Der Ort

Die bayerische Gemeinde Hainsfarth, 2 km südöstlich von Oettingen gelegen, gehört heute zum Landkreis Donau-Ries im Regierungsbezirk Schwaben. Mit ihren 1500 Einwohnern ist Hainsfarth heute doppelt so groß wie vor zweihundert Jahren. Bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts war die Gemeinde im Besitz der Fürsten von Oettingen-Spielberg, die in Hainsfarth systematisch jüdische Händler und Handwerker angesiedelt haben. Um 1850 waren deswegen unter den ca. 800 Einwohnern des Dorfes etwas mehr als 40 % Katholiken, fast ebenso viele Juden und ca. 20 % Protestanten.

Der israelitische Friedhof in Hainsfarth, am nordöstlichen Rande des Dorfes gelegen, ist in der Zeit von 1850 bis 1939 belegt worden. Es waren im wesentlichen Hainsfarther Bürger, die hier begraben wurden. Ganz wenige Ausnahmen wurden bei ehemaligen Hainsfarthern gemacht, die nach ihrem Wegzug auswärts gestorben waren, aber noch auf ihrem alten Friedhof beerdigt werden wollten. Die Verantwortung für die Belegung lag ausschließlich bei der israelitischen Kultusgemeinde des Dorfes.

 

Friedhofsordnung

Zwar hat sich eine schriftliche Friedhofsordnung nicht erhalten. Es hat sie aber sicher einmal gegeben; indirekt wird nämlich im Laufe der Zeit darauf Bezug genommen. Eine Friedhofsordnung war nicht genehmigungspflichtig und daher im Nachlass der zeitgenössischen Oettinger, Nördlinger, Augsburger oder gar Münchener Behörden nie vorhanden. Die einschlägigen Hainsfarther Unterlagen aber sind seit Kriegsende verloren. Dies gilt sowohl für die Akten der politischen Vertretung wie für jene der jüdischen Kultusgemeinde.

Bemerkenswerte Einzelheiten der Hainsfarther Friedhofsordnung lassen sich aber aus dem heutigen Befund erheben. Der wichtigste Grundsatz betraf die Erkenntnis, dass im Tode alle Menschen gleich sind. Daraus folgten eine Reihe Bestimmungen, die den Hainsfarther Friedhof vor vielen anderen, die im 18. und 19. Jahrhundert angelegt worden sind, auszeichnen. So erhielten alle israelitischen Verstorbenen in Hainsfarth eine eigene Begräbnisstätte. Diese unterschied sich weder nach der Größe noch nach der geographischen Lage von irgendeiner anderen. Das bedeutete zunächst, dass alle Grabstellen im wesentlichen gleich groß sind. Das bedeutete sodann: es gibt auf dem Friedhof keinen Ort, der etwa bestimmten Verstorbenen vorbehalten worden wäre. Diese Vereinbarung wurde zweifellos erleichtert durch die Tatsache, dass die Gemeinde nie einen eigenen Rabbiner besaß, deshalb die sonst vielfach übliche Ausweisung eines eigenen Begräbnisplatzes für Rabbiner - in der Regel am Eingang des Friedhofs - entfiel. Aber auch für andere Honoratioren wurde keine eigene Fläche reserviert. So wurde auch für verdiente Kultusvorsteher, für Lehrer der israelitischen Schule oder für Kantoren und Synagogendiener keine Ausnahme gemacht. Es gibt auf dem Friedhof aber auch keine Familiengräber.

 

Grabreihen

Es gab nicht einmal die Möglichkeit, wenigstens Eheleute nebeneinander zu beerdigen. Vielmehr wurden alle Toten ganz streng in der Reihenfolge ihres Ablebens beerdigt, jeder einzeln und nebeneinander, beginnend in der südöstlichen Ecke des Friedhofs, von Süd nach Nord, in insgesamt 16 Reihen, die eng an der südlichen Mauer des Friedhofs beginnen und in unterschiedlicher Länge auf der Nordseite des Friedhofs reichlich freien Raum belassen. Die erste Reihe wurde großzügig mit nur 13 Gräbern belegt; in den folgenden Reihen steigerte man die Grabdichte kontinuierlich bis auf 22 Gräber in Reihe XII. Das war kurz vor der Jahrhundertwende. Dabei beließ man es dann im wesentlichen auch in den folgenden Jahrzehnten, bis die Reihe XVI mit nur 13 Gräbern im Jahre 1939 abbricht.

Zur leichteren Orientierung gibt unsere Dokumentation jedes Grab mit drei Ziffern an: die Grabreihen mit römischen Zahlen, gefolgt von einer arabischen Ziffer, die die Nummer des jeweiligen Grabes in dieser Reihe angibt, und einer weiteren Ziffer, die alle Gräber von 1 bis 283 zählt (Beispiel: XIII/14=225: das 14. Grab in der XIII. Reihe ist das 225. Grab, das auf dem Friedhof eingerichtet wurde). Die letzte Ziffer ist in den meisten Fällen auf der Westseite der Grabinschriften über oder unter dem eigentlichen Text eingemeißelt. Einzig die Kindergräber tragen keine Ordnungsnummer.

 

Kindergräber

Eine einzige Ausnahme von der strengen Regel der Grabanordnung wurde den Juden nämlich gestattet: Kinder wurden, wenn sie denn überhaupt eine eigene Begräbnisstätte erhielten, ohne erkennbare Ordnung irgendwo am nördlichen Rand der Grabreihen beerdigt. Die Geburts- und Sterberegister weisen aus, dass die Anzahl der Totgeburten und der früh verstorbenen Kleinkinder in manchen Jahren des 19. Jahrhunderts ein Drittel aller Toten ausgemacht hat (z.B. in den Jahren 1873 und 1874, vgl. ISR 136-138). Allerdings erhielten nur wenige Kleinkinder überhaupt ein eigenes Grab oder gar einen eigenen Grabstein. in der Regel hat man in Hainsfarth wie auch sonst üblich, Kinder, vor allem Säuglinge, Erwachsenen mit ins Grab gegeben, wann immer dazu die praktische Möglichkeit bestand. So gibt es auf dem ganzen jüdischen Friedhof überhaupt nur acht Grabsteine für verstorbene Kinder; diese Grabsteine sind anders als die Erwachsenengräber nicht gezählt. Die dort beerdigten Kinder waren bis zu sechs Jahre alt. Ihre Grabsteine sind durchweg kleiner als die der Erwachsenengräber. Kindergräber finden sich am nördlichen Ende der Reihen IV (ein Grab), VII (ein Grab), VIII (zwei Gräber) und XVI (ein Grab) sowie mitten zwischen den Reihen VII und VIII (zwei Gräber) bzw. VIII und IX (ein Grab), auch diese am nördlichen Rand des Friedhofs. Um dieser recht willkürlichen Anordnung Rechnung zu tragen sind in unserer Dokumentation die Kindergräber im zweiten Teil gesondert ausgewiesen.

 

Beerdigungsritus

Beerdigt wurden alle Toten mit dem Gesicht nach oben und in der Richtung nach Osten, d. h. nach Jerusalem, wo einst der Messias erscheinen wird. Der Tote „blickt“ also nach Osten; der Grabstein steht am Kopf. Das Grab wurde möglichst erst am Tage des Begräbnisses ausgehoben. Von einer Begräbnisbruderschaft, die traditionell für das Ausheben des Grabes zuständig war, ist in Hainsfarth erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Rede. Noch später werden auch Totengräber erwähnt. Von Anfang an aber beweisen die ziemlich gerade ausgerichteten Grabreihen, dass eine ordnende Hand für die Vergabe der Begräbnisplätze zuständig war. Die selbstverständliche Akzeptanz der Gleichbehandlung aller Toten schon beim Leichenzug und vor allem auf dem jüdischen Friedhof ist jedenfalls unter den Christen mit Respekt beobachtet worden. Im Jahre 1875 beklagte ein Bürger den bei einzelnen protestantischen Beerdigungen entfalteten Prunk und "den dünkelhaften Unterschied", der häufig aufdringlich sei; da pries er die jüdischen Gepflogenheiten, die nach seiner Meinung allen Verstorbenen, "ob arm oder reich", dieselbe Ehre erwiesen (Oettinger Wochenblatt Nr. 11 vom 12. März 1875).

 

Grabinschriften

Wenige Monate nach den ersten Beerdigungen auf ihrem neuen jüdischen Friedhof entschloss man sich in Hainsfarth, jedes Grab auf der Westseite mit einer fortlaufenden Nummer zu versehen, was den Eindruck der Gleichheit aller Verstorbenen verstärken konnte. Auch für die Beschriftung gab es strenge Anweisungen: Auf der östlichen, d.h. der Jerusalemer Seite, musste der Text in hebräisch abgefasst werden. In nahezu hundert Jahren hat man nur in seltenen Ausnahmen auf den hebräischen Text ganz verzichtet (so beim Grab Nr. XV/5=257). Sehr bald wurde es dann allerdings zusätzlich üblich, auch auf der Westseite eine Beschriftung, und zwar in deutscher Sprache, anzubringen. Aber auch auf dieser westlichen Seite erfolgte die Datierung der Geburts- und Todesangaben lange Zeit ausschließlich nach jüdischer Chronologie. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts tauchen dann vereinzelt zusätzlich auch deutsche Zeitangaben, gewöhnlich in Klammern gesetzt, auf. Und erst seit dem Ersten Weltkrieg wird in den meisten Fällen ganz auf die jüdische Chronologie verzichtet.

 

Israelitische Standesregister

Für den heutigen Bearbeiter der Friedhofsdokumentation birgt die fortlaufende Anordnung und Zählung der einzelnen Grabstätten den unschätzbaren Vorteil, die Inschriften auf den Grabsteinen, soweit sie noch entzifferbar sind, mit den gleichfalls fortlaufenden Aufzeichnungen in den israelitischen Standesregistern, die für Hainsfarth glücklicherweise von Oktober 1825 an bis in die ersten Jahre des 20. Jahrhunderts erhalten sind, leicht vergleichen zu können (StAA: Israelitische Standesregister 13 I und 13 II). Für die Zeit ab 1876 sind ergänzend die Geburts- und Sterbeurkunden des Standesamts heranzuziehen, die heute im Rathaus der Verwaltungsgemeinschaft Oettingen aufbewahrt werden (Sterbebücher Hainsfarth 1876-1890, 1891-1903, 1904-1929, 1930-30. 4. 1978). In allen Fällen, da die Schriftzeichen auf den Grabsteinen gar nicht mehr oder nicht mehr vollständig zu entziffern sind, können die Standesregister helfen, Lücken zu füllen. Erst recht ist der heutige Bearbeiter auf diese Quellen angewiesen in allen Fällen, da die Grabsteine gar nicht mehr erhalten sind, was leider für 36 der insgesamt 283 Hainsfarther Erwachsenen-Grabstätten zutrifft. Im folgenden ist in allen Fällen, da die erhaltenen Angaben auf den Grabsteinen nicht mehr eindeutig auf eine bestimmte Person schließen lassen, den Angaben zur Person der oder des Verstorbenen in Klammern "vermutlich" vorangestellt. Dank der Zuverlässigkeit der israelitischen Standesregister im allgemeinen gebührt aber auch solchen Angaben unserer Dokumentation hohes Vertrauen. Nur bei einem einzigen Erwachsenengrab (Grab Nr. IV/15=58) und bei einem der Kindergräber (Kindergrab Nr. 1) ist die jeweilige Zuordnung ungewiss. Andererseits ließ sich in einem einzigen Fall für einen Verstorbenen, dessen Name auf dem Grabstein deutlich zu entziffern ist, aus den Hainsfarther Registern überhaupt kein Nachweis erbringen (Salomon Oettinger, begr. XV/3=265).

In den Sterberegistern findet sich über lange Zeit auch die Bezeichnung der Todesursache und ggf. der Name des behandelnden Arztes. Auf die Wiedergabe dieser beiden Angaben wurde in unserer Dokumentation verzichtet, weil die Todesursache in der Regel sehr vage formuliert ist und eine freie Arztwahl bis zum Ersten Weltkrieg offenbar gar nicht bestand. Jedenfalls tauchen über Jahrzehnte nacheinander nur zwei Namen auf.

Dagegen ist der Todestag sowohl in der bürgerlichen als auch in der jüdischen Datierung wiedergegeben, wenn beides in der Vorlage vermerkt ist. Allerdings reichte die Rubrik für die hebräische Datierung im verlorengegangenen Original tief hinein in den Falz und konnte deshalb bei der Verfilmung nur unzureichend erfasst werden. Es fehlen deshalb in unserer Dokumentation in auffallend vielen Fällen leider die genauen hebräischen Angaben; manchmal war die Tagesziffer nicht zu erkennen, manchmal der Monatsname, häufig fehlen beide. Das ist um so bedauerlicher, da die Lebensdaten auf den Grabinschriften in den ersten vier Jahrzehnten ausschließlich nach hebräischer Datierung aufgeführt sind. In anderen Fällen differieren die Grabinschriften und die Aufzeichnungen der Sterberegister um einen Tag. Der Grund dafür liegt in der Annahme unterschiedlicher Zeitpunkte für den Tagesbeginn. Bekanntlich beginnt der neue Tag nach jüdischer Berechnung unmittelbar nach Sonnenuntergang - was jedenfalls sinnvoller erscheint als die willkürliche Festlegung auf 24 Uhr mitten in der Nacht.

Die meisten Angaben zur Familie einer oder eines Verstorbenen entstammen den israelitischen Standesregistern in Augsburg und Oettingen. In einigen Fällen sind auch die sog. Ansässigmachungs- und Verehelichungsakten, außerdem Nachlassakten und Zivilprozessakten herangezogen worden. Bei Eltern, Geschwistern, Ehegatten und Kindern, die in Hainsfarth gestorben und begraben sind, finden sich die detaillierten Angaben zu deren Person unter der zitierten Grabesnummer. Dabei ist in keinem Fall Vollständigkeit angestrebt. Nicht einmal die herangezogenen Quellen sind erschöpfend ausgewertet. Die Ergebnisse sollten aber in den weitaus meisten Fällen genügend Hinweise enthalten, um von diesen Materialien ausgehend den Stammbaum einzelner Familien zu erstellen.

 

Deutsche und jüdische Vornamen

Nicht immer sind die Namen der Grabinschriften in allem identisch mit den Namen der Sterberegister. Das gilt vor allem für die Vornamen. Das erklärt sich einige Male durch die Wahl eines Kosenamens auf den Grabsteinen; dies geschah vornehmlich bei Frauen. So findet sich Gitele oder Jidl für Jette, Breindel für Bertha, Peßla für Babette, Sila für Sophie, Rösle für Rosina u.a. Andere Abweichungen erklären sich durch die unterschiedliche Namensform im Hebräischen und im Deutschen: Mordechai wird häufig zu Max bzw. Marx, Eliezer zu Leopold oder Lazarus, Sulamit zu Sophie, Heyum bzw. Chaim zu Heinrich, Eisick zu Ignatz. Verwirrend wirkt auch die Gepflogenheit, den Söhnen in der Regel als zweiten Vornamen den Vornamen des Vaters beizugeben. Dieser zweite Vorname konnte dann häufig zum eigentlichen Rufnamen werden. In solchen Fällen findet sich dann im Sterberegister manchmal außer dem offiziellen Rufnamen noch die Koseform oder der zweite Vorname in runden Klammern. Das ist dann auch so in unsere Dokumentation übernommen worden, während zusätzliche Namen in eckigen Klammern aus anderen Quellen stammen und vom Bearbeiter zur sichereren Identifizierung beigegeben wurden.

Während das israelitische Trauungsregister im Staatsarchiv Augsburg im Hinblick auf unsere Dokumentation vollständig durchgesehen wurde, musste nach reiflicher Überlegung davon abgesehen werden, die Hainsfarther Geburtsregister, die ab Oktober 1825 vollständig vorliegen, systematisch zu erfassen. Die Fehlerquelle wäre zu groß gewesen. Die Altersangabe in den Sterberegistern führt nämlich keineswegs mit einiger Wahrscheinlichkeit zum Geburtsdatum der Verstorbenen. Die Altersangabe kann immer nur ungefährer Anhaltspunkt sein, zumal die Jahreswende nach jüdischem Kalender bekanntlich in die Monate September bzw. Oktober fällt. Im übrigen ist der bald nach der Geburt gewählte Vorname später manchmal verändert worden. Andere Personen sind auswärts geboren; ihre Namen sucht man daher im Hainsfarther Geburtsregister vergeblich. Die hohe Säuglingssterblichkeit hat darüber hinaus häufig veranlasst, dass Eltern nach dem Verlust eines Kindes der oder dem Nächstgeborenen denselben Vornamen gegeben haben. Eine weitere Unsicherheit bereitet die große Anzahl von Homonymen. Dabei waren die vielen Hainsfarther namens Gutmann, Aufhäuser, Engländer, Herrmann u.a. keineswegs alle miteinander verwandt. Die strenge Verpflichtung, deutsche Familiennamen anzunehmen, bestand nämlich erst seit Erlass des Bayerischen Judenedikts im Jahre 1813 (dort § 4 und 5). Die Wahl der Namen erfolgte danach vielfach ohne erkennbare Rücksicht auf bestehende Familienbande. So konnte z. B. im Jahre 1855 Moses Löw Gutmann völlig rechtens Bertha, gen. Breindel, eine geborene Gutmann, heiraten.

 

Straßen- und Hausnummer

Im Jahre 1876 erscheint bei der Angabe des letzten Wohnortes der verstorbenen Karolina Engländer zum ersten Mal auch ein Hainsfarther Straßenname: die damals eben neu so benannte Steingasse (StB. H. Urk 34/1876). Es war das Standes­amt der politischen Gemeinde Hainsfarth, das auf diese Weise den neuen Bestimmun­gen des Reiches Rechnung tat. Das geschah anfänglich nur vereinzelt, wurde dann jedoch ca. zwei Jahrzehnte lang allgemein durchgehalten. Da tauchen dann nacheinander auf: die Dorfgasse und die Kohlgasse, dann besonders häufig die Mühlgasse und die Judengasse, dann die Steingasse und die Obergasse, schließlich das Unter-, Mittel- und Oberdorf. Das beweist immerhin, dass es in Hainsfarth nie ein eigentlich jüdisches Viertel gegeben hat. Es wohnten vielmehr Juden und Christen Tür an Tür nebeneinander. Im Gegensatz zu den Standesbeamten in der politischen Gemeinde haben sich die Verantwort­lichen in der israelitischen Kultusgemeinde zur Übernahme der neuen Straßennamen nie durchringen können. Im übrigen hat sich aber in Hainsfarth offenbar nie konsequent durchgesetzt, die Hausnummern nach der neuen Straßenzugehörigkeit neu zu zählen, d. h. man kombinierte in der Regel die neuen Straßennamen weiterhin mit den vertrauten, alten, unveränderten Hausnummern. Ein einziges Mal findet sich in den Registern der politischen Gemeinde der neue Straßenname sowohl mit neuer als auch mit der alten Hausnummer: Zadok Bock, gestorben 1887, hatte zuletzt in der "Judengasse 19, Haus Nr. 20/21" gelebt (St.B. H. Urk. 5/1887). Nach 1902 verzichtete man schließlich auch bei der politischen Gemeinde wieder auf die Angabe des Straßennamens. Unsere Dokumentation folgt in dieser Hinsicht der Vorlage der heute in Oettingen verwahrten Register.

 

Gestaltung der Grabsteine

Bei aller Gleichbehandlung, wie dies die Hainsfarther Friedhofsordnung der ganzen israelitischen Kultusgemeinde vorschrieb, stellt der heutige Besucher doch unschwer fest, dass die einzelnen Grabsteine höchst unterschiedlich gestaltet sind. Material und Ausführung trugen zunächst dem Geldbeutel, dann aber auch dem jeweiligen Zeitgeschmack Rechnung. Über die künstlerische Ausgestaltung einiger Grabsteine hat J. Werlitz in seinem Hainsfarther Vortrag im Mai 2000 das Wichtigste zusammengetragen (vgl. Rieser Kulturtage. Dokumentation Bd. XIII/2000, im Druck). Die Grabsteine für Eheleute ähneln sich häufig nach Material und Form. Das ist besonders auffällig, wenn zwischen dem Tod beider Eheleute Jahrzehnte vergangen sind, wie etwa bei dem Ehepaar David Bürger (gest. 1872) und seiner Frau Lisette (gest. 1905) oder bei Elkan Bachmann (gest. 1887) und seiner Frau Sara (gest. 1926). Im Fall des Ehepaares Bürger sind mit der Ausführung der beiden prachtvollen Grabmonumente sogar unterschiedliche Unternehmen beauftragt worden: zunächst die Steinmetz-Firma Hermann in Oettingen und 33 Jahre später der Maurer- und Steinmetzmeister Hasenmüller in Hainsfarth. Die Handwerker haben ihre Namen am unteren rechten Rand auf der westlichen Rückseite der Grabsteine eingemeißelt. Es handelt sich um die Gräber VII/4=117 und XIII/11=222 bzw. XI/11=181 und XV/18=270.

Verwendetes Gestein

Sockel und Grabsteine, erst recht die besonderen Schrifttafeln, die kurz vor der Jahrhundertwende auftauchen, sind in der Regel aus unterschiedlichen Materialien gefertigt. Auf der anderen Seite bedeutet dieselbe Angabe für Sockel und Grabstein nicht in jedem Fall, dass beide tatsächlich aus ein und demselben Material geschaffen sind; mergeligen Kalkstein z. B. gab es in vielen Erscheinungsformen. Fein- und grobkörniger Sandstein wie auch mergeliger Kalkstein in jeweils unterschiedlichen Zusammensetzungen konnten im Steinbruch am Burschel, wenige hundert Meter vom Friedhof entfernt, gewonnen werden. Dagegen mussten der Granodiorit, eine Übergangsform zum Granit, wie natürlich der Marmor von weit her herangeschafft werden. Sie finden sich auf dem Friedhof erst lange nach Fertigstellung der Bahnlinie Nördlingen - Oettingen.

 

Anordnung der vorliegenden Dokumentation

Unsere Dokumentation folgt Zeile für Zeile folgendem Schema:

1. Nr. des Grabsteins

2. Gesteinsart, aus dem Sockel, Grabstein und ggf. die Schrifttafel bestehen

3. Erhaltungszustand des Grabes

4. Hinweise zur Beschriftung

5. Grabinschrift (in Kursivschrift)

6. Angaben zur Person der oder des Verstorbenen

7. Eltern der oder des Verstorbenen

8. Geschwister der oder des Verstorbenen

9. Ehegatte der oder des Verstorbenen

10. Kinder der oder des Verstorbenen

11. Ggf. zweiter Ehegatte der oder des Verstorbenen

12. Ggf. Kinder aus dieser zweiten Ehe der oder des Verstorbenen

 

Die Maße der Grabsteine sind in Zentimeter angegeben. Die Sockelhöhe ist nur oberhalb der Grasnarbe gemessen; die Höhe der Grabsteine gibt das Maß zwischen Sockel und Spitze, ggf. ohne dekorativen Aufsatz, wieder. Die Gesamthöhe ergibt sich demnach aus der Summe beider. Bei der Breite sind gegebenenfalls das engste und das weiteste Maß angegeben.

Die Angabe der Maße wie auch die Hinweise zum Erhaltungszustand der Gräber gingen ursprünglich von der Voraussetzung aus, dass es gelingen werde, den meisten Beschreibungen ein Bild der jeweiligen Grabstätte beizugeben. Die Bildvorlagen dazu sind vollzählig erstellt. Ein stattlicher Band mit ca. 300 Fotographien befindet sich zur Einsichtnahme im Staatsarchiv Augsburg.

Den wichtigsten Teil unserer Dokumentation machen die in Kursivschrift wiedergegebenen Inschriften auf der (westlichen) Rückseite der Gräber aus. Dabei sind die einzelnen Zeilen mit Schrägstrichen getrennt, unleserliche Stellen gekennzeichnet, fehlende Zeilen mit / ... / angedeutet. Orthographie, Zeichensetzung und Abkürzungen folgen in diesem Teil streng der Vorlage, während bei der Zitation aus den Personenstandsregistern die recht willkürliche Schreibung der hebräischen Monatsnamen vereinheitlicht wurde.

 

Die Wiedergabe der Grabinschriften in vorliegender Form ist leider ein Torso. Selbstverständlich war lange Jahre geplant, auch die hebräischen Inschriften auf der (östlichen) Vorderseite der Grabsteine zu dokumentieren. Herr Privatdozent Dr. Jürgen Werlitz, Augsburg, hatte sich auf meine Anregung hin dieser überaus diffizilen Aufgabe angenommen, hat sie auch über Jahre mit Akribie verfolgt, musste aber seine Mitarbeit unmittelbar vor Fertigstellung aus persönlichen Gründen zurückstellen. Nunmehr wird seine Dokumentation in veränderter Form vorgelegt werden.

Trotzdem ist die hier vorgelegte Dokumentation abgeschlossen. Sie will die in Hainsfarth begrabenen Juden und ihre Familien, soweit dies nach 60 bis 150 Jahren überhaupt noch möglich ist, dem Vergessen entreißen und für die Erinnerung bewahren. Damit kann dieser Band einen bescheidenen Baustein liefern für die allgemeine Gültigkeit des alten jüdischen Sprichworts:

"Das Vergessenwollen verlängert das Exil,

und das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung."

 

Dank

Mir bleibt vielfach Dank zu sagen. Zunächst und vor allen anderen Frau Maria Magdalena Wolf, die mit mir zusammen den israelitischen Friedhof in Hainsfarth im Sommer 1997 "entdeckt", dann den Entschluss zur Bearbeitung bestärkt und mich schließlich unzählige Male nach Hainsfarth, in die Archive auf der Harburg und in Augsburg, nach Oettingen und Nördlingen begleitet hat. Zusammen mit Herrn Privatdozent Dr. Jürgen Werlitz habe ich dann im Studienjahr 1998/99 an der Universität Augsburg zwei Seminare durchgeführt und auf diese Weise viele Studenten gewonnen, die mit uns zusammen zunächst einzelne Grabinschriften vor Ort entziffert und dann mit Hilfe der israelitischen Standesregister, ggf. auch einzelner Nachlass- oder Zivilprozessakten, im Augsburger Staatsarchiv deren Lebensdaten ermittelt haben. Die studentischen Einzelarbeiten sind später unter Anleitung von Herrn Dr. Werlitz von Frau M. Hummel erfasst worden. Vorbildliche Betreuung haben meine Studenten und ich im Augsburger Staatsarchiv erfahren. Besonders sei die geduldige Hilfestellung erwähnt, die Frau Bohl und die Herren Hermann Schweiger, Thomas Steck und Günter Steiner jenen Studenten, die nie zuvor ein Archiv besucht hatten, gewährt haben. Entgegenkommend waren auch die Oettinger Standesbeamten Frau Kriss-Deuter und ihr Nachfolger Herr Deubler. Frau Margarete Schöllhorn hat dann den ersten Entwurf einer Bestandsaufnahme des Friedhofs geschrieben und anschließend die Fotographien der einzelnen Gräber in einem stattlichen Band, der Vorlage für die Veröffentlichung werden sollte, geordnet. Herr Alexander Schäferling hat mit mir zusammen die Bestandsaufnahme vor Ort kontrolliert und die Maße der Grabsteine aufgenommen. Für die Bestimmung der Gesteinsarten hat sich der Direktor des Ingenieur-Geologischen Büros am Ries, Herr Dr. Rudolf Schulze, einen ganzen Tag Zeit genommen. Frau Petra Walter hat die abschließenden Sekretariatsarbeiten erledigt. Schließlich haben zwei meiner jungen Studenten Karl Klein und H. Wolf das ganze Dokument für das Internet aufbereitet. Ihnen allen gebührt mein aufrichtiger Dank.

 

Abkürzungen

AuVA = Ansässigmachungs- und Verehelichungsakten

BA = Bezirksamt (nach dem Zweiten Weltkrieg: Landratsamt)

GSt = Grabstein

GStB = Breite des Grabsteins

GStH = Höhe des eigentlichen Grabsteins vom Sockel bis zur Spitze, ggf. ohne dekorativen Aufsatz

GStT = Tiefe des Grabsteins

ISR = Israelitisches Standesregister von Hainsfarth, Bände 13 I und II im Staatsarchiv Augsburg (die Blätter sind fortlaufend durchgezählt)

LGäO = Landgericht älterer Ordnung

NA = Nachlassakten (Testamente und Verlassenschaften)

S = Sockel des Grabsteins

St.B. H. = Sterbebuch Hainsfarth im Standesamt der Verwaltungsgemeinschaft Oettingen, erhalten in vier Bänden (1876-1890, 1891-1903, 1904-1929, 1930-30. 4. 1978), deren einzelner sich aus der Jahresangabe der Urkunden-Nummer ergibt

SH = Höhe des Sockels

StAA = Staatsarchiv Augsburg

StHG = Stadt- und Herrschaftsgericht

Urk = Urkunde

u. Z. = unsere(r) Zeitrechnung

ZP = Zivilprozessakten