suedkurier.de - 28.05.2005

Erbitterter Kampf um neue Synagoge

Oberrat der Juden erwägt Abspaltung - Scharfe Kritik an Nissenbaum - "Oberrat will Synagoge gar nicht bauen"

Konstanz

VON TOBIAS ENGELSING

Die Einheit der jüdischen Gemeinde und damit der Bau der neuen Synagoge sind derzeit in Gefahr.

Bild: Hetzel

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Der baldige Bau der neuen Synagoge auf einem städtischen Grundstück in der Sigismundstraße ist derzeit alles andere als sicher. Was im vergangenen Jahr als innerreligiöser Streit um die Frage begann, ob Benjamin und Gideon Nissenbaum tatsächlich Juden seien, hat sich inzwischen zum erbitterten Machtkampf zwischen dem Oberrat der Israeliten in Baden und der in der Konstanzer Gemeinde tonangebenden Familie Nissenbaum entwickelt. Der Oberrat, vertreten durch seinen Vorsitzenden Jacob Goldenberg (61), wirft dem Nissenbaum-Clan vor, in Konstanz "ein System von Abhängigkeiten" geschaffen zu haben und die hiesige jüdische Gemeinde autokratisch zu führen. Benjamin Nissenbaum und sein jüngerer Bruder Gideon, der selbst einige Zeit Vorsitzender des badischen Oberrats war, halten die Kritik für ein infames Spiel, das nur dem Ziel diene, die Konstanzer Synagoge "gar nicht zu bauen". Benjamin Nissenbaum hatte vor seinem Rauswurf aus dem Oberrat den Antrag gestellt, den Finanzplan des badischen Synagogenbaus offen zu legen. Als Kassenprüfer wollte er den Haushalt des Oberrats aus dem Jahr 2003 genau unter die Lupe nehmen. Dem sei der Oberrat durch den Rauswurf zuvorgekommen, meint Benjamin Nissenbaum. Sein Bruder geht noch weiter: Er glaubt, das 3,1 Millionen Euro teure Projekt überfordere den Oberrat. Der Bau wird zur Hälfte von Land und Stadt und zur anderen Hälfte von der Israelitischen Religionsgemeinschaft in Baden getragen. "Alle Vorwürfe gegen uns sind Vorwände des Vorsitzenden, um seine Probleme mit der Finanzierung zu überspielen." Das sieht man im Oberrat der badischen Juden ganz anders. Der Anwalt der Israelitischen Religionsgemeinschaft, einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, Stefan Barth aus Karlsruhe, erhebt schwere Vorwürfe gegen den Konstanzer Vorstand. Es geht um angeblich zu hohe Zuschussleistungen, falsche Mitgliederzahlen, eine verweigerte Buchprüfung und überhöhte Mietzahlungen an die Familie Nissenbaum. Die Israelitische Religionsgemeinschaft zahlt für die Gemeinderäume in der Sigismundstraße monatlich rund 2000 Euro, doch Teile der Räume seien seit Jahren für eigene geschäftliche Zwecke der Nissenbaum- Unternehmen genutzt worden, so Barth. Die Zielrichtung des Oberrats ist klar. Anwalt Barth: "Wenn Nissenbaum nicht einlenkt und sich zurückzieht, wird man neue Wege gehen." Konkret heißt das: In Konstanz soll eine neue jüdische Gemeinde entstehen, die mit dem Oberrat eng zusammenarbeitet. Es seien bereits Gespräche über die Anmietung eines neuen Gemeindezentrums im Gange. Der ehrenamtlich tätige Anwalt der Konstanzer Gemeinde, Adolf Weber, tritt den Vorwürfen der angeblich unsauberen Geschäftsführung dem Grunde nach entgegen: Eine Prüfung über die Landeszuschüsse lasse die Gemeinde jederzeit zu, nicht jedoch über die lokale Verwaltung der Gemeinde. "Die IRG hat nicht das Recht, eine autonome Gemeinde zu prüfen." Mitgliederzahlen seien immer ordentlich gemeldet worden, doch habe Goldenberg selbst Zuordnungsfehler gemacht. Nach Weber sind alle diese Vorhalte nur "Nebenkriegsschauplätze", die den Fall des Synagogenneubaus beschleunigen sollen. Deshalb mache die Gemeinde nun gerichtlich Dampf: In Kürze wird der Oberrat auf Zahlung der ersten Zuschüsse zum Neubau verklagt. "Da wird er in die Knie gehen", triumphiert Weber mit Blick auf den Oberratsvorsitzenden Goldenberg.

Benjamin Nissenbaum äußert sich enttäuscht über den Streit, obgleich auch er keine Gelegenheit ausgelassen hat, Klagen und Schiedsgerichtsverfahren gegen den Oberrat anzustrengen. "Ich bin sehr enttäuscht, dass das, was wir seit vielen Jahren aufgebaut haben, kaputt gemacht werden soll." Schließlich wolle die jüdische Gemeinde auch "kein Münster bauen, sondern nur eine kleine Synagoge", in der die nächste Generation der Konstanzer Juden eine Heimat finde. Den versöhnlichen Tönen zum Trotz hat bisher niemand eingelenkt. Rund ein halbes Dutzends Verfahren und eine Strafanzeige sind anhängig. Der Oberrat ist entschlossen, den seiner Ansicht nach korrupten Sumpf auszutrocknen. Die Konstanzer aber sehen sich als Opfer einer Strategie, die das Scheitern des Oberrats vertuschen soll. Die Stadt hält sich derweil vorsichtig zurück, führt mit beiden Seiten Gespräche, bezieht derzeit aber keine eigene Position.