Baisingen Friedhof 154.jpg (62551 Byte)  Segnende Hände der Kohanim auf einem Grabstein in Baisingen


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Bechtheim (VG Westhofen, Landkreis Alzey-Worms)
Jüdische Geschichte / Synagoge
   

Übersicht:  

bulletZur Geschichte der jüdischen Gemeinde  
bulletBerichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde   
Aus der Geschichte der jüdischen Lehrer und der Schule  
Aus dem jüdischen Gemeindeleben 
Berichte zu einzelnen Personen aus der jüdischen Gemeinde 
Sonstiges   
bulletZur Geschichte der Synagoge   
bulletFotos     
bulletLinks und Literatur   

   

Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde          
   
In Bechtheim bestand eine jüdische Gemeinde bis um 1880. Ihre Entstehung geht in die Zeit des 16./18. Jahrhunderts zurück. Erstmals werden 1540 Juden am Ort genannt (Quelle: "Judensachen" aus dem Fürstlich Leiningenschen Archiv in Amorbach). 1551 wird der Jude Hirsch in Bechtheim genannt (ebd.).
  
1765 wird "des Juden Samuel Witwe zu Bechtheim" genannt.
  
Bei der Volkszählung 1804 wurden 60 jüdische Einwohner am Ort erfasst. Die Zahl stieg bis um 1840/50 auf über 100 (bis zu 30 Familien) an, doch begann bereits damals eine starke Ab- und Auswanderung der jüdischen Familien. 1855 wird davon berichtet, dass in den vergangenen Jahren zwei Familien nach Worms verzogen und sieben nach Amerika ausgewandert seien (vgl. die Familie von Joseph Simon s.u.). 1857 ist die Rede von 20 Mitgliedern der Gemeinde (gemeint: 20 Familien bzw. Haushaltungen). 1861 wurden noch 96 jüdische Einwohner gezählt, die freilich in den folgenden Jahren gleichfalls weggezogen sind. Mehrere Familien verzogen in der benachbarte Osthofen. 1885 wurden keine Juden mehr gezählt. Zuletzt (nach Angaben der Ausgaben des "Statistischen Jahrbuches des Deutsch-israelitischen Gemeindebundes" waren es noch 12 jüdische Einwohner unter dem Gemeindevorsteher M. Joseph. Die letzten drei Familien verzogen "aus geschäftlichen Gründen" nach Osthofen, Offenbach und Mannheim.   
    
An Einrichtungen hatte die jüdische Gemeinde eine Synagoge (s.u.), eine jüdische Schule (im 19. Jahrhundert zeitweise israelitische Elementarschule) und ein rituelles Bad (weitere Angaben dazu siehe unten bei der Synagogengeschichte). Zur Besorgung religiöser Aufgaben der Gemeinde war ein Lehrer angestellt, der auch als Vorbeter und Schochet tätig war. Um 1850/1885 war als Elementarlehrer Samson Sonnenberger (auch Sonnenberg und Sonneberger) in der Gemeinde tätig (gest. 1885).  
 
Von den in Bechtheim geborenen und/oder längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Paul Joseph (1886), Regina Schmidt geb. Wendel (1879), Jacob Wendel (1876).  
      
      
      
Berichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde  
     
Berichte aus der Geschichte der jüdischen Lehrer und der Schule   
Über Lehrer Samson Sonnenberger und die israelitische Volksschule in Bechtheim (1857)  
Anmerkung: Lehrer Samson Sonnenberger ist am 14. April 1809 geboren und am 29. April 1885 gestorben. Er wurde im jüdischen Friedhof "Heiliger Sand" in Worms (Grab Nr. 2144) beigesetzt. SW-Fotos seines Grabsteines siehe https://www.bildindex.de/document/obj20805774  

Artikel in "Der israelitische Volkslehrer" vom November 1857 S. 337: "In Bechtheim ist eine gut dotierte Volksschule, an welcher Herr Sonnenberg seit Jahren segensreich wirkt. Die wenig über 20 Mitglieder zählende Gemeinde hat ein neues sehr freundliches Schulhaus, und erst im laufenden Jahre eine sehr hübsche Synagoge gebaut. "   

   
Lobende Erwähnung der israelitischen Elementarschule in Bechtheim (1858)
     

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 12. Juli 1858: "Wenn in einer Korrespondenz aus Worms neulich (in No. 22 dieser Zeitung) von der Gleichgültigkeit mehrerer Landgemeinden des Kreises Worms gegen allen Religionsunterricht gesprochen wurde, so muss andererseits wieder hervorgehoben werden, dass in einem anderen Teile Rheinhessens gerade die bestgestellten Schulen des Großherzogtums sich befinden, dass zum Beispiel in Oppenheim, Guntersblum, Odernheim, Niederwiesen und Bechtheim gut dotierte Elementarschulen mit definitiv vom Großherzoge angestellten Lehrern sich befinden, die zumeist seit langen Jahren dort wirken, und dass außerdem die Lehrer in Schornsheim, Sprendlingen von ihren Gemeinden freiwillig als Religionslehrer etc. definitiv angestellt sind, außer anderen, die wir vielleicht nicht wissen; und dass aus all diesem zu schließen ist, dass es um das jüdische Schulwesen hierzulande nicht so schlecht bestellt ist."       

       
Über Lehrer Sonnenberg in Bechtheim um 1860 (in einem Artikel von 1931)     

Artikel in "Mitteilungsblatt des Landesverbandes der israelitischen Religionsgemeinden in Hessen" vom März 1931 S. 5: "Wie sah es mit dem jüdischen Religionsunterricht in Hessen vor 70 Jahren aus? Herr Sonnenberg steht der Elementarschule in Bechtheim, Kreis Worms, als tüchtiger Lehrer fuhr. Er bezieht jährlich an 300 fl., hat eine schöne Wohnung in dem bei der neu gebauten freundlichen Synagoge gelegenen Hofraum, nebst großem Garten.  "     

    
Die fünfte Versammlung israelitischer Lehrer in Rheinhessen findet in Bechtheim statt (1860)   

Artikel in "Der israelitische Volkslehrer" vom Juni 1860 S. 227: "Die fünfte Versammlung israelitischer Lehrer in Rheinhessen, abgehalten zu Bechtheim im Kreise Worms am 17. Mai 1860.
Es waren zugegen die Herren Dr. Aub, Rabbiner in Mainz, Bär aus Griesheim, Albert Mayer aus Mainz, Stern aus Oppenheim und Rosenthal aus Hillesheim (statt Hildesheim) und von den früheren Mitgliedern Marx, Gottschall, Hirsch, Sonneberg, Wormser, Herzog, Hauser, Nathan und Klingenstein. "    

   
Beiträge von Lehrer Sonnenberger bei der 10. Versammlung israelitischer Lehrer in Rheinhessen (in Worms 1864)      

Artikel in "Der israelitische Lehrer" vom 23. Juni 1864: "Bericht über die zehnte Versammlung israelitischer Lehrer in Rheinhessen, abgehalten zu Worms, am 26. Mai 1864. (Fortsetzung.)
Sonneberg aus Bechtheim. Meine Herren, Sie stimmen gewiss mit mir über ein, wenn wir dem verehrten Referenten für das eben vorgelesene wertvolle Referat unseren Dank aussprechen. Allein, erlauben Sie mir auf etwas Wichtiges hierauf Bezügliches aufmerksam zu machen. In der Schule wird gar oft der Keim zur Unwahrhaftigkeit gelegt. Die Lehrer verbieten dem Kinde: 'ihr dürft nicht aus der Schule schwatzen'; dass man dies 'aus der Schule schwarzen' für ein Kapitalverbrechen hielt, wird dadurch bewiesen, dass es sprichwörtlich geworden. Ich halte es für einen Fehler, wenn wir dem Kinde dies verbieten. Warum soll in unserer heutigen, der Öffentlichkeit und Mündigkeit zugeneigten Zeit die Schule ihr Leben und Tun vor den Augen der Welt verbergen? Denkt das Kind nicht, dass es das, was recht und wahr ist auch erzählen darf? Wird nicht gerade durch das Verbieten des 'aus der Schule Schwatzens' dasselbe wohl befördert werden? Und wenn es zu Hause gefragt wird, wenn es dann doch schwätzt und der Lehrer fragt dem Schwätzer nach, um ihn zu bestrafen; wird es da nicht gerade zum Lügen gebracht?"   
 
Artikel in "Der israelitische Lehrer" vom 14. Juli 1864: "Bericht über die zehnte Versammlung israelitischer Lehrer in Rheinhessen,
abgehalten zu Worms, am 26. Mai 1864. (Schluss.)
Nachmittagssitzung Eröffnung um 3 1/2 Uhr.
Sonneberg aus Bechtheim.
Die Mitglieder unserer Konferenz werden mit mir einverstanden sein, wenn ich hier unseren Dank und unsere Anerkennung ausspreche für das sehr wertvolle Referat unseres Präsidenten Marx. Allein bevor wir auf das Einzelne übergehen, werden wir mit der am Schlusse desselben angeregten Frage uns zu beschäftigen haben, mit dem Pentateuchübersetzen.
Die Versammlung stimmt ein, und man schreitet zur Debatte über das Pentateuchübersetzen.
Sonneberg: Der Toravortrag ist ebenso gut ein Bestandteil des öffentlichen Gottesdienstes als das Gebet. Ja, es ist allgemein anerkannt, dass er ein sehr wichtiger Bestandteil deselben ist. Es walten also beim Pentateuch dieselben Gründe vor, wie beim Gebet übersetzen, und ich halte darum das Übersetzen desselben für notwendig."   

                 
Mitteilung einer Spendensammlung bei der Hochzeit von E. Brettheimer (Bensheim) mit Frl. Sonnenberger (Bechtheim) (1877) 
Anmerkung: es wird sich um die Tochter von Lehrer Sonnenberger gehandelt haben.  

Artikel in "Rechenschaftsbericht der Achawa" 1877 S. 11: "September 11: Sammlung bei der Hochzeit des Herrn E. Brettheimer in Bensheim mit Fräulein Sonneberg aus Bechtheim. "   

        
Mitteilung des Todes des Lehrers Samson Sonnenberger (1885)    

Artikel in "Rechenschaftsbericht der Achawa" 1885 S. 4: "Die Zahl unserer aktiven Mitglieder belief sich am Anfang des Jahres 1885 auf 243; durch den Tod verloren wir drei Mitglieder (die Lehrer Hosch in Neisse, Schwab in Kallstadt und Sonnenberger in Bechtheim); durch den Beitritt von 15 neuen Mitgliedern (siehe Seite 13) wuchs die Zahl auf 255."    

    
    
Aus dem jüdischen Gemeindeleben     
Die drei letzten jüdischen Familien sind aus "geschäftlichen Gründen" aus Bechtheim verzogen (1897)    

Artikel in der Zeitschrift "Im deutschen Reich" vom September 1897 S. 461: "Der von der Wormser Zeitung gemeldete Wegzug sämtlicher Israeliten von Bechtheim und die Verteilung der Kultusgegenstände an bedürftige israelitische Gemeinden ist keineswegs eine Folge unfreundlichen Verhaltens der Bechtheimer Einwohnerschaft. Von den drei jüdischen Familien, die bisher in Bechtheim wohnten, ist diejenige des Vorstehers nach Osthofen, eine andere nach Offenbach und die dritte nach Mannheim gezogen. In allen drei Fällen waren geschäftliche Gründe maßgebend."   

    
Die Auflösung der jüdischen Gemeinde (1897)   

Bechtheim Israelit 09081897.jpg (29626 Byte)Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" am 9. August 1897: "Aus Rheinhessen. Die noch vor wenigen Jahren ziemlich starke israelitische Gemeinde in Bechtheim ist infolge Wegzuges sämtlicher Israeliten aufgelöst. Das Gemeindevermögen fiel der israelitischen Kultusgemeinde Osthofen zu, wohin die meisten der ehemaligen Gemeindemitglieder verzogen sind. Die Kultusgegenstände werden an bedürftige israelitische Gemeinden verteilt."  

   
    
Zu einzelnen Personen aus der jüdischen Gemeinde   
Zum Tod des aus Bechtheim stammenden Marx B. Loeb in Philadelphia (1907)  
Anmerkung: genealogische Informationen zu Marx B. Loeb (geb. 1836 in Bechtheim) siehe https://www.geni.com/people/Marx-Loeb/6000000007123311501 
Weitere Links zu Marx B. Loeb:  https://digital.library.temple.edu/digital/collection/p15037coll15/id/2739/  
Grabmal im Mount Sinai Cemetery in Philadelphia: https://de.findagrave.com/memorial/141609155/marx-b-loeb  
Rodeph-Schalom-Congregation in Philadelphia: https://rodephshalom.org/    Jewish Hospital Philadelphia  https://en.wikipedia.org/wiki/Einstein_Medical_Center_Philadelphia und https://www.einstein.edu/  

Artikel in der "Neuen jüdischen Presse" ("Frankfurter Israelitisches Familienblatt") vom 23. August 1907: "Philadelphia. Marx B. Loeb, einer der angesehensten Geschäftsleute und bekannt als Wohltäter, ist im 71.  Jahre gestorben. Loeb, der in Deutschland (in den Orte Bechtheim) geboren wurde, kam in jungen Jahren nach Amerika. Er war während 27 Jahren Präsident des Jüdischen Hospital; auch war er Präsident der Vereinigten jüdischen Wohltätigkeitsgesellschaften und eine zeitlang Präsident der Rodef-Shalom-Gemeinde. "  

  
Über den aus Bechtheim stammenden US-Senator Joseph Simon (1851-1935)     

Joseph_Simon_of_Oregon.jpg (57895 Byte)Joseph Simon ist am 7. Februar 1851 in Bechtheim geboren als Sohn von David Simon und seiner Frau. 1852 ist die Familie in die USA ausgewandert und ließ sich in Portland, Oregon nieder. Joseph Simon war von 1889 bis 1892 und von 1895 bis 1898 President of the Oregon State Senate und von 1898 bis 1903 United States Senator from Oregon. Er starb 1935 in Portland und wurde im Beth Israel Cemetery ebd. beigesetzt. Er blieb unverheiratet. 
Weitere Informationen siehe http://en.wikipedia.org/wiki/Joseph_Simon.  

   
   
Sonstiges   
Antijüdische Bestimmungen in der NS-Zeit in Bechtheim (1935)     

Artikel in "Jüdische Rundschau" vom 27. August 1935: "In Bechtheim wurde beschlossen, dass kein Jude ein Haus oder Grundstück erwerben darf. Alle Geschäftsleute, Handwerker und Fuhrleute, welche mit Juden Geschäfte machen oder verkehren, erhalten keine Lieferungen mehr. Ferner wird den Unterstützungsempfängern, die den Juden im Handel unterstützen oder bei ihm kaufen, die Unterstützung gesperrt. Allen Volksgenossen, welche gemeindeeigene Felder gepachtet haben und mit Juden Geschäfte tätigen, werden die gepachteten Gemeindeäcker wieder entzogen."   

   
    
    
Zur Geschichte der Synagoge                   
    
Die jüdische Gemeinde hatte bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ihre Einrichtungen in der heutigen Unteren Klinggasse. Hier stand auf dem Grundstück Untere Klinggasse 8 das Wohnhaus des jüdischen Lehrers, in dem sich auch der Unterrichtsraum der jüdischen Schule befand. Auf dem Nachbargrundstück (Untere Klinggasse 10) standen die alte Synagoge und das rituelle Bad. Um 1850 befand sich die alte Synagoge jedoch in sehr schlechtem baulichen Zustand. "Aus Sanitätsgründen" drängten die Behörden die jüdische Gemeinde zu einem Synagogenneubau. 1855/56 konnte unweit der älteren Einrichtungen eine neue Synagoge erbaut werden. Die Grundsteinlegung war am 4. März 1855

Im Gemeindearchiv findet sich ein Dokument mit einem Bericht zu Grundsteinlegung (das Dokument wurde bei der Einrichtung der Kleinkinderschule 1903 aufgefunden, siehe Bericht unten): "Bechtheim, den 4. März im Jahre 5615 - ist das Jahr 1855 - nach Erschaffung der Welt. Heute versammelt sich die israelitische Gemeinde dahier zu Bechtheim im Großherzogtum Hessen - Provinz Rheinhessen Kreis Worms und legte den Grundstein zu einer neuen Synagoge, - welche aus Mitteln der Gemeinde und verschiedene milde Beiträge von manchen Wohltätern erbaut wird, - und zwar unter den Verwaltung des derzeitigen Vorstandes [...] Das Grundeigentum der Gemeinde besteht gegenwärtig aus: a. einem Wohnhaus für den Lehrer, - worin zugleich das Lokal, in welchem der Unterricht der Schuljugend erteilt wird sich befindet [Untere Klinggasse 8], nebst angrenzendem Garten auf dessen oberen Teil die Synagoge erbaut wird [Martin-Luther-Straße 4]. b einem alten Wohnhäuschen an dem Raum, wo bisher die alte Synagoge gestanden, und nahe dabei ein Frauenbad [Untere Klinggasse 10.]

Die Bauaufsicht hatte der Techniker Binz aus Worms übernommen. Finanziert werden konnte der Bau nur mit Hilfe von großzügigen Spenden, darunter eine in Höhe von 1.000 Gulden von dem in Alzey lebenden Herrn A. Florian Belmont sowie mehrere von inzwischen in Amerika lebenden Familien. Anfang 1857 war das Gebäude fertig. Die Einweihung wurde am 23. Januar 1857 gefeiert; ein dreitägiges großes Fest für den ganzen Ort schloss sich an. Am Sabbat, 24. Januar 1857 (28. Tevet 5617) fand ein vierstündiger Gottesdienst statt. Prediger Dr. Levysohn aus Worms hielt die Einweihungspredigten; als Vorbeter wirkte der oben genannte Lehrer Samson Sonnenberg. Ein Bericht in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 9. Februar 1857 enthält weitere Einzelheiten:
  
Die Einweihung der neuen Synagoge in Bechtheim (1857)   

Bechtheim AZJ 09021857.JPG (185082 Byte)"Bechtheim in Rheinhessen, 26. Januar (1857). Bechtheim im Rabbinatssprengel Worms, zählte vor wenigen Jahren noch über 30 israelitische Familien, reduzierte sich jedoch in Folge der Auswanderung nach Amerika auf 20 Familien. Dieselben, unterstützt von einigen auswärtigen Gönnern, von welchen insbesondere Herr A. F. Belmont aus Alzey, der 1000 Gulden vorgeschossen und nach 20 Jahren erst als rückzahlbar erklärte, erwähnt werden muss, haben nun größtenteils aus eigenen Mitteln eine Synagoge erbaut, deren Geschmack, Eleganz und reichliche Ausstattung sicherlich in keiner Landgemeinde ganz Süddeutschlands zum zweiten Mal anzutreffen sein dürfte. Dieses Gotteshaus ist jetzt die einzige und wahre Zierde des Orts geworden. Freitag, den 23. dieses Monats, fand die Einweihung durch den Prediger Herrn Dr. Levysohn in Worms statt. Herr Dr. Lewysohn predigte auch Samstag, an welchem der Gottesdienst von 10 bis 2 Uhr dauerte, sowie am Sonntag, an dem noch einmal die Gemeinde und die Schuljugend zum Abschiede von dem Herrn Prediger in das Gotteshaus sich versammelten. Mehr als 300 Glaubensgenossen von inner- und außerhalb des Kreises fanden sich zur Feier ein, und alle begingen ein dreitägiges Fest, das jedem Teilnehmer unvergesslich bleiben wird. - Die Einweihungspredigt nebst einem geschichtlichen Anhang über den Bau der Synagoge sind dem Drucke übergeben worden. Ref. (Referent) kann nicht schließen, ohne des dortigen Gemeindelehrers, Herrn S. Sonnenberg, rühmlich zu gedenken, welcher den Gesangs- und musikalischen Teil der Feier auf das Befriedigendste zu besorgen wusste. Möglich die fernen Freunde in Amerika, die ebenfalls ihr Scherflein zum Bau dieses wahrhaft prächtigen Gotteshauses beigetragen, beim Lesen dieser Zeilen die gerechte und wohlverdiente Freude sich gönnen. Sie werden später vom hiesigen Vorstand Predigt und Programm zum Andenken zugesandt erhalten."   

Von der Architektur des Gebäudes her handelt es sich um einen kleinen klassizistischen Saalbau, der sein besonderes Gepräge durch die Ecklisenen sowie die Rund- und Rundbogenfenster erhielt. 
     
Über Bechtheim und seine Synagoge (1857)              

Artikel in der "Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums" vom Juni 1857 S. 92: "Im Jahre 1846 waren in Hessen 173 Synagogen; doch haben die letzten zehn Jahre so viele neu gebaute Synagogen hinzugefügt, dass jetzt deren weit über 200 vorhanden sind. Hierbei ist es erfreulich zu sehen, wie oft eine Landgemeinde von 15 oder 20 Familien mit einem Kostenaufwand ein solches dem Gottesdienste geweihtes Gebäude aufführt, der das rühmlichste Zeugnis ihrer Opferwilligkeit bekundet. So besitzt die aus 20 Familien bestehende Gemeinde zu Bechtheim eine durch Symmetrie und Eleganz sich auszeichnende Synagoge, wie sie nur selten in einer Landgemeinde anzutreffen sein dürfte."    

   
Lehrer Lewysohn aus Worms predigte in der Synagoge in Bechtheim (1857)  
Anmerkung: Rabbiner Dr. Ludwig Lewysohn war als Rabbiner ausgebildet, aber in Worms als "Prediger" neben Rabbiner Jakob (Koppel) Bamberger angestellt. Zu Dr. Ludwig Lewysohn (geb. 1819 in Schwersenz, gest. 1901 in Stockholm) siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Ludwig_Lewysohn.   

Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 2. März 1857: "Worms, im Februar. (Privat Mitteilungen). Von Lewysohn befindet sich unter der Presse: Lächäm Mischna, zwei Predigten, gehalten in der neuerbauten Synagoge zu Bechtheim. "    

    
Bericht aus dem gottesdienstlichen Leben - gemeinsame "Konfirmation" (1857)     

Bechtheim AZJ 01061857.jpg (34051 Byte)Über das gottesdienstliche Leben in der Synagoge in Bechtheim liegen nur wenige Berichte vor. Die Gemeinde nahm offenbar noch einige Reformen im gottesdienstlichen Leben vor. So wurde die gemeinsame Konfirmation (für die sonst übliche einzelne Bar Mizwa / Bat Mizwa - Feier) eingeführt. Die "Allgemeine Zeitung des Judentums" berichtet in einem Artikel vom 1. Juni 1857 von 10 Kindern, die am Schawuotfest 1857 (30. Mai 1857) gemeinsam konfirmiert wurden: "Während hier in Worms am bevorstehenden Schebuothfeste 22, ja in der hierher gehörenden Landgemeinde Bechtheim 10 Kinder konfirmiert werden, besteht in Frankfurt a.M., welches 4.000 jüdische Seelen zählt, die Anzahl der Konfirmanden nur in 8; die Gründe dieser befremdenden Erscheinung gedenken wir, wann es uns geeignet erscheinen wird, an dieser Stelle etwas ausführlicher zu besprechen." 

     
Der Hauptsponsor der Synagoge verzichtet auf die Rückzahlung der restlichen Schulen (1870)    

Bechtheim Israelit 29061870.jpg (61794 Byte)Die von Bechtheim nach anderen Orten wegziehenden Familien machten es den zurückbleibenden Familien nicht leicht, was die Rückzahlung der noch vorhandenen Schulden für die Synagoge. Nachdem jedoch Hauptsponsor für den Synagogenbau - Florian Belmont aus Alzey - im Frühjahr 1870 verstarb, verzichtete sein Erbe Dr. Ludwig Bamberger auf eine Rückzahlung der noch ausstehenden Schulden.
Darüber berichtete die Zeitschrift "Der Israelit" vom 29. Juni 1870: "Bechtheim (bei Worms), 22. Juni 1870. Vor 15 Jahren wurde die hiesige israelitische Gemeinde aus Sanitätsgründen angehalten, eine neue Synagoge zu bauen. Die finanziellen Verhältnisse waren jedoch der Art, dass dies ohne eine Anleihe nicht auszuführen war. Herr Florian Belmont in Alzey übermachte der Gemeinde ein Darlehen von 1.000 Gulden zu dem niederen Zinsfuß von 2 1/2 % nach 20 Jahren zehntelweise rückzahlbar. Nach dem im vorigen Monat erfolgten Tode des Herrn Belmont hat dessen Schwiegersohn und Erbe Dr. Ludwig Bamberger in Mainz der Gemeinde das Darlehen nebst den rückständigen Zinsen geschenkt."   

    
Nur wenige Jahrzehnte (bis 1874) diente die Synagoge ihrer ursprünglichen Zweckbestimmung. Nach dem Wegzug der jüdischen Familien wurde das Gebäude 1894/1900 an die politische Gemeinde verkauft. Im Kaufvertrag wurde bestimmt, dass die Synagoge nicht als "Scheune, Stall oder Abtritt" verwendet werden durfte. Von der politischen Gemeinde wurde sie zu einer "Kleinkinderschule" beziehungsweise zu einem Kindergarten umgebaut und in dieser Weise bis 1962 genutzt. 
 
Die Synagoge wird in eine Kleinkinderschule umgebaut (1903)  

Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 16. März 1903: "Bechtheim, 13. Juli (1903). In unserer Gemeinde wurde jüngst die Synagoge in eine Kleinkinderschule umgebaut. Bei der Niederlegung eines Gebäudeteils wurde ein Schriftstück in einer Kapsel aufgefunden, welches einen interessanten Rückblick auf den Bestand und die Verhältnisse der früheren israelitischen Gemeinde Bechtheims gestattet. Die israelitische Gemeinde Bechtheims hat sich schon vor Jahren ganz aufgelöst, da alle Mitglieder der Gemeinde zumeist nach Amerika ausgewandert sind. Aus der aufgefundenen Urkunde geht hervor, dass am 14. März 5615 nach Erschaffung der Welt (1855 nach der gewöhnlichen Zählung), die israelitische Gemeinde sich versammelt hatte, um den Grundstein zu einer neuen Synagoge, welche aus Mitteln der Gemeinde und verschiedenen milden Gaben errichtet werden sollte, zu legen."    

In den 1960er-Jahren ging das Gebäude in den Besitz der evangelischen Kirchengemeinde über, die es zunächst abbrechen wollte, um hier ein Gemeindehaus zu erbauen. Auf Grund des Einspruches der staatlichen Denkmalpflege kam es nicht zum Abbruch. So blieb das Synagogengebäude erhalten und wird bis zur Gegenwart als evangelisches Gemeindehaus verwendet.  
  
  
Adresse/Standort der SynagogeMartin-Luther-Straße 4.  
  

  
Fotos
(Fotos Hahn, Aufnahmedatum 30.3.2005 beziehungsweise Michael Ohmsen, Aufnahmen von Anfang Juli 2011) 

Die ehemalige Synagoge 
im Frühjahr 2005 
Bechtheim Synagoge 200.jpg (57240 Byte) Bechtheim Synagoge 203.jpg (64052 Byte)
  Die ehemalige Synagoge in Bechtheim
  
Bechtheim Synagoge 201.jpg (46020 Byte) Bechtheim Synagoge 202.jpg (40142 Byte)   Bechtheim Synagoge 204.jpg (74577 Byte)
Hinweistafel und Bauinschrift der Bechtheimer Synagoge aus 1. Mose 28.7: "Hier ist nichts anderes als Gottes Haus 
und hier ist die Pforte des Himmels" und in der unteren Zeile der Jahreszahl (5)616 = 1855/56  
   
   
Die ehemalige Synagoge 
im Sommer 2011
Bechtheim Synagoge 191.jpg (202432 Byte) Bechtheim Synagoge 190.jpg (235492 Byte)
  Die ehemalige Synagoge in Bechtheim
   
     
Die ehemalige Synagoge Anfang 2020
(Fotos: Bernhard Kukatzki)
     
     
Denkmal am Marktplatz      
Bechtheim Denkmal 122.jpg (92437 Byte) Bechtheim Denkmal 120.jpg (126018 Byte) Bechtheim Denkmal 121.jpg (168510 Byte)
Obelisk mit 
einzelnen Denkmalen
Denkmal für die jüdische Geschichte in der Inschrift:  
"Die ehemalige Synagoge. Das Erbauungsjahr der Synagoge ist nach jüdischer Zeitrechnung mit 5615 angegeben. 
30 israelische Familien wohnten einst in Bechtheim und erbauten die Synagoge aus eigenen Mitteln. 
Nach einem Ratsprotokoll von 1885 waren alle israelische Familien verzogen oder nach Amerika ausgewandert. 
Die Gemeinde Bechtheim erwarb die Synagoge im Jahr 1900, um sie bis 1963 als Kindergarten zu nutzen. 
Seit 1963 dient sie als evangelisches Gemeindehaus."  
 
 
 
     

   
   

Links und Literatur

Links:  

bulletWebsite der Gemeinde Bechtheim  

Literatur:  

bullet"...und dies ist die Pforte des Himmels" Synagogen - Rheinland-Pfalz. Saarland. Hg. vom Landesamt für Denkmalpflege Rheinland-Pfalz mit dem Staatlichen Konservatoramt des Saarlandes und dem Synagogue Memorial Jerusalem. 2005. S. 99-100 (mit weiterer Lit.) 
bulletCarola Kaufmann-Levy: "Judensachen" aus dem Fürstlich Leiningenschen Archiv in Amorbach. In: Der Wormsgau 9 1970-1971 S. 48-53.  

       
       

                   
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Copyright © 2003 Alemannia Judaica - Arbeitsgemeinschaft für die Erforschung der Geschichte der Juden im süddeutschen und angrenzenden Raum
Stand: 30. Juni 2020