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Offenbach)
Jüdische Geschichte / Das Heim des jüdischen Frauenbundes / Bertha Pappenheim
Vorbemerkung:
Über die Geschichte des Heimes des jüdischen Frauenbundes und über
Bertha Pappenheim (Foto links) gibt es zahlreiche Internetseiten, in denen
hierzu bereits in hervorragender Weise Informationen zusammengestellt
sind. Auf dieser Seite bei "Alemannia Judaica" finden sich
einige Informationen über die kleine jüdische Gemeinde am Ort sowie
Texte aus jüdischen Periodika des 19./20. Jahrhunderts zum Heim des
jüdischen Frauenbundes und zu Bertha Pappenheim, die sonst noch auf
keiner Internetseite zusammengestellt sind.
|
Wir weisen unter anderem auf folgende
Artikel und eine Website hin:
|
Ansonsten lassen sich über die Recherche
mit einer Suchmaschine zahlreiche weitere Seiten finden. |
Übersicht:
Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde (english
version)
In dem von Hugenotten um 1700 gegründeten Neu-Isenburg bestand eine
kleine jüdische
Gemeinde als Filialgemeinde zu Sprendlingen
- bis 1938/42. Erstmals werden um 1830 jüdische Einwohner am Ort genannt. Zu
den ersten Familien gehörten in den 1830er-Jahren die des Abraham Rosenberger,
des Assor Goldschmidt sowie des Arztes Dr. Worms (mit Frau Rosina). 1841 wird
ein Jacob Sternberg als Ortsbürger in Neu-Isenburg genannt, der jedoch als
"Permissionist" in Frankfurt am Main wohnhaft war.
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Zahl der jüdischen Einwohner wie
folgt: 1830 6 jüdische Einwohner (0,4 % von insgesamt 1.576 Einwohnern), 1861
18 (0,7 % von 2.690), 1871 17, 1900 40 (0,5 % von 8.045), 1910 73 (0,6 % von
11.437, einschließlich der Bewohner des Heimes des jüdischen Frauenbundes).
Einrichtungen hatten die in Neu-Isenburg lebenden jüdischen Familien
nicht. Die Einrichtungen der Gemeinde Sprendlingen
wie die Synagoge und der Friedhof wurden mitbenutzt. Der jüdische Lehrer von
Sprendlingen war auch für Neu-Isenburg zuständig, insbesondere für den
Religionsunterricht der jüdischen Kinder.
Als besondere jüdische Einrichtung, die in der ganzen jüdischen Welt
hohes Ansehen genoss, gab es in Neu-Isenburg an der damaligen Taunusstraße seit 1907 ein Heim
des jüdischen Frauenbundes, in dem weibliche Jugendliche Aufnahme
fanden (Gründung des Heimes: 25. November 1907). Leiterin dieses Heimes war bis zu ihrem Tod im Jahr 1936 die in Wien im
Jahre 1859 geborene Frauenrechtlerin Berta Pappenheim. Berta Pappenheim war
Gründerin und Präsidentin des jüdischen Frauenbundes; das Heim wurde auf ihre
Veranlassung errichtet mit dem Ziel, gefährdeten und schwer erziehbaren
Mädchen Aufnahme und entsprechende Ausbildung zu gewähren. In einem zweiten
Haus waren schwangere und stillende Mütter untergebracht. Bis 1928 bestand
die Einrichtung aus vier Gebäuden, in denen zeitweise mehr als 100 Menschen
lebten.
1932 wurde in einem Rückblick anlässlich des 25-jährigen Bestehens des
Heimes festgestellt, dass in diesem Zeitraum (1907 bis 1932) insgesamt 1.133
jüdische Mädchen dort Schutz und Förderung gefunden haben. Die Verwaltung des
Heimes befand sich in Frankfurt am Main; Vorsitzende war bis 1924 Berta Pappenheim,
stellvertretende Vorsitzende Therese Freimann, Schatzmeisterin war Paula
Nassauer und Schriftführerin Stephanie Forchheimer. Die Nachfolgerin von Berta
Pappenheim - als Heimleiterin - war Helene Kramer.
Das Heim stand zwischen der Zeppelinstraße und der Taunusstraße.
Von den vier Häusern (vgl. Bericht unten vom 1. Dezember 1927) wurde Haus 1 1938 niedergebrannt (an seiner Stelle
heute ein Neubau), Haus 2 - ein großes Haus mit Mansard-Dach - steht bis
heute in der
Zeppelinstraße 4 (an ihm befindet sich seit 1978 eine Gedenktafel mit dem Text:
"Stadt Neu-Isenburg den Lebenden zur Mahnung: Hier stand das von Frau
Bertha Pappenheim gegründete jüdische Kinderheim. Es wurde in der Nacht vom 9.
auf den 10. November 1938 von denen, die glaubten, der nationalsozialistischen
Herrschaft dienen zu müssen, in Brand gesteckt und zerstört." Die Häuser
3, 4 und Bertha Pappenheims eigenes Haus (in der Zeppelinstraße 41) sind
heute in Privatbesitz. In der Stadtbücherei, Frankfurter Straße, erinnert eine
von dem jüdischen Bildhauer F.J. Kormis geschenkte Büste von Bertha
Pappenheim.
1924 wurden 152 jüdische Einwohner in Neu-Isenburg gezählt wurden (1,2
% von 12.423 Einwohnern, einschließlich der Bewohner des Heimes des jüdischen
Frauenbundes).
1933 lebten 133 jüdische Personen in Neu-Isenburg (1,0 % von 13.410
Einwohnern, einschließlich der Bewohner des Heimes des jüdischen
Frauenbundes). In
den folgenden Jahren ist ein Teil der jüdischen Einwohner am Ort auf Grund der Folgen des wirtschaftlichen Boykotts,
der zunehmenden Entrechtung und der
Repressalien weggezogen beziehungsweise ausgewandert. Nach 1933 wurden die
jüdischen Unternehmen wie die Schleifmittelfabrik Eichler und der
Neu-Isenburger Zweigbetrieb der Offenbacher Leder-AG (Gleisstraße 98,
Geschäftsführer Dr. Ernst Kaufmann) "arisiert". Beim Novemberpogrom
1938 wurde das Heim des jüdischen Frauenbundes von SA-Leuten überfallen,
die Bewohner aus den Gebäude vertrieben und das Haupthaus und ein Nebengebäude
angezündet. Dabei spielten sich schrecklichen Szenen ab (siehe unten Bericht
der Erzieherin Helene Krämer). Die jungen Frauen und Kinder lebten danach in
großer Not und in ständiger Angst vor weiteren Übergriffen. Am 31. März
1942 wurde das Heim aufgelöst. Viele Kinder wurden verschleppt und sind im
Ghetto Theresienstadt umgekommen, ebenso die verbliebenen Erzieherinnen. Sophie
Sondhelm, die letzte Leiterin des Heims "Isenburg", wurde am 10.
Februar 1943 in das Ghetto Theresienstadt deportiert, von dort kam sie in das
Vernichtungslager Auschwitz. .
Von den in Neu-Isenburg geborenen und/oder
längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit
umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad
Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches
- Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Eleonore Akulewitz
(1921), Brunhilde Alexander (1922), Bela Anschlawski (1939), Rosa Baer geb.
Schönmann (1869), Judit (Judis) Baum (1939), Rosa Brand geb. Strauß
(1877), Gerda Breidenbach (1923), Gitella (Gisella) Cahn (1895), Isaac Cahn
(1864), Jenny Cahn geb. Schönmann (1874), Judis Cohn (1938), Denny
Davidsohn (1839), Lina Erbsen (1919), Frieda Fäßler geb. Strauß (1890), Trude
Fischer geb. Jonas (1914), Ruth Fleischer (1938), Margit Glasberg (1933),
Heinz Großhut Mantel (1933), Otto A. Haas (1897), Julius Hamburger
(1910), Lane Hammerschlag (1938), Günter Hirsch (1934), Kurt Hirschberger
(1934), Hanni Janowksi (1935), Amalie Jonas geb. Strauß (1882), Alma (Anna)
Kahn geb. Stern (1883), Ruth Kalkstein (1929), Brigitte Klawanski (1937), Hans
Dieter Ledermann (1936), Helga Amalie Loewenberg (1925), Tana Löwengart (1938),
Joel Löwenthal (1939), Lane (Laura) Mannheimer (1938), Ellen Marcuse (1905),
Beate Metzger (1920), Hannelore Metzger (1921), Erna Morgenstern (1908),
Erna Morgenstern (1908),
Henny Oppenheimer (1935), Ernst Karl Rapp (1934), Ingeborg (Inge) Reiss (1937),
Hans-Georg Rosenberg (1834), Ruth Schereschewski (1923), Hella Schiffenbauer
(1923), Else Schlamm (1911), Regine Schlamm geb. Kahn (1890), Willy
Schlamm (1882), Charlotte Schott (1930), Lion Schott (1886), Selma Schott geb.
Cahn (1893), Ruth Schumm geb. Lewandowski (1915), Ilse Stein (1937), Trude
(Gertrude) Steinhard (1935), Marianne Steinweg (1936), Else Stern (1923), Erich
Stern (1933), Renate Strauss (1937), Rosa Strauss (1885), Selma Strauss (1885),
Anna Sophie Süß (1906), Ruth Triebwasser (1923), Bela Wilner (1939), Joel Wolf
(1938).
Hinweis 1: bei den kursiv markierten Personen handelt es sich um in
Neu-Isenburg geborene Personen.
Hinweis 2: bei den oben genannten Personen handelt es sich auf Grund der starken
Fluktuation unter den Bewohnern des Heimes des jüdischen Frauenbundes
großenteils um eine eher zufällige Auswahl von Personen, die im Heim zu
bestimmten Zeiten gelebt haben, die für die Auswertungen in der Listen relevant
waren.
Berichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde
Berichte zu
einzelnen Personen aus der Gemeinde
Goldene Hochzeit des J. Fürth'schen Ehepaares
(1884)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 7. Juli 1884: "Neu-Isenburg, 20. Juni (1884). Am nächsten
Dienstag, den 24. dieses Monats, begeht das J. Fürth'sche Ehepaar dahier
die seltene Feier der goldenen Hochzeit. Das Jubelpaar erfreut sich trotz
des hohen Alters, Herr Fürth zählt 77, Frau Fürth 74 Jahre, besten
körperlichen Wohlseins und geistiger Frische." |
Zum Tod von Josef Fürth in
Neu-Isenburg (geb. in Heusenstamm, gest. 1894 in Neu-Isenburg und beigesetzt in
Heusenstamm)
Artikel
in "Israelitische Wochenschrift" vom 12. Januar 1894: "Aus
dem Kreise Offenbach am Main, 8. Januar. (Original-Korrespondenz).
Dieser Tage starb Herr Josef Fürth zu Neu-Isenburg im Alter von nahezu 88
Jahren. Die Leiche desselben ward nach seinem Geburtsorte
Heusenstamm, gebracht und
daselbst unter großem Gefolge zur ewigen Ruhe gebetet. Herr Fürth war nahezu
50 Jahre erster Vorsteher genannter israelitischer Gemeinde Heusenstamm und
hat sich während dieser Zeit große Verdienste um dieselbe erworben. Zunächst
ist es seine Initiative und seinen persönlichen Opfern zu verdanken, dass
die Gemeinde ein neues Gotteshaus erhalten hat und manche milde Stiftung ins
Leben gerufen wurde. Am Grabe widmete ihm zunächst Herr S. Levy einen
warmen Nachruf und rühmte die Tugenden des Verstorbenen. Im Hause hielt Herr
M. Eckmann die eigentliche Gedächtnisrede und wies auf den großen
Verlust hin, der die Gemeinde betroffen. Auch der Gemeinderat Herr Johann
Ohlig ließ es sich nicht nehmen, unter Tränen zu bezeugen, welcher
Hochachtung und Liebe der Entschlafene bei Juden und Christen sich
jederzeit zu erfreuen hatte. Fürth vereinigte die Tugenden der
Bescheidenheit, Einfachheit und Anspruchslosigkeit in hohem Grade in seiner
Person. Den Einsamen und verlassen Dastehenden war er ein treuer Berater,
den Armen ein stiller Wohltäter. Seine 3 Söhne, welche jetzt zu den größten
und geachtetsten Firmen in Wien zählen, erzog er zu tugendhaften und
braven Menschen. Sein Name wird stets in Ehren genannt werden!" |
Anzeigen
jüdischer Gewerbebetriebe und Privatpersonen
Anzeige von Hermann Goldschmidt (1901)
Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 14. November 1901:
"Ein junges Mädchen für häusliche Arbeiten, etwas kochen
erwartet, für kleinen Haushalt bei familiärer Stellung z. sofort sucht
Hermann Goldschmidt, Neu-Isenburg bei Frankfurt am
Main." |
Anzeige von Philipp Losekrug (1920)
Anzeige
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 5. März
1920:
"Sabbatlampen
offeriert Philipp Losekrug.
Metallwarenfabrik. Neu-Isenburg." |
Sonstiges
Hauptversammlung des Hessischen Landes-Lehrervereins in
Neu-Isenburg (1903)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 4. Juni 1903: "Neu-Isenburg, 3. Juni (1903). In der
gestern und heute hier abgehaltenen Hauptversammlung des 'Hessischen
Landes-Lehrervereins' teilte der Vorsitzende, Herr Oberlehrer Backes
- Darmstadt, mit, das eine Regelung der Verhältnisse der
israelitischen Religionslehrer in Hessen baldigst zu erwarten sei.
Der betreffende Passus in dem von der Delegiertenversammlung einstimmig
genehmigten Rechenschaftsbericht lautet: 'Für einen kleineren Teil
unserer Mitglieder, der israelitischen Religionslehrer, besteht die
Hoffnung, dass noch in diesem Jahre durch gesetzliche Regelung
deren Stellung, welche wir alle als unzeitgemäß und unwürdig
empfinden, beseitigt wird.' Lebermann -
Darmstadt." |
Über
die Arbeit des Vereines des Jüdischen Frauenbundes (bzw. zunächst der
"Weiblichen Fürsorge")
und die Geschichte seines Heimes in Neu-Isenburg
In Neu-Isenburg soll ein Kinderhaus eingerichtet
werden (1911)
Artikel
im "Frankfurter Israelitischen Gemeindeblatt" vom 31. März
1911: "Frankfurt am Main. Der Jahresbericht der Weiblichen
Fürsorge (Vorsitzende: Bertha Pappenheim) gibt wiederum ein
sprechendes Bild von der vielgestaltigen Tätigkeit dieser
Organisation.
Die 'Fürsorgekommission' hielt wöchentlich ihre Sitzungen ab. Sie hatte
etwa 150 Fälle zu bearbeiten, in erster Linie für den Almosenkasten und
den Hilfsverein.
Die 'Beratungsstelle der Säuglingsfürsorge' kümmerte sich um 126
Kinder, und die 'Säuglingsmilchküche' versah 138 Säuglinge mit
Nahrung.
Die 'Kinderschutzkommission' hat, da sie mit dem Mangel an geeigneten
jüdischen Pflegeeltern zu rechnen hat, den Plan gefasst, in Isenburg
ein Kinderhaus zu errichten, das Säuglingen und Kindern bis zum 6.
Lebensjahres Aufnahme gewährt. Im vergangenen Jahres führte die
Kommission die Aufsicht über 64 Kinder." |
Über die Walderholungsstätte für Kinder in
Neu-Isenburg (eingerichtet 1904, Artikel von 1912)
Anmerkung: die Walderholungsstätte stand wohl in keiner direkten Verbindung zu
dem Kinderhaus der "Weiblichen Fürsorge"
Artikel
im "Frankfurter Israelitischen Gemeindeblatt" vom 28. Juni 1912:
"Frankfurter Berichte.
Die Herren Direktor Dr. G. Lange und Isaac Wolff versenden den folgenden
Aufruf:
'Die Einrichtung einer Walderholungsstätte in Isenburg, die wir vor 8
Jahren, angeregt durch die Munifizenz einiger edler Wohltäter, getroffen
haben, hat sich von Jahr zu Jahr besser bewährt. Waren es im ersten Jahr
nur 50 Kinder, denen wir einen ca. vierwöchentlichen Waldaufenthalt
gewähren konnten, so ist ihre Zahl in weniger Jahren auf über 100
angewachsen. Was will diese große Zahl aber sagen, wenn man bedenkt, dass
sich über 250 Kinder zur Aufnahme gemeldet hatten, und dass der
untersuchende Arzt bei fast allen Kindern eine Unterernährung konstatiert
hat, die einen solchen vierwöchentlichen Aufenthalt im Walde bei guter
Verpflegung für fast alle in höchstem Grade wünschenswert erscheinen
ließ!
Es war uns nur möglich, diejenigen Kinder herauszusuchen, die der
Erholung und Pflege am bedürftigsten waren. Zu unserer Freude konnten wir
bei allen ein sehr gutes Resultat feststellen. Die steigende Teuerung
aber, die sich auf jedem Gebiete und insbesondere bei den
Verpflegungs-Kosten der Kinder bemerkbar macht, lässt es befürchten,
dass uns die Mittel auch für die Aufnahme von nur 100 Kindern nicht
reichen. An der Art der Verpflegung, die sich so gut bewährt hat, aus
Sparsamkeitsrücksichten etwas zu ändern, währe gewiss ein Unrecht, wir
würden uns deshalb gezwungen sehen, wenn uns nicht größere Mittel zur Verfügung
stehen werden. Und das wäre doch zu beklagen!
Wir richten daher an jeden, der für eine solche Fürsorge für die Jugend
Interesse besitzt, die innige Bitte, uns durch Gewährung eines Betrages
in den Stand zu setzen, wenigstens wieder ca. 100 Kinder, wie im Vorfahre,
aufnehmen zu können...". |
Vortragsabend zugunsten des Heimes (1911)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 3. Februar 1911: "Frankfurt
am Main, 29. Januar (1911). Bei dem vom Jüdischen Frauenbund
zugunsten seines Isenburger Heims für gefährdete junge Mädchen
veranstalteten Vortragsabend sprach nach einem einleitenden Chorgesang Dr.
Heinemann über Wesen und Wirken der Anstalt. Das Heim ist keine
Entbindungsanstalt, wie irrtümlicherweise vielfach geglaubt wird, es ist
ein 'Sanatorium für sittlich Unterernährte'. Gesangsvorträge von Fräulein
Clara Lion und ein von Fräulein Bertha Pappenheim verfasstes
Theaterstück, dessen Regier Fräulein Klinkhammer vom Schauspielhaus
übernommen hatte, beschlossen den Abend, der einen in jeder Beziehung
befriedigenden Verlauf nahm." |
Aus der Arbeit des Vereines des Jüdischen
Frauenbundes Neu-Isenburg (1916)
Artikel
im "Frankfurter Israelitischen Gemeindeblatt" vom 3. November
1916:
"Verein des Jüdischen Frauenbundes Neu-Isenburg.
Haus I ist für die Erziehung sittlich gefährdeter weiblicher
Jugendlicher und Haus II für den Schutz von Mutter und Kind
bestimmt.
In den Jahren 1914 und 1915 waren 76 Neuaufnahmen zu verzeichnen. 36
Erziehungsfälle, 22 Mütter mit ihren Säuglingen und 18 Kinder, die zum
Teil vorübergehend Aufnahme fanden.
Die Zöglinge im Hause I werden in allen Zweigen der täglichen Haus-;
Wäsche-, Küchen- und Näharbeit unterwiesen." |
Anzeige von Bertha Pappenheim - Lehrerin gesucht
(1917)
Anzeige
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 23. Februar
1917: "Für das Heim des Jüdischen Frauenbundes in
Neu-Isenburg wird eine jüdische Lehrerin zum
Nachhilfeunterricht für Volksschulkinder zum sofortigen Eintritt
gesucht.
Offerten sind zu richten an Fräulein Bertha Pappenheim, Feldbergstraße
23." |
Anzeige des Heimes (1922)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 4. Mai 1922: "Das Heim
des Jüdischen Frauenbundes in Neu-Isenburg bittet seine Freunde um
Zuweisung von Kinderstühlchen, Laufställchen, Eisernen
Kinderbettchen, Rollwänden oder spanischen Wänden, Teppichresten,
Vorhängen und Gardinen und einem großen Kachelofen für das Säuglingszimmer.
Heim des Jüdischen Frauenbundes. Geschäftsstelle: Frankfurt am
Main, Langestraße 30,II." |
Berta Pappenheim legt ihr Amt im Jüdischen Frauenbund
nieder (1924)
Artikel in der "CV-Zeitung" (Zeitschrift des Central-Vereins)
vom 24. Juli 1924: "Der Jüdische Frauenbund konnte in diesen
Tagen auf eine segensreiche zwanzigjährige Tätigkeit zurückblicken. Die
Mitgliederzahl ist auf 50.000 Frauen angewachsen. Frau Berta Pappenheim
legte nach zwanzig Jahren erfolgreicher schwerer Arbeit in der letzten
Vorstandssitzung, die im Heime des Jüdischen Frauenbundes in Neu-Isenburg
stattfand, ihr Amt nieder." |
Über das Heim des Frauenbundes (1927)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 8. Dezember 1927: "Isenburg.
Isenburg, Endstation der Waldbahn und hübscher Sonntagsausflugsort,
ist uns in den letzten Jahren als liebes Wort des jüdischen Wohltuns
vertraut. Dort unterhält seit zwanzig Jahren der Jüdische Frauenbund
am Waldrande ein Heim, das nicht mehr und nicht weniger will, als junge,
jüdische Menschen körperlich und seelisch zu retten!
Wir sahen uns dieser Tage das gartenumgebene Landhaus an, sahen in die
kleinen, sauberen, hellen Räume, sprachen mit den Hausverwalterinnen und
den Damen der Kommission, die an der Spitze der obersten Leiterin und
Initiatorin dieser und vieler ähnlichen sozialen Schöpfungen in
Frankfurt, mit hinaus gingen; wir hörten das Lachen, Jubeln und Brüllen
von einem guten Schicke zumeist gesunder, frischer pausbäckiger Kinder
allen Alters, sagen auch die Säuglinge in ihren Wiegen mit den
Milchfalschen im Munde, betreut von einer Kinderschwester, der die Liebe
zum schweren Beruf aus den Augen leuchtete, sahen auch die größeren
Mädchen bei verschiedenen Hausarbeiten; in einem anderen Raume auch junge
Frau, in infolge misslicher häuslicher Verhältnisse dieser oder jener
Art hier unter treuer Pflege und fachmännischer Leitung schwere Wochen
des Übergangs zum häuslichen oder Erwerbsleben verbringen. Wir sagen das
alles und wurden den Gedanken nicht los an das Wort, das hier in goldenen
Lettern über dem Torbogen leuchten dürfte: 'Alle, die eine Seele aus
Israel retten, sind wie die, die die ganze Welt retten".
Es sind zur Zeit mehr denn sechs Dutzend jüdischer Seelen - wie viele
waren es aber in den zwanzig Jahren - die, durch eigene oder fremde Schuld
aus dem Leben gestoßen, hier den Weg und den Ansatz zu einem neuen und
reineren Sein fanden. Und zarte Menschenblüten keimten hier auf, strebten
ins Licht - das Leben hätte sie mit schweren Schritten am Wege zerstampft
und zertreten, hier wurden sie gehegt, dass sie der menschlichen
Gesellschaft noch etwas wurden und gaben....
Kurz und sachlich sei berichtet: Die Kinder jeglichen Alters - vom
sechsten Lebensjahre ab nur Mädchen - haben hier ein liebevolles Heim,
Logis, Verpflegung, Anleitung und Erziehung, wie man sie im
vernünftigsten Elternhause nicht besser und zweckmäßiger Kindern bieten
kann. Es ist keine Pension mit komfortablen Einrichtungen, die verwöhnen
und verweichlichen und mit künstlicher Lichtfülle das Auge für den
Ernst des Lebens blenden,, aber auch keine Fürsorgeerziehungsanstalt mit
spartanischen Abhärtungsmaßregeln. Es ist alles, von der Schlafräumen
oben bis zu Keller und Küche, Bade- und Waschräumen, traut, einfach,
lieb und heimelig, gewollt primitiv, die Grundidee einprägend: das Leben
ist schön, aber es muss durch Arbeit erkauft werden. Es blühen Blumen, -
wenn sie mit mühe- und liebevollen Händen begossen und gepflegt
werden.
Zwölf Pflegerinnen unter der sicheren Leitung des Frl. Krämer und der
Frau Haas als Hausmutter, denen eine Kommission aus Ehrendamen des
Frankfurter Frauenbundes aufopferungsvoll zur Seite steht, tun Tag und
Nacht mit Liebe zum Kinde, mit Verständnis für das hohe Ideal, aus dem
dieses Haus geboren ist, ihren nicht leichten Dienst. die Kinder besuchen
die städtischen Schulen von Isenburg und werden, schulentlassen, einem
ihren Neigungen und Fähigkeiten entsprechenden Berufe zugeführt, zumeist
dem der Haushaltung. Regelmäßigen Religionsunterricht erhalten
sie von Herrn Lehrer Kaufmann in Sprendlingen. Die größeren
Mädchen beschäftigen sich in der freuen Zeit unter fachmännischer
Anleitung mit Handarbeiten. Eine religiöse Dame in Frankfurt übt die
Oberaufsicht über das gesamte Kaschruswesen ehrenamtlich aus. Als die
Kinderchen, darunter Zweijährige, beim Vespertische ihr 'Hamozi'
anstimmten, war das die schönste Hymne auf den Geist, der in diesem Hause
herrscht.
Wer zahlt für die Kinder, Zöglinge und Insassinnen das Minimum, das das
Heim für die Selbstkosten benötigt (für die kleinen Kinder werden Mark
2.- im Tage gezahlt)? Es ist dies ein kritischer Punkt, bei dessen
Besprechung sich das Herz der Damen und der Initiatorin mit schwerer Sorge
füllt. In vielen Fällen zahlen die Eltern oder die Schützlinge selbst
den minimalen Betrag, in anderen sind es Gemeinden und Wohlfahrtsstellen
im ganzen Reiche, die bei gegebenem Anlass glücklich sind, für ihre
Schutzbefohlenen das einzige Heim dieser Art in Deutschland benutzen zu
können. Aber es kommt vor, dass Zahlungen nicht oder nicht mehr von
Eltern oder Annehmern oder den Schutzsuchenden auf eigene Faust geleistet
werden können. Dann gibt es Tragödien, Tragödien in erster Reihe für
die Hauverwaltung und die Damen, die sich in der bitteren Lage sehen, aus
geldlichen Gründen viel versprechende Arbeit an einem werdenden Menschen
abzubrechen. Geht es um kleine, hilfslose Kinder, so wird verhandelt,
beraten, gewartet, |
gesucht,
gemessen und erwogen, und zuletzt siegt doch das jüdische
Herz.
Aber über die natürlichen materiellen Grenzen kann auch der Wille, der
angeblich Berge verrückt, und die Liebe, die nach einem Worte des
Hohenliedes auch 'vom brausenden Wasser nicht ausgelöscht werden kann', nicht
hinweg. Das Haus ist auch zu klein. Es muss sich erweitern, es muss
seine Arme ausstrecken, um die Vielen zu erfassen, die Einlass suchen,
aber kein Bett und kein Plätzchen mehr in den überfüllten Zimmern
finden. Es wird zur Zeit sogar etwas gebaut oder umgebaut. Aber es reicht
nicht und die Geldquellen versiegen. Es ist eine kritische Zeit, hört man
als Entschuldigung sagen, und die Bedürfnisse sind groß und vielfältig.
eben darum! Weil die Zeit kritisch und die Not groß ist und aus dieser
Not immer neue Fälle dem Heime zufließen, müssen doppelte Opfer gebracht
werden, auf dass das Haus den gesteigerten Anforderungen der Zeit Rechnung
tragen kann.
Es scheint mir dieses zur Zeit die schwerste Sorge der Begründerin zu
sein. Sie ist aber in ihrem Grundwesen Optimistin. Die graue Sorge ist oft
von einem goldenen Hoffnungsschimmer überstrahlt. Und fürwahr, die
Hoffnung, dass sich jüdische Männer und jüdische Stellen finden, die
dem Hause die Größe, die Weite und die nötige Entwicklungsmöglichkeit
sichern, nicht hegen, hieße die Hoffung an den bewährten und in allen
Lagen erprobten sozialen und Wohltätigkeitssinn der jüdischen Gemeinschaft
verlieren.
Das wollen wir nicht, und darum empfehlen wir allen, die den Willen und
die Möglichkeit haben, hier an einem großen Werke mitzuarbeiten, einen
Ausflug nach Isenburg zu machen, nach dem Isenburg, wo in lieblicher
Waldesluft im Schatten alter Bäume eine Stätte der jüdischen
Menschenliebe nach größerer Weite und Höhe
drängt." |
Aufruf zur Unterstützung des Heimes des Jüdischen
Frauenbundes (1927)
Artikel in der "Gemeindezeitung für die Israelitischen Gemeinden
Württembergs" vom 16. November 1927:
"Das Heim des jüdischen Frauenbundes in Neu-Isenburg bei Frankfurt am
Main.
feiert in diesen Tagen sein 20-jähriges Bestehen. Jede jüdische Gemeinde weiß, dass Isenburg als einziges Heim dieser Art dazu dient, in vier Häusern mit zusammen 80 Plätzen
schutzbedürftigen und schwer erziehbaren Kindern, gefährdeten Jugendlichen, Müttern
und Säuglingen Heim- und Erziehungsstätte zu sein.
Hunderte von Kindern, Jugendlichen und Frauen aus allen Teilen Deutschlands
sind in den 20 Jahren des Bestehens Isenburg anvertraut worden. Um auch weiterhin allen Anforderungen genügen zu können, bedarf das Heim dringend
einer räumlichen Erweiterung.
Der jüdische Frauenbund hat deshalb anlässlich des Jubiläums eine Sammlung eingeleitet und wird mit künstlerisch ausgeführten Formularen
Bausteine zum Mindestpreis von Mark 1.-.
An die Mitglieder dieser Gemeinden, die diese Drucksachen erhalten haben, und vor allem an diejenigen, die sie
nicht erhalten haben, richten wir die herzliche Bitte, dieser Sammlung Beachtung zu schenken und – je nach ihrem brennenden – dazu beizutragen, dass die für den Anbau nötige Summe (30-40.000 DM) aufgebracht wird.
Spenden sind zu richten an das Isenburger Postscheckkonto: Frankfurt am Main 8147 (Frau Richard Rothschild für das Heim des jüdischen Frauenbundes),
oder an Frau Rosa Kahn, hier (Stuttgart), Reinsburgstraße 30".
. |
Ein Besuch im Neu-Isenburger Heim (1927)
Artikel in der "Gemeindezeitung für die Israelitischen Gemeinden
Württembergs" vom 1. Dezember 1927: "Ein Besuch im Neu-Isenburger
Heim.
Der Auftakt zu der diesjährigen Gesamtvorstandssitzung des Jüdischen Frauenbundes vom 13. bis 15. November in Frankfurt am Main bildete die Besichtigung des Isenburger Heims und der Vortrag von Fräulein Berta Pappenheim:
'Das unsichtbare Isenburg'.
Wer zum ersten Male nach Isenburg kommt, um das Heim des jüdischen Frauenbundes
dort zu sehen, ist vom ersten Eindruck enttäuscht. Es ist kein Anstaltsbau. Jede Repräsentation fehlt. Vier schlichte Häuser, die sich ganz dem Straßenbild anpassen, am Waldesrand gelegen, mitten im Gemüsegarten, bilden die Zufluchtsstätte für die gefährdete weibliche Jugend.
Haus 1, das Heim für die sittlich gefährdeten, ist gerade vor 20 Jahren von
Frl. Berta Pappenheim in Erkennung der sittliche Not und Missstände begründet worden. Hier fanden schon
Hunderte von jungen Mädchen, denen der innere Halt fehlte und deren Elternhaus versagte,
Schutz und Erziehung. Hier wurden und werden die Mädchen zu werktätigen, sittlich gefestigten Menschen erzogen und dem hauswirtschaftlichen Berufe zugeführt.
Haus 2 (im Jahre 1914 erbaut) |
ist für die Aufnahme von Säuglingen, Kleinkindern und jungen Müttern bestimmt. Am Eingang des Hauses grüßt die die Holzplakette:
'die Auffindung Moses' von Leo Horowitz. 'Ein Frauenherz gab nie ein Kind verloren, Moses zu finden
ward eine Frau erkoren'. Das ist es, das ist der Zweck des Heimes, jedes jüdische Kind der Gesamtheit des Judentums zu erhalten, jedem Kinde, auch dem unehelichen, die Familie zu ersetzen. Es wird einem ordentlich warm ums Herz, die gesunden fröhlichen Kinder zu sehen, die hier in liebevolle Pflege in Licht und Sonne heranwachsen.
Die schulpflichtigen Kinder, die die Isenburger Volksschule besuchen, sind in Haus
3 untergebracht. Diese Kinder, denen das Elternhaus fehlt, oder die ein
verderbtes Milieu gab, werden hier in einer sittlich reinen Umgebung zu froher Pflichterfüllung großgezogen.
Haus 4, das Haus des Frls. Pappenheim, dient fast ausschließlich als Kranken- und Isolierstation. Diese vier Häuser
reichen aber bei weitem nicht aus. Das Heim muss auch räumlich erweitert werden, soll es den Ansprüchen, die aus allen Teilen Deutschlands an Neu-Isenburg gestellt werden, genügen. Der
Jüdische Frauenbund, dessen Werk diese kulturbedeutende jüdische Siedlung ist, ist deshalb gezwungen, anlässlich des 20-jährigen Bestehens dieses Heims eine Bausteinsammlung zur Erweiterung des Heimes einzuleiten. Hoffentlich werden auch in Württemberg reichlich Bausteine gezeichnet werden.
Der Vortrag von Fräulein Berta Pappenheim 'Das unsichtbare Isenburg', schloss sich an die Besichtigung des Heimes an. Ihre Ausführungen waren von Zielbewusstheit und liebevoller Tatkraft getragen. Wie die äußere Erscheinung
Berta Pappenheims, schlicht, herb, fast puritanische Strenge, so waren auch ihre Worte
phrasenlos, nichts Lautes, demutsvoll. Und doch fühlte man in ihren Worten das noch heute sprühende Temperament. Es war eine Freude ihr zuzuhören,
das gemmenartig fein geschnittene Gesicht mit den grauen Haaren und die zarte Gestalt mit den Kinderhänden zu
schauen.
Das 'unsichtbare Isenburg', das allerdings bei der Besichtigung zumeist sichtbar war, ist Arbeit und Pflichterfüllung von früh bis spät Tag ein Tag aus, von Freitag bis Freitag und so das ganze Jahr hindurch. Das Isenburger Heim kennt keinen Luxus, keine gute Stube, keine moderne Bequemlichkeit. Isenburg soll die Kinder
dem Elternhaus nicht entfremden, sie sollen nicht umlernen müssen. Das Milieu,
in das das Leben die Kinder mit aller Wahrscheinlichkeit einmal stellen wird, soll Ihnen Isenburg bieten. Nicht mehr und nicht weniger. Das ganze Haus soll und muss Lehrmittel fürs Leben sein.
Die Sparsamkeit, |
sofern sie nicht Ernährung und Sauberkeit betrifft, ist sprichwörtlich für Isenburg. Selbst bei den glänzendsten Finanzen dürfte an dieser Sparsamkeit nicht gerüttelt werden, denn sie ist Erziehungsmittel. Aber Frohsinn und Schönheit umgibt die Kinder doch. Die Schönheit der Natur, die sittliche Schönheit des Familienlebens und der jüdischen Gebräuche, der Freitagabende, der jüdischen Feste. Die religiöse Erziehung ist es, die Berta Pappenheim Isenburg wie allerorten vertieft und verinnerlicht wissen will, denn sie gibt den Kindern das beste und letzte an sittlichem
Halt fürs Leben.
Den Dank, den Frau Brenner, die Vorsitzende des jüdischen Frauenbundes, Berta Pappenheim, der Schöpferin und Leiterin des Heims aussprach, nahm sie in bescheidener Wahrhaftigkeit an:
'Ich darf den Dank nicht ablehnen. Ich fühle mich als eine Sendbotin, als Glied einer großen Ahnenreihe anständiger braver
und bedeutender Männer und Frauen. Das verpflichtet. Ich musste das Werk vollbringen. Die Ahnenreihe, aus der Pressburger
Jeschiwoh, aus der Wiener und Frankfurter Gemeinde haben in mir das Wunder vollbracht. Deshalb muss ich
den Dank für mich persönlich abweisen. Es gibt solche Wunder, und ich habe zu danken, dass sich das Wunder in mir verwirklicht hat. Als Künstlerin, als Dichterin sprach hier die tatkräftige Frau, sie hat allen Besucher
Neu-Jeschiwohs eine Feierstunde geschenkt.
Milli Rieger." |
20-jähriges Bestehen des Heimes des Jüdischen Frauenbundes
(1927)
Artikel
im "Gemeindeblatt der Israelitischen Gemeinde Frankfurt" vom
Dezember 1927 - Seite 109:
"Bausteinsammlung für Isenburg.
Im November dieses Jahres begeht das Heim des Jüdischen Frauenbundes die
Feier seines 20-jährigen Bestehens. Die Heimkommission hat beschlossen,
diesen Teilabschnitt stillen Wachsens und Wirkens dadurch zu feiern, dass
eine unabweislich nötige Erweiterung der Säuglings- und
Kleinkinderabteilung errichtet wird. Die Mittel dazu müssen auf dem Wege
eines sogenannten 'Baustein-Sammlung' beigebracht werden. Es ist durch
diese die Möglichkeit geboten, dass weite Kreise der Judenschaft diesem
einzigartigen Erziehungs- und Schutzheim für Jugendliche und Kinder jeden
Alters ihr Interesse und viele auch ihre Anerkennung und Dankbarkeit durch
bezeigen, dass sie großzügig helfen, unter Ausschaltung jeden Luxus',
eine den Anforderungen der Hygiene genügende Station zu bauen. Das Heim,
das in jeder Hinsicht den streng rituellen Forderungen gerecht wird, wird
von Frauen aus allen religiösen Richtungen bei der Mitarbeit vertreten.
Spenden für die Baustein-Sammlung - mindestens 1 Mark - sind zu richten
an: Frau Recha Rothschild, Frankfurt am Main, Eschenheimer Anlage 28, Postscheckkonto
Frankfurt am Main Nr. 8147." |
Einweihungsfeier eines Anbaus im Heim des Jüdischen
Frauenbundes (1928)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 6. September 1928: "Einweihungsfeier
in Isenburg.
Gern folgten die Mitglieder des Heim-Vorstandes, sowie einige Gäste der
freundlichen Einladung, der Einweihungsfeier eines neuen Anbaus im Heim
des Jüdischen Frauenbundes in Isenburg beizuwohnen. Der Weg durch
blumenreiche Garten, in prächtiger Sommerfülle prangend, lässt uns an
die stattlichen Gebäude des Heims gelangen, denen nun ein neues, das
sogenannte Isolierhaus, angegliedert ist. Freundlich grüßt schon von
außen her der kräftig rötliche Anstrich, die grünen Fensterläden, die
Blumen auf der geräumigen Terrasse. Im Innern sehen wir einige praktisch
und hübsch eingerichtete Krankenzimmer, die zwecks leichterer
Beaufsichtigung durch Glastüren verbunden sind. Hochliegende Fenster
bieten Vorsorge gegen die Kletterkünste kleiner Gäste. Baderaum,
Einrichtung für Höhensonne, Schwesternzimmer usw. vervollständigen
diesen neuen Bau, der für Neuaufnahmen von Säuglingen, sowie als
Isolierraum für Krankheitsverdächtige bestimmt ist.
Die Feier fand auf der Terrasse statt, die den Eingang in das neue Haus
bildet. Zunächst sangen die Schülerinnen des Heims zur Begrüßung unser
bekanntes Schabbat-Lied: Schalom aleichem."
Die Einweihung selbst nahm Herr Rabbiner Dr. Hoffmann vor, der zunächst
einen Abschnitt aus der Mischnah 'Peah' vortrug und erläuterte. Er ging
dann auf die Bedeutung von Zedaka (Gerechtigkeit), als sozialem
Ausgleich ein, erklärte Wohltätigkeit nicht als Gabe an Geld und
Gut, sondern als Hingabe persönlicher Leistung an Fürsorge, Güte und
Liebe. Einige warme, von allen Anwesenden aufrichtig mitempfundene Worte
des Dankes und der bewundernden Anerkennung waren der unermüdlichen,
hochherzigen Führerin, Frl. Pappenheim, gewidmet.
Frl. Pappenheim erklärte alsdann, dass man zu dieser schlichten, internen
Feier nur einen kleinen Kreis geladen habe. Man merkte ihr die innige
Freude und berechtigte Genugtuung an, als sie darlegte, dass diese ganze, große
Anlage, wie wir sie heute sehen, erst allmählich aus kleinen Anfängen in
mehr als 20-jähriger hingebender, geduldiger, liebevoller, echter
Frauenarbeit entstanden ist. An die Worte des Vorredners anschließend,
betonte sie, dass Wohltätigkeit Menschlichkeit bedeute.
Im Anschluss daran drückte die Vorsitzende des Jüdischen Frauenbundes,
Frau Brenner aus Leipzig, die auf einer größeren Reise hier Aufenthalt
genommen hatte, ihre Freunde an dem Wachstum, der Größe, der inneren
Ausgestaltung dieser Musterschöpfung des Bundes aus. Sie rühmte das hier
Geleistete als ein Vorbild für soziale Tätigkeit. Herr Bloch vom
Vorstand der Israelitischen Gemeinde brachte dann Glückwünsche namens
der Gemeinde, sowie herzliche Dankesworte für die hier in solch
vorbildlicher Weise geleistete soziale Arbeit zum Ausdruck. Ein
Schlusschor der Zöglinge: 'Herr Deine Hilfe' schloss diese schlichte,
aber sehr eindrucksvolle Feier.
Die Gastlichkeit des Heims zeigte sich dann noch durch freundliche
Bewirtung der Gäste mit Tee und Gebäck. Interessenten zeigte ein Gang
durch die ganze Anstalt die praktische, einfache und doch freundliche
Einrichtung der hellen, sonnendurchfluteten Räume, die durch Blumen und
Bilderschmuck heimisch und traulich wirken." |
Aussprachetage zu Erziehungsfragen (1929)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 13. Dezember 1928: "Neu-Isenburg.
Der Vorstand des Heims des Jüdischen Frauenbundes in Neu-Isenburg bei
Frankfurt am Main veranstaltet gemeinsam mit dem Jüdischen Frauenbund am
1., 2. und 3. Januar 1929 in Frankfurt am Main eine 'Aussprache jüdischer
Frauen über Erziehungsfragen'. Die Aussprache ist für solche Frauen
gedacht, die durch Anstaltsarbeit, Arbeit in der Jugendfürsorge und
-pflege oder als Mutter starkes und aktives Interesse für Erziehungsfragen
haben. Die Teilnahme jüngerer Erziehungskräfte und
Wohlfahrtspflegerinnen ist besonders erwünscht. Zur Behandlung kommen
Fragen der Anstalts- und Familienerziehung. Wer an den Besprechungen
teilzunehmen wünscht, wird gebeten, sich umgehend an die Geschäftsstelle
des Jüdischen Frauenbundes, Berlin Nord 24, Monijouplatz 10, zu
wenden." |
70. Geburtstag von Berta Pappenheim (1929)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 28. März 1929: "Berta
Pappenheim 70 Jahre alt. Eine Großmeisterin des jüdischen Wohltuns
im Großen, wandelt Berta Pappenheim durch die Jahrzehnte. Sie ist einmal
in Galizien, einmal in Russland, in Berlin und in Hamburg, am liebsten
aber in ihrem Heim, d.h. in dem von ihr geschaffenen, heute in Deutschland
einzig dastehenden Heime in Neu-Isenburg. Sie ist Führerin im
Streite für das Recht der jüdischen Frau, aber sie weiß, besonders in
den letzten Jahren, auch von der Pflicht der jüdischen Frau zu sprechen,
der Pflicht, die ihr Recht begründet und verbürgt. Die jüdische
Wohlfahrtspflege ist in den letzten Jahrzehnten ist mit dem Namen Bertha
Pappenheim eng verknüpft. Im Jüdischen Frauenbunde war sie viele
Jahre führend. Es ist nicht zu verkennen, dass in den letzten Jahren im
Herzen dieser geistig hochstehenden und von einem inneren Drang zum Helfen
getriebenen Dame sich ein wesentlicher Umschwung nach rechts (gemeint:
ins Konservative) vollzogen hat. Und diese Wandlung drückte ihr auch
die Feder in die Hand, woraus gute jüdische Lektüre in altem Väter- und
Müttergeiste entstanden sind. So die Übersetzung des 'Zreno Ureno', das
'Alte Maassebuch' und verschiedenes mehr.
Wir wünschen der verdienten Jubilarin noch viele Jahre frohen und reichen
Schaffens. (Alles Gute) bis 100 Jahre." |
Aufruf zur Unterstützung des Heimes des jüdischen
Frauenbundes (1932)
Artikel in der "Gemeindezeitung für die Israelitischen Gemeinden
Württembergs"
vom 1. Mai 1932:
"Offizielle Mitteilungen des jüdischen Frauenbundes, Landesverband Württemberg.
Isenburg in Not!
Das Heim des jüdischen Frauenbundes Neu-Isenburg ist heute ganz selbstverständlich als ein notwendiges
Erziehungswerk in die jüdische soziale Fürsorge eingegliedert. Mehr als 1000 Kinder und Jugendliche haben Schutz und Förderung
dort gefunden. Durch die Not der Zeit aber hat Isenburg keine Mittel mehr, sein Heim weiterzuführen. Soll das einzige jüdische
deutsche Heim für die gefährdete deutsche Jugend eingehen müssen? Sollen wir unsere schutzbedürftigen Mädchen und Kinder ihrem Schicksal überlassen? Nein, das darf nicht sein! Wir müssen alle zusammenstehen, um hier zu helfen. Jeder gebe, was er vermag. Jeder
helfe nach seinen Kräften. Auch die kleinste Gabe ist willkommen. Einzahlungen dafür erbitten wir auf auf Postscheckkonto Frau
Kahn Stuttgart Nummer 130 02. Es geht unser Ruf an alle Mitglieder der uns angeschlossenen Vereine. Die in Württemberg gesammelte Summe wird mit Namensnennung der Spender dem Hilfsfonds für Isenburg zugeleitet werden.
Jüdische Frauenbund Landesverband Württemberg.
|
Theatervorstellung zugunsten des Heimes des Jüdischen
Frauenbundes (1929)
Anmerkung: nachfolgender Bericht ist eine Besprechung des Arnold Zweig'schen
Schauspiels 'Die Umkehr'; enthält keine Informationen zum Heim des Jüdischen
Frauenbundes in Neu-Isenburg.
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 3. Mai 1929: "'Umkehr'.
Eine Nachtvorstellung zu Gunsten des Heimes des Jüdischen Frauenbundes.
Neu-Isenburg.
Das Neue Theater (sc. in Frankfurt) hat, wie schon so oft, eine Premiere
der jüdischen Wohltätigkeit geopfert. Arnold Zweigs Schauspiel 'Die
Umkehr' ging Montag als Nachtvorstellung zu Gunsten des Heimes des
Jüdischen Frauenbundes in Neu-Isenburg über die Bühne.
Eugen Jensen und Alois Großmann füllten die zwei Hauptrollen gut aus,
auch die Bühnenbilder von Julius Hahlo zeichneten deutliches Milieu. Und
das Stück? Ein Gemisch von Martin Buber'schem und Arnold Zweig'schem
Geiste. Martin Buber liefert - als intellektu8eller Urheber, versteht sich
- den Baalschem, seine Legende, das mehrmalige Lachen, das heilige
Schweigen und noch mehr von der Sorte chassidischer Romantik, wie sie
Buber seit Jahr und Tag einer für Mystik erschlossenen Welt kündet:
Arnold Zweig formte die Legende, goss sie in fünf Akten, deren jeder sich
in eine Unzahl von kleinen Bildern gliedert. Wir erkennen Arnold Zweig von
seiner 'Sendung Semaels' wieder, da das Oben und Unten miteinander ringen,
in so raschen Szenen aufeinander stürmen, dass einem der Kopf dabei wirre
wird. Auch hier ist es ein Kampf zwischen Oben und Unten, zwischen Rabbi
und Fürst-Bischof. Oben siegt - und auch Unten. Der Bischof wächst in
dem Momente empor, da er bei Zusammenbruch seiner fürstlichen und
kirchlichen Macht ganz zu Boden liegt.
Die Legende ist älter als Zweig, älter als Buber und älter sogar als
der Baalschemtow. In alten Maase-Büchern wird sie nach Spanien verlegt,
wo der blutrünstige Großinquisitor plötzlich mitten in seinem Wüten
gegen Juden als Jude, als Renegat sich entpuppt und entlarvt wird. In
jiddischen Theatern in New York und im Londoner Whitechapel wird das in
einem sentimentalen Drama, ich glaube unter dem Titel 'Schema Jisroel'
gezeigt, und es fließen dabei viele ehrliche Tränen, weil in diesen
Kreisen Theater Leben ist. Hier als Produkt des Buber-Zweig'schen Betriebs
für Edelgewinnung altchassidischer Stoffe lässt die ganze Geschichte
eigentlich eiskalt. Jochanan-Johannes ist aus dem Wilnaer Ghetto als Kind
geflüchtet, kommt in ein Kloster und bringt es später bis zum Fürst von
Brixen in Südtirol, wo er, |
Selbstherrscher
in seinem kleinen Reiche, für all die Qualen seines Gewissens die Juden
bluten lässt. Je zu Ostern muss ein Jude auf dem Scheiterhaufen rösten.
(Man bedenke, um die Mitte des 18. Jahrhunderts!). Wieder läuten
Osterglocken und die Juden weinen in ihren Bethäusern. Wer wird das Opfer
sein, wenn es nicht allen an den Kragen gehen soll? Der Baalschemtow im
weiten Podolien sieht aber und weiß nach Sabbatausgang alles, was in der
jüdischen Welt vorgeht. Nachdem er sich von der Depression ein wenig
erholt hatte, lässt er anspannen, fährt mit seinen drei
Lieblingsschülern hinaus, liefert sich in die Hände der Häscher. Die
Juden sind gerettet, aber auch ihm passiert nichts und er rettet die Seele
des Renegaten mit. Der Fürst-Bischof wirft mit einem 'Schema Jisroel'
alle kirchlichen Würden von sich, nachdem er in der Kirche eine zündende
und geharnischte - übrigens gute - Predigt an die Gemeinde, einen Appell
an die Gewissen gerichtet hatte und nachdem er eine Stunde stiller
Zwiesprache mit dem Rabbi, dessen Gesicht er von den Träumen her wohl
kennt, gehalten hatte. Hier müsste die Sache schließen, denn man weiß,
nach dem dritten Akt kann nichts mehr kommen. Und dennoch muss man noch
zwei Akte lang aushalten. Da ist noch ein Kardinal von Flandern, der mit
schlechtem Spiel und undeutlicher Sprache, dann ein schattenhaftes
Treubekenntnis von schwarzgekleideten Juden in der Kirche zu Liebe und
Versöhnung und noch so mancherlei, was ganz ohne Not dem Publikum noch
eine Stunde wohlverdienten Schlafes raubt. Allein: das Spiel war im Ganzen
gut, der Zweck der Erstvorführung noch besser, und so wollen auch wir
zufrieden sein." |
Über den Freitag-Abend (Erew Schabbat) im Heim des Jüdischen
Frauenbundes (1932)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 27. Oktober 1932: "Ein
Freitagabend im Heim des Jüdischen Frauenbundes Neu-Isenburg. In der
Stille des grünen Waldrandes, die Luft durchflutet von dem herben Duft
der Tannen, steht ein kleines Giebelhaus, mit weißen Gardinen, die
freundlich aus den Fenstern entgegenwinken. Die Fenster sind offen und
eine milde Abendsommerluft spielt im Laub der umfriedenden Birken.
Ein niedriges weißgestrichenes Gittertor lädt ein zum Nähertreten; ich
brauche nur die Klinke zu drücken, und schon bin ich im Garten, schon
stehe ich an der Türe des Hauses.
Eine Schar fröhlicher Kinder kommt mir aus der Tür, die sich unterdessen
wie von selbst geöffnet hat, entgegen und bringt mich aus meinen
Erinnerungen in die Gegenwart zurück. 'Da ist sie!' rufts durchs Haus.
Ich bin erwartet und habe wohl etwas lange auf mich warten
lassen.
Ich bin eingetreten: die Kinder, alle festlich, mit strahlenden
Gesichtern, in weißen Schürzchen und frischen Kleidern, jedes nach
seiner Art, stehen längs des feiertagsmäßigen und doch so einfachen
Tisches, der sich durch zwei Zimmer hindurch zieht, vom Glanz des letzten
Abendschimmers, aus zwei gegenüberstehenden Fensterreihen
erhellt.
Es wird still, Hannah Karminski drückt liebevoll mütterlich die
'Kleinen' an sich; Bertha Pappenheim erhebt die Hände und sagt den
Segensspruch über die Schabboslichter; dann ertönt aus 60 frohen
Kinderkehlen zart und frisch das L'cho Daudi. Der Schabbos ist
eingezogen ins Isenburger Heim. Hinten im Garten, im anderen kleinen Haus,
schlafen ruhig und zufrieden nach dem sonnigen Tag, die Säuglinge und die
Krabbelkinder in ihren weißen Bettchen, in kleinen Zimmern zu dritt, zu
viert...
Draußen ist es dunkel geworden, ganz dunkel und ganz still; desto heller
und eindrucksvoller leuchtet die große Schabbosstube in die Nacht und
desto inniger und lauter tönt das 'Scholaum Alechem' hinaus in die
bewegte Luft.
Ich schaue mir die frohen Sänger an: kleine Mädchen mit Zöpfchen und
Lockenhaar; kleine Buben mit putzigen schwarzen Käppchen auf dem brauen
Kopf; schelmische Gesichter der Schuljugend und lustige, stolz auf die
Pflegebefohlenen schauende Blicke der 'älteren', die mithelfen dürfen
und draußen in die Lehre gehen.
Andere Gäste sind unterdessen hinzugekommen: Dr. Käthe Mende (Archiv
für Jugendwohlfahrt), Dr. Hildegard Böhme (Deutsches Rotes Kreuz) und
Selma Jollowitz.
'Jetzt zu Tisch!' Die Kinder lassen es sich nicht noch mal sagen, und nehmen
jedes, fein sachte und behutsam ihren Platz am Tische. Oben erhebt sich
Bertha Pappenheim weihevoll und einfach und spricht klar und deutlich,
dass man es auch ganz unten hören kann, den Kiddusch und den Segensspruch
über die Brote. Jedes Kind bekommt seine Mauzi und so ist der Bann
gebrochen, das gedämpfte Geplauder kann wieder beginnen. Bis Frl.
Karminski aus dem großen Kessel die dampfende Suppe ausgeteilt hat. Wie
das schmeckt! Viele verlangen einen zweiten Teller. Ja, man hat hier guten
Appetit und die rosigen Gesichter, die runden, drallen Bäckchen und die
strammen Gestalten beweisen, dass es im Heim immer gut und reichlich zu
essen gibt.
Aber heute Abend! Ich staune über die riesigen Fischportionen, die mit
beneidenswerter Selbstverständlichkeit bewältig werden und sehe, dass
ach die Kleinen noch mal ihren Teller der unermüdlich austeilenden Hannah
Karminski hinreichen, damit wieder Fisch und Kartoffel und Salat drauf
gelegt werden. Und ich beobachte mit wachsender Bewunderung, wie nett und ungezwungen
all die Großen und Kleinen da sitzen und froh, aber nicht gefräßig,
frei aber nicht ausgelassen, bescheiden aber nicht geduckt sich
unterhalten, ohne die Gespräche der Erwachsenen oben am Tisch zu stören.
Manch fragender, neugieriger Blick ist dorthin gerichtet, aber Bertha
Pappenheim flößt eine besondere Ehrfurcht ein, sodass sich alle
bemühen, recht brav zu sein.
Es sind keine 'Musterkinder'; einmal muss Frl. Pappenheim sanft mahnen:
'etwas leiser, liebe Kinder' und sofort gehorchen alle, während stumme
Blicke die verehrte, geliebte 'Mutter' um Verzeihung
bitten.
Es hat noch gutes Kirchenkompott gegeben aus dem eigenen Garten; alle sind
stolz darauf, denn ein jedes hat dabei geholfen: beim Pflücken, beim
Belesen, beim Entfernen.
Dann ertönen wieder die Stimmen: Schir Hamaaloaus. Eines der Kinder, das
eben die Ehre hat, sagt schön und verständnisvoll das Tischgebet, von
Anfang bis zu Ende, und alle folgen aufmerksam.
'Wie in einer Familie' bemerke ich. 'Es ist ja eine Familie' bestätigen
zugleich bestimmt und selbstverständlich die beiden 'Mütter': die
ältere, würdevoll Milde und Ernst ausstrahlend; die junge, kraftvoll,
frisch, blühend.
Und zuletzt, vor dem zu Bette Gehen - heute, am Freitag Abend darf man
etwas länger aufbleiben - noch ein Stündchen geistvoller
'Fidelitas'.
Die eine Ausländerin, Frau van Tynn, ist schon seit Mittag hier zu Gast
und hat den Kindern viel erzählt aus Holland und all den fremden, weit entfernten
Ländern, die sie mit Mann und Kindern bereist hat.
Nun kommt die Reihe an mich; ich soll von Rom erzählen, von dem großen
neuen Tempel (sc. Synagoge), der anstelle des alten Ghetto sich in den
'blonden' Wässern des Tiber spiegelt; vom Titusbogen und der
Trajanssäule; von den Kindern des jüdischen Waisenhauses, die am
Schabbos im schwarzen Hemd und schwarzer Troddelmütze in die Synagoge
gehen; von den sieben Hügeln und der alten Insel im Tiber, wo, gegenüber
dem Hospital der Johanniter, das kleine jüdische Krankenhaus
steht.
Manchmal unterbricht mich Frl. Pappenheim, um Fragen an die Zuhörer zu
stellen, die alle aufmerksam meinem Geplauder gefolgt sind, die aber doch
gar zu gerne auch etwas eigenes dazu sagen möchten. Das hat Frl.
Pappenheims mütterlicher Instinkt, ihre lange Erfahrung längst erraten;
sie hat es auf den Gesichtern gelesen und darum meinem Eifer
gesteuert.
'Und nun zu Bett! Morgen bin ich ja auch noch da und kann weiter erzählen
und Fragen beantworten.'
Die Kinder verteilen sich in ihre Schlafzimmer, die in den oberen Stockwerken
liegen und nach und nach wird es still und stiller im Isenburger
Heim.
Wir Gäste gehen mit Frl. Pappenheim sachte aus der Tür in die
Sternennacht hinaus.
Ich bleibe stehen und schaue das Haus noch einmal an, das mir in kurzen Stunden
schon so lieb und vertraut geworden ist.
Hier waltet Liebe, hier wacht jüdische Mütterlichkeit und behütet
jüdische Kinder.
Hier lässt sich's gut wachsen und gedeihen. Liebe Kinder: gute
Nacht! Fanny Dessau." |
Über das Heim des Jüdischen Frauenbundes
(1935)
Artikel
im "Gemeindeblatt der Israelitischen Gemeinde Frankfurt"
vom Mai 1936 S. 318: "Das Isenburger Heim im Jahre
1935. Trotzdem wir in regelmäßigen Abständen der
Öffentlichkeit über unsere Arbeit Rechenschaft geben, scheint es doch,
dass sowohl die geographische Lage des Isenburger Heims wie die Mitarbeit
einer Reihe Frankfurter Frauen uns die Pflicht gibt, auf die Arbeit des
Heims im Jahre 1935 auch an dieser Stelle hinzuweisen.
Bekanntlich ist das Heim des Jüdischen Frauenbundes in Neu-Isenburg für
das ganze deutsche Reich ein nach traditionellen Grundsätzen geführtes
Erziehungsheim für Schulkinder, eine hauswirtschaftliche
Ausbildungsstätte für Schulentlassene, Schutz für Schwangere und
Müller, Pflegestelle für Säuglinge und Kleinkinder (eheliche und
uneheliche). Das Heim vermeidet alles Anstaltsmässige und hat durchaus
Familien-Charakter.
Dass die Arbeit des Isenburger Heims stetig weitergehen konnte, kaum
verändert gegen die vorhergehenden Jahre, ist allein schon eine
erfreuliche Feststellung. Wir sind heute besonders dankbar, wenn unsere
Institutionen eine ruhige Entwicklungslinie zeigen, namentlich solche, die
Kindern und Jugendlichen Schutz, Erziehung und Ausbildung zu bieten
haben.
74 Zöglinge hat unser Isenburger Heim im letzten Jahre neu aufgenommen -
zu den 69 Insassen am 1.1.1935 - 67 entlassen. Mit 76 Zöglingen ist das
Jahr 1936 begonnen worden. In der Verteilung der Altersgruppen ist gegen
das Vorjahr die Zahl der Schulkinder merklich gestiegen (30 gegen 25), die
der Schwangeren und Mütter gesunken (13 gegen 23). Demzufolge ist auch
die Säuglingsstation in den letzten Monaten etwas kleiner geworden. Die
Gruppen der Kleinkinder und Schulentlassenen sind etwa gleich
geblieben.
Die Väter der Neugeborenen sind - zum erstenmal - in überwiegender Zahl
jüdischer Konfession.
An den Zahlen, die die Einweisungsgründe beleuchten, fällt zweierlei
auf: das Ansteigen der Privateinweisungen (33 gegen 27) und der unter
Fürsorge-Erziehung stehenden Zöglinge (14 gegen 9).
Von privater Seite wird das Heim des Jüdischen Frauenbundes in Isenburg
besonders gern als Erholungsstätte für Klein- und Schulkinder benutzt.
Garten und Wald, die Gleichmäßigkeit eines geregelten Lebens mit
gesunder Ernährung und ausreichender Ruhe sowie das Fernhalten aller
Störungen sind ideale Erholungs- und Erziehungsfaktoren. Für die
größeren Kinder ist die jüdische Atmosphäre von nachhaltigem Eindruck.
Es gehört zu den bewährten Erziehungsgrundsätzen Isenburgs, diese
Heilfaktoren, deren günstiger Einfluss bei physisch Schwachen erprobt
ist, auch bei den psychisch 'Erholungsbedürftigen' einzusetzen, ohne eine
ausgesprochene 'Heilpädagogik' anzuwenden. Auch die wesentliche Rolle,
die man der Arbeit für den Heilungsprozess zumisst, unterscheidet das
Erziehungsheim kaum noch von der modernen Heilstätte.
Die Erfolge des Arztes und des Erziehers sind - um die Parallele noch
weiter zu ziehen - vor allem von zwei Voraussetzungen abhängig: von der
Heilbarkeit des Leidens überhaupt und vom richtigen Zeitpunkt der
Einweisung des Pfleglings. Ja, von der letzten Voraussetzung hängt
vielleicht für den Erzieher mehr noch ab als für den Arzt, da es auf
seinem Gebiet eine Chirurgie, die den Kranken zuweilen noch im letzten
Moment zu retten vermag, nicht gibt. Insofern müssen die vermehrten
Fürsorge-Erziehungsfälle, muss die dauernde Verschlechterung des
Zöglingsmaterials, das die Gruppe der Jugendlichen bildet, zu denken
geben. Dass an sich bildungsfähige Mädchen oft zu spät eingewiesen oder
auch zu schnell wieder abberufen werden, dass die Einweisungen dieser
Altersgröße jetzt auch zahlenmäßig sehr zurückgegangen ist, ist in
den letzten Monaten zum Teil durch die Auswirkungen des
Hausgehilfinnengesetzes zu erklären.
Bei der Fülle von Stellenangeboten finden auch an sich untaugliche
Kräfte immer wieder - kurzfristige - Arbeitsmöglichkeiten, und sicher
dauert es relativ lange, bis sie vom Arbeitsprozess ausgeschieden werden.
Meist wird es dann zu spät oder doch zumindest sehr erschwert sein, die
Mädchen wieder auf den rechten Weg zu bringen. Andererseits
beeinträchtigt es die Erziehungsarbeit, wenn den Mädchen von den
einweisenden Stellen von vorneherein Versprechen für eine baldige
Abberufung gegeben werden. Zwar könnte Isenburg jedem Zögling, nach noch
so kurzer Ausbildung, eine Stelle vermitteln - das Heim wird mit
entsprechenden Anfragen überhäuft -; aber die Maßstäbe der Heimleitung
an das Können und die innere Festigkeit der Mädchen durften auch durch
die veränderte Arbeitsmarktlage nicht verschoben
werden.
Die Erziehungserfolge Isenburgs an einigermaßen bildungsfähigem
Kindermaterial sind auch im letzten Jahr bestätigt
worden.
Dass den Kleinen die für ihre späte Entwicklung wichtige pflegerische
Grundlage gegeben wird, beweisen die glückseligen Berichte von Eltern,
die Isenburger Kinder adoptiert oder in Dauerpflege genommen haben. Die Schulkinder,
die im Jahre 1934 ins Glasgower Waisenhaus kamen, entsprechen in jeder
Hinsicht dem Niveau der anderen - normalen Kinder. Die Briefe, die
Kleinere und Größere aus Palästina schreiben, bekennen oder lassen
erkennen, dass Isenburg eine gute Lebensvorbereitung war: praktisch,
menschlich und jüdisch.
Und diese guten Erfolge konnten auch mit den Schülerinnen erzielt werden,
die eine Ausbildung in Hauswirtschaft, Kinder- und Säuglingspflege
empfinden und entweder in Deutschland oder in einem anderen Land das
anwenden können, was sie in Isenburg lernten. Es sei in diesem Bericht
auch erwähnt, dass gerade im letzten Jahr einige frühere Isenburger
Zöglinge durch den Hechaluz zur Hachscharah, zum Teil auch bereits nach
Palästina gekommen sind.
Jedes Jahr brachte mit neuen Aufgaben seine neuen Sorgen. - Jetzt bangt
man um die Fortführungsmöglichkeit der Krankenversicherung, die
jedenfalls erhöhte finanzielle Opfer fordern wird. Der vom Jüdischen Frauenbund
geschaffene Hilfsfonds, der sich für Eilaufnahmen, besondere Pflegemittel
und ähnliche, einmalige Aufwendungen als unentbehrlich erwiesen hat, wird
mehr denn ja in Anspruch genommen werden müssen.
Wenn heute in jüdischen Schulen und Landerziehungsheimen durch
Jugendaliyah und Lehrkurse aller Art unsere Jugend für ihr Schicksal
ausgerüstet wird, so dürfen die Juden in Deutschland und die an ihrem Ergehen
Beteiligten diese Zelle jüdischer Erziehungsarbeit nicht übersehen, in
der versucht wird, aus 'Stiefkindern des Schicksals' brauchbare Glieder
der jüdischen Gesellschaft zu bilden. Mit der unverwüstlichen
Zuversicht, die in jedem jungen Leben eine Verpflichtung, in dem Kind eine
Hoffnung sieht. Hannah Karminski." |
Zum Tod von Bertha Pappenheim (1936)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 4.
Juni 1936: "Bertha Pappenheim - sie ruhe in Frieden.
Am zweiten Schwuaustag (2. Tag des Wochenfestes) wurde Bertha Pappenheim
in 'ihrem Heime' in Isenburg durch einen sanften Tod von einer kurzen
schweren Krankheit erlöst. Der Vorstand des Jüdischen Frauenbundes
Berlin gibt das Ableben seiner Führerin mit folgenden Worten bekannt: 'In
Bertha Pappenheim verliert die jüdische Frauenwelt die geistige
Führerin, die ihr jahrzehntelang mit leidenschaftlicher
Überzeugungskraft die Wege zu höchsten Zielen und zu schlichter
Pflichterfüllung gewiesen hat.'
Wir, in Frankfurt, die wir Gelegenheit hatten, die Lebensarbeit von Bertha
Pappenheim aus nächster Nähe zu sehen und zu bewundern, wissen, dass es
unangebracht wäre, diese große Frauenpersönlichkeit unter dem engen
Horizonte ihres Frankfurter Arbeitsbereiches zu werten. So müssen wir uns
denn eine eingehende Würdigung für eine der nächsten Nummern, wenn
einmal alle Phasen ihrer umfassenden jüdischen Arbeit an den Tag gekommen
sind, vorbehalten. Für heute seien nur einige Daten aus ihrem Leben und
Gesamtwirken angegeben.
Bertha Pappenheim wurde 1859 in Wien geboren, sodass sie nun im Alter von
77 Jahren von uns scheidet. Von Kindheit her mit großer Geistesbegabung
grenzenloser Arbeitskraft und ungebrochenem, vor nichts zurückschreckendem
Mut begnadet, dabei von glühender Liebe zu ihrem Volke beseelt, stand sie
schon in verhältnismäßig jungen Jahren an der Führung der jüdischen
Frauenbewegung in Deutschland, obwohl sie für ihre Person nie führen,
sondern nur arbeiten wollte. Aber sie riss mit ihrem unermüdlichen Arbeitseifer
alle mit und blieb doch immer oben. 1904 gründete sie den Jüdischen
Frauenbund, der bis zuletzt zu ihr als zu ihrer geistigen Führerin hinaufsah.
Vorher schon war sie Leiterin des Jüdischen Frauenvereins in Frankfurt
und der von ihr gegründeten Weiblichen Fürsorge. Sie trat nicht allein
für das Recht der jüdischen Frau, sondern auch für das Recht des hilfs-
und schutzlosen jüdischen Kindes mit dem ihr eigenen Eifer und Gerechtigkeitssinn
ein, und so konnte aus ihrer Initiative vor 30 Jahren das heute
allbekannte und anerkannte Heim in Isenburg entstehen, aus dem seitdem so
viel unermesslicher Segen ausströmte, das in den letzten Jahren auch ihr
eigenes Heim geworden war, dem ihre aufopfernde Liebe buchstäblich bis
zum letzten Atemzuge gehörte.
Was Bertha Pappenheim für die Jüdische Frauenbewegung in der Welt getan
hat, kann nur in großen Zügen angedeutet werden. Wiederholt bereiste sie
die Länder des Ostens, um dort die Lage der jüdischen Frau zu studieren
und Abhilfe zu schaffen, wo solche nötig war, Waisenhäuser zu gründen
und auch sonst aus dem reichen Schatz ihrer Erfahrung heraus, Wege aus der
Not zu zeigen. Führend stand sie mitten im Kampf gegen den
Mädchenhandel. Kaum war der Notschrei der Juden aus dem neuen Sowjetrussland
zu uns gedrungen, als Bertha Pappenheim unter persönlichen Opfern und Schwierigkeiten
ohnegleichen sich auch dahin begab, um materielle und geistige Not nach
Möglichkeit zu lindern. Zuletzt noch - es war ihre letzte große
Auslandsreise im Dienste der jüdischen Liebe - reiste sie nach Polen, um
die Bes Jaakauw-Schulen zu besichtigen, denn es war kein Geheimnis, dass
diese Frau, die nicht gerade aus religiösem Milieu kam, sich in den
letzten Jahren immer mehr dem religiösen Gedanken und dem religiösen
Leben näherte. Die toratreuen Schulen für die jüdischen Töchter in
Polen zogen sie an, sodass sie, den damals schon bei ihr sich bemerkbar
machenden körperlichen Leiden trotzdem, die weite Reise unternahm, das
ganze Schulwesen des Bes Jaakauw ohne Voreingenommenheit prüfte und in
Sitzungen und Beratungen in Krakau an der weiteren Ausgestaltung des
Schulprogrammes kräftig mitarbeitete. Und es war ihr kurz vor ihrem
Heimgang noch die Freude gegönnt, zu sehen, wie ihre vielfachen
Anregungen durchgeführt wurden.
Sie, die Übersetzerin des 'Zeeno ureeno-Buches' und anderer religiöser
Lektüre, ging am Feste der Gesetzgebung von uns. - Zeeno ureeno' möchten
wir ihr nachrufen. 'Geht hinaus und sehet ihr Töchter Zions!' Sehet, was
ein menschlicher, ein jüdischer Wille alles vermag, wenn er in seiner
Betätigung die Richtung zu Gott, zu seinem Volke und seiner Lehre
sucht!..." |
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Anzeigen
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 4. Juni 1936:
"Der Jüdische Frauenbund betrauert den Heimgang seiner Schöpferin
und verehrten langjährigen Vorsitzenden
Bertha Pappenheim.
Sie wurde am 2. Tage des Schewuausfestes durch einen sanften Tod von
schwerem Leiden erlöst.
In ihr verliert die jüdische Frauenwelt die geistige Führerin, die ihr
jahrzehntelang mit leidenschaftlicher Überzeugungskraft die Wege zu
höchsten Zielen und zu schlichter Pflichterfüllung gewiesen hat.
In Dankbarkeit und Liebe werden wir versuchen, ihr Werk
weiterzuführen.
Der Vorstand des Jüdischen Frauenbundes. Ottilie Schönewald,
Hannah Karminski, Dr. Cora Berliner."
"Wir beklagen den unersetzlichen Verlust, den wir durch den am 28.
Mai 1936 erfolgten Heimgang von
Bertha Pappenheim,
der Gründerin und ersten Vorsitzenden des Isenburger Heimes erlitten
haben. Wir werden versuchen, unsere Dankbarkeit für sie durch freue
Hingabe an ihr Werk zu bewesen.
Der Vorstand und die Beamtinnen des Heims des Jüdischen Frauenbundes
in Neu-Isenburg.
Frankfurt am Main - Neu-Isenburg, den 2 Juni 1936." |
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Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 11. Juni 1936: "Bertha
Pappenheim - sie ruhe in Frieden.
Frankfurt am Main, 7. Juni 1936.
Über das Ableben von Bertha Pappenheim haben wir im lokalen Teile unseres
Blattes in der vorigen Woche berichtet. Aus einer Würdigung von Cora
Berliner, einer Mitarbeiterin Bertha Pappenheims, entnehmen wir zur
Ergänzung folgende Stelle:
Der Jüdische Frauenbund betrauert den Verlust seiner Schöpferin
und langjährigen Führerin. Das ganze Judentum verliert eine
Persönlichkeit von einzigartigem Gepräge. Aus begütertem, streng
orthodoxem bürgerlichen Hause stammend, wuchs sie in Wien als 'höhere
Tochter' auf. Aber schon 22-jährig übersiedelte sie nach Frankfurt am
Main und trat in die jüdische soziale Arbeit ein. Dort und im
benachbarten Neu-Isenburg schuf sie sich die Instrumente für ihr
leidenschaftliches Bemühen um den Schutz von Kindern, Mädchen und
Frauen. Zwölf Jahre war sie Hausmutter im jüdischen Mädchenwaisenhaus.
Der Jüdische Mädchenklub, der Frauenverein 'Weibliche
Fürsorge' und schließlich das Isenburger Heim für
gefährdete Mädchen, Säuglinge, Kleinkinder und Schulkinder sind von ihr
begründet, jahrelang geleitet und immer wieder von ihrer Kraft befruchtet
worden. Aber ihr Wirken reichte weit über diesen Kreis hinaus. 1904 schuf
sie den Jüdischen Frauenbund, um besonders die Frauen
bürgerlicher Schichten zur sozialen Verantwortung und jüdisch-geistigen
Mitarbeit zu gewinnen. Den jüdischen Massen des Ostens fühlte sie sich
auf das tiefste verbunden. Studienreisen nach Galizien, Russland und Polen
vertieften die Erkenntnis von der Notwendigkeit, die jüdischen Mädchen
und Frauen dieser Länder durch eine ihren besonderen Aufgaben angepasste
Erziehung für den modernen Lebenskampf auszurüsten, ohne sie der Kultur
ihrer jüdischen Tradition zu entfremden. Bis in ihr letztes Lebensjahr
reicht diese Arbeit. Noch im November vorigen Jahres war sie in Polen, um
die Gründung einer sozialpädagogischen Ausbildungsstätte für jüdische
Mädchen in die Wege zu leiten.
Bertha Pappenheim war eine unermüdliche Kämpferin für den Gedanken der
sozialen Verantwortung, unerbittlich in ihren Forderungen gegen andere, aber
auch gegen sich selbst. Von puritanischer Einfachheit und Strenge,
unbedingt bis an die Grenze der Ungerechtigkeit. Aber diese Härte ist nur
die eine Seite ihres Wesens. Den Säuglingen und Kleinkindern des
Isenburger Heims begegnete sie mit Liebe und Zärtlichkeit; aufgeschlossen,
freundlich und ganz ernst nahm sie die Sorgen und Nöte junger Menschen
auf; unermüdlich war ihre Treue und Fürsorge für ihre Schutzbefohlenen
und den engen Kreis ihrer wirklichen Mitarbeiterinnen. Zur Farbigkeit
dieses Lebens gehört noch viel mehr! Voll Charme, Geist und Humor war
diese Frau, in jungen Jahren nicht ohne Sinn für weibliche Eleganz, immer
aufgeschlossen allem Schönen und kulturell Wertvollen. Briefe und
Schriften zeugen von einer ganz seltenen Ausdruckskraft der Sprache. In
sorgloseren Zeiten sammelte sie Spitzen und kostbare Gläser, bis zuletzt knüpften
ihre nie ruhenden Hände die schönsten Ketten. Die Welt wird ärmer durch
den Tod dieser Frau." |
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Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 18. Juni 1936:
"Zum Andenken an Bertha Pappenheim - sie ruhe in Frieden.
Zum ehrenden Andenken an Frl. Bertha Pappenheim seligen Andenkens
veranstaltete der Mädchenklub am Sonntag, den 14. Juni, abends in
seinen Räumen Haus Handwerkstraße 3, eine Trauerfeier. Im Mittelpunkt
stand eine warme, tief empfundene Rede von Frau Irene Darmstädter:
'Wir hier im Mädchenklub haben sie wahrhaft als Mutter kennen gelernt.
Wie viele Seelen hat sie zu Gott geführt und das heißt, nach dem
Ausspruch unserer Weisen, hat sie geboren.' Frl. Bertha Pappenheim war die
Gründerin des Mädchenklubs und hat über drei Jahrzehnte mit
überlegenem Geiste und warmfühlendem Herzen die alten und jungen
Mitglieder mit Rat und Tat, Hilfe und Trost gestützt. Auch Frau
Eliadis, Fräulein Dr. Fuchs und andere Klubmitglieder rühmten
das Verdienst der edlen, unvergesslichen Persönlichkeit. Frl. Babad
las mit warmer Herzlichkeit 'Vi8sion' von Bertha Pappenheim. Umrahmt war
die Feier von einem mit eindrucksvoller Beseelung vorgetragenen
Violinkonzert von Fräulein Eldolt, und Frl. Margrit Oppenheimer,
die gewandte Begleiterin, bewährte sich auch dieses Mal
vortrefflich." |
Über das Heim des Jüdischen Frauenbundes
(1937)
Artikel
im "Gemeindeblatt der Israelitischen Gemeinde Frankfurt"
vom April 1937: "Ein Besuch im Isenburger Heim. Die Ortsgruppe
des Jüdischen Frauenbundes veranstaltete am Montag, den 15. Februar, eine
Besichtigung des Heims des Jüdischen Frauenbundes in Isenburg. Die
Vorsitzende des Heims, Frau Paula Nassauer, führte in ihrer Ansprache
aus, dass die 'unsichtbare Arbeit' im Heim größer und bedeutungsvoller
sei als die 'sichtbare'. Aus demselben Grunde können wir auch kaum von
einer 'Besichtigung' sprechen. Das, was man sehen kann, tritt zurück
gegen das, was man empfinden muss, wenn man den Geist des Hauses auf sich
wirken lässt, wenn man die sittlichen Forderungen zu verstehen sucht,
wenn man das Maß von Liebe und Fürsorge, die hier so selbstverständlich
gespendet werden, abzuschätzen versteht. In diesem Erziehungswerk und bei
seiner Durchführung sind Kämpfe ausgefochten worden; hartnäckige
Kämpfe gegen alte Vorurteile, gegen manchen Unverstand. Heute steht
dieses Haus da, wie es vor Jahrzehnten bezogen wurde, wie wir Alten es
noch in Erinnerung haben. Nur äußerlich ist es mit der großen Zahl
seiner Insassen - etwa 100 gewachsen. Man hat eingebaut und ausgebaut, man
hat viel Gartenland erworben, man hat einer modernen Hygiene gern
größere Opfer gebracht. Das Grundsätzliche blieb. Der Geist des Hauses
hat sich nicht verändert; kein Zurückweichen vor Hindernissen, kein
Zurückstecken der als richtig erkannten Ziele.
Die einzelnen Häuser, aus denen sich dieses Heim zusammensetzt, sind
nicht nach ihrer Bestimmung benannt. Unterschiede sollen nicht bestehen,
deshalb werden die Häuser mit Nummern genannt. (Haus 1,2,3). Den
Grundstein zu der Entwicklung, in der wir seit Jahrzehnten ein wichtiges Stück
jüdischen Kulturstrebens erkennen, legte Haus 1. Hier spielt sich das
Leben der gefährdeten Jugendlichen ab, die von selbst kommen oder für
welche andere Organisationen Schutz und Hilfe suchen. In ruhigem,
geordnetem Betrieb, verständnisvoll geleitet und zur Arbeit herangezogen,
müssen sie sich in das Ganze einfügen. Aus erzieherischen Gründen hat
man hier eine ganz besondere Schlichtheit beibehalten: das einfache Bett,
die Emailwaschschüssel. Keine unnützen Stücke. Der wieder ins Leben
hinaustretende, von einer nachgehenden Fürsorge betreute Schützling,
wird dann draußen keinerlei Komfort entbehren. Im gleichen Hause sind
auch die Schulkinder untergebracht. Auch sie sind schon zu kleinen
Pflichtleistungen erzogen, besuchen die städtische Schule in Isenburg mit
Erfolg und ohne Schwierigkeiten. Am Samstag und an den Feiertagen sind sie
vom Unterricht befreit.
Durch den Garten erreichen wir Haus 2, das eigentliche Mutterschutzheim.
Es beherbergt die jungen Mütter mit ihren Kindern, außerdem eine
größere Anzahl eingewiesener Säuglinge. Hier sind vielleicht die
schwierigsten pflegerischen und erzieherischen Aufgaben zu lösen, in
Bezug auf übertriebene Mutterliebe und ernste Mutterpflichten. Auffallend
ist das gesunde und kräftige Aussehen der Kinder.
Und wieder führt der Weg durch den Garten nach Haus 4, in dem
Kinder der verschiedenen Altersklassen untergebracht sind. Aus der
Säuglingsabteilung entlassene Krabbelkinder, schwächliche Kinder,
Kinder, die zur Entlastung ihrer Mütter eingewiesen wurden, und solche,
die zur Beobachtung besonderer Eigentümlichkeiten Aufnahme fanden. Sie
spielen. Auch sie sehen blühend und gepflegt aus. Durch die großen Fenster
und Glastüren haben Sonne und Licht freien Zutritt; wo sie sich noch
nicht genügend auswirken können, hilft die 'künstliche Höhensonne'
gründlich nach.
Müssen wir nicht jetzt die Erziehungsmittel begreifen lernen, von denen
die Vorsitzende in ihrer Ansprache nur 3 erwähnte, um die weite
Umrisslinie nicht zu verlassen? Sie sind: 1.) die Arbeit; 2.) das Kind;
3.) das Streben zur jüdisch-religiösen Durchleuchtung des
Lebens.
In der Nähe von Haus 4, im Garten, steht ein Brunnen. Ein humorvoller
Gedanke der Gründerin des Heims schuf den Entwurf zu dem Kunstwerk 'der
vertriebene Storch', der vom Bildhauer Kormis ausgeführt
wurde.
Es ist inzwischen trübe und dunkel geworden. Wir wollen und können uns
aber von Isenburg nicht trennen, ohne die Wohnstätte von Bertha
Pappenheim besucht zu haben, die jetzt nach ihrem Tode
erholungsbedürftige Berufstätige aufnimmt. In idyllischer Ruhe und
Abgeschlossenheit, umheben von allem, was höchste Kultur einem so
feinfühlenden Menschen zu geben vermag, schied sie auch von ihrem Werk 'Isenburg'.
Nicht nur ihren verdienstvollen Mitarbeiterinnen, sondern auch allen
denkenden und mitfühlenden Menschen bleibt die schwere Aufgabe, dieses
bedeutende soziale Werk weiterzuführen im Sinne des
Gründungsgedankens:
'Erziehung den Erziehungsbedürftigen, Schutz den
Schutzbedürftigen'. Martha
Schlesinger."
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Über die Ereignisse beim Novemberpogrom 1938
Bericht von Helene Krämer, von Sommer 1936
bis zu ihrer Emigration 1941 Heimleiterin: "Die Barbaren kamen mit
Pechfackeln, riefen 'Öffnet, wir bringen Euch Fleisch', drangen in das
überfüllte Haus, schrieen 'Juden heraus!', warfen die kostbaren Daumiers
in den Garten, und keine fünf Minuten war das Haus leer. Der Anführer
der Horde, der Ingenieur Schmidt, der im Heim die Lichtleitung gelegt
hatte, umringte mich, bis er die Heimkasse hatte, den armen Mädchen
wurden ihre Päckchen abgenommen, mit Mühe und Not durfte ich den
Schulkindern Mäntel holen. Wir standen alle, Säuglinge, die wir in
Körbchen hinaustrugen, Kleinkinder, Jugendliche und Angestellte, über
eine Stunde in der kalten Winternacht im Garten bei dem grausigen Anblick
des Brandes des Hauses und dem Knistern der alten Bäume. Plötzlich erlag
die elektrische Leitung, wir standen in finsterer Nacht, das Geschrei und
Jammern der Kinder war so entsetzlich und herzzerreißend, dass sogar die
Barbaren etwas Mitleid hatten und uns erlaubten, in ein Haus zu gehen...
Frau Nassauer blieb die ganze Nacht bei mir, nachdem wir die ganze
Belegschaft, ungefähr 100 Personen, in dem einen Haus unterbrachten.
Einige Mädchen erlitten Herzanfälle, sodass wir gezwungen waren, einen
christlichen Arzt zu rufen, der mit Kerzenlicht sich durch die Trümmer
durcharbeiten musste. Die Feuerwehr kam erst sehr spät. Das Heim brannte
und glimmte noch am nächsten Tag." |
Zur Geschichte der Synagoge
In Neu-Isenburg gab es keine Synagoge. Von den in der Stadt
lebenden jüdischen Familien wurden die Gottesdienste in Sprendlingen
besucht.
Im Heim des Jüdischen Frauenbundes gab es einen Betsaal. Dieser
ist beim Novemberpogrom 1938 zusammen mit dem Heim zerstört worden. SA-Leute
hatten am Abend des 10. November 1938 im Haupthaus und in einem Nebengebäude
Feuer gelegt (vgl. Bericht oben von Helene Krämer).
Fotos
(Quelle: aus dem Beitrag von J. Walk in: S. Ellger-Rüttgard s. Lit. S.
53-57; Originalquelle: Jüdisches Museum Frankfurt)
Das Heim
des
Jüdischen Frauenbundes |
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Das Heim des
Jüdischen Frauenbundes
in Neu-Isenburg (um 1930) |
Innenraum im Heim
des
Jüdischen Frauenbundes (um 1930) |
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Spielende Kinder
im Isenburger Heim |
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Bertha
Pappenheim
(1859-1936) |
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Bertha
Pappenheimer als Heimmutter
der Israelitischen Mädchenwaisenanstalt
in
Frankfurt
(Theobaldstraße, zwischen 1895 und 1906) |
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Das Bertha-Pappenheim Haus in Neu-Isenburg
links: Bertha Pappenheim Haus (nachfolgender Text
aus der Website von Neu-Isenburg)
Bertha Pappenheim wird 1859 in Wien als Tochter einer angesehenen jüdischen Kaufmannsfamilie geboren. Sie erhält die übliche Erziehung einer
'höheren Tochter'. Als sie 21 Jahre alt ist, erkrankt der Vater. Bertha Pappenheim pflegt ihn, wird aber im Verlauf selbst krank: Halluzinationen, Lähmungserscheinungen, Sprachstörungen - ein körperliches Leiden kann nicht nachgewiesen werden. Der Wiener Arzt Josef Breuer nimmt sie in Behandlung. Nach dem erfolgreichen Abschluß veröffentlicht Breuer gemeinsam mit seinem Assistenten Sigmund Freud 1895 die
'Studien über Hysterie'. Bertha Pappenheim geht als Patientin Anna O. in die Geschichte der Psychoanalyse ein.
Bertha Pappenheim wuchs ab 1888 aus der lokalen sozialen Praxis der jüdischen Gemeinde und der Stadt Frankfurt empor zur Gründerin und Vorsitzenden des Jüdischen Frauenbundes (1904), der als Dachverband alle bestehenden jüdischen Frauenvereine in Deutschland in sich vereinte. Ende der 20er Jahre
umfasste er 50.000 Mitglieder.
Über Programm und Ziele der Frauenbewegung sowie über eine, die Religionsgesetze sinnvoll erfüllende Zedaka erzog Bertha Pappenheim über Frankfurt hinaus drei Generationen von Jüdinnen zurück zur jüdischen, kulturellen, weiblichen Identität, zu den Pflichten und Rechten, die den meisten abhanden gekommen waren im Kampf um bürgerliche Gleichstellung, in der Assimilation an christliche Umwelt als Folge jahrhundertealten politischen Drucks und Ausnahmegesetzgebung, als Folge von Pogromen und Antisemitismus und auch als Folge von patriarchalischer Herrschaft.
Sie suchte zugleich diese Traditionen zu entschlacken, wie sie sie auch für die jüdischen Frauen wieder entdeckte und ihnen mit ihrer Übersetzung der Denkwürdigkeiten der Glückel von Hameln (1910), der Frauenbibel Zena u. Rena (1929) und den Maassegeschichten (1930) zurückgab, beliebte Hausbücher der Jüdinnen des Spätmittelalters über mehrere Jahrhunderte sowie durch die monatlich erscheinenden Blätter des Jüdischen Frauenbundes, mit ihrem programmatischen Konzept, das sie im ersten Heft 1924 entwickelte.
Als Bertha Pappenheim am 28. Mai 1936 in Neu-Isenburg nach längerer Krankheit im Alter von 77 Jahren stirbt, ist es jüdischen Kreisen
bewusst, dass mit ihr "eine der stärksten Persönlichkeiten des deutschen Judentums" (Leo Baeck) verschieden ist. "Ein großer jüdischer Mensch,
dass mit ihr ein Leben erloschen ist, wie es das Judentum unter den tief veränderten Lebensbedingungen in Generationen nicht mehr hervorbringen wird" (Margarethe
Susman).
Mit einer Ausstellung erinnert die Stadt in dem Haus heute an das Leben und Werk Bertha Pappenheims. Regelmäßig finden Vorträge zu Aspekten jüdischen Lebens und jüdischer Kultur statt, sowie Themenreihen über Nationalsozialismus, Erziehung, den christlich-jüdischen Dialog und
Frauenrecht. Außerdem sind auf dem Areal einige Kindereinrichtungen untergebracht.
Seminar- und Gedenkstätte Bertha Pappenheim
Zeppelinstraße 10 63263 Neu-Isenburg Telefon: 06102 -
7720975
Öffnungszeiten: Mittwoch 15.00 bis 18.00 Uhr und nach Vereinbarung unter Telefon 06102 - 241 754 oder 06102 - 241 755 |
Erinnerungsarbeit
vor Ort - einzelne Berichte
Januar 2009:
Recherchen für die Verlegung der
"Stolpersteine" abgeschlossen |
Artikel von Christina Schäfer in der
"Offenbach-Post" vom 27. Januar 2009 (Artikel
in op-online.de):
"Erste Recherchen für die Verlegung im Februar abgeschlossen - 14 Stolpersteine gegen das Vergessen
Neu-Isenburg - Viel Zeit hat die fünfköpfige Initiative, die sich mit der Umsetzung des Projekts
"Stolpersteine" in Neu-Isenburg beschäftigt, investiert. Die Arbeit hat sich gelohnt: Statt der ursprünglich geplanten elf, werden am Mittwoch, 18. Februar, 14 Steine in der Hugenottenstadt
verlegt.
Die Steine - nach einer Idee des Kölner Künstlers Gunter Demnig - sollen an Menschen erinnern, die von den Nationalsozialisten vertrieben, verschleppt oder ermordet wurden. Dazu lässt der Künstler Steine mit den entsprechenden Namen der Opfer in den Fußweg vor dem jeweiligen Wohnhaus ein.
Im Zuge der Vorbereitungen und Recherchen hatte sich die Neu-Isenburger Initiative in Absprache mit Gunter Demnig dazu entschieden, im Sinne der Familienzusammenführung auch zwei Steine für Personen zu verlegen, die vor den Nationalsozialisten geflohen sind. Dies teilte Christa Ziller von der Neu-Isenburger Initiative mit.
Einer dieser beiden zusätzlichen Steine wird vor dem Haus in der Frankfurter Straße 45
an die Tochter der Witwe Jonas erinnern. Während ihre Mutter und Schwester dem Nazi-Regime zum Opfer fielen, floh sie über England in die USA und rettete so ihr Leben. Insgesamt lässt der Künstler drei Steine vor Ort ins Pflaster ein..." |
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Februar 2009:
"Stolperstein"-Verlegung im Februar
2009 in Neu-Isenburg |
Artikel in der "Offenbach-Post"
vom 6. Februar 2009 (Artikel
in op-online.de):
Verlegung der Stolpersteine.
Neu-Isenburg - (hok) Der Kölner Künstler Gunter Demnig wird am Mittwoch, 18. Februar, nach Neu-Isenburg kommen, um mit der Verlegung von Stolpersteinen an NS-Opfer zu erinnern.
Beginnen wird er um 8 Uhr vor dem Haus Frankfurter Straße 45. Im Anschluss setzt er weitere Steine vor der Frankfurter Straße 32, der Friedensallee 78, der Taunusstraße 32 und der Stoltzestraße 8. Zu einem späteren Zeitpunkt folgt die Verlegung der Stolperschwelle vor dem Heim des Jüdischen Frauenbundes." |
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September 2011:
"Stolperstein"-Verlegung im Oktober
2011 in Neu-Isenburg |
Pressemitteilung der Stadt Neu-Isenburg vom
17. September 2011 (Link
über Seite Familien-blickpunkt.de): "Stolperstein-Initiative zum 24. Oktober.
Neu-Isenburg. Am 24. Oktober ab 10:30 Uhr werden in Neu-Isenburg ein weiteres Mal Stolpersteine zum Gedenken an ehemalige jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger Neu-Isenburgs verlegt, und zwar insgesamt 12 Steine. Sie erinnern an Menschen, die sich rechtzeitig durch Flucht ins Ausland vor Diskriminierung, Verhaftung und Deportation in Sicherheit bringen konnten. Nicht allen, die gezwungenermaßen Neu-Isenburg verlassen mussten, können Steine gesetzt werden. Viele Schicksale ließen sich nicht aufklären, und so hat sich die Stolperstein-Initiative für die entschieden, von denen sie Näheres in Erfahrung bringen konnte. Hierzu zählen insbesondere auch diejenigen, die nach 1945 Neu-Isenburg besucht haben, z.T. auf Einladung der Stadt anlässlich des Erscheinens der Dokumentation
'Neu-Isenburg zwischen Anpassung und Widerstand' (1978)..."
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November 2017:
Erinnerung an Bertha Pappenheim - 110 Jahre nach
Gründung des Mädchenheimes "Isenburg" |
Artikel von Dirk Baas in der
"Jüdischen Allgemeinen" vom 22. Dezember 2017: "BERTHA PAPPENHEIM.
Soziale Kämpferin und Feministin. Vor 110 Jahren gründete die Frauenrechtlerin das Mädchenheim
'Isenburg'
Als Bertha Pappenheim am 28. Mai 1936 im Alter von 77 Jahren im hessischen Neu-Isenburg stirbt, ist die vom NS-System schwer drangsalierte jüdische Gemeinde zutiefst erschüttert. Mit der Frauenrechtlerin und Sozialarbeiterin sei
'eine der stärksten Persönlichkeiten des deutschen Judentums verschieden', klagte Rabbiner Leo
Baeck. 'Die Welt wird ärmer durch den Tod dieser Frau', heißt es in einem Nachruf. Vor 110 Jahren, am 25. November 1907, hatte sie das Mädchenheim
'Isenburg' gegründet..."
Link
zum Artikel |
Der Artikel von Dirk Baas erschien zunächst
in der "Neu-Isenburger Neuen Presse" vom 25. November 2017:
"Mädchenheim 'Isenburg'. Sie gab Jüdinnen ein Zuhause..."
Link
zum Artikel |
Ein weiterer Artikel erschien im "MIGAZIN
- Migration in Germany": "Jüdische Feministin. Vor 110
Jahren gründete Bertha Pappenheim das Mädchenheim 'Isenburg...'
Link
zum Artikel |
Links und Literatur
Links:
Quellen:
Hinweis
auf online einsehbare Familienregister der jüdischen Gemeinde
Neu-Isenburg |
In der Website des Hessischen Hauptstaatsarchivs
(innerhalb Arcinsys Hessen) sind die erhaltenen Familienregister aus
hessischen jüdischen Gemeinden einsehbar:
Link zur Übersicht (nach Ortsalphabet) https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/llist?nodeid=g186590&page=1&reload=true&sorting=41
Zu Neu-Isenburg sind vorhanden (auf der jeweiligen Unterseite zur
Einsichtnahme weiter über "Digitalisate anzeigen"):
HHStAW 365,633 Geburts-, Trau- und Sterberegister der Juden
von Neu-Isenburg: Geburtsregister 1836 - 1875, Trauregister 1836 -
1851, Sterberegister 1836 - 1864, darin auch: Schreiben des
Bürgermeisters an das Landgericht Offenbach wegen Führung der jüdischen
Personenstandsregister, 1837 - 1840, 1857 - 1876 https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/detailAction?detailid=v837013
|
Literatur:
| Paul Arnsberg: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang -
Untergang - Neubeginn. 1971. Bd. II S. 265-267 (innerhalb des
Abschnittes zu Sprendlingen) |
| Studienkreis Deutscher Widerstand (Hg.):
Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der
Verfolgung 1933-1945. Hessen I Regierungsbezirk Darmstadt. 1995 S.
282. |
| Pinkas Hakehillot: Encyclopedia of Jewish
Communities from their foundation till after the Holocaust. Germany Volume
III: Hesse - Hesse-Nassau - Frankfurt. Hg. von Yad Vashem 1992
(hebräisch) S. 262-263. |
| Sieglind Ellger-Rüttgardt (Hrsg.): Verloren und
Un-Vergessen. Jüdische Heilpädagogik in Deutschland. Deutscher Studien
Verlag. Weinheim 1996. Hierin vor allem der Beitrag von Joseph Walk:
Jüdische Sondererziehung im Dritten Reich. S. 45-70. |
| Zum 75.
Todestag von Bertha Pappenheim am 28. Mai 2011:
Bertha Pappenheim: Gebete / Prayers. Herausgegeben von Elisa Klapheck und Lara
Dämmig. Mit einem Nachwort von Margarete Susman (1936)
Zweisprachige Ausgabe (Deutsch und Englisch). 70 Seiten, Broschur, 2 Abbildungen, 4 Faksimiles.
ISBN 978-3-933471-41-3, EUR 14,00. |
Article from "The Encyclopedia of Jewish life Before and During the
Holocaust".
First published in 2001 by NEW
YORK UNIVERSITY PRESS; Copyright © 2001 by Yad
Vashem Jerusalem, Israel.
Neu-Isenburg
Hesse. Affiliated with neighboring Sprendlingen's
community, the Jews numbered 40 (0,5 % of the total) in 1900. Bertha Pappenheim
(1859-1936), a pioneer social worker, who founded Germany's League of Jewish
Women, established a training school there for unmarried mothers and homeless (mainly
illegitimate) girls in 1907. By 1933 it housed 150 trainees, but Pappenheim died
after a Gestapo interrogation and on Kristallnacht (9-10 November 1938),
the children's home was burned down. Only younger girls (evacuated to Britain)
survived the Holocaust. Of the 64 local Jews in 1933-35, 34 emigrated before
Worldwar II; the others dispersed throughout Germany, 15 of them dying in the
Holocaust.
vorherige Synagoge zur ersten Synagoge nächste Synagoge
|