Baisingen Friedhof 154.jpg (62551 Byte)  Segnende Hände der Kohanim auf einem Grabstein in Baisingen


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Groß-Gerau (Kreis Groß-Gerau)
Jüdische Geschichte / Synagoge

Übersicht: 

bulletZur Geschichte der jüdischen Gemeinde  
bulletBerichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde   
Aus der Geschichte der jüdischen Lehrer 
Aus dem jüdischen Gemeindeleben   
Berichte zu einzelnen Personen aus der Gemeinde  
Anzeigen jüdischer Gewerbebetriebe und Privatpersonen    
bulletZur Geschichte der Synagoge   
bulletFotos / Darstellungen 
bulletErinnerungsarbeit vor Ort - einzelne Berichte  
bulletLinks und Literatur   

   

Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde (english version)     
  
In Groß-Gerau lebten Juden bereits im Mittelalter. Um 1339 erpresste Graf Wilhelm von Katzenelnbogen zehn Pfund Heller von ihnen. Bereits damals soll es einen jüdischen Friedhof in der Stadt gegeben haben. 1401 gab es in der Stadt vier jüdische Steuerzahler, drei Männer und eine Frau. Von ihnen wurden damals individuelle Abgaben ("Judengeld") gefordert. Ein Haus wird um diese Zeit in der Stadt als "Judenhaus" ("des iuden huß") bezeichnet.  
     
Die Entstehung der neuzeitlichen Gemeinde geht in das 16./17. Jahrhundert zurück. Von einer Synagoge hört man um 1620 (s.u.). 1663 waren mindestens drei jüdische Familien in der Stadt. Genannt werden: Menle (ein 60-jähriger Krämer, seit 30 Jahren in Groß-Gerau, mit Frau und zwei Kindern), Isaak (ein 40jähriger Vieh- und Fruchthändler mit Frau und 5 Kindern, sei 12 Jahren in der Stadt) sowie Moses (Witwer mit drei Kindern, seit 10 Jahren in Groß-Gerau). Diese drei Familien wurden damals vertrieben und verzogen nach Pfungstadt. 1696 werden drei jüdische Familien in der Stadt genannt, von denen damals zwei ausgewiesen wurden. Die jüdischen Familien lebten vom Vieh-, Pferde-, Leinwand- und Spitzenhandel. Im 18. Jahrhundert stieg die Zahl der jüdischen Einwohner an (1725 5 jüdische Familien, 1738 60 Personen, 1744 70 Personen, 1770 12 Familien). Auch die in Klein-Gerau und Wallerstädten lebenden Juden gehörten zeitweise zur jüdischen Gemeinde in Groß-Gerau. Von großer Bedeutung waren im 18./19. Jahrhundert die Viehmärkte in Groß-Gerau, zu denen jüdische Viehhändler aus der Umgebung in die Stadt kamen.  
     
Im 19. Jahrhundert stieg die Zahl der jüdischen Einwohner weiter an: 1829 45 jüdische Einwohner (3,8 % von insgesamt 1.719 Einwohnern), 1861 68 (2,8 % von insgesamt 2.426 Einwohnern), 1875 127, 1885 141 (4,1 % von 3.360), 1900 126 (2,8 % von 4.486), 1910 140 (2,5 % von 5.594 Einwohnern). 
  
An Einrichtungen hatte die jüdische Gemeinde eine Synagoge (s.u.), eine Religionsschule, ein rituelles Bad und einen Friedhof. Zur Besorgung religiöser Aufgaben der Gemeinde war ein Lehrer angestellt, der zugleich als Vorbeter und Schochet tätig war (Ausschreibungen der Stelle siehe unten). Seit der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts gehörte die Gemeinde dem liberalen Rabbinat Darmstadt I ein, doch wurden die Gottesdienste nach orthodoxem Ritus abgehalten.  
  
Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eröffneten die jüdischen Familien zahlreiche Handlungen und Gewerbebetriebe, die für das wirtschaftliche Leben in der Stadt von großer Bedeutung waren.
   
Im Ersten Weltkrieg fielen aus der jüdischen Gemeinde Wolf Kahn (geb. 1881 Hetschbach, gef. 21.7.1918 / vermisst), Friedrich (Fritz) Marx (geb. 17.8.1892 Groß Gerau, gef. 3.10.1918), Moritz Mayer (geb. 1.9.1884 Groß Gerau, gef. 4.10.1914) und Sigismund Schott (geb. 10.8.1894 Groß Gerau, gef. 5.3.1915).   
    
Um 1925
, als zur Gemeinde etwa 200 Personen zählten (3,3 % von ca. 6.000 Einwohnern), gehörten dem Gemeindevorstand an: Adolf Oppenheimer, Heinrich Hirsch und Jacob Gottschall. Als Kantor und Lehrer war Julius Rothschild angestellt. Er erteilte auch den Religionsunterricht an den höheren Schulen.  
      
Nach 1933 ist ein Großteil der jüdischen Gemeindeglieder (1933: 167 Personen) auf Grund der zunehmenden Entrechtung und der Repressalien weggezogen beziehungsweise ausgewandert: 31 konnten auswandern, 96 sind bis zur teilweise möglichen Auswanderung in andere Städte gezogen (Frankfurt, Mainz und Wiesbaden, von denen sie teilweise deportiert wurden). Vermutlich letzter jüdischer Lehrer der Gemeinde war von 1933 bis 1936 Carl Hartogsohn (geb. 1905 in Emden, umgekommen nach der Deportation, weitere Informationen zu ihm auf der Seite zu Höchst am Main). 1938/39 lebten noch etwa 30 jüdische Personen in der Stadt. Beim Novemberpogrom 1938 wurde die Synagoge zerstört (s.u.), jüdische Häuser beziehungsweise Wohnungen geplündert und verwüstet (besonders das Haus des Gemeindevorstehers Gustav Hirsch und das Haus der Familie Emil Marx). Nach entwürdigenden Aktionen und Misshandlungen wurden die jüdischen Männer in das KZ Buchenwald gebracht. Die verbliebenen Frauen und älteren Menschen lebten danach unter unmenschlichen Verhältnissen in ihren verwüsteten Häusern, u.a. wurden ihnen am 14. November die Gasleitungen abgestellt. Am 7. November 1940 lebte kein Jude mehr in der Stadt.  
    
Von den in Groß-Gerau geborenen und/oder längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit umgekommen (Angaben nach den Listen von
Yad Vashem, Jerusalem Yad Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945", ergänzt durch Angaben aus Angelika Schleindl: Verschwundene Nachbarn s. Lit.): Bertha Berney geb. Mayer (1889), Rosalie Blatt geb. Hirsch (1882), Siegfried Blatt (1875), Klara Bodenheimer geb. Mayer (1896), Siegfried Dahlerbruch (1911), Hulda (Hilda) Falkenstein geb. Mart (1876), Gertrude Flörsheimer geb. Heitmann (1904), Auguste Goldberger (1889), Motiz Goldberger (1878), Hermann Gottschall (1878), Jakob Gottschall (1864), Adolf Guckenheimer (1877), Frieda Guthmann geb. Gerson (1887), Jakob Guthmann (1869), Max (Marx) Guthmann (1877), Carl Hartogsohn (1905), Hedwig Hertz geb. Oppenheimer (1905), Clara Herz geb. Strauss (1865), Erna Hirsch (1910), Ferdinand Hirsch (1875), Fritz Hirsch (1888), Ida Hirsch (1898), Jakob Hirsch (1880), Julius Hirsch (1882), Lina Hirsch (1890), Recha Hirsch geb. Mayer (1894), Sophie Hochstädter (1872), Armin Israel (1886), Salomon Israel (1879), Johanna Kahn (1895), Leopold Kahn (1889), Minna Kahn geb. Guthmann (1881), Albert Kaufmann (1883), Hedwig Kaufmann geb. May (1896), Julius (Isaak) Keller (1877, siehe Kennkarte unten), Josephine Kleeblatt geb. Hirsch (1874), Johanna Kossmann geb. Mayer (1874), Betty Löwenstein geb. Hirsch (1884), Klara Mainzer geb. Hirsch (1883), Else Mann geb. Kahn (1897), Inge(borg) Mann (1927), Max Mann (1894), Emil Marx (1873), Hedwig Marx (1909), Jakob Marx (1883), Michael Marx (1873), Ferdinand Marxsohn (1869), Julius Mayer (1890), Betty (Betti) Meyerhoff geb. Oppenheim (1868), Otto Nussbaum (1906), Johanna (Anna) Reis geb. Guckenheimer (1872), Gertrude Rosenthal geb. Kahn (1911), Johanna Schallmann geb. Marx (1871; Geburtsname nicht: Strauss), Markus Schott (1864), Mathilde Schott geb. Guckenheimer (1877), Jacob Simon (1856), Siegmund Strauß (1869), Jenny Wallach geb. Marxsohn (1874). 
      
Am 16. November 2012 wurden in Groß-Gerau (vor dem Haus Darmstädter Straße 10 / Ecke Sandböhl) erstmals "Stolpersteine" zur Erinnerung an Mitglieder der Familie Kahn verlegt: für Leopold Kahn (1889) und Johanna Kahn geb. Kahn (1895), die in Auschwitz ermordet wurden sowie für die in die USA geflüchteten Personen Julius Kahn (1884), Frieda Kahn geb. Flörsheimer (1891) und Karl Kahn (1915). Weitere Verfolgungen folgten in den kommenden Jahren: Übersicht siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Groß-Gerau.    
    
    
Persönlichkeiten:

bulletArthur Kahn (1850 in Groß-Gerau - 1928 in Berlin): Arzt und Schriftsteller. Wanderte nach Amerika aus; in New York setzte er sich erfolgreich für die Errichtung eines Heine-Denkmals ein. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland begründete er u.a. mehrere Hilfswerke (Altershilfe Groß-Berlin; Hilfswerk für Ostjuden) und jüdische Wohlfahrtseinrichtungen in Berlin. Er schrieb Novellen und Romane über das Leben in jüdischen Kleingemeinden.  
bulletHammann GG 01.jpg (8985 Byte)Wilhelm Hammann (1897-1955, nicht jüdisch): Lehrer, ab 1927 KPD-Abgeordneter im hessischen Landtag, 1933 verhaftet, 1935 Zuchthaus Rockenberg, dann KZ Buchenwald; Angehöriger des illegalen internationalen Lagerkomitees. Als Blockältester des Blockes 8 war er für 328 Kinder zuständig und konnte durch sein mutiges Auftreten gegenüber der SS das Leben von 158 jüdischen Kindern retten. Nach 1945 war Hammann erster Landrat des Kreises Groß-Gerau. Wilhelm Hammann wurde als "Gerechter aus den Nationen" durch Pflanzung eines Baumes in der Allee der Gerechten in Yad Vashem, Jerusalem geehrt. In Groß-Gerau ist eine Straße nach ihm benannt.      Artikel über Wilhelm Hammann (wikipedia)    Quelle des Fotos  

     
     
   
  
Berichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde 
 
Aus der Geschichte der jüdischen Lehrer   
Ausschreibungen der Stelle des Religionslehrers / Vorsängers / Schochet 1860 / 1861 / 1867 / 1868 / 1870 / 1876 / 1878 / 1907 / 1910  
Grossgerau Israelit 26121860.jpg (48636 Byte)Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 26. Dezember 1860: "Vakanz. Die Stelle eines Religionslehrers, Vorbeters und Schochet bei der hiesigen Gemeinde, mit welcher nebst freier Wohnung ein Einkommen von circa 350 Gulden verbunden ist, wird zu Ostern vakant und soll bis dahin wieder besetzt werden. Reflektierende belieben sich unter Franco-Einsendung ihrer Zeugnisse an den Synagogen-Gemeinde-Vorstand zu wenden. Groß-Gerau, den 14. Dezember 5621 (=1860/61)".
 
Grossgerau Israelit 02011861.jpg (63377 Byte)Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 2. Januar 1861: "Vakanz. Die Stelle eines Religionslehrers, Vorbeters und Schochet bei der hiesigen Gemeinde, mit welcher nebst freier Wohnung ein Einkommen von circa 350 Gulden verbunden ist, wird zu Ostern vakant und soll bis dahin wieder besetzt werden. Reflektierende belieben sich unter Franko-Einsendung ihrer Zeugnisse an den Synagogen-Gemeinde-Vorstand zu wenden. Groß-Gerau, den 14. Dezember 5621". 
 
GrossGerau Israelit 29051867.jpg (29552 Byte)Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 29. Mai 1867: "Lehrer gesucht! In der israelitischen Gemeinde zu Groß-Gerau, Großherzogtum Hessen, ist die Stelle eines Religionslehrers, Vorsängers und Schächters vakant. Fixer Gehalt 300 Gulden, Nebeneinkünfte 100-130 Gulden; freie Wohnung. Befähigte Bewerber, die sich über Kenntnisse und religiösen Lebenswandel ausweisen können, wollen sich in portofreien Briefen wenden an den Israelitischen Vorstand." 
 
Grossgerau Israelit 25111868.jpg (88956 Byte)Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 25. November 1868: "Lehrer-Stelle vakant! In der israelitischen Gemeinde zu Groß-Gerau, Großherzogtum Hessen, ist die Stelle eines Religionslehrers, Kantors und Schächters sofort zu besetzen; es wird namentlich auf einen tüchtigen Religionslehrer reflektiert. Fixer Gehalt 400 Gulden; Nebenakzidenzien inklusive Schechitah-Gebühren, belaufen sich auf mehr als 100 Taler. Sollte Bewerber zugleich als Elementarlehrer fungieren können, so würde sich sein Einkommen noch bedeutend besser stellen. Ein solcher brauchte nicht Schächter zu sein, da ein dazu geeignetes Gemeindemitglied die Schechitah-Funktionen gegen mäßige Vergütung übernehmen würde. - Nur tüchtige und zum Unterrichten befähigte Lehrer wollen ihre Zeugnisse baldigst einsenden an den Vorstand. Baruch Marxsohn."
   
GrossGerau Israelit 14121870.jpg (39066 Byte)Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 14. Dezember 1870: "Die Stelle eines Religionslehrers, Vorsängers und Schächters in der israelitischen Gemeinde Groß-Gerau, Großherzogtum Hessen, ist zum 1. Januar 1871 zu besetzen. Fixer Gehalt 400 Gulden; Nebeneinkünfte circa 150 Gulden pro Jahr. Freie Wohnung; Vergütung für Heizung des Schullokals. Reflektierende wollen sich wenden an den Vorstand B. Marxsohn". 
 
Grossgerau Israelit 23081876.jpg (49036 Byte)Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 23. August 1876: "Die Religionslehrer-, Vorbeter- und Schächterstelle zu Groß-Gerau (Großherzogtum Hessen) ist vakant geworden und soll zum 1. Dezember diesen Jahres wieder besetzt werden. Gehalt 1.028 Mark 57 Pfennig pro Jahr, sowie ca. 500 Mark Nebenverdienste. Qualifizierte Bewerber wollen unter Vorlage ihrer Zeugnisse an den unterzeichneten Vorstand sich wenden. Groß-Gerau, den 18. August 1876. M. Marx."
 
Grossgerau Israelit 22051878.jpg (32450 Byte)Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 22. Mai 1878: "In der israelitischen Gemeinde zu Groß-Gerau ist die Stelle eines Religionslehrers, Chasan und Schochet bis zum 1. Dezember diesen Jahres zu besetzen. Fixer Gehalt 1.000 Mark, Nebeneinkünfte 5-600 Mark. Meldungen an den Vorstand." 
 
Gross-Gerau Israelit 12031891a.jpg (37816 Byte)Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 12. März 1891: "Die Stelle eines Religionslehrers, Kantors und Schächters wird mit dem 1. August dieses Jahres vakant. Fixes Gehalt per Jahr 1.000 Mark nebst ca. 5-600 Mark Nebeneinkünften. Nur seminaristisch gebildete Lehrer wollen sich beim unterzeichneten Vorstande melden. Groß-Geraus (Hessen). Der Vorstand: Bernhard Hirsch." 
Grossgerau Israelit 21031907.jpg (70152 Byte)Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 21. März 1907: "Die hiesige Kantor-, Religionslehrer- und Schächterstelle ist am 1. Juni diesen Jahres zu besetzen. Gehalt mit Nebeneinkommen ca. Mark 2.000. Seminaristische gebildete Bewerber wollen sich unter Einreichung von Zeugnisabschriften beim Unterzeichneten melden. 
(Groß-Gerau). 
Der Vorstand der israelitischen Religionsgemeinde 
Adolf Oppenheimer."
 
GrossGerau FrfIsrFambl 28101910.jpg (29579 Byte)Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 28. Oktober 1910: "Aus der Lehrerwelt. 
Frankfurt a Main. Vakanzen. Jacobsonschule in Seesen Oberlehrer für neuere Sprachen und Deutsch per 1. April; Vorbeter, Religionslehrer und Schächter in Groß-Gerau, Einkommen ca. 2.000 Mark."

  
Zum Tod des Lehrers Neumann (1920; Lehrer in Groß-Gerau vor 1900)  

Friedberg Israelit 11031920.jpg (111219 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 11. März 1920: "Friedberg in Hessen, 7. März (1920). Unsere Gemeinde hat einen schweren Verlust erlitten. Am Heiligen Schabbat mit der Toralesung Teruma starb in Frankfurt am Main infolge einer Operation Herr Lehrer Neumann, der mehr als zwanzig Jahre die Funktionen eines Lehrers, Kantors und Schochets hier ausgeübt hat. Schüler der Präparandenanstalt zu Burgpreppach und des Seminars zu Köln war er nacheinander in Lohrhaupten, Herborn, an der Israelitischen Religionsgesellschaft in Gießen, in Reinheim, Groß-Gerau und schließlich dahier tätig. Überall wusste er sich durch große Pflichttreue und Gewissenhaftigkeit die Zufriedenheit der Gemeinden zu erwerben. An seinem Grabe sprachen Herr Rabbiner Dr. Sander, Gießen, der besonders das Lehrgeschick des Verstorbenen hervorhob, Herr Lehrer Ehrmann, dahier, für den ‚Unabhängigen Verein israelitischer Lehrer Hessens’ und für den ‚Bund gesetzestreuer jüdischer Lehrer Deutschlands’, denen der Verewigte angehört hatte, Herr Rektor Philipps von der hiesigen Volksschule, das Vorstandsmitglied Herr Ferdinand Krämer für die Gemeinde und Herr Studienassessor Ehrmann, Frankfurt am Main, im Namen der Schüler. Möge sein Andenken ein gesegnetes sein! Seine Seele sei eingebunden in den Bund des Lebens."  

   
Carl Hartogsohn wechselt als Kantor und Lehrer nach Höchst am Main (1936)       

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 23. Juli 1936: "Aus der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main - Höchst. Die trotz der vor einer Reihe von Jahren bereits erfolgten Eingemeindung selbstständig gebliebene Jüdische Gemeinde Höchst am Main, die ihre Synagoge und ihre anderen Einrichtungen den Anforderungen des überlieferten Judentums gemäß aufrechterhält, hat, nach der Pensionierung ihres bisherigen verdienstvollen Beamten, Herrn Lehrer Levy, nunmehr Herrn Kantor und Lehrer Carl Hartogsohn, der seit fast drei Jahren in Groß-Gerau (Hessen) amtiert, zu ihrem Beamten gewählt. Herr Hartogsohn wird noch vor den Jomim Hanauroim (hohe Feiertage) sein neues Amt antreten".      

   
   
Berichte aus dem jüdischen Gemeinde- und Vereinsleben  
Eine Antisemitenversammlung fand in Groß-Gerau statt (1891)     

Gross-Gerau Israelit 14051891.jpg (229007 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 14. Mai 1891: "Groß-Gerau, 4. Mai (1891). Die angekündigte Antisemiten- Versammlung fand heute Nachmittag hier statt. In Ermangelung eines Lokals, denn kein Wirt hatte seinen Saal für den Antisemitenhäuptling hergegeben, gab man sich in der auf freiem Felde liegenden Dreschhalle Rendezvous (Anmerkung: Herr Böckel, der sich in seinem ‚Reichsherold’, in dem der dümmste Quatsch auf das Langweiligste breit getreten wird, über diese Versammlung anfänglich gründlich ausschwieg, berichtet endlich am 12. Mai, dass die Versammlung so groß gewesen sei, dass kein Lokal in Groß-Gerau sie hätte fassen können). Es muss als eine Ironie des Schicksals bezeichnet werden, in einem Raum, der sonst dem Dreschen des Strohs gewidmet ist, den Hetzapostel seine Alltagsrede abwickeln zu sehen. Ab und zu wurde ihm von dem zahlreich erschienenen Volk, das sich heute kein billigeres Vergnügen verschaffen konnte, als Böckel’s Arena zu besuchen, wilder Beifall gezollt. Das anständigere Publikum Groß-Geraus und der Umgegend blieb der Versammlung fern. Der Inhalt der Rede erstreckte sich über alles Mögliche und Unmögliche. Keine Partei blieb unverschont. Die Freizügigkeit, Gewerbefreiheit, Konkursordnung, Zivilprozessordnung usw., alles wurde zitiert, um vermittelst an den Haaren herbeigezogener Beispiele die falsche Gesetzgebung zu beleuchten, die den Mittelstand untergräbt. Antisemiten-Häuptling Böckel hält es für das beste Mittel, um dem geringen Stand aufzuhelfen, die Konkursordnung umzugestalten. Redner vergisst wohlweislich anzugeben, dass gerade im antisemitischen Lager in der letzten Zeit sich Bankrotteure der schlimmsten Sorte produziert haben. Böckel gibt ferner seinem Unwillen darüber Ausdruck, dass er in der jüngsten Donnerstagsitzung im Reichstag, nachdem 5 Gegner gegen seine Partei gesprochen hätten, nicht zu Wort habe kommen können. Wir hätten dem Reichstag das Vergnügen, den Teutschesten aller Teutschen zu hören, nicht missgönnt. Das volle Maß seines Zornes ergießt sich über das bürgerliche Gesetzbuch, das in seiner jetzigen Fassung den völligen Ruin des Mittelstandes herbeiführen muss. Nur schade, dass man an hoher Stelle die großen Kenntnisse Böckel’s nicht zu würdigen weiß, sonst hätte man ihn doch in die Kommission wählen müssen. Er spricht von dem Elende Italiens, von der Verjudung des hessischen Landtags, von der in 1893 stattfindenden hessischen Landtagswahl, von der Presse, und fordert schließlich die Versammelten auf, sein Blatt zu unterstützen. Die ganze Rede war eine Aufhetzung der hier friedlich nebeneinander wohnenden Konfessionen. Nicht wäre es zu wundern, wenn sich die Exzesse wiederholen, wie in Windecken, so man nach einer Versammlung die Grabsteine des jüdischen Friedhofs umriss. Wie weit diese gemeinen Hetzereien führen, wird die Zukunft lehren. Aber es wäre endlich an der Zeit, wenn diesem Treiben, das der hochselige Kaiser Friedrich als eine Schmach des Jahrhunderts bezeichnete, ein Ende bereitet würde." 

    
Generalversammlung der Chewro Kadischo (Wohltätigkeits- und Bestattungsverein) und Einweihung der neuen Gemeindestube (1934)   

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 1. März 1934: "Groß-Gerau, 15. Februar (1934) (Anfang des Artikels verkürzt wiedergegeben): "Am Rausch-Chaudesch Adar (vorabend 1. Adar = 15. Februar 1934) fand abends die Generalversammlung der hiesigen Mitglieder der Chewro-Kadischo und gleichzeitig die Einweihungs-Feier der neu hergerichteten Gemeindestube statt. Der erste Gemeindevorsitzen, Herr Julius Kahn, übergab nach einleitenden Worten das Gemeindezimmer seiner Bestimmung. Hierauf ergriff der erste Vorsitzende der Chewro, Herr Markus Schott das Wort und dankte allen Mitgliedern, die dazu beigetragen haben, dass dieses Zimmer hergerichtet werden konnte. In großangelegtem Aufbau hielt unser Kantor und Lehrer, Carl Hartogsohn, die Einweihungsrede und wies darauf hin, dass der neu hergerichtete Raum nunmehr der Jugend Gelegenheit geben werde, sich ganz besonders in echt jüdischem Sinne zu betätigen, vor allem das jüdische Wissen zu verbreiten und zu vermehren. Die in allen Teilen harmonisch verlaufene Feier hielt die Mitglieder noch bis zur Mitternachtsstunde zusammen".        

 
  
Berichte zu einzelnen Personen aus der Gemeinde 
Antisemiten vor Gericht wegen Beleidigung des Kaufmannes Julius Hirsch aus Groß-Gerau (1902)     

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 20. November 1902: "Darmstadt, 17. November (1902). Heute hatten sich vor der Strafkammer Amtsrichter Dr. Mahr, Rechtsanwalt Dr. Geßner, Oberrechnungsrevisor Reitzel, sämtlich aus Darmstadt, und Hofbuchhändler Reitzel aus Cannstatt, wegen Beleidigung zu verantworten. Sie haben am Abend des 7. August nach feucht-fröhlich verbrachten Stunden, auf der Fahrt von Mainz nach Darmstadt, den zwanzigjährigen Kaufmann Julius Hirsch auf Großgerau, gröblich beleidigt. Die Angeklagten, von denen die Herren Dr. Mahr, Geßner und Oberrechnungsrevisor Reitzel als Antisemiten bekannt sind, begrüßten den ihnen unsympathischen jüdischen Reisegefährten bereits beim Eintritt in das Coupe mit Rufen wie: 'Es riecht nach Knoblauch! Macht die Fenster auf!' Sodann fuhr einer der Viere den Kläger an: 'Wie können Sie es wagen, bei uns einzusteigen, wir wollen unter uns bleiben.' Da Hirsch trotzdem blieb, war er nunmehr während der Fahrt bis Großgerau der Zielpunkt fortgesetzter Beleidigungen, zumeist antisemitischer Natur. So wetzte Dr. Mahr ein Messer an seiner Stiefelsohle und sagte dabei: 'Nun wollen wir einmal anfangen, zu beschneiden; soll ich bei Dir /zum seinem Freunde gewandt) oder bei dem Jüngling (Hirsch beginnen.' In der gleichen Tonart ging es weiter und kurz vor Groß-Geraus meinte er: 'Was wird sich das Rebeckche freue!' Hofbuchhändler Reitzel witzelte: 'Wie kann man sch als Germane beschneiden lassen; ich hätte mich doch lieber umgebracht.' Der andere Reitzel meinte: 'Er ist ja gar kein Germane, sondern ein Semite.' Rechtsanwalt Dr. Geßner beteiligte sich zwar nicht an den antisemitischen Redensarten der Übrigen, riet ihnen vielmehr ab, dafür aber drohte er dem Hirsch, der empört ausrief, er werde die Herren in Groß-Gerau feststellen lassen und zur Rechenschaft ziehen: 'Was wollen Sie denn überhaupt, es hat Ihnen ja niemand etwas getan, gehen Sie her, ich werde Ihnen einen Tritt versetzen.'  
Hirsch verließ in Groß-Gerau in furchtbarer Aufregung weinend das Coupe und veranlasste den Stationsvorsteher, die Sistierung seiner Peiniger auf dem Bahnhof in Darmstadt vornehmen zu lassen. Das geschah auch auf telephonisches Ansuchen.  
Es konnte nicht in allen Punkten festgestellt werden, wer die verschiedenen Beleidigungen ausgestoßen hatte, wohl aber ergab die Beweisaufnahme, dass Mahr und die beiden Reitzel unter Mahrs Führung sich an der eigenartigen Belustigung, die sie lediglich als Ausfluss eine übermütigen Stimmung angesehen wissen wollten, beteiligt hatten, während Dr. Geßner nur die oben erwähnte Äußerung zur Last fiel. Die Angeklagten stellten mit Ausnahme des Dr. Mahr, der einige Beleidigungen zugab, ihre Schuld in Abrede und ihre Verteidiger, in erster Linie der Geheime Justizrat Dr. Osann, taten ihr Möglichstes, die eidlichen Aussagen des Hauptbelastungszeugen Hirsch zu erschüttern. Dr. Osann erlaubte sich dabei einige recht geschmacklose Redewendungen gegen die Zeitung, die den 'unschuldigen' Vorgang ganz niederträchtig aufgebauscht habe, um im Auftrag und Interesse der Juden eine strenge Bestrafung des harmlosen Ulkes zu erzwingen.   
Der Gerichtshof erachtete die Angaben des Hirsch, von einzelnen belanglosen Widersprüchen abgesehen, für glaubwürdig und kam auf sie hin zu einer Verurteilung der vier Angeklagten. Amtsrichter Dr. Mahr erhielt als Rädelsführer eine Geldstraße von 150 Mark (15 Tage Gefängnis), Rechtsanwalt Dr. Geßner 70 Mark (7 Tage Gefängnis), Oberrechnungsrevisor Reitzel 70 Mark (7 Tage Gefängnis), Hochbuchhändler Reitzel 50 Mark (5 Tage Gefängnis). Dazu wurden ihnen die Kosten des Verfahrens einschließlich der dem als Nebenkläger auftretenden Julius Hirsch erwachsenden notwendigen Auslagen auferlegt. Der Staatsanwalt - die Klage war ex officio erhoben worden - hatte gegen Dr. Mahr 300 Mark, für Dr. Geßner und die beiden Reitzel Freisprechung mangels Beweises beantragt. Die Verhandlungen dauerten bei überfülltem Zuschauerraum über fünf Stunden bis in den späten Nachmittag hinein. 
Es gibt noch Richter in Hessen, aber leider ist ein großer Teil derselben antisemitisch."           
 
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 28. November 1902: 
Derselbe Bericht (wie oben) erschien auch in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums".
    

 
Zum Tod von Marx Haas (1903)   

Gross-Gerau Israelit 10121903.jpg (120499 Byte)Artikel in der Zeitschrift 'Der Israelit' vom 10. Dezember 1903: "Groß-Gerau, 2. Dezember (1903). Heute wurde auf dem hiesigen Friedhofe die irdische Hülle des nun in Gott ruhenden Herrn Marx Haas aus Frankfurt am Main dem dunklen Schoße der Erde übergeben. Herr Haas war langjähriger, verdienstvoller Präses der hiesigen Gemeinde, sowie erster Vorsteher des israelitischen Friedhofsverbandes. In diesen beiden Eigenschaften hat er es stets verstanden, die ihm anvertrauten Ehrenämter gewissenhaft und nach streng-orthodoxen Prinzipien zu verwalten. Bereits vor zwei Jahren war der Verblichene nach Frankfurt am Main übergesiedelt, um in der Familie seines braven Sohnes seinen Lebensabend in gottgefälliger Weise zu verbringen. Leider war ihm die Zeit in dem Kreise seiner Lieben nur kurz bemessen; denn eine tückische Krankheit raffte ihn jäh hinweg. Der Dahingegangene hatte überall durch seinen vortrefflichen Charakter und durch sein liebenswürdiges Wesen lebhafte Sympathie und größte Wertschätzung gefunden, wovon die große Teilnahme bei der Beerdigung beredtes Zeugnis ablegte. An seiner Bahre sprach auch in diesem Sinne sein persönlicher Freund, Herr Rabbiner Dr. Marx – Darmstadt. Die guten Eigenschaften des Verblichenen darstellend. Schilderte er denselben als wahren, frommen Jehudi, der im Verein mit seiner ihm vor einigen Jahren im Tode vorausgegangenen Gattin es verstanden, seinen einzigen Sohn auch zu einem braven, gesetzestreuen Jehudi zu erziehen. S. Hofmann, Lehrer."

      
Fabrikant Heinrich Hirsch wurde zum stellvertretenden Bürgermeister ernannt (1919)        

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 14. Februar 1919: "In Groß-Gerau wurde, da der Bürgermeister infolge hohen Alters von seinem Amte zurückgetreten ist, Herr Fabrikant Heinrich Hirsch, seither unbesoldeter Beigeordneter, zum stellvertretenden Bürgermeister ehrenamtlich ernannt. Dies ist gewiss ein Zeichen der Wertschätzung, welche der Genannte bei seinen Mitbürgern genießt, und ein Beweis der Eintracht und des friedlichen Nebeneinanderlebens der verschiedenen Konfessionen daselbst."       

         

Kennkarte aus der NS-Zeit für den in Groß-Gerau gebürtigen Isaak Keller            
               
Am 23. Juli 1938 wurde durch den Reichsminister des Innern für bestimmte Gruppen von Staatsangehörigen des Deutschen Reiches die Kennkartenpflicht eingeführt. Die Kennkarten jüdischer Personen waren mit einem großen Buchstaben "J" gekennzeichnet. Wer als "jüdisch" galt, hatte das Reichsgesetzblatt vom 14. November 1935 ("Erste Verordnung zum Reichsbürgergesetz") bestimmt. 
Hinweis: für die nachfolgenden Kennkarten ist die Quelle: Zentralarchiv zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland: Bestände: Personenstandsregister: Archivaliensammlung Frankfurt: Abteilung IV: Kennkarten, Mainz 1939" http://www.uni-heidelberg.de/institute/sonst/aj/STANDREG/FFM1/117-152.htm. Anfragen bitte gegebenenfalls an zentralarchiv@uni-hd.de       
 
 Kennkarte für 
Julius Isaak Keller (1877-1942)
 
 Gross Gerau KK MZ Keller Isaak.jpg (79297 Byte)   
  Kennkarte (ausgestellt in Frankfurt 1940) für Isaak Keller, geb. 26. Juli 1877 in Groß-Gerau, später wohnhaft in Frankfurt am Main. Isaak bzw. Julius Isaak Keller wurde vom 7. November 1941 bis 6. Mai 1942 im KZ Dachau inhaftiert. Am 6. Mai 1942 wurde er in die Tötungsanstalt Hartheim verbracht und dort am 26. Juni 1942 ermordet.  

 
       
Anzeigen jüdischer Gewerbebetriebe und Privatpersonen 
Anzeige der Wurstfabrik Hermann Gottschall (Klein-Gerau, 1935) 
  

Anzeige in der "Bayerischen Israelitischen Gemeindezeitung" vom 15. April 1935: 
"Wurstfabrik Hermann Gottschall. 
Klein Gerau (Hessen)

Spezialität: Gerauer Landwurst. 
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Zur Geschichte der Synagoge          
   
Eine erste Synagoge wird in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges (1620) genannt. Sie stand zwischen den Häusern des Barbiers Georgen und des Glöckners Philip Wolff und wurde im Krieg zerstört. Zu den Gottesdiensten kamen schon damals auch die in der Umgebung lebenden Juden. Im Juli 1660 baten die Juden der Stadt in einem Schreiben an Landgraf Georg II. darum, dass sie die Synagoge wieder aufbauen könnten. Die Genehmigung wurde zunächst erteilt, obwohl sich der evangelische Superintendent Fentzer dagegen aussprach. Landgraf Ludwig VI. nahm 1662 die Erlaubnis zum Bau der Synagoge zurück und vertrieb drei jüdische Familien aus Groß-Gerau (s.o.). Die in Groß-Gerau verbliebenen Juden konnten erst 1665 wieder Gottesdienste im Haus des Jacob Götschel abhalten, jedoch vorläufig keine Synagoge mehr bauen. 

Erst 1738 erhielt die Judenschaft der Stadt die Erlaubnis, eine neue Synagoge zu errichten. Im Hof des Schutzjuden Ahron in der damaligen Schafstraße konnte sie gebaut werden. Mit Baumeister Johann Adam Lautenschläger wurde am 10. Februar 1738 ein Vertrag zum Bau der Synagoge abgeschlossen. Sie sollte etwa 11 mal 8 Meter groß werden. Von Seiten der Judenschaft unterschrieben den Vertrag Moses Ahron, Ahron Mortge und Sussmann Samuel. Der Baumeister erhielt nach dem Vertrag für seine Arbeiten 750 Gulden. Wann die Synagoge eingeweiht wurde, ist nicht bekannt.
   
Über 140 Jahre diente die um 1740 fertiggestellte Synagoge als religiöses Zentrum der jüdischen Gemeinde in Groß-Gerau. In den 1880er-Jahren erwies sie sich für größer gewordene jüdische Gemeinde als zu klein und nicht mehr zeitgemäß. Unter dem Gemeindevorsteher Bernhard Hirsch wurde eine neue Synagoge geplant. Der Beschluss zum Bau der neuen Synagoge wurde im Herbst 1889 gefasst:                    

GrossGerau Israelit 07111889.jpg (65849 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 7. November 1889: "Groß-Gerau, 1. November 1889. Die hiesige israelitische Gemeinde benutzt für ihren Gottesdienst bisher ein baufälliges, auch räumlich nicht ausreichendes Haus, das in seiner äußeren Erscheinung kaum seinen Zweck erraten lässt. Um diesem Übelstande abzuhelfen, hat sich der Vorstand der israelitischen Gemeinde zur Ausführung eines Synagogenneubaues entschlossen und beabsichtigt gleichzeitig, die politische Gemeinde um einen Beitrag anzugehen, da sonst die Last für die kleine israelitische Gemeinde zu groß sein dürfte."

Die Planung und Bauleitung übernahm der damalige Kreis-Bautechniker Lohr, mit der Ausführung der Maurer- und Steinhauerarbeiten wurde Bauunternehmer Göbel, mit den Zimmererarbeiten W.H. Diehl beauftragt. Am 26. Juni 1891 war die Grundsteinlegung für die Synagoge, worüber ein Bericht in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 6. Juli 1891 vorliegt:  

GrossGerau Israelit 06071891.JPG (181822 Byte)Groß-Gerau, 26. Juni (1891). Heute Nachmittag, 5 Uhr, beging die israelitische Religionsgemeinde Groß-Gerau die Feier der Grundsteinlegung auf dem Bauplatze der neuen Synagoge. Die Angehörigen derselben waren hierzu zahlreich erschienen, weiter nahmen Teil der mit der Bauleitung betraute Kreis-Bautechniker, Herr Lohr, Herr Bauunternehmer Göbel, welcher die Maurer- und Steinhauerarbeit ausführt, sowie eine Reihe anderer Mitbürger der Stadt. Eröffnet wurde die Feier mit einer gediegenen Ansprache des israelitischen Lehrers, Herrn Israel. Derselbe warf einen Rückblick auf vergangene Zeiten, berührte hierauf die Gegenwart, gedachte des Gebotes der Nächstenliebe und nahm sodann Veranlassung, der politischen Gemeinde, ihren Vertreten, wie Allen, welche in der Angelegenheit des Neubaues der Synagoge der israelitischen Kultusgemeinde Entgegenkommen bewiesen, im Namen derselben zu danken. An die Ansprache des Herrn Israel, welche auf die Teilnehmer an der Feier einen günstigen Eindruck machte, reihte sich ein passendes Gebet. Nachdem Herr Israel geendet, erfolgte durch den Vorsteher der israelitischen Gemeinde, Herrn Bernhard Hirsch, die Verlesung der in den Grundstein einzuschließenden, die Bedeutung der Sache würdigenden Urkunde. Mittlerweile waren durch das bereitstehende Personal des Herrn Göbel die Vorbereitungen zum Schließen des Grundsteines getroffen wurden. Die Kapsel, welche in den Grundstein eingeschlossen wurde, nahm die vorerwähnte Urkunde, Lose der zum Zwecke der Aufbringung der Mittel für den Synagogenbau gestatteten Lotterie und Tageszeitungen auf, es erfolgte sodann die Vermauerung. Am Grundstein sind angebracht die Namen des Bauführers Müller, des Maurer-Poliers Traiser und des Steinhauer-Poliers Bott. Den Schluss der Feier bildeten die üblichen drei Hammerschläge seitens des Herrn Lehrer Israel, des Bauleiters Herrn Lohr und des Gemeindevorstehers Herrn Bernhard Hirsch, wobei jeder der Herren seine Wünsche für das gute Gedeihen des Werkes äußerte. Den am Baue bisher beschäftigten Arbeitern wurde zur Feier des Tages eine angemessene Bewirtung, bestehend in gutem Bier und Essen, zuteil. Die Bauarbeiten selbst dürften nunmehr ungestörten Fortgang nehmen, es steht zu hoffen, dass dieselben ohne irgend welchen Unfall zu Ende geführt und das kommende Jahr in seinem Verlaufe die Einweihungs-Feier bringen wird!   

Die Finanzierung der neuen Synagoge wurde teilweise über eine Lotterie gesichert. Dazu waren 80.000 Lose zu einer Mark ausgegeben wurden. 1.500 Preise im Gesamtwert von 36.000 Mark waren ausgesetzt. 

Grossgerau Israelit 20071891.jpg (72598 Byte)Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 20. Juli 1891: "Gross-Gerauer Lotterie für den Neubau einer Synagoge daselbst. 
36,000 Mark Gesamtwert Gewinne. Zwei Ziehungen: 10.000 Mark in erster Ziehung. 26,000 Mark in zweiter Ziehung. 
Erste Ziehung schon am 20. August darunter Haupttreffen 12,000 Mark 2mal je 3,000 Mark usw. in baarem Gelde wird auf Wunsch ein Teil des Gewinne mit geringem Nachlass vergütet. 1 Los 1 Mark, 11 Lose 10 Mark. 
Jedes Los gültig für beide Ziehungen. Moritz Strauss junior Mainz. Generaldebiteur."
    
Weitere Anzeigen der Lotterie für den Neubau der Synagoge: 
Gross-Gerau Israelit 12031891.jpg (95984 Byte) Gross-Gerau Israelit 01041891.jpg (45948 Byte)       

Am Freitag, 9. September 1892 war die Einweihung der SynagogeÜber die Einweihung liegen in zwei jüdischen Zeitschriften Berichte vor, zum einen in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 23. September 1892:  

GrossGerau AZJ 23091892.JPG (158951 Byte)Großgerau, 11. September (1892). In würdiger Weise fand letzten Freitag die Einweihung unserer neuen Synagoge statt; um 3 Uhr Nachmittags wurde in der alten der letzte Gottesdienst abgehalten; in einer weihevollen Abschiedsrede gedachte Herr Rabbiner Dr. Selver aus Darmstadt der Stätte, in welcher über 140 Jahre Geschlecht auf Geschlecht seine Andachten verrichteten; alsdann wurden die Tora-Rollen in feierlicher Weise durch Herrn Rabbiner Dr. Saalfeld aus Mainz den Trägern übergeben; der Zug, welcher sich nun durch die mit Fahnen und festlich geschmückten Häuser der Hauptstraße inmitten der nach Tausenden zählenden Zuschauermenge unter den Klängen der Musik nach der neuen Synagoge in Bewegung setzte, bot einen prächtigen Anblick; voran die Schulkinder, das Musikkorps, Ehrendamen, Schlüsselträgerin, die beiden Rabbiner, israelitischer Gemeinde-Vorstand, die Behörden, an ihrer Spitze Herr Kreisrat von Löw in großer Uniform, die Geistlichkeit, Stadt- und Kirchen-Vorstand, Lehrer, ferner eine große Anzahl Festteilnehmer. Die Übergabe des goldenen Schlüssels erfolgte mit Anrede durch die Tochter des ersten Vorstehers Herrn Bernhard Hirsch an Herrn Baumeister Lohr und von diesem an Herrn Kreisrat von Löw; derselbe begleitete die Überreichung an Herrn Rabbiner Dr. Selver mit den Worten: er möge die Tür zu dem Gotteshause öffnen, welches unserm gemeinsamen Gott geweiht werden solle. Sodann öffnete Herr Rabbiner Dr. Selver die Tür zur Synagoge und es begann der Festgottesdienst. Die Gesänge des aus Knaben und Mädchen gebildeten Chors* unter Mitwirkung des Vorbeters, das Anzünden des ewigen Lichtes unter Weihespruch, das Einstellen der Tora-Rollen nahmen die Aufmerksamkeit der Zuhörer gefangen, in noch höherem Grade die sich daran schließende Festpredigt des Herrn Rabbiner Dr. Selver über den Test (2. Buch Moses Kap. 25 Vers 8): "Und sie sollen mir ein Heiligtum machen, dass ich wohne in ihrer Mitte". Nach Absingen eines Chorliedes folgte alsdann das Weihegebet über die einzelnen Teile der Synagoge, welchem Herr Rabbiner Dr. Saalfeld in warmer, ergreifender Weise Ausdruck verlieh. Den Schluss der erhebenden Feier bildete der allgemeine Segen für Kaiser und Großherzog, sowie die Behörden und der dreifache Segen für die versammelte Gemeinde. 

Derselbe, ausführlicher gehaltene Bericht über die Einweihung der Synagoge in Groß-Gerau erschien in der orthodox geprägten Zeitschrift "Der Israelit". Dieser Bericht enthält weitere Details der Einweihungsfeierlichkeiten. Charakteristisch ist jedoch, dass der (im obigen Bericht kursiv gesetzte) Hinweis auf einen gemischten Chor fehlt, da es sich um ein Charakteristikum einer liberal geprägten Synagoge handelt.

GrossGerau Israelit 15091892.JPG (257207 Byte)"Großgerau, 11. September (1892). In würdiger, erhebender Weise fand letzten Freitag die Einweihung unserer neuen Synagoge statt; um 3 Uhr Nachmittags wurde in der alten der letzte Gottesdienst abgehalten; in einer weihevollen Abschiedsrede gedachte Herr Rabbiner Dr. Selver aus Darmstadt der Stätte, in welcher über 140 Jahre Geschlecht auf Geschlecht seine Andachten verrichteten; alsdann wurden die Tora-Rollen in feierlicher Weise durch Herrn Rabbiner Dr. Saalfeld aus Mainz den Trägern übergeben; der Zug, welcher sich nun durch die mit Fahnen und festlich geschmückten Häuser der Hauptstraße inmitten der nach Tausenden zählenden Zuschauermenge unter den Klängen der Musik nach der neuen Synagoge in Bewegung setzte, bot einen prächtigen Anblick; voran die Schulkinder, das Musikkorps, Ehrendamen, Schlüsselträgerin, die beiden Rabbiner, israelitischer Gemeinde-Vorstand, die Behörden, an ihrer Spitze Herr Kreisrat von Löw in großer Uniform, die Geistlichkeit, Stadt- und Kirchen-Vorstand, Lehrer, ferner eine große Anzahl Festteilnehmer nebst Gemeindemitglieder. Die Übergabe des goldenen Schlüssels erfolgte mit Anrede durch die Tochter des ersten Vorstehers Herrn Bernhard Hirsch an Herrn Baumeister Lohr und von diesem an Herrn Kreisrat von Löw; derselbe begleitete die Überreichung an Herrn Rabbiner Dr. Selver mit den Worten: er möge die Tür zu dem Gotteshause öffnen, welches unserm gemeinsamen Gott geweiht werden solle. Unter Hinweis auf die über dem Eingang angebrachte hebräische Inschrift, welche er ins Deutsche übersetzte: Öffnet euch, ihr Tore, dass einziehe ein Volk, das Gerechtigkeit suchet und die Treue wahret, öffnete Herr Rabbiner Dr. Selver die Tür zur Synagoge, welche jedoch die Festteilnehmer nicht zu fassen vermochte und Viele daher in der geöffneten Vorhalle weilen mussten. 
Nun begann der Festgottesdienst, für welchen ein besondere Programm entworfen war, das in schönster Weise durchgeführt wurde. Die einleitenden Gesänge des Chores unter Mitwirkung des stimmlich gut begabten Vorbeters, das Anzünden des ewigen Lichtes unter Weihespruch, das Einstellen der Torarollen unter des "Ono Adonai"-Gesanges, der darauffolgende Chor, nahmen die Aufmerksamkeit der Zuhörer gefangen, in noch noch höherem Grade die sich daran schließende Festpredigt des Herrn Rabbiner Dr. Selver; ausgehend von den Worten der Tora 2. Buch Moses Kap. 25 Vers 8 "Und sie sollen mir ein Heiligtum machen, dass ich wohne in ihrer Mitte" beleuchtete derselbe in durchdachter formvollendeter Weise die Bedeutung und den Wert israelitischer Bethäuser in ihrer Vergangenheit und zu allen Zeiten, sowohl für Israel als auch für die ganze Welt, als erste und älteste Hüterin des einheitlichen Gottesglaubens und der Worte Gottes, wie sie uns durch Moses überliefert, einer ewigen Quelle gleich, den Segen der Opferwilligkeit, wie sich dieses durch den Bau dieses Gotteshauses bewahrheite; und so erflehe auch er Segen, den Männern und den Frauen und allen denen, die durch ihre Opfer und Wirken den Bau ermöglicht. 
Nach Absingen eines Chorliedes folgte alsdann das Weihegebet über die einzelnen Teile der Synagoge, welchem Herr Rabbiner Dr. Saalfeld in warmer, ergreifender Weise Ausdruck verlieh; der Schluss der erhebenden Feier bildete der allgemeine Segen für Kaiser und Großherzog, sowie die Behörden und der dreifache Segen für die versammelte Gemeinde. 
Zur Vervollständigung dieses Berichtes wollen wir noch anführen, dass die Synagoge in maurischem Stil erbaut, sowohl der äußern Form wegen, als auch durch ihre innere geschmackvolle und gediegene Ausstattung dem Erbauer zur höchsten Ehre gereicht und als Zierde der Stadt Großgerau angesehen werden kann; Ehre auch den um Herbeischaffung der Mittel sich verdient gemachten Vorstehern Herrn H. Marxsohn und B. Hirsch. 

Über die Architektur der Groß-Gerauer Synagoge liegt folgende Beschreibung vor (Anni Bardon s.Lit.): Der zweigeschossige Backsteinbau wurde errichtet, als die Gemeinde über einhundert Mitglieder zählte. Er war Schule und Bethaus für die Juden des ganzen Gerauer Landes. Die Westfassade war in drei Teile, der inneren Anordnung entsprechend, gegliedert. Der mittlere Risalit überragte die beiden seitlichen und wurde von einer flachen Kuppelbedachung gekrönt. Ein breites Gesims betonte den horizontalen Abschluss unterhalb des Daches und trug die beiden Gesetzestafeln. Die drei Risalite werden jeweils von polygonalen Pfeilern gerahmt, die kleine Laternen mit Kuppelbedachung krönen und wesentlich über das Abschlussgesims hinausgezogen sind. Die Rundbogenfenster durchlaufen nicht beide Geschosse, sondern geben die innere Doppelgeschossigkeit wieder. Die Westfassade der Groß-Gerauer Synagoge erweckt den Eindruck einer Basilika mit niedrigen Seitenschiffen dadurch, dass die beiden Eckrisalite niedriger sind als der mittlere Teil. Im Gegensatz zu diesen christlichen Merkmalen erinnern die überkuppelten Pfeiler an den Ecken an arabische Minarette. Die Bauform und das Baumaterial (rote Klinkersteine) trugen dazu bei, dass die Synagoge sich aus der Reihe der anderen Gebäude im Stadtbild hervorhob. Die optische Unterscheidung durch den etwas orientalisierenden Baustil ist wahrscheinlich der Ausdruck dafür, dass die Groß-Gerauer Juden in einem schon hohen Grad integriert waren . . ."   
       
Von 1892 bis in die NS-Zeit war die Synagoge in Groß-Gerau religiöses Zentrum der jüdischen Gemeinde der Stadt. Zu einem Einbruch in der Synagoge und einer damit verbundenen Schändung kam es bereits im August 1934:      

Gross-Gerau Israelit 30081934.jpg (35391 Byte)Mitteilung in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 30. August 1934: "Darmstadt. Nach einem Berichte der Groß-Gerauer 'Heimatzeitung' sind in einer der letzten Nächte unbekannte Personen in die Synagoge von Groß-Gerau eingebrochen, haben viele Gegenstände demoliert und viele andere entwendet. Für die Ergreifung der Täter ist eine Belohnung ausgesetzt worden."  

Im August 1936 fand der letzte Gottesdienst statt. Beim Novemberpogrom 1938 wurde die Synagoge durch SA-Leute zerstört. Sie ist dabei vollständig ausgebrannt. Zerstört wurden zahlreiche wertvolle Kultgegenstände, da in der Synagoge Groß-Gerau auch die Ritualien der mittlerweile geschlossenen Synagogen Biebesheim, Gernsheim, Leeheim, Nauheim, Trebur sowie von Büttelborn, Erfelden und Mörfelden eingelagert waren. Die Synagogenruine wurde Anfang 1939 abgebrochen. Das Grundstück als Grünanlage und einen Parkplatz hergerichtet.   
         
Im November 1978 wurde ein Gedenkstein für die Synagoge an ihrem Standort aufgestellt. Die Tafel trägt die Inschrift: "Hier stand das 1892 erbaute Gotteshaus der jüdischen Gemeinde. Es wurde am 9. November 1938 auf Befehl eines unmenschlichen Regimes zerstört. Den Lebenden zur Mahnung. Die Kreisstadt Groß-Gerau".  
     
Adresse/Standort der Synagoge: Frankfurter Straße    
     
     
Fotos    

Baupläne von 1892 für die 
neue Synagoge

(Quelle: "Juden in Groß-Gerau")
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Längen- und Frontansicht Querschnitte durch die Synagoge
     
Die Synagoge 1892 - 1938    
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Verschiedene Ansichten der Synagoge zwischen 1892 und 1938
 
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Quelle: Arnsberg Bilder s.Lit. S. 77;
 Hammer-Schenk s.Lit. Abb. 292
  (Quelle: Encyclopedia of Jewish Life 
s. Lit. I, 461)  
         
Innenaufnahmen um 1935
(Quelle: Schleindl)  
     
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Gottesdienst in der Synagoge: Männer 
in Gebetsmänteln vor dem Toraschrein,
 rechts Emil Marx  
Emil Marx nimmt den Toramantel
 von der Rolle  
Emil Marx trägt die Torarolle
 zum Lesepult  
       
           
Die Zerstörung 1938 GrossGerau Synagoge 040.jpg (81346 Byte) GrossGerau Synagoge 041.jpg (8896 Byte)
  Der Brand der Synagoge am 
10. November 1938  
Die Synagogenruine Ende 1938 
(Quelle: "Juden in Großgerau")  
     
Der Synagogenplatz 2007 
(Fotos: Hahn, Aufnahmedatum 6.7.2007)
GrossGerau Synagoge 186.jpg (78218 Byte) GrossGerau Synagoge 190.jpg (86566 Byte)
  Blick auf den ehemaligen Synagogenplatz
 (hinter dem jetzigen Kreisverkehr 
der Frankfurter Straße)  
Der als Parkplatz, aber auch als 
Gedenkstätte genutzte 
ehemalige Synagogenplatz  
     
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Die Gedenktafel   Die zerstörte Synagoge auf der Gedenktafel   Inschrift der Gedenktafel  
     
   GrossGerau Synagoge 185.jpg (87220 Byte)   

Hinweistafel zur jüdischen Geschichte am Synagogenplatz mit Text: "Zur Jüdischen Geschichte Gross-Geraus: Die Existenz von Juden lasst sich in Groß-Gerau bis ins 13. Jahrhundert zurückverfolgen. Im Verlauf der Geschichte hatten sie es in unserer Stadt nie leicht und waren immer wieder Zielscheibe und Opfer von Verleumdungen, von Erpressungen und gar von Gewalttätigkeiten. Doch die Juden blieben und verschafften sich durch harte Arbeit einen Platz in der Gesellschaft. Nach der Gründung des Deutschen Reiches im Jahre 1871 wurden sie endgültig Bürger des Landes, in dem ihre Vorfahren schon seit vielen Jahren sesshaft waren. Ausgestattet mit gleichen Rechten und Pflichten wie alle übrigen Bürger und Bürgerinnen, nahmen sie am öffentlichen Leben dieser Stadt teil. Sie nutzten und unterstützten die örtlichen Vereine. Sie musste wie alle Einwohner Abgaben leisten und Mitbürger jüdischen Glaubens litten und starben als deutsche Soldaten auf den Schlachtfeldern des I. Weltkrieges. Aber der unerklärbare antisemitische Hass eines verbrecherischen Regimes, das auch in Groß-Gerau genügend Anhänger und Mitläufer gewinnen konnte, vernichtete innerhalb weniger Jahre eine blühende israelitische Religionsgemeinde. Die Gefolgsleute dieser NS-Diktatur scherten sich einen Dreck um die respektablen Leistungen jüdischer Mitbürger, die sie im wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Bereich zum Nutzen unserer Stadt geschaffen haben. Fast 300 Groß-Gerauer Bürger jüdischen Glaubens gab es vor Beginn der NS-Diktatur. Sie verloren ihre Heimat, ihre Familie, ihre Gesundheit, ihr Leben." 

    
    
Erinnerungsarbeit vor Ort - einzelne Berichte   

Mai 2009: Die Stadtverordnetenversammlung spricht sich mit den Stimmen der CDU und der Kommunalen Bürgerinteressengemeinschaft gegen die Verlegung von "Stolpersteinen" in Groß-Gerau aus.   
Artikel in hr-online.de vom 6. Mai 2009 (Artikel mit weiteren Berichten): "Gedenken an NS-Opfer. Keine Stolpersteine in Groß-Gerau   
Stolpersteine aus Messing, die an Opfer des NS-Regimes erinnern, gibt es europaweit in 400 Kommunen. In Groß-Gerau wird es aber keine geben, hat das Stadtparlament entschieden – mit Argumenten, die nicht jedem einleuchten.   
Mit 18 zu 14 Stimmen entschied die Stadtverordnetenversammlung am späten Dienstagabend, dass in Groß-Gerau keine der sogenannten Stolpersteine verlegt werden sollen. CDU und die Kommunale Bürgerinteressengemeinschaft (KOMBI) votierten gegen diese Form des Gedenkens an jüdische Mitbürger, die während des Dritten Reichs umgebracht wurden..."     
   
Oktober 2009: Ein vom evangelischen Dekanat und dem "Förderverein jüdische Geschichte und Kultur im Kreis Groß-Gerau" erstellter Stadtplan "Orte der Erinnerung" wird vorgestellt     
Artikel von Detlef Volk in der "Main-Spitze" vom 24. Oktober 2009 (Artikel):  "Schicksale der jüdischen Mitbürger. 
GROSS-GERAU - GESCHICHTE Groß-Gerau stellt Stadtplan "Orte der Erinnerung" vor.
  
Das Haus Nummer 21 in der Frankfurter Straße in Groß-Gerau ist ein stattliches Gebäude. Nur die wenigsten Bürger der Kreisstadt dürften allerdings wissen, dass hier der ehemalige Besitzer der Union-Brauerei Groß-Gerau wohnte: Ferdinand Marxsohn mit seiner Familie, 1943 in Theresienstadt gestorben. Erinnerungen an die ehemaligen jüdischen Mitbürger in Groß-Gerau sind Mangelware. Ein Denkmal erinnert an den Standort der Synagoge, dort wird jeweils zum Jahrestag der Pogromnacht am 9. November 1938 eine Gedenkfeier abgehalten..."   
Hinweis: Der "Stadtplan der Erinnerung" ist auch online eingestellt.      
 
November 2012: Erste Verlegung von "Stolpersteinen" in Groß-Gerau  
Informationen zur Verlegung der "Stolpersteine" über die Seite  http://www.erinnerung.org/gg/haeuser/da10.html  
Der Flyer zur Verlegung ist auch intern eingestellt (Link anklicken).   vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Groß-Gerau   
 
Juni 2014: Dritte Verlegung von "Stolpersteinen" in Groß-Grau  
Dritte 'Stolperstein'-Verlegung in Groß-Gerau (Main-Spitze, 18.06.2014)  
Anmerkung: in der Mainzer Straße (7,8, 17 und 22) wurden am 30. Mai 2014 insgesamt 13 "Stolpersteine" verlegt. Weitere Stolpersteinverlegungen sind für 2014 geplant. Weitere Informationen bei http://www.erinnerung.org/gg/stst.html    vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Groß-Gerau    
 
Februar 2015: Verlegung von "Stolpersteinen" für Familie Mattes
Artikel von in der "Frankfurter Neuen Presse" vom 9. Februar 2015: "'Das jüdische Leben gehört zu Groß-Gerau'
Schüler der Prälat-Diehl-Schule zeigen Flagge gegen das Vergessen: Gemeinsam mit ihrem Lehrer Udo Stein haben die Schüler den Lebensweg der Familie Mattes, für die nun Stolpersteine verlegt wurden, nachgezeichnet. 'Man sollte die Namen niemals vergessen', sagt der 15-jährige Rico, Schüler der Prälat-Diehl-Schule (PDS), in Erinnerung an Alfred, Paula und Arnold Mattes. Vor dem ehemaligen Wohnhaus der Familie Mattes in der August-Bebel-Straße 16, heute Verwaltungsgebäude des Groß-Gerauer Oberstufengymnasiums, wurden zu deren Gedenken Stolpersteine verlegt. 300 Menschen, darunter etwa 150 Schüler der PDS, nahmen an der Gedenkveranstaltung teil. Im Geschichtsunterricht bei ihrem Lehrer Udo Stein haben die Schüler den Lebensweg der Familie Mattes rekonstruiert. Es gab keine Zeitzeugen, so forschten sie in Archiven und Dokumenten und spürten dabei hautnah den Aufstieg und traurigen Fall dieser jüdischen Familie nach. Die einst kreditwürdigen, angesehenen Bürger Groß-Geraus mit einer Gardinenfabrik, die viele Arbeitsplätze schuf, wurden von den Nationalsozialisten vertrieben, entehrt und ihres Eigentums beraubt. Über Russland und Japan gelang ihnen die Flucht nach Chicago. Nur ihr blankes Leben konnten sie retten. Eindrucksvoll zeichneten die Schüler bei der Gedenkveranstaltung deren Lebensweg nach: 'Wir waren sprachlos und geschockt von den Gräueltaten der Nazis'. 'Wir möchten mit dieser Aktion nicht nur Position gegen das Vergessen beziehen, sondern Flagge zeigen, uns deutlich sichtbar engagieren', betonte Schulleiter Michael Montag in seiner Rede. Dabei bedankte er sich bei der gesamten Schulgemeinde, bei Schülern, Eltern und Lehrkräften, welche die drei Stolpersteine mit ihren Spenden finanziert haben. 'Diese Urkunde ist Ausdruck ihrer Verantwortung', sagte Pfarrer Wolfgang Prawitz vom evangelischen Dekanat Groß-Gerau, als er dem Schulleiter stellvertretend für die Schulgemeinde die Patenschaftsurkunde überreichte. Währenddessen wurden die Stolpersteine, angefertigt von dem Künstler Gunter Demnig, von dem Groß-Gerauer Steinmetz Maximilian Schulda und dessen Mitarbeiter im Bürgersteig vor der Eingangstür verlegt. 'Sie haben mir, meinen Kindern und Enkelkindern einen Teil meiner Familiengeschichte zurückgegeben, die verloren war', sagte Joan Zelkowicz, die Tochter von Arnold Mattes, die aus Pittsburgh, USA, zur Stolpersteinverlegung mit ihrem Mann angereist war. Und sie fügte erklärend an, dass ihre Eltern und Großeltern niemals über deren Kindheit gesprochen hätten, um sie mit ihren traurigen Erinnerungen nicht zu belasten. 'Indem wir Stolpersteine legen', führte Landrat Thomas Will in seiner Rede aus, 'ziehen wir die schmerzliche Spur der Erinnerung auch durch unsere Stadt. Und wir geben ein klares Bekenntnis ab: Das jüdische Leben gehört zu Groß-Gerau, die Familie Mattes gehört zu Groß-Gerau, ja sie hat hier ihren Ort. Das ist viel mehr als eine symbolische Geste. Das ist ein Gegenentwurf wider das Vergessen, wider die Ortlosigkeit.' Auch Stadtrat Jochen Auer, der für den Magistrat sprach, bedankte sich bei dem Engagement von Udo Stein und den Schülern: 'Unsere Erinnerungsarbeit, Aufarbeitung der Geschichte, soll vor menschenverachtenden Entwicklungen warnen und diese auch künftig verhindern.' Petra Kunik von der jüdischen Gemeinde Frankfurt war glücklich darüber, wie in Groß-Gerau junge Menschen die Aufgabe übernehmen, Spuren zu suchen, denn schließlich führe die Erinnerungsarbeit zu der wichtigen Frage: 'Wie gehen wir heute miteinander und mit den Minderheiten um?' Das evangelische Dekanat Groß-Gerau bereitet mit der Stadt Groß-Gerau und dem jüdischen Verein für Geschichte und Kultur im Kreis Groß-Gerau weitere Stolpersteinverlegungen vor. Dafür werden Paten gesucht, welche die Kosten für einen Stolperstein in Höhe von 210 Euro übernehmen. Nähere Infos gibt es bei Pfarrer Wolfgang Prawitz, Telefon (0 61 52) 18 74-14"
Link zum Artikel     vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Groß-Gerau     
 
November 2015: Veranstaltung zum Gedenken an den Novemberpogrom 1938 
Artikel von Charlotte Martin in der "Frankfurter Neuen Presse" vom November 2015: "Novemberpogrome. Marsch der Menschlichkeit
In Gedenken an die Reichspogromnacht 1938 zogen am Montag auch in der Kreisstadt Hunderte Menschen im Schweigemarsch zur ehemaligen Synagoge. Dekanin Birgit Schlegel sprach mahnend von inneren und äußeren Grenzen – gestern und heute.

Dekanin Birgit Schlegel schlug in ihrer Ansprache am Montagabend mahnend den Bogen über zwei markante, historische Novembertage hinweg ins Heute. Am ehemaligen Platz der jüdischen Synagoge sprach sie zum Gedenken an die Reichspogromnacht 1938 vor zahlreichen Zuhörern. Sie erinnerte an die Nacht vom 9. auf den 10. November, als in Nazi-Deutschland die Synagogen brannten. Auch in Groß-Gerau. Und sie sprach eindringlich von den jüdischen Mitbürgern, die beschimpft, verspottet und leiblich wie seelisch grausam verletzt wurden. 'Von nun an ging es für sie ums nackte Überleben, um Flucht, um hastigen Aufbruch.' Schlegel sagte: 'Bis heute haben wir keine wirkliche Antwort darauf, wie all dies geschehen konnte.' Zugleich erinnerte Birgit Schlegel an den 9. November 1989, als im geteilten Deutschland die Mauer, jene Folge der Abgrenzungspolitik als Resultat aus dem Zweiten Weltkrieg, fiel. 'Es geht um Grenzen, um innere und äußere Grenzen. Einmal um erbarmungslose Ausgrenzung, ein anderes Mal um ihre glückliche Aufhebung. 1989 brach nach zwei Diktaturen in Deutschland die erste Nacht des Friedens an.' Die Worte der Dekanin, die das Gedenken an die Reichspogromnacht mit brandheißer Aktualität aufluden, fanden unter den Zuhörern, die im Schweigemarsch durch die Stadt zum Platz der ehemaligen Synagoge gezogen waren, Zustimmung. Nicht genug mit der Erinnerung an den Mauerfall, Schlegel skizzierte sodann die jetzige Situation: 'Auch heute spielen Grenzen wieder eine Rolle, wird nachgedacht über Abgrenzung. Viele Menschen wollen zu uns kommen, hoffen auf Frieden, auf Glück. Bedenken wir: Kein Mensch verlässt freiwillig die Heimat.' Nachdrücklich fragte sie: 'Werden wir wieder Grenzen ziehen? Innen, außen? Nationalistische Töne in Europa machen Sorge, denn es geht wieder gegen das Fremde.' Sie zitierte die biblische Losung des Vortags: 'Als Einheimischer soll euch der Fremde gelten.' Und resümierte: 'Woher kommt es, wenn manche sagen, das Boot sei voll? Wenn sie sagen, mehr Menschen könnten wir nicht aufnehmen? Ist es Angst? Ist es Bequemlichkeit? Stattdessen sollten wir den Reichtum sehen, der uns in den Ankommenden begegnet, sollten zurückblicken, um beherzt nach vorn zu sehen.' Die Dekanin legte gemeinsam mit Bürgermeister Stefan Sauer (CDU) einen Kranz vor der Erinnerungstafel an die niedergebrannte Synagoge nieder. Würdevoll war die musikalische Umrahmung durch den Posaunenchor der Stadtkirchengemeinde, aufrüttelnd war zudem die Lesung dreier Schüler der Prälat-Diehl-Schule (PDS), die bezeugte, dass auch die Jugend sich intensiv mit geschichtlicher Aufarbeitung beschäftigt. Die Schüler zitierten Martin Niemöller, der zu den wenigen Christen gehörte, die der Nazidiktatur Widerstand boten: 'Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen. Ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen. Ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen. Ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.' Die PDS-Schüler Viola, Julia und Jakob, die auch dem Schweigemarsch das Transparent zum Gedenken an die Pogromnacht vorausgetragen hatten, pointierten die große Fassungslosigkeit mit Worten Dietrich Bonhoeffers: 'Sahen wir nicht, dass es Christus war, der in den geringsten unserer Brüder verfolgt und geschlagen wurde?' Eine Frage, die eingedenk heutiger Ablehnung Fremder mit Ausrufezeichen versehen werden muss."  
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Mai 2016: Verlegung von 13 weiteren "Stolpersteinen" in Groß-Gerau 
Artikel von Peter Mikolajczyk in der "Frankfurter Neuen Presse" vom Mai 2016: "13 neue Stolpersteine. 'Erinnerung ist unsere ewige Pflicht'
Groß-Gerau hat seiner jüdischen Mitbürger gedacht: Der Künstler Gunter Demnig verlegte am vergangenen Samstag 13 neue Stolpersteine.

58 000 Stolpersteine hat der Künstler Gunter Demnig nach eigenem Bekunden bereits in ganz Europa verlegt. Am Samstag kamen 13 weitere hinzu, diesmal in Groß-Gerau. Es war bereits die sechste Veranstaltung dieser Art in der Kreisstadt. Aber der feierliche Rahmen, mit dem an geschehenes Unrecht erinnert wurde, war nicht weniger gering. Wer mit wachen Augen durch die Innenstadt geht, wird bereits an vielen Stellen über die golden glänzenden Messingsteine stolpern, die zum kurzen Innehalten auffordern. Demnig, der mit seiner frisch angetrauten Ehefrau Katja in die Stadt gekommen war, sah man bereits von 8 Uhr an eifrig arbeiten: 13 Steine mit den Namen vertriebener oder ermordeter ehemaliger jüdischer Mitbürger im Straßenpflaster zu versenken, das braucht seine Zeit. Als rund eine Stunde später Ökumene-Pfarrer Wolfgang Prawitz in der Walther-Rathenau-Straße 11 die nachdenklich gestimmten Gäste begrüßte, musste er kurz unterbrechen. Demnig staubte mit seinem Steinschneider die Gesellschaft kräftig ein, bevor er in die Darmstädter Straße weiterzog. 'Möge die Erinnerung uns auf den Weg der Gerechtigkeit führen – es ist unsere ewige Pflicht', zitierte Wolfgang Prawitz einen Satz von Jay Kahn, einem Nachkommen ermordeter Juden aus Groß-Gerau. Es sei gemeinsame Aufgabe, die Erinnerung an unendliches Leid, an die Verfolgung und Ermordung von Millionen Menschen wach zu halten. Diesmal gelte es, der Familien Hirsch aus der Walther-Rathenau-Straße 11 und Guckenheimer (Hausnummer 16) sowie einer Familie selben Namens in der Darmstädter Straße 1 zu gedenken. Jochen Auer, der Bürgermeister Stefan Sauer vertrat, bezeichnete die Stolpersteine als ein wichtiges Instrument für die Aufarbeitung von Geschichte. 'Wir denken an ehemalige Mitbürger, die hier gelebt, gearbeitet, gefeiert und gebetet haben', sagte er. Ein Mensch sei erst dann vergessen, wenn sein Name nicht mehr erwähnt werde. Im Namen des Vereins Jüdische Geschichte und Kultur mahnte Pfarrer Walter Ullrich, die Erinnerung wach zu halten, denn nur so gelinge der Zugang zu dem Unfassbaren, das vor rund 80 Jahren geschehen sei. 'Wir müssen ständig aufmerksam, sein, denn ein übersteigerter Nationalismus macht sich auch heute wieder breit', sagte Ullrich. Schließlich habe der Nationalsozialismus aus damals mit einem übersteigerten Nationalismus im Bürgertum seinen Anfang genommen. Anschließend referierten Schüler des Leistungskurses Geschichte des Prälat-Diehl-Gymnasiums die Lebensgeschichten der drei jüdischen Familien, welche die Schüler selbst recherchiert hatten. Derweil war Gunter Demnig fleißig mit seinen Verlegearbeiten beschäftigt. Die Zeit drängte: Bereits am Nachmittag war er wieder Hauptakteur bei der Verlegung einer Stolperschwelle in Rüsselsheim."
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Oktober 2016: Verlegung von "Stolpersteinen" für Familie Hirsch   
Artikel von Peter Mikolajczyk im "Rüsselsheimer Echo" vom 12. Oktober 2016: "Stolpersteine in Groß-Gerau. Vier goldene Steine sollen an das Schicksal der Familie Hirsch erinnern
Vor dem Seniorenhaus Raiss wurden gestern vier neue Stolpersteine verlegt. Für die Familie Hirsch. Was genau haben sie zu bedeuten? 
Groß-Gerau. Wer mit offenen Augen durch die Innenstadt geht, dem bleiben die Zeugnisse einer unheilvollen Vergangenheit nicht verborgen: Vor 13 Häusern sind sie bereits zu sehen, die goldenen Pflastersteine, die an das Vermächtnis ehemaliger jüdischer Mitbürger erinnern. Seit gestern sind es wieder vier mehr: Vor dem Haus in der Frankfurter Straße 48, heute bekannt als Seniorenhaus Raiss, fand die mittlerweile 14. Verlegung von Stolpersteinen in der Kreisstadt statt – diesmal im Gedenken an die Familie Hirsch. Das Haus ist eng mit jüdischer Geschichte verbunden. Vor dem zweiten Weltkrieg wohnte der Metzger und Viehhändler Gustav Hirsch gemeinsam mit seiner Frau Lina Hirsch, geborene Mayer, deren Mutter Emma Mayer, geborene Kahn, und ihrer Tochter Liesel Hirsch hier. Gustav Hirsch war Vorsteher der jüdischen Gemeinde. In der Pogromnacht umstellten SA-Leute sein Haus und viele Menschen schauten zu, wie es verwüstet und Möbel auf die Straße geworfen wurden. Gustav Hirsch wurde von November bis Dezember 1938 im Konzentrationslager Buchenwald inhaftiert. Der Familie gelang 1940 die Flucht in die USA, wo sie sich in Bridgeport eine neue Existenz aufbauten.
Pfarrer Wolfgang Prawitz zitierte bei der Verlegung der Stolpersteine einen Satz von Jay Kahn, eines ebenfalls aus der Stadt vertriebenen Juden: 'Möge die Erinnerung uns auf den Weg der Gerechtigkeit bringen – es ist unsere ewige Verpflichtung.' Besonders herzlich hieß er Melisa Pope mit ihrer Familie willkommen, die für diesen Tag aus den USA angereist war. Erster Stadtrat Richard Zarges bezeichnete es als 'eine Ehre, dass die Familie Pope in die Stadt ihrer Väter gekommen ist. Wir wünschen, dass sie hier wieder herzlich aufgenommen werden.'
'Ohne Name ist man ein Niemand'. Schüler des Prälat-Diehl-Gymnasiums rezitierten aus der Lebensgeschichte der Familie Hirsch. Petra Kunik, Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Frankfurt, sagte, die Nazis hätten versucht, den Juden die Namen zu nehmen. 'Aber ohne Namen ist man ein Niemand. Deshalb bin ich besonders dankbar, dass auf den Stolpersteinen die Namen der Verfolgten stehen.'" 
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November 2017: Gedenkstunde zur Erinnerung an den Novemberpogrom 1938  
Artikel von Peter Mikolajczyk und Sven Westbrock im "Rüsselsheimer Echo" vom 10. November 2017: "Reichspogromnacht. Als die Synagogen brannten.  
Die Reichspogromnacht liegt 79 Jahre zurück. Dass ihnen das Erinnern an die Verbrechen von damals noch immer wichtig ist, haben viele Menschen am Donnerstagabend bewiesen.
KREIS GROß-GERAU.
Es war neblig und kalt. Trotzdem waren am Donnerstagabend 300 Menschen in Groß-Gerau dabei: Nach einem Schweigemarsch durch die Darmstädter und Frankfurter Straße wurde vor dem Denkmal für die ehemalige Synagoge an die Reichspogromnacht 1938 erinnert, in der das Unrecht an der jüdischen Bevölkerung einen vorläufigen Höhepunkt erreichte. Der Pfarrer für Ökumene im Dekanat, Jürgen Prawitz, zitierte den Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel, erinnerte daran, dass 79 Jahre vergangen seien, seitdem die Synagogen brannten. Gleichwohl dürfe dem vergessen kein Ende gesetzt werden. Die Oberstufenschüler des Prälat-Diehl-Gymnasiums, die sich engagiert der Erforschung des Nazi-Unrechtes widmen, schilderten dann eindringlich, wie die Meldungen über die Zerstörung der Synagogen im Starkenburger Land beim Gauleiter eingingen. Von der Bergstraße über den Odenwald und Darmstadt bis Groß-Gerau brannten in jener unheilvollen Nacht 35 Synagogen, oder die Inneneinrichtung der Gotteshäuser wurde zertrümmert.
Weil die Feuerwehren keine Hand rührten, um die von der SA angezündeten Synagogen zu löschen, brannten viele noch am nächsten Tag, auch die in Groß-Gerau. Damit aber nicht genug: Dekanin Birgitt Schlegel erinnerte daran, dass an diesem Tag auch der Genozid gegen die jüdischen Mitbürger begann. 'Zuerst verloren sie ihre Würde, dann ihre Rechte und schließlich auch ihr Leben,' sagte sie. Die Tatsache, dass der Geist aus dieser Zeit noch immer wach sei, müsse erschrecken. Birgit Schlegel ging dabei auf das neue Erstarken von Nationalismus und rechtem Gedankengut in Europa ein. Auch in Deutschland erfahre völkisches Denken wieder eine Auferstehung. Dahinter verberge sich aber nichts anderes als neuer Hass und Ausgrenzung. Konzert in Bischofsheim. Eine etwas andere Art des Gedenkens gab es im Bischofsheimer Heimatmuseum. Bericht weiter zitiert auf der Seite zu Bischofsheim.
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Links und Literatur   

Links:   

bullet"Juden in Gross-Gerau" - Eine lokale Spurensuche (Informationsseiten zur jüdischen Geschichte der Stadt).   
bulletWebsite des Fördervereins Jüdische Geschichte und Kultur im Kreis Groß-Gerau  
bulletWebportal HS 010.jpg (66495 Byte)Webportal "Vor dem Holocaust" - Fotos zum jüdischen Alltagsleben in Hessen mit Fotos zu Groß-Gerau 

Quellen:  

Hinweis auf online einsehbare Familienregister der jüdischen Gemeinde Groß-Gerau 
In der Website des Hessischen Hauptstaatsarchivs (innerhalb Arcinsys Hessen) sind die erhaltenen Familienregister aus hessischen jüdischen Gemeinden einsehbar: 
Link zur Übersicht (nach Ortsalphabet) https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/llist?nodeid=g186590&page=1&reload=true&sorting=41              
Zu Groß-Gerau ist (nur) vorhanden (auf der jeweiligen Unterseite zur Einsichtnahme weiter über "Digitalisate anzeigen"):    
HHStAW 365,379  Geburtsregister der Juden von Groß-Gerau  1736 - 1766; enthält: Verzeichnis der geborenen Söhne von Juden; enthält auch Angaben zu Klein-Gerau und Wallerstädten   
https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/detailAction?detailid=v2753494   

Literatur:  

bulletGermania Judaica II,1 S. 305; III,1 S. 474.  
bulletPaul Arnsberg: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn. 1971. Bd. 1 S. 285-288. 
bulletders.: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Bilder - Dokumente. S. 77-78.  
bulletAnni Bardon: Synagogen in Hessen um 1900. In: 900 Jahre Geschichte der Juden in Hessen, Wiesbaden 1983.  
bulletHarold Hammer-Schenk: Synagogen in Deutschland. Geschichte einer Baugattung im 19. und 20. Jahrhundert. Teil I S. 370. Teil II Abb. 292.  
bulletAngelika Schleindl: Verschwundene Nachbarn. Jüdische Gemeinden und Synagogen im Kreis Groß-Gerau. Hg. Kreisausschuss des Kreises Groß-Gerau und Kreisvolkshochschule. Groß-Gerau 1990.  
bulletHans Georg Vorndran / Jürgen Ziegler: Juden in Groß-Gerau. Eine lokale Spurensuche. 2. Aufl. 1989.  
bulletStudienkreis Deutscher Widerstand (Hg.): Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933-1945. Hessen I Regierungsbezirk Darmstadt. 1995 S. 159-162.  
bulletPinkas Hakehillot: Encyclopedia of Jewish Communities from their foundation till after the Holocaust. Germany Volume III: Hesse -  Hesse-Nassau - Frankfurt. Hg. von Yad Vashem 1992 (hebräisch) S. 135-139. 

  
   


 

Article from "The Encyclopedia of Jewish life Before and During the Holocaust". 
First published in 2001 by NEW YORK UNIVERSITY PRESS; Copyright © 2001 by Yad Vashem Jerusalem, Israel.

Gross-Gerau Hesse. No permanent community was established there until 1728, when the town council authorized the building of a synagogue. The community numbered 141 (4 % of the total) in 1885. A larger synagogue was opened in 1892 in the town center and - though affiliated with the Liberal rabbinate of Darmstadt - kept to the Orthodox mode of worship. Under the Weimar Republic, Jews attained prominence in civis and commercial life. By 1925, the Jewish population had risen to 161 (3 %), but from 30 March 1933 the Nazi boycott campaign subjected Jews to public insult, violence and ruin, compelling many to leave. On Kristallnacht (9-10 November 1938), the synagogue was burned down and 24 Jews were attacked, their homes looted and vandalized. Nearly all of the 140 Jews left after 1933 (more than 30 emigrating), and on 7 November 1940 the town was declared "free of Jews" (judenrein). In 1978 a memorial was erected on the site of the destroyed synagogue and in 1984 Yad Vashem awarded the (posthumous) title of Righteous among the Nations to Wilhelm Hamann of Gross-Gerau, who helped save the lives of 150 children while imprisoned in the Buchenwald concentration camp. 
      
        

                   
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Stand: 17. April 2020