Eingangsseite
Aktuelle Informationen
Jahrestagungen von Alemannia Judaica
Die Mitglieder der
Arbeitsgemeinschaft
Jüdische Friedhöfe
(Frühere und bestehende) Synagogen
Übersicht: Jüdische Kulturdenkmale
in der Region
Bestehende jüdische Gemeinden
in der Region
Jüdische Museen
FORSCHUNGS-
PROJEKTE
Literatur und Presseartikel
Adressliste
Digitale Postkarten
Links
| |
zurück zur Übersicht "Synagogen in der Region"
zu den Synagogen in
Baden-Württemberg
Leutkirch im
Allgäu (Kreis Ravensburg)
Jüdische Geschichte
(siehe auch die Website www.ortedeserinnerns-leutkirch.de)
Übersicht:
Zur jüdischen Geschichte
in Leutkirch
In Leutkirch waren im Mittelalter wenige Juden ansässig. Nach
der Reichssteuerliste von 1401 ist die Anwesenheit von Juden in der Stadt
bezeugt; 1413 wird Jud Salman aus Leutkirch in
Ulm genannt.
In den folgenden Jahrhunderten konnten sich keine Juden in der Stadt
niederlassen. 1528 u.ö. wurde nach den Ratsprotokollen die Bevölkerung
gewarnt: "Niemand soll sich von den Juden etwas entlehnen oder ihnen etwas
zum Pfand geben". 1792 kam der Sohn des Juden Simon Obernauer
"wegen Schulden in Arrest" in der Stadt.
Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zogen wenige jüdische Personen in Leutkirch
zu. Dabei handelte es sich insbesondere um die Familie Lippmann Gollowitsch.
Dieser kam 1882 als Hausierer ("mit Bauchladen") nach Leutkirch und
mietete einen kleinen Laden neben dem Aufgang zum Wirtschaftslokal im 1. Stock
der Wirtschaft "Zur Traube" gegenüber dem Kornhaus (Kornhausstraße
4). Im Handelsregister vom 18. November 1882 findet sich der Eintrag:
"Lippmann Gollowitsch, gemischtes Warengeschäft, vis à vis dem
Kornhaus". Gollowitsch führte Schuhe und Textilwaren. 1891 erwarb der den
Gasthof "Zum Wilden Mann" (Marktstraße 23) als Geschäftshaus und -
vermutlich nach Konkurs - den Gasthof "Zum Anker" (Marktstraße 25),
den er als "Kaufhaus zum Anker" umbaute. Seit 1913 hatte die Familie
ein Wohnhaus in der Karlstraße. 1925 kaufte Gollowitsch auch noch das
anschließende, sehr alte Gebäude "Zum Schatten" und erweiterte im 1.
Stock seine Geschäftsräume. Das Kaufhaus hatte zeitweise Filialen in der
Umgebung, u.a. von 1909 bis 1905 in Isny. Nach
dem Tod von Lippmann Gollowitsch am 25. Juni 1925 übernahmen seine
Söhne Fritz und Heinrich Gollowitsch das gut gehende Geschäft (12 Angestellte
als Verkaufspersonal). Es galt als das größte Geschäft in der Textilbranche
im württembergischen Allgäu.
Die Zahl der jüdischen Einwohner blieb in Leutkirch gering. Nach den
Ergebnissen der Volkszählungen gab es in Leutkirch erstmals 1875 zwei jüdische
Einwohner, 1880 elf, 1885 vier, 1890 fünf, 1895 sechs, 1900 sieben, 1905 sechs,
1910 fünf, 1925 neun, 1933 zehn.
Die in Leutkirch lebenden jüdischen Personen gehörten offiziell zur jüdischen
Gemeinde in Buchau. Dort wurden auch die aus
der Stadt verstorbenen jüdischen Personen beigesetzt (Lippmann Gollowitsch
1925).
1938 wurde das Geschäft der Familie Gollowitsch "arisiert" (zwangsenteignet).
Das Gebäude "Zum Schatten" wurde wenig später abgebrochen. Zwei
Töchter der Familien Gollowitsch konnten 1937 beziehungsweise 1939 emigrieren:
Tochter Margot nach England, wo sie einen Herrn Forbes heiratete (wohnhaft in
Oxford); Tochter Ilse in die USA (verheiratet mit Leo Neuberger, wohnhaft in
Philadelphia, Forest Hills). Am 29. August 1938 verstarb Rosa Weil aus Frankfurt
in Leutkirch, die hier ihren Lebensabend bei ihrer Tochter Lilly Helene
Gollowitsch geb. Weil und deren Mann Fritz Gollowitsch, den Lebensabend
verbracht. Mehrere Mitglieder der Familie kamen
nach den Deportationen ums Leben. Am heutigen Kornhaus neben dem ehemaligen Haus der
Familie Gollowitsch erinnert seit 1985 eine Gedenktafel an das Schicksal der
Familie.
Von den in Leutkirch geborenen und/oder längere Zeit am Ort
wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit
umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad
Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches
- Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Alice Gollowitsch geb.
Mayer (1897), Fritz (Friedrich) Gollowitsch (1888), Heinrich Gollowitsch (1890),
Julie Gollowitsch geb. Stern (1868), Lieselotte Gollowitsch (1925), Lilly Helene
Gollowitsch geb. Weil (1889). Irma Waldbaum geb. Gollowitsch (1914).
Berichte aus der
jüdischen Geschichte in Leutkirch
In jüdischen Periodika des 19./20.
Jahrhunderts wurden noch keine Berichte zur jüdischen Geschichte in
Leutkirch gefunden. |
Fotos / Dokumente
(Quelle der historischen Dokumente - wenn nicht anders angegeben: Stadtarchiv Leutkirch)
Erinnerungsarbeit
vor Ort - einzelne Berichte
November2008:
Erinnerungen an die Ereignisse beim Novemberpogrom
1938 |
Artikel in der "Schwäbischen
Zeitung" vom 5. November 2008: "Auch in Leutkirch gab es Scherben
LEUTKIRCH - 9. November 1938: Überall in Nazideutschland klirren Scheiben. Synagogen und jüdische Geschäfte werden angegriffen, beschädigt und zerstört.
Es begann gerade zu dunkeln, am 9. November 1938, als sich Otto Krimmer von der Herlazhofer Straße aus auf den Weg in die Stadt machte. 17 Jahre alt war er damals, sein Ziel: die Gruppenstunde der katholischen Jugend im Vinzentiushaus. Als er zum Marktplatz kam,
'standen da an die 100 Leute und haben sich leise unterhalten.' Das war ungewöhnlich um diese Zeit und der junge Mann wollte deshalb wissen:
'Was ist hier los?'
Die Antwort hat er noch heute im Ohr: 'Das ist eine Demonstration gegen den Gollowitsch."' Weil er noch nie im Leben eine Demonstration gesehen hatte, hockte sich der 17-Jährige auf die Stufen des Marktbrunnens und erlebte bald Erschreckendes: "Bei fortgeschrittener Dämmerung kam eine Gruppe Männer in Zivilkleidung zum Kaufhaus
Gollowitsch', erzählt der heute 87-Jährige im Gespräch mit der SZ. Ganz genau weiß er noch, was die Gruppe dabei hatte:
'eine Leiter, ein Beil, einen Kübel mit Farbe samt Pinsel und einen
Besen.'
Einer der Männer, Leutkircher SS-Leute, wie bald klar wurde, sei mit der Leiter am Haus an der Marktstraße - dem späteren Bredl und zuletzt NKD-Geschäft - hinaufgestiegen und habe mit dem Beil die Leuchtschrift
'Gollowitsch' zerschlagen. "Die Trümmer haben sie dann zusammengekehrt und in die Baugrube des abgebrochenen Hauses ,Schatten' geworfen" , erinnert sich Otto Krimmer. Und:
'Einer hat mit gelber Farbe auf das herabgelassene Metallgitter 'Juda, fahr nach
Amerika' gepinselt.'
Was bleibt, ist Angst. Die Zuschauer hätten das Geschehen stumm verfolgt. Nur ein Mann habe laut und vernehmlich gesagt:
'Das ist eine Schande!' Überhaupt, meint Krimmer, sei in Leutkirch kein Hass gegen die Juden und schon gar nicht gegen die Familie Gollowitsch spürbar gewesen. Eines freilich hat die Nacht des befohlenen Volkszorns in Leutkirch wie im ganzen Land zurückgelassen: Angst.
Auch Maria Walser hat die Szenen der Pogromnacht in Leutkirch noch im Kopf, und auch sie hatte Angst. "Ich habe das Klirren gehört", sagt die Zeitzeugin. 96 Jahre alt ist sie heute, damals hat sie schräg gegenüber, auf der anderen Seite der Marktstraße, gewohnt. Was sie an jenem Abend erlebte, hat Maria Walser
'so aufgeregt', dass sie nicht mehr allein im Haus sein wollte und die Nacht bei Bekannten verbracht hat.
Das Schicksal der jüdischen Familie machte auch sie betroffen. 'Die
Gollowitsch waren angesehene Leute', erinnert sich die weißhaarige Seniorin. "Es war so angenehm, in ihrem Geschäft einzukaufen. Und wenn in ihrem Laden was übrig geblieben ist, dann haben
sie's der Annapflege gegeben.'
Brüder in 'Schutzhaft'. Doch die Tage des Kaufhauses waren gezählt:
'Die beiden Gollowitsch-Brüder kamen in 'Schutzhaft' und das Geschäft ging durch Verkauf in arische
Hände', wie Emil Hösch in seiner Chronik 'In und um Leutkirch' (1993) schreibt. Die Familien Gollowitsch wurden deportiert, eines der beiden Ehepaare hat sich das Leben genommen, zwei Töchter konnten noch rechtzeitig in die Vereinigten Staaten beziehungsweise nach England auswandern." |
|
Juli 2011:
Verlegung von "Stolpersteinen" in
Leutkirch |
Artikel in der "Schwäbischen
Zeitung" vom 9. Juli 2011 (Artikel):
"Stolpersteine in Leutkirch erinnern an NS-Verbrechen
Am Montag voraussichtlich ab 16.30 Uhr kommt Gunter Demnig, der Initiator des weltweit größten dezentralen Gedenkprojekts, nach Leutkirch, um sogenannte Stolpersteine zu verlegen. Die Steine werden in die Gehwege vor dem Gebäude des Umweltkreises am Gänsbühl (neben Bockgebäude), vor der Lokalredaktion der Schwäbischen Zeitung und vor dem Haus in der Karlstraße 12 gesetzt. Die Aktion findet im Rahmen der Gedenkreihe
'Orte des Erinnerns' statt, die im Verlauf des Jahres mehrere Veranstaltungen geplant hat um an die Deportation der Familie Gollowitsch und der Geschwister Haßler zu erinnern." |
|
Juli bis September
2011: Ausstellung zur Familie
Gollowitsch in Leutkirch |
Mitteilung in der Website der Stadt
Leutkirch: "Ausstellung erinnert an Schicksal der Familie Gollowitsch.
Im Rahmen der Initiative "Orte des Erinnerns" wird im Museum im Bock, Gänsbühl 9,
vom 6. Juli bis 11. September 2011 eine Ausstellung über die jüdische Familie Gollowitsch gezeigt.
Die Gollowitsch waren seit Ende des 19. Jahrhunderts in Leutkirch ansässig und betrieben ein gut gehendes Kaufhaus in der Leutkircher Marktstraße. Ende der 1920er Jahre galt ihr Kaufhaus als das größte Haus der Textilbranche im württembergischen Allgäu.
Die Geschichte der Familie und ihres Kaufhauses vor und nach 1933, die Enteignung und der Abbruch des "Schatten" 1938, die Deportation, das Wiedergutmachungsverfahren in den 1950er Jahren sowie die Erinnerungskultur in Leutkirch sind Themen der Ausstellung. Dokumente und Fotos überwiegend aus dem Stadtarchiv Leutkirch, aber auch aus dem Notariat, dem Stadtarchiv Stuttgart sowie aus Privatbesitz dokumentieren auf Stellwänden und in Vitrinen das Schicksal der Familie.
Gleichzeitig ist im Museum im Bock auch die Ausstellung "Leutkirch im Nationalsozialismus - Zeitzeugen erinnern sich" zu sehen. 16 Schüler des Hans-Multscher-Gymnasiums haben sich im Rahmen eines Seminarkurses mit der Geschichte Leutkirchs in der NS-Zeit beschäftigt. Das Ergebnis ihrer Forschungen, vor allem Gespräche mit Zeitzeugen und intensive Recherchen im Stadtarchiv, präsentieren sie auf je einer Ausstellungstafel. Die Themen reichen von Gleichschaltung, Propaganda und Euthanasie über die Rolle der Kirchen im Dritten Reich bis zu Zwangsarbeitern, Widerstand und Kriegsende.
Das Museum im Bock ist an Sonn- und Feiertagen von 10 - 12 Uhr und von 14 - 17 Uhr und am Mittwoch von 14 - 17 Uhr geöffnet." |
|
|
Links und Literatur
Links:
Literatur:
| Veitshans: Historischer Atlas Bd. 5, S. 43. |
| Germania Judaica Bd. II,1 S.479. |
| Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des
Widerstandes und der Verfolgung. Baden-Württemberg Bd. 5,2 1997. S.
230-231. |
| Richard Kämmerle: Die Leutkircher Familien Gollowitsch und Sauer. Schicksale nationalsozialistischer Judenverfolgung. Abschlussarbeit zur 1. Staatsprüfung für das Lehramt. Freiburg 1994. |
vorherige Synagoge zur ersten Synagoge nächste Synagoge
|