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Wetteraukreis"
Lindheim (Gemeinde
Altenstadt, Wetteraukreis) mit Hainchen (Gemeinde Limeshain)
Jüdische Geschichte / Synagoge
Übersicht:
Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde (english
version)
In Lindheim bestand eine jüdische
Gemeinde bis 1938. Ihre Entstehung geht in die Zeit des 18. Jahrhunderts
zurück. Doch gab es bereits in früheren Jahrhunderten einzelne Juden am
Ort. 1452 zog ein jüdischer Einwohner von Lindheim nach
Büdingen.
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Zahl der jüdischen Einwohner wie
folgt: 1828 59 jüdische Einwohner, 1861 30 (4,1 % von insgesamt 723), 1880 41
(6,0 % von 687), 1900 43 (6,5 % von 664), 1910 44 (7,0 % von 630). Zur
jüdischen Gemeinde gehörten seit Anfang des 20. Jahrhunderts auch die in Hainchen
lebenden jüdischen Personen, die zuvor zur Gemeinde in Himbach
gehört hatten: in Hainchen lebten 1830 15, 1905 17 jüdische Einwohner, 1913
drei jüdische Familien.
Die jüdischen Familienvorsteher waren von Beruf als Viehhändler, Getreide- und
Manufakturwarenhändler sowie als Metzger tätig; mehrere betrieben auch etwas
Landwirtschaft. Einige eröffneten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
offene Läden und Handlungen am Ort.
An Einrichtungen bestanden eine Synagoge (s.u.), eine jüdische Schule
(Religionsschule), ein rituelles Bad und ein Friedhof.
Zur Besorgung religiöser Aufgaben der Gemeinde war - im 19. Jahrhundert
vermutlich noch allein für Lindheim, 1901 / 1903 (siehe Ausschreibungen unten) im Verbund mit den Gemeinden
Glauberg
und Himbach - ein jüdischer Lehrer angestellt, der auch als Vorsteher
und Schochet tätig war. 1893 hatte die jüdische Gemeinde noch sechs
schulpflichtige Kinder. Die Gemeinde gehörte zum orthodoxen Provinzialrabbinat
Oberhessen mit Sitz in Gießen.
Im Ersten Weltkrieg fiel aus der jüdischen Gemeinde Abraham Lindheim
(geb. 19.3.1896 in Lindheim, gef. am 5.12.1916).
Um 1924, als zur Gemeinde 32 Personen gehörten (4,3 % von insgesamt 744
Einwohnern, in sieben bis acht Familien), waren die Gemeindevorsteher Josef
Lindheimer II, Isaak Fuld II, Josef Lindheimer I und Sally Schuster.
(Ehrenamtlicher) Vorbeter war Arthur Lindheimer, (ehrenamtlicher) Schochet war
Josef Lindheimer II. Die damals zwei schulpflichtigen Kinder der Gemeinden
erhielten ihren Religionsunterricht durch Lehrer Samuel Heß aus Düdelsheim.
An jüdischen Vereinen bestand vor allem ein Wohltätigkeitsverein
(1924 unter Leitung von Josef Lindheimer II). Zur jüdischen Gemeinde gehörten
auch die elf in Hainchen wohnhaften jüdischen Personen. 1932
waren die Gemeindevorsteher (weiterhin) Josef Lindheimer II (1. Vors.), Isaak
Fuld II (2. Vors.) und Josef Lindheimer I (3.
Vors.).
1933 lebten noch 38 jüdische Personen in Lindheim (5,1 % von insgesamt 747
Einwohnern, dazu gehörten sieben Personen in Hainchen zur Gemeinde). In
den folgenden Jahren sind alle von ihnen auf Grund der Folgen des wirtschaftlichen Boykotts,
der zunehmenden Entrechtung und der
Repressalien weggezogen beziehungsweise ausgewandert (einige in die USA, andere
nach Palästina/Israel). Aus Hainchen sind zwei Familien in die USA
beziehungsweise nach Südamerika emigriert. Beim Novemberpogrom 1938 plünderten örtliche
Nazis das Manufakturwarengeschäft von Sally Fuld (Ecke Altenstädter Straße/Stengesweg).
Auch die Wohnung des Viehhändlers Sally Schuster (Stengesweg 3) und die Wohnung
des Viehhändlers Moses Lindheimer (Hauptstraße 12) wurde verwüstet. Moses
Lindheimer wurde getreten und geschlagen, bis er ohnmächtig zusammenbrach; dann
schleifte man ihn in die Schule. Auf Grund dieser Ereignisse verließen die
jüdischen Einwohner alsbald Lindheim. 1939 wurden keine jüdischen Einwohner
mehr am Ort gezählt.
Von den in Lindheim geborenen und/oder
längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit
umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad
Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches
- Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Sette Adler geb. Kirschner
(1861), Jeanette Blum geb. Lindheimer (1875), Silva (Sara) Blumenthal geb.
Lindheimer (1889), Salomon (Sally) Fuld (1898), Silvia Fuld (1904), Amalie
Lindheimer geb. Lindheimer (1887), Berta Lindheimer geb. Sommer (1861), Josef
Lindheimer (1865), Josef Lindheimer (1871), Kurt Lindheimer (1934), Markus
Lindheimer (1879), Moses Lindheimer (1893), Norbert Lindheimer (1930), Karoline
Simon geb. Kirschner (1865), Rosa Süßkind geb. Lindheimer (1873).
Aus Hainchen sind umgekommen: Josef Burg (1875), Isack Fuld (1866), Max
Fuld (1875), Siegfried Fuld (1905), Sophie Goldschmidt geb. Katz (1868), Fanny
Hahn (1873), Josef Hahn (1870), Ludwig Katz (1866), Sara Leibowitsch geb. Burg
(1875), Luisa Lind (1937), Betty Müller geb. Fuld
(1869).
Berichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde
Aus der Geschichte der
jüdischen Lehrer
Ausschreibung der Stelle des Religionslehrers / Vorbeters / Schochet
1901 / 1903
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 26. September 1901:
"Die Gemeinde Lindheim sucht mit zwei Nebengemeinden Glauberg
und Himbach einen Lehrer.
Lindheim ist der Wohnsitz. Gehalt Mark 600 bei freier Wohnung.
Nebeneinkünfte ca. 150 Mark. Nur ledige Bewerber wollen ihre Offerten
einreichen an den
Vorstand der israelitischen Gemeinde Lindheim (Hessen)."
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Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 8. Januar 1903:
"In den Gemeinden Lindheim, Glauberg und Himbach ist die Stelle eines
Religionslehrers
vakant. Gehalt 600 Mark ohne Nebenverdienst: freie
Wohnung.
Im Auftrag: Emanuel Lindheimer, Lindheim (Oberhessen)." |
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Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 25. Mai 1903: "Die Gemeinde Lindheim, Glauberg und Himbach
will per sofort einen Lehrer und Vorbeter annehmen. Der Sitz ist in
Lindheim. Gehalt Mark 600 nebst Nebeneinkommen und freier Wohnung. Nur
ledige, seminaristisch gebildete Lehrer finden Berücksichtigung.
Anmeldungen sind zu richten an den israelitischen Gemeinde-Vorstand
Lindheim. Zeugnisse sind einzusenden.
Moses Kunz,
Vorstand der israelitischen Gemeinde
Glauberg." |
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Ausschreibung
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 28. Mai 1903:
"Lindheim (Hessen). Lehrer und Vorbeter, 600 Mark Gehalt,
freie Wohnung. Meldung lediger seminaristisch gebildeter Bewerber an den
Vorstand." |
Berichte zu einzelnen Personen aus
der Gemeinde
Zum Tod von Berta Schuster (1930)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 23. Januar 1930: "Lindheim
(Oberhessen), 18. Januar (1930). Am 8. Kislew verschied die in weiten
Kreisen angesehene und hoch geachtete Frau Berta Schuster im Alter von 79
Jahren. Die Verblichene zeichnete sich durch außerordentliche
Frömmigkeit und großes Gottvertrauen aus. Weit über ihre engere Heimat
hinaus war ihr Gemilus Chesed (= Wohltätigkeit) bekannt und hat
sie viel Not und Kummer in vornehmer verschwiegener Weise gelindert. In
ergreifenden Worten zeichnete Herr Provinzialrabbiner Dr. Cahn aus Fulda
ein lebenswahres Charakterbild der Verblichenen. Auch Herr Rechtsanwalt
Dr. Heinemann aus Fulda rief seiner langjährigen Freundin herzliche
Abschiedsworte nach. Die gesamte jüdische und fast die gesamte
nichtjüdische Ortsbevölkerung gab der Verblichenen das letzte Geleite,
und kann man daraus ersehen, welch große Wertschätzung und welch großes
Ansehen die Verblichene in allen Kreisen genossen hat. Ihre Seele sei
eingebunden in den Bund des Lebens." |
Über
den von 1890 bis zu seinem Tod 1895 in Lindheim wohnenden Dr. Leopold von
Sacher-Masoch
Dr. Leopold von Sacher-Masoch (1836 in Lemberg - 1895 in Lindheim) war ein
(nichtjüdischer) österreichischer Schriftsteller und Professor der Geschichte, der zeitlebens politisch gegen den Antisemitismus in
Mitteleuropa kämpfte. Er genoss größte Achtung im Judentum seiner Zeit.
Er verfasste mehr als 100 Romane, Novellen und Theaterstücke. In mehreren
Werken schreibt er über das galizische Judentum. Sacher-Masoch ließ sich 1890
in Lindheim nieder, wo er im alten Lindheimer Adelsschloss seinen Wohnsitz
nehmen konnte. Seine zweite Ehefrau - Hulda Meister - hatte das zum Schloss
gehörige Landhaus zusammen mit einem Teil des Schlosspark und dem Hexenturm
erworben. Sacher-Masoch griff von Lindheim aus sofort in das kulturelle und
politische Leben der Region ein. 1893 gründete er in Lindheim den
"Oberhessischen Verein für Volksbildung", um dem Judenhass zu
begegnen, den er in erster Linie auf die Unwissenheit der Menschen
zurückführte. Innerhalb eines Jahres entstanden 28 Ortsgruppen des
aufklärerischen Vereins. Mit dem frühen Tod von Sacher-Masoch im Jahr 1895
brach das Unternehmen zusammen. Das Landhaus ist bis heute erhalten; eine
Gedenktafel weist auf den berühmten Bewohner hin.
|
|
|
Dr. Leopold von
Sacher-Masoch |
Der Schriftsteller während
seiner Lindheimer Zeit |
Denkmal für Dr. von
Sacher-Masoch
in seiner Geburtsstadt Lemberg (Lwiw) |
Quelle oben: Wikipedia-Artikel
zu
Leopold von Sacher-Masoch |
© Archiv Michael Farin,
München
(Website
hr-online.de) |
Quelle oben: Wikipedia Artikel
zu
Leopold von Sacher-Masoch |
Vgl. Wikipedia-Artikel über Leopold
von Sacher-Masoch
Artikel
bei hr-online.de über Sacher-Masoch in Lindheim
Nachfolgend drei Beiträge in jüdischen Periodika zu Sacher-Masoch
(1893-1895):
Spendenaufruf von Dr. Leopold von Sacher-Masoch (1893)
Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 27. März 1892:
"Aufruf und Bitte
an alle wahren Volksfreunde, dem oberhessischen Verein für Volksbildung,
welcher mit allen Waffen der Aufklärung gegen den in Hessen eindringenden
Antisemitismus kämpft, zum Zwecke der Errichtung weiterer
Volksbibliotheken, Spenden an Büchern oder Geld zukommen zu lassen. Auch
die kleinste Gabe wird mit wärmstem Dank entgegengenommen.
Dr. Leopold von Sacher-Masoch, Lindheim, Oberhessen." |
Über die Aktivitäten des
"Oberhessischen Vereins für Volksbildung" (1894)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 24.
August 1894: "Lindheim, 20. August (1894). Der oberhessische
Verein für Volksbildung hat, seit seiner Begründung im Januar 1893, in
den Kreisen Büdingen und Friedberg an 28 Orten Zweigvereine errichtet, 16
Volksbibliotheken und 4 Volksbühnen aufgestellt, einen Musikverein, von
16 Mitgliedern begründet und mit Instrumenten verteilt. Stipendien für
die Landesbaugewerbeschule zu Idstein (zu 100 Mark), Haushaltungsschule zu
Lindheim (zu 100 Mark), die Gewerbeschulen zu Büdingen und Nidda (zu 50
Mark), die Ackerbauschule zu Büdingen (zu 50 Mark), im Gesamtbetrage von
400 Mark ausgeteilt und für die Volksschule das Mang'sche Telurim
lunarium (55 Mark) und ein Stereoskop (45 Mark) angeschafft. Es fanden in
diesem Zeitraum eine Vorlesung, 3 Konzerte und 6 Theatervorstellungen
statt, wobei wiederholt rühmlichst bekannte Kräfte von auswärts
mitwirkten. Schon in nächster Zeit werden fünf weitere Volksbibliotheken
aufgestellt werden. Der oberhessische Verein für Volksbildung, welcher in
seinen Statuten jede politische Tätigkeit und Agitation ausschließt und
die Aufklärung, Bildung und Veredelung des Volkes Hand in Hand mit
Religion und Vaterlandsliebe zu seinem alleinigen Ziel macht, wurde von
allen politischen Parteien mit warmen Sympathien begrüßt. Derselbe hat
in allen Schichten der Bevölkerung treue Freunde, energische
Unterstützung in unserem trefflichen Lehrerstande und hochherzige Gönner
gefunden, welche denselben durch bedeutende Spenden unterstützt haben.
Nur der 'Reichsherold' hat gegen denselben Stellung genommen. Soll dies
vielleicht beweisen, dass Aufklärung und Volksbildung, Vaterlandsliebe,
Religion und gute Sitte mit dem Antisemitismus unvereinbar sind? Da in den
Provinzen Oberhessen und Hessen-Nassau der eigentliche Her der
antisemitischen Bewegung ist, so verdient dieser unter der Leitung des
berühmten Schriftstellers Dr. L. von Sacher-Masoch stehende Verein, durch
den der Antisemitismus auf das Wirksamste bekämpft wird, jede Förderung
und Unterstützung seitens unserer wohlhabenden Glaubensgenossen, denen
wir denselben hierdurch angelegentlichst empfehlen. " |
Zum Tod von Dr. Leopold Ritter von Sachor-Masoch (1895)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 11. März 1895: "Mainz,
am Purimfeste. Aus Lindheim in Oberhessen bringt uns der Telegraph
die schmerzliche Nachricht, dass Dr. Leopold Ritter von Sachor-Masoch
gestern 7 3/4 Uhr im 61. Lebensjahr seinen langen Leiden erlegen ist.
Welcher unserer Glaubensgenossen hätte nicht schon einmal etwas von
Sachor-Masoch gelesen! Es existiert wohl kaum ein jüdischer Kalender oder
eine jüdische Zeitschrift der jüngsten 30 Jahre, die nicht irgendeine
Schilderung oder Erzählung des polnisch-galizischen Lebens aus der Feder
dieses bedeutenden Schriftstellers gebracht hätte. Sachor-Masoch war eine
merkwürdige Erscheinung innerhalb der deutschen Literatur. Die meisten
seien jüdischen Leser haben ihn wohl bis in die jüngste Zeit hinein, in
welcher die Abwehr judenfeindlicher Angriffe die Stammbäume aller
irgendwie bedeutender Männer an das Tageslicht zerrte, für einen ihrer
Glaubensgenossen gehalten. Und doch haben weder er, noch seine Ahnen, noch
seine beiden Frauen dem jüdischen Stamme angehört. Sein Vater war
Polizeidirektor in Lemberg und nur die Ursache, dass das jüdische Leben
ihn so unmittelbar umgab und ihn in dessen tiefstes Innere blieben
ließen, veranlasste ihn seine Stoffe gerade im galizischen Ghetto zu
suchen. Und mit welcher Liebe schuf er seine jüdischen Gestalten. Wie
wusste er, der Nichtjude, die jüdischen Helden seiner Erzählungen und
Romane in ihrer ganzen Reinheit und Lauterkeit darzustellen! Es muss dies
ganz besonders hervorgehoben werden als gerade jüdische Schriftsteller
aus jener Gegend - wir verweisen nur auf Karl Emil Franzos, der in seinen
späteren Schriften ein dem 'halbasiatischen' Judentume geradezu
feindliche Tendenz bekundete - sich, nachdem sie den Kaftan und die Locken
abgelegt, von Vorurteilen gegen ihre Brüder nicht freizuhalten wussten.
Dass auch der eben Heimgegangene manches geschrieben, was dem jüdischen
Leser nicht sympathisch, das muss eben dem Andersgläubigen zugute gehalten
werden und das hat wohl seinen Grund darin, dass er trotz allem innigen
Zusammenleben mit unserem Volke, dessen Urquell unserer heilige Tora
ferngestanden hat. Hätte er diese gekannt, so würde sich ihm manches
Rätsel, dessen Lösung er vergebens gesucht, von selbst erschlossen
haben.
Geboren am 27. Januar 1835 studierte er in Prag und Graz Jurisprudenz. An
letzterer Universität habilitierte er sich 1855, erst 20 Jahre alt, für
Geschichte, sodann veröffentlichte er die historische Arbeit 'Der
Aufstand in Genf unter Karl V.' und bald darauf anonym seinen ersten Roman
'Eine galizische Geschichte.' Der Erfolg dieser Publikation veranlasste
ihn, sein Lehramt aufzugeben und sich ganz der literarischen Laufbahn zu
widmen. Eine Unterbrechung seiner Arbeiten führte der Feldzug von 1859
herbei, den er als Freiwilliger mitmachte. Nachdem er dem Waffenhandwerk
wieder Valet gesagt, lebte er in verschiedenen Städtchen Österreichs,
zuletzt in Graz und wurde hier aus nichtigen Ursachen und von
fragwürdigen Gegnern in eine Fehde verwickelt, die zu einer
Beleidigungsklage wider ihn führte. Man hat sich damals in Österreich
nicht schön gegen den verdienstvollen Schriftsteller benommen, der, gezwungen,
sich selbst zu exilieren, sein Vaterland seither nicht wieder betreten
hatte. Sacher-Masoch begab sich 1882 zunächst nach Leipzig, woselbst er
mit dem jetzigen Mitarbeiter des Pariser Figaro, W. Jaques St. Cère, der
zu jener Zeit noch R. Armand hieß, eine Monatsschrift 'Auf der Höhe' ins
Leben rief. Das Unternehmen währte drei Jahre. Nach vielfachen trüben
Erfahrungen siedelte sich Sacher-Masoch in Lindheim an, woselbst
er, abgesehen von einer vorübergehenden journalistischen Tätigkeit in
Mannheim, die letzten Jahre verbrachte.
Dem Verlag seines in Mannheim erschienenen Werkes 'Jüdisches Leben', das
von den bedeutendsten französischen Künstlern illustrier worden ist und
von welchen Bildern auch wir im 'Israelit' häufig Proben zu geben
Gelegenheit hatten, war der Verfasser so liebenswürdig zuerst uns
anzubieten. Wir waren aber damals gegen anderweitiger mannigfacher
Beschäftigung nicht imstande, sein Angebot annehmen zu können. Seine
persönliche Bekanntschaft zu machen, hatten wir vor einigen Jahren in Frankfurt
am Main das Glück und es war ein hoher Genuss, dem phantasievollen
Plauderer, der soviel gesehen und gehört hatte, zuzuhören. Damals trug
er sich mit dem Plane, eine große illustrierte Zeitschrift in dem
Geschmacke seiner früheren 'Auf der Höhe'' herauszugeben. Dieselbe
sollte den Zweck haben, das Judentum in vornehmer, eleganter und
unterhaltender Weise zu verteidigen und er hatte bereits ein Reihe von
hohen und höchsten Persönlichkeiten für diesen Zweck gewonnen. Leider
zerschlug sich seine Absicht an dem Mangel an Mitteln für diesen Zweck.
Nichtsdestoweniger stellte er seine Kraft in den Dienst unserer
Sache. |
Er
entfaltete in Oberhessen in dieser Beziehung eine überaus reiche
Tätigkeit und wirkte in seiner dezenten, vornehmen Weise weit mehr zur
Unterdrückung der judenfeindlichen Strömung, als so mancher laut
polternde Agitator. Die von ihm in Oberhessen gegründeten Vereine zur
Volksaufklärung werden hoffentlich noch lange zum Segen der dortigen
Bevölkerung fortleben. Wir Juden haben alle Ursache, seiner stets in
Liebe zu gedenken. Er war Einer von den Gerechten der Nationen, welche
nach dem Ausspruche unserer Weisen Anteil an der ewigen Seligkeit
haben." |
Sonstiges
Zu Pfarrer Rudolf Oeser in Lindheim - aus jüdischer
Sicht
Anmerkung: zu Pfarrer Rudolf Oeser in Lindheim (geb. 1807 in Gießen, gest.
1859 in Lindheim; von 1835 bis 1859 Pfarrer in Lindhheim) vgl. Wikipedia-Artikel
http://de.wikipedia.org/wiki/Rudolf_Oeser_(Schriftsteller);
er wird auch genannt im Artikel zu Lindheim http://de.wikipedia.org/wiki/Lindheim.
Lehrer Ottensoser (Büdingen)
kritisiert eine antisemitische Publikation des Pfarrers Oeser (1859)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 27. Juni 1859: "Büdingen, Großherzogtum Hessen, 17.
Juni (1859). Soeben ist mir ein Schriftchen: 'Das Volk und seine Treiber',
herausgegeben 'vom christlichen Vereine im nördlichen Deutschland,
verfasst von O. Glaubrecht', lk. 8, zu Gesicht gekommen.
Etwas Schändlicheres hat wohl die Neuzeit auf dem Gebiete der Intoleranz
noch nicht ausgeheckt.
Das Büchlein, 276 Seiten stark, in 8000 Exemplaren gedruckt und wohl auch
verbreitet, handelt vom christlichen 'Volke' und dessen jüdischen
'Treibern'. Es ist das Ganze in eine Erzählung eingekleidet, welche
christlicherseits auf Pachtgütern und sonstigen Ökonomiehöfen spielt,
worin 'Juden' und 'Hofjuden' ein- und ausgehen, denen man vollständiges
Zutrauen schenkt, die sich auch unentbehrlich zu machen wissen, ihren
eigenen Vorteil aber auf Kosten des vollständigsten finanziellen wie
familiären Ruins der Pächter und Hofbauern ausbeuten. Der
judenfeindliche Verfasser sucht die Juden im Allgemeinen der
öffentlichen |
Verachtung
und Anfeindung Preis zu geben; er stellt die Juden zu gefährlich für die
'Christenmenschen' hin, als dass letztere sich mit ersteren in
irgendwelche Annäherung oder Berührung einlassen dürften, weil die
Ehrlosigkeit der Juden sie bald wie das Gewürm kriechen, bald mit einer
Schlangenlist den 'Christenmenschen' vergiften lässt. Um eindringlicher
und kräftiger bei den Christen gegen die Juden wirken zu können, sagt er
S. 20: 'was hier steht, hat sich begehen', wäre demnach unwiderlegbare
Tatsache, ohne deren Wahrheit durch Angabe von Ort und Stelle des
vorgeschützten Ereignisses und der dabei beteiligten Personen sicher zu
stellen.
Titel, Motto (Jeremias 5,26-30) und Inhalt des Buches beweisen, dass der
Verfasser in Ausdruck und Wesenheit seiner Erzählung planmäßig den
Judenfeind studiert und mit dem lebhaftesten Kolorit auszumalen verstanden
hat. So will ich nur einzelne Stellen hervorheben. S. 24: 'Das
Übel ist aber, dass ich es kurz sage, die Judenkrankheit'. - S. 25: 'Die
Schlange ist das Judenvolk' - 'das fremde Gewürm'. - S. 27: 'Der Jude mit
den Schabbesschlappen'. - S. 45 wird den Juden 'Mangel an persönlicher
Ehre' angedichtet. - S. 46 sind die Juden 'vollgesogene Schwämme, die man
gelegentlich, wenn Mangel eintritt, ausdrückt'. - S. 47 macht der
Verfasser sich lustig über die Juden, die 'Säckelchesboher'
(Schweinwurst) essen, befürchtet, sie möchten auch noch den
Schweinehandel an sich ziehen und dadurch, so wie durchs
Schweinefleischessen das Schweinefleisch verteuern. - S. 53 vindiziert er
den Juden das ehrbare Amt des Kartenschlagens. Wer mag alle die
Schändlichkeiten noch anrufen?
Dieser saubere Verfasser ist ein gewisser evangelischer Pfarrer Oeser
zu Lindheim, 2 Stunden von hier entfernt, sehr verschuldet. Nachdem
man Kenntnis von obigem Buche erhalten, haben seine zahlreichen
Judengläubiger ihm den Kredit gekündigt und jeden weiteren
geschäftlichen Umgang mit ihm sich verbeten (Anmerkung: Wir können dies
Verfahren nur höchlichst loben. Sollen wir uns niedertreten lassen, ohne
uns zu wehren? Redaktion).
Außerdem wird eine Broschüre vorbereitet, die als Flugschrift in
mehreren Tausend Exemplaren überallhin verbreitet werden soll, so wie man
beabsichtigt, eine kriminelle Untersuchung gegen ihn einzuleiten. Ottensoser,
Lehrer." |
Pfarrer Rudolf Oeser hat "so viel Judenfeindliches
fabriziert" (1860)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 13. März 1860: "In Düdelsheim,
hiesigen Kreises (3/4 Stunden von Lindheim entfernt, wo Oeser
residierte und so vieles Judenfeindliches unter dem Namen 'O, Glaubrecht'
fabrizierte), bauen die Israeliten eine neue Synagoge. Als Recompense
dafür, dass die Israeliten daselbst bei der dort jüngst vorgenommenen
Kirchenreparatur mit Hand anlegten, durch Verrichtung von allerlei
Handarbeiten, fahren die dortigen christlichen Bewohner sämtliche, zum
Synagogenbau nötigen Baumaterialien unentgeltlich herbei. Das
Charakteristische hierbei ist, dass der dortige Pfarrer, Herr Münch,
sich hieran nicht nur selbst beteiligt, sondern alle Fuhren, welche ein
oder der andere christliche Bürger zu tun unterlässt, auch mit
übernommen hat. Solche Handlungen beweisen, dass nur vernünftige
Geistliche ein Glück in der Gemeinde und im Staate sind, so wie dass
Mucker (= Heuchler) und Jesuiten zum Umsturz der Weltordnung und der
Staaten führen."
|
Anzeigen jüdischer Gewerbebetriebe und Privatpersonen
Nach der Deportation: Todesanzeige für Josef Lindheimer und Amalie Lindheimer
geb. Lindheimer (1945)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Aufbau" vom 2. November 1945:
"Wir erhielten erst jetzt die traurige Nachricht, dass unsere lieben
Eltern, Schwiegereltern und Großeltern im Jahre 1942
Josef Lindheimer
im Alter von 74 Jahren in Theresienstadt,
Amalie Lindheimer geb. Lindheimer (früher Lindheim,
Oberhessen)
im Alter von 68 Jahren in Polen, verschieden sind.
Arthur und Ilse Lindheimer geb. Stern Tienhoven, c/o Utrecht
Middenweg 29, Holland
Salo und Ruth Rollmann geb. Lindheimer
Kurt N. Rollmann 1714 E. Kane Place Milwaukee 2,
Wisconsin." |
Zur Geschichte der Synagoge
Zunächst war vermutlich ein Betraum in einem jüdischen
Privathaus vorhanden. Wann die Synagoge in der Borngasse eingerichtet oder
gebaut wurde, ist nicht bekannt. Im Gebäude, ein kleiner, einstockiger
Fachwerkbau mit hohem, geschweiftem Satteldach und Krüppelwalmen, hatte es 24
Männer- und 13 Frauenplätze. In den 1920er-Jahren wurde eine Marmorgedenktafel
für den Kriegsgefallenen der Gemeinde aufgehängt.
Im Winter 1937/38 übertrug der letzte Vorsteher der Jüdischen Gemeinde,
Joseph Lindheimer II, die Eigentumsrechte an den Landesverband Israelitischen
Religionsgemeinden in Hessen. Möglicherweise wurde das Gebäude noch vor dem
Novemberpogrom 1938 an die politische Gemeinde weiterverkauft, da sich die
Aktionen beim Novemberpogrom offenbar nicht gegen die ehemalige Synagoge
richteten. 1941 war das Synagogengebäude jedenfalls im Besitz der politischen
Gemeinde. Ende der 1950er-Jahre erwarb es ein Privatmann, der das Gebäude als
Wohnhaus verwendete, jedoch Ende der 1960er-Jahre oder 1973 abreißen ließ. Auf
dem Grundstück wurde ein Garten angelegt, unmittelbar daneben ein neues
Wohnhaus erstellt (die Synagoge stand im Garten vor dem heutigen Haus Im Winkel
7).
Adresse/Standort der Synagoge: Im
Winkel 5 (frühere Borngasse, 1932: Synagogenstraße, beziehungsweise bis 1905
Judengasse)
Fotos
(Quelle: Altaras s. Lit. 1994 S. 153)
Die ehemalige Synagoge
in
Lindheim |
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Bei der Synagoge handelte es
sich um einen
kleinen einstöckigen Fachwerkbau |
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Links und Literatur
Links:
Literatur:
| Paul Arnsberg: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang -
Untergang - Neubeginn. 1971. Bd. I S. 495. |
| Thea Altaras: Synagogen in Hessen. Was geschah seit
1945? 1988 S. 188. |
| dies.: Das jüdische Rituelle Tauchbad und: Synagogen in
Hessen. Was geschah seit 1945 Teil II. 1994. S. 153. |
| dies.: Neubearbeitung der beiden Bücher. 2007. S.
387-388. |
| Elisabeth Johann: Unsere jüdischen Nachbarn. Ein
fast vergessener Teil der Ortsgeschichte von Altenstadt, Höchst an der
Nidder und Lindheim. Hrsg. Vorstand der Gemeinde Altenstadt. 1991. |
| Studienkreis Deutscher Widerstand (Hg.):
Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der
Verfolgung 1933-1945. Hessen I Regierungsbezirk Darmstadt. 1995 S.
309-311. |
| Pinkas Hakehillot: Encyclopedia of Jewish
Communities from their foundation till after the Holocaust. Germany Volume
III: Hesse - Hesse-Nassau - Frankfurt. Hg. von Yad Vashem 1992
(hebräisch) S. 232. |
Article from "The Encyclopedia of Jewish life Before and During the
Holocaust".
First published in 2001 by NEW
YORK UNIVERSITY PRESS; Copyright © 2001 by Yad
Vashem Jerusalem, Israel.
Lindheim
Hesse. In 1910 the community numbered 44 (7 % of the total). On Kristallnacht
(9-10 November 1938), the synagogue (which had probably been sold) was not
damaged. All the Jews left (mostly emigrating) by 1939.
vorherige Synagoge zur ersten Synagoge nächste Synagoge
|