Beitrag von Christof Eberstadt über Martin Liebermann (geb. 28. Juni 1921 in Altenkunstadt, gest. 23. Februar 1943 in Berlin)

Martin Liebermann war ein Sohn des Theodor LIEBERMANN aus Altenkunstadt und der Hedwig geb. ZEILBERGER aus Ermershausen. Eltern und beide Geschwister wurden Opfer der Shoa. Die Familie war also am Ende komplett ausgelöscht. Über seine Kindheit ist nichts bekannt. Er muss sehr krank gewesen sein, denn schon am 21.7.1930 (also mit 9 Jahren!) wurde er nach Gremsdorf in die dortige Pflegeanstalt eingeliefert, wo er das nächste Jahrzehnt in der Obhut der Barmherzigen Brüder verbrachte. Unter der Eingangsnummer 169/1823 aus dem „Hauptbuch für Anstaltspfleglinge“ ist notiert, er sei aus Altenkunstadt gekommen. Am 30. Juni 1941 wurde er mit drei weiteren Leidensgefährten mit dem Zug abtransportiert und in die Heil- und Pflegeanstalt Erlangen eingewiesen. Am 21. Januar 1943 schob man die „vier Gremsdorfer“ nach Berlin ab (Siemen, S. 431). Die Einweisung erfolgte in das Jüdischen Krankenhaus in der Iranische Str. 2, Psychiatrische Abteilung, wo er vier Wochen später einer Lungenentzündung erlag. Man hat Martin LIEBERMANN am 1. März 1943 auf dem Friedhof Weißensee bestattet (Feld F, Abt. V, Reihe 18, Grab-Nr. 110779).

Das Geburtsregister Altenkunstadt enthält auf der ihm gewidmeten Beurkundung 1921-27 die amtliche Bestätigung, dass er am 23. Februar 1943 in Berlin gestorben ist . Im Landesarchiv Berlin ist die Sterbeurkunde erhalten (Standesamt Wedding, Nr. 1065/1943), zusammen mit dem als standesamtlich dokumentierten Akt der Annullierung des Zwangsnamens „Israel“ aufgrund des erlassenen Kontrollratsgesetzes für Berlin vom 20. September 1945, beurkundet am 12. August 1968.

Da Martin LIEBERMANN am Ende im Krankenhaus an Lungenentzündung starb, er also einer „natürlichen“ Krankheit erlegen ist, erfüllt er nicht die strengen Kriterien eines „regulären“ Opfers des "Euthanasie"-Programms. Es wird keinen Eintrag im Gedenkbuch der Bundesrepublik Deutschland geben, Nürnberg nimmt ihn nicht in sein Gedenkbuch auf, auch Yad Vashem hält sich zurück. (Der Eintrag im Erlanger Gedenkbuch ist in der aktuellen Auflage leider noch falsch).

Für Altenkunstadt sollte gelten: Martin LIEBERMANN war in seiner Eigenschaft als Jude und geistig Kranker in seinen letzten Lebensjahren ein Verfolgter des nationalsozialistischen Gewaltregimes und dessen so gen. "Euthanasie"-Programm gewesen. Seelische Herabsetzungen und gesundheitlich abträgliche Umgebung mit Vernachlässigung bis hin zur Mangelernährung waren an der Tagesordnung und schwächten allmählich seine Konstitution. Der Transport im Winter nach Berlin wird schließlich die Lungenentzündung zum Ausbruch gebracht haben - was ihn davor bewahrt hat, wie seine Leidengenossen in den Zug nach Auschwitz steigen zu müssen: er war nicht transportfähig! Die Mangelwirtschaft und extremen Aufregungen (wegen Luftalarmen und ständiger Deportationen) haben vermutlich seinen Tod weiter beschleunigt; er war immerhin ein sehr junger Mann gewesen. Ihn als Opfer der Verschleppungs-Maßnahmen im Vorfeld der heute so gen. "dezentralen Euthanasie" einzuordnen, ist ein moralisches Gebot und somit richtig. Der Vernichtungsfeldzug gegen die Menschlichkeit hatte zu viele Facetten, um hinsichtlich der „exakten“ Todesart dann noch durch den „richtigen“ Filter passen zu müssen. Wäre Martin LIEBERMANN nicht „von selbst gegangen“, dann hätte man ihn jedenfalls noch umgebracht. Wie so häufig, war sein Tod letztlich ein Zufall, aber er war unbedingt gewollt gewesen.