In Großen-Linden bestand eine jüdische
Gemeinde bis nach 1933. Ihre Entstehung geht in die Zeit des 17. Jahrhunderts
zurück - der jüdische Friedhof am Ort wurde 1637 angelegt.
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Zahl der jüdischen Einwohner wie
folgt: 1828 40 jüdische Einwohner (4,4 % von insgesamt 900 Einwohnern),
1861 31 (2,5 % von von 1.223), 1880 32 (2,6 % von 1.238), 1900 20 (1,2 % von
1.737), 1910 26 (1,3 % von 2.033).
Zur jüdischen Gemeinde gehörten auch die in
Hörnsheim und Hochelheim
lebenden jüdischen Personen (1932 zusammen 16 Personen). Die dortigen
jüdischen Familien hatten noch Mitte des 19. Jahrhunderts eine eigene Gemeinde
gebildet. Bei der Einteilung der acht Synagogenbezirke im Kreis Wetzlar am 1.
August 1853 wurde Hörnsheim zum Sitz von dieser Bezirke bestimmt. Zum Synagogenbezirk
Hörnsheim gehörten die in Hörnsheim, Hochelheim, Oberkleen und Ebersgöns
lebenden jüdischen Familien. Durch den Rückgang der jüdischen Einwohner in
diesen Orten wurde die Synagogengemeinde Hörnsheim aufgelöst und die in
Hörnsheim und Hochelheim lebenden jüdischen Personen der Gemeinde in Großen-Linden
zugeordnet.
Die jüdischen Familien hatten seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
einige Läden und Handlungen am Ort eröffnet (Kurz- und Wollwarenhandel,
Manufakturwarenhandel, Viehhandel), dazu gab es eine jüdische Metzgerei und
Darmhandel sowie ein Zigarrengeschäft.
An Einrichtungen gab es eine Synagoge (s.u.), eine Religionsschule,
vielleicht ein rituelles Bad und ein Friedhof.
Zur Besorgung religiöser Aufgaben hatte die Gemeinde vermutlich zeitweise einen
Lehrer angestellt, der auch als Vorbeter und Schochet tätig war. 1904 sollte
gemeinsam mit anderen Gemeinden der Umgebung ein gemeinsamer
"Wanderlehrer" mit Sitz in Wieseck angestellt werden (siehe Bericht
unten). Die Gemeinde gehörte zum orthodoxen Provinzialrabbinat in Gießen. In
Hörnsheim bestand ein eigener Friedhof.
Im Ersten Weltkrieg fielen aus der Gemeinde Hermann Marx (geb. 26.11.1891
in Großen-Linden, gef. 27.2.1916) und Isaak Simon (geb. 11.3.1880 in
Großen-Linden, gef. 4.11.1915). Außerdem sind gefallen: aus Großen-Linden
Moses Moritz Simon (geb. 13.12.1887 in Großen-Linden, vor 1914 in Tiengen
wohnhaft, gef. 7.11.1917); aus Hochelheim: Ignatz Jordan (geb. 25.8.1878 in Wittelshofen,
gest. 14.11.1918 in Gefangenschaft).
Um 1924 wurden noch 21 jüdische Einwohner gezählt (0,9 % von
insgesamt 2.423 Einwohnern). 1932 waren die jüdischen Gemeindevorsteher
B. Theisebach (1. Vors.), L. Stern (2. Vors.) und S. Meyer. Im Schuljahr 1931/32
gab es fünf schulpflichtige jüdische Kinder in der Gemeinde, die
Religionsunterricht erhielten.
1933 lebten 28 jüdische Personen in Großen-Linden (1,1 % von 2.581
Einwohnern). In
den folgenden Jahren sind die meisten von ihnen auf Grund der Folgen des wirtschaftlichen Boykotts,
der zunehmenden Entrechtung und der
Repressalien weggezogen beziehungsweise ausgewandert. Beim Novemberpogrom
1938 sorgte der Rektor der Volksschule dafür, dass über 200 Schulkinder
durch die Straßen zogen und die Fensterscheiben bei jüdischen Familien
einwarfen. Bis 1939 sind fünf Familien aus der Gemeinde ausgewandert, davon
vier (mit 14 Personen) in die USA, eine Familie mit vier Personen nach
Palästina. Drei Einzelpersonen sind vor 1937 vom Ort verzogen, zwei gingen im
Juli 1939 nach Frankfurt (der Gemeindevorsteher B. Theisebach und Frau, von dort
in die USA emigriert). 1939 wurden noch fünf, Anfang 1942 noch drei jüdische
Einwohner gezählt. Sie wurden im September 1942 deportiert.
Auf dem jüdischen Friedhof der Gemeinde wurde 1997 auf Veranlassung des damals
76-jährigen Herbert D. Rosenbaum, der als 16-jähriger in die USA geflüchtet war, ein Gedenkstein
gesetzt zur Erinnerung an die umgekommenen jüdischen Einwohner mit der
Inschrift: "Liskor olam - In ewiger Erinnerung an unsere geliebten
Grossen-Lindener Märtyrer der Juden-Verfolgung 1933 Berthold und Lina Edelmuth,
Klara und Anna Marx, Frieda Meier, Lina Simon. 'Mein Antlitz ist geschwollen und
meine Augenlider sind verdunkelt' Hiob XVI,16. Gewidmet von den Familien
Theisebach und Rosenbaum in den Staaten Connecticut und New York USA 1997."
Von den in Hochelheim geborenen und/oder längere Zeit am Ort
wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit
umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad
Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches
- Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Hermann Jordan (1908),
Walter Jordan (1914), Henri Karp (1898), Regina Löwenstein geb. Rosenbaum
(1878), Mathilde Rosenbaum geb. Meyer (1885), Simon Rosenbaum
(1883).
Aus Hörnsheim sind umgekommen: Karoline Cahn geb. Rosenbaum (1878),
Sabine Gärtner geb. Rosenbaum (1882).
Aus der Geschichte der
jüdischen Lehrer Zur Anstellung eines gemeinsamen Wanderlehrers mit Sitz
in Wieseck schließen sich mehrere jüdische Gemeinden zusammen (1904)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 18. April 1904: "Gießen, 21. April (1904). Als Ergebnis
des Eintretens der hessischen Regierung für Anstellung nur seminaristisch
gebildeter Religionslehrer in den israelitischen Gemeinden ist eine
Vereinigung der jüdischen Kultusgemeinden von Wieseck,
Großen-Linden (statt Gießen-Linden), Langgöns,
Leihgestern, Holzheim,
Grüningen und Watzenborn-Steinberg
(statt -Steinbach)
zustande gekommen, um einen Wanderlehrer mit dem Sitze in Wieseck
anzustellen, zu dessen Gehalt die Regierung vorerst einen kleinen Zuschuss
leistet. Wenn die Einrichtung sich bewährt, ist die feste Anstellung des
Lehrers in Aussicht genommen. Man hört, dass auch in den anderen
oberhessischen Kreisen Verhandlungen schweben, die die Frage der
israelitischen Religionslehrer in gleicher Weise regeln
sollen."
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 4. Mai 1885: "Aufruf!
Der frühere Handelsmann Benjamin Meier zu Großen-Linden bei
Gießen, 47 Jahre alt, ist schon seit längeren Jahren leidend.
Das Übel hat in der letzten Jahren so zugenommen, dass Meier nicht mehr
in der Lage ist, sich auch nur im Geringsten gerade zu bewegen. Er liegt teilnahmslos
da und ist in allen und jeden Beziehungen auf die Hilfe anderer
angewiesen. Seine Frau Betti geb. Süßel ist jetzt 42 Jahre alt.
Dieselben haben drei Kinder, wovon das älteste 9 Jahre und leider fast
ganz erblindet ist.
Die Frau Meier selbst ist eine sehr kranke Frau, welche, wie durch Herrn
Prof. Dr. Kaltenberg in Gießen dargetan werden kann, sich einer
gefährlichen Operation unterziehen musste und nun in der Lage ist, dass
sie sich jeder Arbeit enthalten muss. Vermögen besitzt diese
unglückliche Familie nicht. Dieselbe ist sonach in den allerärmsten
Verhältnissen. Die Unterstützungen, die ihr bis jetzt geworden sind,
reichen unmöglich aus, um die traurige Lage nur einigermaßen zu lindern.
Außerordentliche Hilfe muss hier eintreten.
Wir wenden uns deshalb an alle edlen Menschen mit der ganz ergebenen Bitte
um milde Gaben für diese bedürftige Familie.
Gießen und Großen-Linden, Ostern 1885. Großherzoglicher Bürgermeister
zu Großen-Linden. Meun,
Herz Marx. Abraham Simon. Vorstand der israelitischen
Religionsgemeinde Großen-Linden.
Auch wir sind gern bereit, Gaben entgegenzunehmen und
weiterzubefördern. Die Expedition des 'Israelit'."
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 16. Oktober 1903: "Messel,
9. Oktober (1903). Das 'Darmstädter Tagblatt' schreibt: Am 15. Oktober
dieses Jahres begeht der älteste Einwohner hiesiger Gemeinde und das
älteste Glied der israelitischen Religionsgemeinde, Herr Löb Merkel,
seinen 90. Geburtstag. Derselbe ist geboren am 15. Oktober 1813 zu
Messel,
trat am 1. April 1834 in den hessischen Militärdienst und war 22 Jahre 7
Monate ununterbrochen in demselben; er machte den Feldzug 1848/49 in Baden
mit, schied am 24. Oktober 1856 aus dem Militärdienste aus und wurde als
Bahnwärter in Großen-Linden bei Gießen angestellt, welchen
Dienst er zur größten Zufriedenheit seiner Vorgesetzten versah. Am 1.
Januar 1871 wurde er als Weichensteller nach
Vilbel bei Frankfurt
versetzt, wo er bis zu seiner Pensionierung am 1. Mai 1878 verblieb und
dann wieder hierher zurückkehrte. Herr Merkel erfreut sich trotz seines
hohen Alters noch ziemlich guter Gesundheit. Wir empfehlen
diese Notiz der 'Staatsbürger-Zeitung' zum freundlichen
Abdruck."
Derselbe
Bericht erschien in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom
6. November 1903.
Als Synagoge diente in Großen-Linden ein von der Ortsgemeinde
gepachtetes und umgebautes Haus. Dabei handelte es sich um ein kleines,
zweigeschossiges Fachwerkhaus in unmittelbarer Nachbarschaft des Pfarrhauses.
Wann das möglicherweise aus dem 17. Jahrhundert stammende Gebäude zur Nutzung
als jüdisches Bethaus umgebaut wurde, ist nicht bekannt - Thea Altaras hat
dafür die Zeit Anfang des 19. Jahrhunderts vermutet.
Auch die in Hörnsheim und Hochelheim wohnhaften jüdischen Personen kamen zu
den Gottesdiensten nach Großen-Linden.
Über Ereignisse beim Novemberpogrom 1938 gegen die Synagoge ist nichts
bekannt.
Die ehemalige Synagoge wurde nach 1974 abgebrochen. Das Grundstück wurde
zu einem asphaltierten Hof. Ein Teil davon wurde 1988 oder später als
Rasenstück angelegt, auf dem sich inzwischen ein Gedenkstein mit einer
Tafel befindet.
Adresse/Standort der Synagoge: Bahnhofstraße
3
Fotos (Quelle: Obere Zeile links: Arnsberg Bilder S. 76,
rechts in sw und Foto in zweiter Zeile: Altaras 1988 S. 82;
obere Zeile rechts farbig aus dem Artikel im "Gießener Anzeiger" vom
24.11.2010 - repro: Wißner)
Das Gebäude
der
ehemaligen Synagoge
Aufnahme von vor
1970
Aufnahme von 1974
Das Grundstück
nach
Abbruch der Synagoge
Nach dem Abbruch
der Synagoge: ein
asphaltierter Hof (Foto August 1984)
Der Gedenkstein
für die Synagoge (Fotos: Christian Bolz, August 2023)
Gedenkstein
an der Bahnhofstraße mit der Inschrift: "Hier stand die Synagoge der
jüdischen Gemeinde Großen-Linden, die nach der Pogromnacht am 10. November
1938 geschändet wurde. Sie wurde im Jahre 1973 wegen Baufälligkeit
abgerissen."
Erinnerungsarbeit
vor Ort - einzelne Berichte Anmerkung: Am 26. April 2008 wurde in Linden der erste "Stolperstein" zur
Erinnerung an die Opfer des Holocaust durch den Kölner Künstler Gunter Demnig
zum Gedenken an Klara Marx (Jg. 1849) gesetzt. Es war dies der erste
"Stolperstein" im Landkreis Gießen. Damals war es eine zehnte Klasse des
Gymnasialzweigs der Anne-Frank-Schule (AFS) mit ihrem Gesellschaftslehrer
Dietmar Steinbach, die dafür sorgte, dass Linden als 324. Ort in die Liste der
Stolperstein-Orte eingetragen werden konnte.
November 2010:
Erinnerung an die Synagoge bei einem "Historischen
Seniorennachmittag"
Artikel im "Gießener Anzeiger"
vom 24. November 2010 (Artikel):
"Beim 'Bäier-Schäfer' gab es Bier aus Krügen
GROSSEN-LINDEN. Historischer Seniorennachmittag mit Helmut Faber
(ee). Ehemalige Geschäfte in der Bahnhofstraße standen im Mittelpunkt des Seniorennachmittags der evangelischen Kirchengemeinde Großen-Linden. Leiterin Else Weiser, die mit einer Andacht zur Auslegung des Vaterunser die Zusammenkunft im Gemeindehaus eröffnete, begrüßte als Referenten mit Helmut Faber den Vorsitzenden des Heimatkundlichen Arbeitskreises Linden. Dieser nahm die Senioren mit auf eine Zeitreise in die erste Hälfte des vergangenen Jahrhunderts..."
August 2011:
Diskussion über "Stolpersteine" im
Gemeinderat Hüttenberg
Artikel von "msk" im "Gießener
Anzeiger" vom 19. August 2011 (ganzer
Artikel; nur ein Abschnitt aus dem Artikel wird zitiert):
"Diskussion über 'Stolpersteine' in Hüttenberg - Erinnerung an jüdische Bürger -
Die Grünen stellten den Antrag Stolpersteine in den Bürgersteigen vor den Häusern ehemaliger jüdischer Mitbürger, die von den Nationalsozialisten ermordet wurden, einzulassen. So werde Geschichte, wie andernorts auch, lebendig gehalten, lautete Tatjana Friedrichs Begründung. Christiane Koch-Rein (FWG) erinnerte daran, dass führende Vertreter der Juden die Steine als zweite Entwürdigung empfänden, da sie
'im Dreck' lägen. Man solle sich zunächst einmal über den Zustand des jüdischen Friedhofs unterhalten. Klaus Schultze-Rohnhof (CDU) schlug vor, Hinterbliebene zu fragen. Josef Fischer (SPD) zeigte sich enttäuscht, dass er im Gespräch mit einem Vertreter des Parlaments die Antwort erhalten habe
'Was soll das bringen?'."
November 2013:
Eine Gedenktafel auf dem Alten Friedhof
Hochelheim erinnert an jüdische Einwohner
Artikel von Carolin Beinroth in der "Gießener
Zeitung" vom November 2013 (Link
zum Artikel):
"Gedenktafel auf dem Alten Friedhof Hochelheim erinnert an jüdische Einwohner. Gießen. Am vergangenen Freitag wurde auf dem Alten Friedhof in Hochelheim eine Gedenktafel für die hier und in Hörnsheim ansässigen Juden eingeweiht.
Der Alte Friedhof in Hochelheim ist seit 1981 für Bestattungen geschlossen, doch seit 2012 sind Baumbestattungen wieder möglich.
'Diese sehr schöne Anlage bot sich den Bürgern an für eine erweiterte Nutzung als besinnliche Aufenthalts- und Gedenkstätte,' so Hüttenberger Bürgermeister Christof Heller. Schon bald gründete sich eine Arbeitsgruppe, die über mögliche Gestaltungsformen des Alten Friedhofs diskutierte. Zur selben Zeit stellten die Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen einen Antrag, sich mit den verschiedenen Möglichkeiten zu befassen, wie man den ehemaligen Bürgern und Bürgerinnen Hüttenbergs jüdischer Herkunft gedenken könnte, die im Zuge des
Nazi-Regimes fliehen mussten oder deportiert wurden.
'Zu erst hatten wir überlegt Stolpersteine anzubringen, aber letztendlich haben wir uns für Gedenktafeln an den Häusern ehemaliger jüdischer Bewohner in Hochelheim und Hörnsheim
und eine Gedenkstätte auf dem Alten Friedhof entschieden. Auf diesem Weg möchten wir zum Ausdruck
bringen, dass wir uns auch diesem Teil unserer Geschichte stellen und ihn nicht vergessen
wollen,' so Christiane Schmidt vom Archiv der Gemeinde Hüttenberg, die maßgeblich an der inhaltlichen Konzeption der Gedenktafel beteiligt war. Bereits vor zweieinhalb Jahren veröffentlichte Schmidt gemeinsam mit Marianne Bill ein Buch über
'Jüdisches Leben in Hüttenberg'. Durch umfangreiche Recherchearbeiten informierten sie sich über das Leben der damals hier lebenden Familien, beispielsweise das der Familie Rosenbaum, die während des dritten Reiches aus Hüttenberg vertrieben und deportiert
wurde - nun erinnert ein Rosenstock neben der Gedenktafel an die ehemals in Hüttenberg lebende Familie. Die Geschichten von insgesamt 10 in Hochelheim oder Hörnsheim aufgewachsenen Juden sind auf der Gedenktafel auf dem Alten Friedhof nachzulesen.
Im Bereich der heutigen Gemeinde Hüttenberg lebten bereits vor über 400 Jahren Juden, zuerst in Vollnkirchen, seit Ende des 17. Jahrhunderts in Hochelheim und wenig später auch in Hörnsheim', so Schmidt anlässlich der Eröffnung der Gedenkstätte, zu der zahlreiche Anwohner trotz starkem Regen erschienenen.
Bürgermeister Heller bedankte sich bei den vielen ehrenamtlichen Helfern, die mit viel Engagement an den Bauarbeiten beteiligt waren."
Januar 2019:
Weitere "Stolpersteine" sollen im
Juni 2019 in Großen-Linden verlegt werden
Artikel von Thomas Wißner im "Gießener
Anzeiger" vom 4. Januar 2019: "Neue 'Stolpersteine' werden in Linden
gesetzt.
Drei Geschichten von Jüdinnen aus Linden liegen im Dunkeln. Klar ist nur,
sie wurden im Nationalsozialismus getötet. Für sie sollen in diesem Jahr
weitere 'Stolpersteine' gesetzt werden.
GROSSEN-LINDEN - Zwei weitere Stolpersteine sollen auf Wunsch des
Heimatkundlichen Arbeitskreises Linden wahrscheinlich im Juni in
Großen-Linden gesetzt werden. Damit kehrt der Kölner Künstler Gunter Demnig
nach elf Jahren wieder an jenen Ort zurück, wo er einst den ersten
Stolperstein in Stadt und Landkreis Gießen vor dem ehemaligen Anwesen der
Familie Marx setzte. Er findet sich auch heute noch in der unteren
Bahnhofstraße zum Gedenken an Klara Marx (Jahrgang 1849), auch 'Herze
Klärche', genannt. Linden war damals der 324. Ort in der
Stolperstein-Chronologie Demnigs, der 1996 begann, auf diese Art der Opfer
des Nationalsozialismus zu gedenken. Zur Erinnerung an Lina Simon und
Anna Marx sollen Stolpersteine gesetzt werden, deren Geschichte
allerdings im Dunkeln liegt. Bei einem Monatstreffen ging Helmut Faber, Chef
des Heimatkundlichen Arbeitskreises, daher auf eine Geschichte ein, die der
jüdischen Familie Eduard Rosenbaum aus Großen-Linden, die gut
dokumentiert ist und stellvertretend das Schicksal vieler Juden im
heimischen Raum aufzeigt. 2017 hatte Daniel Rosenbaum aus New York mit
seiner Familie Großen-Linden besucht; um seinen Kindern die Stätte seiner
Familie zu zeigen, nachdem er 20 Jahre zuvor bereits mit seinem Vater
Herbert Großen-Linden besucht hatte. Dort weihte er auf dem jüdischen
Friedhof ein von seiner Familie und der Familie Theisebach (Connecticut/USA)
gestiftetes Denkmal 'In ewiger Erinnerung an unsere geliebten
Großen-Lindener Märtyrer der Juden-Verfolgung 1933 - 1945' ein. Und auf
jenem Gedenkstein finden sich auch die Namen von Lina Simon
(Bahnhofstraße 2), Klara und Tochter Anna Marx (Bahnhofstraße 4).
Diese drei waren die letzten in Großen-Linden wohnenden Juden, die im
September 1942 deportiert und dann ermordet wurden. Jenny Rosenbaum konnte
dagegen Ende Juni 1937 mit ihren Söhnen noch rechtzeitig fliehen.
David Heyum, der Stammvater der Familie Rosenbaum, lebte zu Beginn der
1730er Jahre in Hochelheim. Die Familie nahm 1846 den Nachnamen Rosenbaum
an. Heyum war seit etwa 1756 Schutzjude und wurde seit 1758 als Hochelheimer
Einwohner geführt. Mit welchen Schwierigkeiten die jüdische Landbevölkerung
in dieser Zeit zu kämpfen hatte, erklärte Faber am Schicksal von David und
seiner Familie. Dieser fiel es schwer, das jährliche Schutzgeld (Königlicher
Schutz gegen Zins, Gegengabe evt. Zollfreiheit) aufzubringen und so geriet
diese immer mehr in Rückstand. 1777 war er infolge von 'Unglücksfällen' mit
den Zahlungen schon über zwei Jahre in Verzug. Fast immer wurde nur einem
Sohn - in der Regel dem ältesten - ein Schutzbrief ausgestellt und ihm
gestattet, im Amtsbezirk wohnen zu bleiben und meist auch dann erst, wenn
die Eltern gestorben waren. Für die Töchter der jüdischen Familien war nach
der jüdischen Religion immer die Heirat vorgesehen. Heyum hatte drei Söhne.
Joseph (1760-1846) lebte ab 1817 in Lützellinden, wo er von einem anderen
Juden als Erbe eingesetzt worden war. Sohn Liebmann (1765-1851) und seine
Frau Grest (1766-1843) wohnten zuerst beim Vater im Haus und begannen neben
dem Viehhandel auch noch einen kleinen 'Specereyhandel' (Gewürze). Mit einer
Ausnahmegenehmigung der Regierung kaufte er 1799 eine Hofreite in Hörnsheim.
Ende Dezember 1845 erging eine Bekanntmachung des Amtsbürgermeisters in
Niederkleen: 'Die allerhöchste Cabinetsordre vom 31. October dieses Jahres
(1845) befiehlt, dass die Juden bestimmte erbliche Familiennamen annehmen
sollen'. Fast alle Familien entschieden sich dafür, den Nachnamen, den sie
ohnehin gerade führten, also den Vornamen des Vaters oder Großvaters,
weiterhin als Familiennamen zu führen. David Heyum aus Hörnsheim war der
Einzige, der sich mit seiner ganzen Familie einen völlig neuen Familiennamen
aussuchte. Ab 1846 wollten er und seine Nachkommen 'Rosenbaum' als
Familiennamen führen. David Rosenbaum hatte sechs Kinder, sein Sohn Heimann
(1849-1890) ist der Ur-Ur-Großvater von Eduard Rosenbaum. Eduard Rosenbaum
übernahm nach dem Krieg das Wäschegeschäft seiner Mutter und baute es weiter
aus. 1919 heiratete er Jenny Stern aus
Wieseck. Zwei Söhne wurden dem Ehepaar mit Herbert (1920) und Adolf
(1921) geboren. Um 1922 eröffnete er ein Geschäft für Wäsche, Stoffe und
Bekleidung in Großen-Linden in der Bahnhofstraße 78 und wohnte auch seit
1923 dort. Das Geschäft entwickelte sich zu einem renommierten Laden. Nach
dem frühen Tod von Eduard Rosenbaum im Dezember 1930 führte seine Frau das
Geschäft alleine weiter. Ab 1933 wurde der Betrieb im Nationalsozialismus
boykottiert. Trotzdem führte Jenny Rosenbaum es noch, so gut es ging,
weiter. Als sie und ihre Söhne sich zur Auswanderung entschlossen, wurde das
Wohn- und Geschäftshaus mit dem Gartengrundstück zunächst an die Bank
überschrieben, die es einer Familie aus Großen-Linden verkaufte. Schon im
April 1937 wurde das Geschäft geschlossen und der gesamte Warenbestand an
die jüdische Firma Meyer in Gladenbach weit unter Wert verkauft. Für das
Wenige, was die Familie überhaupt mitnehmen konnte, musste sie noch eine
Umzugsgutabgabe von 3514 Reichsmark zahlen. Zwei Fahrten zum amerikanischen
Generalkonsulat in Stuttgart waren nötig, bis die Visa endlich ausgestellt
wurden und Jenny Rosenbaum mit ihren Söhnen Ende Juni 1937 mit dem Schiff
'Deutschland' das Land verließen. Beim Aufbruch warf Jenny Rosenbaum mit den
Worten 'Lasse hawwe' (Überlass es ihnen) den Schlüssel über das Hoftor. Die
Familie siedelte zunächst in New York im Bezirk 'Washington Heights' an. Die
einst wohlhabende Geschäftsfrau musste sich mit einem kleinen Hausierhandel
notdürftig über Wasser halten. Erst ab 1949 gelang es ihr, mit einer kleinen
Handschuhnäherei, in der hauptsächlich immigrierte Frauen beschäftigt waren,
ein Einkommen zu erzielen. Jenny Rosenbaum erlebte noch die Heirat der
beiden Söhne und das Heranwachsen von Enkeln. Im Juli 1980 starb sie in New
York. Ihr Sohn Herbert besuchte damals in Großen-Linden den Kindergarten. In
der Schule wurde er zunächst von Herrn Hinkel unterrichtet. Der
Lieblingslehrer war Herr Bullmann, der die jüdischen Kinder immer gegen die
Anfeindungen nationalsozialistischer Art verteidigte. Im Frühling 1935 trat
Herbert in das Textilgeschäft Löwenstern in
Korbach als Lehrling ein. Um sich auf die Auswanderung vorzubereiten,
ging er mit seinem Bruder Adolf bei Fritz Hahn in
Gambach in die Lehre als
Maschinenschlosser. 'Wir konnten ja kein Englisch und wussten, dass wir eine
Möglichkeit finden mussten, in Amerika ein Auskommen zu finden. Diese Idee
erwies sich später als genau richtig, denn ich konnte einige Jahre in New
York an unterschiedlichen Stellen als Maschinenschlosser arbeiten, bis ich
1943 in die Armee eintrat', zitierte Faber Rosenbaum. Dieser diente in der
US-Armee und wurde auch dort als Maschinenschlosser eingesetzt. Aus dem
Krieg kehrte er 1946 zunächst an seinen alten Arbeitsplatz zurück. Dann bot
sich ihm die Möglichkeit, an einem Programm der amerikanischen Regierung
teilzunehmen, das allen ehemaligen Kriegsteilnehmern die Möglichkeit gab, zu
studieren. Der Staat trug alle Kosten. Er wurde an der Hofstra-Universität
in New York letztlich Professor der Politikwissenschaft. Am 18. Mai 2016
starb Herbert Rosenbaum. 2017 suchten Sohn Daniel mit Ehefrau Olivia und den
16-jährigen Zwillingen Michael und Jeremy die Wurzeln der Familie in
Großen-Linden.
Bruder Adolf (Edward) Rosenbaum trat 1935 als Lehrling in das elterliche
Geschäft ein und besuchte gleichzeitig die kaufmännische Fortbildungsschule
in Gießen. 1936 musste er aufgrund der nationalsozialistischen Verfolgung
die Schule in Gießen ohne Zeugnis verlassen. Nach der Auswanderung ließ er
sich in New York nieder und nannte sich Edward. Er ging tagsüber arbeiten,
um zum Unterhalt der Familie beizutragen und besuchte abends die
Textil-Highschool. Als er nach seinem Schulabschluss eine Anstellung in
einer Firma fand, belegte er gleichzeitig Abendkurse eines College. 1943
wurde er zum Militär eingezogen. Währenddessen war Edward als Manager einer
Kleiderfabrik der Armee in England, später in Paris und nach der Besetzung
Deutschlands auch in Frankfurt am Main eingesetzt. Die Überraschung war
groß, als Edward eines Tages in amerikanischer Uniform mit seinem Jeep nach
Großen-Linden fuhr, um seine Heimat zu besuchen. Zum Erschrecken der neuen
Besitzer kam er auch zu seinem Elternhaus in der Bahnhofstraße. Sie
empfingen ihn mit den Worten: 'Ihr könnt das Haus nicht wiederhaben!' Später
wurde er selbst Handschuhfabrikant in Gloversville. Edward eröffnete
Filialen in Manila und in Port-au-Prince. Er starb 1985."
Link zum Artikel
Oktober 2019:
Weitere Verlegung von
"Stolpersteinen" in Großen-Linden
Artikel in der "Gießener Allgemeinen" vom 8.
Oktober 2019: "Linden bekommt weitere Stolpersteine.
Linden (pm). In Großen-Linden werden zur Erinnerung an ermordete
jüdische Bürger vier Stolpersteine verlegt. Dazu kommt der Kölner Künstler
Gunter Demnig am Dienstag, 22. Oktober, in die Stadt. Die Aktion wird
organisiert vom Heimatkundlichen Arbeitskreis Linden. Treffpunkt ist um 9
Uhr in der Bahnhofstraße 2. Mit dem Verlegen der Stolpersteine wird
an Lina Simon, 65 Jahre, Bahnhofstraße 2; Anna Marx, 59 Jahre,
Bahnhofstraße 4; Berthold Edelmuth, 75 Jahre, und Lina Edelmuth, 59
Jahre, Falltorstraße 6, erinnert. Sie wurden 1942 in das
Konzentrationslager Theresienstadt deportiert und ermordet. Klara und Anna
Marx sowie Lina Simon wurden von Großen-Linden aus deportiert. Die Eheleute
Berthold und Lina Edelmuth waren am 12. Juli 1939 nach Frankfurt am Main
gezogen, um den Repressalien in Großen-Linden zu entgehen. Sie wurden 1942
von dort in das Konzentrationslager Theresienstadt verschleppt. Berthold
Edelmuth starb dort ein halbes Jahr später. Lina Edelmuth wurde von diesem
Lager am 15. Mai 1944 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert, wo sie
ermordet wurde. Da der letzte frei gewählte Wohnort von Berthold und Lina
Edelmuth Großen-Linden war, werden auch für sie zwei Stolpersteine verlegt.
Für Klara Marx wurde auf Initiative der 10. Gymnasialklasse der
Anne-Frank-Schule bereits im April 2008 auf dem Bürgersteig vor dem
ehemaligen Wohnhaus Bahnhofstraße 4 der erste "Mahnstein gegen das
Vergessen" im Landkreis Gießen verlegt - ebenfalls von Gunter Demnig. Für
die im September 1942 deportierten und ermordeten jüdischen Leihgesterner
Mitbürger Alfred, Berthold, Betty, Louis und Klara Bauer sowie Julius, Ida,
Alexander und Hedwig Weisenbach, wurde im November 2015 an dem Haus Ecke
Kirchstraße/Kantstraße eine Gedenktafel angebracht. Bürgermeister Jörg
König, Pfarrerin Edith Höll von der evangelischen Kirchengemeinde
Großen-Linden sowie Schülerinnen und Schüler der Anne-Frank-Schule werden
bei der Verlegung anwesend sein. Die Aktion ist öffentlich, eine rege
Beteiligung wäre dem Anlass entsprechend wünschenswert, schreibt der
Vorstand des Heimatkundlichen Arbeitskreises."
Link zum Artikel
vgl. Artikel im "Gießener Anzeiger" vom 12. Oktober 2019:
https://www.giessener-anzeiger.de/lokales/kreis-giessen/linden/vier-weitere-stolpersteine-fur-linden_20516746
Artikel von Thomas Wißner im "Gießener
Anzeiger" vom 23. Oktober 2019: "Stolpersteine für Lina Simon, Anna Marx,
Lina Edelmuth und Berthold Edelmuth verlegt
Letztmals vor 80 Jahren war in Großen-Linden ein Schofar zu hören – jenes
Instrument hatte Jeff Israel wieder an jenen Ort gebracht, wo es einst sein
Großvater bei seiner Flucht an sich genommen hatte.
GROSSEN-LINDEN. Letztmals vor 80 Jahren war in Großen-Linden ein Schofar
zu hören – und genau jenes Instrument des Altertums, das noch heute in der
Synagoge in Gebrauch ist, hatte Jeff Israel aus Bristol/US-Bundesstaat
Connecticut wieder mit an jenen Ort gebracht, wo es einst sein Großvater
Bernhard als Vorsteher der Jüdischen Gemeinde bei seiner Flucht an sich
genommen hatte. Zusammen mit der Thora war Bernhard Theisebach 1939 mit
seiner Frau Henriette Theisebach (geb. Simon) und den beiden Töchtern Beate
und Hildegard am 24. März 1939 in die USA emigriert. Zurückbleiben musste
mit Lina Simon (Jahrgang 1877) die Tante von Beate Theisebach, welche
zusammen mit Klara (Jahrgang 1849) und Anna Marx (Jahrgang 1882) dann 1942
deportiert und ermordet wurde. Zur Erinnerung an Lina Simon und Anna Marx
wurden nun in der Bahnhofstraße in Großen-Linden durch den mittlerweile in
Elbenrod beheimateten Kölner Künstler Gunter Demnig auf Initiative des
Heimatkundlichen Arbeitskreis Linden Stolpersteine gesetzt. Bereits im April
2008 hatte Demnig auf Initiative einer Schulklasse der Anne-Frank-Schule (AFS)
zur Erinnerung an Klara Marx den ersten Stolperstein im Landkreis Gießen
überhaupt gesetzt. Die noch in den USA lebende und mittlerweile 91-jährige
Beate Theisebach wollte die Reisestrapazen nicht auf sich nehmen und so
waren ihre Söhne Steven und Jeff Israel nach Großen-Linden gereist, um an
der Verlegung der Stolpersteine teilzunehmen. Den Kontakt zur Familie hatte
der aus Großen-Linden stammende Pfarrer Matthias Weber hergestellt. Steven
Israel war aus Atlanta/US-Bundesstaat Georgia gekommen.
Fast 100 Bürger nahmen an der Verlegung der vier Stolpersteine in Bahnhof-
und Falltorstraße teil, wobei der Initiator und Vorsitzende des
Heimatkundlichen Arbeitskreis Linden, Helmut Faber, in seiner Ansprache
betonte, dass 'wir durch die Stolpersteine von Gunter Demnig eine Form des
Erinnerns und Gedenkens haben, die an die Opfer der Judenverfolgung in
unserer Gemeinde erinnern soll'. Die Familien Theisebach/Simon und Marx
waren Nachbarn in der Bahnhofstraße, wohnten vis-a-vis der Synagoge (Gelände
des heutigen Kindergartens 'Lindener Zwerge'). Die Familie Theisebach führte
im Haus Bahnhofstraße 2 ein Geschäft für Manufakturwaren und
Herrenkonfektion. Lina Simon wurde 1942 nach Theresienstadt deportiert und
1944 in Auschwitz ermordet. In dem nicht mehr vorhandenen Wohnhaus
Bahnhofstraße 4 wohnte die Familie Marx, welche Nähzubehör, Zigarren und
Zigaretten verkaufte. Familienoberhaupt Kaufmann Marx verstarb 1929, Ehefrau
Klara und Tochter wurden 1942 nach Theresienstadt deportiert, wo Anna Marx
ermordet wurde. Anna Marx wurde im besetzten Polen ermordet, wie auf dem nun
gesetzten Stolperstein zu lesen ist. 'Wir sollen stolpern! Wir müssen uns
bücken, uns verneigen, um die Namen lesen zu können', so Pfarrerin Edith
Höll nach der Verlegung des Stolpersteins für Lina Simon, derweil Jeff Simon
jenes Instrument seines Großvaters hervorholte und diesem nochmals jene Töne
entlockte, die zuletzt 1939 in Großen-Linden erklangen. Etwas schwieriger
gestaltete sich die Verlegung von zwei weiteren Stolpersteinen in der
Falltorstraße vor dem Haus Nummer 6, was am festen Untergrund des
Bürgersteigs lag. Mit Unterstützung von Bauhofmitarbeiter Jan Michel und
hartem Gerät wurde Platz geschaffen für die Stolpersteine für Berthold
Edelmuth (Jahrgang 1876) und Lina Edelmuth geb. Meyer (Jahrgang 1883), die
hier eine Ochsen- und Kalbsmetzgerei betrieben, 1939 nach Frankfurt am Main
flohen und 1942 nach Theresienstadt deportiert wurden. Berthold Edelmuth
wurde am 2. April 1943, seine Frau Lina nochmals am 15. Mai 1944 nach
Auschwitz deportiert und dort ermordet. Ihr Schwiegersohn Hermann Adler
wanderte bereits am 7. Oktober 1937 nach New York aus, seine Ehefrau Gerda
geb. Edelmuth folgte mit Tochter Rosa am 12. September 1938. Unter
Glockengeläut um 10 Uhr wurde zum Abschluss der Gedenkfeiern 'Höre Israel –
Der Herr ist unser Gott, der Herr allein' gesungen.
1933 lebten 28 jüdische Personen in Großen-Linden (1,1 Prozent von 2581
Einwohnern). In den folgenden Jahren sind die meisten von ihnen wegen des
wirtschaftlichen Boykotts, der zunehmenden Entrechtung und der Repressalien
weggezogen beziehungsweise ausgewandert. 1939 wurden noch fünf, Anfang 1942
noch drei jüdische Einwohner gezählt. Sie wurden im September 1942
deportiert."
Link zum Artikel
Links
zum Anklicken: Video zur Verlegung der "Stolpersteine" im Oktober 2019,
YouTube: https://youtu.be/BuBrTMxdAyM
Januar 2020:
Weitere Informationen zu jüdischen
Einwohnern für das Treffen des Heimatkundlichen Arbeitskreises Großen-Linden
Artikel von Constantin Hoppe in der "Gießener
Allgemeinen" vom 23. Januar 2020: "Flucht vor den Nazis.
Linden. Normalerweise stehen bei den monatlichen Treffen des
Heimatkundlichen Arbeitskreises Großen-Linden Geschehnisse im Mittelpunkt,
die Jahrzehnte, wenn nicht gar Jahrhunderte zurückliegen. Diesmal lag der
Fokus auf einem aktuellen Anlass: Die im Gedenken an die ermordeten
jüdischen Mitbürger im vergangenen November verlegten Stolpersteine. Darüber
fertigten Mitglieder des Arbeitskreises einen Film an, der nun vorgestellt
wurde. Im Nachgang der Stolpersteinverlegung konnte Helmut Faber Kontakt mit
einigen der Nachfahren aufnehmen und die weitere Familiengeschichte
ermitteln. Für Klara Marx wurde bereits 2008 ein Stolperstein in Linden
gesetzt. Einer ihrer Nachfahren, ihr Enkel Georg Marx, wurde von seiner
nichtjüdischen Mutter, der Allgemeinmedizinerin Else Marx, 1937 nach
Brasilien geschickt. So konnte er den Nazis entgehen. In Brasilien heiratete
er, bekam vier Kinder und lebte in Sao Paulo, berichtete Faber. In der
Bahnhofstraße 2 lebte die Familie Bernhard und Henrietta Theisebach mit
ihren Töchtern Hildegard und Beate sowie der Schwester von Henrietta, Lina
Simon. Am 24. März 1939 floh die Familie Theisebach nach Amerika, Lina Simon
sollte nachkommen. Dies gelang nicht mehr. Sie wurde 1942 nach
Theresienstadt deportiert und ermordet. 24 Stunden in Keller eingesperrt. Beate Israel (geb. Theisebach) lebt
heute noch in Hartford/Connecticut und wurde 2018 als "Frau der Tapferkeit"
geehrt. Die Theisebachs, deren Familienangehörigen in den USA lebten, waren
gerade dabei, sich Papiere für die Ausreise zu beschaffen, als in der
sogenannten Reichskristallnacht organisierte Übergriffe auf Juden und
jüdische Geschäfte erfolgten. Diese Nacht veränderte Beate Theisebachs
Leben: Gemeinsam mit anderen Juden aus dem heutigen Linden wurden sie für 24
Stunden in einen Keller in der Bahnhofstraße gesperrt, ohne Essen, Wasser
oder Badezimmer. Ihr Vater Bernhard wurde nach Buchenwald geschickt. Als sie
wieder nach Hause zurückkehren durften, fanden sie und ihre Familie ihr
Zuhause geplündert und verwüstet vor. Noch heute ist das Bild eines Porträts
ihrer Großeltern in ihrem Gedächtnis lebendig: "Sie haben das Glas
zerschmettert und ihre Augen ausgestochen. Wir waren am Boden zerstört",
berichtete sie zu einem früheren Zeitpunkt. Einige Monate später kehrte ihr
Vater aus Buchenwald zurück, und die Familie bestieg ein Schiff in die USA.
In der Wäsche versteckte ihr Vater eine Thora, einen Schofar (ein aus einem
Widderhorn gefertigtes Musikinstrument) und eine Ner Tamid (ein ewiges
Licht, dass den Toraschrein beleuchtet). Hätte man diese Gegenstände bei
einer Kontrolle gefunden, wäre die Familie wohl niemals in die USA gekommen.
1943 wurde Beate Theisebach US-Bürgerin und änderte ihren Namen in Beatrice.
1948 lernte sie ihren späteren Ehemann Kurt Israel kennen - ebenfalls ein
Deutscher und Überlebender von Auschwitz. Gemeinsam hatte das Paar zwei
Söhne, mittlerweile haben sich vier Enkelkinder und zwei Urenkelkinder der
Familie angeschlossen."
Link zum Artikel
Paul Arnsberg: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang -
Untergang - Neubeginn. 1971. Bd. I S. 284-285.
ders.: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Bilder -
Dokumente. S. 76.
Thea Altaras: Synagogen in Hessen. Was geschah seit
1945? 1988 S. 81-82.
dies.: Das jüdische Rituelle Tauchbad und: Synagogen in
Hessen. Was geschah seit 1945 Teil II. 1994. S. 69 (mit Foto des
Gedenksteines).
Studienkreis Deutscher Widerstand (Hg.):
Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der
Verfolgung 1933-1945. Hessen II Regierungsbezirke Gießen und Kassel. Darmstadt. 1995 S. 45.
Pinkas Hakehillot: Encyclopedia of Jewish
Communities from their foundation till after the Holocaust. Germany Volume
III: Hesse - Hesse-Nassau - Frankfurt. Hg. von Yad Vashem 1992
(hebräisch) S. 140-141.
Grossen-Linden
Hesse. The community numbvered 40 (4 % of the total) in 1828, its old burial
ground (1637) serving Jews throughout the region. By April 1939, the remaining
28 Jews had mostly emigrated to the United States of Palestine and their
synagogue had become the local SA headquarters. A memorial was erected there on
the 50th anniversary of Kristallnacht (9-10. November
1938).
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