Vorbemerkung: diese Seite bei
"Alemannia Judaica" zu Erfurt enthält nur einige unvollständige Informationen zur reichen Geschichte der Erfurter Juden und
ihrer Synagogen. Bitte besuchen Sie für weitere Informationen die oben
angegebene Website.
In Erfurt bestand eine bedeutende jüdische Gemeinde bereits im Mittelalter.
Schon im 8./9. Jahrhundert hielten sich jüdische Kaufleute in Erfurt auf. Das
erste schriftliche Zeugnis der Existenz von Juden in der Stadt ist der
"Erfurter Judeneid", den Erzbischof Konrad I. von Mainz nach 1183
ausstellte. Ende des 12. Jahrhunderts war auch eine erste Synagoge vorhanden.
Kaiser Otto IV. verlieh das "Judenschutzgeld" aus Erfurt 1212 dem
Erzbischof von Mainz. Am 26. Juni 1221 fand erstmals ein Pogrom gegen
Juden in Erfurt statt, wobei 26 Juden von friesischen Kaufleuten erschlagen
wurden. 1266 wurden jüdische Häuser und die Synagoge geplündert. Ende
des 13. Jahrhunderts gehörten der jüdischen Gemeinde etwa 150 Mitglieder an. Jüdischen
Familien gehörten 15 Häuser, davon zwei massive Steinhäuser. Die schlimmste
Verfolgung über die Juden kam mit der Pestzeit. Auch in Erfurt verbreitete sich
die Lüge, Juden hätten die Brunnen vergiftet. Am 21. März 1349 wurde
das Judenviertel von Teilen der Bevölkerung gestürmt. Etwa 100 Juden wurden
ermordet; die Überlebenden starben an Suizid oder flüchteten aus der Stadt.
Seit 1354 lassen sich wieder Juden in Erfurt nachweisen. In den folgenden
Jahren blühte das jüdische Gemeindelieben wieder auf. 1375 musste der Friedhof
bei St. Andreas in der Nähe des Moritztores erweitert werden. 1391 tagte
eine Rabbinersynode in Erfurt. In dieser Zeit entwickelte sich die
Erfurter jüdischen Gemeinde auf Grund ihrer Größe und der Autorität ihrer
Gelehrten und Rabbiner zu einer der angesehensten und bedeutendsten jüdischen
Gemeinden im Deutschen Reich.1398
hatte die Gemeinde etwa 350 Mitglieder. Insgesamt wurden die Lebensbedingungen
der Juden jedoch immer schwieriger. 1443-1453 war Jacob Weil (aus Weil
der Stadt) Rabbiner in Erfurt. 1457/58 wurden die Erfurter Juden
vertrieben. Ein Großteil flüchtete nach Osteuropa. Ein kleinerer Teil zog in
Städte und Dörfer der weiteren Umgebung, nach Meiningen,
Berkach,
Gleicherwiesen usw. Der Besitz der Juden wurde von der Stadt Erfurt übernommen.
Der jüdische Friedhof wurde entweiht und geschändet. Auf ihm wurde der Kornhof
gebaut, wofür man die Grabsteine verwendete.
Nach der Vertreibung der Juden war Erfurt 350 Jahre ohne jüdische Einwohner.
Erst Mitte des 18. Jahrhunderts gab es erste Erleichterungen: zwischen
1768 und 1789 konnten sich vier Juden längere Zeit in der Stadt niederlassen.
Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts konnten jüdische Kaufleute wieder in die
Stadt kommen. 1810 erhielt der erste Jude das städtische Bürgerrecht.
Wenig später konnte sich eine Gemeinde bilden, die einen Betsaal einrichten und
1812 einen Friedhof in der heutigen Cyriakstraße anlegen konnte. 1854
lebten 150 jüdische Personen in der Stadt. Danach begann durch Zuwanderung aus
den "Judendörfern" der weiteren Umgebung ein schneller Aufstieg der
Gemeinde. Jüdische Unternehmer beteiligten sich an der Industrialisierung der
Stadt. Viele bauten Geschäfte und Handelsbetriebe auf oder waren als Rechtsanwälte,
Ärzte, Lehrer, Bankiers, Verleger oder Handwerker tätig. 1871 wurde ein
neuer Friedhof
angelegt, da der alte an der Cyriakstraße nicht mehr erweitert werden konnte.
Mehrere jüdische Vereine wurden in der zweiten Hälfte des 19.
Jahrhunderts gegründet und prägten das jüdische Gemeindeleben (Wohltätigkeits-
und Begräbnisverein Chewra Kadischa e.V. 1856, Israelitischer
Frauenverein e.V. 1857, Verein für jüdische Geschichte und Literatur 1898,
Erfurt-Loge des Unabhängigen Orden B'nei B'rith, U.O.B.B. 1901, Verein Bikur
Cholim - Krankenfürsorgeverein). Die Zahl der jüdischen Gemeindeglieder
stieg von 191 (1853) über 479 (1860) auf 782 (1900). Eine jüdische Religionsschule
bestand seit 1860.
Unter den Rabbinern der jüdischen Gemeinde waren Dr. Isaak Heilbronn
(1859-61), Dr. Adolf Jaraczewsky (1862-1878), Dr. J. Caro (1879-1882), Dr.
Theodor Kroner (1883-1886), Dr. Moritz Salzberger (1887-1924), Dr. Max Schüftan
(1924-1926) und Dr. Peter Freund (1938ff). Eine Übersicht
zu den Rabbinern in Erfurt siehe auf der Textseite.
In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg verschärften sich in Erfurt die
Angriffe durch die Antisemiten. 1924 wurde die Synagoge erstmals mit NS-Parolen
beschmiert.
1932 lebten 819 jüdische Personen in der Stadt. Erster Vorsitzender der
jüdischen Gemeinde war Siegfried Pinthus, Zweiter Vorsitzender Rechtsanwalt F.
Meyer; Schatzmeister war Rechtsanwalt Dr. H. Stern. Die Vorsitzenden der Repräsentanz
waren Eduard Sabor und Max Arenstein. Als Lehrer und Kantor wirkte Hermann
Schacher.
1933 begann der von den Nationalsozialisten organisierte Boykott von jüdischen
Unternehmen, Geschäften, Arzt- und Anwaltspraxen. Bis 1936 ging die Zahl
der jüdischen Einwohner auf 660 Personen (1939 263 Personen) zurück. Die in
der Stadt noch lebenden jüdischen Einwohner wurden von 1942 bis Anfang 1945
in die Konzentrationslager Theresienstadt und Ravensbrück sowie in die
Vernichtungslager Auschwitz, Majdanek und Belzec verschleppt. Nur wenige überlebten
die Zeiten in den Lagern.
Nach 1945 zogen zunächst nur wenige jüdische Personen wieder in der Stadt zu (Überlebende
aus Konzentrationslagern, nur wenige davon aus dem Vorkriegs-Erfurt.). Ein
erstes Gemeindezentrum entstand in gemieteten Räumen Am Anger 30/32, bis am 31.
August 1952 (10. Ellul 5712) eine neue Synagoge mit Gemeindezentrum
eingeweiht werden konnte. Auf Grund der Auswanderung der zunächst wieder zugezogenen
jüdischen Personen nach Israel und auf Grund der politischen Situation in der
DDR kam 1953 fast schon das endgültige Aus für die Gemeinde. Der Antijudaismus
in Ländern des Ostblocks sowie die Verunglimpfung des Staates Israel hatte dazu
geführt, dass ca. zwei Drittel der in der damaligen DDR lebenden Juden flüchteten.
Die damalige Erfurter jüdische Gemeinde war - nach Auflösung einiger anderer
nach 1945 in Thüringen neu begründeter Gemeinden - nun die einzige in Thüringen
noch bestehende jüdische Gemeinde.
Erst durch die Zuwanderung von jüdischen Aussiedlern aus
den ehemaligen GUS-Staaten seit den 1990er-Jahren stieg wieder die Zahl der
jüdischen Einwohner in der Stadt. 1990 wurden nur noch 26
Gemeindemitglieder gezählt. 2005 zählte die Gemeinde etwa 600 Mitglieder, davon zwei
Drittel in Erfurt. 2012 gab es 840 Gemeindeglieder in ganz Thüringen,
davon etwa 500 in Erfurt.
Das mittelalterliche jüdische Wohngebiet befand sich bis zur Verfolgung
und Zerstörung der Gemeinde in der Pestzeit im Bereich vom
Ackerhof bis zum Benediktsplatz. Hier befand sich die Synagoge der
jüdischen Gemeinde. Bei dem bis heute erhaltenen Gebäude handelt es sich um
die älteste bis zum Dach erhaltene Synagoge in Mitteleuropa. Bei intensiven
Untersuchungen der vergangenen Jahre konnten vier Bauphasen von insgesamt
drei Synagogen festgestellt werden. Die sichtbare Westfassade mit der
Maßwerkrosette und den spitzbogigen Fenstern ist auf das Jahr 1270 zu datieren.
Der älteste festgestellte Mauerzug in der Flucht der Westfassade (erste
Bauphase) stammt jedoch bereits aus der Zeit um 1100. Dieser
romanische Synagogenbau hatte wahrscheinlich quadratischen Grundriss. Die
romanische Synagoge einer zweiten Bauphase ist gleichfalls nur durch ein
Mauerfragment und ein Zwillingsfenster nachweisbar. Diese zweite Synagoge ist
während eines Pogroms 1221 oder 1266 oder beim Stadtbrand 1222 niedergebrannt.
Um 1270 wurde ein Neubau erstellt (dritte Bauphase); diese dritte
Synagoge hatte einen querrechtwinkligen Grundriss (Grundriss in der Größe
von etwa 16 m x 9 m; Höhe etwa 10 m). Ein Anbau auf der Nordseite wurde am
Anfang des 14. Jahrhundert erstellt (vierte Bauphase). Beim Pestpogrom
1349 wurde die Synagoge profanisiert und als Warenlager zweckentfremdet. Das
Gebäude blieb jedoch über die Jahrhunderte
erhalten.
2. Hälfte 14. Jahrhundert / 15. Jahrhundert: Die wenige Jahre nach
dem Pestpogrom wieder entstandene jüdische Gemeinde konnte im Bereich des
Parkplatzes hinter dem Rathaus eine neue Synagoge erbauen (zweite
Synagoge). Reste dieser Synagoge befinden sich vermutlich unter diesem
Parkplatz. Im September 2012 wurde der Schlussstein wiedergefunden.
Im 19. Jahrhundert war im ehemaligen Synagogengebäude (gemeint das
Synagogengebäude der Gemeinde vor dem Pestpogrom) das Kaffeehaus bzw. ein Restaurant mit
Kegelbahn und Tanzsaal (1886 eingebaut). Über die "Wiederentdeckung"
und Restaurierung siehe die unten wiedergegebenen
Presseberichte.
Die ehemalige mittelalterliche
Synagoge ist seit der Eröffnung am 27. Oktober 2009 Museum und Begegnungsstätte
undder
Öffentlichkeit zugänglich. In den Kellergewölben wird der
vor einigen Jahren in Erfurt gefundene Goldschatz präsentiert.
Auch die mittelalterliche Mikwe ist seit
dem 4.
September 2011 für die Öffentlichkeit
zugänglich.
Oben: Westfassade mit
der
Maßwerkrosette (um 1270;
Foto: Uwe Gaasch)
Innenbereich - im 19.
Jahrhundert
Tanzsaal (Foto: Uwe Gaasch)
Altes Gebälk und
Schablonenmalerei
Vollendete
Goldschmiedekunst:
Der jüdische Hochzeitsring
aus der Gotik
Die
mittelalterliche Synagoge im August 2010 (Fotos: Hahn, Aufnahmen vom 23. und 24.8.2010)
Blick von
Nordwesten
Die
Westfassade mit der Maßwerkrosette (um 1270)
Unter
Glas geschützt: Reste des
Zwillingsfensters aus der
zweiten Bauphase
Blick
auf die unmittelbar bei der Krämerbrücke (Häuser im Hintergrund
beziehungsweise rechts)
gelegenen Ausgrabungsstätte der mittelalterlichen Mikwe
Ausgrabungsstätte
mit Hinweistafel mit Text: "Archäologische Grabung
mittelalterliche Mikwe.
Bei den Vorarbeiten zur Umgestaltung des Kreuzsandes wurde neben mehreren
Kellern des 16. Jahrhunderts auch ein älterer Gewölbekeller entdeckt. Er
weist ein Untergeschoss aus großen Steinquadern auf. Zweigeschossigkeit
und die außerordentliche Qualität zeigen, dass es sich dabei um das seit
1250 urkundlich belegte rituelle Bad der jüdischen Gemeinde, die so
genannte Mikwe handelt Die archäologischen Grabungen des Thüringer
Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie sollen Funktionsweise und
Geschichte des Bades klären. Nach Abschluss und Auswertung der
archäologischen Grabungen beabsichtigt die Landeshauptstadt Erfurt, die
Mikwe in die Freiflächengestaltung einzubeziehen." Hinweis: seit dem 4. September 2011 kann die Mikwe besichtigt werden
Oktober
2009: Älteste bis zum Dach erhaltene Synagoge eröffnet in Erfurt als Museum
- Das Baudenkmal wird zugleich Exponat Nummer Eins
Das zugleich "älteste und jüngste Museum der Stadt", wie es Erfurts Oberbürgermeister Andreas Bausewein formulierte, wird am
27. Oktober 2009 eröffnet. Die Stadt, die in den letzten Jahren ihre Altstadt aus dem grauen Schmuddellook vergangener Jahrzehnte befreite und seitdem mit dem Flächendenkmal lockt, hat damit nicht nur ein neues Museum vorzuweisen, sondern stieß auf eine sensationelle Historie. Mit der Alten Synagoge kann Erfurt die älteste bis zum Dach erhaltene Synagoge in Mitteleuropa vorweisen. Und es rücken immer mehr Zeugnisse aus der Geschichte einer der wichtigsten jüdischen Gemeinden des Mittelalters in den Blickpunkt.
Die von Bauhistorikern und Denkmalpflegern in den letzten Jahren intensiv untersuchte und sanierte Alte Synagoge birgt nach der Museumsöffnung einen in der Nachbarschaft gefundenen Gold- und Silberschatz sowie hebräische Handschriften Erfurter Herkunft als wichtigste Exponate in sich. Aber vor allem verbirgt und enthüllt es viele Schichten der Nutzung und die beispiellose Renaissance eines fast vergessenen Ortes.
Von der Alten Synagoge waren bis Ende der 90er Jahre nur die Spitze zweier Giebel sichtbar, welche aus einem Gewirr von Anbauten herausragten. Nur wenige Fachleute waren sich der Bedeutung bewusst, man erhoffte den Rest einer mittelalterlichen Synagoge zu finden. Nach dem Abriss einiger Bauten ringsum konnte ein Bauforscher klar vier Bauphasen voneinander unterscheiden, dessen älteste um 1100 zu datieren ist. Die heute sichtbare Westfassade mit der Maßwerkrosette von 1270 wurde nach Norden erweitert. Spolien verweisen auf einen Vorgängerbau, der bei einem Pogrom gebrannt hat.
Die Synagoge diente bis 1349 als Gotteshaus, in diesem Jahr löschte ein barbarisches Pestpogrom die erste jüdische Gemeinde Erfurts aus. Die Stadt verkaufte das Gebäude an einen Händler, der es als Speicher umbauen ließ. Dabei wurde der hohe Raum mit Balkendecken unterteilt, ein breiterer Eingang an Stelle des Thoraschreins geschaffen und die Synagoge unterkellert. Im Erdgeschoss zeugen noch einige Spuren von der Erstnutzung, so lässt sich ein Lichtergesims nachempfinden.
Das Erdgeschoss mit der wuchtigen gotischen Balkendecke und der Keller werden ebenso wie das Obergeschoss, welches von der Festkultur des 19. Jahrhunderts zeugt, museal genutzt. Oberhalb des Speichers entstand ein mit einer umlaufenden Empore umgebener Tanzsaal. Wer heute den Saal betritt, der fühlt sich in die vergangene Welt von Tango und Foxtrott unter Gouvernantenaufsicht zurückversetzt. Die freigelegte und mit einer Sichtachse konstruierte Schablonenmalerei sowie einige Tapetenreste schmücken die Wände. Hier werden ab Oktober Zeugnisse jüdischer Gelehrsamkeit in einer faszinierenden Umgebung gezeigt. Während das Erdgeschoss der Bauhistorie vorbehalten ist und der Keller den Erfurter Schatz aus Münzen, Gefäßen, gotischem Schmuck und dem jüdischen Hochzeitsring in sich birgt, wird im Saal eine Sammlung von hebräischen Handschriften gezeigt. Diese Hebraica sind im Umfeld der Synagoge entstanden, sie gehören heute der Staatsbibliothek Berlin. Abwechselnd können sie in Erfurt als Faksimile oder im Original bestaunt werden.
Mit der Alten Synagoge und einer 2007 an der Krämerbrücke gefundenen Mikwe aus der Gotik, deren Ausgrabung und wissenschaftliche Erforschung noch anhält, kann Erfurt einmalige und faszinierende Zeugnisse einer noch wenig bekannten Geschichte einer mittelalterlichen Gemeinde vorweisen.
Zeugnis einer mittelalterlichen Kultusgemeinde
- Forscher weist romanische Vorgängerbauten nach
"Fachleute wussten von der Existenz dieser Synagoge, aber…" Wenn dieser Satz fällt, und er wird häufig so oder ähnlich formuliert, folgt auf jeden Fall ein Ausspruch des Staunens.
Nach den ersten bauhistorischen Forschungen, welche Anfang der 90er Jahre durch den erfahrenen Bauhistoriker Elmar Altwasser erstellt wurden, wurde vorsichtig von zwei Bauphasen ausgegangen. Die bis vor wenigen Jahren kaum sichtbare Westfassade mit der Maßwerkrosette und den spitzbogigen Fenstern ist auf das Jahr 1270 zu datieren, Anfang des 14. Jahrhunderts erfolgte ein nördlicher Anbau an den Synagogenraum. Wurden die ersten Erkenntnisse für den Bauhistoriker nur mit artistischem Geschick erreichbar, da der Bau außen umbaut und innen verschalt war, besserte sich die Situation nach Abriss der umgebenden Häuser. Inzwischen konnte der Bauhistoriker das einst nebulöse Bild über die Synagoge in den Bereich der Vergangenheit verweisen und hat dem Bau eine nachvollziehbare Geschichte mit vier Bauphasen der Synagoge und einer turbulenten Nutzung danach zuschreiben können.
Der älteste Mauerzug wurde in der Flucht der Westfassade von jüngeren Befunden überdeckt, er ist inzwischen auf einer Länge von fast sieben Metern 90 Zentimeter hoch sichtbar. Die Quader sind an dieser Stelle verputzt und mit Ritzfugentechnik versehen. Diese Technik kam in Thüringen frühestens im letzten Viertel des 11. Jahrhunderts auf.
Aus dem Achsabstand zweier Fenster rekonstruierte der Bauforscher einen wahrscheinlich quadratischen Grundriss dieses romanischen Vorgängerbaus. Ein besonderes architektonisches Detail wirft Fragen auf, lässt aber auch historisches Erleben ahnen. Im Mauerwerk des nachfolgenden Baus befindet sich ein aus einem Monolithen gemeißeltes Rundbogenfenster, welches liegend eingemauert wurde, und mit großer Sicherheit eine Spolie aus einer vielleicht zerstörten Synagoge ist. Die Art der Einmauerung würde dafür sprechen.
Die romanische Synagoge einer zweiten Bauphase ist ähnlich der ersten Synagoge nur durch ein Mauerfragment und in diesem Fall ein Zwillingsfenster als Befunde nachweisbar. Die ehemals sehr sorgfältig bearbeiteten Quader sind zersprungen und auch der Sandstein des Zwillingsfensters weist Spuren der Hitze auf. Ob die Synagoge während eines Pogroms 1221 oder 1266 oder bei dem Stadtbrand 1222 gebrannt hat, kann nicht mehr rekonstruiert werden.
Ein Teil der romanischen Westmauer wird beibehalten, während um 1270 ein Neubau entsteht. Das Gebäude hat den für eine Synagoge ungewöhnlichen querrechtwinkligen Grundriss und die Bauforschung hat weitere Abweichungen vom Kanon der anderen ashkenasischen mittelalterlichen Synagogen ergeben. Die noch heute sichtbare Westfassade mit den sechs unterschiedlichen Fenstern ist aufwändiger gestaltet, als bei anderen Synagogen dieser Zeit. Konsolsteine verweisen auf einen Anbau, der eventuell ein Frauenbetraum gewesen sein kann.
Das Rundfenster ist mit einem Maßwerk in Form von sechs Dreipässen versehen, welches aus einem Werkstein gearbeitet wurde. Die oberen Fenster liegen im Geibeldreieck, so dass man daraus auf die Höhe des einstigen Betsaales schließen kann.
Wenn heute die Synagoge von Norden betreten wird, betritt man zunächst den Anbau des 14. Jahrhunderts. Die Synagoge wurde nach einem Pestpogrom 1349 profanisiert, diente erst als Warenlager. Später entstanden hier Einbauten einer Gaststätte, welche nicht ahnen ließen, in welch einem Raum man sich befand. Thoraschrein und Lesepult, Bima, sind durch den Einzug von Decken 1350 verloren gegangen. Einige Werksteine im Keller, der nach der Umnutzung als Lager eingebaut wurde, lassen auf die wahrscheinliche Form der Bima schließen, es könnte eine achteckige Bima mit Arkatur sein. Das Lichtergesims, auf welchem die Kultusgemeinde mit Kerzen den Gottesdienst beleuchtete, lässt sich rekonstruieren.
Der 1886 eingebaute Tanzsaal war in den letzten Jahren verbaut, nun ist auch er wieder erlebbar. Die Denkmalpflege hat bewusst die Nutzungsschichten belassen, das Haus lebt von den liebenswerten Kontrasten.
Alte Synagoge Erfurt – Exponate:
Ein seltener jüdischer Hochzeitsring aus der Gotik
Eigentlich erscheint es schwer, unter den vielen hochkarätigen Stücken des Erfurter Schatzes einen Favoriten zu finden. Die hochgewölbten Löwen einer Spange faszinieren ebenso wie die Häufelbecher oder der Doppelkopf, welcher am Boden die emaillierte Darstellung Äsopscher Fabeln zeigt. Eines der Schmuckstücke, welches im ehemaligen jüdischen Viertel der Stadt gefunden wurde, kann zu Recht als das bemerkenswerteste Stück des Fundes bezeichnet werden. Der gotische Hochzeitsring zeugt nicht nur von vollendeter Goldschmiedekunst, sondern auch von jüdischer Kultur und traditionellen Zeremonien.
Der fast fünf Zentimeter hohe Ring besteht aus reinem Gold, nach der mittelalterlichen jüdischen Tradition durfte dieses zeremonielle Schmuckstück nicht mit Steinen verziert sein. Er wurde nur zur Zeremonie der Eheschließung getragen. Die ineinander greifenden Hände an der Unterseite des Ringes sind ein Symbol für Verbundenheit und Treue der Eheleute. Zwei geflügelte Drachen tragen die sehr fein gearbeitete gotische Architektur des Ringes, ein Miniaturgebäude, welches wahrscheinlich den im Jahre 70 n. Chr.
zerstörten Herodianischen Tempel in Jerusalem symbolisiert. Die spitzbogigen Arkaden und der Dreipass der Giebel tragen das hohe goldene Dach mit der Inschrift in hebräischen Buchstaben masel tow. Noch heute rufen Verwandte und Freunde bei einer traditionellen jüdischen Trauung den Wunsch masel tow – viel Glück aus, wenn das Brautpaar unter der Chuppa das Glas zertritt. Innerhalb des kleinen Tempels findet sich eine kleine goldene Kugel, welche bei Bewegungen einen leisen Klang erzeugt.
Bisher sind nur zwei weitere Hochzeitsringe aus dem 13. und 14. Jahrhundert bekannt. Einer von ihnen wurde auch in Mitteldeutschland, in Weißenfels, gefunden. Die aufwändige Tempelarchitektur des Erfurter Ringes ist von der Qualität aber unerreicht. Der Kaufmann, welcher ihn mit seinen Schätzen im Vorfeld des Pestpogroms versteckt hatte, lebte an einer wichtigen Fernhandelsstraße.
Alte Synagoge Erfurt – Exponate:
Erfurter Judeneid zeugt von bedeutender Kultusgemeinde
Fast quadratisch liegt das Stück Pergament in einer Schatulle, die exakt geformten gotischen Buchstaben verleihen dem mittelhochdeutschen Dokument ebenso seine faszinierende Ausstrahlung wie das angehängte Wachssiegel. Die Rede ist vom Erfurter Judeneid, geschrieben vor 1200. Es ist damit eines der ältesten Dokumente, welches von der Existenz einer jüdischen Gemeinde zeugt.
Der Erfurter Judeneid wird ab Oktober ständig als Faksimile und zeitweilig auch im Original im Obergeschoss der Alten Synagoge Erfurt gezeigt. Das mit farbigen Seidenfäden angehängte Siegel mit dem Stadtheiligen Martin im Bischofsornat ist das älteste erhaltene Stadtsiegel Erfurts. Zu dieser Zeit fiel der Judenschutz noch nicht in die Befugnisse des städtischen Rates bzw. dessen Vorgänger, aber es gab derartige Bestrebungen. So wird das auf dem Kopf stehende Siegel erklärbar.
Das Dokument, in der zweiten Amtszeit von Erzbischof Konrad I. (gestorben 1200) von Wittelsbach entstanden, ist heute nicht nur Zeugnis dafür, dass die Erfurter Judengemeinde bedeutend gewesen sein muss, sondern auch von deren Gleichberechtigung. Anstelle des christlichen Schwures vor Gericht schuf man für Juden eine dreizehnzeilige Formel, welche mit Anspielungen auf das Alte Testament vor Meineid warnte. Geschworen wurde auf die fünf Bücher Moses.
Auch wenn das Dokument nicht dem Aufbau einer Urkunde jener Zeit entspricht, hat es doch verbindlichen rechtlichen Charakter. Es ist im Corpus der altdeutschen Originalurkunden vor 1300 auf Platz Eins verzeichnet. In diesem Blatt zeigt sich eine Mischung deutscher Rechtsauffassung und hebräischer Religiosität. Die Eidesformel ist so abgefasst, dass sie jeden angeklagten Juden vor einem christlichen Gericht in die Lage versetzt, der Anklage durch einen Widerspruch entgegen treten zu können. Schon im 19. Jahrhundert war man sich durchaus des Wertes des Dokuments bewusst. Nachdem Erfurt zu Preußen kam, wurden die Archivalien des Regierungsarchivs nach Magdeburg verbracht. Fast einhundert Jahre später konnte man den Judeneid in das Stadtarchiv zurückholen. Eide dieser Art waren in Teilen Europas vom frühen Mittelalter bis zum Ende des 19. Jahrhunderts verbreitet. In Frankreich und Österreich wurde der Judeneid 1846, in Preußen am 15. März 1869 abgeschafft. Dieses Erfurter Dokument enthält noch keine entehrenden Zusätze, wie es bei späteren ähnlichen Dokumenten lesbar wird.
Jüdisches Ritualbad wird für Besucher sichtbar werden
Für Laien sind es auf den ersten Blick nur alte Mauern, welche ursprünglich von Erdmassen verdeckt, jetzt akribisch freigelegt und analysiert wurden. Eigentlich war es ein
"bewusster Zufallsfund", wird im Thüringischen Landesamt für Archäologie und Denkmalpflege über den Fund der Mikwe in der Nähe der Erfurter Krämerbrücke 2007 gespöttelt. Man vermutete aufgrund geänderter Grundstücksbezeichnungen das rituelle Bad der mittelalterlichen jüdischen Gemeinde in Erfurt etwas weiter nördlich. Bei den Grabungen dort stieß man aber auf Keller aus dem 16. Jahrhundert. Die einstürzende Ufermauer bot den Anlass für die Grabungen, das qualitätvolle gotische Mauerwerk und die Kragsteine auf Fußbodenhöhe erweckten die Aufmerksamkeit. Dabei wurde dann das Ritualbad gefunden.
Die Arbeiten innerhalb der Mikwe konnten im Herbst 2008 abgeschlossen werden, inzwischen ist die Rekonstruktion der Anlage möglich. Eine erste Anlage des Bades, dessen Besuch für Frauen nach Menstruation und Entbindung sowie bei Männern nach Berührung mit Toten unerlässlich war, stammt aus romanischer Zeit. Reste dieses Baus wie eine wieder verwendete Wand sowie die Mörtelanalysen des Kalksteinmauerwerks lassen diese Folgerung zu.
Der Nachfolgebau wurde auf der Südseite genau vor die alte Südwand geblendet, mit wenigen Zentimetern Zwischenraum. Er nutzte auch die Westwand weiter, an dieser Stelle beginnt der Beckenbereich des Neubaus mit seiner Stufenanlage. Nach dem Entfernen des Bauschuttes konnte die unterste Stufe freigelegt werden. Weitere Stufen sind durch Abdrücke rekonstruierbar. So lässt sich der Zugang rekonstruieren, über acht Stufen wird das Becken erreicht. Bei gleich bleibenden Stufenhöhen könnte noch ein Absatz dazwischen sein, von dem aus die Erfüllung der rituellen Pflichten beobachtet werden konnte.
Das Becken nahm die Raumbreite ein und war mit Kalkplatten ausgelegt. Durch diese konnte das Wasser emporsteigen und somit wurde die Mikwe getreu der religiösen Forderungen mit
"lebendigen Wasser" gespeist. Auch heute verfüllt sich das Becken noch mit Grundwasser.
Die Mikwe der mittelalterlichen jüdischen Kultusgemeinde wird zusammen mit dem Museum Alte Synagoge wichtige Einblicke in das Gemeindeleben ermöglichen können. Für 2009 sind noch archäologische Untersuchungen des Umfeldes geplant. Dann wird eine architektonische Form gefunden, um das Kultbad den Besuchern angemessen sichtbar zu machen.
Mit einem Festakt eröffnete die Stadt Erfurt heute die Alte Synagoge als Museum für mittelalterliche jüdische Kultur. Die Präsidentin des Zentralrates der Juden in Deutschland, Dr. Charlotte Knobloch, zeigte sich während der Feierstunde im Rathausfestsaal und beim anschließenden Museumsbesuch sichtlich beeindruckt.
Bei einer Veranstaltung zur Eröffnung im Rathausfestsaal waren neben der Präsidentin des Zentralrates der Juden in Deutschland, Dr. Charlotte
Knobloch u.a. anwesend: der Botschafter des Staates Israel in der Bundesrepublik Deutschland, Yoram
Ben-Ze'ev, der Thüringer Kultusminister, Bernward Müller, die Bürgermeisterin der Erfurter Partnerstadt Haifa, Brigadegeneralin a.
D. Hedva Almog, der Vorsitzender der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen, Wolfgang
Nossen, die Generaldirektorin der Staatsbibliothek zu Berlin, Barbara Schneider-Kämpf sowie
der Präsident des Thüringischen Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie, Dr. Sven Ostritz.
Fotos (Stadt
Erfurt)
Die Ehrengäste informieren sich über die Baugeschichte der Alten Synagoge. Zur Veranschaulichung der Baugeschichte des Gebäudes werden anhand von vier Modellen die Bauphasen der Synagoge dargestellt.
Die Torarolle ist eine Leihgabe der Staatsbibliothek zu Berlin. In der Staatsbibliothek wird ein Konvolut hebräischer Handschriften bewahrt, die aus Erfurt stammen und zwischen 1100 und 1349 entstanden sind.
Im Obergeschoss werden mittelalterliche Handschriften gezeigt, die das überaus entwickelte Geistesleben der Erfurter Gemeinde belegen. Darunter die Bibel Erfurt 1, sie besteht aus zwei jeweils 50 Kilogramm schweren Bänden und ist damit die größte hebräische Bibelhandschrift und ist eine Leihgabe der Staatsbibliothek zu Berlin.
Die Alte Synagoge ist täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr geöffnet.
Artikel von Martin
Moll in der "Thüringischen Landeszeitung" vom 19. Februar 2010
(Artikel):
"Privater Ort mitten im Leben. Erfurt - Altstadt. (tlz) Einen neuen Platz zum Verweilen soll es noch in diesem Jahr nordwestlich der Krämerbrücke geben: Einen Platz mit kultur-historischem Flair. Die mittelalterliche Mikwe wird gesichert und zugänglich gemacht; gestern übergab Thüringens Kultusminister Christoph Matschie in der Alten Synagoge einen Bewilligungsbescheid über
430.000 Euro an Bürgermeisterin Tamara Thierbach. Fünf Architekturbüros hatten Vorschläge eingereicht, wie die 2007 freigelegten Überreste der Mikwe vor der Witterung geschützt und zugleich ins Stadtbild integriert werden könnten. Am besten gemeistert hat nach Ansicht der Stadt diesen Spagat zwischen Zeigen und Verbergen das Weimarer Architekturbüro
Gildehaus.reich - die Mikwe soll einerseits in einem musealen Kontext gezeigt werden, andererseits aber ihrer ursprünglichen Funktion als ritueller Raum Rechnung tragen.
'Die Idee ist, die Atmosphäre des Ortes in gewisser Weise
wiederherzustellen', sagt Architekt Felix Flechtner. 'Enge, Dunkelheit und vor allem Intimität waren uns
wichtig.'
Wärmegedämmt und auf einer Unterkonstruktion ruhend, wird eine Hülle die archäologischen Funde schützen und konservieren. Darüber wird eine Aussichtsplattform installiert, an zwei Stellen wird ein Blick auf die alte Mikwe ermöglicht.
Ein barrierefreier Zugang von der Uferseite des Breitstroms gibt den Weg in einen schmalen Gang zur Mikwe frei. Informationstafeln im Eingangsbereich informieren über das rituelle Tauchbad der jüdischen Gemeinde im mittelalterlichen Erfurt. Im Inneren blicken die Besucher auf das ehemalige Tauchbecken, das nach wie vor Wasser führen wird.
'Nach der Sanierung der Alten Synagoge wird auch die nun beginnende Sicherung und Präsentation des jüdischen Bades hinter der Krämerbrücke ein weiteres Stück jüdischen Lebens in Thüringen sichtbar
machen', sagte Matschie gestern bei der Präsentation der Baupläne. Das Land unterstütze das Anliegen, Erfurt auf die Liste des UNESCO-Welterbes zu setzen, so der Kultusminister.
Die Präsentation der mittelalterlichen Mikwe sei zudem ein Zeichen dafür,
'dass das jüdische Leben einen festen, unauslöschlichen Platz in unserer Gesellschaft hat. Wir wollen ein weltoffenes Land sein, in dem alle Menschen gern leben, egal woher sie kommen oder welchen Glauben sie
haben.'
Die Mikwe steht in direktem Zusammenhang zur Alten Synagoge: Beide geben Aufschluss über das Leben der jüdischen Gemeinden der Stadt. Wissenschaftliche Untersuchungen haben inzwischen gezeigt, dass die vorhandenen Überreste aus dem 13. Jahrhundert auf einem Vorgängerbau aus romanischer Zeit fußen.
'Die Mikwe war wahrscheinlich immer in Gebäude eingebaut', sagt Architekt Flechtner. Schließlich sei es ein privater, nicht öffentlicher Ort gewesen; der zum Leben aber fest dazugehörte. Daran soll der gestalterische Umgang mit der Überresten erinnern.'"
Foto
links: Aus Gold geschmiedete Gürtelelteile gehören zum Erfurter Schatz.
Artikel in der "Thüringer Allgemeinen" vom Oktober 2010 (Artikel):
"70.000 Besucher bestaunten Erfurter Schatz in Alter Synagoge. . Die Alte Synagoge ist seit ihrer Eröffnung als Museum vor einem Jahr von mehr als 70 000 Besuchern besichtigt worden. Grund für den stetig wachsenden Besucherstrom ist wohl auch der ausgestellte Erfurter Schatz, der in Umfang und Zusammensetzung einmalig ist.
Erfurt. Zum Jubiläum wird der abschließende Band einer Museumstrilogie über das Leben der Erfurter jüdischen Gemeinde im Mittelalter vorgelegt. Wie das Museum am Dienstag mitteilte, sind Beiträge zum Erfurter Judeneid, zu einer zweibändigen Bibel und zur größten erhaltenen Thora Mitteleuropas Schwerpunkte des Bandes über hebräische Handschriften.
Die Neuerscheinung ergänzt die schon erschienenen Publikationen zur Alten Synagoge, zur Mikwe und zum Erfurter Schatz. Letzterer ist mit etwa 300 Einzelteilen aus dem späten 13. und frühen 14. Jahrhundert seit Eröffnung der Alten Synagoge vor einem Jahr Mittelpunkt der ständigen Ausstellung. Die Kostbarkeiten waren im Jahr 1998 bei Bauarbeiten in der Altstadt entdeckt worden.
"
Artikel von Holger Wetzel in der "Thüringischen
Landeszeitung" vom 29. März 2011 (Artikel):
"Neues Buch untersucht Materialien des jüdischen Goldschatzes. Die Könnerschaft mittelalterlicher Goldschmiedemeister demonstriert ein neues Buch des archäologischen Landesamtes. Es beschäftigt sich mit den Materialien und Techniken des 1998 in Erfurt entdeckten jüdischen Goldschatzes und wurde am Montag in der Alten Synagoge vorgestellt.
Erfurt. Sie arbeiteten ohne Strom und künstliches Licht, besaßen keine Mikroskope und stützten sich nicht auf moderne Analyse-Methoden. Und doch sind die Ringe, Broschen und Gürtel des Erfurter Goldschatzes von einer Qualität, welche heutige Experten staunen lässt. "Ich bin voller Bewunderung für die Meister meiner Zunft aus jener fernen Zeit", sagt Ekkehart Schenk, der Landesinnungsmeister der Goldschmiede.
Neben Silbermünzen und -barren besteht der in der Alten Synagoge ausgestellte Schatz, der von seinen jüdischen Eigentümern im 14. Jahrhundert aus Angst vor den Pestpogromen jener Zeit vergraben wurde, aus 708 Einzelstücken. Sie sind aus nahezu reinem Silber und tragen eine Goldlegierung unterschiedlicher Güte. Weltruhm erlangte ein jüdischer Hochzeitsring aus massivem Gold, der vergleichbare Funde etwa aus Colmar oder Weißenfels weit in den Schatten stellt.
Der Hochzeitsring sei das einzige jüdische Element des ansonsten gotischen, weltlichen Schatzes, sagt die Restauratorin und Mitautorin des Bandes, Astrid Pasch. Gerade das macht den Schatz so besonders: Im Alter vergleichbare Stücke sind sonst nur als Kirchenschmuck überliefert. Weltlicher Schmuck diente oft als Materialressource für die wechselnden Moden der Zeit und wurde immer wieder eingeschmolzen.
Den Juden des Mittelalters selbst blieb der Eintritt in die Goldschmiedezunft versagt. Bei wem genau sie die Stücke in Auftrag gaben, ist ungewiss. Während einige der verwendeten Edelsteine durch ihre Zusammensetzung verraten, dass sie aus Indien erhandelt wurden, besteht diese Möglichkeit bei den Edelmetallen nicht, sagte Dr. Oliver Mecking, Chemiker am archäologischen Landesamt und ebenfalls Mitautor des Bandes. Seine 7000 Messungen an 230 Schmuckstücken gelten als weltweit einmalige Materialanalyse.
Die Schmuckstücke sehen oft aus wie aus einem Stück gegossen, sind aber, wie im Fall einer Tierbrosche, aus bis zu 130 filigranen Einzelteilen zusammengelötet. Zu den überraschenden Erkenntnissen der Wissenschaftler zählt zudem, dass zur Herstellung im 13. und 14. Jahrhundert Löttechniken verwendet wurden, deren Entstehung man bisher um das Jahr 1900 datiert hatte. Auch die an den jeweiligen Verwendungszweck bewusst angepassten Legierungen, die sich kaum von heutigen Mischungen unterscheiden, beweisen, dass die Meister ihr Handwerk und die Materialeigenschaften damals schon weit besser beherrschten als vermutet. Viele Stücke waren im Vergleich zu späteren Anfertigungen extrem alltagstauglich, so die Experten.
Die Erkenntnisse seien eine wichtige Grundlage für Untersuchungen und Vergleiche zur Goldschmiedetechnik im 14. Jahrhundert, meinte Dr. Sven Ostritz, als Präsident des archäologischen Landesamtes Herausgeber des Bandes. Mit 500 Seiten bildet "Der Schatzfund: Analysen, Herstellungstechniken, Rekonstruktionen" den zweiten laufenden und dritten bisher erschienenen Band der fünfteiligen Reihe "Die mittelalterliche jüdische Kultur in Erfurt"."
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links (Staatsbibliothek Berlin): Der Einband wurde 1560 gestaltet und jetzt aufwendig restauriert.
Artikel von Marco Kneise in der "Thüringer Allgemeinen" vom 21.
Juni 2011 (Artikel):
"Weltberühmte Bibel kehrt in Alte Synagoge nach Erfurt zurück.
Eine weltberühmte Bibel kehrt in Thüringens Landeshauptstadt zurück. Die Prächtige Handschrift aus dem 14. Jahrhundert wiegt 100 Kilogramm. Die Staatsbibliothek Berlin gibt den Einband als Dauerleihgabe an die Alte Synagoge.
Erfurt. Sie ist die weltweit größte bekannte Handschrift einer hebräischen Bibel, für ihr Pergament wurden 1100 Tierhäute verarbeitet, sie wiegt rund 100 Kilogramm - und sie trägt den Namen der Thüringer Landeshauptstadt. Als "Erfurt 1" ging die Bibel bereits vor drei Jahrhunderten in die Kunstgeschichte ein.
Jetzt kehren Teile der rund 700 Jahre alten Handschrift nach Erfurt zurück. Das Museum "Alte Synagoge" erhält im Juli den originalen Einband als Dauerleihgabe von der Staatsbibliothek Berlin. Bereits zuvor hatte die Alte Synagoge einzelne Blätter der Handschrift ausstellen können - aus konservatorischen Gründen aber fast immer nur als Faksimile.
Ines Beese, die Leiterin der Synagoge, freut sich schon jetzt darauf, dauerhaft ein Original zeigen zu können. "Letztlich erfüllen nur Originale den hohen Anspruch unserer Ausstellung."
In Erfurt wird die Bibel ein Höhepunkt in der ohnehin an Superlativen reichen Synagoge sein. Das jüdische Leben im Mittelalter wird unter anderem am Beispiel des Erfurter Goldschatzes illustriert. Zudem gibt es den ältesten erhaltene Judeneid in deutscher Sprache zu sehen und die größte Thorarolle.
Die Bibel gehörte der ersten jüdischen Gemeinde Erfurts. Sie wurde 1349 ausgelöscht, berichtet Ines Beese. Es habe vermutlich 900 Tote gegeben. Im Zuge des Progroms eignete sich die Stadt jüdische Besitztümer an, die Bibel gehörte dazu. Zumindest der Goldschatz entging ihr. Er wurde erst vor 13 Jahren in einem Keller entdeckt.
Für die Erfurter ist die Heimkehr des Bibel-Einbandes gewissermaßen ein gutes Geschäft. Für die Dauerleihgabe muss die Stadt nicht an die Berliner zahlen. Andererseits hatte man "Erfurt 1" anno 1880 noch gegen klingende Münze an die Königliche Bibliothek in Berlin verkauft. Damals brachte die Bibel 5.000 Mark ein.
Im Weltkrieg wurde die in einen Berliner Keller ausgelagerte Schrift bei einem Bombentreffer und dem sich anschließenden Feuer und Löscheinsatz schwer beschädigt. "Fast alle Seiten waren miteinander verklebt", sagt Jeannette Lamble, Sprecherin der Staatsbibliothek. "Die Bibel ließ sich seither nicht mehr aufschlagen." Erst zwischen 1997 und 2007 konnte die Handschrift im Rahmen eines internationalen Projektes restauriert werden.
Erfurt strebt seit zwei Jahren an, dass die vielen Sachzeugnisse jüdischen Lebens der Stadt zum Welterbe erklärt werden."
September
2011: Das jüdische Ritualbad
(mittelalterliche Mikwe) kann ab dem 4. September 2011 besichtigt werden
Lokalinfo des
"Freien Rundfunks Erfurt International" (Mitteilung
online mit audio; von Ragna Amling) vom 8. August 2011:
"Eröffnung der Mikwe am 4. September.
Im Mittelalter nahm die jüdische Gemeinde in Erfurt eine herausragende Stellung in Europa ein. Das sieht man unter anderem daran, dass die Alte Synagoge und die Kleine Synagoge im Kern der Altstadt sehr nahe beieinander liegen. Ganz in der Nähe, am Ufer der Gera nahe der Krämerbrücke, wurde 2007 ein außergewöhnlicher Fund gemacht. Bei Ausgrabungen ist dort eine Mikwe, ein jüdisches Kultbad aus dem Mittelalter, entdeckt worden.
Neben Synagoge und Friedhof ist die Mikwe einer der wichtigsten Orte einer jüdischen Gemeinde. Die religiöse Reinigung durch das Untertauchen im rituellen Bad wird nur richtig vollzogen, wenn das Bad mit
'lebendigem Wasser', möglichst Grundwasser, gespeist ist. Durch die Nähe zur Gera war die Wasserversorgung des Bades in Erfurt immer gewährleistet.
Auf den außergewöhnlichen Fund folgten rege Diskussionen, wie man die Mikwe Besuchern zugänglich machen könne und wie gleichzeitig die historische Unversehrtheit gewährleistet bliebe. Nicht zuletzt ging es auch um das äußere Bild des historischen Ortes. Schließlich kann man damit rechnen, dass Besucher aus aller Welt nach Erfurt kommen, um das einzigartige Kultbad zu sehen und etwas über die jüdische Geschichte und Kultur zu lernen.
Am 4. September wird die Mikwe um 10:30 Uhr nach vier Jahren intensiver archäologischer und restauratorischer Arbeit für die Öffentlichkeit zum Besuch freigegeben.
Julia Roos, die für Museumspädagogik und Öffentlichkeitsarbeit für das jüdische Leben in Erfurt zuständig ist, erklärt, wie der Zugang für die Besucher gestaltet wird.
'Die Mikwe selbst ist von einem Schutzbau überbaut worden, der sich öffnen lässt, so dass man das Baudenkmal selbst besichtigen kann, also die archäologischen Zeugnisse sehen kann, und der Zugang, der barrierefreie, wird von Seiten des Flusses her sein. Also wenn man am Kreuzsand steht, in der Kreuzgasse, kann man an der Gera entlang eine Rampe nach unten fahren, also zwischen Fluss und Mikwe im Grunde, und so von vorne das Gebäude
betreten.'
Der Audioguide der Alten Synagoge wird um einen Abschnitt zur Mikwe erweitert. Bei der Mikwe werden am Schutzbau selbst Infotafeln und Ausstellungstafeln aufgestellt, die sowohl den Ritus des Ritualbades, als auch die Bau- und Nutzungsgeschichte der Mikwe und die Umgebung, Nachnutzung und archäologischen Funde erklären.
'Die Mikwe gehört dann mit zum Verantwortungsbereich der Alten Synagoge, weil die beiden Bauten ja auch zusammen gehören und Orte der jüdischen Gemeinde im mittelalterlichen Erfurt gewesen sind. Und dementsprechend ist der Besuch der Mikwe unabhängig von der Alten Synagoge möglich aber eben auch in Kombination zur Alten
Synagoge.'
Außerdem wird es möglich sein, dank einer entsprechenden Beleuchtung Tag und Nacht von außen durch ein Fenster im begehbaren Dach des Schutzbaus in das Gebäude hineinzusehen.
Der Besuch der Mikwe ist ab 4. September dienstags bis sonntags von 10:00 - 18:00 Uhr kostenfrei möglich. Am Benediktsplatz an der Krämerbrücke durch die Kreuzgasse am Kreuzsand findet man die Mikwe am Ufer der Gera. Weitere Informationen können auf
www.alte-synagoge.erfurt.de
nachgelesen werden."
Ausstellung
in der Alten Synagoge bis Januar 2012 über Ritualbäder
Artikel in
"Deutschland today" vom 5. September 2011: "Sonderausstellung
in der Alten Synagoge: Jüdische Ritualbäder - fotografiert von Peter
Seidel" (Link
zum Artikel)
Artikel in
"Deutschland today" vom 24. Januar 2012: "Historischer
Wasserstand in der Mikwe. Sensationellen Einblick in das mittelalterliche
Tauchbad. Erfurt (dp) - Die mittelalterliche Mikwe kann zurzeit mit ihrem
historischen Wasserstand besichtigt werden...."
Januar
2018:Können die Reste der
zweiten Synagoge wieder ausgegraben werden?
Artikel von Esther
Goldberg in der "Thüringer Allgemeinen vom 9. Januar 2018: "Zweite
Synagoge liegt in der Erde hinter dem Erfurter Rathaus. Spannend erzählte Geschichte am Sonntagabend in der Alten Synagoge Erfurt. 'Wir werden die zweite Synagoge ausgraben'. – Darauf hofft Unesco-Weltkulturerbe-Beauftragte Dr. Maria Stürzebecher seit Jahren. Und sie verwies erneut während des Rundgangs Sonntag Abend in der Alten Synagoge darauf.
Die Sonderausstellung 'Gekommen, um zu bleiben? – die zweite jüdische Gemeinde in Erfurt
1354-1454' findet offensichtlich große Beachtung. Denn beinahe hätte die Alte Synagoge wegen Überfüllung geschlossen werden müssen – trotz des widrigen Wetters.
Maria Stürzebecher erklärte die einhundertjährige Geschichte der zweiten jüdischen Gemeinde mit all ihren Höhen und Tiefen. Sie kennt sich bestens aus – denn sie hat gemeinsam mit der Historikerin Dr. Meike Lämmerhirt aus Mannheim diese Ausstellung kuratiert. Und zeigt sich durchaus erstaunt, dass nur fünf Jahre nach dem Pogrom von 1349 wieder erste jüdische Familien siedelten. Notiert ist das in dem sogenannten Judenbuch, das normalerweise unter Verschluss ist und derzeit in der Alten Synagoge ausgestellt wird.
Maria Stürzebecher gelingt in 80 Minuten eine Geschichtsstunde voller Spannung. Geschichte, die natürlich heute noch Spuren zeigt. Beispielsweise in der Moritzstraße, am Großen Speicher. Der Speicher entstand auf den Trümmern des jüdischen Friedhofes. Deshalb wurden dort einige Grabsteine gefunden, andere Grabsteine wurden für den Bau des Speichers mit genutzt.
Auch die Debatte um die zweite Synagoge, sie befindet sich hinter dem Rathaus unter dem Parkplatz, bleibt so lebendig.
'Ich bin mir sicher, dass wir sie irgendwann aus den Trümmern holen', ist Maria Stürzebecher überzeugt.
Der Schlussstein dieser Synagoge wurde ja 2012 entdeckt und ist Teil dieser Ausstellung.
Der Mainzer Erzbischof ist bis 1354 Schutzherr der Juden. Doch irgendwann kündigt der Stadtrat den Judenschutz auf und begründet es gegenüber dem Erzbischof mit wirtschaftlichen Gründen. Erst einige Zeit später wird der Antisemitismus erkennbar, auf dem diese Entscheidung basierte.
Die sogenannte Schuldentilgung sorgt dafür, dass die ersten Juden wieder aus Erfurt abwandern. Denn die Kredite, die Juden anderen Erfurtern gaben, wurden ihnen von König Wenzel entrissen. Auf diese Weise geraten jüdische Kaufleute in wirtschaftliche Not und entscheiden sich zu gehen.
Damit wird das Ende der zweiten jüdischen Gemeinde eingeläutet. 1458 (korrigiert
für falsch: 1354) leben keine Juden mehr in der Stadt – und das wird 300 Jahre lang so bleiben.
'Juden waren damals in der sehr christlich orientierten Stadt die einzige Minderheit – und waren der Willkür der Mächtigen
ausgeliefert', so Maria Stürzebecher.
In diesem Monat und im Februar gibt es vier weitere Führungen durch die Sonderausstellung, die noch bis zum 8. April in der Alten Synagoge zu sehen ist. Am 8. Februar geht es beispielsweise um den verlorenen Erfurter Schatz, der 1876 während der Vorarbeiten für den Rathausbau gefunden wurde. Von den zwei Kilo Gold ist nahezu nichts mehr auffindbar." Link
zum Artikel
September 2018:
Neue Hinweisschilder - auch vor
dem "Steinernen Haus"
Artikel in der
"Thüringer Allgemeinen" vom 19. September 2018: "Hinweisschilderverweisen
auf Jüdische Geschichte.
Carmen Hildebrandt, Tobias J. Knoblich und Kathrin Hoyer vor der neuen Tafel
am 'Steinernen Haus'. Seit gestern sind das jüdische Erbe der Stadt und die
Welterbe-Bewerbung im unmittelbaren Stadtzentrum noch sichtbarer: Zwei
Fenster der Tourist-Information, die auf die Rathausgasse blicken, wurden
neu gestaltet. In unmittelbarer Nachbarschaft erhielt mit dem 'Steinernen
Haus' im Komplex Benediktsplatz 1 ein weiterer Baustein des
jüdisch-mittelalterlichen Erbes eine Hinweistafel. Neben der Alten Synagoge
und der Mikwe ist das Steinhaus der dritte Bestandteil der Bewerbung um den
Titel 'Unesco-Welterbe' und darf 2021 eingereicht werden..."
Link zum Artikel (kostenpflichtig)
Oktober
2019:10 Jahre "Alte
Synagoge Erfurt" - Foto-Bildband zur Alten Synagoge erschienen -
Sonderausstellung zu sehen Anmerkung: Vom 27. Oktober 2019 bis 3. Mai 2020 zeigt die Alte Synagoge
die Sonderausstellung "Alte Synagoge Erfurt. Perspektiven' Eine
fotografische Spurensuche von Ulrich Kneise und Marcel Krummrich. Zum
10-jährigen Jubiläum des Museums Alte Synagoge werden die zahlreichen
'ikonischen' Motive wie Hochzeitsring oder Westfassade künstlerisch neu
interpretiert. Ulrich Kneise aus Eisenach und Marcel Krummrich aus Erfurt
treten in einen Dialog, ergänzt durch Essays von Elena Rauch und Henryk
Goldberg. Ungewöhnliche Einblicke, spektakuläre Perspektiven und scheinbar
Alltägliches verblüffen in einer großen Ausstellung in allen Etagen der
Synagoge. Zur Ausstellung ist ein Bildband erschienen.
Artikel von Frank
Karmeyer in der "Thüringer Allgemeinen" vom 21. Oktober 2019: "Neuer
Blick auf Erfurts Alte Synagoge.
Erfurt Bildband zum zehnjährigen Bestehen des Erfurter Museums. Fotos von
Marcel Krummrich und Ulrich Kneise
Einen neuen und künstlerischen Blick auf die Alte Synagoge und den dort
ausgestellten Schatz eröffnen die Fotografien von Marcel Krummrich und
Ulrich Kneise: Fast auf den Tag genau zehn Jahre besteht das Museum nun, das
sich mit einem Bildband und einer dazugehörigen Ausstellung selbst und die
Besucher beschenkt..."
Link zum Artikel
Biographischer
Hinweis: Alte Synagoge Erfurt - Old Synagogue Erfurt: Eine fotografische
Spurensuche - A Photographic Search for Traces of the Past. Von Hardy Eidam
(Hrsg.), Annegret Schüle (Hrsg.) Maria Stürzebecher (Autor), Ulrich Kneise
(Fotograf), Marcel Krummrich (Fotograf), Krister G. E. Johnson (Übersetzer).
Verlag Bussert Dr. + Stadeler 2019. ISBN 978-3942115841. € 19,90.
Oktober 2019:
Feier zum 10-jährigen Bestehen
des Museums "Alte Synagoge Erfurt"
Artikel von Elenau
Rauch in der "Thüringer Allgemeinen" vom 25. Oktober 2019: "Alte Synagoge
in Erfurt: Die Zukunft am Ort der Vergangenheit.
Erfurt Vor zehn Jahren wurde die restaurierte Alte Synagoge in Erfurt
als Museum eröffnet. Zum Jubiläum gibt es am Samstag eine Nacht voller
Veranstaltungen.
Kuratorin Maria Stürzebecher vor Modellen des einstigen Gotteshauses in der
Ausstellung der Alten Synagoge von Erfurt. Der historische Bau ist die
älteste, bis zum Dach erhaltene Synagoge in Mitteleuropa. 925 Jahre. Auf dieses Alter datieren Wissenschaftler die Holzbalken
in den ältesten Mauerresten. Sie wurde umgebaut, erweitert, aufgestockt. Um
1250 entstand die Fassade mit dem markanten Rosettenfenster. Die Synagoge
war das Herz einer blühenden jüdischen Gemeinde im mittelalterlichen Erfurt.
Bis zu jenem Märztag 1349, als der Mob die jüdischen Nachbarn erschlug, sie
in den Feuertod trieb, die wenigen Überlebenden aus der Stadt trieb. Die
neuen Besitzer nutzten die Synagoge als Lagerhaus, zogen Holzdecken ein,
brachen Wände für Toreinfahrten auf. Dann wurde sie Wirtshaus. Hier floss
Bier, im Obergeschoss, unter prunkvoller Empore, tanzten sie Polonaise, im
Keller rollten Bowlingkugeln. Dass dies einst ein geweihter Ort war, wusste
da schon niemand mehr. Dieses Vergessen war auch ihr Schutz, sie überdauerte
die Zeitläufe im Verborgenen. Jahresringe der Stadt. Bis vor mehr als 30 Jahren die
Denkmalschützerin Rosita Petersheim unter den steinernen Häuten die einstige
Synagoge erkannte. Es war eine behutsame Sanierung. Sie gab dem Ort seine
Würde zurück, ohne die Brüche und Narben der Zeit verschwinden zu lassen.
Auch das macht seine Aura heute aus. Jahresringe der Stadt. In das
Kellergeschoss zog der Schatz ein, den ein jüdischer Kaufmann, sehr
wahrscheinlich hieß er Kalman von Wiehe, ganz in der Nähe unter einer
Kellertür vergrub, das drohende Pogrom ahnend. Die Alte Synagoge wurde zu
einem Ort, der erinnert, dass es vor mehr als 900 Jahren ein reiches
jüdisches Leben in dieser Stadt gab. Und was sie sich selbst genommen hat,
als sie für Jahrhunderte die letzten Juden vertrieb.
Teile des Schatzes waren schon in New York zu sehen, in Paris, in London. Er
hat auch den Ort bekannt gemacht, an dem er heute aufbewahrt wird. Und es
geht immer weiter, bemerkt Maria Stürzebecher, Kuratorin und Beauftragte für
das Unesco-Welterbe der Stadt. Die Forschungen am jüdischen Erbe bringen
immer mehr Erkenntnisse zutage. Manchmal sind es winzige Details. Der
kunstvolle Silberschlüssel aus dem vergrabenen Schatz zum Beispiel. Wofür
wurde er verwendet? Als Schmuckstück getragen, um Hab und Gut auch am
Shabbat zu schützen, wenn jegliche Arbeit ruhen musste? Eine israelische
Kollegin vermutet das. Puzzlestücke eines längst verwehten Alltags. Wer
fertigte überhaupt all den Schmuck an? Wer die Inschriften auf den
Grabsteinen? Was, fragt Maria Stürzebecher, kann man herausfinden über
jüdische Handwerker im mittelalterlichen Erfurt? Viele Schriftquellen aus
dem Stadtarchiv sind noch nicht erschlossen, immer wieder spülen Bauarbeiten
alte jüdische Grabsteine an die Oberfläche. Und wer weiß, bemerkt die
Kuratorin, worauf wir noch stoßen. Sie jedenfalls, traue dieser Stadt noch
einiges zu. Stadt bemüht sich um den Welterbetitel. Die Alte Synagoge, die
älteste, bis zum Dach erhaltene Synagoge in Mitteleuropa, ist das Herzstück,
mit dem sich die Stadt mit ihrem mittelalterlichen jüdischen Erbe um den
Welterbetitel bemüht. Im Februar 2021, so Maria Stürzebecher, wird der
Antrag in Paris eingereicht. Eine aufwendige detaillierte Dokumentation, an
der die Fachleute derzeit arbeiten. Anderthalb Jahre hat dann die
Unesco-Beraterorganisation Icomos Zeit, um den Antrag zu prüfen. Im Sommer
2022 tagt die Kommission, dann wird die Entscheidung fallen. Dieser Ort der
Vergangenheit ist ein Ort der Zukunft.
Besucher treffen am Eingang Vera Barabaner. Sie arbeitet in der Alten
Synagoge, empfängt Gäste, beantwortet Fragen. Sie gehört zur Jüdischen
Gemeinde der Stadt, kam vor 13 Jahren aus Weißrussland. Manchmal, bevor die
ersten Besucher kommen, betritt sie den Raum im Erdgeschoss, gibt sich
seiner Stille hin. Versucht sich vorzustellen, wie sie hier ihre Gebete
sprachen, wie der Kantor sang, wie das Licht in den Öllampen flackerte.
Dieser Ort, spürt sie dann, hat auch mit ihr zu tun. Ein Band durch die
Jahrhunderte. Es gibt Menschen in dieser Stadt, für die ist die Alte
Synagoge auch ein Ort der Vergewisserung. Eine ganze Nacht lang Geburtstagsfeier. Am morgigen Samstag feiert
die Alte Synagoge Erfurt ihr zehnjähriges museales Bestehen mit einer Nacht
voller Veranstaltungen. Geöffnet ist sie ab 17 Uhr, Kinder erwartet ein
spezielles Programm. Nach einem Festakt gibt es Konzerte unter anderem mit
sephardischen Liedern, eine Podiumsdiskussion über jüdische Gegenwart und
Zukunft, Führungen, ein Theaterstück. Dani Levys Film 'Alles auf Zucker'
wird gezeigt. Gegen 21.30 Uhr wird eine Ausstellung mit Fotografien von
Marcel Krummrich und Ulrich Kneise, die das mittelalterliche Erbe aus neuen
Perspektiven zeigen, eröffnet. Am Morgen wird zu einer Andacht mit Rabbiner
Alexander Nachama geladen."
Link zum Artikel
Für die Gemeinde des 19. Jahrhunderts war bereits seit 1806 einen
Betsaal im Haus des David Salomon Unger eingerichtet. 1823 beschloss die
Gemeinde, eine Synagoge zu bauen und gründet einen Bauverein. Man erwarb das Haus "Zur Weinkrause"
(Grundstück Nr. 2433 hinter dem Rathaus) für 475 Taler. In ihm konnte
ein größerer Betsaal eingerichtet werden. Seitdem wurde das Gebäude
"Juden-Bethaus" genannt. Auch eine Mikwe dürfte damals im
Untergeschoss eingerichtet worden sein. Ende der 1830er-Jahre musste das
Gebäude wegen seines schlechten Bauzustandes abgebrochen werden. An derselben
Stelle wurde eine Synagoge erbaut, die am 10. Juli 1840 durch Rabbiner
Dr. Ludwig Philippson eingeweiht werden
konnte (heutige "Kleine Synagoge", Standort An der
Stadtmünze 5). Es handelte sich um einen zweigeschossigen Bau mit
klassizistisch geprägter Fassade und Innenausstattung. Im Keller befand sich
eine Mikwe.
Die Einweihung der Synagoge am 10. Juli 1840
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 25. Juli 1840:
"Erfurt, 14. Juli (1840). Am 10. dieses Monats fand für die
hiesige Gemeinde eine sehr erhebende und bedeutungsvolle Feier statt, die
Einweihung ihrer neuen Synagoge. Indem ich mir vorbehalte, über die
Geschichte und den Zustand dieser Gemeinde mit Nächstem ausführlich zu
berichten, bemerke ich nur, dass mit dieser Feier, da die Gemeinde die
Erlangung der Korporationsrechte erst binnen Kurzem erwartet, dieselbe
wenigstens von kirchlicher Seite als Gemeinde Israels konstituiert werden.
Auf klassischem Boden, nämlich auf dem, wo vor der großen Mordverfolgung
im Jahre 1347, die Hauptsynagoge der 6.000 Seelen fassenden Gemeinde
stand, sich erhebend, in einfachem, aber sehr geschmack- und würdevollen
Stile, ward diese Synagoge der Gemeinde ein großes Opfer, welches allein
den Bemühungen des Vorstehers, Herrn Engel, zu verdanken steht. Es war
die Absicht, der Gemeinde durch eine recht würdevolle Feier die
Einweihung zugleich zu einem Wendepunkte der Entwicklung der Gemeinde zu
machen. Daher berief sie zu dem Akte den Dr. Philippson aus Magdeburg, und
die Kantoren Königsberger aus Dessau. Letztere hatten die israelitische
Jugend zu einem Chore gebildet, welcher das Möglichste leistete. Der
Feier in dem sinnig geschmückten Tempel wohnte die Generalität der
Besatzung, der ganze löbliche Magistrat, eine Deputation der Herren
Stadtverordneten, die höchsten Mitglieder der Gerichte usw. bei. Mehrere
der Honoratioren einzuladen gestattete der Raum nicht. Von der hohen
königlichen Regierung konnte kein Mitglied zugegen sein, da zufällig die
feierliche Vereidigung der Herren Landräte um dieselbe Stunde stattfand.
Von der Geistlichkeit der Stadt war niemand erschienen, da der
Superintendent sich veranlasst gefühlt, tags zuvor die Herren durch ein Zirkular
(Rundschreiben) darauf aufmerksam zu machen, dass kein christlicher
Geistlicher nach einer königlichen Kabinettsorder vom Jahre 1821 eine
Synagoge besuchen darf. Dagegen fanden sich die Herren Professoren des
Gymnasiums ein. Von der Umgegend waren viele Israeliten zusammengeströmt.
Nach einer einleitenden Musik begann ein Duett und Chor Mah towu ('wie
lieblich...'), worauf die Gemeinde in Responsorien Psalm 105,1-8 sang.
Alsdann trat der oben genannte Geistliche vor das Pult, und hielt das
Weihegebet nach 1. Könige 8,23 etc. Die Gemeinde fuhr in Responsorien mit
Psalm 33,13-22 fort. Hierauf wurden die Torarollen in feierlichem Zuge abgeholt,
und bei ihrem Eintritt vom Vorbeter und Chor mit Posaunenbegleitet Seu
Schearim (öffnet die Tore...) angestimmt. Der
Geistliche
sprach
Schähächeinu (gemeint Segensspruch: der du uns Leben gegeben
hast), und die sieben Umzuge begannen, welche in feierlicher Haltung
ein Terzett ohne Musik und Hosianna's begleitete. Dem erhebenden vom
Geistlichen gesprochenen Sch'ma antwortete der Chor mit Patechu
li (öffnet mir...). Alsdann betrat der Geistliche die Kanzel, und
sprach über 1. Mose 28,17, vom Zwecke, von der Bestimmung und von der
rechten Heiligung dieser Stätte. Ihr folgten ein schöner, deutscher
Choral, das Gebet für König und Vaterland, eine Weiharie, der Segen, und
Psalm 150, vom Chore mit Posaunen trefflichst exekutiert. Vor Letzterem
sprach noch Herr Dr. Unger über die Geschichte der Gemeinde und Synagoge
kurz, aber in gediegener und besonders freimütiger Haltung. Diese ganze
Feier wurde mit wahrhafter Erhebung und im stimmendsten Takte vollzogen,
und die Gemeinde dadurch auch zu wesentlichen Schritten auf den Wegen der
Fortbildung bestimmt. Auf die Aufforderung eines Buchhändlers allhier
überließ der Dr. Philippson seine Predigt demselben zum
Drucke."
Hinweis auf die Predigt zur Einweihung der Synagoge
(1840)
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 24. Oktober 1840:
"Magdeburg, 11. Oktober (1840). Angekommen: Predigt zur Einweihung
der neuen Synagoge in Erfurt, den 10. Juli 1840 gehalten von Dr. Ludwig
Phillipson, Geistlicher der Israelitischen Gemeinde zu Magdeburg. (Der
Ertrag ist für einen milden Zweck bestimmt!) Erfurt, Otto. 1840. In der
Einleitung werden die Gefühle geschildert, die bei Einweihung eines
Gotteshauses vorwalten, in I. der Zweck als Gotteshaus überhaupt und
israelitisches Gotteshaus insbesondere, in II. die Bestimmung und in III.
die rechte Heiligung durch würdevollen Gottesdienst und religiöse
Vervollkommnung des Besuches - besprochen -."
In den 1870er-Jahren war die Synagoge von 1840 für die Gemeinde viel
zu klein geworden (ca. 450 Gemeindeglieder). Zunächst dachte man an einen Umbau
und eine Vergrößerung der bisherigen Synagoge, entschied sich dann jedoch für
einen Neubau.
Zur "Wiederentdeckung" der "Kleinen Synagoge" 1992/93 siehe Presseberichte
unten.
Eine neue Synagoge
konnte nach anderthalbjähriger Bauzeit am 4. September 1884 durch
Rabbiner Dr. Theodor Kroner eingeweiht werden (Standort: Kartäuserring 14).
Die Entwürfe stammten von dem Frankfurter Architekten S. Kusnitzky; die
Bauleitung hatte der Erfurter Architekt E. Reling. Es handelte sich um einen
Kuppelbau mit etwa 500 Plätzen.
Einweihung der Großen Synagoge (1884)
Artikel
in der Zeitschrift "Jeschurun" vom September 1884 S. 604-605:
"Erfurt, 7. September (1884). Die neu erbaute Orgel-Synagoge wurde am
Freitag durch die Rabbiner Dr. Kroner und Dr. Karo eingeweiht. Das ist
also derselbe Dr. Kroner, welcher sich im vorigen Jahre so sehr gegen eine
Orgel sträubt und sogar mit Amtsniederlegung drohte. Damals erklärte er
die Einführung einer Orgel in die Synagoge als gegen das Religionsgesetz
verstoßend, und jetzt? Was hat denn den Herrn Rabbiner dazu bewogen,
seine Ansicht so zu ändern? Oder sagen wir lieber, die Ansicht wird wohl
dieselbe sein, nur die Tat entspricht ihr nicht. Und ich denke, das sei
schon genug. Ist es eines Rabbiner würdig, sich so von der Gemeinde
führen zu lassen, da er doch die Gemeinde führen sollte? - Sapienti sat!"
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 11. September 1884: "Erfurt,
6. September (1884). Verflossenen Freitag wurde die hiesige, neu erbaute
Orgel-Synagoge eingeweiht. Die Rabbinen Dr. Kroner und Dr. Karo vollzogen
den Weiheakt. - Zehn Familien haben sich zu einer Separat-Gemeinde
vereinigt und einen besonderen Gottesdienst eingerichtet, weil sie die
Reformsynagoge nicht besuchen werden. Möge diese junge, gesetzestreue
Gemeinschaft erstarken und zu höher Blüte gelangen!"
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 10. November 1884: "Zürich,
November (1884). Bezugnehmend auf eine Korrespondenz Ihres geschätzten
Blattes in Betreff der projektierten Aufstellung eines Harmoniums in der
hiesigen neuerbauten Synagoge muss ich Ihnen leider heute mitteilen, dass
nicht nur bis heute dasselbe nicht aus der Synagoge entfernt wurde,
sondern der Gottesdienst findet sogar mit Damengesang statt. Unter solchen
Verhältnissen dürfen doch die hiesigen religiösen Mitglieder der
Gemeinde nicht schweigen und sind vor Gott und ihrem Gewissen
verpflichtet, gegen diese gesetzwidrige Neuerung Protest einzulegen, sowie
dieselben laute Entscheid der größten rabbinischen Autoriten, - solange
diese Neuerung in der Synagoge stattfindet, - weder an dem öffentlichen
Gottesdienst teilnehmen, noch überhaupt die Synagoge betreten dürfen.
Aus diesem Grund geht der wiederholte Ruf an die religiös gesinnten
Mitglieder hiesiger Gemeinde! Vereinigt Euch zu gemeinsamem Vorgehen gegen
die ohne Genehmigung der Gemeinde, vom Vorstande allein eingeführte
Neuerung, da Euch vom Religionsgesetz aus nichts anderes übrig bleibt,
als aus der Gemeinde auszutreten oder die Entfernung dieses spezifisch
kirchlichen Instruments aus der Synagoge herbeizuführen. (In Erfurt hat
sich neuerdings in Folge der Einführung eines ähnlichen Instrumentes in
der Synagoge eine Separatgemeinde gebildet, deren gemietetes,
anspruchsloses Lokal während der hohen Feiertage zahlreicheren Besuchs zu
erfreuen hatte, als die neuerbaute, prachtvolle Synagoge. - Red.).
Judenhetze mit Angriffen auf die Synagoge (1923)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 8. November 1923:
"Von der Judenhetze. Erfurt, 21. Oktober (1923). Am Schluss der
letzten öffentlichen Stadtverordnetensitzung brachte Stadtverordneter
Heß (Dem.) die folgende Anfrage ein: 'Ist der Magistrat in der Lage, die
Ruhe und persönliche Sicherheit der Erfurter Bürger jüdischen Glaubens
zu verbürgen?' Zur Begründung seiner Anfrage, deren
Dringlichkeit von der Versammlung bejaht wurde, führte Heß u.a. aus: In
den letzten Tagen allein seien ihm einige 50 dringende Hilferufe wegen der
systematischen Hetze gegen jüdische Mitbürger zugegangen, die Tag und
Nacht den stärksten Belästigungen ausgesetzt seien. Starke Gruppen
junger Leute, deren Zahl auf über 200 festgestellt wurden, die
untereinander durch Radfahrerpatrouillen Fühlung behalten, stellen am
hellen Tage jüdische Mitbürger auf der Straße und belästigen sie mit
Hepp-Hepp-Rufen; selbst von Rädern werden sie herabgezogen und aus Cafes
herausgeholt. Kürzlich wurden sogar während des Gottesdienstes die
Fenster der Synagoge eingeworfen, die Tür aufgerissen und der
Gottesdienst durch 'Hepp-Hepp'-Rufe gestört; in diesem Falle wurde der
Täter ertappt und verprügelt, aber leider wurde unterlassen, seinen
Namen festzustellen, um zu ermitteln, welcher Organisation er angehört.
Des Nachts werden systematisch Fenster in jüdischen Wohnungen
eingeschlagen, in letzter Nacht erst wieder an fünf verschiedenen
Stellen. Zäune werden niedergerissen, ja man benutzt sogar den
Fernsprecher, um jüdische Frauen durch falsche Nachrichten über ihre
Ehegatten in Angst und Schrecken zu versetzen. Eine große Anzahl
jüdischer Mitbürger, auch er (Redner), steht auf der Femeliste,
allerdings auch der Regierungspräsident Tiedemann und Oberbürgermeister
Dr. Mann, obwohl beide keine Juden seien. Er habe bei dem
Polizeipräsidenten wegen dieser schweren Belästigungen nachdrücklich
Klage geführt und von diesem auch die Zusicherung erhalten, mit allen
Mitteln hiergegen einschreiten zu wollen. Aber er halte es auch für seine
Pflicht, öffentlich auf diese den jüdischen Mitbürgern drohenden
Gefahren hinzuweisen und alle anständig gesinnten Menschen zum Schutze
gegen diese Ausschreitungen aufzurufen.
Oberbürgermeister Dr. Mann wendet sich mit scharfen Worten gegen das
geschilderte Treiben. Die Anfrage richte sich an den Magistrat. aber für
die öffentliche Sicherheit zu sorgen, sei die Aufgabe der Polizei, die
bekanntlich der Stadt mit der Verstaatlichung aus der Hand genommen sei.
Er müsse gleichwohl aufs tiefste bedauern, dass solche Niederträchtigkeiten
aus dem dunklen Hinterhalt geschehen, und er erwarte, dass die Verüber
endlich einmal gestellt und der verdienten Strafe übergeben würden. Er
werde mit dem Herrn Polizeipräsidenten Rücksprache nehmen, damit diesem
Treiben gesteuert werde.
Stadtverordneter Bottke (Dem.) ergänzt die Schilderungen des
Stadtverordneten Heß durch eine Reihe weiterer Einzelheiten.
Stadtverordneter Görbing (V.S.P.D.) stellt fest, dass diese jungen Leute
alle das Hakenkreuzabzeichen tragen; kürzlich wurde ein Student aus der
Goethestraße als ein solcher Hakenkreuzler festgestellt, der auf der
Straße andere Leute belästigte. Er machte ferner darauf aufmerksam, dass
auch noch in vielen Dienststellen das Hakenkreuz von Beamten getragen
werde, ohne dass die Behörden dagegen einschreiben. Mit der Pflichten
gegen die Republik stehe das nicht in
Einklang.
Vorsteher Benda findet es unverständlich, dass in einem Stadtgebiet, das
schon seit langer Zeit als gefährdet gemeldet ist, solcher grober Unfug,
wie er erst letzte Nacht verübt wurde, unbemerkt geschehen konnte. Er
hoffe, dass die Aussprache mit dem Polizeipräsidenten endlich Abhilfe
schaffe."
Schändung der Synagoge (März 1926)
Artikel
in der Zeitschrift des "Central-Vereins" (CV-Zeitung) vom 26.
März 1926: "Neue Schandtaten in Erfurt.
Die grauenvolle Nachricht von der Friedhofsschändung in Erfurt ist noch
nicht völlig verklungen und schon kommt aus diesem Mittelpunkt wüstester
völkischer Agitation eine neue empörende Kunde. In der Nacht vom
Sonnabend zum Sonntag gegen 1/2 3 Uhr nachts sind vier Fenster der
Erfurter Synagoge von Bubenhand zertrümmert worden. Die Polizei hat
in diesem Fall die Täter leider noch nicht ergreifen können. Es ist nur
zu hoffen, dass Ermittlungen nach dieser Richtung zu Ergebnissen führen
und dass die gerichtliche Ahndung auch dieser Schandtat die jungen
Burschen dieser Art nicht nur in Erfurt belehrt, dass derartige Bubenstücke
in einem geordneten Staatswesen und unter zivilisierten Menschen nicht
vollführt werden dürfen.
Wie wir hören, betreibt die Erfurter Justizbehörde die Verfolgung der
Friedhofsschänder mit größter Energie. Bereits am 30. dieses Monat
findet die Hauptverhandlung gegen die drei Täter statt. Der
Oberstaatsanwalt wird persönlich die Anklage vertreten. Auch die
städtischen Behörden haben ihre Entrüstung über die den Namen Erfurts
beschmutzende Schandtat zum Ausdruck gebracht. Vor Beginn der
Stadtverordnetensitzung am 19. März drückte der
Stadtverordnetenvorsteher im Namen der Stadtverordneten sein Bedauern
über die letzten Erlebnisse aus."
Einbruchsversuche in der Synagoge (1928)
Artikel in der "Jüdisch-liberalen Zeitung"
vom 2. März 1928: "Erfurt. (Einbruchsversuch in der Synagoge). Vor
einigen Tagen wurde in der Nacht wieder ein Einbruch in der hiesigen
Synagoge versucht. Beim Eindrücken einer Fensterscheibe wachte der im
oberen Stockwerk der Synagoge wohnende Kastellan auf und sah von seinem
Fenster aus den Einbrecher bei der Arbeit. Als dieser sich beobachtet
fühlte, suchte er nach Überklettern des Zaunes schleunigst das Weite. Es
ist dies bereits das vierte Mal, dass Einbrecher nachts die
Synagoge heimsuchten."
In der Pogromnacht im November 1938
wurde die Synagoge niedergebrannt. Das verwendete Benzin und den anschließenden
Abbruch der Synagogenruine musste die jüdische Gemeinde bezahlen.
Nach
1945 entstand ein erstes jüdisches Gemeindezentrum in gemieteten Räumen Am Anger
30/32, später traf sich die Gemeinde in der Lachsgasse 8. Seit April 1946 bemühte sich die jüdische Gemeinde um die
Rückübertragung des Synagogengrundstückes. Im März 1947 waren ihre
Bemühungen erfolgreich. 1951 konnte mit dem Bau einer neuen Synagoge begonnen werden (Grundsteinlegung am 9. August 1951). Am 31.
August 1952 (10. Ellul 5712) wurde die neue Synagoge mit Gemeindezentrum
durch Landesrabbiner Dr. Martin Riesengruber feierlich eingeweiht. 1985 wurde
sie renoviert. Im Sommer 2012 konnten das 60-jährige Bestehen der Neuen
Synagoge gefeiert werden.
Die
"Kleine Synagoge" an der Stadtkirche wurde Ende der 1980er-Jahre als
ehemalige Synagoge "wiederentdeckt". 1992 wurde das Gebäude als
Kulturdenkmal in die Denkmalliste des Landes Thüringen eingetragen. Der
Gemeinderat der Stadt beschloss im Dezember 1992 die Einrichtung einer "Begegnungsstätte
zur
Erforschung und Vermittlung jüdischer und deutsch-jüdischer
Regionalgeschichte". 1993 begannen die Bauuntersuchungen. 1994/95 erfolgte
die Rohbausanierung des Gebäudes. Am
9. November 1988 konnte das Gebäude neu eingeweiht werden.
Artikel
von Christian Schneider, dpa in der Ostthüringer Zeitung vom 13. Januar 1997
(Artikel wurde zur Verfügung gestellt von Jürgen Wachsmuth): "Auf
Spuren-Suche in der Thüringer Denkmal-Landschaft - Erfurter Synagoge
wiederentdeckt. Erfurt. Heute würde Baurat Schultze die
Prüfung über städtebauliche Gestaltungsrichtlinien wohl nicht bestehen.
Zum Antrag, den Giebel der Erfurter Synagoge über einen Arm der Gera
ragen zu lassen, notierte er: 'Hinderlich ist dieser Überbau nicht, und
es wird derselbe nicht schlecht aussehen, deshalb möchte dieser Überbau
wohl zu genehmigen sein.'
Das war 1839. Heute müsste sich der Baurat mit der Frage herumschlagen,
wie man einen zehn Meter langen Stahlträger in das inzwischen verzogene
Fundament der Synagoge einbringt. Mit Lasermessung und Spezialbohrern
nehmen sich seit 1993 Architekten und Denkmalschützer der Synagoge an,
die zu den versteckten Bauten Erfurts gehört. Bei 'Synagoge' denken die
Erfurter zuerst an den einzigen Synagogen-Neubau in der damaligen DDR.
Seinen von Schultze genehmigten Vorgänger kennen nicht einmal mehr
alteingesessene Erfurter Juden. Auf halben Weg zwischen der Krämerbrücke
und dem Rathaus liegt das ehemalige Wohnhaus 'Zur großen und kleinen
Weinkrause', das Ephraim Salomon Unger 1823 einem Müllermeister abkaufte.
Etwa 100 jüdische Einwohner hatte Erfurt damals.
Ungers Erwerbung missfiel zunächst der Baupolizei von Baurat Schultze.
Sie sperrte das Fachwerkhaus und ließ es bis auf einige noch heute
erhaltene Kellerteile abreißen. 1839 überreichte Unger einen Bauriss zu
einem neuen Wohnhaus mit Betsaal'. Genau ein Jahr dauerte der Neubau der
Synagoge im klassizistischen Stil mit acht markanten Rundbogenfenstern
über zwei Stockwerke für den Betsaal. Dazu kam ein kleiner Wohnbereich
für Rabbiner und Synagogendiener. Heute bringen die Restauratoren Reste
der blauen Papiertapete und des Toraschreins wieder zum Vorschein. Bereits
1884 war die Synagoge von der Gemeinde verkauft worden. Ein Essigfabrikant
baute sie zum Fasslager um. Die Wände bekamen Bretterverkleidungen, die
Fenster wurden zugemauert, den Betsaal zerschneidet eine Zwischendecke.
1916 kaufte die Stadt das Haus und richtete Wohnungen ein. Als 1938 der
mittelalterliche Straßenname 'An der Judenschule' in 'An der Stadtmünze'
geändert wurde, geriet die Synagoge gänzlich in Vergessenheit.
Erst 1988 entdeckte Denkmalpflegerin Rosita Peterseim eine
Touristenbroschüre aus den 60er-Jahren, die auf ihre Existenz hinwies. Zu
diesem Zeitpunkt waren die Holzwürmer ins Dachgebälk gezogen, und aus
einer angebauten Garage kroch die Nässe ins Fachwerk unter den
Außenputz. Dennoch wurde das Haus 1992 unter Denkmalschutz gestellt. Seitdem
flossen 455.000 Mark vor allem für die Sanierung des morschen Gebälks
und die Stahlversteifung der Fundamente. Mit einer weiteren Million
rechnet Peterseim für die endgültige Sanierung.
Die Denkmalschützer könnten sich eine Nutzung durch die Erfurter Universität
vorstellen. Uni-Verwaltungschef Gregor Herrmann sucht noch ein Gebäude.
Vorlesungen und Seminare im ehemaligen Betsaal sind vorstellbar, doch
entschieden ist noch nichts."
Vgl. zur Entdeckung der "Kleinen
Synagoge" 1992 den Artikel von Ute Hinkeldein in meinanzeiger.de vom 3.
Dezember 2018: "Erinnerungen an meine Zeit beim Denkmalschutz
Im Jahr 1992 habe ich für die Untere Denkmalschutzbehörde Gebäude
fotografiert, die den Denkmalschutzstatus erhielten. Darunter war auch das
leergezogene Haus hinter der Stadtmünze 4/5. Dieses Gebäude suchte ich
gemeinsam mit Kunsthistorikerin Rosita Peterseim auf. Jedoch bevor wir
anfangen konnten, mussten wir das Tierheim anrufen, damit die große
Katzenfamilie ein neues Domizil bekam. Wie bereits erwähnt, waren die
Wohnungen völlig vollgestellt mit Möbeln und Gerümpel. Trotzdem kletterte
Rosita nach oben, um den Zustand über der Zwischendecke festzustellen. Nach
kurzer Zeit rief sie mich: 'Schau dir das hier mal an! Die Fenster endeten
in geschwungenen Rundbögen, wie es bei Sakralbauten üblich ist. Aber erst
nach dem Fund von Teilen eines Toraschreins war klar, dass es sich hier um
eine Synagoge handelte. Nach dieser Entdeckung waren wir sehr euphorisch.
Die Kellerräume, in denen später die Mikwe gefunden wurde, waren im II.
Weltkrieg vermutlich Luftschutzräume. Eine Seitenwand war vollgeschrieben
mit Mitteilungen aller Art und der Suche nach Angehörigen. Auch wenn diese
Texte nicht zur jüdischen Geschichte gehörten, hätte ich mir gewünscht, dass
einige dieser Texte erhalten geblieben wären. Es waren originale Zeugnisse
aus dem II. Weltkrieg. Im Zusammenhang mit der Renovierung der Gaststätte
'Feuerkugel' wurde dann noch die Alte Synagoge gefunden. Damit war die
jüdische Geschichte der Stadt komplett. Im Anschluss an meine Zeit als
Fotografin leitete ich mehrere Projekte, darunter das Projekt 'Esthers
Chance.' Hier ging es um die Integration russisch-jüdischer
Kontingentflüchtlinge. In dieser Zeit lernte ich drei jüdische Frauen
kennen, Inna K., Regina G. und Ludmilla P. Es entstand eine Freundschaft.
Ich kann mich auch gut an Herrn Kerstel erinnern, weil ich damals sehr
häufig mit 'meinen' jüdischen Mitbürgern in der Begegnungsstätte weilte.
Außerdem waren Herr Kerstel und unser Vereinspfarrer Karl Metzner gut
miteinander bekannt. Ich würde mir sehr wünschen, dass dieses jüdische Erbe
Thüringens Weltkulturerbe wird. Es braucht Geduld. Der Naumburger Dom wurde
auch erst im dritten Anlauf aufgenommen."
Link zum Artikel
August 2012:
60 Jahre neue Erfurter Synagoge
Artikel von Birgit Kummer in der
"Thüringer Allgemeinen" vom 2. August 2012: "Synagoge am Erfurter Juri-Gagarin-Ring vor 60 Jahren geweiht.
Evangelischer Kirchenkreis, katholisches Bistum und Jüdische Landesgemeinde richten gemeinsam eine Feier in der Thomaskirche aus. Als Geschenk zum Jubiläum sorgen Bistum, evangelische Kirche und andere Spender für die Restaurierung der beiden Menora-Leuchter. Erfurt. Bis 1938 stand am heutigen Juri-Gagarin-Ring ein imposanter Kuppelbau. Die große Synagoge fiel den Zerstörungen der Pogromnacht zum Opfer.
Die Pläne, nach Kriegsende auf dem Gelände der Jüdischen Gemeinde wieder eine Synagoge zu errichten, seien schwierig umzusetzen gewesen, erinnerte Wolfgang Nossen, langjähriger Vorsitzender der Jüdischen Landesgemeinde. Eine Genehmigung sei von DDR-Behörden lange verweigert worden. Das grüne Licht für den Bau hätten sie mit der Auflage verbunden, das Haus in die umgebenden Baufluchten einzupassen. Deshalb sei die Synagoge für viele nicht als solche erkennbar.
1952 wurde das Gebäude geweiht. 'Es war der einzige Neubau einer Synagoge zu
DDR-Zeiten', so Nossen. Es habe auch zu DDR-Zeiten viele antisemitische Ressentiments gegeben.
'Viele haben das Land verlassen. Vor der Wende gab es in Erfurt noch 26 eingetragene
Mitglieder.'
Heute zählt die Jüdische Landesgemeinde 840 Mitglieder, sagte Rabbiner Konstantin Pal. In Erfurt seien es etwa 500, die meisten Einwanderer aus der einstigen Sowjetunion.
Die Landesgemeinde begeht das Jubiläum am 31. August. Doch schon vorher, am 12. August, wird es um 16 Uhr in der Thomaskirche eine christlich-jüdische Gemeinschaftsfeier geben. Am Ewigkeitssonntag setze sich die Kirche traditionell mit dem christlich-jüdischen Verhältnis auseinander, erläuterte Pfarrer Ricklef Münnich, Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Kirche und Judentum.
Zur Feier sprechen der katholische Weihbischof Reinhard Hauke, der evangelische Regionalbischof Reinhard Werneburg und die Rabbiner Andrew Steinman und Konstantin Pal. "Ich freue mich, dass wir in Thüringen ein so gutes Verhältnis haben", so Pal. Die Feier werde mit dem Wort Schalom enden, ergänzte Ricklef Münnich. "So selbstverständlich das in Thüringen erscheinen mag, bundesweit ist eine solche Feier eher selten."
Als Geschenk zum Jubiläum sollen die beiden siebenarmigen Leuchter aus der Synagoge, die Menorot, wieder Glanz bekommen. Dazu muss die Beschichtung entfernt und neues Silber auf das Metall aufgetragen werden. 6000 Euro sind veranschlagt. Das Geld wollen Bistum, Evangelische Kirche und weitere Spender aufbringen.
"Der Blick auf eine solche Feier gibt mir Auftrieb", sagte Wolfgang Nossen. Gleichzeitig sei ihm mit Blick auf die Politik
'zum Weglaufen', kritisierte er scharf das Urteil des Kölner Landgerichts, das die Beschneidung von Jungen aus rein religiösen Gründen als Körperverletzung wertete. Das Urteil sei nicht hinnehmbar, fand auch Konstantin
Pal. 'Ich erwarte, dass die deutsche Politik die Religion schützt.'
"
Weiterer Bericht von Susann Fromm in der
"Thüringer Allgemeinen" vom 31. August 2012: "Jüdische
Gemeinde in Erfurt feierte 60 Jahre Neue Synagoge..." Link
zum Artikel
November 2014:
Der Platz vor der Synagoge wird
nach dem ersten Vorsitzenden der jüdischen Nachkriegsgemeinde Max Cars
benannt
Artikel von Birgit Kummer in der "Thüringer
Allgemeinen" vom 6. November 2014: "Neue Synagoge in Erfurt jetzt
offiziell am Max-Cars-Platz.
Erfurt. Die Landeshauptstadt hat seit Mittwoch einen Max-Cars-Platz. Er
liegt direkt vor der Neuen Synagoge am Juri-Gagarin-Ring, die Fläche war
bisher dem Ring zugeordnet. Max Cars (1894 bis 1961) war der erste Vorsitzende der Jüdischen
Landesgemeinde Thüringens nach dem Krieg. 'Das ist kein gewöhnlicher
Vorgang', sagte Professor Reinhard Schramm, der heutige Vorsitzende der
Jüdischen Landesgemeinde. 'Es passiert wohl nur alle hundert Jahre, dass
solch ein Name vergeben wird.' Man ehre einen tapferen und selbstbewussten
Juden. 'Einen Mann, der geholfen hat, wo er nur konnte.'"
Link zum Artikel
Vgl. Wikipedia-Artikel
https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Cars
Dezember 2018:
Kurzportrait der jüdischen
Gemeinde Erfurt
Artikel in der "Jüdischen Allgemeinen" vom
18. Dezember 2018: "Porträt. Erfurt – Die Gemeinde mit langer Tradition.
Die Landesgemeinde in Erfurt bietet ihren Mitgliedern ein umfassendes
Programm: Gottesdienste, Feiern zu den Festen, alles von Jugendzentrum bis
Seniorenklub und eine regelmäßig erscheinende Gemeindezeitung.
Die jüdische Geschichte Thüringens geht bis ins 10. Jahrhundert zurück. Die
Alte Synagoge ist mit ihren ältesten Bauteilen aus dem 11. Jahrhundert die
älteste, bis zum Dach erhaltene Synagoge in Mitteleuropa. Hier ist 2009 ein
außergewöhnliches Museum entstanden und ein Ort geschaffen worden, an dem
mittelalterliche Sachzeugnisse der jüdischen Gemeinde Erfurts der
Öffentlichkeit zugänglich sind. Während der Zeit des Nationalsozialismus
erlitten die Thüringer Juden das gleiche schreckliche Schicksal wie ihre
Glaubensgenossen im ganzen Land. In der Pogromnacht 1938 wurden in Thüringen
Synagogen angezündet und zerstört. Viele Juden wurden verhaftet und ins nahe
gelegene Konzentrationslager Buchenwald verbracht. Vielfach wurden sie nur
unter der Auflage, möglichst bald auszuwandern, wieder entlassen. Bis in die
letzten Kriegstage wurde das Vernichtungsprogramm der Nazis auch an den
Thüringer Juden gnadenlos vollstreckt.
Nach dem Kriegsende 1945 kehrten 127 Überlebende aus dem Lager
Theresienstadt nach Thüringen zurück, davon 15 nach Erfurt. Dazu kamen etwa
400 Überlebende aus der Breslauer Gegend. In der Erfurter Gemeinde begann
man auf Initiative des damaligen Rabbiners Max Cars schon bald mit Planungen
für den Bau einer neuen Synagoge, die dann tatsächlich als einziger
Synagogen-Neubau der DDR am 31. Oktober 1952 eingeweiht werden konnte.
Erfurt wurde zum Sitz der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen. 1989 gehörten
ihr nur noch 26 Mitglieder an. Dank des Zuzugs von Juden aus der ehemaligen
Sowjetunion wuchs die Gemeinde ab den 90er-Jahren wieder an und zählt heute
circa 700 Mitglieder. Die Gemeinde verfügt über ein Kultur- und
Bildungszentrum. Es gibt ein vielfältiges Angebot für die
Gemeindemitglieder: Jugendzentrum, Theatergruppe, Tanzgruppe, Chor,
Seniorenklub, Musikunterricht für Kinder, Bibliothek, Schachklub und
Sprachunterricht in Deutsch, Englisch und Jiddisch."
Link zum Artikel
Oktober 2019:
Eine neue Torarolle wird für die
Synagoge geschrieben
Artikel von Elena Rauch in der "Thüringer
Allgemeinen" vom Oktober 2019: "Mehr als ein Pergament: Niederschrift
einer neuen Torarolle in der Erfurter Synagoge.
Am heutigen Mittwochabend beginnt die zeremonielle Niederschrift einer neuen
Torarolle: Ein Geschenk der christlichen Kirchen an die Jüdische
Landesgemeinde in schwierigen Zeiten.
Gut Jontef! Landesrabbiner Alexander Nachama begrüßt seine Gemeinde. Gutes
Fest. Es ist Montagabend und der Gottesdienst ein besonderer, sie feiern die
Tora. Ein Gemeindediener öffnet den Toraschrein, die Männer, die eine
Torarolle tragen werden, legen den Tallit, den Gebetsschal um. Dann zieht
die Prozession durch die Synagoge. Ihre Lieder klingen nach Freude, 'Hava
Nagila' oder 'Hevenu schalom alejchem'. Die Gemeinde singt mit, viele
Menschen klatschen, berühren die Rollen durch ein Tuch, weil es mit der
bloßen Hand respektlos wäre. Für die Kinder gibt es Süßigkeiten und einen
Segen zum neuen jüdischen Jahr. Es ist ein fröhliches, ein hoffnungsvolles
Fest. Thora ist Leben."
Link zum Artikel
Artikel von Elena Rauch in der "Thüringer
Allgemeinen" vom 25. Oktober 2019: "In der Erfurter Synagoge: Der
erste Buchstabe auf Pergament..."
Link zum Artikel
Mai 2024:
Virtuelle Rekonstruktion der
großen Synagoge
Seit Dezember
2011:
Onlineplattform zum jüdischen Leben in Thüringen
Der Förderverein Alte und Kleine Synagoge Erfurt e.V. wird mit Hilfe des Leo-Baeck-Programms der Stiftung
"Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" sowie des Thüringer Kultusministeriums ein Onlineportal zum jüdischen Leben in Thüringen schaffen. Ziel sei es, künftig einen gemeinsamen Veranstaltungskalender, wissenschaftliche Publikationen sowie Bild- und Tonarchive einzubinden. Ein besonderer Fokus soll auf ehrenamtlich agierenden Initiativen vor Ort
liegen. Mit den Jüdisch-Israelischen Kulturtagen in Thüringen hat der Förderverein in den vergangenen Jahren seine Netzwerkfähigkeit unter Beweis stellen können.
Weitere Informationen zum geplanten Netzwerk gibt es im Internet unter
www.synagogenverein-erfurt.de.
Germania Judaica I S. 97-102; II,1 S. 215-224; III,1 S.
308-329 (jeweils mit weiteren Literaturangaben).
Informationsblätter aus der "Kleinen Synagoge", u.a.
"Dauerausstellung - Begegnungsstätte Kleine Synagoge 'Juden in
Erfurt'".
Landeshauptstadt
Erfurt - Stadtverwaltung (Hrsg.): Alte Synagoge und Mikwe zu Erfurt.
Erfurt. Verlag Dr. Bussert & Stadeler. 2009. 14,90 €
Weitere Publikationen in der von der Stadtverwaltung der Landeshauptstadt
Erfurt herausgegebenen Reihe: Erfurter Schatz. 2009. ISBN
978-3-932906-96-1 14,90 € Erfurter hebräische Handschriften.
2009. ISBN 978-3-932906-98-5. 14,90 €.
Reihe: Die mittelalterliche jüdische Kultur in Erfurt: Zusammen
5 Bände. Erscheint bei Beier & Beran. Langenweißbach.
Band 1: Der Schatzfund: Archäologie - Kunstgeschichte -
Siedlungsgeschichte. Autoren: Sven Ostritz, Karin Szech, Maria
Stürzenbecher, Thomas Nitz, Maike Lämmerhirt. Erschienen
2010. Band 2: Der Schatzfund: Analysen, Herstellungstechniken,
Rekonstruktionen. Autoren: Oliver Mecking, Astrid Pasch, Grit Zimmermann et.
al. Erschienen 2010.
Band 4: Die Alte Synagoge. Autoren: Sven Ostritz (Hrsg.), Elmar Altwasser,
Heike Kirsten, Dieter Klaua, Gerhard Schade. Erschienen 2009.
Alice
Frontzek: Amor vincit omnia - Die Liebe überwindet alles. Zum Inhalt des Romans der Erfurter Stadtführerin Alice Frontzek:
Erfurt im frühen Mittelalter. In dieser Handelsstadt scheint das Zusammenleben der Christen und Juden unter dem Schutz des Bischofs zu funktionieren. Die junge Jüdin Jutta hat die Wahl zwischen Johann, dem Sohn einer christlichen Goldschmiedefamilie und Kalman, dem Sohn einer jüdischen Fernhändlerfamilie. Der Jude Kalman schmiedet schon Hochzeitspläne und gibt einen reich verzierten Ring in Auftrag.
Als Jutta sich gerade für Kalman kurz vor seiner nächsten größeren Handelsreise entschieden hat, kommt es, nach seiner Abreise, am 21. März 1349 zu einem grausamen Pogrom. Die gesamte jüdische Gemeinde wird ausgelöscht, Jutta und ihr Vater überleben mithilfe von Johann. Doch sie müssen sich einer Taufe unterziehen. Aber dann stellt Jutta fest, dass sie von Kalman schwanger ist...
ISBN: 978-3-98129727-6-3. 152 Seiten, Broschur. 11,00 Euro (incl. Versandkosten und Mwst. Buchrezension
in der "Thüringer Allgemeinen" vom 25.10.2012 (pdf-Datei;
bzw. Link
zum Artikel). Link zum Verlag mit
Bestellmöglichkeit.
Benigna
Schönhagen (Hrsg.) im Auftrag der Stiftung Jüdisches Kulturmuseum
Augsburg-Schwaben: Wiederhergestellte Synagogen. Raum - Geschichte - Wandel
durch Erinnerung. 136 S. 40 Abb. ISBN: 978-3-95565-141-1. 14,90 €
Verlag Hentrich & Hentrich Verlag Berlin www.hentrichhentrich.de;
Informationen
und Bestellmöglichkeit auf Verlagsseite.
In diesem Sammelband präsentieren erstmals elf Expertinnen und Experten aus dem Bereich der jüdischen Museen und Gedenkstätten Sanierungs- und Nutzungskonzepte, die im deutschsprachigen Raum seit den 1980er Jahren für Synagogengebäude entwickelt wurden, die die Zeit des Nationalsozialismus überdauert haben, aber ihrer Gemeinde beraubt wurden. Die Beispiele zeichnen den Bewusstseinswandel für den Umgang mit dem gebauten jüdischen Erbe in den letzten 30 Jahren nach und geben einen Überblick über die Entwicklung der nationalen Erinnerungs- und Gedenkkultur. Ein besonderes Augenmerk gilt der angemessenen Sicherung von Spuren der Geschichte in den Gebäuden wie den Möglichkeiten und Herausforderungen der musealen Arbeit und historischen Vermittlung an einem authentischen Ort.
Mit Beiträgen von Fritz Backhaus (Jüdisches Museum Frankfurt/Main), Ines Beese (Alte Synagoge
Erfurt: S. 52-61: "Die Alte und die Kleine Synagoge. Erfurt. Sanierung,
Nutzung, Verortung im Netzwerk"), Martina Edelmann (Jüdisches Kulturmuseum Veitshöchheim), Daniela Eisenstein (Jüdisches Museum Franken), Karlheinz Geppert (Gedenkstätte Synagoge Baisingen), Felicitas Heimann-Jelinek (xhibit.at, Wien), Martha Keil (Institut für jüdische Geschichte Österreichs, St. Pölten), Hanno Loewy (Jüdisches Museum Hohenems), Hansfried Nickel (Synagoge Memmelsdorf), Benigna Schönhagen und Souzana Hazan (Jüdisches Kulturmuseum Augsburg-Schwaben)
Maria Stürzebecher: Disappearance on Display:
Vanished Torah Arks in Medieval Synagogues and Their Presentation. Erschien
online 2020.
https://www.mdpi.com/2076-0752/9/2/61. Abstract. In planning the museum in the medieval Synagogue in Erfurt more
than 10 years ago, there was one big problem: the building had gone through
many changes over the centuries, which wiped out almost all traces of the
synagogue’s use. The Bimah was destroyed, presumably during the pogrom on 21
March 1349. By converting the former synagogue into a warehouse (following
the pogrom), a big gateway was inserted into the eastern wall, at the place
of the former Torah Ark. Only the light cornice is still recognizable on the
synagogue’s walls. To find an adequate solution for displaying the vanished
Torah Ark in the Old Synagogue in Erfurt, we compared examples in other
locations in Europe, suggesting the presentation eventually chosen for the
Old Synagogue of Erfurt.
Wolfgang Schmitt-Kölzer: Sie bekamen keine Karten
für die Schiffspassage. Das Leben von Ernst Meyer (1895-1942), Hedwig Kahn
(1906) und Lilly Kahn (1917-1995). Artikel in "Die Warte Perspectives" der
Tageszeitung "Luxemburger Wort" vom 27. April 2023. Der Beitrag (eingestellt
als pdf-Datei) findet sich auch im digitalen Holocaust-Memorial
Luxemburg www.memorialshoah.lu
unter
https://www.memorialshoah.lu/de/story/0121-meyer-kahn.
Hinweis: Ernst Meyer ist am 7. November 1895 in Erfurt geboren als Sohn des
gleichfalls in Erfurt geborenen Adolf Meyer. Seine Mutter Betty geb.
Hirschfeld stammt aus Walcz (heute Polen).
Erfurt
Thuringia. There was Jewish settlement in Erfurt from
the second half of the 12th century. The flourishing community maintained two
synagogues, a mikve, a cemetery, a yeshiva, and several famous rabbis. From the
mid-14th century the synods of the rabbis of thuringia and Saxony took place i Erfurt
and members of the community were shofar makers for all Germany. During the
Black Death persecutions of 1348-49, rioters mudered 100 out of 976 Jews. Many
others committed suicide, by setting fire to their own houses. In 1453-54, the
Jews were forced to leave the town, and it was not until 1768 that they were
again allowed to trade and live temporarily in Erfurt.
The modern Jewish settlement was established at the beginning of the 19th
century. A synagogue and cemetery were established and the community grew to 191
members in 1853; to 479 in 1860; and to 782 in 1900. The community maintained a
religious school from about 1860 and a cemetery from 1873. A synagogue was
established in 1884. There were also several welfare associations, a local
branch of the Central Union (C.V.), and a Jewish History and Literature Society
(1928). Jews played an important role in the city's economic development, by
setting up clothing, wool, shoe, and malt factories. There were also numerous
Jewish lawyers and physicians. Three Jews were members of the city council.
Willy Muenzenberg (1889-1941), a Communist member of the Reichstag (1924-33),
was born in Erfurt. In the 1920s, systematic antisemitic propaganda inspired
attacks on Jews and their property. In 1933, the Jewish population of Erfurt was
831 (0,6 % of the total) and included a large number of immigrants from Eastern
Europe.
In April 1933, Jewish stores were boycotted and in July, two Jewish Communists
were murdered. Emigration began and by 1936 the Jewish population droped to 660.
From 1937, the 100 stores and businesses still remaining in Jewish hands were
subject to an extensive boycott. Some 100 Jews with non-German citizenship were
deported to Poland in October 1938. On Kristallnacht (9-10 November
1938), the synagogue was set on fire and the chapel at the cemetery destroyed.
The Nazis arrested and maltreated 197 Jews with ten men requiring
hospitalization. Others were interned in the Buchenwald concentration camp. In September
1941, 188 Jews still lived in Erfurt. In four transports to the east, between
May 1942 and January 1944, 152 were deported, with four individuals committing
suicide beforehand. Of those left in Erfurt - probably owing to marriage to
non-Jews - 19 were deported to the Theresienstadt ghetto in January 1945.
In January 1946, a new Jewish community, was established with 120 members. In
the early 1950s, this was the largest community after Berlin in East Germany (GDER).
A new synagogue was consecrated, but in 1988, the community had just 30 members.
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