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Rachtig (Gemeinde
Zeltingen-Rachtig, Kreis Bernkastel-Kues)
Jüdische Geschichte / Synagoge
Übersicht:
Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde (english
version)
In Rachtig bestand eine jüdische
Gemeinde bis 1938/39. Ihre Entstehung geht in die Zeit Mitte des 19.
Jahrhunderts zurück. Bis dahin bildeten die in Zeltingen,
Rachtig, Lösnich
und Ürzig lebenden jüdischen Personen eine gemeinsame Kultusgemeinde mit
Synagoge in Zeltingen.
Bereits in den 1830er-Jahren bemühten sich die in Rachtig und Lösnich lebenden
jüdischen Familien um Selbständigkeit, da die Wege zur Synagoge und zur Schule
nach Zeltingen vor allem im Winter zu beschwerlich waren. Die Bemühungen waren
erfolgreich: nach 1853 bestanden drei Gemeinden in Zeltingen,
Rachtig und Lösnich
mit teilweise eigenen Einrichtungen (insbesondere eigenen Synagogen). Um 1920
schlossen sich die jüdischen Gemeinden von Zeltingen und Rachtig wieder - auf
Grund der zurückgegangenen Zahl der Gemeindemitglieder - zusammen.
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Zahl der jüdischen Einwohner
wie folgt: in Rachtig 1808 17 jüdische Einwohner, 1843 46, um 1850
etwa 8 % Anteil an der Gesamtbevölkerung des Ortes; 1895 lebten in Zeltingen
und Rachtig zusammen 78 jüdische Einwohner.
An Einrichtungen bestanden eine Synagoge (s.u.), eine
Religionsschule, vielleicht ein rituelles Bad und - gemeinsam mit Zeltingen -
ein Friedhof.
Zur Besorgung religiöser Aufgaben der Gemeinde war in der 2. Hälfte des 19.
Jahrhunderts zeitweise ein eigener Lehrer angestellt, der zugleich als
Vorbeter und Schochet tätig war (vgl. unten den Aufruf nach dem Tod des Lehrers
Nathan Moses in Rachtig 1882).
Um 1924 wurden 39 jüdische Einwohner in Rachtig gezählt. Inzwischen
bildete man wieder eine gemeinsame Gemeinde mit Zeltingen,
wo damals noch etwa 25 jüdische Einwohner gezählt wurden. Einen eigenen Lehrer
hatte inzwischen weder Rachtig noch Zeltingen. Die jüdischen Kinder der
Gemeinde wurden durch Lehrer Hugo Friedmann aus Bernkastel
unterrichtet (zusammen 12 Kinder). Auch 1932 war Lehrer Friedmann für
die zusammen nur noch zwei schulpflichtigen jüdischen Kinder in Rachtig und
Zeltingen zuständig.
1933 lebten noch 31 jüdische Personen in Rachtig. In den folgenden
Jahren ist ein Teil der jüdischen Gemeindeglieder auf Grund der Folgen des
wirtschaftlichen Boykotts, der zunehmenden Entrechtung und der Repressalien
weggezogen beziehungsweise ausgewandert.
Von den in Rachtig geborenen und/oder längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen
Personen sind in der NS-Zeit umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad
Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches
- Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"; zusätzliche Informationen
von Marie-Luise Conen, Berlin): Klothilde Grünhut (1915), Rosa Grünhut geb.
Marx (1876), Hedwig Heilberg geb. Marx (1905), Babette Irma Höflich geb. Marx
(1906)*,
Pauline Levy geb. Marx (1886), Daniel Marx (1869), Eduard Marx (1877), Gottfried
Marx (1881), Leo Marx (1915), Klothilde Marx (1915), Lion Marx (1876), Karl
Moser (1882; geboren als Nathan Moses); Betty Tobias geb. Marx (1905), Jakob
Wendel (1855).
*Anmerkung: weitere Informationen zu Babette Höflich geb. Marx siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Jüdische_Opfer_des_Nationalsozialismus_(Nettetal)#Hoeflich_Irma
Berichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde
Aus der Geschichte der
jüdischen Lehrer
Spendenaufruf für die Familie des verstorbenen Lehrers (1882)
Anmerkung: es handelt sich um Nathan Moses (geb.
1840 in Niedermendig). Dieser war seit etwa 1860 als jüdischer Lehrer, Kantor
und Schochet in Rachtig, Lösnich und Zeltingen
tätig. Er war verheiratet mit der aus Rachtig stammenden Agatha geb. Marx. Dem
Ehepaar wurden in Rachtig sieben Kinder geboren. Von 1874/75 bis zu seinem
frühen Tod 1882 war Nathan Moses in Hottenbach
als Lehrer tätig, wo weitere drei Kinder geboren sind. Das letzte Kind (geb. am
2. November 1882 nach dem Tod des Vaters) erhielt den Namen des Vaters: Nathan
Moses. Die Witwe ist nach dem Tod des Mannes wieder nach Rachtig gezogen. Nathan
Moses jun. gelang 1938 die Flucht nach New York.
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 25. Oktober 1882: "Dringende
Bitte!
In der Gemeinde Rachtig bei Zeltingen a.d. Mosel starb jüngst der Lehrer
und hinterließ seiner tief betrübten Gattin acht unmündige Kinder,
jedoch nicht die geringsten Existenzmittel.
Diese Ärmsten, welche bisher von dem kärglichen Verdienste ihres Vater
lebten, sind nunmehr dieser Stütze beraubt und wissen nicht, wie sie ihr
Dasein fristen sollen, wenn nicht die vielbewährte Wohltätigkeit unserer
Glaubensgenossen sich derselben annimmt. In Rachtig sowie in dem nahen
Zeltingen wohnen nur wenige Jehudim und diese haben sofort Alles getan, um
der dringendsten Not dieser schwergeprüften Familie abzuhelfen.
Der Winter steht jedoch vor der Tür und es muss hier weiter gesorgt
werden, was diesen Gemeinden allein unmöglich ist.
Die Unterzeichneten richten daher die dringende Bitte an alle edle Herzen,
sich dieser Witwe mit ihren 8 Waisen anzunehmen und sind gern zur
Entgegennahme von Beiträgen beriet.
Kaufmann. Schmitt, Zeltingen a.d. Mosel. Expedition des 'Israelit',
Mainz." |
Berichte zu einzelnen Personen aus der Gemeinde
Goldene Hochzeit von Jakob Marx und Helene geb. Schoemann
(1886)
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 29. Juni 1886:
"Man schreibt uns aus Birkenfeld: Am 15. dieses Monats feierten die
Eheleute Jakob Marx und Helene geb. Schoemann zu Rachtig a.d. Mosel die
goldene Hochzeit. Der Unterzeichnete hielt die Feier in der festlich
geschmückten Synagoge zu Rachtig, wobei er die von Seiner Majestät dem
Jubelpaare verliehene Ehejubiläums-Medaille überreichte, nachdem das
Begleitschreiben verlesen und mit passenden Worten begleitet worden. Mit
Gebet für Kaiser, Reich und Vaterland, sowie mit einem solchen für das
Jubelpaar und dem Schlusssegen, wobei Böllerschüsse ertönten, endigte
die religiöse Feier. Nach dem Festmahle, dem ca. 60 Personen beiwohnten,
eröffnete das Jubelpaar den Hochzeitsball." |
Nach der Emigration - Todesanzeige für Hanna Marx geb.
Stern (1945)
Anzeige
in der amerikanisch-jüdischen Zeitschrift "Der Aufbau" vom 2.
November 1945: "Unsere geliebte Mutter, Großmutter und Schwester, Frau
Hanna Marx geb. Stern (früher Rachtig, Mosel) verschied am 22.
Oktober 1945 nach kurzer, schwerer Krankheit im 70. Lebensjahr.
Ihr Leben war von Liebe, Güte und Aufopferung für ihre Kinder
erfüllt.
In tiefem Schmerz:
Sally Marx & Frau Ida geb. Simon, 74 Gay Street Providence, R.I.
Julius Heilberg & Frau Hedwig geb. Marx, Aufenthalt
unbekannt
Max Allmeier & Frau Lisa geb. Marx, 1121 Findlay Av.
Bronx 56, N.Y.
Ludwig-Asher Marx, 565 W. 181 St., New York 33, N.Y.
Hirsch Stern & Frau, 611 N. Curton Avenue Los Angeles,
Calif.
Mathilde Stern, Hattie Wolff geb. Stern, 123 W. 83th St.
N.Y.C. und 3 Enkelkinder." |
Zur Geschichte der Synagoge
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts besuchten die in Rachtig,
Zeltingen, Lösnich und Ürzig lebenden jüdischen Personen die in
Synagoge in Zeltingen, da die Zahl der jüdischen Einwohner an den einzelnen
Orten zu gering für ein eigenes gottesdienstliches Leben war. 1853 trennten sich
- auf Grund der Zunahme der jüdischen Bevölkerung vor Ort - die Gemeinden voneinander, blieben jedoch
auch in der Folgezeit in enger Verbindung
zueinander.
Um 1850 wird in Rachtig eine Betstube in einer Privatwohnung genannt. Nach 1860
bemühte sich die Gemeinde um den Bau einer Synagoge. 1862 erhielten die
Rachtiger Juden die Genehmigung des Oberpräsidenten der Rheinprovinz zur
Durchführung einer Kollekte zu einem solchen Bau. Es ist nicht bekannt, ob die
finanziellen Mittel schon damals zum Bau einer Synagoge reichten. 1886 ist
(Dokument zur Goldenen Hochzeit Marx s.o.) immerhin von einer Feier "in der
festlich geschmückten Synagoge zu Rachtig" die Rede. Hierbei wird es sich
vermutlich nicht mehr um die Betstube in der Privatwohnung gehandelt
haben.
Beim Novemberpogrom 1938 wurde die Synagoge von SA-Männern demoliert. Die
Torarollen wurden entfernt. Nach dem Pogrom wurden die Synagoge und die letzten
jüdischen Häuser verkauft. Die ehemalige Synagoge wurde als Lagerraum
verwendet. In den 1950er-Jahren brach der Eigentümer die Synagoge ab und
erstellt auf dem Grundstück ein Wohnhaus.
Adresse/Standort der Synagoge: Bahnhofstraße
20
Fotos
Historische Aufnahme
(Quelle: Publikation des Landesamtes
s.Lit. S. 413) |
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Im Hintergrund die Ostpartie
der Synagoge
in Rachtig (Rundbogenfenster über dem
Toraschrein) |
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Links und Literatur
Links:
Literatur:
| Landesamt für Denkmalpflege Rheinland-Pfalz/Staatliches Konservatoramt
des Saarlandes/ Synagogue Memorial Jerusalem (Hg.): "...und dies
ist die Pforte des Himmels". Synagogen in Rheinland-Pfalz und dem
Saarland. Mainz 2005. S. 413 (mit weiteren Literaturangaben).
|
| Marie-Luise Conen / Hilde Weirich: Jüdische
Familien von der Mittelmosel. Lebensläufe von 1714 bis zur Gegenwart.
Paulinus Verlag Trier 2010. € 24.90.
Informationen
auf der Verlagsseite.
|
Article from "The Encyclopedia of Jewish life Before and During the
Holocaust".
First published in 2001 by NEW
YORK UNIVERSITY PRESS; Copyright © 2001 by Yad
Vashem Jerusalem, Israel.
Zeltingen-Rachtig
Rhineland. In 1808, 33 Jews lived in Zeltingen and 17 in Rachtig. In
1895, the combined population was 78. The community in Zeltingen, which had a
synagogue by 1821, constituted the center for the two. In 1853, however, the Rachtig
community formed its own congregation, building a synagogue c. 1910. A common
cemetery was opened in 1876. In 1933, the combined population was 45, dwindling
to 18 by 1939. In 1937, the community attached itself to the Neumagen
congregation. The synagogue in Zeltingen was sold before Kristallnacht
(9-10 November 1938), while the one in Rachtig was desecrated during the
pogrom. By August 1939, the last Jews left the town. However, 23 met their
deaths after being trapped by the Nazis in their places of refuge.
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