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Freudenstadt (Kreisstadt)
Jüdische Geschichte
Übersicht:
Zur Geschichte jüdischer Einwohner
In dem 1599 durch Herzog Friedrich I. von Württemberg
gegründeten Freudenstadt wird erstmals 1624 ein jüdischer Bewohner
genannt. Es war Elia Jude zu Freudenstadt, der gegen den Juden Wolf
aus Poltringen (Gemeinde Ammerbuch, Kreis Tübingen) einen Rechtsstreit auf
höchster Ebene führte. Jud Wolf hatte ein herzogliches Privileg im Blick auf die
von 1622 bis 1628 betriebene Silbermünzstätte des Silberbergwerkes im Stadtteil
Christophstal. Elia Jude zu Freudenstadt stand unter dem persönlichen Schutz des
Herzogs und besaß in der Stadt das Bürgerrecht (Quellen für den Rechtsstreit:
Universitätsarchiv Tübingen 87/6, fol. 373ff; Hinweise hierzu
von Ulrich Müller, Freudenstadt).
Erst seit dem Ende des 19. Jahrhunderts zogen in Freudenstadt wieder einige
jüdische Personen/Familien zu, ohne dass es zur Gründung einer jüdischen
Gemeinde bekommen ist. Eine der ersten Familien war die des Kaufmanns Paul Pick,
dessen Eltern Richard und Anna Pick in Freudenstadt zugezogen sind. Paul Pick betrieb in der
Stadt einen kleinen Laden, verzog später nach Stuttgart und kam nach der
Deportation mit seiner Frau Emma geb. Baum 1944 in Riga beziehungsweise im KZ Stutthof ums
Leben. Auch seine Schwester Johanna, die später in Freiburg verheiratet war,
kam nach der Deportation nach Gurs 1940 ums Leben.
Die Zahl der jüdischen Einwohner in Freudenstadt entwickelte sich wie folgt: erstmals
1871/1880 2 jüdische Personen in der Stadt, 1885/90 5, 1895 11, 1900 9,
1905 17, 1910 13, 1925 7, 1933 6 jüdische Einwohner (nach den Volkszählungsergebnissen
in diesen Jahren). Die in Freudenstadt lebenden jüdischen Personen waren
offiziell der jüdischen Gemeinde in Horb
angeschlossen.
In der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg war seit 1907 die streng koscher
geführte "Villa Germania" beziehungsweise seit 1911 das "Hotel
Teuchelwald" von A. Kulb eine hervorragende Adresse für jüdische
Kurgäste in der Stadt. Dazu kam 1914 die Pension Goldschmidt und in den 1920er-/Anfang
1930er-Jahren das Hotel "Villa Regina" 1933 Inhaberin Frl. H. Kohn).
Die Geschwister Kahn eröffneten ein Warenhaus in der Stadt (1907
genannt).
An ehemaligen, bis nach 1933 bestehenden Dienstleitungs- und Handelsbetrieben
im Besitz jüdischer Personen sind bekannt: Praxis Dr. Karl Beer (Lauterbadstraße
77), Kur-Pension Dr. Carl Beer (Zeppelinstraße 5, heutiges Hotel Hohenried), Viehhandlung Salomon und Wilhelm Levi (Stuttgarter
Straße 45, Gebäude abgebrochen), Kaufmann Manfred Weil (Badstraße 59, abgebrannt 1945), Mehlgroßhandlung Simon Weil
(Dammstraße 6).
Von den in Freudenstadt geborenen und/oder
längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit
umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad
Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches
- Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Paul Pick
(1894), Johanna Weinheim geb. Pick (1895).
Nach 1945 bestand in Freudenstadt das Gästehaus von Fritz und Emmi Haas,
in dem von 1953 bis 1993 zahlreiche jüdische Gäste beherbergt wurden (siehe
unten).
Aus der Geschichte der jüdischen Einwohnern
Zu einzelnen Personen
Über Dr. Carl Beer (1885-1969)
Aus dem Beitrag von G. Hertel (siehe Lit.):
"Der Freudenstädter Dr. Carl Beer war Sanitätsoffizier des 1.
Weltkrieges. Er war im Ersten Weltkrieg nach Freudenstadt ins Lazarett
gekommen und betreute später dort deutsche Verwundete. Im Lazarett lernte
er seine spätere Frau, eine Freudenstädterin, kennen. Diese tapfere Frau
ist ihrem Mann in den schweren Zeiten zur Seite gestanden und hat ihn nie
verlassen. Dr. Beer hat in Freudenstadt Minderbemittelte stets ohne
Honorar behandelt, ja sogar Lebensmittel Notleidenden gebracht... 1945 ist er wieder zurückgekommen und konnte noch einige Jahre in
Freudenstadt als Arzt tätig sein. Die Bevölkerung wählte ihn 1946 mit
der zweihöchsten Stimmenzahl auf der Liste der SPD in den
Gemeinderat."
Das Foto links zeigt Carl und Fanny Beer um 1960 in Freudenstadt
(Quelle: Stadtarchiv Freudenstadt). |
Weitere Informationen (erhalten von Ulrich
Müller, Freudenstadt): Dr. Carl Beer (geb. 19. Februar 1885 in Liptó Szent Miklós/Ungarn, heute Liptovský Mikuláš/Slowakei;
sein Urgroßvater war Salomon Ullman, geb. 1797 in Fürth) wuchs zusammen
mit seinem jüngeren Bruder Oskar in Berlin auf. Nach dem Abitur studierte
er Medizin in Berlin und Freiburg i.Br.; nach Abschluss des
Medizinstudiums wurde er Facharzt der inneren Medizin. 1910 ließ er sich
in Berlin taufen. Er war verheiratet mit Fanny geb. Reichert (geb.
3. Januar 1894 in Freudenstadt, evangelisch; vgl. oben). Die beiden lebten
in Freudenstadt in der Lauterbadstraße 73. Nach dem Novemberpogrom 1938
wurde er in das KZ Dachau eingewiesen, wo er bis Mitte Dezember 1938
festgehalten wurde. 1944/45 war Dr. Beer als "Krankenbehandler"
für die noch in Nürnberg und Fürth ansässigen jüdischen Einwohner.
Ein schwerer Luftangriff auf Nürnberg verhinderte im Februar 1945, dass
Carl Beer und die anderen in "Mischehe lebenden Nürnberger
Juden" noch nach Theresienstadt deportiert wurden. Nach dem Einmarsch
der US-Armee in Nürnberg war Dr. Beer in Nürnberg der erste Internist
für Nürnberg und Fürth. Er kehrte dann nach Freudenstadt zurück. Fanny
Beer starb 1864, Dr. Carl Beer 1969. Nach ihm ist in Freudenstadt eine
Straße benannt.
Vgl. Artikel vom 22. August 2014 im "Schwarzwälder
Boten": "Freudenstadt - 'Was wär', wenn Dr. Beer nicht
wär'?..." |
Bericht des Sohnes von Paul Pick über seine Eltern und
die eigene Lebensgeschichte
Aus dem Buch "Lebenszeichen: Juden aus
Württemberg nach 1933" Gerlingen 1982 S. 243: "Richard L. Pick.
Sierra Leona 770. Mexico 10 D.F. berichtet: Eltern: Paul Pick, 1894 in
Freudenstadt geboren, Inhaber eines kleinen Kaufhauses, im Juni 1944 im
Konzentrationslager Riga ermordet, und Emma Pick geb. Baum, 1896 in Stuttgart
geboren, im Dezember 1944 im Konzentrationslager Stutthof ermordet. Ich,
Richard L. Pick, bin 1921 in Söllingen geboren und arbeitete bei der
Auswanderungsstelle für Württemberg und Hohenzollern vor meiner
Emigration im Juli 1941. Drei Jahre Dienst in der US-Army während des
Zweiten Weltkriegs, seit 1947 Hersteller von Damenkonfektion in Mexico
City. Heute wird dieses Unternehmen vom Schwiegersohn geleitet, während
ich mich auf dem Gebiet von Investments betätige, im Baugeschäft
dilettiere und an der Universität Volkswirtschaftliche Vorlesungen halt.
Ich gehöre dem Vorstand der Beth Israel Community Center in Mexico City
an. Meine Frau Lore geb. Steiner, ist 1923 in Stuttgart geboren; sie
arbeitete bis vor kurzem als Entwerferin und Musterherstellerin in unserem
Betrieb." |
Dokumente, Anzeigen und Presseartikel
Anzeige des Warenhauses der Geschwister Kahn (1907)
Anzeige im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt"
vom 8. Juli 1907: "Zum baldigen Eintritt wird ein
Mädchen
nicht unter 15 Jahren aus guter Familie, in die Lehre gesucht,
eventuell als angehende Verkäuferin. Kost und Logis im Hause. Offerten
erbitten
Warenhaus Geschwister Kahn, Freudenstadt in Württemberg." |
Eröffnung der Pension Villa Germania (1907)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 4. Juli 1907: "Eröffnung
Anfangs Juli. Freudenstadt Württemberg. Schwarzwald. 740 m ü. d.
Meer. Direkte Schnellzugsverbindung von Stuttgart aus ca. 2 Stunden.
Streng Koscher.
Pension Villa Germania. Staubfreie Lage, unmittelbar am Wald.
Komfortabel eingerichtete Fremdenzimmer. Elektrisches Licht. Referenz
Seiner Ehrwürden Herr Dr. Kahn, Esslingen sowie andere orthodoxe
Rabbiner.
Inhaber: A. Kulb." |
Bericht über die Villa Germania in Freudenstadt in der
orthodoxen Zeitung "Der Israelit" (1907)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 25. Juli 1907: "Aus
Württemberg, 23. Juli (1907). In Freudenstadt, dem bekannten
Luftkurort im württembergischen Schwarzwald, ist am Anfang dieses Monats
von Herrn A. Kulb von Stuttgart eine unter zuverlässiger Aufsicht
stehende rituelle Pension eröffnet worden. Die Pension des Herrn Kulb
befindet sich in der Villa Germania und untersteht dem Verein zur
Förderung ritueller Speisehäuser in Hamburg." |
Anzeigen für die "Villa Germania" 1908/09
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 4. Juni 1908: "Freudenstadt
- Württembergischer Schwarzwald. Hotel und Pension. Streng Koscher.
A. Kulb. Telefon No. 86. Villa Germania, herrliche Lage am Walde,
bedeutend vergrößert." |
|
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 1. Juli 1909:
"Höhenluftkurort I. Ranges. Freudenstadt, ca. 800 m über dem
Meere. Hotel und Pension - koscher - Villa Germania direkt
am Wald. A. Kulb. Telefon 86. Neugebauter Speisesaal im Garten mit
herrlicher Aussicht ins Murgtal. - Anerkannt gut geführt Küche. Elegant
möblierte Zimmer in und außer dem Hause." |
Anzeigen für das Hotel und Kurhaus Teuchelwald (1911)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 28. Juli 1911:
"Freudenstadt. Sommer- und Winterkurort. Hotel und Kurhaus
Teuchelwald. Telefon 168. Besitzer A. Kulb. Haus vornehmsten Ranges.
Große Gesellschaftsräume zur Abhaltung von Festlichkeiten,
Konversationsräume, Schreib- und Lesezimmer, Vestibül, Apartments, Schlafzimmer
mit Privatbädern, Lift, Zentralheizung, große Terrasse, 60 Betten,
Eigene Konditorei mit Café, hochmodern ausgestatteter Hotelwagen am
Bahnhof." |
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Anzeige im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 10.
Mai 1912: "Freudenstadt. Hotel und Kurhaus Teuchelwald -
Koscher -.
Haus allerersten Ranges. 60 Fremdenbetten, Aufzug, Dampfheizung,
Konversationsräume, Schreib- und Lesezimmer, große Gesellschaftsräume,
Konditorei und Café. Prospekte durch den Besitzer:
A. Kulb. Telefon 168." |
Vorübergehend (1913) gibt es keine rituell geführte
Pension in Freudenstadt - Einladung nach Triberg (1913)
Anmerkung: das Hotel und Kurhaus Teuchelwald, das 1912 noch mit "koscher"
geworben hat, hatte inzwischen geschlossen.
Artikel in "Neue Jüdische Presse" vom 22. August 1913: "Allgemeine
Mitteilungen. Einen vollwertigen Ersatz für Freudenstadt, in dem man nicht
mehr rituell leben kann, bietet Triberg. Auf der Höhe der
weltberühmten
Schwarzwaldberge - 750 m hoch - gelegen, bietet es Wanderlustigen eine große
Anzahl von Ausflügen. Derjenige, der jedoch Ruhe sucht, findet nach
kurzer tapferer Steigung gut gepflegte, sich überall hinziehende ebene Wege
und reichlich Sitzgelegenheit. Allein der Aufenthalt an den weithin bekannten
Wasserfällen spendet durch die staubfreie würzige Luft der diese umgebenden
Wälder Gesundheit in reichem Maße. Täglich Konzerte, Natur- und Kurpark sorgen
für Abwechslung, und ein Feuerwerk mit italienischer Nacht an der
Wasserseite ist ein grandioses Schauspiel. Das jüdische Restaurant in
Triberg liegt in den bewährten Händen des Herrn F. Kahn aus Basel."
|
Anzeigen der Pension Goldschmidt (1914 / 1916)
Anzeige
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 25. Juli 1914:
"Freudenstadt. Württembergischer Schwarzwald. Pension Goldschmidt.
Eröffnung Mitte Mai 1914. Elegante Zimmer, vorzügliche Küche, großer,
schattiger Garten. Angenehmer Aufenthalt! Zivile Preise!". |
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Anzeige
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 12. Mai 1916:
"Freudenstadt. Württembergischer Schwarzwald.
Höhenluftkurort 740 m über dem Meere. Pension Goldschmidt.
Telefon 239. Ruhiger angenehmer Aufenthalt bei guter Verpflegung. Großer
Garten - Zivile Preise - Keine Kurtaxe. Eröffnung 15. Mai." |
Bericht über das rituell geführte
(koschere) Hotel "Villa
Regina" (1931) sowie Anzeige (1933)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 13. August 1931: "Freudenstadt
(Schwarzwald), 3. August (1931). Wer in der jetzigen Zeit noch das Glück
hat, sich einige Tage Erholung zu gönnen, wird besonders erfreut sein,
wenn er in einem gut geleiteten, unter Aufsicht stehenden Hotel, nicht nur
Genüsse für den Körper, sondern auch solche für den Geist findet. - Es
war etwas Erhebendes, hier den gedankenvollen Vortrag des Herrn Dr. jur.
Lewkowitz aus Breslau, der in dem bekannten jüdischen Hotel 'Villa
Regina' über 'Marxismus und Nationalismus vom Standpunkt der Juden'
sprach, zu hören. Formvollendet in der Diktion, prächtig mit prägnanter
Kürze schilderte der für die jüdische Sache so begeisterte Redner den
jüdischen Nationalismus den zahlreich Erschienenen. Leider muss man mit
großem schmerzlichen Bedauern feststellen, dass von den vielen jüdischen
Kurgästen, die zur Zeit sich hier aufhalten, man die meisten in jenen
Hotels findet, die ihnen weder geistig jüdische, noch physisch jüdische
Nahrung bieten. Wie glücklich könnten unsere jüdischen Hoteliers an
allen Badeplätzen auch in unseren Großstädten sein, wenn nur ein
Zehntel aller Glaubensgenossen diese Gaststätten aufsuchten. Das Beste,
das in den jüdischen Hotels geboten wird, beachtet man kaum, gar oft wird
das weniger Wertvolle der anderen mit besonderer Propaganda
verbreitet.
Die jüdische Zeitung hat die Pflicht, immer wieder das große jüdische
Publikum auf jene jüdischen Hotels komfortabel ausgestattet, sondern auch
den Ansprüchen des religiösen Juden entsprechen. Mit besonderem Stolz
kann 'Villa Regina' in Freudenstadt (Schwarzwald) ein solches genannt
werden." |
|
Artikel in der "Gemeindezeitung für die Israelitischen Gemeinden
Württembergs" vom 1. Juli 1933: "KOSCHER Hotel-Pension
Regina Freudenstadt.
Inhaber Frl. H. Kohn / direkt am Hochwald empfiehlt sich für
den Sommer-Aufenthalt". |
Kennkarte von Leopold Fellheimer
Leopold
Fellheimer (geb. 27. September 1860 in Stuttgart), lebte 1938 als Privatmann in
Freudenstadt und ließ sich hier die Kennkarte ausstellen.
Leopold Fellheimer war verheiratet mit Helene geb. ? (geb. 20. Januar
1865, gest. 14. Juni 1914 und im Israelitischen Teil des Pragfriedhofes in
Stuttgart beigesetzt). Er starb am 25. November 1941 und wurde neben
seiner Frau im Israelitischen Teil des Pragfriedhofes beigesetzt (siehe
J. Hahn: Pragfriedhof Israelitischer Teil S. 66). |
Nach 1945:
Gästehaus für jüdische Kurgäste von
Fritz und Emmi Haas
Aus
dem Nachruf von Ulrich Müller im "Schwarzwälder Boten" (Lokalausgabe
Freudenstadt) vom 18. Dezember 2018 zum Tod von Emmi Haas: "Ein Herz für
Gäste - Abschied von Emmi Haas in großer Liebe und Dankbarkeit. Aus dem
Saarland, aus Freudenstadt und aus anderen Orten waren am 8. Dezember im
Martin-Haug-Stift in Freudenstadt Besucher zusammengekommen um mit einer
Trauerfeier von Emmi Haas, die im Alter von 96 Jahren verstorben war,
Abschied zu nehmen. Wenige Jahre nach Gründung des Staates Israel, hatte sie
zusammen mit ihrem Mann in der Kolpingstraße in Freudenstadt ein Gästehaus
für jüdische Gäste eröffnet. Es sollte ihr Lebenswerk werden.
Emmi Haas - Freudenstadt. Einer Initiative des Kreis- und
Stadtarchivs Freudenstadt und der Freudenstädterin Christa John war es zu
verdanken, dass im November 2012 anlässlich des 90. Geburtstages von Emmi
Haas die Geschichte und Vorgeschichte des Gästehauses Haas und seiner
jüdischen Gäste ins Licht der Öffentlichkeit gelangte und dokumentiert
wurde. In seiner Ansprache anlässlich der Trauerfeier berichtete Pfarrer i.
R. Ulrich Müller zunächst von den Startschwierigkeiten der jungen Ehe. Für
die aus dem Saarland stammende katholische Emmi Marx und den Freudenstädter
Kaufmannssohn Fritz Haas war im September 1947 in Freudenstadt zunächst nur
eine standesamtliche Eheschließung möglich. Der Grund: Bereits 1931 war die
gesamte Familie Haas (7 Personen) aus der Evangelischen Kirche ausgetreten.
Eugen Haas, der Vater von Fritz Haas, las Hitlers 'Mein Kampf' sehr früh mit
einem geradezu prophetischen Scharfblick. Er war entsetzt, dass die
Evangelische Kirche den 'Wolf im Schafspelz' nicht erkannte. Emmi Haas
erklärte im Jahr 2012 in einem Gespräch wie es dazu kam: Die Liebe zu Israel
hatte mein Mann schon von seinen Eltern her. Sie nahmen das Wort des
Apostels Paulus, dass Gott sein Volk nicht verstoßen hat, sondern es wieder
sammelt und in sein Land zurückführt, ganz ernst. Und Emmi Haas fügte hinzu:
Den größten 'Schatz', den ich im Hause Haas entdeckt habe, ist die Bibel!
Man las die Bibel in der biblisch begründeten Hoffnung, dass sich das
jüdische Volk wieder sammeln und in das Land der Väter zurückkehren werde.
Um mir die Ernsthaftigkeit dieser Hoffnung, die ihr begegnet war zu
vermitteln, fügte sie hinzu: Im Elternhaus meines Mannes hat man auf den
Knien gebetet. Für ihren Abschied hatte sich Emmi Haas Worte aus dem Buch
des Propheten Jesaja. Kap. 43,1+2 gewünscht. Pfarrer Müller bemerkte dazu:
Was für Israel 'Erlösung' bedeutet, hat Emmi Haas selbst ein wenig
miterlebt. Sie berichtete mir: Am 14. Mai 1948 wurde durch David Ben Gurion
die Gründung des Staates Israel ausgerufen. Als diese Nachricht tags darauf
im deutschen Rundfunk ausgestrahlt wurde, ging ein Leuchten über das Gesicht
meines Schwiegervaters, wie wenn er im Lotto das große Los gezogen hätte und
er rief zu meinem Mann: 'Fritz! Jetzt braucht man uns nicht mehr!' Damit
wollte er sagen: Was wir Jahrzehnte gehofft haben, beginnt sich zu erfüllen.
Mit der Gründung des Staates Israel begann für das junge Paar Emmi und Fritz
Haas ein neuer Lebensabschnitt! 1953 reiste Emmi Haas nach Israel. In Haifa
traf sie Juden, die aus Deutschland stammten und die - trotz allem was war -
ihre einstige Heimat wieder besuchen wollten. Der Schwarzwald und sein
Klima, fand bei ihnen höchste Priorität. Sie suchten jedoch ein Gästehaus,
dessen Betreiber keine Nazis waren. Und so reisten sie zu Familie Haas nach
Freudenstadt - und fanden dort noch viel mehr: Ein gastfreundliches Haus mit
Liebe zu Israel. Das sprach sich herum. Hunderte von jüdischen Gästen, ganz
überwiegend aus Israel, aber auch aus den USA, aus der Schweiz, aus
Frankreich und aus Deutschland wohnten von 1953-1993 im Gästehaus Haas in
Freudenstadt, von wo aus sie Tagesausflüge und Wanderungen in den
Schwarzwald unternahmen. Im Rückblick auf ihr Leben sagte Emmi Haas 2014:
'Mein Leben wurde durch die jüdischen Kurgäste und ihr Schicksal geprägt,
ihr Schicksal hat unser Leben verändert.' – Briefe, Karten und Eintragungen
im Gästebuch zeigen, was für ein großes Herz Emmi Haas für ihre Gäste
hatten. Dies kam auch in der Trauerfeier zum Ausdruck, die von Liedern aus
Israel umrahmt war, vorgetragen von Constanze Emele, Gesang, begleitet von
Werner Finis, Klavier.
Zu den ca. 180 namentlich erfassten Gästen zählten u.a.:
- Meta Holland, Cincinatti/USA (1978): Dear Emmy & Fritz, man trifft im
Leben nicht viele Menschen, wo man beim ersten Blick fühlt, die sind für
uns… dieses Glück haben wir gefunden euch zu treffen.
- Dr. Martin Alterthum, Petach-Tikwah, Israel (1967): Eintrag im Gästebuch
in Hebräisch: Die Gerechten aller Völker haben Anteil am ewigen Leben.
- Dr. Henry Ehrenberg (Ehrensenator der Universität Tübingen), Pforzheim
(1978). Er konnte kurz vor Kriegsende aus dem KZ Buchenwald fliehen. Lud das
Ehepaar Haas des Öfteren in die „Traube“ in Tonbach ein.
- Hilde Katzenstein, Frankfurt /M. (1977): Ihnen begegnet zu sein war mir
ein Gewinn und gibt mir den Glauben an die Menschheit wieder.
-Dr. Elias Auerbach, Haifa (1970): Wir wissen die warme Atmosphäre der
Zuneigung in Ihrem Hause sehr zu schätze. Das übrige tut der Schwarzwald!
(37 Briefe von ihm befinden sich im Zentralarchiv in Heidelberg" |
Rechts Emmi Haas - in den
Bücherregalen zahlreiche
Publikationen zu jüdischen Themen und Israel |
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- Ulrich Müller:
Ein Herz für
Gäste - Abschied von Emmi Haas in großer Liebe und Dankbarkeit
(pdf-Datei)
- ders.:
Gästehaus Haas - Gästeliste 1953-1993 (pdf-Datei)
- ders.:
Eine Israelreise weckt das Interesse (pdf-Datei) |
Fotos
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Einige Fotos zur
jüdischen Geschichte werden bei Gelegenheit ergänzt. Über Zusendungen
freut sich der Webmaster von "Alemannia Judaica"; Adresse siehe Eingangsseite. |
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Erinnerungsarbeit
vor Ort - einzelne Berichte
November 2015:
In Freudenstadt sind keine
"Stolpersteine" für jüdische Personen zu verlegen
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Artikel im "Schwarzwälder Boten"
vom 19. November 2015 (nur auszugsweise zitiert):
"Recherchen werden eingestellt. Freudenstadt -
'Stolpersteine' gib es in vielen Städten in Deutschland.... Nach den Nachforschungen des Stadtarchivs sei schnell klar geworden, dass es aus Freudenstadt wohl keine jüdischen Opfer des Nationalsozialismus gab, betonte Petra Weinbrecht. Dies betätigte Stadtrat Friedrich Volpp (Freie Wählervereinigung), der in der Arbeitsgruppe mitarbeitete. 1933 habe es in ganz Freudenstadt nur acht Bürger mit jüdischer Abstammung gegeben, ergänzte er...
In Freudenstadt habe man deshalb die Recherche auf politisch Verfolgte, Euthanasieopfer und Homosexuelle ausgedehnt, so Petra Weinbrecht weiter. Dazu seien sogar internationale Suchdienste, beispielsweise des Roten Kreuzes, eingeschaltet worden. Auch mit dem Rexinger Synagogenverein habe es eine Besprechung gegeben. Eingeschaltet habe man zudem das Dokumentationszentrum der Gedenkstätte Grafeneck, das Staatsarchiv Sigmaringen und die Gemeinde Zwiefalten, wo zur NS-Zeit eine psychiatrische Anstalt war...
Weinbrecht dankte der Arbeitsgruppe und vor allem Anja Staubitz vom Stadtarchiv für ihre mühevollen Recherchen. Doch immer wieder sei man in Sackgassen gelaufen. Die Gründung eines Vereins oder einer Organisation, die sich des Themas annimmt, sei nicht in Sicht. "Wir haben wirklich versucht, dem Antrag gerecht zu werden", betonte Oberbürgermeister Julian Osswald. Doch keiner von der Stadtverwaltung könne diesen Aufwand leisten.
Stadtrat Friedrich Volpp ergänzte, dass man immer noch tätig werden könne, falls sich neue Anhaltspunkte ergeben. Auch Stadträtin Bärbel Altendorf-Jehle von der Bürgeraktion, die seinerzeit den Antrag gestellt hatte, zeigte sich mit der Einstellung der Recherchen einverstanden. "Wir können auch ohne
'Stolpersteine' zufrieden sein, meinte sie. Stadträtin Carola Broermann schlug vor, an bestimmten Plätzen Tafeln mit Namen von ehemaligen Bürgern, die in der NS-Zeit verfolgt oder verschleppt wurden, aufzuhängen. Auch so eine Tafel müsse Kriterien erfüllen, sah OB Osswald diese Idee eher kritisch. Stadträtin Esther Kießling von der Bürgeraktion schlug vor, im Museum im Stadthaus rein informell eine Liste mit den Namen aufzuhängen."
Link
zum Artikel |
Links und Literatur
Links:
Literatur:
| Gerhard Hertel: Die Judenfrage in Freudenstadt, in: Freudenstädter Heimatblätter 17,2
(1986). |
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