Eingangsseite
Aktuelle Informationen
Jahrestagungen von Alemannia
Judaica
Die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft
Jüdische Friedhöfe
(Frühere und
bestehende) Synagogen
Übersicht:
Jüdische Kulturdenkmale in der Region
Bestehende
jüdische Gemeinden in der Region
Jüdische
Museen
FORSCHUNGS-
PROJEKTE
Literatur
und Presseartikel
Adressliste
Digitale
Postkarten
Links
| |
zurück zur Übersicht "Synagogen in der Region"
zurück zur Übersicht "Synagogen in Thüringen"
Ellrich am
Harz (Kreis Nordhausen)
Jüdische Geschichte / Synagoge
("eine der ältesten und frömmsten Gemeinden
unserer Gegend...", 1846)
Übersicht:
Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde
In Ellrich bestand eine jüdische
Gemeinde bis 1938. Bereits im Mittelalter lebten Juden in der Stadt. 1320
wird der Jude Jakob von Ellrich in Nordhausen als Bürger aufgenommen. Während
der Pestzeit 1348/49 kam es auch in Ellrich zu einer Judenverfolgung.
Danach werden erst wieder 1388/89 Juden aus Ellrich genannt (Jud Michel
von Ellrich und sein Sohn Vifelman in Erfurt; möglicherweise war Michel v.E.
jedoch vor der Pestzeitverfolgung in Ellrich ansässig). 1418 lebten
sicher Juden in der Stadt, doch waren es wohl nur wenige, da sie eine relative
geringe Abgabe von 4 Gulden an das Reich zu bezahlen hatten.
Im 16. Jahrhundert wurden 1570 sechs jüdische Familien in der
Stadt gezählt (Wolf, Moses, Mayer, David, Isaak und Michel). 1580
erfolgte eine vorübergehende Vertreibung der Juden aus der Stadt. 1591
wird wiederum ein Jude namens Jacob in der Stadt genannt. Er war vermutlich aus
Göttingen zugezogen, wo in diesem Jahr die Juden ausgewiesen worden waren. Jud
Jacob bat damals den Rat von Nordhausen, den Zuzug seiner vier Schwäger aus
Göttingen in der Reichsstadt zu gestatten. 1593 kam es - auf Bitten des
Rates von Ellrich - erneut zu einer Ausweisung aller Juden aus der Grafschaft
Hohnstein.
Im 17. Jahrhundert lassen sich ab 1614, sicher seit 1619 wieder mehrere
jüdische Personen / Familien in der Stadt nachweisen. Aus diesem Jahr (1619)
liegt eine Bitte der Juden aus Ellrich an den Rat der Stadt Nordhausen vor,
ihnen in der Stadt freier Geleit und den Handel zu gewähren. In der Zeit des
Dreißigjährigen Krieges wurde Ellrich mehrfach von durchziehenden Truppen in
Mitleidenschaft gezogen. 1627 hört man, dass die Häuser der Juden
Sussmann und Moses von Ellrich dabei abgebrannt wurden. Die beiden fanden
(vorübergehend oder beständig?) Aufnahme in Nordhausen.
Die Zahl der jüdischen Familien nahm in der Zeit nach dem Dreißigjährigen
Krieg in Ellrich zu, sodass 1727 26 jüdische Familien gezählt
wurden.
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Zahl der jüdischen Einwohner wie
folgt: 1812 129 jüdische Einwohner, 1816 141, 1840 146, 1861 93.
An Einrichtungen bestanden eine Synagoge (s.u.), eine jüdische Schule
(vermutlich immer Religions- und nicht Konfessionsschule, vgl. Ausschreibungen
der Stelle des "Religionslehrers" unten)), ein rituelles Bad (im
Keller eines Anbaus zur Synagoge) und ein Friedhof.
Zur Besorgung religiöser Aufgaben der Gemeinde war ein Lehrer
angestellt, der zugleich als Vorbeter und Schochet tätig war (vgl.
Ausschreibungen der Stelle von 1847 und 1861).
In den Listen der Gefallenen des Ersten Weltkrieges werden keine jüdischen
Gefallenen aus Ellrich genannt.
Um 1924, als zur Gemeinde noch 16 Personen gehörten (in vier Familien;
0,5 % von insgesamt ca. 4960 Einwohnern), war Gemeindevorsteher Wilhelm
Nußbaum. Die das Gymnasium Nordhausen besuchenden Schüler aus Ellrich
erhielten ihren Religionsunterricht durch den dortigen Rabbiner und Lehrer Dr.
Levy. 1932 gehörten 14 Personen der jüdischen Gemeinde an.
1933 lebten noch ca. 15 jüdische Personen in der Stadt. In
den folgenden Jahren ist ein Teil von ihnen auf Grund der Folgen des wirtschaftlichen Boykotts,
der zunehmenden Entrechtung und der
Repressalien weggezogen beziehungsweise ausgewandert. 1938 wurden noch neun
jüdische Einwohner gezählt. Beim Novemberpogrom 1938 wurde die Synagoge
geschändet, später abgebrochen (s.u.). Die jüdischen Männer wurden verhaftet
und in das KZ Buchenwald verschleppt, darunter Rechtsanwalt Walter Richter und
sein Sohn. Familie Richter wohnte in der Bahnhofstraße; er war Mitinhaber der
Harzer Papierfabrik und war bereits im Frühjahr 1933 in "Schutzhaft"
genommen worden. Bei seiner dritten Verhaftung nahm es sich 1939 im
Gerichtsgefängnis Nordhausen das Leben. Sein Sohn, zuletzt im KZ Gross-Rosen,
überlebte die Deportation.
Von den in Ellrich geborenen und/oder
längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit
umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad
Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches
- Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Max Ballin (1882), Selmar
Ballin (170), Max Baumgarten (1874), Michaelis Max Michael Bernstein (1863),
Rosa Bernstein (1861), Bertha Busch geb. Holländer (1871), Fanny Dessauer
(1860), Rahel Feldmann geb. Bergmann (1864), Johanna Fichtmann geb. Burchhardt
(1873), Henriette Ida Frohnhausen (1884), Moritz Frohnhausen (1864), Henriette
Grunsfeld (1904), Karl Grunsfeld (1884), Minna Grunsfeld (1886), Selmar (Selma)
Grunsfeld (1886), Leopold Rein (1858), Georg Schottländer (1859), Minna Wolf
geb. Rhein (1866).
An der Mauer des jüdischen Friedhofes Ecke Töpferstraße / Karlstraße
erinnert seit 1988 (ersetzt 1994) eine Gedenktafel an die frühere
jüdische Gemeinde der Stadt mit der Inschrift: "Zum Gedenken an die
jüdische Gemeinde 1591 - 1938".
Im Juni 2015 wurden insgesamt acht "Stolpersteine" in
der Stadt verlegt (siehe unten). Vgl. Wikipedia-Artikel
https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Ellrich.
Hinweis: Über das KZ-Außenlager Ellrich-Juliushütte siehe
Informationen über den Wikipedia-Artikel
"KZ-Außenlager Ellrich-Juliushütte"
Berichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde
Aus der Geschichte der
jüdischen Lehrer
Ausschreibungen der Stelle des Religionslehrers / Vorbeters / Schochet 1847 /
1861
Anzeige
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 9. August 1847:
"Gesuche.
Für die hiesige Gemeinde wird zum 1. Ijar 5608 (= 4. Mai 1848) ein
Religionslehrer, Vorbeter und Schächter gesucht. Derselbe erhält einen
fixen jährlichen Gehalt von 150 Thaler nebst der sogenannten Schechite
und Akzidenzien. Hierauf Reflektierende wollen sich unter portofreier
Einsendung ihrer Zeugnisse bis den 1. Oktober dieses Jahres bei
unterzeichnetem Vorstande melden.
Ellrich, den 27. Juli 1847.
Der israelitische Gemeindevorstand. J.H. Warburg."
|
|
Anzeige
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 13. August 1861:
"Anzeigen.
Ein jüdischer Religionslehrer, welcher zugleich Schochet und Vorbeter
ist, womöglich unverheiratet, wird von uns zu Mitte Oktober dieses Jahres
zu engagieren gesucht. Gehalt Thaler 200 pro Jahr. Bewerber wollen ihre
Zeugnisse franco richten an
den Vorstand der Synagogen-Gemeine L. Frohnhausen. Ellrich,
Regierungs-Bezirk Erfurt, Juli 1861." |
Aus dem
jüdischen Gemeindeleben
In Ellrich fehlt ein "geistlicher Redner" (1846)
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 30. November
1846: "Das benachbarte Ellrich, eine der ältesten und
frömmsten Gemeinden unserer Gegend, wo ehemals eine rabbinische
Zelebrität, R. Hirsch lebte, entbehrt leider ebenfalls noch des
geistlichen Redners. Auch das weibliche Geschlecht und die Jugend müssen
bedacht werden". |
Brandkatastrophe in Ellrich am 13. und 15. September
1841
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 16. Oktober
1841: "Nordhausen, 22. September (1841). Nachdem in Ellrich
am 13. dieses (Monats) schon eine Feuersbrunst gewütet, welche 21 Häuser
in Asche gelegt hatte, wobei aber die jüdische Gemeinde verschont
geblieben, entstand am 15. dieses Monats, nachmittags 3 Uhr, als dieselbe
dem Beginn des Neujahrsfestes entgegensah, aufs Neue Feuer, und zwar in
den Straßen, die von dem größten Teil der jüdischen Gemeinde bewohnt
werden, welches mit rasender Schnelligkeit um sich griff, sodass binnen
einer Stunde 30 Wohnhäuser, darunter die 16 jüdischen Familien, in
vollen Flammen standen. Durch das rasche Umsichgreifen des Feuers und die
Bestürzung, in welche hierdurch die Bewohner versetzt waren, wurde es
denselben unmöglich, etwas von ihren Habseligkeiten zu retten. In wenigen
Stunden waren ihre Wohnungen, ihr Hab' und Gut eine Beute der Flammen, und
am ersten Tage des Neujahrsfestes standen sie - ein grässlicher Anblick -
auf den Trümmern ihrer Habe! Nur 6 der abgebrannten Familien sind
einigermaßen wohlhabend; die übrigen 10 hingegen, welche sich zwar
kümmerlich, aber rechtlich ernährt hatten, sind jetzt im tiefsten Elend.
Ohne Kleidungsstücke, ohne Betten, ohne Obdach, ohne Holz, ohne Mittel
endlich zur Subsistenz ihrer zum Teil starken Familien, sehen sie mit
Bangen dem nahenden Winter entgegen. Es ist unmöglich, das Elend zu
schildern, und wenn gleich die hiesige Gemeinde sehr hilfreich
eingeschritten, so reichen doch einzelne Kräfte nicht hin, dem Elend zu
steuern; es bedarf allgemeiner, rascher Hilfe, und deshalb hat das
unterzeichnete Komitee die Vorstände nicht zu entfernter Gemeinden
gebeten, von den Mitgliedern ihrer Gemeinde Gaben für die armen
Abgebrannten |
anzunehmen,
und die eingehenden Beiträge an den mitunterzeichneten Vorsteher Ph.
Solmitz einzusenden. Die Gemeinde zu Ellrich ist beinahe aufgelöst, und
außer Stande, für ihre armen Brüder auf diesem Wege zu sorgen.
Wir erlauben uns daher, es Ihrem Ermessen anheim zu stellen, ob Sie von
der gegenwärtigen Mitteilung - als Privatmitteilung - Gebrauch machen
wollen, um in Ihrer weitverbreiteten, vielgelesenen Zeitung des Judentums
das Unglück zur Kunde des Publikums zu bringen, und dasselbe aufzufordern,
den Unglücklichen Spenden zu reichen, was umso wirksamer sein würde,
wenn Sie sich geneigt finden, eingehende Beiträge anzunehmen. Auch die
Gemeinden, an welche wir uns bittend gerichtet haben, würden, wenn sie
die Anforderung in Ihrer Zeitung lesen, sich zur Beisteuer mehr angeregt
finden, da die Zeitung des Judentums schon so oft zur Beförderung guter
Zwecke hilfreich gewesen, und allgemein als ein hochgeachtetes Organ
betrachtet wird. Schließlich bitten wir Sie etc. etc.
Das Komitee zur Unterstützung der abgebrannten armen Ellericher
Israeliten.
Ph. Solmitz, Vorsteher. A. Cohn, Prediger. H. Bach.
Die Redaktion ist sehr gern erbötig, Beiträge anzunehmen, sie Herrn
Solmitz zu übersenden, und darüber Bescheinigung als Beleg zu
veröffentlichen. |
Danksagung für die Mithilfe bei der Brandkatastrophe
(Juli 1842)
Anzeige
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 16. Juli
1842: Danksagung.
Im Namen der, durch die am 15. September vorigen Jashres hier
stattgefundene Feuersbrunst verunglückten jüdischen Familien unserer
Gemeinde sagen wir den edlen Herren: Ph. Solmitz, H. Bach und A. Cohn
zu Nordhausen für die uns zur Zeit der Not geleisteten Dienste den
herzlichsten und innigsten Dank! Es wird uns ewig unvergesslich bleiben,
mit welchem Eifer und mit welcher Menschenfreundlichkeit uns diese braven
Männer ihre hilfreiche Hand geboten haben! Der Allgütige wird ihre
niedere Tat belohnen!
Dem Herrn Dr. L. Philippson zu Magdeburg sind wir ebenfalls für
die in der Allgemeinen Zeitung des Judentums veröffentliche Unterstützungsaufforderung,
sowie für die durch denselben uns zugegangenen Beiträge sehr
verpflichtet. Möge der Himmel diesen Mann eine lange Reihe von Jahren
erhalten!
Auch besonders unsern wärmsten Dank Allen, die uns damals schwer
Bedrängten, ihre milde Hand geöffnet, und durch Zusendung ihrer
Unterstützungen uns dem Jammer und Elend entrissen haben. Der Allvater
möge unser, für ihr Wohl zu ihm aufsteigendes Gebet erhören, und sie
vor aller Gefahr gnädigst schützen!
Ellrich, den 23. Juli 1842. Der Vorstand der israelitischen
Gemeinde: A. Buttermilch." |
Brandkatastrophe in Ellrich am 25. September 1860
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 13. November
1860: "Ellrich, im Oktober (1860). Am Nachmittage des 25.
Septembers, wenige Stunden vor dem Beginne des Versöhnungstages, erscholl
Feuerruf in unserer kleinen, 450 Häuser zählenden Stadt. Mit rasender Schnelligkeit
griff das zügellose Element um sich, so dass in wenigen Minuten trotz der
herbeigeeilten Hilfe die halbe Stadt, darunter drei der angesehensten, von
jüdischen Familien bewohnte Häuser - in Flammen stand. Noch war das,
beinahe nur von Juden bevölkerte Viertel, in welchem auch unsere
130-jährige Synagoge steht, unversehrt; aber wer durfte sich der Hoffnung
hingeben, dass die entfesselte Himmelskraft gerade dies verschonen würde?
- Schon dämmerte es - niemand konnte daran denken, den Vorabend des
großen Tages in würdiger Weise zu begehen. Öde und vereinsamt stand
unser Tempel, der weiße Atlasvorhand vor der heiligen Lade war
abgenommen, die großen üblichen Wachslichter unangezündet - trauriges
Bild entweihter Heiligkeit! - Unter Furcht und Bangen schwand die Nacht,
zagend sahen wir den Morgen ergrauen, denn immer näher wälzte sich die
verheerende Macht sich zu uns heran, aber - Gott sah herab, und das
grausame Element schwand nichtig vor seinem Willen, ohne uns weiter
geschadet zu haben.
Erst am späten Nachmittage wurde es uns vergönnt, wenigstens den
scheidenden Jom-Kippur noch in den heiligen Klängen des Neilah-Gebetes
feiern zu können, und wenngleich manche den Verlust ihrer Habe beweinten,
stieg doch der innigste Dank vieler zum gnädigen Lenker des Geschicks,
der Israel an seinem großen Tage bewacht, und die geringen Opfer, die das
Unglück erheischt, zur Prüfung seines Vertrauens auf ihn ihm auferlegte.
...n." |
Spendenaufrufe für arme Gemeindeglieder (1892
/ 1897 / 1898)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 26. September
1892: "Herzliche Bitte.
Ein frommer, braver 67-jähriger Mann - Moses Holländer in Ellrich
a.H. - der bisher sich und seine 65-jährige Schwester durch Hausieren,
wenn auch nur kümmerlich ernährte, hat in Folge einer Operation sein
Augenlicht fast gänzlich verloren, sodass er nicht mehr im Stande ist,
seinem Erwerb nachzugehen und die beiden würdigen, alten Leute sich in
bitterster Notlage befinden.
Es ergeht daher an alle edlen Menschenfreunde die innige Bitte, sich der
schwer Heimgesuchten hilfreich annehmen zu wollen; möge Jeder, den Gott
mit dem ungetrübten Lichtquell des Auges begnadet und mit irdischen
Gütern gesegnet hat, dankbar hierfür des Ärmsten gedenken, dem ein
hartes Geschick Beides versagte und Herz und Hand öffnen, um das traurige
Los der braven alten Leute mildern zu helfen.
Die löbliche Expedition dieser Zeitung hat sich gütigst bereit erklärt,
freundliche Spenden, welche auch direkt an obige Adresse gesandt werden
können, in Empfang zu nehmen und weiter zu befördern, und wird darüber
seinerzeit in diesen Blättern quittiert werden.
Allen edlen Gebern aber schon jetzt herzinnigen Dank und der Allgütige
wolle es ihnen tausendfach lohnen!" |
|
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 8. Oktober
1897: "Herzliche Bitte!
Ein frommer, braver Mann, A. Lehmann in Ellrich a. H., der einst bessere
Tage gesehen, ist durch unverschuldetes Unglück und da derselbe infolge
hochgradigen nervösen Zitterns zu keinem Berufe fähig, jetzt völlig
verarmt und in bitterer Notlage.
Es ergeht daher an alle edlen Menschenfreund die innige Bitte, sich des
schwer Heimgesuchten hilfreich annehmen zu wollen. Möge jeder, den Gott
mit Gesundheit und irdischen Gütern begnadet hat, dankbar hierfür des
Ärmsten gedenken, dem ein hartes Geschick beides versagte und Herz und
Hand öffnen, um das traurige Los des schwergeprüften Bruders lindern zu
helfen.
Freundliche Spenden wolle man an obige Adresse oder unter Nr. 5499 an die
Geschäftsstelle dieses Blattes gelangen lassen und wird darüber
seinerzeit Quittung geleistet werden.
Allen edlen Gebern aber schon jetzt herzinnigsten Dank, und der Allgütige
wolle es ihnen tausendfach lohnen." |
|
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 22. September
1898: "Herzliche Bitte!
Ein frommer, braver Mann, A. Lehmann in Ellrich a. H., der einst
bessere Tage gesehen, ist durch unverschuldetes Unglück und da derselbe
infolge hochgradigen nervösen Zitterns zu keinem Berufe fähig, jetzt
völlig verarmt und in bitterer Notlage.
Es ergeht daher an alle edlen Menschenfreund die herzliche Bitte, sich des
Unglücklichen hilfreich anzunehmen.
Freundliche Spenden wolle man entweder direkt an obige Adresse oder unter
Nr. 5475 an die Geschäftsstelle dieses Blattes gelangen lassen, welch
letztere darüber seinerzeit in diesen Blättern quittieren wird.
Allen edlen Gebern aber jetzt herzinnigen Dank, und der Allgütige wolle
es ihnen durch eine Einschreibung und Besiegelung lohnen. |
Anzeigen
jüdischer Gewerbebetriebe und Privatpersonen
Lehrlingssuche des Baumwollwarenfabrikgeschäftes A. Burchhardt (1871)
Anmerkung: auffallend ist die Hervorhebung "Sonn- und
Festtage streng geschlossen", da es sich um ein jüdisches Geschäft
handelt..
Anzeige
in der "Allgemeinen Israelitischen Gemeindezeitung" vom 11.
April 1871: "Ein mit den nötigen Schulkenntnissen versehener junger
Mann, findet unter günstigen Bedingungen zum baldigen Antritt in meinem
Bauwollenwarenfabrikgeschäft Stellung als Lehrling. (Sonn- und Festtage
streng geschlossen).
A. Burchhardt in Ellrich am Harz." |
Verlobungsanzeige von Edith Morgenroth und Arnold Meyer
(1937)
Anzeige
in der "Bayerischen Israelitischen Gemeindezeitung" vom 15.
Februar 1937:
"Edith Morgenroth - Arnold Meyer. Verlobte.
Ellrich - Bamberg Januar 1937
Nordhausen - Ellrich." |
Zur Geschichte der Synagoge
Eine erste
Synagoge lässt sich in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts nachweisen. Sie
befand sich nach Angaben eines Notariatsinstrumentes vom 9. November 1620
im Haus von Lazarus dem Älteren. Eine ausführliche Beschreibung der
Inneneinrichtung liegt vor (wiedergegeben bei Stefan Litt s.Lit. S. 190-191). Da
die Synagoge damals gegen Bestimmungen eines Schutzbriefes von 1614 verstieß,
ließ der Amtmann zu Klettenberg damals die Bücher und den Toraschrein
beschlagnahmen und auf das Rathaus bringen. Weitere Informationen liegen nicht
vor.
1730 konnte eine Synagoge in einem einfachen Fachwerkbau eines
Hintergebäudes des Hauses Jüdenstraße 25 eingerichtet werden. Es war das
älteste, bau- und kunstgeschichtliche interessanteste jüdische Gebetshaus des
Landkreises Nordhausen. Kostbare Einrichtungsgegenstände und Ritualien befanden
sich in der Synagoge.
Von den Brandkatastrophen in der Stadt - 1841 und 1860 (siehe Berichte oben) -
blieb die Synagoge verschont.
1927 wurde die Synagoge letztmals renoviert.
Im Jahr zuvor erschien in der Zeitschrift "Menorah" der folgende Bericht über
die Synagoge:
Artikel in der Zeitschrift "Menorah" 1926 Heft 9 S. 528: "Die
Synagoge in Ellrich. Die vielen kleinen Judengemeinden Deutschlands
mit ihrer eigenartigen Physiognomie sind in den letzten Jahrzehnten immer
stärker dem Untergang preisgegeben. Zu ihnen gehört auch die Gemeinde
von Ellrich, einem Städtchen am Rande des Südharzes auf der kürzesten
Strecke von Hannover nach Thüringen. Hier lebte noch vor etwa einem
halben Jahrhundert eine kleine, aber wertvolle jüdische Gemeinschaft. Berühmte
jüdische Führer brachte sie wohl nicht hervor, aber unter ihren
Mitgliedern waren einzelne geradezu klassische Typen harmonisch
ausgebildeter Persönlichkeiten, bei denen es keine Dissonanz zwischen
Leben und Lehre gab, und deren Angedenken noch heute bei allen fortlebt,
die das Glück hatten, ihren Umgang zu genießen. Jetzt ist die Gemeinde
am Aussterben. Einige wenige Familien sind übrig, die aus eigenem nicht
in der Lage sind, die Gemeinde wiederaufzubauen. Die schwache in den
Anfängen befindliche Organisation der preu0ßuschen Gesamtjudenheit kann
auch nicht viel Hilfe bringen.
Aber noch steht in Ellrich die alte Synagoge, ein Denkmal früherer
großer Opferfreudigkeit; doch auch sie ist nahe daran, ein Opfer der Zeit
zu werden. Das Äußere des rechteckigen Baues ist im Zustand starker
Verwahrlosung: Dach und Mauern sind schadhaft und voll von Sprüngen und
Rissen. Das Innere zeigt noch deutlicher die Spuren des langsamen
Unterganges; die Malereien verblichen, das Schnitzwerk an vielen Stellen
zerbrochen, die metallenen Leuchter beschädigt. In wenigen Jahren muss
der Bau zur Ruine werden, wenn keine helfende Hand ihn stützt. Die
Synagoge von Ellrich aber sollte im jüdischen Gesamtinteresse erhalten
bleiben, weil sie ein künstlerisches Kulturdenkmal ist. Das ist der
schön geschnitzt Almemor, der eigenartig verzierte Oron hakodesch mit dem
großen geschnitzten Löwen, die überreichliche Verzierung der Wände mit
Sprüchen aus der Bibel, die noch nicht ganz aufgeklärte Inschrift unter
der Frauenschul, die auf einen früheren, aus Wilna stammenden Raw
hinzudeuten scheint, die eigenartige Vergitterung der Frauenschul, die den
Raum harmonisch gliedert, die Leuchterarbeit, die an russische oder
polnische Wappenembleme erinnert.
Wenn die Synagoge von Ellrich dem Untergang anheimfällt, so würde eine
Quelle zerstört werden, aus der wir Kenntnis empfangen können von den
Wanderungen der Juden in Deutschland und Europa, den Kulturelementen,
welche sie aus fernen Landen mitgebracht und wieder verwertet haben. Die
Bestimmung der künstlerischen Quellen, aus denen die einzelnen
Inventarstücke der Synagoge von Ellrich ihren Ursprung nehmen, wäre eine
dankbare Aufgabe für den jüdischen Kunsthistoriker und Ethnographen.
Wäre es da nciht wichtig, dieses für die historische Kenntnis vom
Judentum wichtige Denkmal zu erhalten? Die Synagoge von Ellrich und gar
manche Synagoge der untergehenden jüdischen Kleingemeinden in
Deutschland, die zu Ruinen zu zerfallen drohen, könnten durch die
helfende Hand der Gemeinschaft zu historischen Kulturstätten werden, die
der jüdischen Jugend sinnfällig die eigene Geschichte vor Augen
führen.
Nachwort: Die Redaktion der 'Menorah' hat diesen Ausführungen gerne Raum
gegeben. Wie in Ellrich ist auch anderswo - in Deutschland, der Tschechoslowakei
und in den Oststaaten - wertvolles jüdisches Kulturgut, das Generationen
gehütet haben, der Vergessenheit und dem Verfalle preisgegeben. Bevor
aber die organisierte Hilfe der Gesamtheit einsetzen kann, sollten alle
Freunde jüdischen Lebens die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf diese
Rest verschwindender jüdischer Wohnstätten lenken. Wir würden gerne
jede Mitteilung veröffentlichen und bitten stets Abbildungen sakraler
oder profaner Gebäude (auch Innenräume) sowie einzelner Gegenstände
beizufügen. Über Wunsch vergüten wir Kosten der photographischen
Aufnahme. Der Herausgeber." |
Beim Novemberpogrom 1938 wurde die kunsthistorisch so wertvolle Synagoge verwüstet und anschließend
abgebrochen. Vom Gebäude ist nichts mehr erhalten.
Adresse/Standort der Synagoge: Jüdenstraße
25, Hintergebäude
Fotos
(Fotos: Hahn, Aufnahmedatum
28.4.2011)
Erinnerung an das
frühere
jüdische Wohngebiet |
|
|
|
|
Blick in die
"Jüdenstraße" |
Straßenschilder
"Jüdenstraße" |
|
|
|
Die Synagoge in
Ellrich
(Quelle: Zeitschrift "Menorah" 1926) |
|
|
|
Blick in den
Betraum der Männer |
Bimah und
Frauenempore |
|
|
|
Gebäude "Jüdenstraße
25"
(vor Synagogengrundstück) |
|
|
|
Hinter dem
Gebäude "Jüdenstraße 25"
stand bis zu ihrem Abbruch die Synagoge |
|
|
|
|
|
|
|
Erinnerung an frühere
jüdische Geschäfte |
|
|
|
|
|
|
In
einer Schaufensterauslage des Heimatmuseums in der Jüdenstraße finden
sich
Erinnerungen an das frühere Ellrich, u.a. mit einer Übersicht
über "alte Geschäfte"
um 1930 mit Namen jüdischer Geschäfte wie Max Bernstein (Konfektion), E.
Frohnhausen,
Inh. W. Nussbaum (Manufaktur- und Modewaren). Auf einer historischen
Ansichtskarte
findet sich das Geschäft von E. Frohnhausen. |
Das Gebäude des
früheren Manufaktur-
und Modewarenhauses E. Frohnhausen
zeigt sich wenig verändert |
|
|
|
|
Gedenken an die Opfer der
NS-Zeit
auf dem Platz vor der Kirche |
|
|
|
Gedenkstein mit
Inschrift "Zum Gedenken an die Gefallenen und Vermissten des 1. und
2. Weltkrieges
und Opfer jeglicher Gewaltherrschaft"; eine
Gedenktafel speziell für die jüdische Gemeinde
findet sich am jüdischen
Friedhof. |
|
|
|
Erinnerungsarbeit
vor Ort - einzelne Berichte
März / Juni 2015:
In Ellrich werden "Stolpersteine"
verlegt
Vgl. Wikipedia-Artikel
https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Ellrich |
Artikel in nnz-online vom 6. März 2015:
"Stolpersteine in Ellrich
Seit über einem Jahr forschen Schüler der Oberschule Ellrich, unterstützt von ihren Lehrerinnen und dem Familienverein Ellrich, zum Schicksal ehemaliger jüdischer Familien in ihrer Heimatstadt. Zum Abschluss des Projekts
werden Stolpersteine in Gedenken an die ehemaligen Ellricher Mitbewohner am 18. Juni 2015 gesetzt. Zu den ursprünglich vorgesehenen zwei Standorten kommt nun ein dritter Ort hinzu...."
Link
zum Artikel |
Anmerkungen: Es werden Stolpersteine
verlegt: in der Lindenstraße 1 für Max Bernstein und Selma Bernstein
geb. Nußbaum, in der Bahnhofstraße 4 für Selmar Ballin, Bertha Ballin,
Elsa-Margarete Kleimenhagen geb. Ballin, Elisabeth Süsskind-Ballin geb.
Ballin, in der Bahnhofstraße 13 für Walter Richter und Hans
Richter. |
|
Artikel in der "Thüringer
Allgemeinen" vom 19. Juni 2015: "Acht Stolpersteine in
Ellrich gesetzt..."
Link
zum Artikel |
|
Artikel in nnz-online vom 22. Juni 2015: "Stolpersteine
gesetzt - Projekt beendet
Das Projekt: 'Miteinander in Ellrich – Spurensuche – jüdische Familien
damals' ist formal mit der Setzung von acht Stolpersteinen beendet worden.
Das Gemeinschaftsprojekt der Oberschule Ellrich und des Familienvereins
Ellrich wurde seit September 2013 betrieben...
Unter großer Anteilnahme, moderiert durch den Bürgermeister Matthias Ehrhold
wurden in der vergangenen Woche in der Jüdenstraße Ecke Lindenstraße die
ersten beiden Steine für Max und Selma Bernstein gesetzt. Der aus Berlin
stammende Künstler Gunter Demnig bekundete, mit der Stadt Ellrich den 1052.
Ort mit Stolpersteinen bereichert zu haben. Zum Sinn der Stolpersteine
äußerte der Künstler 2009 im Hamburger Abendblatt: 'Wer den Namen des Opfers
lesen will, muss sich herunterbeugen. In diesem Moment verbeugt er sich vor
ihm. Ein Mensch ist vergessen, wenn sein Name vergessen ist. Mit einem
Stolperstein soll an das individuelle Schicksal erinnert werden - und zwar
an dem Ort, wo das Grauen begann.' Die beteiligten sechs Schüler der
Oberschule Ellrich legten zum Gedenken an die ehemaligen Mitbewohner ihrer
Heimatstadt Rosen nieder. Sie gedachten auch in der Großen Bahnhofstraße 04
der Familie Ballin und in der Nr. 13 Walter und Hans Richter. Mit den
Steinen vor den Häusern wurde die Erinnerung an die Menschen wieder
lebendig, die hier wohnten. Durch die Folgen des Rassenwahns der
Nationalsozialisten getrennt, wurden ihre Namen und ihr Schicksal 70 Jahre
nach Ende des 2. Weltkrieges wieder zusammengeführt. Es war immer ein
Anliegen des Projekts, den Schülern einen Zugang zur besonderen Geschichte
ihrer Heimatstadt Ellrich zu gewähren. Mit ihren Forschungen, ihren
Exkursionen zu den Orten des Geschehens, dem Besuch der 'Alten Synagoge' in
Erfurt, der Ausstellung zum jüdischen Leben in der Flohburg und vor allem
durch Gespräche mit älteren Menschen, die noch aus ihren
Kindheitserinnerungen aus der Zeit des Nationalsozialismus berichten
konnten, sind sie selbst zu Zeitzeugen geworden. In der öffentlichen
Stadtratssitzung am 6. Juli werden drei Schüler der Projektgruppe ihre
schriftliche Arbeit zum Thema vorstellen. Allen Beteiligten und
Unterstützern des Projekts sei an dieser Stelle ausdrücklich gedankt. Für
den Familienverein Ellrich, Torsten Fuhr."
Link zum
Artikel |
Links und Literatur
Links:
Literatur:
|
Germania Judaica II,1 S. 201; III,1 S. 297. |
| Peter Kuhlbrodt: Die Synagoge in Ellrich (1730-1938) In: Meyenburg-Museum (Herausgeber) Beiträge zur Heimatkunde aus Stadt- und Kreis Nordhausen, Heft 9, Nordhausen 1984, S. 72-77. |
| Zeugnisse jüdischer Kultur. Erinnerungsstätten in
Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Berlin, Sachsen-Anhalt, Sachsen und
Thüringen. Berlin 1992. S. 260-261. |
| Israel Schwierz: Zeugnisse jüdischer Vergangenheit
in Thüringen. Eine Dokumentation - erstellt unter Mitarbeit von Johannes
Mötsch. Hg. von der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen ( www.lzt.thueringen.de)
2007. Zum Download
der Dokumentation (interner Link). Zu Ellrich S. 100-103. |
| Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des
Widerstandes und der Verfolgung 1933-1945. Band 8 Thüringen. Frankfurt 2003. S.
182. |
| Stefan Litt: Juden in Thüringen in der Frühen
Neuzeit (1520-1650). Veröffentlichungen der Historischen Kommission für
Thüringen. Kleine Reihe Band 11. 2004. u.a. S. 55-58. |
| Peter Kuhlbrodt: Verzeichnis der Nordhäuser
jüdischen Familien zur Zeit des Neuanfanges im Jahre 1808, 1922 und 1829. Beitrag
von 2006 - online zugänglich. Hierin findet sich eine Zusammenstellung
der in Ellrich 1808 lebenden jüdischen Familien. |
n.e.
vorherige Synagoge zur ersten Synagoge nächste Synagoge
|