Baisingen Friedhof 154.jpg (62551 Byte)  Segnende Hände der Kohanim auf einem Grabstein in Baisingen


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Reutlingen (Kreisstadt, Baden-Württemberg)
Jüdische Geschichte / Betsaal der Filialgemeinde 
der Israelitischen Religionsgemeinschaft in Württemberg

    
Übersicht:  

bulletZur jüdischen Geschichte Reutlingens  
Mittelalter  
19./20. Jahrhundert 
seit den 1990er-Jahren: Filialgemeinde der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs  
bulletFotos  
bulletTexte / Pressemitteilungen über die Filialgemeinde 2003 / 2013  
bulletErinnerungsarbeit vor Ort - einzelne Berichte   
bulletLinks und Literatur  

  
  
Zur jüdischen Geschichte Reutlingens (english version)      
    
Mittelalter  

In Reutlingen bestand eine jüdische Gemeinde im Mittelalter (erste Nennung 1331, Judenverfolgung 1348, neue Niederlassung um 1371 bis zur Ausweisung 1495). Eine mittelalterliche Synagoge bestand am Platz des späteren Gebäudes Kanzleistraße 2. Von ihr sind keine Spuren erhalten. Vom Ende des 15. Jahrhunderts an lebten bis nach der Mitte des 19. Jahrhunderts keine Juden in der Stadt. 
   
   
   
19./20. Jahrhundert  
  
Seit 1861 konnten sich jüdische Personen wieder niederlassen, die zur Synagogengemeinde in Wankheim, dann Tübingen gehörten. Die höchste Zahl jüdischer Einwohner wurde um 1910 mit 72 Personen erreicht. Die in den jüdischen Familien verstorbenen Personen wurden im jüdischen Friedhof in Wankheim beigesetzt.     
   
Von den in Reutlingen geborenen und/oder längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Ernst Engländer (1892), Karoline Fabian geb. Kohn (1882), Gertrud Fuld geb. Levi (1901), Alice Haarburger (1891), Alfred Hamburger (1881), Klara Hamburger geb. Katz (1884), David Jochsberger (1886), Walter Leib (1912), Adolf Maier (1882), Babette Maier geb. Oppenheimer (1895), Anne Mainzer geb. Lederer (1894), Paul Mohr (1897), Frime (Frieda) Rosenrauch geb. Haspel (1883), Emil Salmon (1888), Kurt Salmon (1898), Tana Margarete Schweizer geb. Lilienfeld (1881), Karoline Spiro geb. Kramer (1872), Marta Spiro (1897), Salomon Spiro (1859), Else Wachenheimer geb. Moos (1895), Selma Weikersheimer geb. Spiro (1882), Ludwig Weißburger (1905), Gisela Wolff geb. Kalter (1896).      
  
  
  
Berichte zur jüdischen Geschichte in Reutlingen (aus jüdischen Periodika)     
Vortrag des Jüdischen Frauenvereins Tübingen-Reutlingen in Reutlingen (1929)         

Artikel in der "Gemeinde-Zeitung für die Israelitischen Gemeinden Württembergs" vom 15. Februar 1929: "Reutlingen. Am 13. Januar hielt hier auf Veranlassung des Jüdischen Frauenvereins Tübingen-Reutlingen Frau Berta Blumenthal-Weil aus Stuttgart einen Vortrag über Lindsays Buch 'Revolution der modernen Jugend'. Die zahlreich erschienenen Gemeindemitglieder nahmen den sehr aktuellen und interessant dargebotenen Vortrag sehr beifällig auf. An der Aussprache beteiligten sich Frau Frida Weil, Tübingen und Rechtsanwalt Dr. Katz, Tübingen. Dieser betonte, dass neben dem von der Rednerin mit Recht geforderten freiheitlichen und freundschaftlichen Verhältnis zwischen Kindern und Eltern, zwischen Zögling und Erzieher auch das autoritative Verhältnis im Interesse der Jugend nicht übersehen werden darf, weil noch verhängnisvoller als eine zu strenge Zucht für die Jugend die Zuchtlosigkeit werden kann. Frau Frida Weil wies darauf hin, dass im guten jüdischen Hause die Eltern von jeher Freiheit und Autorität ihren Kindern gegenüber harmonisch miteinander zu verbinden verstanden haben."   

 
25-jähriges Geschäftsjubiläum der Firma L. Wrubel (1932)   

Artikel in der "Gemeinde-Zeitung für die Israelitischen Gemeinden Württembergs" vom 16. November 1932: "Reutlingen. Aus Anlass seines vor kurzem stattgefundenen 25-jährigen Geschäftsjubiläums wurde L. Wrubel von allen Seiten reiche Ehrungen zuteil. Wrubel erfreut sich in weiten Kreisen der Bevölkerung des besten Rufes. Möge es ihm vergönnt sein, auch weiterhin für sein Unternehmen erfolgreich zu wirken."        

  
75. Geburtstag von Salomo Spiro (1934)    

Artikel in der "Gemeinde-Zeitung für die israelitischen Gemeinden Württembergs" vom 1. August 1934: "Tübingen. Am 15. Juli beging unser Gemeindemitglied Salomo Spiro aus Reutlingen in voller Rüstigkeit seinen 75. Geburtstag. Der Jubilar, der sich in allen Kreisen der Bevölkerung wegen seines ehrenhaften Charakters und bescheidenen Wesens hoher Achtung erfreut, hat sich um die Gemeinde besonders dadurch verdient gemacht, dass er seit langen Jahren an den Hohen Feiertagen das Ehrenamt des Hilfsvorbeters versieht. Das Vorsteheramt hat Salomo Spiro herzliche Glückwünsche und besonderen Dank für die der Gemeinde geleisteten trefflichen Dienste zum Ausdruck gebracht. - Auch wir entbieten dem Jubilar unsere besten Wünsche!"       

  
Zum Tod von Hertha Salmon (1935)       

Artikel in der "Gemeinde-Zeitung für die Israelitischen Gemeinden Württembergs" vom 16. März 1935: "Reutlingen. Nach langem Krankenlager verstarb Fräulein Hertha Salmon. Ein großes Trauergefolge aus allen Kreisen der Bevölkerung zeugte für die Wertschätzung, die die Verblichene genoss."     

   
Zum Tod von Karl Haarburger (1935)  
Anmerkung: Karl Haarburger (geb. 1893) war ein Sohn des Reutlinger Fabrikanten Friedrich Haarburger, der die Firma Julius Vottelers Nachfolger G.m.b.H in Reutlingen betrieb und seiner Ehefrau Fanny geb. Hess, die eine Urenkelin von Isaak Hess aus Ellwangen war. Karls älteste Schwester war die Künstlerin Alice Haarburger (s.u.), sein jüngerer Bruder war Ernst Haarburger (geb. 1897). Die Familie wohnte bis 1903 in Reutlingen in de3r Bismarckstraße 4 und verzog dann nach Stuttgart.   

Artikel in der "Gemeinde-Zeitung für die Israelitischen Gemeinden Württembergs" vom 18. Juni 1935: "Reutlingen. Am 27. Mai verschied im 43. Lebensjahr Dipl.-Ing. Karl Haarburger, der Geschäftsführer der Firma Julius Votteler's Nachfolger GmbH in Reutlingen. Haarburger, der Leutnant d.R. a.D. und Inhaber des E.K. I war, erfreute sich in weitesten Kreisen größter Wertschätzung. In einem in der Tagespresse erschienenen Nachruf der Gesellschafter und des Aufsichtsrats seiner Firma heißt es: 'Der im besten Mannesalter Dahingeschiedene hat zufolge seiner vielseitigen Kenntnisse, verbunden mit ungewöhnlicher Arbeitskraft und Arbeitsfreude, unser Unternehmen auf seine jetzige Höhe gebracht. Alle in der Firma Tätigen betrauern mit uns den frühen Tod dieses unvergesslichen, sozialen Mitarbeiters und Leiters.' - In einem öffentlichen Nachruf des Offiziersvereins R.F.A. 27, der von Hauptmann d.L. Dr. Bischel unterzeichnet ist, kommt die außerordentliche soldatische Leistung des Frühvollendeten zu besonderem Ausdruck. Diese letzte Würdigung lautet: Am 27. Mai 1935 verschied viel zu früh in Reutlingen unser lieber Kamerad Karl Haarburger, Dipl.-Ing., Leutnant d. Res.a.D.  Tief erschüttert stehen wir an seiner Bahre, nachdem wir am Tage zuvor in Biberach ein Regimentstreffen gefeiert haben, bei dem seiner von vielen Kameraden gedacht wurde. Wir verlieren in ihm einen tapferen, unerschrockenen Offizier, der sich am 8. und 9. Juni 1918 bei dem Vorstoß seiner Batterie in Begleitung der stürmenden Infanterie ganz besonders ausgezeichnet hat, einen treuen, bei Vorgesetzten und Untergebenen überaus beliebten Kameraden. Er wird uns unvergessen bleiben."        

     
Hinweis zu der in Reutlingen geborenen Künstlerin Alice Haarburger (1891 - ermordet 1942)       
Weitere Informationen zu Alice Haarburger siehe Wikipedia-Artikel "Alice Haarburger"  https://de.wikipedia.org/wiki/Alice_Haarburger (zum Bruder Karl Haarburger siehe oben).  
Alice Haarburger ist bis zum Umzug ihrer Familie 1903 nach Stuttgart in Reutlingen aufgewachsen.           
    
    
Anzeigen aus dem 19. Jahrhundert, gefunden in jüdischen Periodika 

Reutlingen Israelit 21091864.jpg (141536 Byte)Anzeigen der Stadt Reutlingen in der Zeitschrift "Der Israelit" zur Werbung für die Tuch- & Strickwaren-Messe am 27. Oktober 1864 und die Leder-Messe am 27. und 28. Oktober 1864.            
   
Reutlingen Israelit 28031877.jpg (51032 Byte)Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 28. März 1877: "Reutlingen. Im Pensionate des Unterzeichneten finden noch einige Töchter, die die hiesige Frauenarbeitsschule besuchen, gute und liebevolle Aufnahme. Näheres durch Prospekte, die auf Verlangen gerne franco zugesandt werden. Sigmund Salmon, Gartenstraße. Gleichzeitig empfehle dem reisenden Publikum meine aufs Beste eingerichtete Restauration. Feine Küche. Mäßige Preise."
  
Reutlingen Israelit 11041892.jpg (58351 Byte)Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 11. April 1892: "Stellegesuch. Ein junger Mann, der in einem Fabrikations-Engros- und Detailgeschäfte der Garn- und Strumpfbranche seine 3jährige Lehrzeit bestanden und seither 2 Jahre als Commis in demselben Geschäft tätig, sucht, gestützt auf Ia Zeugnisse per 1. Mai dieses Jahres anderweitige Stelle, gleichviel welcher Branche. Gefl. Offerten erbeten an Sigmund Salomon, Reutlingen, Württemberg." 

Unter den jüdischen Familien Reutlingens waren seit Anfang des 20. Jahrhunderts auch einige ostjüdische Familien, darunter die Familie von Lazar Kirschner. Dieser war im Januar 1914 aus Galizien nach Reutlingen gezogen. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges verlor er den Kontakt zu seiner Frau und seinen Kindern, sodass er einer Suchanzeige aufgegeben hat (siehe unten). Der Kontakt ließ sich wieder herstellen. Im August 1915 konnten Frau und Kinder nach Reutlingen ziehen. Zur weiteren Familiengeschichte siehe Serger/Böttcher s.Lit. S. 48-49.   

Reutlingen Israelit 11031915.jpg (50605 Byte)Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 11. März 1915: "Vermisste jüdische Familien... (darunter:) Es sucht: Lazar Kirschner, Reutlingen - Es werden (von ihm gesucht): seine Frau Lea KIrschner und 2 Kinder in Schönjava (Sieniawa) bei Jaroslaw, Galizien".    

  
  
 
Seit den 1990er-Jahren: Filialgemeinde der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs  

Seit den 1990er-Jahren sind nach Reutlingen jüdische Familien und Einzelpersonen aus den GUS-Staaten zugezogen. 2003 lebten etwa 120 Mitglieder der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs in Reutlingen oder der unmittelbaren Umgebung. Zunächst trafen sich die Gemeindeglieder immer wieder in einem Hotel der Stadt. Am 7. September 2003 konnte ein kleines Gemeindezentrum mit Mehrzweckraum eingerichtet werden, der auch als Betsaal genutzt wird. Im Herbst 2013 konnte das zehnjährige Bestehen der jüdischen Filialgemeinde gefeiert werden.    
   
   
   
Fotos 
Fotos von der Einweihung des Betsaales am 7. September 2003: 
(Fotos: Hahn)   

Reutlingen Betsaal 001.jpg (44289 Byte) Reutlingen Betsaal 002.jpg (35923 Byte) Reutlingen Betsaal 003.jpg (35765 Byte)
Letzte Vorbereitungen vor 
der Einweihungsfeier 
Barbara Traub, Sprecherin des 
Vorstandes der Israelitischen
 Religionsgemeinschaft Württembergs 
Landesrabbiner Netanel Wurmser 
hielt die Einweihungsansprache 
      
     
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Dr. Werner Ströbele sprach für 
die Stadt Reutlingen 
Die Gäste bei der Einweihungsfeier 
  
   
Reutlingen Betsaal 015.jpg (41562 Byte) Reutlingen Betsaal 016.jpg (30459 Byte) Reutlingen Betsaal 012.jpg (29424 Byte)
Michael Rosenberg bei 
seiner Darbietung 
Rabbiner Trebnik aus Ulm (Mitte) und
 Landesrabbiner Wurmser (rechts) 
Landesrabbiner Wurmser beim 
Anbringen der Mesusa 
     
Reutlingen Betsaal 021.jpg (32846 Byte) Reutlingen Betsaal 018.jpg (26326 Byte) Reutlingen Betsaal 011.jpg (41861 Byte)
Beim anschließenden 
Gespräch 
Rabbiner Trebnik und der bisherige
 Geschäftsführer der Gemeinde in
 Stuttgart: Arno Fern 
Der Toraschrank mit dem Wort aus 
Jesaja 2: "Denn von Zion geht Weisung aus
 und das Wort G"ttes von Jerusalem" 
  
     
Reutlingen Betsaal 009.jpg (22668 Byte) Reutlingen Betsaal 008.jpg (30440 Byte) Reutlingen Betsaal 010.jpg (47408 Byte)
Die Mesusa am Eingang  Das Vorlesepult 
    
Reutlingen Denkmal 001.jpg (82988 Byte) Reutlingen Denkmal 003.jpg (91206 Byte)  
Gegenüber der Stadtbibliothek Reutlingen:
 Denkmal "zur Erinnerung an unsere
 jüdischen Mitbürger" 
Das Denkmal wurde nach dem 
Entwurf einer Reutlinger Schülerin
 gestaltet 
 

    
    
Texte/Pressemitteilungen über die Filialgemeinde 2003 / 2013   
(Alle Texte sind leicht gekürzt)  

1. Reutlinger Nachrichten (Südwestpresse) vom 6.9.2003: 

JÜDISCHES ZENTRUM / Räume gefunden
Einen Wunsch erfüllt 

Morgen ist Europäischer Tag der jüdischen Kultur, eine gute Gelegenheit eine Begegnungsstätte der in der Stadt und im Umkreis lebenden Juden zu eröffnen. Oberbürgermeisterin Barbara Bosch hat geholfen, einen Raum zu finden, in dem die Gemeinde Gottesdienst feiern kann. von ROLF MACK

REUTLINGEN Es ist ein weiterer kleiner Stein zur Wiedergutmachung und zur Normalisierung des Verhältnisses Deutsche - Juden. Die rund 120 im Umkreis der Stadt lebenden Angehörigen des jüdischen Glaubens werden morgen Abend ein neues Gemeindezentrum eröffnen. Dieses soll nicht nur den Gottesdiensten dienen, sondern auch das übrige Leben der Gemeinde fördern. Bisher haben sich die Reutlinger jüdischen Glaubens im Nebenzimmer eines Hotels getroffen oder sind ins Gemeindezentrum nach Stuttgart gefahren. Bei der jetzt erreichten Zahl der Gemeindeglieder ist der Wunsch einen eigenen Raum zu haben groß geworden. Oberbürgermeisterin Barbara Bosch hat mitgeholfen, den Juden diesen Wunsch zu erfüllen. Reutlingen war zwar nie ein Zentrum jüdischen Lebens - es gab auch keine Synagoge - hatte auch kein Zentrum wie es jetzt entstehen soll, aber Reutlingen hatte vor den Pogromen um 1500 immerhin eine jüdische Gemeinde. Nach den Verfolgungen im Mittelalter sind erst wieder 1862 Spuren jüdischen Lebens in der Stadt zu finden. 1930 waren es etwa 100 jüdische Mitbürger, von denen viele Opfer des nationalsozialistischen Terrors wurden. Dass es jetzt wieder so viele Juden in der Stadt gibt, ist vor allem eine Folge der Auswanderung aus der ehemaligen Sowjetunion. Sie kamen vielfach als Kontingentflüchtlinge nach Reutlingen, lebten zuerst in Rappertshofen und sind jetzt über die ganze Stadt verteilt. 
Es werden über 100 geladene Gäste zum Festakt morgen Abend erwartet. Es sind Vertreter der Kirchen, der Stadt und der staatlichen Behören und die Mitglieder der Gemeinde selbst. Die Gemeinde verfügt jetzt über einen großen und zwei kleinere Räume. Es soll Religionsunterricht für die Kinder geben, dazu informelle Begegnungen unter Gemeindemitgliedern und Außenstehenden und vor allem die Gottesdienste. Sie müssen nach jüdischem Ritus auch in ungeweihten Räumen stattfinden können.  

 
2. "Reutlinger Generalanzeiger" vom 9.9.2003:  

Einweihung - Israelitische Religionsgemeinschaft eröffnete in Reutlingen ein Gemeindezentrum 
"Rückkehr jüdischen Lebens"   von CHRISTOPH STRÖHLE 

REUTLINGEN. Landesrabbiner Netanel Wurmser sprach von einem Meilenstein für die Entwicklung jüdischer Gemeinden in Württemberg. Noch vor »Rosch HaSchana«, dem Beginn des neuen jüdischen Kalenderjahres Ende September, sei man dabei, in Reutlingen Geschichte zu schreiben. Zur Eröffnung des ersten israelitischen Gemeindezentrums in der Achalmstadt - nach Stuttgart, Ulm und Hechingen ist es erst das vierte württembergweit - wählte Wurmser ein Gleichnis aus dem ersten Buch Moses.  

Reutlingen Betsaal 110.jpg (18163 Byte)
Temperamentvoll vorgetragen - Michael Rosenbergs jiddische Erzählung.
GEA-FOTO: CHRISTOPH STRÖHLE

Noah, so erzählte er, habe nach der Sintflut zunächst einen Raben losgeschickt, der jedoch bald wieder zur schützenden Arche zurückkehrte, weil er kein Land fand. Der daraufhin von Noah entsandten Taube erging es ähnlich. Als Noah erneut eine Taube losschickte, kehrte diese mit einem frischen Ölzweig zurück. Sieben Tage später nochmals entsandt, kehrte die Taube nicht wieder zurück: Zu guter Letzt hatte sie eine "Ruhestätte für ihren Fuß" gefunden. Wurmser wünschte sich, dass die jüdische Gemeinde in Reutlingen jenen Boden finde, der ihr das Wachsen und Gedeihen ermögliche. Rund 80 Besucher hatte Kantor Arie Mozes zuvor am Europäischen Tag der jüdischen Kultur im neuen Gemeindezentrum ... begrüßt, darunter Repräsentanten der Kirchen, der Stadtverwaltung und des Gemeinderats. "Wir freuen uns, dass sich Ihr Wunsch nach einem Versammlungsraum in Reutlingen erfüllt hat", betonte Heimatmuseumsleiter Dr. Werner Ströbele als Vertreter der Stadt. "Was Sie hier sehen, ist kein Tempel und keine Synagoge, aber ein Ort, der die Rückkehr jüdischer Kultur und jüdischen Lebens in unsere Stadt ermöglicht."

Für 120 Juden. Bislang fehlte eine solche Begegnungsstätte für die rund 120 Juden in Reutlingen. Man traf sich im Nebenzimmer eines Hotels oder fuhr gemeinsam nach Stuttgart. Zwei bis drei Mal pro Woche sollen die drei Räume ... nun für Veranstaltungen genutzt werden. Gottesdienste soll es in der Gemeinde ebenso geben wie Religionsunterricht für Kinder und Begegnungs- und Bildungsangebote für Erwachsene. Auf einen eigenen Rabbi wird die Gemeinde jedoch vorerst verzichten müssen. Ulrich Lukaszewitz, dienstältester Stadtrat ... erinnerte an die lange und wechselvolle Geschichte jüdischen Lebens in Reutlingen. Vor 1500 weitgehend integriert und auch respektiert, wurde die jüdische Gemeinde durch Pogrome vertrieben. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts kehrten Juden nach Reutlingen zurück, später verfolgt, vertrieben und ermordet durch die Nationalsozialisten. Seit 1991 ist die Zahl jüdischer Einwanderer nach Deutschland wieder deutlich angestiegen. Allein in Baden-Württemberg leben inzwischen rund 6 500 jüdische Mitbürger, die meisten von ihnen Kontingentflüchtlinge aus den GUS-Staaten. Zu ihnen zählt auch der 85-jährige Michael Rosenberg, der heute in Stuttgart lebt. Bei der Einweihungsfeier ließ er eine in Reutlingen weitgehend verklungene Sprache wieder aufleben. Auf Jiddisch und in humorvoll hintergründiger Weise erzählte er vom Lebensalltag in einem »Städtele« in der Ukraine, umrahmt von temperamentvoll vorgetragenen, teils wehmütigen, teils heiteren Liedern. 
Auszug aus der Thora. Zum Abschluss der Feier versah Landesrabbiner Netanel Wurmser die Eingangstür des neuen Versammlungsraumes mit einer »Mesusa«, einer Plakette mit Auszügen aus der Thora. Die Mesusa wird, einem jüdischen Gebot folgend, an allen Eingängen eines Hauses angebracht und dient als Schutz. (GEA)
.    

 
3. Reutlinger Nachrichten (Südwestpresse) vom 6.9.2003: 

JUDEN / Israelitische Religionsgemeinschaft weiht Gemeindezentrum ... ein
Wie Noahs Taube einen Rastplatz finden

Die Israelitische Religionsgemeinschaft Württembergs (IRG) hat in Reutlingen ihre landesweit dritte Zweigstelle eröffnet. Das neue Gemeindezentrum ... soll den 85 in und um Reutlingen lebenden Gemeindemitgliedern kulturelle und religiöse Heimstatt sein.  von THOMAS THIEME

 
Reutlingen Betsaal 111.jpg (20788 Byte)
REUTLINGEN. Mit kräftigen Hammerschlägen befestigte am Sonntag Landesrabbiner Netanel Wurmser die Mesusa-Kapsel am Türpfosten des Versammlungsraums... Das etwa 20 Zentimeter lange Behältnis ("Mesusa" ist das hebräische Wort für Türpfosten) kennzeichnet jüdische Häuser oder Wohnungen und enthält einen Pergamentstreifen mit der "Schema Israel", der Quintessenz jüdischen Glaubens: Höre Israel, Gott, unser Gott, ist eins. Die Weihung geht zurück auf die biblischen Plagen - Gott verhängte zehn Katastrophen über Ägypten, um vom Pharao die Freilassung der Israeliten zu erzwingen. Und gebot den Kindern Israels, ihre Heimstätten mit Schafsblut zu kennzeichnen. Einen "Meilenstein in der Entwicklung der jüdischen Gemeinde in Württemberg" nannte der Landesrabbiner das neue Zentrum. Die Lage der Gemeinschaft verglich er mit der von Noah ausgesandten Taube, die einen Platz für ihren Fußballen zu finden suchte: Gleich der Taube möge es den Juden in Württemberg gelingen, einen Rastplatz zu finden und eine Gemeinde zu gründen. "Das ist der Wunsch, den ich heute ausspreche." Als Vertreter des Stadt überbrachte Heimatmuseumsleiter Dr. Werner Stroebele Grüße von Oberbürgermeisterin Barbara Bosch und erinnerte an die bereits im Mittelalter existierende jüdische Gemeinde in Reutlingen. "Wenn Erinnerung das Geheimnis der Versöhnung ist, dann sind wir in Reutlingen auf einem guten Weg." Wie Stroebele bezog sich auch SPD-Fraktionschef Ulrich Lukaszewitz auf die frühe Stadtgeschichte: "Ich bin stolz darauf, dass wir an das mittelalterliche Erbe Reutlingens anknüpfen." Ebenso gern wie zum Bau der ersten Moschee in Reutlingen habe die SPD-Fraktion zum Gemeindezentrum "ja" gesagt. 
Der neue Versammlungsraum ist die dritte Zweigstelle der in Stuttgart ansässigen IRG. 2600 Mitglieder hat die Gemeinschaft. In der württembergischen Diaspora ist das Zusammenkommen für die größtenteils aus der damaligen Sowjetunion und deren Nachfolgestaaten stammenden Juden schwierig geworden: Dem Flüchtlingsaufnahmegesetz von 1998 gemäß werden die Zuwanderer auf die Gemeinden im Land verteilt (aus der Einwohnerzahl errechnet sich für jede Gemeinde ein Kontingent an aufzunehmenden Zuwanderern). Die Verstreuung - als Folge des Gesetzes - behindert die Gemeindearbeit und vereitelt vielerorts die Teilnahme am Gottesdienst. Die IRG sieht sich außer Stande, die flächendeckende Betreuung ihrer Mitglieder zu gewährleisten. Eine Intervention bei der Landesregierung ist bislang erfolglos geblieben. Umso mehr freuen sich die Reutlinger Gemeindemitglieder über die neuen Räumlichkeiten. Bislang hatten sie für ihre monatlichen Treffen in ein Hotel ausweichen müssen. Sozialarbeit, Beratung und auch Gottesdienste, das alles wird ab jetzt im Gemeindezentrum passieren. "Ich hoffe", meinte Galina Lerner aus Eningen, die vor elf Jahren aus Sankt Petersburg nach Deutschland übersiedelte, "dass sich irgendwann mal eine Kindergruppe bildet." Und sich für ihre beiden Kinder Spielkameraden finden. Bis es soweit ist, kann es dauern - die meisten der Reutlinger Juden sind Senioren, der spärliche Nachwuchs ist noch im Babyalter. IRG-Vorstandssprecherin Barbara Traub dankte der Stadt für die Unterstützung beim Anmieten der Räume. "Allerdings", so Traub, "wollen wir keine falschen Hoffnungen wecken". Hilfe zur Selbsthilfe sei die neue Zweigstelle, nicht mehr. Die anwesenden katholischen und evangelischen Kirchenvertreter - Dekan Robert Widmann, Pfarrer Günther Kempka und Schuldekan Ulrich Rupp - bat sie, die kleine jüdische Gemeinde zu unterstützen und als Partner anzusehen. Kulturelles Schmankerl der besonderen Art: Mit "Als Rabbiner Eli Melech ist geworden sehr frehlech" und anderen Liedern in jiddischer Sprache gelang es dem 85-jährigen Michael Rosenberg aus Stuttgart, die Anwesenden zu begeistern
.    

   
September 2013: Zehn Jahre Filialgemeinde Reutlingen  
Artikel von Anna Chatzkikolaou im "Reutlinger General-Anzeiger" vom 4. Oktober 2013: "Festakt - Die Israelitische Religionsgemeinschaft Württemberg feiert ihr zehnjähriges Bestehen in der Volkshochschule 
Beten, lernen, feiern 

REUTLINGEN. Am 7. September 2003 war es endlich so weit: Die Israelitische Religionsgemeinschaft Württemberg (IRGW) öffnete ihre Pforten in der Lederstraße. Landesrabbiner Netanel Wurmser brachte symbolisch die Mesusa an, eine Schriftkapsel, die am Türpfosten befestigt wird. Seither sind zehn Jahre vergangen. Anlass genug, um diesen Geburtstag in der Reutlinger Volkshochschule gebührend zu feiern..." 
Link zum Artikel     
 

    
    
    
Erinnerungsarbeit vor Ort - einzelne Berichte   

November 2011: Erinnerung an den Novemberpogrom 1938   
Artikel von Jan Zawadil in der "Südwest-Presse" (Regionalteil Reutlingen) vom 11. November 2011: "Die Erinnerung nicht verblassen lassen. 
Reutlingen
. Es ist nach wie vor unbegreiflich. Umso wichtiger ist die Erinnerung an die Reichspogromnacht. Die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen hatte deshalb mit Einstein-Gymnasiasten zur Gedenkstunde eingeladen..."   
Link zum Artikel - auch eingestellt als pdf-Datei.    
 
November 2013: Erinnerung an den Novemberpogrom 1938  
Artikel von Christoph B. Ströhle im "Reutlinger General-Anzeiger" vom 11. November 2013: "Experten diskutieren in der Volkshochschule Formen der Erinnerung an die NS-Zeit und ihre Opfer. Gegen das Verblassen
REUTLINGEN.
Es wird nie müßig sein, an die gigantischen, staatlicherseits wie individuell begangenen Verbrechen der NS-Zeit und ihre Opfer zu erinnern. Darin waren sich die Diskutanten auf dem Podium und aus der Zuhörerschaft am Freitag einig. Auch, dass Erinnerungskultur stets lebendig gehalten werden muss, sich nicht in den immer gleichen Ritualen erschöpfen darf..."  
Link zum Artikel     
 
Januar/Februar 2014: Verlegung von "Stolpersteinen" in Reutlingen wird erneut angeregt    
Artikel von Roland Hauser im "Reutlinger General-Anzeiger" vom 11. Januar 2014: "Antrag - Grüne und Unabhängige werben für ein städtisches Gesamtkonzept zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus. Kulturamt soll Federführung erhalten
Die Jugend einbeziehen. 
REUTLINGEN. Die Grünen und Unabhängigen im Gemeinderat lassen nicht locker. Nachdem sie sich bereits in der Vergangenheit immer wieder für das Gendenken an die Opfer der Nazi-Herrschaft auch in Reutlingen eingesetzt hat, regt die vierköpfige Fraktion nun per Antrag an Oberbürgermeisterin Barbara Bosch die »Erstellung einer Gedenkkonzeption« an. Parallel dazu möchte die Reutlinger Frauengeschichtswerkstatt unter der Achalm sogenannte Stolpersteine installiert sehen, für die auch die Grünen bereits im Jahr 2005 im Gemeinderat geworben hatten. Eigentlich sogar erfolgreich.
Denn während sich das Gremium damals nicht durchringen konnte, nationalsozialistisch belastete Straßennamen wie Hindenburg-, Carl-Diem- oder Ludwig-Finkh-Straße zu ändern, fand der Vorschlag mit den Stolpersteinen eine Mehrheit. Dass es bislang nicht zur Umsetzung kam, liegt laut Grünen-Sprecher Rainer Buck jedoch daran, dass die Idee des Kölner Künstlers Gunter Demnig aus urheberrechtlichen Gründen nicht unentgeltlich übernommen werden darf...."   
Link zum Artikel    
Weiterer Artikel von Judith Knappe im "Reutlinger General-Anzeiger" vom 5. Februar 2014: "'Für Angehörige ein Ort der Trauer...'"  
Link zum Artikel     
 
April 2015: Zum Tod von Hannelore Maier 
Artikel in der "Südwestpresse" vom 10. April 2015: "Hannelore Maier starb in London
Am Montag, 30. März, ist in London Hannelore Maier, ehemalige jüdische Bürgerin der Stadt Reutlingen, im Alter von 92 Jahren gestorben.
Hannelore Maier wurde am 9. Dezember 1922 als Tochter des Kaufmanns Adolf Maier und seiner Frau Babette in Reutlingen geboren. Ihre Kindheit und Jugendjahre verbrachte sie in der Kaiserstraße 117, bis der fortschreitende Antisemitismus die bürgerliche Normalität der Familie beendete. Nach dem Freitod des Vaters 1937 wurden sie und ihr Bruder nach England in Sicherheit gebracht. Ihre Mutter Bea blieb im nationalsozialistischen Deutschland und starb 1942 in Auschwitz. Seit 2002 nahm Hannelore Maier auf Einladung der Stadt Reutlingen regelmäßig an Besuchen der ehemaligen jüdischen Mitbürger in Reutlingen teil. Ein Höhepunkt war im Oktober 2011 die Vorstellung des Bandes 2010 der Reutlinger Geschichtsblätter mit dem Schwerpunktthema 'Bea Maier zwischen Reutlingen und Auschwitz. Das Schicksal einer jüdischen Mitbürgerin', an der Hannelore Maier als Ehrengast teilnahm. Mit der Übergabe persönlicher Briefe ihrer Mutter an das Stadtarchiv und durch den engen Kontakt zum Autor, Dr. Wilhelm Borth, entstand eine einfühlsame Dokumentation über das Schicksal einer jüdischen Familie aus Reutlingen in der Zeit des Holocaust. Bei ihren Besuchen in Reutlingen reichte Hannelore Maier die Hand zur Versöhnung und stand trotz ihres hohen Alters und der eingeschränkten Gesundheit für viele Gespräche, auch mit Schulklassen, zur Verfügung. Diese Bereitschaft und die Art und Weise, wie sie Gesprächspartnern bei ihren Besuchen begegnet ist, haben ihr Respekt und Hochachtung eingebracht. Mit dem Vermächtnis der Briefe als Quelle der Geschichte des Lebens- und Leidenswegs ihrer Familie leistete Hannelore Maier einen wichtigen Beitrag zur jüngeren Stadtgeschichtsforschung. Ihre Lebensgeschichte und ihre Persönlichkeit werden vielen Menschen in Reutlingen, die sie gekannt haben, eindrücklich in Erinnerung bleiben."
Link zum Artikel     
 
Juli 2015: Stolpersteine"-Verlegungen sollen auf Wunsch von Angehörigen möglich sein   
Artikel von Norbert Leister in der "Südwestpresse" vom 2. Juli 2015: "Steine des Gedenkens jetzt auch in Reutlingen. Das Gedenkkonzept der Stadt wurde nun vom Gemeinderat genehmigt. Gedenk-Stolpersteine können auf Wunsch von Angehörigen verlegt werden.
Reutlingen.
Die 92-jährige Jüdin Hannelore Maier, die bis zum 14. Lebensjahr in Reutlingen wohnte, hatte sich gewünscht, dass für ihre Eltern am ehemaligen Wohnort in der Kaiserstraße zwei Stolpersteine in den Gehweg vor dem Haus verlegt werden. Wie berichtet, hatte das zu einer kontroversen Auseinandersetzung im Gemeinderat geführt: CDU und WiR sprachen sich gegen die Verlegung dieser Erinnerungssteine aus, verwiesen den interfraktionellen Antrag von SPD, Grünen, FDP und FWV im März zurück in den Verwaltungs-, Kultur- und Sozialausschuss. Die Meinung der jüdischen Gemeinde sollte in die Entscheidung einfließen, hieß es. Nach den Worten von Dr. Werner Ströbele fand diese Anhörung am 23. Juni statt, die Vertreter hätten sich gegen die Stolpersteine ausgesprochen, so der Kulturamtsleiter. Begründung: Die Namen der Opfer würden beschmutzt und mit Füßen getreten. Stattdessen wären Gedenktafeln am Heimatmuseum vorstellbar. Sollten aber Angehörige sich Stolpersteine wünschen, dann solle dieser Wunsch auch erfüllt werden, betonten die Vertreter der Gemeinde. Hannelore Maier hatte diesen Wunsch geäußert, die Reutlinger Frauengeschichtswerkstatt sich damit befasst und sich ebenfalls für die Verlegung der Stolpersteine ausgesprochen. Gabriele Janz (Grüne) dankte in der Gemeinderatssitzung ausdrücklich dem Engagement der Frauen in der Geschichtswerkstatt. Gedenken sei laut Annette Leininger (FWV) 'ein Thema, das sehr individuell und persönlich ist'. Richtige oder falsche Lösungen gebe es da nicht. Deshalb sei es gut und richtig gewesen, nun einen Kompromiss geschafft zu haben. Ute Beckmann (WiR) wolle zwar, dass 'Gedenken uns begegnet, aber nicht in der Form von Stolpersteinen'. Wünschen Einzelner solle nicht nachgegeben werden, hatte sie schon im März im Gemeinderat gesagt. Ebenso wie zehn weitere Ratsmitglieder, die vor allem aus der CDU stammten, enthielt sie sich der Stimme. Dr. Carsten Amann (CDU) bewertete die Einladung der jüdischen Gemeinde in den Ausschuss als gut und ergreifend, 'die Beratungen wären sonst unvollständig gewesen'. Aber: 'Bei uns überwiegen weiter die Zweifel an der Gedenkkonzeption', so Amann. Jessica Tatti (Linke), Hagen Kluck (FDP) sowie Helmut Treutlein (SPD) sprachen sich hingegen für die Ergänzung im Gedenkkonzept der Stadt aus, dass Stolpersteine sehr wohl möglich sein sollen. Allerdings müssten sie von Angehörigen beantragt werden. Offen ist mit der Entscheidung des Gemeinderats nun allerdings, ob Hannelore Maiers Wunsch auch nach ihrem Tod nun noch nachgekommen wird."
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Oktober/November 2016: Ausstellung über Josef von Rosheim in Reutlingen    
Rosheim Josef von.jpg (3280459 Byte)  Abbildung links: Theologische Disputation zwischen Juden und Christen; aus: Konrad Dinckmut, Seelenwurtzgarten,1488. Quelle: Bibliothèque municipale de Colmar.  
Josel von Rosheim (1478–1554) zwischen dem Einzigartigen und Universellen
Ausstellung vom 6. Oktober bis 7. November 2016.

Rathaus Reutlingen Eingangshalle 
Eröffnung am 6. Oktober 2016 um 19.00 Uhr mit einer Begrüßung durch Dr. Werner Ströbele und einer Einführung in die Ausstellung durch Professor Freddy Raphaël, Straßburg
Josel von Rosheim – eine einzigartige Persönlichkeit zu seiner Zeit und heute
Josel ben Gerschon von Rosheim (1478–1554) war eine herausragende jüdische Persönlichkeit des 16. Jahrhunderts. Er unterhielt enge Verbindungen zu Kaiser Karl V., die er nutzte, um die Rechtsstellung und Sicherheit der Juden im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation in einer Zeit des Umbruchs zu schützen. Reformation und Glaubensspaltung führten zu tiefgreifenden Veränderungen, die sich zum Teil in gewalttätigen Übergriffen äußerten. In dieser Zeit wurden jüdische Gemeinden des Reiches häufig in die Position eines Sündenbocks gedrängt. Als erster und einziger schetadlan (Fürsprecher) erreichte Josel von Rosheim eine reichsweit anerkannte Position sowohl bei den jüdischen Gemeinden des Reiches als auch bei den christlichen Obrigkeiten, durch die er längerfristig eine stabilere Rechtsstellung jüdischer Gemeinden durchsetzen konnte. Sein persönliches Engagement verhinderte vielfach religiös oder wirtschaftlich motivierte Austreibungsversuche lokaler Obrigkeiten. 
Die von der Association B‘nai B‘rith René Hirschler in Frankreich und dem Historischen Museum der Pfalz konzipierte Wanderausstellung widmet sich Leben und Wirken dieses besonderen Menschen. Es werden Rahmeninformationen zu den wichtigsten politischen Ereignissen wie Bauernkrieg und Reformation gegeben sowie die Person Josels und sein Wirken vorgestellt. Sein politischer und geistiger Nachlass wird in die Umstände der Zeit eingebunden. In einem Ausblick werden Parallelen zu heute aufgeworfen, die zu einer weiteren Auseinandersetzung mit aktuellen Fragen anregen.
Ergänzend zeigt das Stadtarchiv Dokumente, die Schlaglichter auf die Beziehung Reutlingens und seiner Bürger zu den Juden in der Frühen Neuzeit
werfen. 
Öffentliche Führungen Samstag, 8. 10. 2016 (11.00 Uhr) - Freitag, 14. 10. 2016 (15.00 Uhr) - Freitag, 28. 10. 2016 (15.00 Uhr) - Freitag, 4. 11. 2016 (15.00 Uhr)
Eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Treffpunkt an der Rathauspforte. Weitere Termine auf Anfrage.
Weitere Informationen: Stadtarchiv Reutlingen  Marktplatz 22  72764 Reutlingen 07121/3032386  stadtarchiv@reutlingen.de 
Zum Download: Flyer der Ausstellung.   
 
Mai 2017: Erste Verlegung von "Stolpersteinen" in Reutlingen  
Anmerkung:  "Stolpersteine" wurden verlegt für Adolf Maier (1882), Babette Maier geb. Oppenheimer (1895 aus Gemmingen), Hannelore Maier (1922), Gerhart Maier (1929). 
Artikel in RTF1.de vom Mai 2017: "Reutlingen: "Stolpersteine" erinnern an Schicksal der jüdischen Familie Maier
In der Reutlinger Kaiserstraße sind auf dem Gehsteig vor der Hausnummer 117 jetzt sogenannte Stolpersteine verlegt worden. Das bundesweit praktizierte Konzept erinnert mit den metallischen Pflasterstein an jüdische Opfer des Nationalsozialismus; an Menschen, die in den Häusern hinter den Steinen gewohnt haben, die von dort vertrieben und teils ermordet wurden. Die vier Stolpersteine vor der Kaiserstraße 117 erinnern an die Familie Maier, die hier von 1923 bis 1937 im ersten Stock lebte. 1937 räumten die Eltern Adolf und Babette mit ihren Kindern Hannelore und Gerhart Wohnung, um sich vor der Gestapo zu verstecken. Während die Kinder unverzüglich in ein englisches Internat geschickt wurden, und so den Holocaust überlebten, nahm sich Vater Gerhard 1937, ein erfolgreicher Immobilienmakler, das Leben. Babette wurde in ein südfranzösisches Lager deportiert. Sie wurde 1942 in Auschwitz ermordet. Die 1992 in London verstorbene Hannelore Maier hatte sich ein Zeichen des Gedenkens gewünscht. Die Stolpersteine in der Kaiserstraße, eine Initiative der Reutlinger Frauengeschichtswerkstatt, sind die ersten in der Achalmstadt."  
Link zum Artikel (mit Video) 
Wikipedia-Artikel   https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Reutlingen  
 
Artikel von Christine Keck in der "Stuttgarter Zeitung" vom 19. April 2017: "Stolpersteine in Reutlingen Das lange Ringen ums richtige Gedenken
In Reutlingen ist lange gerungen worden, um das angemessene Gedenkkonzept für die Opfer des Nationalsozialismus. Nun werden vier Stolpersteine verlegt – in Erinnerung an die jüdische Familie Maier und ihre Verfolgung.
Reutlingen
- Es ist ein schmucker Ziegelsteinbau, im Vorgarten blühen Krokusse, die Gegend ist ruhig. 'Sie haben im ersten Stock gewohnt, es war ein gutbürgerliches Leben', sagt Christl Ziegler und blickt an der Fassade hoch, 'bis sie die Wohnung 1937 räumen mussten.' Die ehrenamtliche Mitarbeiterin der Reutlinger Frauengeschichtswerkstatt geht ein paar Schritte, Bürgersteig entlang, bleibt vor dem Haus stehen. 'Irgendwo hier kommen die Stolpersteine hin, es werden vier Stück.' Schon seit Jahren setzen sich Christl Ziegler und ihre Mitstreiterinnen dafür ein, dass sich Reutlingen im Gedenken an die Opfer der NS-Verbrechen stärker engagiert. Immer wieder ist um die angemessene Form der Erinnerungskultur gerungen worden und dabei viel Zeit verstrichen. 'Zu viel Zeit', sagt Christl Ziegler und ist froh, dass das Zaudern und Zögern ein Ende hat. Ende April sollen vor dem Ziegelsteinbau in der Kaiserstraße 117 die ersten und vermutlich vorerst letzten Reutlinger Stolpersteine in den Gehweg eingelassen werden. Die zehn mal zehn Zentimeter großen Messingplatten, die der Kölner Künstler Gunter Demnig schon in halb Europa verlegt hat, tragen die Namen des jüdischen Ehepaares Adolf und Babette Maier sowie deren Kinder Gerhart und Hannelore.
Die Kinder wurden aufs Internat nach England geschickt. Der Vater, einst ein erfolgreicher Immobilienhändler, nahm sich im August 1937 das Leben, weil er in den wirtschaftlichen Ruin getrieben wurde. Die Mutter wurde in ein südfranzösisches Lager deportiert und 1942 in Auschwitz getötet. Die beiden Kinder konnten gerettet werden, weil sie rechtzeitig auf englische Internate geschickt wurden. Im September 1938 verließ der neunjährige Gerhart in Begleitung seiner sieben Jahre älteren Schwester Deutschland – die Repressalien hatten zugenommen, eine Verhaftung drohte. Es sei nie zu spät für ein Zeichen des Gedenkens, 'besser jetzt als nie', sagt die in England lebende Kate Maier (51). Sie ist die Tochter von Gerhart und will bei der Verlegung der Stolpersteine dabei sein. 'Ich finde es gut, dass das Projekt in aller Öffentlichkeit zu sehen ist', sagt sie. 'Einige Menschen werden achtlos über die Steine hinweglaufen, andere werden ins Nachdenken kommen.' Für die Engländerin legt sich die Geschichte ihrer Familie wie ein Schatten auf ihr Leben. Anfangs sei ihrem Vater eingebläut worden, er solle seine deutsche Vergangenheit vergessen, er soll die liebevollen Briefe der Mutter, die bis zu ihrem Tod in Auschwitz Kontakt hielt, mental beiseite legen. 'Da gab es noch keine Psychotherapie', sagt Kate Maier, damals sei der übliche Ansatz Verdrängung gewesen. Doch das Trauma der Eltern- und Großelterngeneration übt seine Wirkung auf die Nachfahren aus. Das hat Kate Maier immer wieder gespürt. 'Ich bin ein Holocaust- Opfer­ in der zweiten Generation', sagt die 51-Jährige. Die Last, die ihr Vater trug, habe ihre Entwicklung und die ihrer Kinder beeinflusst. Umso wichtiger sei es, die eigene Geschichte gut aufzuarbeiten und sie sich zu vergegenwärtigen. Im Fall der Maiers gibt es glücklicherweise eine ausführliche Dokumentation in Buchform, gründlich recherchiert hat das Schicksal der Verfolgten der Reutlinger Historiker Wilhelm Borth.
Kulturamtsleiter Werner Ströbele hat sich lange gegen Stolpersteine gewehrt. Lange Zeit hat sich der Reutlinger Kulturamtsleiter Werner Ströbele gegen Stolpersteine gewehrt – sie markieren den letzten frei gewählten Wohnort eines Opfers. Er hält das Konzept der kleinen Tafeln im Trottoir, auf denen herumgetreten wird, für angreifbar. Zumal selbst prominente jüdische Stimmen – allen voran Charlotte Knobloch, die frühere Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland – die Arbeit Demnigs kritisiert hatten. 'Auf dem Boden sind die Opfer wieder schutzlos – wie einst', kommentierte sie das Konzept. Würdiges Gedenken müsse auf Augenhöhe stattfinden. Nicht einfacher machte die Debatte die Entscheidung einer Reutlinger Sinti-Familien gegen Stolpersteine für ihre in einem Konzentrationslager ermordeten Angehörigen. An dem Haus, in dem die Familie bis zu ihrer Deportation nach Auschwitz lebte, wurde schließlich eine Tafel aufgehängt. Der Beschluss des Reutlinger Gemeinderats aus dem Jahr 2015, Stolpersteinen zuzustimmen, hat Tatsachen geschaffen. 'Es wird vorerst aber wohl keine weiteren Stolpersteine geben', sagt der Kulturamtsleiter Ströbele, er kenne keine private Initiative, die sich darum kümmere. Grundsätzlich habe Reutlingen keinen Nachholbedarf, was die Aufarbeitung der NS-Zeit angeht, sagt Ströbele. Es gebe ein Gedenkbuch für die Opfer des NS-Regimes, das in der Marienkirche ausliege, sowie verschiedene Gedenkorte und -veranstaltungen. Wenig erfreut über die Stolpersteine, die vor seiner Haustür in der Kaiserstraße verlegt werden, ist Johann Schenzle. 'Da kann man nichts machen, wenn der Gemeinderat so entscheidet', sagt der 81-Jährige, der im ersten Stock wohnt. Er öffnet bereitwillig seine Haustür für Besucher. Grundsätzlich aber hat er Sorge, dass Rechtsradikale Anstoß an den Tafeln nehmen und aufdringlich werden könnten. 'Ich hoffe, dass die uns nicht belästigen.'"  
Link zum Artikel  

  
   

Links und Literatur  

Links: 

bulletWebsite der Stadt Reutlingen  
bulletZur Seite über die Israelitische Religionsgemeinschaft Württembergs   
bulletZeitzeugenbericht in der Schule: Artikel von Norbert Leister "Gräuel im KZ erlebt" in der Südwestpresse (Lokalausgabe Reutlingen) vom 19. August 2011: direkter Link bzw. als pdf-Datei eingestellt   

Literatur:

bulletReutlingen Buch 011.jpg (60172 Byte)Bernd Serger/Karin-Anne Böttcher: Es gab Juden in Reutlingen. Geschichte - Erinnerungen - Schicksale. Ein historisches Lesebuch. Hg. vom Stadtarchiv beim Kulturamt Reutlingen. Reutlingen 2005  ISBN 3-033820-67-7. 591 S. zahlr. Abb. 

      
        


 

Article from "The Encyclopedia of Jewish life Before and During the Holocaust". 
First published in 2001 by NEW YORK UNIVERSITY PRESS; Copyright © 2001 by Yad Vashem Jerusalem, Israel.

Reutlingen Wuerttemberg. A Jewish settlement existed in the 13th century. The Jews were attacked in the Black Death persecutions of 1348-49 and expelled in 1495. The settlement was renewed in the 19th century and umbered 60 in 1890 (total 18,542). It was attached to the Tuebingen community in the ealry 20th century. Of the 54 Jews in the city in 1933, at least 31 left. Of the 12 who were expelled, two survived.  
    
     

                   
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Stand: 15. Oktober 2013