Zur Geschichte der Synagoge Nördlingen und des Evangelischen Gemeindehauses

Artikel aus: Evang. Gemeindebote für die Kirchengemeinden Nördlingen - Baldingen – Nähermemmingen - Herkheim 
vom Februar/März 1991 19. Jahrgang Nr. 2/3

 

Kreuzgasse 1 – Geschichte eines Hauses

von E. Bezzel

 

Nachdem die evangelische Kirchengemeinde Nördlingen im Juni 1989 ihr neues Gemeindezentrum St. Georg in der Hallgasse, auf dem Gelände des ehemaligen „Dehler-Gartens“, hatte einweihen können, ging die Geschichte des alten Gemeindehauses in der Kreuzgasse ihrem Ende entgegen. Zum 1. Januar 1991 ist das Haus an das Evangelische Siedlungswerk in Nürnberg verkauft worden, das dort nach Ablauf des Mietverhältnisses mit dem Arbeitsamt Wohnungen errichten will.

 

Das alte Gemeindehaus, von dem wir uns nun nach 37 Jahren getrennt haben, hat seine besondere Geschichte, die hier noch einmal lebendig werden soll.

 

Nur wenige Nördlinger wissen noch, dass auf diesem Platz einmal eine Wirtschaft stand, das „Gasthaus zum Greifen“ mit einem schönen Renaissance-Giebel. Als sich im Jahr 1870 in Nördlingen, zum erstenmal wieder nach der Vertreibung der Juden im Jahr 1506, eine israelitische Kultusgemeinde gegründet hatte, suchte diese nach einem Platz für den Bau einer Synagoge. Zunächst wurde ein Betraum im Haus Kreuzgasse 4 eingerichtet, doch erwies sich dieser rasch als zu klein. Im Jahr 1884 wurde dann das Anwesen Kreuzgasse 1 mit der Gastwirtschaft „Zum Greifen“ erworben und diese abgebrochen. Schon 1885 fand die Grundsteinlegung der neuen Synagoge statt. Die Pläne stammten von dem städtischen Ingenieur Max Gaab. (Dieser hatte 11 Jahre früher auch die Bauleitung bei der St.-Emmerams-Kirche sowie bei den Renovierungsmaßnahmen in St. Georg 1878-80.) Der Bau des Gotteshauses wurde von der Bevölkerung mit großer Zustimmung begleitet. Der stattliche Bau im „romanischen“ Stil, der mit seinen zwei Kuppeltürmen einer Kirche glich, wurde als Zierde der Stadt empfunden. Die Einweihung der Synagoge erfolgte am 17. September 1886, alle Behördenvertreter überbrachten Glück- und Segenswünsche für die jüdische Gemeinde. Bei einem Konzert im „Deutschen Haus“ am Abend des Festtages hielt Bürgermeister Reiger eine Ansprache. Er „gedachte des Interesses, das jede Vertretung einer Stadtgemeinde, in welcher die Angehörigen verschiedener Konfessionen wohnen, daran habe, dass dieselben in Frieden nebeneinander leben, und brachte mit dem Wunsche, dass der Friede, der bisher geherrscht, auch ferner bestehen möge, ein Hoch auf die Kultusverwaltung aus“, heißt es im Zeitungsbericht.

 

Die Synagoge, in unmittelbarer Nachbarschaft von St. Georg, war ein herausragendes Gotteshaus in der Altstadt, erwies sich aber im Lauf der Zeit als zu groß für die Gemeinde. Um 1900 hatte diese mit ca. 500 Gemeindegliedern ihren Höchststand erreicht, war aber dann durch Abwanderung in die großen Städte bis zum Jahr 1933 auf 186 Mitglieder geschrumpft.

 

Mit Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft setzten auch die sich verschärfenden Maßnahmen gegen die jüdischen Mitbürger ein. Die Gemeinde wurde aufgelöst, die Synagoge in der sog. „Reichskristallnacht“ vom 9. auf den 10. November 1938 geschändet. Ihre Zerstörung wurde dadurch verhindert, dass sie in städtisches Eigentum übernommen wurde. Die letzten 40 Nördlinger Juden, die nicht mehr hatten auswandern können, wurden im Jahr 1942 in die Lager im Osten deportiert; fast alle sind dort umgekommen.

 

Nach dem krieg stand die Synagoge leer und verwüstet in der Kreuzgasse. Im November 1953 erwarb die evangelische Gemeinde das Haus von einer jüdischen Organisation in den USA, die ehemals jüdischen Grundbesitz in Deutschland treuhänderisch verwaltete. Das Gebäude befand sich, wie die Baugutachten belegen, in einem sehr schlechten Zustand. So entschloss man sich zu einem grundlegenden Neubau: die beiden Türme samt dem Zwischenbau wurden bei Baubeginn (September 1955) abgebrochen, ebenso die Westwand geöffnet. Nach den Plänen von Architekt H. Christian Prechter, Harburg, wurde dem Hauptbau an der früheren Turmseite ein Eingangsbau samt einer Außentreppe vorgesetzt, an der Westseite ein großes Bühnenhaus. Durch die Einziehung einer Zwischendecke entstanden im 1. Stock ein großer Saal, der für Kinovorführungen, Vortrags- und Theaterveranstaltungen genutzt wurde. Im Erdgeschoss wurden Büroräume für das Arbeitsamt und andere Behörden geschaffen.

 

Heute bedauern wir, dass durch den „Umbau“ ein wertvolles Zeugnis der Synagogenarchitektur des späten 19. Jahrhunderts vernichtet wurde, doch dieses Jahrhundert galt zu jener Zeit insgesamt wenig. Von jüdischer Seite wurde es begrüßt, dass das Gebäude nun wieder kirchlichen Zwecken dienen werde. Gleichzeitig wurde gewünscht, dass Bauteile oder Symbole, die auf die ehemalige Synagoge hinweisen können, beseitigt werden möchten.

 

Heute erinnert nur noch eine Tafel am Eingang des Arbeitsamtes an die frühere Bestimmung des Hauses.

 

Am 30.12. 1956 konnte Oberkirchenrat Schabert aus München das Gemeindehaus einweihen. Dekan Dr. Karl Lotter schrieb dazu im „Rieser Kirchenboten“: „Das alttestamentliche Gotteshaus ist nun so verwandelt, dass es keiner mehr kennt. Es ist in der Ordnung, dass die ehemalige Gebetsstätte der Nördlinger Israeliten nun wieder religiösen Zwecken dient, allerdings der Gemeinde des Neuen Testaments... Nun hat die Gemeinde Nördlingen und... das Ries das, was es braucht, in seiner Hauptstadt wieder einen großen repräsentativen Raum, der für kirchliche Veranstaltungen, aber auch für wertvolle weltliche Vorträge und Vorführungen zur Verfügung steht. Wir wollen nicht vergessen, dass über dem Eingang des Gemeindehauses das Kreuz auf der Weltkugel sich ergebt. Wir wissen, dass dieses Gemeindehaus vielen Menschen zu dienen hat, den Evangelischen im ganzen Ries, dass es aber im letzten Grund nur einem dienen soll, dem Herrn, dem alle Gewalt gegeben ist im Himmel und auf Erden.“

 

Viele Jahre spielte das Haus eine bedeutende Rolle im Gemeindeleben und im kulturellen Leben unserer Stadt. Verglichen mit dem alten „Hindenburghaus“ des „Evangelischen Vereins“ in der Salvatorgasse bot es sehr viel Platz, einen repräsentativen und festlichen Saal mit 500 Plätzen. Damit entsprach dieses Gemeindehaus der damaligen Konzeption von Gemeindearbeit mit großen Veranstaltungen.

 

Leider war die Freude nicht ungetrübt. Sehr bald stellten sich bauliche Mängel heraus, so dass immer wieder Nachbesserungen und Renovierungen nötig waren. Im Lauf der Zeit erwies sich auch der Standort, abseits der Kirche, als ungünstig, ebenso fehlten auch die heute so wichtigen Gruppenräume für die Gemeindearbeit.

 

In den Stadtteilen entstanden in den folgenden Jahren eigene Gemeinderäume, doch in der Innenstadt fehlte ein wirklich geeignetes Haus.

 

1985 wurde mit dem Kauf des „Dehlergartens“ der erste Schritt in dieser Richtung getan. Als ein Jahr später dieses Anwesen abbrannte, wurde statt eines Umbaues ein völliger Neubau geplant und durchgeführt. Das „Gemeindezentrum St. Georg“ in der Hallgasse zu Füßen des „Daniels“, über das wir uns immer wieder freuen – nicht viele Gemeinden in Bayern haben ein solches Haus!

 

Heute aber hat das alte Gemeindehaus, die ehemalige Synagoge, einen Nachruf verdient: In Erinnerung an die vielen Menschen, die hier in den letzten 105 Jahren ein- und ausgegangen sind, mit ihren Hoffnungen und Sorgen, mit ihren Ängsten und ihrem Glauben.