mainz" (1904)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 30. Mai
1904: "Mainz. Den neunten Bericht über den 'Verein zur
Beschränkung des Wanderbettels in Mainz' entnehmen wir:
Wir haben das befriedigende Bewusstsein, dass es uns gelungen ist, den
'Verein zur Beschränkung des Wanderbettels', zu einem wichtigen Organ der
hiesigen Armenpflege auszugestalten und wir haben das eifrige Bestreben, das
uns vorgestreckte Ziel in bisheriger erfolgreicher Weise weiter zu
verfolgen. Wir konstatieren, dass der Wanderbettel gegen früher bedeutend
abgenommen und das sogenannte Schnorrertum in den Häusern kaum mehr zu
spüren ist.
Leider haben wir zu berichten, dass der Vorsitzende und Mitbegründer des
Vereins, Herr Kommerzienrat Martin Mayer, uns im verflossenen Vereinsjahre
durch den Tod entrissen wurde. Wir verlieren in dem Dahingeschiedenen einen
hochgeschätzten Kollegen und eifrigen Förderer unserer Bestrebungen. Sein
Name und seine Verdienste um den Verein werden bei uns ewig unvergessen
sein.
Zum Andenken an den teuren Verstorbenen haben uns seine Hinterbliebenen ein
Geschenk von Mk. 1.000 gespendet, dessen Zinsen alljährlich am Todestage an
Bedürftige verteilt werden sollen.
Die Anzahl der Mitglieder betrug am 1. April 1904 183, hierzu eingetreten 1.
An Mitgliederbeiträgen gingen 4.154 und an Geschenken Mk. 1150 ein.
Es sind verausgabt worden vom 1. April 1903 bis 31. März 1904: 1.682
Unterstützungen M. 1.916,60, 4 außerordentliche Unterstützungen Mk. 220, für
Fahrscheine Mk. 886,30, 155 Posteinzahlungen nach auswärts Mk. 947. Zusammen
Mk. 3.669.90. Per Kopf durchschnittlich Mk. 2,15 ca. Abgewiesen wegen
Unwürdigkeit wurden 26 Personen."
Anmerkung: Kommerzienrat Mayer: Martin Mayer war Inhaber der gleichnamigen
Silberwarenfabrik in Mainz. |
Chanukkafest der Rhenus-Loge (1908)
Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt"
vom 24. Dezember 1908: "Mainz, 20. Dez. Heute feierte im
großen Konzertsaal der Liedertafel die Rhenus-Loge ihr Chanukafest.
Die Eingeweihten hatten wirklich Angst davor, denn in den Proben sah’s
schauerlich aus, zuletzt wurden gar noch Mitwirkende krank, sodass wir uns
mir Recht noch mehr fürchteten. Unsere Beklemmung wuchs noch als bereits ¼
Stunde vor dem Beginn der Saal gedrängt gefüllt war. Aber alles ging wie am
Schnürchen, und es wurde trotz allem Missgeschick Glänzendes geleistet.
Nach dem Anzünden der Chanukalichter und der Rede des Herrn Rabb. Dr.
Salfeld betrat Fräulein Gertrude Nußbaum das Podium, um mit ihrer
sehr wohlklingenden und ausgebildeten Stimme ein von Fr. Elsa Neugarten
gedichtete Prolog vorzutragen. Eine Kindersymphonie von Haydn, ausgeführt
von 25 Kindern , fesselte sodann den Blick des Publikums. Die Symphonie
klappte vorzüglich; die Kinder waren alle sehr eifrig bei der Sache, jedoch
verdienen Klavier (Marxsohn, Nußbaum) und Cello (K.
Goldschmidt, F. Kallmann) ein besonderes Lob.
Ein Frankfurter Zauberer beschäftigte nun die Zuhörerschar für eine Stunde.
Ihm folgte 'Das internationale Wachsfiguren-Kabinett'. Ein durch seine
Erfolge – er erzählt uns u. a., dass er den Drachenorden hat und man ihm
schon 6 Frauen nebst – 6 Schwiegermüttern zu Geschenke bot – überspannter
Budenbesitzer (Richard Metzger) wird von seinem Diener (Karl
Goldschmidt) verspottet. Nachdem beide in langem Dialog das Publikum
ergötzt haben, entschließen sie sich, dem 'verehrten Publikum' endlich ihre
Sehenswürdigkeiten vorzuführen. Was sich nun unserem Auge an Grazie, an
Kunst der Mimik, der Deklamation und des Gesanges vergessen alle, die es
sahen, sobald nicht: Nr. 1: Hänsel und Grete (Fritz Hainebach und
Gertrud Kahn). Vielleicht das Beste vom Ganzen? Die Menge war begeistert
über das reizende Singen der beiden Kinder. Nr. 2: Mirijams Abendgebet (Toni
Metzger) wurde sehr gut vorgetragen. Nr. 3: Frl. Evchen Lebrecht
sang zwar etwas befangen, aber mit einer Stimme, von der man noch viel
erwarten kann, ein Couplet. Auch Nr. 4 das Gigerl (Leonhard Fulda)
war befangen, aber er machte seine Sache sehr hübsch. Nachdem als 5. Nr.
Trude Lebrecht und |
Lilly
Herz einen Schäfertanz sehr lieb vor Augen geführt hatten, trug
Arthur Heinemann als hessisches Bäuerlein ein formvollendetes Gedicht
seines Vaters im Dialekt ganz ausgezeichnet vor. Eine Pantomime (Fritz
und Erna Kahn) suchten uns zu überzeugen, wie schnell Amerika
erobert wurde. Lilly Raphaelsohn brachte ein humoristisches Gedicht
sehr lieb zu Gehör, auch Joseph Lipanowitsch hatte mit 'Der Kritik
der Weltschöpfung' großen Erfolg. Fritz und Erna Klein trugen
den 'Lustigen Ehemann' vor und ernteten reichen Beifall. 3 Nummern waren es,
die über den Dilettantismus weit hinausgingen: Sophie Plaut und
Leni Kronenberger im Blumentanz, Fritz und Erna Kronenberger
im Ringelreih’n aus der Dollarprinzessin und Trude und Paula
Neugarten in der Pikkoloszene aus dem Walzertraum. Die stumme Wachsfigur
Struwwelpeter (Emmy Metzger) hat allen den erwünschten Abscheu
eingejagt. Mit einer Gavotte fand der Reigen der Darbietungen sein Ende.
Zum Schluss rief man stürmisch nach Herrn Hühner vom Stadttheater und
Frl. Neugarten, die alles einstudiert hatten und denen man die
wochenlange Mühe ein wenig mit Klatschen lohnen wollte. - -
Das Theaterstück 'Gestalten aus Israels Vergangenheit' von Elsa
Neugarten, das zur vorigen Chanukafeier hier seine Aufführung hatte,
wurde im Berliner Israelitischen Waisenhaus vor 8 Tagen mit großem Beifall
aufgenommen. E.G."
Anmerkungen: Karl Goldschmidt: Womöglich
https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de1559267
Sophie Plaut:
https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de944873
Dollarprinzessin:
https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Dollarprinzessin
Walzertraum:
https://de.wikipedia.org/wiki/Ein_Walzertraum
Gavotte:
https://de.wikipedia.org/wiki/Gavotte
Stadttheater:
https://de.wikipedia.org/wiki/Staatstheater_Mainz
Israelitisches Waisenhaus:
https://de.wikipedia.org/wiki/Jüdisches_Waisenhaus_Berlin |
Gründung eines jüdischen Jugendvereins
(1909)
Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt"
vom 19. November 1909: "Mainz. Unter lebhafter Beteiligung
fand hier im Köterhofsaale eine Versammlung zwecks Gründung eines
jüdischen Jugendvereines statt.
Der Vorsitzende des vorher gebildeten Komitees, Herr Dr. jur. Simon
hier, wies in seiner beifällig aufgenommenen Begrüßungsrede auf den Zweck
und die Notwendigkeit hin, indem er u.a. ausführte, dass gerade die jüdische
Jugend dazu berufen sei, durch Befestigung und Erweiterung ihrer
Anschauungen sich zu den – im späteren Lebenskampfe unbedingt notwendigen –
Persönlichkeiten zu erziehen. Er schloss mit der Erwartung, dass die
Bestrebung auch hier in Mainz auf fruchtbaren Boden fallen möchte.
Herr Dr. Löffler – Referent des Abends und Vorstandsmitglied des
Montefiore-Vereins
Frankfurt – konnte wohl kein besseres Thema gewählt haben als die
Einrichtung und Erfolge des vorbildlichen Frankfurter Vereins zu schildern.
Mit Spannung folgte ein Jeder seinen Worten, die einen glänzenden Beweis
erbrachten, wie nach jeder Richtung hin segensreich und ideal ein derartiger
Verein sich bestätigen kann.
Die darauf folgende Diskussion, in welcher von den verschiedenen Seiten
lebhaft eingegriffen wurde, führte mit zu dem schönen Ergebnis, dass 86
Herren ihren Beitritt erklärten, welche Zahl ungefähr 75 % der
Erschienenen ausmachte.
In einem Schlusswort erkannte Herr Dr. Löffler lobend die
Begeisterung der Versammlung und den großen Erfolg an und schloss mit den
Wunsche, dass der Mainzer Verein recht bald zu den führenden gezählt würde." |
100 Jahre Israelitischer Krankenverein
(1911)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 6. Januar 1911: "Mainz, 29. September. Am 15. Kislew waren
100 Jahre verflossen, dass eine Anzahl wackerer Männer den Dritten
Israelitischen Krankenpflegeverein ins Leben gerufen haben. Es waren Männer
aus dem nahen Vorort Bretzenheim, die
kurz vorher in unsere Stadt gezogen waren und aus diesem Grunde enthält die
Festschrift, die der Verein jetzt herausgegeben hat, auch einen Rückblick
auf die Geschichte der Juden in
Bretzenheim. Nach einer Notiz aus dem Jahre 1517 empfing bereits in
früheren Jahrhunderten der Erzpriester, wenn er das Sendgericht zu
Bretzenheim abhielt, von jedem Juden einen Goldgulden. 1784 erhielten die
Juden vom Kurfürsten das Recht, liegende Güter zu erwerben. Die Schrift
enthält eine Fülle hierauf bezüglichen interessanten Materials, es würde uns
aber zu weit führen, wollten wir auch nur kurz auf den Inhalt näher
eingehen. Die Schrift hat Herrn Oskar Lehmann zum Verfasser, der seit
einer längeren Reihe von Jahren in diesem Verein allsabbatllich mit großem
Beifall aufgenommene religiöse Vorträge hält. Auch die Geschichte des
Vereins selbst, die in der Festschrift niedergelegt ist, ist insofern für
weitere Kreise bemerkenswert, als sie kurze Biografien der früheren
Vereinsrabbiner mitteilt. Ein Festgottesdienst bildete die würdige
Einleitung der Feier. Nach Absingung von Choralgesänge und der Rezitierung
von Psalmen, gedachte man der Gründer mit einem Haskarat Neschamoth-Gebete,
worauf Herr Lehmann folgende Ansprache hielt: Abraham wunderte sich – führte
er aus – dass er zu 100 Jahren noch einen Sohn erhalten solle, so wunderte
sich auch mancher, dass dieser alte Verein noch existiere, aber gerade in
seinem Alter liegen die Wurzeln seiner Kraft, wie überhaupt in dem Alter der
jüdischen Vereine der Stolz des Judentums liege. Denn lange bevor man in
nichtjüdischen Kreisen an Krankenversicherungen, Arbeitslosenunterstützung,
Invaliditätsversicherung dachte, ist dieser Gedanke in jüdischen Kreisen in
die Wirklichkeit umgesetzt worden, auch hier ist der jüdische Geist der
Kultur der übrigen Welt vorausgeeilt. Isaak erntete das Hundertfache und
verteilte es an hundert Stadttoren, so auch der Mainzer Verein: Was er in
100 Jahren einnahm, verteilte er an 100 Türen der Armen. Wechselgesang
einiger Psalmen und Choralgesang schlossen diese Feier, bei der die
Rabbinate und Vorstände der beiden Mainzer Gemeinden vertreten waren. Ein
Festessen, das am folgenden Tage stattfand, verlief in animiertester
Stimmung; es wurden viele geistreiche Worte gesprochen und anerkennende
Schreiben der staatlichen und städtischen Behörden verlesen. Auch die
jüdischen Schwestervereine, Logen usw. sandten herzliche
Glückwunschschreiben.
Anmerkungen: - Kislew:
https://de.wikipedia.org/wiki/Kislew
Oskar Lehmann: Sohn von Rabbiner Markus Lehmann
https://de.wikipedia.org/wiki/Marcus_Lehmann
Haskarat Neschamoth:
https://www.jewiki.net/wiki/Haskarat_Neschamot |
Gründung einer Ortgruppe des "Centralvereins"
(1911)
Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt"
vom 12. Mai 1911: "Mainz. Gestern wurde in einer Versammlung
jüdischer Männer und Frauen hier eine Ortsgruppe des 'Centralvereins
Deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens' gegründet. Nachdem Rabbiner
Dr. Saalfeld die Versammlung eröffnet hatte, schilderte Dr.
Mainzer –
Frankfurt a. M., die trostlose Lager der deutschen Juden seit dem
Entstehen des Antisemitismus. Dr. Hollaender – Berlin gab in
temperamentvoller Weise ein Bild der zersetzenden Wirkung der Judentaufen
und zeigte die Notwendigkeit der Organisation. Beide Redner forderten
Stärkung des jüdischen Selbstbewusstseins und Organisation. W."
Anmerkungen: - Centralverein Deutscher Staatsbürger jüdischen
Glaubens:
https://de.wikipedia.org/wiki/Central-Verein_deutscher_Staatsbürger_jüdischen_Glaubens
- Rabbiner Dr. Saalfeld:
https://de.wikipedia.org/wiki/Siegmund_Salfeld |
Chanukkafest der zionistischen Ortsgruppe
(1911)
Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt"
vom 22. Dezember 1911: "Mainz. Die hiesige zionistische
Ortsgruppe ist aus ihrem Sommerschlaf erwacht. Dienstag, den 19. Dezember,
schlug sie, um bei dem vorhin gebrauchten Bilde zu bleiben, zur 'Feier
des Chanukkafestes' die Augen auf und entdeckte viele, die nicht da
waren.
Nachdem der 2. Vorsitzende, Herr Lazarus, dem Andenken
Justizrats Dr. Loeb, dessen verdienstvolles Wirken für die Judenheit
den weitesten Kreisen bekannt sein dürfte – die
Frankfurter seien bei dieser Gelegenheit an seine eindrucksvolle Rede
anlässlich des hier stattfindenden 'Verbandstag der deutschen Juden'
erinnert – einige Worte gewidmet hatte, hielt der 1. Vorsitzende, Herr
Bloch, ein Referat über den letzten Basler Kongress. Reicher
Beifall lohnte seine interessanten und klaren Ausführungen.
Darauf gedachte man des Chanukkafestes durch gemeinsames Singen von 'Maous
zur Jeschuosi'. Gesangsvorträge von Herrn London, deklamatorische
Vorträge von Frl. Lochat und Klaviervorträge von Frl. Lazarus trugen
zur Belebung des Abends bei. Leider gab die sehr geringe Beteiligung wieder
ein Zeugnis von der Indifferenz der hiesigen Juden!"
Anmerkungen: -
Justizrat Dr. Loeb (weitere Informationen über Link)
- Maous zur Jeschuosi:
https://de.wikipedia.org/wiki/Maos_Zur |
Veranstaltung der Agudas Jisroel und Gründung einer
Mainzer Ortsgruppe (1912)
Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt"
vom 6. September 1912: "Mainz. Hier fand eine
Propagandaversammlung der Agudas Jisroel statt, die sehr zahlreiches
Publikum im Bankettsaale der 'Liederhalle' zusammenführte.
Das Referat erstattete Rabbiner Dr. Bondi – Mainz, der in
dreiviertelstündiger Rede die Grundgedanken der Agudas Jisroel entwickelte
die auf der einen Seite die Hebung der Tora in den westlichen Ländern und
andererseits die wirtschaftliche Besserstellung der östlichen Juden zu
verwirklichen habe. Redner schildert die begeisternde Konferenz in
Kattowitz, die auf jeden Besucher einen unauslöschlichen Eindruck
hinterlassen habe und fordert in warmen, zu Herzen gehenden Worten zum
Beitritt zur Mainzer Ortsgruppe auf, die unter begeisterter
Zustimmung als begründet erklärt wurde.
In kurzen Worten begrüßt noch L. Perlmutter –
Frankfurt a. M. - die neue die neue Ortsgruppe. In die aufliegenden
Listen zeichneten sich sofort etwa 70 Mitglieder ein. In den Vorstand wurden
gewählt: Rabbiner Dr. Bondi, J. Kahn, Dr. Schlesinger, J. Fulda.
Anmerkung: Agudas Jisroel:
https://de.wikipedia.org/wiki/Agudath_Israel_Weltorganisation |
Vermächtnis für den Israelitischen Hospitalverein
(1913)
Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt"
vom 5. Dezember 1913: "Mainz. Eine von hier gebürtige
Frankfurter Dame hat dem Israelitischen Hospitalverein 25.000 Mk.
geschenkt. Der Vorstand hat für das Geld das an das Krankenhaus anstoßende
Gelände angekauft, um, wenn erforderlich, später ein neues Altersheim darauf
zu errichten und den Anstaltsgarten zu vergrößern." |
Versammlung des "Israelitischen
Humanitätsvereins Mainz" (1915)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 18. März
1915: "Mainz, 12. März. Der 'Israelitische Humaitätsverein
Mainz', bestehend aus einer großen Anzahl österreichischer und
russischer Staatsangehöriger, veranstaltete am Sonntag abend eine
Versammlung, zu der sich eine zahlreiche Zuhörerschaft einfand. Der
Vorsitzende des Vereins, Herr Siegmund Biener, eröffnete die Versammlung mit
einer Ansprache, in der er die Leiden der jüdischen Kriegsopfer schilderte
und im Namen aller in Deutschland lebenden russischen Jude gegen die im
Zarenerlasse an die Juden enthaltenen unverschämten Lügen Verwahrung
einlegte.
Nach einem Gottesdienst, in welchem der endgültige Sieg der
deutsch-österreichischen Waffen erbeten wurde, wurde eine Sammlung für den
Hilfsfonds für Polen und Galizien eingeleitet, die den Betrag von 500 Mark
erreichte." |
Aus der Arbeit der "Leopold-Goldschmidt'schen
Stiftung zu Mainz" (1915)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 29. April
1915: "'In der jüngsten Nummer des 'Schulboten für Hessen' findet
sich das folgende Anschreiben 'Leopold Goldschmidt’sche Stifung zu Mainz'.
Zweck der Stiftung ist: 'Im Gebiet der Provinz Rheinhessen und namentlich in
den Landgemeinden angestellten Schullehrern oder Lehrerinnen, welche sich
durch Berufstreue bewährt haben, Gratifikationen zukommen zu lassen.'
Anmeldungen usw.
Die hessischen Volksschullehrer werden zwar ganz anständig bezahlt. Ihr
pensionsfähiges Einkommen beträgt auf dem kleinsten Gehöft 4.100 Mk. (3.100
Mark Gehalt und 300 Mark Wohnungsgeldentschädigung. Dazu kommt noch das
Honorar für den Organistendienst (2.300 Mk.) und für den obligatorischen
Fortbildungsunterricht (ca. 200 Mk, pro Jahr). Aber die Stiftung ist darum
doch nicht überflüssig und wir sind stolz darauf, dass ein Glaubensgenosse
sie ins Leben gerufen. Der Beruf der Volksschullehrer ist anstrengend und
aufreibend und es tut ihnen wohl, wen ihre Berufstreue neben dem stattlichen
Gehalt und der gesicherten Lebensstellung auch von privater Seite durch ein
äußeres klingendes Zeichen der Anerkennung belohnt wird.
Und nun die Kehrseite der Medaille. Die jüdischen Religionslehrer auf dem
Lande und in den kleinen Städten arbeiten für wahre Hungerlöhne. Das
Großherzogtum Hessen erfreut sich bekanntlich des traurigen Ruhms, seine
Religionslehrer materiell und rechtlich am schlechtesten unter allen
deutschen Staaten zu stellen, und von den drei hessischen Provinzen sind die
in Rheinhessen am übelsten daran, denn dort ist die Lebenshaltung der
Bevölkerung auch auf dem Lande verhältnismäßig hoch. Wein bei fast jeder
Mahlzeit! - und ihr stehen die niedrigsten Gehalte – von 360 Mk. pro Jahr,
nicht etwa pro Monat anfangend – gegenüber! Es trifft bei diesen Landlehrern
auch nicht zu, dass sie mehr auf 'gute Behandlung' als auf hohen Lohn sehen.
Wir haben vor nicht langer Zeit an dieser Stelle eine ganze Anzahl krasser
Fälle veröffentlicht und gezeigt, wessen sich ein Religionslehrer in Hessen
zu versehen hat. Wir können heute noch mit einigen aus der Krieg unsere
Vorstände nicht milder stimmt, aber wir wollen es, weil zwecklos, besser
unterlassen. Die jüdischen Lehrer halten trotz allem und allem wacker aus
und an Berufstreue stehen sie ihren christlichen Kollegen wahrlich nicht
nach. Sie wird auch auf Lehrerkonferenzen von Justiz und Kommerzienräten
sowie sonstigen Inhabern kultusgemeindlicher Ehrenstellen gebührend
anerkannt. Leider findet sich aber kein Glaubensgenosse, der wie der brave
Leopold Goldschmidt aus Mainz, den schönen Worten auch die brave Tat folgen
lässt. Es wird noch sehr, sehr lange dauern, bis sich in jüdischen Blättern
an die jüdischen Religionslehrer gerichtete Ausschreiben finden, ähnlich dem
im 'Schulboten für Hessen'." |
Aus der Arbeit der Agudoh-Mädchengruppe
(1928)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 26. April
1928: "Mainz, 15. April. Unsere Agudoh-Mädchengruppe hatte in
letzter Zeit durch Wegzug einiger eifriger und tatkräftiger Mitglieder eine
Einbuße zu verzeichnen. Da diese Wegzüge infolge Verheiratung entstanden
sind, mussten wir frohe Miene zu diesem Spiel machen. Dank der unermüdlichen
Tätigkeit unserer Ehrenpräsidentin, Frau Rabb. Dr. Bondi, erlahmte dennoch
die Tätigkeit unserer Gruppe keineswegs. Selbst von unbeschreiblichem Eifer
und Energie beseelt, versteht es unsere Ehrenpräsidentin, diesen Eifer auch
auf die Vorstands- und Vereinsmitglieder zu übertragen und auch bei diesen
die Liebe für die Agudoharbeit zu erwecken und entfachen. Allwöchentlich
vereinigen die Lernvorträge des Rabbinners Dr. Bondi die Mitglieder
miteinander. Bei der lehrreichen und anziehenden Weise dieser Vorträge ist
es selbstverständlich, dass sie sehr eifrig besucht werden. Unter der
bewährten und talentvollen Regie von Frau Dr. Bondi entfalten sich die
Veranstaltungen unserer Gruppe bei den verschiedenen Anlässen zu
Glanzleistungen der Kunst und Agudohgemütlichkeit. Die demnächst
stattfindende Generalversammlung wird daher über ein Jahr befriedigender
Tätigkeit berichten können." |
Über die Ortsgruppe der Agudas Jisroel in Mainz
(1937)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 25. März
1937: "Von der Agudas Jisroel-Ortsgruppe Mainz
Mit Befriedigung kann unsere Ortsgruppe auf die in diesem Winter geleistete
Arbeit zurückblicken. Außer den üblichen Schiurim hatte sie sich angelegen
sein lassen, durch Vorträge hiesiger und auswärtiger Redner die Idee und die
Ziele der Aguda einem größeren Kreise zugänglich zu machen und außerdem
Belehrung und Ermahnung damit zu verbinden. Unser verehrter Herr Rabbiner
Dr. M. Bamberger sprach an zwei Abenden über 'Rückwanderung nach Erez Israel
in früheren Jahrhunderten' und ließ dabei das Golusleid und Golusschicksal
an unserem geistigen Auge vorüberziehen. Herr Landesrabbiner i. R. Dr.
Lewinsky, Mainz, gab in seinem Referate 'Goethe und die Bibel', eine
interessante literarische Studie. Herr Rabbiner J. Mayer,
Frankfurt, brachte in seinem Vortrage 'Zeitgebundene Gebote' eine
lehrreiche Darstellung zu obigem Thema und fesselte uns durch die wunderbare
Art seiner Diktion. Herr Zahnarzt Dr. Ehrmann, Frankfurt, begeisterte seine
zahlreiche Zuhörerschar mit seinem Vortrage: 'Die Aussage der
Aguda-Vertreter vor der Königl. Kommission in Palästina' und durch die Art
und Weise, wie er von hoher Warte aus die agudistische Position im Heiligen
Land darstellte. Schließlich gab Herr Rabbiner Dr. Merzbach,
Darmstadt, in seinen Vorträgen: 'Moderne Probleme in Erez Israel
aufgrund altjüdischer Forschungsweise' noch einmal dem Primat der Tora in
allen Lagen des Lebens beredten Ausdruck. Möge die Arbeit, die die bewährten
Herren Redner geleistet haben, ihren Lohn darin finden, unserer Ortsgruppe
weitere Freunde zuzuführen.
Anmerkungen: - Schiurim: Mehrzahl von Schiur
https://de.wikipedia.org/wiki/Schi'ur
- Erez Israel:
https://de.wikipedia.org/wiki/Eretz_Israel
- Golus:
https://de.wikipedia.org/wiki/Jüdische_Diaspora
- Agudistisch: eine Strömung des orthodoxen Judentums
- Rabbiner Dr. Merzbach:
https://www.geni.com/people/Julius-Jona-Merzbach/6000000000151813774
|
Sonstiges
Sonderausgabe zu Mainz in der Zeitschrift "Menorah"
(1927)
Hinweis: die Sonderausgabe bzw. die einzelnen Beiträge können eingesehen
werden unter www.compactmemory.de.
Inhaltsverzeichnis
des Heftes 12 der Zeitschrift "Menorah" Dezember 1927 unter
"Magenza" :
- Mendele Mocher Sforim. Zu seinem zehnten Todestag am 8. Dezember. S. 699-700.
- Text aus dem Martyrologium des alten Mainzer Memorbuches. um 1250. S. 701.
- Grabstein des Maharil (gest. 1427) auf dem Wormser alten Judenfriedhof. (Fotografie). S. 702.
- Grabsteine vom Denkmalfriedhof. S. 703-704.
- Scheni ... (Scheniur 540?). (Fotografie des Grabsteins). S. 703.
Jakob Bar Menachem. gest. 1084. (Fotografie des Grabsteins). S. 703.
Schimon ben Jizchok. um 1100. (Fotografie des Grabsteins). S. 703.
Rabbenu Gerschom. 960-1028. (Fotografie des Grabsteins). S. 704.
Jakob ben Jakar. gest. 1064. (Fotografie des Grabsteins). S. 704.
Meschullam ben Kalonymos. vor 1000. (Fotografie des Grabsteins). S. 704.
Sonderheft Magenza. Zur Einführung. S. 705-717.
Rabbiner aus dem Gemälde "Die Tempelpredigt". Nach einem mittelrheinischen Meister des 15. Jh. S. 711.
Siegelabzug des Erzbischof-Kurfürsten Konrads III. 1419-1434. S. 715.
Der alte Friedhof. S. 718-728.
Plan des alten Judenfriedhofes von einem Kurmainzer Geometer. 1779. S. 723.
Privileg des Erzbischofs Gerhard II vom 18. Juni 1295. S. 728.
Wie gelangte Mainz zur Herrschaft über die Juden der Stadt?. Privileg vom 18. Juni 1295. S. 729-734.
Säulen und Pfeiler vom Fenster des sogenannten Kalonymos-Hauses. S. 735.
Das Haus des Kalonymos und der Reichtum des Humbert zum Widder. S. 735-743.
Gesamtansicht des Fensters am sogenannten Kalonymos-Hause. S. 739.
Mainz [Stadtansicht]. (Stich). S. 744.
Mainz und seine Kunst zur Zeit Maharils. S. 744-746.
Einige Aktenstücke aus der Franzosenzeit, die Mainzer Juden betreffend. S. 747-751.
Berufung des Rabbiners Seligmann Landau zum großen Sanhedrin Napoleons. S. 747.
Das Judenbad von 1684 bis zum Jahre 1811 und der Entwurf von Henrion .... S. 749.
Plan des Judenviertel [Mainz]. 1813. S. 750.
Entwurf ... für den Neubau der Synagoge [Mainz]. S. 751.
Dr. Josef Hamburg. Ein jüdischer Arzt in Mainz zur Kurfürstenzeit. S. 752.
Mainzer Redensarten. S. 752.
Blick in das Ghetto. Hintere Synagogengasse. S. 753.
Blick in das Ghetto. Vordere Synagogengasse. mit der 1853 errichteten Synagoge. S. 753.
Thoraschreinvorhang der isr. Gemeinde. (Fotografie). S. 754.
Außenansicht der alten Synagoge von 1853 [Mainz]. (Radierung). S. 755.
Von den Judengassen. S. 755-756.
Hauptsynagoge, eingeweiht 1912 [Mainz]. (Fotografie). S. 757.
Die israelitische Gemeinde Mainz in der Neuzeit. Darstellung auf Grund der Gemeindeakten. S. 757-766.
Blick in die Synagoge der Religionsgesellschaft [Mainz]. (Fotografie). S. 759.
Hauptsynagoge [Mainz]. Innenraum von der Empore gesehen. (Fotografie). S. 761.
Rabbiner Dr. E. B. Cahn. (Porträt). S. 762.
Rabbiner Dr. Josef Aub. (Porträt). S. 763.
Rabbiner Dr. Marcus Lehmann. (Porträt). S. 764.
Rabbiner Prof. Dr. Sigmund Salfeld. (Porträt). S. 765.
Beschneidungsschälchen aus dem 16. Jahrhundert. S. 767.
Ein Gang durch das Museum Jüdischer Altertümer. Historische Sammlung der israelitischen Gemeinde Mainz. S. 767-784.
Schuld-Urkunde von 1765 mit dem Gemeindesiegel .... S. 768.
Aus dem Silberschatz der Israelitischen Gemeinde. Thorakrone. S. 771.
Aus dem Silberschatz der Israelitischen Gemeinde. Thoraschild. S. 771.
Thoraschild. Aus dem Silberschatz der israelitischen Gemeinde. S. 772.
Barockterrinen der Beerdigungsbruderschaft. Schenkung des H. Reinach, 1798. S. 772.
Ecke aus der historischen Sammlung des Vereines zur Pflege jüdischer Altertümer. (Fotografie). S. 775.
Ecke aus der historischen Sammlung des Vereines zur Pflege jüdischer Altertümer. (Fotografie). S. 777.
Erinnerungsblatt für den Mameluck Isaac Herz. der den Feldzug Napoeleons I. 1808-1814 begleitete. S. 783.
Zu den Bildern. S. 784.
Die Judenwache. Abgerissen. S. 785.
Das Judenviertel um 1860 [Mainz]. S. 785-789.
Frau Emil Rathenau geb. Nachmann. Mutter Walter Rathenaus. (Porträtfoto). S. 786.
Becher des Mainzer Krankenvereines. des älteren. S. 787.
Ludwig Bamberger. (Porträt). S. 788.
Moses Kannstadt. Deputierter der Gemeinde Mainz beim Großen Synhedrion. (Porträt). S. 789.
Mainzer Minhogim. S. 790-791.
Alte Mainzer Synagogen-Gesänge. S. 791.
Jaaleh. nach Mainzer Weise. S. 792-793.
Originale und Redensarten in der Judengasse. Zusammengetragen von einem alten Mainzer. S. 794-796.
Hochzeitszug, Vordere Synagogenstraße [Mainz]. (Tondo; Rundbild). S. 795.
Judaica im Stadtarchiv und in der Stadtbibliothek [Mainz]. S. 797-803. |
Aufhebung der "Judenwache"
(1863)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 27. Mai
1863: "Mainz, den 15. Mai. Die Umwandlung der alten
Zustände ist eine allmähliche und die Zeichen der Zeit ist die Aufhebung der
sogenannten Judenwache in hiesiger Stadt, die sich fast unmerklich
vollzogen hat. Mit dieser hat es folgende Bewandtnis:
Kurfürst Johann Philipp (starb zu Würzburg 1673) hatte die Umbach,
welche ehemals durch Mainz in den Rhein floss, trocken legen und die Ufer
derselben, die früher Bleichgärten waren, in Straßen (die drei Bleichen)
umwandeln lassen. Die Stätte aber, wo früher die Umbach floss, blieb feucht
und namentlich war es eine bestimmte Stelle, die nicht gut trocken zu legen
war. Dadurch fehlten die Kommunikationsstraßen ins Innere der Stadt; um
diese herzustellen, befahl der Kurfürst im Jahre 1662, dass die Mainzer
Israeliten ihre Wohnungen und ihre Synagoge im Innern der Stadt aufgeben und
sich in der schlechtesten Gegend, wo bisher eine Schwemme für die Schweine
gewesen war, in abgesperrten Judengassen ansiedeln wollten. Diese Verordnung
blieb zwar im Jahre 1662 unausgeführt, wurde aber Anno 1671 wiederholt.
Damals waren unsere armen Vorfahren gezwungen, ihre gesunden und bequemen
Wohnhäuser im Innern der Stadt aufzugeben; auf dem Platze, wo die damalige
Synagoge stand, wurde im Jahr 1686 von dem Kurfürsten Anselm Franz von
Ingelheim, der Ingelheimer Hof gebaut*). Der neuentstandenen Judengassen
waren zwei (nebeneinander), die offene und die geschlossene. Die
geschlossene hatte an jedem Ende Tore, welche an christlichen Sonn- und
Festtagen geschlossen wurden; daher der Name. In den Eingang der offenen
Judengasse wurde ein Wachthaus gebaut. Dieses hatte einen doppelten Zweck:
Erstlich, jede Passage mit Fuhrwerken zu hindern; und zweitens die Juden vor
etwaigen Angriffen des Pöbels zu schützen. Dies ist die sogenannte
Judenwache.
Im Jahre 1798 , nachdem sich die Franzosen der Stadt bemächtigt hatten,
wurden die Tore der geschlossenen Judengasse in feierlicher Weise unter
Musik und festlichen Reden entfernt, die Gasse selbst trägt seit einigen
Jahren den Namen 'Synagogengasse'. Das Wachhaus steht aber noch und war bis
vor wenigen Wochen von kaiserlich königlich österreichischem Militär
besetzt. Seitdem ist die Wache ganz geräuschlos aufgehoben und das Haus an
einen Schlosser vermietet worden, der es gestern bezogen hat.
*) Dieses palastähnliche Gebäude befindet sich wieder in jüdischen Händen
und zwar im Besitze des Herrn L. Strauß Söhne in Mainz.
Anmerkungen: - Umbach:
https://de.wikipedia.org/wiki/Bleichenviertel
- Kurfürst Johann Philipp:
https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Philipp_von_Schönborn
- Kurfürst Anselm Franz:
https://de.wikipedia.org/wiki/Anselm_Franz_von_Ingelheim_(1634-1695)
- Judenwache: Station 3
https://landesmuseum-mainz.de/de/angebote-programm/digitale-angebote/stadtspaziergang/
|
Das antisemitische Blatt "Wucherpille" ist
eingegangen (1886)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 6. Juli 1886: "Mainz, 25. Juni. Zur 'Unterstützung der
antisemitischen Bewegung' wurde vor etwa 2 Jahren hier ein sich
'Wucherpille' nennendes Blatt gegründet, das mit wenig Witz und viel Behagen
gewissenhaft jedes Verbrechen und Vergehen registrierte, das auf irgendeinem
Winkel des Erdballs von einem Israeliten begangen ist oder begangen sein
soll. Trotz verschiedener Zuwendungen bei der letzten Reichstagswahl wurden
ihm von dem bekannten flüchtigen Ehrenmann Kinsberger bedeutende Beiträge
als Lohn für die für Herrn von Schauß betriebenen Agitation zugewendet – ist
das edle Blatt wegen Mangel an Abonnenten und Subsistenzmitteln heute sanft
entschlafen. Sein Herausgeber und Redakteur empfiehlt sich jetzt als
öffentlicher Schreiber zum Abfassen von Bittschriften und
Gelegenheitsgedichten." |
Gründung
des Vereins der israelitischen Lehrer des Großherzogtums Hessen in Mainz (1890)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 13. Juni 1890: "Aus Rheinhessen, 6. Juni
(1890). Gestern fand im israelitischen Gemeindesaale in Mainz die
Gründung eines Vereins der israelitischen Lehrer des Großherzogtums
Hessen statt. Es waren ungefähr 35 bis 40 Lehrer und die Herren Rabbiner
Dr. Salfeld aus Mainz und Dr. Stein aus Worms
anwesend. Zum Vorsitzenden wurde Herr Lehrer Klingenstein - Ober-Ingelheim
gewählt. Es wurde sodann eine Kommission gewählt zum Entwurf von Stauten
und eine andere zum Entwurf eines Denkschrift, welche bei der Regierung
eingereicht werden und in der die traurigen Missstände, die auf dem
Gebiete des Schulwesens in unserem Lande herrschen, dargelegt und die
Regierung ersucht werden soll, dieselben abzustellen. Besonders erfreulich
war die rege Beteiligung der beiden Herren Rabbiner an den Debatten,
welche sich noch über manche Verhältnisse des religiösen Leben
erstreckten, und trat hier so recht die Zusammengehörigkeit der beiden Stände,
die von jeher eins im Judentum waren, wohltuend hervor. Hoffen wir, dass
die Begeisterung, wie sie sich gestern für den Verein kund gab,
nachhaltig wirke! Die nächste Versammlung wird in Darmstadt stattfinden.
Ein gemeinschaftliches Mal mit verschiedenen Toasten folgte den
Verhandlungen, und bis zum späten Abend verbrachten noch viele Besucher
der Versammlung vergnügte Stunden gemütlichen Beisammenseins im goldenen
Mainz. Auf ein Ergebenheits-Telegramm, das dem Großherzog gesandt wurde,
traf die Antwort ein: 'Aufrichtigen Dank für die ausgesprochene Gesinnung
des neuen Vereins. Ludwig.' Möge der neue Verein blühen und
gedeihen!" |
Die "Judengasse" wurde vom alten Pflaster
befreit und erhielt einen Asphaltbelag
(1897)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
6. September 1897: "Mainz, 1. Sept. (Unlieb verspätet)
Wenn einer unserer Voreltern, die vor 120 Jahren hier gelebt haben, an
vergangenem Tischo beav wieder erwacht und in das alte Mainzer Ghetto
gekommen wäre, so hätte er glauben müssen, dass der Messias endlich
angelangt und die heiß ersehnte Erlösung uns gebracht habe.
Denn an diesem jüdischen nationalem Trauertage war die Mainzer Judengasse
festlich geschmückt. Hunderte von buntem Lampen erleuchteten dieselbe und
mitten auf der Gasse standen Tisch an Tisch und Stuhl an Stuhl, auf welchem
fröhliche Zecher saßen, welche die ganze Nacht von Samstag auf Sonntag
hindurch bei Becherklang und Liedersang in ungebundenster Heiterkeit. Der
geehrte Leser wird erstaunt fragen, was den mit diesem historischen Orte
vorgegangen sei. Nun, es war eigentlich ein wenig bedeutendes Ereignis, das
die Bewohner dieser Gasse, welche heute zum allergrößten Teile aus
Nichtjuden bestehen, gefeiert haben, das aber bei dem heiteren Sinn der
hiesigen Bevölkerung, welche gern jeden Anlass benutzt, um Feste zu feiern,
sich recht hübsch gestaltete. Es war ein sogenanntes Pflasterfest, das hier
in andern Gassen, auch schon mehrfach gefeiert wurde.
Das alte holperige, aus früheren Jahrhunderte stammende Pflaster ist
entfernt worden und auf Anordnung der städtischen Behörden wurde die Straße
mit hübschem Asphalt versehen. Wenn ein Nichtmainzer die Lieder lesen würde,
die bei dieser Gelegenheit gedruckt und gesungen wurden, so möchte er wohl
glauben, dass ein leiser, antisemitischer Zug durch die hiesige Bevölkerung
gehe. Wir aber wissen, dass alle diese Scherze ganz harmloser Natur sind,
die der Mainzer Jude seiner, selbst im Sommer karnevalistischen Vaterstadt
nicht übel nimmt. Es sei uns vergönnt, einzelne Verse aus den Liedern hier
wiederzugeben:
Vor alter Zeit war eingezwängt,
Allhier die Judenschaft
O waih, wie war sie eingeschränkt
Nach des Gesetzes Kraft
Gesperrt dort drüben durch ein Tor,
Das abends man verschloss.
Hier stand die 'Juden-Wach' davor;
Das war, was sie verdross.
Doch bald tat Freiheit ihnen winken, ein großer Mann, 'Napoleon',
Der ließ der Tore Mauern sinken, es jauchzten Kohn, Hersch, Aronsohn. |
Dann
einer nach dem andern floh,
Ach Jekuff mit seim Schatz
Aus dem Juden-Eldorado,
- Als wär’s an 'Dalles-Platz'.
In ander’em Viertel macht er nun
‘s Geschäft viel besser gar.
:,: Und sein Nachkommen längst ausruh’n
Wohl drauß’ am Boulevard. :,:
Blüht nun’s Geschäft, nu Gottes Wunder, und geht nit flau, wird’s aach nit
mau,
E’ koscherer Jüd geht niemals unter, denn er ist schlau! jau, jau, jau,
jau,jau
Ob Jüd, ob Christ, is’ ganz egal,
Heut bei dem Asphaltfest.
Ein Jeder freut sich sonder Wahl
Und amüsiert sich fest.
Gar deutlich tritt wohl hier zu Tag
Der Mainzer Bürgersinn,
:,: Man sieht, was Einigkeit vermag,
Schaut auf den Jubel hin. :,:
Drum haltet fest und treu zusammen, zu jeder Zeit, in Schmerz und Freud,
Und mögen finstere Wolken kommen, dann nicht verzagt, s’ kommt bess’re Zeit!
Am Schawwes gab es Bohnesupp’, uff Pessach Matzeklöß’,
Un’ Kul un’ Schalet ohne Spaß, das schmeckte gar net bös,
Un’ Milch- und Fläaschding gab es noch in jedem kosch’re Haus,
:,: Auch blies das Licht am Leuchterarm die Schawesgoje aus. :,:
Dann schliefen all’ in Ruh’ und Frieden
Gar wohl bewacht die ganze Nacht,
Die guten und die andern Jüden,
Die ganze Nacht, gar wohl bewacht!
Doch heute ist von allem kaum ein wenig noch am Ort,
Die Mauer weg, die Wache fehlt; selbst Israel ist fort;
Die Straße ist jetzt umgebaut, neu Pflaster comme il faut,
:,:Drum haben Christen ihre Freud, die Juden ihr Hanno!:,:
Die jetzigen Bewohner der Judengasse wünschen diesselbe durchaus 'umgetauft'
zu haben und zwar zur Erinnerung an das österreichische Militär, das zur
Zeit der Bundesfestung hier lag, in Franz-Josefstraße. H."
Anmerkungen: - Tischo beav:
https://de.wikipedia.org/wiki/Tischa_beAv
- Dalles-Platz:
https://de.wikipedia.org/wiki/Dalles
- Schawwes: Sabbat
- Schawesgoje: Schabbesgoi:
https://de-academic.com/dic.nsf/dewiki/1240990
- Wache: (hier) Judenwache:
https://www.alemannia-judaica.de/mainz_gemeindeleben.htm#Aufhebung%20der%20%22Judenwache%22%20(1863)%C2%A0
- Israel: Jüdische Gemeinschaft. |
Neuregelungen der Sonntagsruhe unter jüdischer Beteiligung
(1917)
Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt"
vom 23. Februar 1917: "Mainz. Sonntagsruhe
Die Handelskammer gab ihr Gutachten dahin ab, bei Einführung der
völligen Sonntagsruhe die am Sonntag schließenden Geschäfte ihr Personal
zwei Stunden im inneren Geschäftsbetriebe arbeiten zu lassen. Auch die
Stadtverordneten befassten sich mit der Angelegenheit, die
Stadtverordneter Bankier Eduard Simon als gesetzestreuer Jude klar
beleuchtete. Der Referent zu diesem Punkte der Tagesordnung bezog sich auf
die Entscheidung des bayerischen Oberlandesgerichts, nach der festgestellt
sei, dass, nach deutschem Reichsgesetz nur für ganze Gewerbe, nicht aber für
einzelne Personenkreise Ausnahmen vom Sonntagsruhegesetz zulässig seien, er
glaube daher, so sympathisch ihm als strenggläubiger Katholik die Wünsche
der frommen Juden seien, dass ihnen in diesem Falle doch nicht geholfen
werden könne. Geheimer Justizrat und Landtagsabgeordneter Dr. Ad. F.
Schmitt, gleichfalls Mitglied der Zentrumspartei, meint, dass, wenn
reichsgesetzliche Schwierigkeiten im Wege stünden, diese ja durch Anträge
beim Reichstage beseitigt werden könnten. Stadtverordneter und
Landtagsabgeordneter Adelung (Soz.) meint, dass dem Wunsche der
orthodoxen Juden stattgegeben werden müsse, nur dürften dann die jungen
Leute nach Sabbatausgang in der Nacht nicht stundenlang beschäftigt werden.
Auch für die Konditoren und Blumenhändler, die durch die völlige
Sonntagsruhe schwer geschädigt seien, müsste Ausnahmen gefunden werden.
Schließlich wurde ein Antrag Rechtsanwalts Leopold Mayer, Mitglied
des Vorstandes der israelitischen Hauptgemeinde, angenommen, nachdem die
völlige Sonntagsruhe zwar beschlossen werden solle, dass aber gesucht werde,
eine Form zu finden, um den Schwierigkeiten der orthodoxen Juden zu
begegnen. Demnach wird die völlige Sonntagsruhe in Mainz eingeführt, wenn
Wiesbaden
und einige Nachbarstädte sie ebenfalls einführen."
Anmerkung: Adelung: Bernhard Adelung
https://www.darmstadt-stadtlexikon.de/a/adelung-bernhard.html
|
Über die "Judengassen" in Mainz (Artikel
von 1927)
Artikel
in der Zeitschrift "Menorah" vom Dezember 1927 S. 755: "VON DEN
JUDENGASSEN
Der alte Name 'Judengasse' lebt noch heute im Mainzer Volksmunde ruhig
weiter, obwohl man schon vor ungefähr 70 Jahren in der amtlichen Bezeichnung
die Gassen umgetauft hat.
Das Mainzer Adressbuch von 1843 führt noch an: 1. eine Judengasse, 2. eine
offene Judengasse und 3. eine hintere Judengasse. Ihnen entsprechen die
heutige Margarethengasse, die vordere und die hintere Synagogenstraße. Erst
im Adressbuche von 1860 taucht eine Synagogenstraße auf, mit der
Bemerkung: 'früher: vordere Judengasse'.
Reiches Material für die Geschichte der Mainzer Judengasse findet sich bei
Salfeld: 'Bilder aus der Vergangenheit der jüdischen Gemeinde Mainz', S. 40
ff. und bei Schrohe: 'Kurmainz unter kurfürstlicher Verwaltung', Beiträge
zur Geschichte der Stadt Mainz, Band 5, an verschiedenen Stellen. Nach der
baulichen und baugeschichtlichen Seite hin widmet ihnen Vogts 'Das Mainzer
Wohnhaus im 18. Jahrhundert' Beiträge zur Geschichte der Stadt, Band 1,
Seite 37, ein besonderes Kapitel.
Für die Topographie der Judengassen werden die älteren Mainzer
Stadtaufnahmen (von 1568) ab, die Professor Dr. Schrohe für die Beiträge zur
Geschichte der Stadt Mainz, Band 6 und 7, bearbeitet hat und deren 1. Band
bereits im Druck ist, noch manches wertvolle Material bringen. Ganz
abgesehen von einer zusammenfassenden Darstellung der Geschichte der Mainzer
Judengassen, wäre es für die heimatliche Geschichtsforschung eine nicht so
ganz belanglose Aufgabe, auch dem oben erwähnten Umtaufen der alten
Gassennamen und ihrer Begründung einmal nachzugehen. Selbst aus diesen
scheinbar nebensächlichen Feststellungen dürften immerhin in die Geschichte
de Mainzer Judengemeinde und deren Stellung in der Stadt einige kleine
Streiflichter fallen.
Hier soll nur das Bild einer der Mainzer Judengassen zum ersten Mal
veröffentlicht und nur soviel gebracht werden, als zu dessen Erläuterung und
Verständnis nötig ist.
Erst die Verordnung des Kurfürsten Johann Philipp von Schönborn am 8.
Dezember 1662 und späterhin die Judenordnung |
vom
12. November 1671 verwies die Mainzer Judenschaft, die früher zerstreut in
der Stadt gewohnt hatte, in ein Ghetto. Der ersten Verordnung zufolge
durften nicht mehr als 20 Juden (-familien) in der Stadt bleiben. Sie
sollten in einer Gasse zusammen wohnen, an die bezeichneten Stellen
innerhalb zweier Jahre ihre Synagoge und ihre eigenen Häuser in der Weise
bauen, wie sie ihnen das kurfürstliche Kammeramt angeben und gestatten
werde. Der zuletzt genannte Erlass bestimmte: es werden nicht mehr als zehn
schutzverwandte Juden (-familien) in Mainz geduldet. Diese müssen in der
alten Judengasse, unfern der armen Klarissen, wie Ihnen solches die Kammer
bestimmt, wohnen, die Gasse oben und unten schließen, die sonst von Ihnen
innegehabten Behausungen sowie die Synagoge binnen Jahresfrist an Bürger
verkaufen und so weiter.
Das hier den Juden zur Bebauung überwiesene Gebiet unfern der armen
Klarissen ist das der heutigen hinteren und vorderen Synagogenstraße. Der
sogenannte schwedische Stadtplan aus der Zeit des Kurfürsten Johann
Schweikard von Cronberg, der um 1626 aufgenommen wurde, verzeichnet gerade
an der einen Seite der hinteren Synagogenstraße (nach der Emmeransgasse hin)
noch viel unbebautes Gebiet.
Die Zahl der geduldeten Juden hatte sich gegen Ende des 17. Jahrhunderts auf
100 (Familien) erhöht. Mit dem zur Verfügung stehenden Baugelände musste
deshalb sparsam umgegangen werden. Auch hier bewährte sich - fast im
wörtlichen Sinne - das Sprichwort 'Viele Brüder, schmale Güter'. Es galt,
hier aus dem zur Verfügung stehenden Gelände möglichst viele Bauplätze zu
gewinnen. Man gab diesen daher in der Tiefe mehr als das Vierfache der
Breite, zerschnitt also das Gelände in schmale Riemen. Unser Bild der
hinteren Judengasse mit den dicht aufeinander sitzenden schmalen
Häuserfonten zeigt dies noch deutlich. Die Straßenflucht ist stark gekrümmt,
was vielleicht mit darin seinen Grund haben mag, dass man für die
Häuserfronten möglichst viel Platz gewinnen wollte. Die Mehrzahl der Häuser
hat nur zwei Fenster in der Front. Die mangelnde Breite ersetzte man durch
die Höhe und baute vierstöckig mit Zwerchgiebeln. Häuser mit drei und oder
mehr Fensterachsen, die ursprünglich auch nur die übliche Höhe von drei
Stockwerken hatten, treten nur vereinzelt auf, was seinen Grund vielleicht
in dem größeren Wohlstand des Bauherrn oder dessen höherer amtlicher
Stellung in der Gemeinde haben mag. Gerade diese eigenartige Bauweise und
Gruppierung der Häuser gibt dem Straßenbilde dieser Mainzer Judengasse
seinen eigenartigen Charakter, keine der anderen älteren Mainzer Gassen
zeigt in dieser Hinsicht etwas ähnliches.
Aber bei aller jener durch die Notlage gebotenen Beschränkung im Ausbau der
Judengassenhäuser verzichtete man ihm Äußern und Innern doch nicht völlig
auf künstlerischen Schmuck. 'Bei aller Armut, die in den Judengassen
geherrscht hat, trifft man doch auf vielen kleinen Schmuck, hübsche Masken
und Kartuschen über den Eingängen, die zum Teil die Häusernamen andeuten,
wie 'Bär' oder 'die Ente', auf schöne Haus- oder Innentüren, Türklopfer,
Treppengeländer, Rahmendecken und dergleichen', so schreibt Vogt a.a.O..
Gerade für den in den beiden ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts in der
Stuckdekoration herrschenden Stil - das sogenannte Knorpelwerkmuster -
finden sich hier zahlreiche Beispiele, von denen leider eines der reichsten
und schönsten unlängst den Bedürfnissen der Neuzeit zum Opfer fallen musste.
Unserer heutigen 'Wohnkultur' und unseren heutigen hochgesteigerten
Ansprüchen an Licht und Luft mögen allerdings diese Wohnräume nicht mehr so
ganz entsprechen. Ja selbst für die zur Zeit ihre Entstehung waltenden
Verhältnisse könnten sie in dieser Hinsicht als schon recht dürftig
betrachtet werden. Aber bei aller Not und Bedrückung fanden ihre Bewohner
dort im stillen, weltabgeschlossenen Heime und am eigenen Herde in
einem glücklichen Familienleben Ruhe und Frieden.
Neeb."
Anmerkungen:
- Prof. Dr. Schrohe:
https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Schrohe
- Kurfürst Johann Philipp von Schönborn:
https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Philipp_von_Sch%C3%B6nborn
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Umtriebe von Nationalsozialisten
(1931)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
10. September 1931: "Mainz, 3. Sept. Im Monat April zog ein Trupp
Nationalsozialisten von etwa 100 Mann durch den Ort Dexheim bei
Oppenheim
und sangen dabei ihre Kampflieder, die eine Herausforderung der
republikanischen Bevölkerung waren. In einem Lied hieß es: 'Erst wenn die
Juden bluten, dann ist das Volk befreit'. - Es wurde Anzeige bei der
Staatsanwaltschaft Mainz erhoben, da die Tendenz des Liedes offen den
Judenmord ausspricht. Grund zu der Anzeige lag um so mehr vor, als wenige
Tage vorher Dr. Goebbels, der im 'Angriff' dieses Lied abgedruckt hatte, vom
Berliner Gericht wegen Aufreizung zum Klassenhass zu 500 Mark Geldstrafe
verurteilt worden war. Die Staatsanwaltschaft in Mainz jedoch sah in dem
Lied keinerlei Aufreizung zum Klassenhass und Gefährdung des öffentlichen
Friedens. Sie begründete den Einstellungsbeschluss wie folgt: 'Hessische
Staatsanwaltschaft, J. 3837/31, betreffend: Strafsache gegen Strub,
Friedrich in
Nierstein.
Beschluß: Einstellung des Verfahrens
Eine Gefährdung des öffentlichen Friedens ist nicht erweislich. Durch das
Singen des Liedes kann feststellbar nicht die Gefahr begründet werden, dass,
wenn auch nicht sofort, so doch bei einer sich bietenden Gelegenheit es zu
Gewalttätigkeiten zwischen Bevölkerungsklassen komme, zumal Angehörige
jüdischer Konfession in Dexheim nicht wohnen. Aber abgesehen hiervon, lässt
sich nicht beweisen, dass eine vorsätzliche Anreizung geschah und darüber
hinaus ist nicht erweislich, dass das Wollen des Beschuldigten die Begehung
von Gewalttätigkeiten und die Gefährdung des öffentlichen Friedens mit
umfasste.'"
Anmerkungen: - Erst wenn die Juden bluten: Lied der Hitler-Jugend aus 'Uns
geht die Sonne nicht unter. Lieder der Hitler-Jugend', Duisburg, 1934
- Dr. Goebbels:
https://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_Goebbels
- Angriff:
https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Angriff |
Ein
jüdisch - nichtjüdisches Paar wird anlässlich der standesamtlichen Trauung in
"Schutzhaft" genommen (1934)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 15. März
1934: "Mainz, 14. März. Nach dem 'Mainzer Anzeiger' sammelte
sich Ende vergangener Woche vor dem Standesamt in Mainz eine erregte
Menschenmenge, als ein Nichtarier aus
Kassel
sich mit einer arischen Arbeiterin aus Mainz trauen lassen wollte. Die
Demonstration habe so bedrohliche Formen angenommen, dass das
Überfallkommando beide in Schutzhaft nehmen musste."
Anmerkung: Schutzhaft:
https://de.wikipedia.org/wiki/Schutzhaft |
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