Wer sich im Mittelalter ein Haus aus Steinen bauen konnte, galt als „steinreich“. So gibt es in Ulm nur wenige Gebäude aus dem 13. Jahrhundert, die ältesten Ulmer Privathäuser stehen auf dem Judenhof. Seit mehreren Jahren beschäftigen sich Ulrike Häufele und Christof Maihoefer intensiv mit der Geschichte des Hauses Judenhof 1, das im Volksmund Jahrhunderte lang „das Rabbinat“ genannt wurde.

  Beide eint großes Interesse am Haus und seiner historischen Bausubstanz, in einigen Punkten kommen sie zu unterschiedlichen Ergebnissen. 1987 wurde das Haus von der Firma Realgrund saniert und an einen privaten Investor verkauft, mehrere Mieter teilen sich die Räumlichkeiten. „Im Schatten des Ulmer Münsters“ soll ein Buch heißen, das die Stadtführerin Ulrike Häufele demnächst herausgeben wird. Dafür recherchierte sie sieben Jahre lang in mehreren Ländern und vielen Archiven, und sie ist sich sicher, der Geschichte des Hauses nahe gekommen zu sein. Der älteste Nachweis jüdischen Lebens in Ulm, so Christof Maihoefer, ist ein Dokument von 1233, auf dem Josef Bar Moshe mehrere Bücher in Auftrag gibt.

 Ulrike Häufeles Theorie teilt die etwa 300 Jahre des mittelalterlichen Judentums in Ulm in zwei Perioden von jeweils etwa sechs Generationen, denen sie zwei verschiedene Synagogen zuordnet. Die erste Ulmer Synagoge (bis 1349) lokalisiert sie im Haus Judenhof 1, das zu dieser Zeit nach Belegen, die sie fand, wesentlich größer war und sich auch auf den Grund des nach dem Krieg entstandenen früheren Gebäudes der Firma Reisser erstreckte. Im 2. Stock ortet sie die Synagoge, im Keller ist sie sich sicher, dass eine bei den Sanierungsarbeiten entdeckte Erdwanne die Mikwe war. Dieses vermutete Ritualbad verschwand bei den Sanierungsarbeiten wieder hinter Putz. „Das Spannende ist die Beweisführung“, sagt Ulrike Häufele. Ihr Buch soll zeigen, dass es sich beim Haus Judenhof 1 um die bisher einzige nachweisbare Synagoge dieser Art in Deutschland handelt – Synagogen dieses Typs sind nur in Frankreich belegt, wo die Juden zu Beginn des 13. Jahrhundert vertrieben worden waren und den Rhein entlang und nach Westen geflohen waren. Die zweite Synagoge lokalisiert sie für die Zeit von 1349 bis zur Vertreibung der Juden aus Ulm 1499 auf der gegenüber liegenden Seite des Judenhofs, dort wo auch der Judaistik-Experte und Religionspädagoge Christof Maihoefer eine zweite Synagoge vermutet.

 Verschiedene Ansätze haben beide für die Engelsnische im 1. Stock des Hauses. Übereinstimmend sind sie sicher, dass es sich bei der Nische niemals – wie früher schon  vermutet – um einen Toraschrein gehandelt haben kann. Die Nische mit der wertvollen spätgotischen Malerei wurde erst bei der Sanierung 1987 entdeckt, da sie hinter einer Holzvertäfelung lag. Zusätzlich war beim Bau des Reisser-Hauses Beton von hinten eingeflossen. Zwei bemalte Bodendielen mit ähnlichen Ranken wie in der Nische verschwanden bei der Sanierung spurlos, nur Fotos existieren davon. Ulrike Häufele bezieht sich auf ein Urteil von Dr. Annette Weber von Jüdischen Museum Frankfurt, die schreibt, dass die Nische mit christlichen Elementen ausgestattet wurde. Dies passt zu Ulrike Häufeles These, nach der das Haus zwischen 1349 und 1499 wechselnd in christlichen und jüdischen Händen war. Christof Maihoefer hat seine Überzeugung, dass die Nische jüdischen Ursprungs ist, auf Judaistik-Fachkongressen vorgestellt. Sie beruht auf intensiven zeit- und kunstgeschichtlichen Abgleichen mit jüdischen Buchmalereien aus der Ulmer Region, eines Zentrums der mittelalterlichen Buchmalerei, und Christof Maihoefer findet eine nahezu Deckungsgleichheit mit den Arbeiten des christlichen Buchmalers Johannes Bämler und des jüdischen Joel Ben Simon, die eng zusammen arbeiteten. Diese problemlose künstlerische Nähe ist für ihn der Schlüssel zur Geschichte der Engelsnische, er deutet die verschiedenen Farben auf Vorder- und Rückseite der Engelsflügel als Symbolik für Juden und Nichtjuden. Christof Maihoefer wünscht sich angesichts der historischen Bedeutung des Hauses ein Symposium von Experten, auf dem sich solche Fragen klären ließen.