Geschichte der Juden in Bad Soden-Salmünster

 

von Georg-Wilhelm Hanna

 


Als Folge der Ausdehnung des römischen Imperiums gelangten zu Beginn unserer Zeitrechnung die ersten Juden in den mitteleuropäischen Raum. Sie machten sich in den römischen Städten nützlich und ließen sich dort als Kaufleute, Ärzte oder Dolmetscher nieder. Später kamen jüdische Flüchtlinge und Heimatvertriebene aus dem von Aufständen gegen die römischen Besatzer erschütterten Palästina hinzu. Nicht wenige von ihnen waren von den Kohorten des Kaisers als Kriegsbeute oder Sklaven nach Europa verschleppt worden.

Sitten, Bräuche und der Glaube ließen die Juden an ihren neuen Aufenthaltsorten bald zu starken Volks- und Religionsgemeinschaften zusammenwachsen, die all die frühmittelalterlichen Wirren überdauerten. 1235 erließ Kaiser Friedrich II. (1194-1220/1250) neue Rechtsnormen und stellte die Juden, die eine besondere Kleidung tragen mußten, unter seinen persönlichen Schutz. Dadurch gelangten diese wie Leibeigene in eine gewisse Abhängigkeit und waren zu bestimmten Leistungen verpflichtet. Später, im Verlauf der weiteren Territorialentwicklung, gerieten sie dann mehr und mehr in die Pflicht der verschiedenen Landesherren.

Im 14. Jahrhundert, dem Jahrhundert der großen Judenpogrome, wurden 1349 im benachbarten Gelnhausen alle Juden verbrannt. Doch schon elf Jahre später erließ der Rat der Stadt eine neue Judenordnung. Sie hatte zur Folge, daß Gelnhausen ab 1361 und in den aufeinanderfolgenden 62 Jahren über 61 Juden als Bürger aufnahm. Mit einer der ersten, der das Bürgerrecht erwarb, war 1362 Morsech der Jude von Sodin (Soden). Ihm folgte ein Jahr später, gleichfalls aus Soden, Symon der Jude.

 

 

Stempel der Israelitischen Gemeinde Romsthal

 

Der Erstgenannte findet 1364 nochmals Erwähnung, wobei die Namensform diesmal mit Morseth angegeben ist. 1367 heißt es, Henchin, genannt Wigmar von Somborn, habe am 10. Februar 39 Pfund Heller bei Moyse von Soden, Judenbürger von Hanau, entliehen.

In den nächsten zwei Jahrhunderten schweigen die schriftlichen Quellen über die Juden in unserem Raum. Erst das Huttische Salbuch von 1594 gibt kund, daß im Dieners-Gut zu Romsthal seit vielen Jahren ein Jud namens Seligmann wohne.

In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wird 1655 Jacob der Jud als Grundbesitzer aus Salmünster aufgelistet. Er zahlte Steuern für Haus, Herd, zwei Kühe und ein Pferd. Die Bürgermeister-Rechnungen der Jahre 1680-1684 nennen drei Schutzjuden und zwar Jacob, Jonas und Seligmann. Jeder von ihnen hatte zwei Gulden an Stadtfrohn und Torwacht zu entrichten. Sie waren Mitglieder der Gelnhäuser jüdischen Gemeinde und beerdigten dort ihre Toten.

Es war die Zeit, in der es heißt: „Das hochlöbliche Ertzstift (Mainz) hat sambt denen von hutten, die Juden auf- und ahnzunehmen, auch wiederumb fortzuweißen.“ Kurmainz und die von Hutten teilten sich den Stadtbesitz mit vier und ein Fünftel Anteilen. Auch der Judenzoll war geregelt worden. Jeder durchreisende Jude hatte sechs Kreuzer zu zahlen. Solche Zahlungsverpflichtungen beziehungsweise Einnahmequellen waren häufig auch der Anlaß zu Streitigkeiten wie es das Schreiben vom 16. Juli 1724 zeigt, in dem die Hanauer Regierung fordert, daß „die in den lehnbaren Dorfschaften des Huttischen Grundes wohnenden Schutzjuden gleich den anderen Untertanen zur Erlegung der Centgelder angehalten werden sollen“ und 1755, als sich die gleiche Regierung über den von Juden im Huttischen Grund vom Amt Salmünster geforderten Judenzoll in Fulda beschwerte.

Für die Herren von Hutten war der Judenschutz in ihrem reichsritterschaftlichen Besitz, dem Huttischen Grund, eine ergiebige Einnahmequelle. Das verleitete sie, immer mehr Juden aufzunehmen, die dann als Händler versuchten, ihr kärgliches Dasein zu fristen. In den Romsthaler Rechnungen der Jahre 1757, 58 und 65 werden zwei Schutzjuden genannt: Es waren „der Schuz-Jud Seeligmann zu Romsthal“, der vier Gulden Schutzgeld zu zahlen hatte und „Jud Süßkind, der in Martin Lauers Haus in Eckardroth wohnte“. Er mußte neun Gulden für seine Sicherheit entrichten. Seine „hinterlassene Witwe ist (1765) unter den Salmünsterer und Sodener gemeinschaftlichen Schutz gezogen“. In dieser Zeit, 1757, hielt sich der Jud Jacob für vier Monate unter dem Schutz der Romsthaler Adligen von Hutten auf und begab sich danach unter den Schutz der von Hutten in Salmünster.

Nicht immer war es der „Schutz“ für den die Juden Abgaben leisten mußten. Auch andere, unrühmliche Begebenheiten sind überliefert: Als gegen Ende des 18. Jahrhunderts ein Jude seinen Leibherren, den sogenannten „tollen“ Hutten an die Begleichung einer Schuld erinnerte, ließ dieser ihn teilweise entkleiden und ihm zur Strafe für seine Vermessenheit das Freiherrlich von Hutten’sche Siegel auf den verlängerten Teil seines Rückens aufbrennen.

Die französische Revolution, die in vieler Hinsicht alte, überkommene Dienste abgelöst hatte, bot auch den Juden die volle Gleichberechtigung, die jedoch einen sehr zögerlichen Verlauf nahm.

1813 notierte Optatus Foesser, lebten in Salmünster nur zwei Judenfamilien. Einer der Haushaltsvorstände war wohl der Jude Isaac Meyer, den man am 5. Juli 1808 beraubt hatte. Ab dem Jahr 1826 machte der Kurhessische Staat den Juden zur Auflage, bestimmte bürgerliche Familiennamen zu führen. Bis dahin waren die Söhne vielfach nach den Vornamen des Vaters benannt worden.

Ein „Verzeichnis der im Distrikt Salmünster wohnenden israelitischen Familien mit näherer Bezeichnung der von denselben angenommenen neuesten Familiennamen“ ist überliefert. Daher wissen wir, daß die Salmünsterer Juden Maier sich nunmehr Jakobi und Simon sich Stern nannten. Auch die einundzwanzig in Eckardroth und acht in Romsthal lebenden Juden sind nachlesbar. Sie finden alle in dem Verzeichnis der Söhne, Gewerberegister, Geburts-, Trau- und Sterberegister des 19. Jahrhunderts Erwähnung.

Dabei werden als Berufe genannt: Händler, Trödler, Eisen- und Lumpenhändler oder -sammler, Schuhmacher, Zehngebotsschreiber, Lehrer, Synagogenältester, Metzger, Kammacher, Horndreher und Seifensieder. Während die Eckardröther Juden als vermögend galten, schwankte der Besitzstand bei den Romsthalern und Salmünsterern sehr stark.

Viehmaklerei, geringer Viehhandel, Trödelmarkt, Altwaren- und Hausierhandel mit gedörrtem Obst bezeichnete man 1858 als „Nothandel“. In Romsthal gab es zu dieser Zeit einen und in Eckardroth fünf, die dieses Gewerbe betrieben.

 

 

Ehemalige Synagoge in Salmünster

 

Die erstarkende jüdische Glaubensgemeinschaft in Salmünster bot 1848 eine der wichtigsten Voraussetzungen zur Gründung einer Synagogengemeinde, nämlich das Vorhandensein von zehn männlichen Erwachsenen, die die liturgischen Feiern abhalten konnten. Dazu wurde ein Andachtsraum benötigt. Ein städtischer Schafstall, direkt am Mühlbach gelegen, eignete sich in vielerlei Hinsicht dafür. Er wurde 1865 zur Synagoge ausgebaut. Gemäß den Bestimmungen der jüdischen Liturgie diente die Synagoge auch als Versammlungsraum für Gebet und Lehre und als Aufbewahrungsort des heiligsten Besitzes der Gemeinde, der Tora-Rolle, die häufig in einer kleinen Konche untergebracht war.

Der große Synagogenraum war zugleich Schulraum. Als Lehrer der jüdischen Schule, die bis zur Einweihung der Henry-Harnischfeger-Schule Ende 1931 eigenständig existierte, werden genannt:

1855        Lehrer Seelig, er übernahm auch provisorisch die Schule in Wächtersbach;

1856        der Schulverband Salmünster-Wächtersbach wurde gegründet;

1856        November bis zum 1. November 1857: Lehrer Heinemann Fleischhacker (Gehalt 225 Gulden, anteilig Salmünster 135 Gulden, Wächtersbach 90 Gulden);

1858        1. März bis 11. August 1860: Lehrer Samuel Münz (Gehalt 225 Gulden plus 15 Gulden für Wohnung, anteilig Salmünster 145 Gulden, Wächtersbach 80 Gulden);

1860        27. August bis 1. April 1863: Lehrer Levi Katzenstein;

1863        August: Lehrer Weinberg von Eckardroth;

1865        1. Februar: Lehrer Israel Schuster gebürtig aus Sterbfritz (Gehalt 180 Gulden plus freie Wohnung und Heizung: Wächtersbach hat keine Schulkinder!);

1887        bis 1889: Lehrer Leo Kahn (Wächtersbach zahlte 200 Mark);

1890        bis 1894: Lehrer Sally Katz (800 Mark von Salmünster, Eckardroth, Wächtersbach);

1895        bis 1903: Lehrer Honas Gans in Wächtersbach (er besorgte Salmünster mit und erhielt von dort 300 Mark);

1904        Heinemann Levi eigener Lehrer für Salmünster und Romsthal/Eckardroth;

1907        Juni: Levi erkrankte, ihm wurde gekündigt, dafür übernahmen Lehrer Levi aus Birstein Romsthal und Lehrer Reinhold aus Wächtersbach Salmünster seine Aufgaben mit;

1913        Lehrer Kam (Kahn?), 58 Jahre;

1924        bis 1925: Lehrer Ginsberg aus Schlüchtern, 34 Jahre alt;

1932        bis 1933: Lehrer E. Katz, 52 Jahre alt.

 

Auch war ein Frauenbad, eine sogenannte Mikwe, vorhanden. Das dazu benötigte lebende Wasser lieferte der vorbeifließende Mühlbach. Mit der Auflösung der jüdischen Synagogengemeinde in 1937 gelangten die Kultgegenstände zur Auslagerung nach Schlüchtern und wurden in der sogenannten „Reichskristallnacht“, dem 9. November 1938, vernichtet Das Salmünsterer Synagogengebäude blieb in der Pogromnacht verschont, da es der Blockwart August Weisbecker bereits am 13. Oktober 1937 für 2300 Reichsmark, - unter dem halben Wert des Schätzpreises - erworben hafte. Er ließ das Gebäude zu Wohnzwecken umbauen.

Über die jüdische Glaubensgemeinde von Eckardroth weiß die Historie 1832 zu berichten: „Auch hatte in Eckardroth eine israelitische Gemeinde sich niedergelassen, und eine Synagoge erbaut. Diese Juden treiben Handel mit Vieh und allerlei Ellenwaren. Hausierten damit in den benachbarten Ländern und auf Jahrmärkten, und brachten dadurch manches Geld vom Auslande in ihre Heimat, welches dann wieder unter den Handwerkern und Bauern in Umlauf kam. Durch diesen Verkehr schwang sich auch die Industrie zu einem höheren Grade empor.“

Die Synagoge befand sich in einem kleinen Häuschen neben dem Eckardrother Judenfriedhof. Da bereits 1925 keine Juden mehr im Dorf lebten, war das Gebäude in anderen Besitz gelangt und vor oder zu Beginn des Zweiten Weitkrieges (1939-1945) abgebrochen worden.

 

 

Jüdische Grabsteine in Eckardroth

 

Für ihre Toten, die nicht nur aus dem Huttischen Grund sondern auch aus Ulmbach, Salmünster und anderen Orten stammten, besaß die Israelitische Synagogen-Gemeinde Eckardroth und Romsthal direkt an der Salz eine eigene Begräbnisstätte. Anhand von ausgegrabenen Grabsteinen hat man in den 1930er Jahren festgestellt, daß sich darunter Exemplare befanden, die über 300 Jahre alt sind und somit bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts zurückdatiert werden können. Am 16. April 1940 wurde der Friedhof aufgelassen und von der Gemeinde Eckardroth an den Privatmann Emil Noll verkauft. Damit verbunden war für den Verkäufer das Recht, die auf dem Friedhof stehenden Grabsteine zu entfernen und zu verwerten. Noll drängte nicht darauf, daß dieser Anspruch eingehalten wurde. Er bewahrte vielmehr den Friedhof in seiner Ursprünglichkeit und rettete damit ein unwiederbringliches Kulturzeugnis von 159 Grabsteinen über die haßerfüllten Jahre der braunen Ära hinweg.

Zurück zur Mitte des 19. Jahrhunderts: 1853 wurden im Städtchen Salmünster 30 Juden registriert. Fünf Jahre später waren es bereits 34. Das waren zwei Prozent der Gesamtbevölkerung. Sie waren vorwiegend Händler. Während die Zahl kurzfristig in 1861 auf 33 sank, stieg sie bis 1895 auf 42, 1905 auf 45 und 1910 sogar auf 58 an, was auch 10 Familien entsprach.

Die Zahlen beziehungsweise die Mitglieder der zur Synagogengemeinde zählenden Juden in:

 

Romsthal: 1853 = 84; 1861 = 78; 1905 = 49; 1910 = 30

Eckardroth: 1853 = 96; 1861 = 37; 1905 = 37; 1910 = 7

Wahlert: 1853 = 3

 

können im gleichen Zeitraum als rückläufig bezeichnet werden. Bessere wirtschaftliche Verhältnisse lockte sie in die nächstgelegenen größeren Städte oder gar in die Großstadt.

Wie bereits erwähnt, waren die jüdischen Mitbürger von Salmünster als Händler oder Kaufleute tätig. Sie trugen die Familiennamen Neuhaus, Stern, Grünebaum, Selig und Jakobi. Paul Arnsberg schreibt in ,Die jüdischen Gemeinden in Hessen’: „Ein Herr Stern war während des Weltkrieges (1914-1918) im Stadtrat. Der Viehhändler Samuel Jakobi war später, das heißt um die Jahrhundertwende, nach Frankfurt am Main übergesiedelt; seine Söhne (Leo, David und Julius) waren führend im Metallhandel in Frankfurt (zuerst Leo Jakobi und Co., später Deutsche Kupfer A.G.). Sie sind (schon vor 1933) nach England ausgewandert und dort führend in der Aluminium-Industrie (Legierung und Verhüttung) tätig gewesen.“

Aus den anderen genannten Familien gingen bedeutende Wissenschaftler hervor. Abraham (genannt Albert) Stern war ein hochangesehener Mediziner in Frankfurt. Dort lebte er seit 1900. Die Brüder Dr. Henry und Walter Selig sind in Amerika Chemiker beziehungsweise Atomforscher geworden. Der Erstgenannte erhielt als Auszeichnung die „Rosenberg-Medaille“.

Alle Bewohner hinterließen im Laufe der Geschichte von Salmünster in der Hauptstraße, der heutigen Frankfurter Straße, ihre baulichen Spuren. So auch die erwähnten Juden. Im östlichen Teil des Straßenzuges erinnern zwei massive, teilweise mit Verklinkerung versehene, stadtbildprägende Gebäude aus den Jahren um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert an sie. Ein anderes, im Westen der Straße befindliches Gebäude - es war 1821 gebaut worden und beherbergte zeitweilig die kurfürstlich-hessische Post -, war lange Zeit in jüdischem Besitz und daher im Volksmund auch „Juddepost“ genannt. Leider mußte es in den 1970er Jahren einem Neubau im Stil unserer Zeit weichen.

Zum Zeitpunkt der Machtergreifung Hitlers, im Januar 1933, lebten in Salmünster über 40 Glaubensjuden. Der rassisch begründete Antisemitismus schreckte auch im Städtchen nicht vor Ausschreitungen gegen diese jüdischen Mitbürger zurück. Mehrfach wurden die Fensterscheiben der Synagoge und der Judengeschäfte eingeworfen.

Der braune Terror begann sein ausgeklügeltes System psychischer und physischer Vernichtung. Schon fünf Monate später, am 6. Juni 1933, schrieb die Schlüchterner Zeitung: „Kassel. Am Freitag tagte das Sondergericht beim Landgericht Kassel, vor dem sich der 62 Jahre alte jüdische Sattlermeister Jakob Korn aus Salmünster wegen Verbreitung von Greuelmärchen zu verantworten hatte. Das Sondergericht berücksichtigte bei ihm seine bisherige Straflosigkeit und seine Teilnahme am Kriege und verurteilte den Angeklagten zu 1 Jahr und 2 Monaten Gefängnis.“

Jakob Korn (*28.7.1871) und seine Frau Gustl, geborene Goldschmidt (*14.4.1866) kamen in den Jahren des Holocaust nach Auschwitz und wurden dort umgebracht. Ihr Schicksal teilte Karolina Reens geborene Gundersheim (*25.11.1901) von Romsthal. Zwei weitere Romsthaler, Max Furth (*24.5.1883) und Johanna Stern, geborene Gundersheim (*25.7.1906) fanden in Cosel beziehungsweise Sobibor den Tod. Markus Gruenebaum (*15.8.1878) von Salmünster holte das grausame Sterben in Litzmannstadt ein.

Aus dieser Zeit berichtet Pater Redemptus Fleck: „Das Schändlichste, was ich erlebte, war der Kreuzweg eines alten Juden durch die Stadt. Er trug einen Schandpfahl mit einem Schild: Ich, Jude X, bin ein Schwein und Sittlichkeitsverbrecher.“

Am 17. Juli 1935 beschloß der Gemeinderat von Salmünster: „Auftragserteilungen an Handwerker, die mit Juden Geschäfte tätigen, werden zukünftig stadtseitig nicht mehr erteilt. Ebenso sollen Lieferanten behandelt werden. Von den betreffenden Geschäftsleuten soll eine Verpflichtung unterzeichnet werden, daß sie Geschäfte mit Juden nicht mehr tätigen.“ Den Juden waren die elementarsten Lebensgrundlagen genommen. Sie waren gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Arnsberg schreibt: „Etwa zehn Personen sind von Salmünster direkt ausgewandert; drei davon nach Südafrika, eine nach Palästina, die anderen nach den USA und zwei nach Holland. Alle übrigen jüdischen Einwohner (aus der Abmeldeliste mit 34 Namen) sind innerhalb Deutschlands, meist nach Frankfurt am Main, verzogen und möglicherweise von dort ausgewandert. Die Gemeinde wurde vor 1938 bereits aufgelöst Die letzten Abmeldungen erfolgten 1937. Der letzte Vorsitzende der jüdischen Gemeinde (1937 nach Frankfurt verzogen) war Alexander Grünebaum; er ist später nach Südafrika ausgewandert.“

Zu den letzten, die mit Grünebaum in die Anonymität der Großstadt, in den Frankfurter Sandweg, zogen, gehörten die Neuhaus.

 

 

Denkstein für die jüdischen Mitbürger

von Salmünster

 

Mit dem Niedergang der israelitischen Synagogengemeinde in 1937 wurde auch der Friedhof am Roten Rain, der 1923 erstmals belegt worden war, geschlossen. 1941 bemühte sich die Stadt Salmünster, die fast zwanzig Jahre vorher, am 20. Juni 1924, das Gelände unentgeltlich zur Verfügung gestellt hatte, um den Rückerwerb, was ein Jahr später mit der „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ vereinbart werden konnte. Schändungen dieser Grablege im Dritten Reich sind bekannt. Auch sind von den nachfolgend genannten sieben dort beerdigten Juden nur noch zwei Grabsteine vorhanden:

Samuel Stern 1863 – 1923; Michael Neuhaus 1850 – 1925; Moses Grünebaum 1871 – 1929; Karimann Stern 1858 – 1931; Johanna Stern geb. Plaut 1863 – 1933; Sophie Grünebaum 1917 – 1932; Sabine Hess geb. Grünebaum 1869 – 1935.

Auf Anregung von Frau Selig, einer früheren Mitbürgerin, ließ 1966 die Stadt Salmünster ein Ehrenmal errichten, das den verstorbenen jüdischen Mitbürgern gewidmet wurde.

All diese Ausführungen belegen: es hat in Soden, Salmünster und im Huttischen Grund fast ununterbrochen seit dem 14. Jahrhundert jüdische Mitbürger gegeben, deren Bedeutung lange Zeit eher wuchs als sank. Das Judentum, dieses eigenständige kulturelle Element im städtischen und ländlichen Leben, fand ein furchtbares Ende, das belegt besonders eine zynische Notiz in der Kinzig-Wacht, dem amtlichen Organ der NSDAP für die Kreise Hanau, Gelnhausen und Schlüchtern vom 6. November 1940: „Eckardroth. Vor einiger Zeit ließen sich seit langer Zeit wieder einmal zwei Hebräer (Jüdinnen) in unserem Dorfe sehen. In der Nähe des Dorfes wurden sie von einem Judenfreund mit Händedruck aufs herzlichste begrüßt. Man meint nicht, daß es heute noch solche Leute geben könnte, wo sie doch jeden Tag sehen, mit welch viehischer Brutalität und alttestamentarischem Haß diese gegen Frauen und Kinder vorgehen. Es wird einstens auch der Tag kommen, an dem nicht nur Deutschland, sondern die ganze Welt von den Juden befreit ist.“

Trotz eines Holocausts kam dieser Tag nicht, doch jüdische Menschen, die Deutschland für ihre Heimat gehalten, für die sie in den Kriegen 1870/71 und 1914-1918 ihr Leben eingesetzt hatten, sind seit 1941 aus Bad Soden-Salmünster verschwunden.

 

Erstveröffentlichung in Bergwinkel-Bote 40 (1989), S. 39-47.